Abgabenordnung - Steuererklärungen & Festsetzungen PDF
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This document provides an overview of German tax regulations, focusing on tax declarations and tax assessments. It includes details about the Abgabenordnung (AO), outlining the procedures and requirements for filing tax returns, tax assessments, and related processes. It's intended for professional use, like tax consultants.
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Abgabenordnung Steuererklärungen sowie Festsetzungen Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Autor: examio GmbH © examio GmbH - 03.03.2024 INHALTSVERZEICHNIS 1 Steuererklärungen sowie Festsetzungen 1.1 4 Steuererklärungspflichten 4 1.1.1 Begriff der Steuererklärung...
Abgabenordnung Steuererklärungen sowie Festsetzungen Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Autor: examio GmbH © examio GmbH - 03.03.2024 INHALTSVERZEICHNIS 1 Steuererklärungen sowie Festsetzungen 1.1 4 Steuererklärungspflichten 4 1.1.1 Begriff der Steuererklärung 4 1.1.2 Abgabe der Steuererklärungen gem. § 149 AO 4 Überblick zum Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung 1.2 1.3 1.1.3 Form und Inhalt der Steuererklärungen gem. § 150 AO 6 1.1.4 Berichtigung von Erklärungen gem. § 153 AO 6 Festsetzungsverfahren 6 1.2.1 Steuerfestsetzung gem. § 155 AO 6 1.2.1.1 Vorbemerkungen 7 1.2.1.2 Allgemeiner bzw. sonstiger Steuerverwaltungsakt 15 1.2.1.3 Steuerbescheid als spezieller Verwaltungsakt 16 1.2.1.3.1 Vorbemerkungen 16 1.2.1.3.2 Form und Inhalt des Steuerbescheids 16 1.2.1.3.3 Ablehnung des Erlasses von Steuerbescheiden 18 1.2.1.3.4 Bekanntgabe des Steuerbescheids 18 1.2.1.3.4.1 Bekanntgabe an Ehegatten 18 1.2.1.3.4.2 Bekanntgabe an gesetzlichen Vertreter 19 1.2.1.3.4.3 Bekanntgabe an den Steuerberater 19 1.2.1.3.5 Arten der Steuerfestsetzung, § 164 AO 20 1.2.1.3.6 Steueranmeldung 20 1.2.2 Den Steuerbescheiden gleichgestellte Bescheide 22 1.2.3 Benennung von Gläubigern und Zahlungsempfängern gem. § 160 AO 22 1.2.4 Schätzung von Besteuerungsgrundlagen gem. § 162 AO 22 1.2.5 Steueranmeldungen gem. § 167 AO und § 168 AO 23 1.2.6 Festsetzung von Steuermessbeträgen gem. § 184 AO 25 Festsetzungsverjährung 25 1.3.1 Grundlagen der Festsetzungsverjährung 25 1.3.2 Festsetzungs- und Zahlungsverjährung 28 1.3.3 Fristdauer der Festsetzungsverjährung 29 1.3.4 Berechnung der Festsetzungsfrist 30 1.3.5 Beginn der Festsetzungsfrist gem. § 170 AO 30 1.3.6 Dauer der Festsetzungsfrist 32 © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 1 von 49 1.3.7 1.3.6.1 Dauer der Festsetzungsfrist für Steuern, Steuervergütungen und bestimmte Abgaben gem. § 169 AO 32 1.3.6.2 Dauer der Festsetzungsfrist für bestimmte steuerliche Nebenleistungen 33 1.3.6.2.1 Vorbemerkungen 33 1.3.6.2.2 Dauer der Festsetzungsfrist für Zinsen gem. § 239 AO 33 1.3.6.2.3 Dauer der Festsetzungsfrist für Verspätungs- und Säumniszuschläge sowie Zwangsgelder 34 Ende der Festsetzungsfrist gem. § 171 AO 34 1.3.7.1 Ablaufhemmung bei höherer Gewalt gem. § 171 Abs. 1 AO 34 1.3.7.2 Ablaufhemmung bei offenbarer Unrichtigkeit gem. § 171 Abs. 2 AO 35 Ablaufhemmung bei noch nicht unanfechtbar gewordenen Antragsverfahren gem. § 171 Abs. 3 AO 37 Ablaufhemmung bei noch nicht unanfechtbar gewordenen Rechtsbehelfsverfahren gem. § 171 Abs. 3a AO 38 Ablaufhemmung bei Ermittlungen gem. § 171 Abs. 4 bis 6 AO 39 1.3.7.3 1.3.7.4 1.3.7.5 1.3.7.5.1 Vorbemerkungen 39 1.3.7.5.2 Beginn einer Außenprüfung gem. § 171 Abs. 4 1. Alt AO 39 1.3.7.5.3 Hinausschieben des Prüfungsbeginns gem. § 171 Abs. 4 2. Alt. AO 40 1.3.7.5.4 Gemeinsame Vorschriften 41 Lernvideo zur Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO 1.3.7.6 Ablaufhemmung bei Steuervergehen gem. § 171 Abs. 7 AO 42 1.3.7.7 Ablaufhemmung in den Fällen der §§ 164 und 165 AO gem. § 171 Abs. 8 AO 43 Ablaufhemmung bei Anzeigen des Steuerpflichtigen gem. § 171 Abs. 9 AO 43 1.3.7.9 Ablaufhemmung bei Folgebescheiden gem. § 171 Abs. 10 AO 44 1.3.7.10 Ablaufhemmung bei Datenübermittlung durch Dritte gem. § 171 Abs. 10a AO 46 Ablaufhemmung bei fehlendem gesetzlichen Vertreter gem. § 171 Abs. 11 AO 46 1.3.7.12 Ablaufhemmung in Nachlassfällen gem. § 171 Abs. 12 AO 46 1.3.7.13 Ablaufhemmung bei noch nicht verjährtem Erstattungsanspruch gem. § 171 Abs. 14 AO 47 1.3.7.8 1.3.7.11 1.3.7.14 Ablaufhemmung bei Steuerentrichtungspflicht Dritter gem. § 171 Abs. 15 AO 47 © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 2 von 49 1.3.7.15 1.3.8 Ablaufhemmung in sonstigen Fällen Fälle zur Festsetzungsverjährung © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) 47 49 Seite 3 von 49 1 1.1 1.1.1 Steuererklärungen sowie Festsetzungen Steuererklärungspflichten Begriff der Steuererklärung Der Begriff „Steuererklärung“ ist kein gesetzlich definierter Begriff. Der BFH hat diese Lücke einst geschlossen und definiert eine Steuererklärung als eine formalisierte, innerhalb einer bestimmten Frist abzugebende Auskunft des Stpfl., die dem Finanzamt die Festsetzung der Steuer ermöglichen soll und in der Regel zum Erlass eines Steuerbescheides führt. Einzelheiten zu Form und Inhalt regeln die Einzelsteuergesetze. Grundsätzlich sind die amtlichen Vordrucke zu verwenden. Andere Vordrucke können zugelassen werden. Näheres dazu regeln regelmäßig BMF-Schreiben. 1.1.2 Abgabe der Steuererklärungen gem. § 149 AO Steuerpflichtige haben Steuern zu zahlen. In manchen Fällen, bei sogenannten Pflichtveranlagungen, wird diese Pflicht ergänzt durch die Pflicht zur Abgabe einer Erklärung. Diese Erklärungen werden von den Finanzämtern veranlagt. Nicht jeder, der steuerpflichtig ist, ist jedoch auch verpflichtet, eine Erklärung abzugeben. Diese Pflicht betrifft nur: wer nach den Einzelsteuergesetzen zur Abgabe verpflichtet ist (§ 149 Abs. 1 S. 1 AO) Man denke hier nur an § 25 Abs. 3 oder § 46 EStG oder § 18 Abs. 3 UStG sowie § 31 KStG (dort ist geregelt, wer eine ESt-, USt- oder KSt-Erklärung abzugeben hat). Demnach ist verpflichtet, wer vom FA zur Abgabe aufgefordert wird (§ 149 Abs. 1 S. 2 AO). Es gibt Fälle, in denen möchte das Finanzamt einfach mal wieder überprüfen, ob sich steuerlich relevante Vorgänge ergeben haben. Im Zuge des Altereinkünftegesetzes wurden zum Beispiel viele Rentner aufgefordert, eine Steuererklärung einzureichen. Früher wurden den Steuerpflichtigen Vordrucke zugesandt mit der Aufforderung, diese innerhalb einer Frist ausgefüllt wieder einzureichen. Im Zuge der immer weiter fortschreitenden Digitalisierung auch bei den Finanzämtern, werden kaum noch Vordrucke rausgeschickt. 149 Abs. 2 AO legt lediglich den Zeitpunkt fest, bis zu dem die Erklärungen abzugeben sind. Danach sind sie grundsätzlich spätestens bis zum 31. Juli des auf den Veranlagungszeitraum folgenden Kalenderjahres abzugeben. Bei Land- und Forstwirten verschiebt sich diese Frist natürlich wegen des abweichenden Wirtschaftsjahres. Es handelt sich also um eine der wenigen gesetzlichen Fristen, die nach § 109 Abs. 1 AO verlängert werden können. Grundsätzlich werden gesetzliche Fristen also nicht verlängert. Behördliche Fristen dagegen schon. Während nach alter Fassung die Verlängerung durch koordinierte Ländererlasse erfolgte, regelt die neue Fassung des § 149 Abs. 3 AO unmittelbar im Gesetz, dass Steuerberater eine pauschale Fristverlängerung haben bis Ende Februar des Folgejahres (ab Veranlagungszeitraum 2018). Der § 152 AO, welcher den Verspätungszuschlag regelt, wurde entsprechend angepasst, siehe Absatz 3 Nr. 1 AO © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 4 von 49 HINWEIS § 149 AO a.F. (i.V.m. § 109 AO a.F.) ist auch nach dem 31.12.2016 weiterhin anzuwenden auf Steuererklärungen, die für Besteuerungszeiträume vor dem 1.1.2018 beginnend einzureichen sind. Das betrifft letztmals Jahreserklärungen für 2017. Steuererklärungen sind vom Stpfl. grundsätzlich eigenhändig zu unterschreiben (§ 150 Abs. 3 AO, § 25 Abs. 3 S. 4 EStG, § 18 Abs. 3 S. 3 UStG). Fehlt die Unterschrift, so ist, wenn nicht die Voraussetzungen des § 150 Abs. 3 AO vorliegen, die Steuererklärung unwirksam, also quasi nicht abgegeben. Dennoch ist das FA in diesem Fall nicht gehindert, aufgrund der unwirksamen Erklärung eine Veranlagung durchzuführen. Mittlerweile sind immer mehr Steuerpflichtige gesetzlich verpflichtet, die Erklärungen in elektronischer Form einzureichen. Darunter fallen zum Beispiel alle Steuerpflichtigen mit Gewinneinkünften. Diese werden natürlich nicht unterschrieben. Das elektronische Dokument muss aber dann mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sein (§ 87a Abs. 3 S. 2 AO; AEAO Nr. 3 zu § 87a AO). Die Novelierung des § 150 AO ist ausdrücklich auf die elektronische Steuererklärung eingegangen. Papierform ist demnach nur noch zulässig, wenn keine elektronische Erklärung vorgeschrieben ist. Das betrifft auch Fälle, in denen mündliche Steuererklärungen (bzw. durch konkludentes Verhalten) zugelassen sind. Man denke hier nur an den Zoll am Flughafen, bei dem man durch rote oder grüne Türen gehen und somit relevante Sachverhalte anzeigen kann. Freiwillig kann selbstverständlich auch eine elektronische Steuererklärung eingereicht werden. Manchmal gibt es jedoch Sachverhalte, die einer weiteren Erläuterung bedürfen. Um auch das in digitaler Form zu ermöglichen, sieht § 150 Abs. 7 AO ein sog. „qualifiziertes Freitextfeld“ bei ausschließlich automationsgestützten Steuerbescheiden vor (vgl. § 155 Abs. 4 AO). In diesem Freifeld kann der Stpfl. individuelle Angaben machen, die nach seiner Auffassung hinsichtlich Rechts/Sachfragen bedeutsam sind und wichtige Informationen/Erläuterungen für das FA beinhalten. Das Freitextfeld ist Bestandteil des Steuererklärungsvordrucks und gewährleistet damit das Recht auf Anhörung. Überblick zum Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung www.steuerkurse.de/go/1b58095 © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 5 von 49 1.1.3 Form und Inhalt der Steuererklärungen gem. § 150 AO 150 AO regelt den Formalismus der Erklärungen. Grundsatz ist die Abgabe nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck. Allerdings sind davon einige Ausnahmen unmittelbar genannt. Wichtigste Ausnahme dürfte die elektronische Abgabe sein. Diese ist in vielen Fällen mittlerweile vorgeschrieben. Man denke nur an § 25 Abs. 4 S. 1 EStG. Hier geht es um ESt-Fälle mit Gewinneinkünften von über 410 €. Auch die USt ist mittlerweile zwingend elektronisch einzureichen, vgl. § 18 Abs. 3 S. 1 UStG. Verzichtet das Finanzamt aufgrund einer unbilligen Härte, die eine elektronische Abgabe darstellen könnte, auf die Abgabe per Datenträgeraustausch, so ist eine Abgabe auf amtlich vorgeschriebenem Vordruck vorzunehmen. Andere zugelassene Vordrucke sind natürlich auch möglich. 1.1.4 Berichtigung von Erklärungen gem. § 153 AO Nach § 150 Abs. 2 AO hat der Stpfl. seine Angaben nach bestem Wissen und Gewissen zu machen. Erkennt er später, dass die Erklärung eine Unrichtigkeit enthält, die zu einer anderen Steuerfestsetzung führt, hat er die Verpflichtung zur Richtigstellung (§ 153 Abs. 1 AO, siehe auch ausführlich AEAO zu § 153). HINWEIS Verletzt der Steuerpflichtige mit Wissen und Wollen, also vorsätzlich diese Pflicht zur Berichtigung, liegt eine Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 iVm. Abs. 4 AO vor. In diesem Fall kann der Stpfl. eine Selbstanzeige gem. § 371 AO abgeben. MERKE § 153 Abs. 1 AO stellt die Anzeige für den ehrlichen Stpfl. dar, der nachträglich einen Fehler erkennt; § 371 AO regelt die Anzeige für den unehrlichen Stpfl., der bereits vorsätzlich Steuern hinterzogen hat. 1.2 1.2.1 Festsetzungsverfahren Steuerfestsetzung gem. § 155 AO METHODE Steuern werden festgesetzt, Besteuerungsgrundlagen werden festgestellt. In diesem Kapitel gehen wir darauf ein, wie eine Steuer festzusetzen ist, insbesondere, wenn Steuern in einem Bescheid festgesetzt werden. Steuerbescheide sind Verwaltungsakte, aber spezielle, die oft anders zu behandeln sind, als normale Verwaltungsakte. © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 6 von 49 Steuerbescheide sind Verwaltungsakte, die die Festsetzung von Steuern enthalten. Sie können folgende Formen annehmen: Weitere Merkmale: Steuerbescheide im Sinne von § 155 Abs. 1 S. 1 AO, gleichgültig, ob sie zu einer Nachzahlung, einer Erstattung oder einer 0 €-Festsetzung (Freistellungsbescheide, § 155 Abs. 1 S. 3 AO) führen; Vorauszahlungsbescheide (§ 155 Abs. 1 S. 1 AO) sind eine Steuerfestsetzung unter VdN, § 164 Abs. 1 S. 2 AO; Steueranmeldungen, die von den Finanzämtern unbeanstandet entgegengenommen werden, führen zu einer Festsetzung unter VdN (§ 168 AO); Änderungsbescheide; Bescheide, mit denen Anträge auf Erlass der genannten Bescheide abgelehnt werden (§ 155 Abs. 1 S. 3 AO). Gemäß § 155 Abs. 1 S. 1 AO werden Steuern durch Steuerbescheide festgesetzt. 1.2.1.1 Vorbemerkungen Steuerbescheide sind Verwaltungsakte, die die Festsetzung von Steuern enthalten. Weitere Merkmale: Steuerbescheide im Sinne von § 155 Abs. 1 S. 1 AO, gleichgültig, ob sie zu einer Nachzahlung, einer Erstattung oder einer 0 €-Festsetzung (Freistellungsbescheide, § 155 Abs. 1 S.3 AO) führen; Vorauszahlungsbescheide (§ 155 Abs. 1 S. 1 AO) sind eine Steuerfestsetzung unter VdN, § 164 Abs. 1 S. s AO; Steueranmeldungen, die von den Finanzämtern unbeanstandet entgegengenommen werden, führen zu einer Festsetzung unter VdN (§ 168 AO); Änderungsbescheide; Bescheide, mit denen Anträge auf Erlass der genannten Bescheide abgelehnt werden (§ 155 © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 7 von 49 Abs. 1 S. 3 AO). Gemäß § 155 Abs. 1 S. 1 AO werden Steuern durch Steuerbescheide festgesetzt. BEISPIEL Die Zahnärztin Dr. med. Maria Kron eröffnet im Januar 10 ihre Praxis in Duisburg. Sie hat gegen die Mitwirkungs-/Anzeigepflicht verstoßen, da sie dies dem Finanzamt nicht nach § 138 Abs. 1 S. 3 AO angezeigt hat. Im Jahre 10 hat sie aufgrund ihrer besonderen Expertise in der Zahnmedizin einen beträchtlichen Gewinn aus ihrer freiberuflichen Tätigkeit (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG) erzielt. Im Oktober 11 gab sie ihre Einkommensteuer- und Umsatzsteuererklärung 10 ab. Das Finanzamt veranlagte erklärungsgemäß und setzte die Einkommensteuer 10 durch Einkommensteuerbescheid auf 200.000 € fest. Der Einkommensteuerbescheid wurde der Stpfl. am 14.01.12 bekanntgegeben und enthielt die Aufforderung: „Bitte zahlen Sie spätestens bis zum 14.02.12“ (§ 36 Abs. 4 S. 1 EStG). Darüber hinaus wurde Dr. Kron für das Jahr 11 aufgefordert nachträgliche Vorauszahlungen, ebenfalls i.H.v. 200.000 €, zu leisten. Laufende Vorauszahlungen ab dem Jahre 12 über ein Viertel der zuletzt festgesetzten Steuer pro Quartal wurden auch noch festgesetzt (§ 37 EStG). Es handelt sich hierbei um mehrere Verwaltungsakte, auch wenn diese lediglich im gleichen Umschlag bekanntgegeben wurden. Zum einen hat das Finanzamt die Einkommensteuer 10 i.H.v. 200.000 € durch Steuerbescheid (= Verwaltungsakt) festgesetzt (§ 155 Abs. 1 S. 1 AO) und zum anderen die entsprechenden Vorauszahlungsbescheide (= Steuerbescheide = Verwaltungsakte) für die Jahre 11 und 12 erlassen (§ 37 Abs. 1 S. 1 EStG). Die Vorauszahlungen waren ebenfalls bis zum 14.02.12 zu entrichten, da die Zahlungsfristen gem. § 37 Abs. 1 S. 1 EStG des Jahres 11 am 14.01.12, also im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides 01, bereits verstrichen waren. Bei der im Einkommensteuerbescheid 10 enthaltenen Aufforderung „Bitte zahlen Sie spätestens bis zum 14.02.12“, handelt es sich um ein sog. Leistungsgebot (= Verwaltungsakt) nach § 254 Abs. 1 AO. Das Leistungsgebot ist ein sonstiger Verwaltungsakt, da hierdurch keine Steuer festgesetzt wird. BEISPIEL Dr. Kron bezahlte die Einkommensteuer am 14.02.12 und gab ihre Einkommensteuererklärung 11 im April 12 ab. Das Finanzamt veranlagte erklärungsgemäß und setzte die Einkommensteuer 11 durch Einkommensteuerbescheid auf 230.000 € fest. Hierbei verrechnete das Finanzamt die gezahlten Vorauszahlungen für das Jahr 11 i.H.v. 200.000 € gem. § 36 Abs. 2 Nr. 1 EStG. Der Einkommensteuerbescheid wurde der Stpfl. am 11.08.12 bekanntgegeben und enthielt bezüglich der Restzahlung die Aufforderung: „Bitte zahlen Sie spätestens bis zum 11.09.12“ (§ 36 Abs. 4 S. 1 EStG). Darüber hinaus berechnete das Finanzamt in diesem Steuerbescheid neue © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 8 von 49 Vorauszahlungen ab 10.03.13 i.H.v. 57.500 € je Vorauszahlungstermin. Aufgabe: Ermitteln Sie, welche Verwaltungsakte (Steuerbescheide Verwaltungsakte) das Finanzamt erlassen hat. bzw. sonstige Lösung: Die Einkommensteuerfestsetzung 11 i.H.v. 230.000 € und die Festsetzung von Vorauszahlungen sind gem. § 155 Abs. 1 S. 1 AO Verwaltungsakte (= Steuerbescheide). Bei der Verrechnung der Vorauszahlungen i.H.v. 200.000 € mit der geschuldeten Einkommensteuer 11 i.H.v. 230.000 € (§ 36 Abs. 2 Nr. 1 EStG) handelt es sich um einen weiteren Verwaltungsakt, welcher äußerlich mit dem Steuerbescheid verbunden ist. Hierbei handelt es sich um einen Verwaltungsakt nach § 118 AO (Teil des Erhebungsverfahrens; §§ 218 ff. AO, vgl. AEAO zu § 218 Nr. 3), welcher dem Stpfl. verbindlich bestätigt, in welchem Umfang seine Steuerschuld bislang getilgt wurde (ständige Rechtsprechung des BFH). Bei der sog. „Anrechnungsverfügung“ handelt es sich um einen sonstigen Verwaltungsakt und nicht um einen Steuerbescheid, da durch diesen keine Steuer festgesetzt wird. Das Leistungsgebot („Bitte zahlen Sie bis zum …“) stellt ebenfalls einen sonstigen Verwaltungsakt dar (vgl. § 254 Abs. 1 AO). BEISPIEL Aufgrund eines Vorauszahlungsbescheids für 01 hat die Stpfl. A am 10.3.01 ihre ESt-Vorauszahlung von 5.000 € bezahlt. Am 15.3.01 verunglückte sie so schwer, dass sie in 01 nicht mehr arbeiten konnte und somit keine einkommensteuerpflichtigen Einkünfte mehr hat. Bei der ESt-Veranlagung für 01 stellt das FA fest, dass die ESt für 01 = 0 € beträgt. Durch Verrechnung mit der Vorauszahlung nach § 36 Abs. 2 Nr. 1 EStG ergibt sich für sie eine Erstattung von 5.000 €. Aufgabe: Welche StVAe hat das FA erlassen? Lösung: Das FA hat einen ESt-Bescheid erlassen, in dem die ESt auf 0 € festgesetzt wurde. Die Verrechnung mit der Vorauszahlung ist ein weiterer sonstiger StVA (vgl. Beispiel 2). Der Erstattungsbetrag wird nach Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids fällig (§ 36 Abs. 4 S. 2 EStG). Den Aufbau eines Einkommensteuerbescheids zeigt Ihnen folgendes Beispiel. Beachten Sie aber, dass in jedem Bundesland die Bescheide anders aufgebaut sein können. In manchen Bundesländern, z.B. Bayern, werden auch Kirchensteuerbescheide separat verschickt. © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 9 von 49 Seite 1 Finanzamt Siegen 57076 Siegen, 25.5.03 Id-Nr. 112365478919 Weidenauer Straße 207 Steuernummer 342/2001/5001 Bescheid für 01 über Einkommensteuer Herrn Albert Stauss Frau Berta Strauss Hauptstrasse 11 57076 Siegen Festsetzung Einkommensteuer Kirchensteuer Verspätungszuschlag festgesetzt werden in Euro … 33.607 € 3.024,63 € ab Steuerabzug vom Lohn … Vorauszahlungen 17.812 € 1.603,08 € 12.000 € 1.080 € 3.795 € 341,55 € 94,88 € Einkommensteuer Nachträgliche Vorausz. 02 Verspätungszuschlag Abzurechnen sind … 33.607 € 15.000 € 94,88 € bereits getilgt … 29.813 € 0 0 demnach zu wenig gezahlt 3.795 € 15.000 € 94,88 € Bitte zahlen Sie spätestens am 28.06.03 … 3.795 € 15.000 € 94,88 € verbleibende Steuer … 94,88 € Abrechnung Vorauszahlungen © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 10 von 49 Als Vorauszahlungen werden festgesetzt und sind zu entrichten: Für 02 nachträglich 15.000 € 10. März 10. Juni 10. Sept. 10. Dez. 02 nachträglich 3.750 € 3.750 € 3.750 € 3.750 € 03und weitere Jahre 3.750 € 3.750 € 3.750 € 3.750 € Beträge in EUR Negative Beträge sind durch ein Minuszeichen gekennzeichnet Seite 2 Bescheid für 01 über Einkommensteuer v. 25.5.03 Besteuerungsgrundlagen Berechnung des zu versteuernden Einkommens © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 11 von 49 Ehemann Einkünfte aus Gewerbebetrieb Einkünfte aus selbständiger Arbeit Ehefrau insgesamt 42.745 € 42.745 € 25.000 € 25.000 € Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit Bruttoarbeitslohn: ab Arbeitnehmer-Pauschbetrag 74.000 € 1.000 € Einkünfte 73.000 € 73.000 € Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung - 5.000 € - 5.000 € Summe der positiven Einkünfte aus jeder Einkunftsart 93.000 € ausgleichsfähige negative Einkünfte 135.745 € 42.745 € 135.745 € 5.000 Summe der negativen Einkünfte Summe der positiven Einkünfte 42.745 € 0 93.000 € Gesamtbetrag der Einkünfte ab gezahlte Kirchensteuer 3.025 € Versicherungsbeiträge 10.000 € Einkommen/zu versteuerndes Einkommen 122.720 € Berechnung der Steuer zu versteuern nach der Splittingtabelle 122.720 € festzusetzende Einkommensteuer 33.607 € 33.607 € Verspätungszuschlag Zuschlag wegen verspäteter/Nichtabgabe der Einkommensteuererklärung (§ 152 AO) 94,88 € Seite 3 Bescheid für 02 über Einkommensteuer vom 25.5.03 Rechtsbehelfsbelehrung Die in diesem Bescheid enthaltenen Verwaltungsakte können mit dem Einspruch angefochten werden. Ein Einspruch ist jedoch ausgeschlossen, soweit dieser Bescheid einen Verwaltungsakt ändert oder ersetzt, gegen den ein zulässiger Einspruch oder (nach einem zulässigen Einspruch) eine zulässige Klage, Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde anhängig ist. © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 12 von 49 In diesem Fall wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Rechtsbehelfsverfahrens. Der Einspruch ist bei dem auf Seite 1 bezeichneten Finanzamt schriftlich einzureichen, diesem elektronisch zu übermitteln oder zur Niederschrift zu erklären. Die Frist für die Einlegung des Einspruchs beträgt einen Monat. Sie beginnt mit dem Ablauf des Tages, an dem Ihnen dieser Bescheid bekannt gegeben worden ist. Bei Zusendung durch einfachen Brief oder Zustellung mittels Einschreiben durch Übergabe gilt die Bekanntgabe mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bewirkt, es sei denn, dass er zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Bei Zustellung mittels Einschreiben mit Rückschein oder durch Zustellungsersuchen ist Tag der Bekanntgabe der Tag der Zustellung. Bei Einlegung des Einspruchs soll der Verwaltungsakt bezeichnet werden, gegen den sich der Einspruch richtet. Es soll angegeben werden, inwieweit der Verwaltungsakt angefochten wird. Ferner sollen die Tatsachen, die zur Begründung dienen, und die Beweismittel angeführt werden. Hinweis Auch wenn Sie einen Einspruch einlegen, müssen Sie die angeforderten Beträge fristgerecht zahlen, es sei denn, dass die Vollziehung des mit dem Einspruch angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt oder Stundung gewährt worden ist. HINWEIS Nach § 351 Abs. 2 AO können Entscheidungen in einem Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO), wie etwa einem Feststellungsbescheid, nur durch Anfechtung dieses Bescheides, nicht auch durch Anfechtung des Folgebescheids, z.B. dem Einkommensteuerbescheid, angegriffen werden. Soweit ein Grundlagenbescheid erlassen, aufgehoben oder geändert wird, werden die davon abhängigen Folgebescheide nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AP von Amts wegen erlassen, aufgehoben oder geändert. Zahlung und Folgen verspäteter Zahlung Bitte leisten Sie alle Zahlungen unbar auf eines der angegebenen Konten des Finanzamts. Vergessen Sie dabei bitte nicht, als Verwendungszweck die Steuernummer, die Abgabenart und den Zeitraum anzugeben, für die/den Sie die Zahlung entrichten. Wenn Sie die Steuern nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages zahlen, ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 % des auf volle 50 € abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten. Bei Überweisung oder Einzahlung auf ein Konto des Finanzamts gilt die Zahlung an dem Tag als wirksam geleistet, an dem der Betrag dem Finanzamt gutgeschrieben wird. Sie können auch die Teilnahme am Lastschrifteinzugsverfahren erklären. Vordrucke hierfür erhalten Sie bei Ihrem Finanzamt oder im Internet (Internetadresse siehe erste Seite unten). Fällige zu entrichtende Beträge werden in diesem Fall von Ihrem Girokonto abgebucht. Soweit Sie das Finanzamt bereits zum Einzug der Beträge von Ihrem Girokonto ermächtigt haben oder noch ermächtigen, brauchen Sie für die Zahlung nicht selbst Sorge zu tragen, weil die zu entrichtenden Beträge von Ihrem Girokonto abgebucht werden; als Tag der Zahlung gilt in diesem Fall der Fälligkeitstag, frühestens der Tag des Eingangs der Lastschrift-Ermächtigung beim Finanzamt. DIENSTSIEGEL © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 13 von 49 Aufgabe: Welche Verwaltungsakte sind hier äußerlich mit dem Steuerbescheid verbunden? Lösung: Die nachfolgenden Verwaltungsakte wurden durch das Finanzamt Siegen erlassen: Einkommensteuerbescheid 01 (= Steuerbescheid) Vorauszahlungsbescheide für 02 und die nachfolgenden Jahre (= Steuerbescheide) Leistungsgebote (= sonstige Verwaltungsakte) Festsetzung Verspätungszuschlag (= sonstiger Verwaltungsakt) Anrechnung Lohnsteuer (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG) (= sonstiger Verwaltungsakt) Die Einteilung der Verwaltungsakte in Steuerbescheide (respektive Verwaltungsakte, die den Steuerbescheiden gleichgestellt sind) und sonstige Verwaltungsakte ist notwendig, da die verfahrensrechtlichen Konsequenzen oftmals voneinander abweichen (z.B. Anwendungsbereiche von Korrekturvorschriften). Aufgabe: Schauen Sie sich vorab § 347 AO an, bevor Sie die Aufgabe lösen. Gegen welche Verwaltungsakte können die Stpfl. nunmehr Einsprüche erheben? Lösung: Nach § 347 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO sind Einsprüche gegen Verwaltungsakte in Abgabenangelegenheiten statthaft. Sonach können Einsprüche gegen den Steuerbescheid, die Vorauszahlungsbescheide, Leistungsgebote und Festsetzung des Verspätungszuschlags eingelegt werden. Ein Einspruch gegen einen Bescheid über den Solidaritätszuschlag wäre ebenfalls möglich. Bei der Anrechnung der Lohnsteuer gem. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG handelt es sich ebenfalls um einen Verwaltungsakt (= sonstiger Verwaltungsakt), welcher mit einem Einspruch angefochten werden kann. Die Anrechnung bestätigt verbindlich die bislang geleisteten Zahlungen auf die Einkommensteuer und gehört verfahrensrechtlich bereits in das Erhebungsverfahren (vgl. ständige Rechtsprechung). Sofern das Finanzamt dem Einspruch nicht entspricht und demensprechend keinen Abhilfebescheid erlässt, ist ein sog. Abrechnungsbescheid (§ 218 Abs. 2 AO) zu erlassen. Als Rechtsehelf ist hiergegen der Einspruch gegeben, worin der Stpfl. seine Einwendungen vorbringen kann. Abweichend davon könnte der Stpfl. auch vorab einen Abrechnungsbescheid i.S.d. § 218 Abs. 2 AO beantragen, wenn er die Anrechnung als fehlerhaft erachtet. Gegen den Abrechnungsbescheid wäre sodann wieder als Rechtsbehelf der Einspruch gegeben nach § 347 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO (Beachte: Bindungswirkung, vgl. AEAO zu § 218 Nr. 3). MERKE Bei Streitigkeiten im Erhebungsverfahren ist regelmäßig ein Abrechnungsbescheid (§ 218 Abs. 2 AO) zu beantragen. Hiergegen ist dann der Einspruch statthaft. Aufgabe: Am 29.05.03 legen die Ehegatten gegen den Einkommensteuerbescheid vom 25.05.03 Einspruch ein. Darin tragen sie vor, dass das Finanzamt Betriebsausgaben des Ehemannes i.H.v. 500 € nicht © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 14 von 49 anerkannt habe. Obwohl über den Einspruch noch nicht entschieden wurde, machen die Eheleute mit Schreiben vom 10.07.03 geltend, dass die Vorauszahlungen für das Jahr 03 zu hoch angesetzt wurden. Die Einnahmen seien in diesem Jahr bedeutend geringer. Wie wird das Finanzamt über das Vorbringen der Stpfl. entscheiden? Lösung: Bislang liegt lediglich der Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid (= Verwaltungsakt) vor. Gegen den Vorauszahlungsbescheid wurde kein Einspruch erhoben. Das Schreiben vom 10.07.03 ist als eigener Einspruch zu werten, welcher sich gegen den Vorauszahlungsbescheid (= Verwaltungsakt) richtet. Ein zulässiger Einspruch liegt hier jedoch nicht vor, da dieser erst nach Ablauf der Einspruchsfrist im Finanzamt eingegangen ist. Das Finanzamt wird in einem solchen Fall das Schreiben vom 10.07.03 allerdings als Antrag auf Änderung nach § 164 Abs. 2 AO werten, da die Festsetzung von Vorauszahlungen kraft Gesetzes eine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung darstellt (§ 164 Abs. 1 S. 3 AO). PRÜFUNGSTIPP An diesem Fall sehen Sie, wie wichtig es (auch in der Praxis!) ist, die einzelnen VAe zu trennen und genau darauf zu achten, wogegen Einspruch eingelegt werden soll. Lesen Sie hierzu den AEAO Nr. 4 zu § 357. Ein Änderungsbescheid ist ebenfalls ein Steuerbescheid gem. § 155 Abs. 1 S. 1 AO. Steuerbescheide sind zwingend schriftlich oder elektronisch zu erteilen. Eine mündliche Bekanntgabe ist nicht rechtmäßig, sodass der Bescheid in einem solchen Fall unwirksam und nichtig wäre (§ 157 Abs. 1 S. 1 AO i.V.m. §§ 125 Abs. 1, 124 Abs. 3 AO). Der Steuerbescheid muss enthalten: die erlassende Behörde (§ 119 Abs. 3 S. 1 AO) den (existenten) Steuerschuldner (§ 157 Abs. 1 S. 2 AO) die Steuerart (§ 157 Abs. 1 S. 2 AO) den Steuerabschnitt (= Veranlagungszeitraum) (§ 119 Abs. 1 AO) den Steuerbetrag (§ 157 Abs. 1 S. 2 AO) Das Fehlen nur eines „Muss-Inhaltes“ führt zur Nichtigkeit und Unwirksamkeit des Steuerbescheides (§§ 124 Abs. 3, 125 Abs. 1 AO). Bei der Rechtsbehelfsbelehrung handelt es sich weder um einen „Soll-“ noch um einen „Muss-Inhalt“ des Steuerbescheides. Bei fehlerhafter, fehlender oder unleserlicher Rechtsbehelfsbelehrung ist der Steuerbescheid nicht rechtswidrig und nicht nichtig. Aber die Rechtsbehelfsfrist beginnt nach § 356 Abs. 1 AO nicht zu laufen. Der Stpfl. kann den Verwaltungsakt innerhalb eines Jahres ab Bekanntgabe anfechten gem. § 356 Abs. 2 AO (Jahresfrist). 1.2.1.2 Allgemeiner bzw. sonstiger Steuerverwaltungsakt Als allgemeine Verwaltungsakte kennt das Finanzamt die folgenden: den Haftungsbescheid (§ 191 AO), © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 15 von 49 die Betriebsprüfungsanordnung (§ 196 AO), die Stundung (§ 222 AO) und den Erlass (§ 163 AO, § 227 AO). 1.2.1.3 1.2.1.3.1 Steuerbescheid als spezieller Verwaltungsakt Vorbemerkungen Neben den allgemeinen, kennen wir als spezielle Steuerverwaltungsakte die Steuerfestsetzung, die Freistellung (§ 155 I AO), den Feststellungsbescheid und den Steuerbescheid. Auf letzteren, also den Steuerbescheid, gehen wir im Folgenden ein, denn für ihn gelten weitere Regeln, nicht nur jene, die weiter oben für den allgemeinen Verwaltungsakt erläutert wurden. 1.2.1.3.2 Form und Inhalt des Steuerbescheids Nachdem das Ermittlungsverfahren abgeschlossen ist, entscheidet das Finanzamt über die steuerlichen Folgen. Die Steuer wird festgesetzt, wir befinden uns im Festsetzngsverfahren. Dies endet regelmäßig mit einem Steuerbescheid (§ 155 Abs. 1 S. 1 AO). Ein Steuerbescheid ist ein nach § 122 Abs. 1 AO bekanntgegebener Verwaltungsakt (§ 155 Abs. 1 S. 2 AO). Ein Steuerbescheid hat hierbei bestimmte Muss-Bestandteile und Soll-Bestandteile. MERKE Zu den Muss-Bestandteilen gehören folgende Angaben: Steuerschuldner, Steuerart, Steuerbetrag, Steuerzeitraum, Schriftform und erlassende Behörde. EXPERTENTIPP Wenn gegen einen Muss-Bestandteil verstoßen wird, so leidet er an einem besonders schweren, formellen Fehler und ist nichtig und unwirksam. Er entfaltet damit von Beginn an keinerlei Rechtswirkung. Hierzu ein Beispiel: © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 16 von 49 BEISPIEL Der Steuerpflichtige Fritz aus Essen erhält seinen Einkommensteuerbescheid für 01. Dabei ist die Höhe der festgesetzten Steuer vollkommen unleserlich. Der Steuerbescheid ist unwirksam, denn die festgesetzte Steuer ist nach Art und Betrag zu bezeichnen (§ 157 Abs. 1 AO). Der Steuerbescheid ist nichtig (§ 125 Abs. 1 AO, § 124 Abs. 3 AO). Die Schriftform des Steuerbescheides ist nach § 157 Abs. 1 S. 1 AO einzuhalten, soweit nichts anderes bestimmt ist. Es muss der Steuerschuldner eindeutig bezeichnet werden (§ 157 Abs. 1 S. 2 AO). Die festgesetzte Steuer muss nach Art und Betrag bezeichnet werden. Die ausstellende Behörde muss erkennbar aus dem Steuerbescheid hervorgehen, ansonsten ist der Verwaltungsakt ebenfalls nichtig (vgl. § 125 Abs. 1 S. 1 AO). Wenn eine dieser Voraussetzungen nicht erfüllt ist, wenn der Steuerbescheid also nicht schriftlich erteilt wird oder der Name der ausstellenden Behörde fehlt oder der Steuerschuldner nicht eindeutig bezeichnet ist oder die Art und Höhe der Steuer nicht eindeutig aus dem Steuerbescheid hervorgeht, so ist der Steuerbescheid nichtig (§ 125 Abs. 1 AO, § 125 Abs. 1 S. 1 AO). Zu den Soll-Bestandteilen gehören die Rechtsbehelfsbelehrung und die Begründung Durch die Rechtsbehelfsbelehrung wird dem Steuerpflichtigen beschrieben, wie und innerhalb welcher Frist er den Steuerbescheid anfechten kann. Sollte die Rechtsbehelfsbelehrung fehlen bzw. unrichtig sein, so kann der Steuerpflichtige innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe des Steuerbescheides Einspruch gegen diesen Verwaltungsakt einlegen (§ 356 Abs. 2 AO). Formal juristisch bleibt die Frist bei einem Jahr, steht schließlich so im Gesetz. Die Einlegung des Einspruchs binnen eines Jahres wird aber nicht beanstandet. Ein Verwaltungsakt, der schriftlich oder elektronisch erteilt wurde, ist mit einer Begründung zu versehen, wenn dies für sein Verständnis erforderlich ist (§ 121 Abs. 1 AO). Die Begründung ist allerdings nicht erforderlich, wenn die Finanzbehörde lediglich einem Antrag entspricht und der Verwaltungsakt nicht in die Rechte eines Anderen eingreift (§ 121 Abs. 2 Nr. 1 AO). Weitere Ausnahmen ergeben sich aus § 121 Abs. 2 Nr. 2-5 AO. Wenn die Begründung in einem Verwaltungsakt fehlt, so folgt hieraus nicht seine Nichtigkeit, wenn die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird (§ 126 Abs. 1 Nr. 2 AO). Wenn durch das Fehlen der erforderlichen Begründung die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsakts versäumt wurde, so gilt die Versäumung der Einspruchsfrist als nicht verschuldet (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 AO). Wenn die Begründung fehlt, wird der Steuerbescheid dadurch jedoch nicht nichtig, es liegt lediglich ein heilbarer Verfahrensfehler vor (§ 126 Abs. 1 Nr. 2 AO). Wenn aus diesem Mangel heraus der Steuerpflichtige die Einspruchsfrist versäumt, so ist ggf. die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 126 Abs. 3 AO). MERKE Ein Steuerbescheid ist ein Blumenstrauß von Verwaltungsakten. Innerhalb des Briefes, der den Steuerbescheid umfasst, werden dem Steuerpflichtigen viele weitere Verwaltungsakte bekannt gegeben, wie beispielsweise das Leistungsgebot, ein möglicher Verspätungszuschlag oder auch Festsetzung der Vorauszahlungen der Zukunft. Sie werden alle in einem Schreiben zusammengefügt, wie ein Blumenstrauß in ein Gebinde. © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 17 von 49 Hierzu ein Beispiel: BEISPIEL Dem Steuerpflichtigen H aus Düsseldorf wird folgender Steuerbescheid bekannt gegeben: „Festgesetzt ist eine Einkommensteuer von 5.000 €“, darüber hinaus legt das Finanzamt die Vorauszahlungen des nächsten Kalenderjahres folgendermaßen fest: „Zahlen Sie bis zum 10.03.01 den Betrag von …“. Der genaue Betrag der Steuervorauszahlungen ist nicht eingetragen, weil dem zuständigen Sachbearbeiter hier ein Fehler unterlief. Der Steuerbescheid ist wirksam ergangen, weil die Schriftform gewahrt wurde, die ausstellende Behörde aus dem Steuerbescheid hervorgeht, der Schuldner eindeutig bezeichnet wird und Art und Höhe der Steuer, also der Regelungsinhalt, feststeht (nämlich die Einkommensteuer von 5.000 €). Dieser Verwaltungsakt des Steuerbescheides ist daher wirksam. Nicht wirksam ist jedoch der zweite Verwaltungsakt über die Festsetzung der zukünftigen Vorauszahlungen. Dieser ist nichtig (§ 125 Abs. 1 AO, § 254 Abs. 1 AO). 1.2.1.3.3 Ablehnung des Erlasses von Steuerbescheiden Ein Steuerbescheid, hier ein ablehnender, liegt auch dann vor, wenn das FA einen Antrag auf Erlass eines Steuerbescheids durch VA ablehnt (§ 155 Abs. 1 S. 3 AO). BEISPIEL Der Stpfl. A beantragt eine Änderung seines ESt-Bescheids 01 von 107.000 € auf 103.000 €. Der Bescheid wurde ihm bereits vor acht Monaten bekanntgegeben. Das FA stellt fest, dass die Änderungsvorschriften für Steuerbescheide (§ 164 AO, § 165 AO, §§ 172 ff. AO) nicht zutreffen und teilt dem Antragsteller schriftlich mit, dass eine Korrektur nicht in Betracht kommt. Diese „Mitteilung“ ist die verbindliche Ablehnung des Antrages auf Erlass des (geänderten) ESt-Bescheids und damit ein VA mit dem Charakter eines Steuerbescheids (§ 118 AO und § 155 Abs. 1 S. 3 AO). Hier ist als Rechtsmittel demnach der Einspruch zulässig. 1.2.1.3.4 Bekanntgabe des Steuerbescheids 1.2.1.3.4.1 Bekanntgabe an Ehegatten Die Bekanntgabe an Ehegatten von Steuerbescheiden wird in diesem Lernvideo erklärt: © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 18 von 49 www.steuerkurse.de/go/7cbfc22 Wenn Ehegatten zusammenveranlagt sind, so ist es für eine wirksame Bekanntgabe an beide Ehegatten ausreichend, dass nur eine Ausfertigung des Steuerbescheides an die gemeinsame Anschrift übermittelt wird (§ 122 Abs. 7 Nr. 1 AO). Es ist auch möglich, aber unüblich, Einzelbescheide zu erlassen. Im Übrigen ist es erforderlich, eine Einzelbekanntgabe durchzuführen, wenn keine gemeinsame Anschrift besteht und auch kein Einverständnis zur Bekanntgabe nach § 122 Abs. 6 AO vorliegt, die Einzelbekanntgabe nach § 122 Abs. 7 Nr. 2 AO beantragt wurde, die Finanzbehörde weiß, dass ernstliche Meinungsverschiedenheiten zwischen den Ehegatten bestehen (§ 122 Abs. 7 Nr. 2 AO). Wenn eine Einzelbekanntgabe an jeden einzelnen Ehegatten durchgeführt wird, so ist dessen persönliche Anschrift jeweils zu verwenden. 1.2.1.3.4.2 Bekanntgabe an gesetzlichen Vertreter Der Adressat ist der gesetzliche Vertreter, wenn der Steuerschuldner bei Bekanntgabe geschäftsunfähig (§ 104 BGB) oder beschränkt geschäftsfähig (§§ 106 ff. BGB) ist. Wenn hingegen ein Minderjähriger selbstständig ein Erwerbsgeschäft betreibt (§ 112 BGB) oder in einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis steht (§ 113 BGB), sind die Steuerbescheide, welche ausschließlich diesen Geschäftsbetrieb betreffen bzw. der Einkommensteuerbescheid nach § 46 EStG ausschließlich dem Minderjährigen bekannt zu geben. 1.2.1.3.4.3 Bekanntgabe an den Steuerberater Die Tatsache, dass ein Steuerberater zur Erstellung und Einreichung der Steuererklärungen des Steuerpflichtigen befugt ist, bedeutet nicht, dass dieser auch automatisch empfangsbevollmächtigt für die Bescheide an den Steuerpflichtigen ist. Steuerbescheide dürfen an den Steuerberater des Steuerpflichtigen übermittelt werden, wenn eine schriftliche oder elektronische Vollmacht zur Entgegennahme der Steuerbescheide vorliegt bzw. wenn der Steuerpflichtige auf andere Weise zu erkennen gegeben hat, dass er eine Bekanntgabe an den Steuerberater wünscht (§ 122 Abs. 1 Satz 4 AO). © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 19 von 49 1.2.1.3.5 Arten der Steuerfestsetzung, § 164 AO Wir reden über Vorbehaltsfestsetzungen. Es existieren gesetzliche Vorbehalte als auch behördliche Vorbehalte. Wenn eine Steuerfestsetzung kraft Gesetz unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht, so braucht dies nicht besonders in dem Verwaltungsakt vermerkt zu werden. Unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen kraft Gesetzes z.B. Vorauszahlungsbescheide (§ 164 Abs. 1 S. 2 AO) oder Steueranmeldungen (§ 168 S. 1 AO). Bei behördlichen, also manuell gesetzten Vorbehalten hingegen muss dieser aus dem Steuerbescheid klar hervorgehen. EXPERTENTIPP Die Rechtswirkung eines wirksamen Vorbehalts ist, dass der gesamte Steuerfall offenbleibt. Dies bedeutet, dass die Steuer innerhalb der Festsetzungsfrist jederzeit geändert oder aufgehoben werden kann (§ 164 Abs. 2 AO). Dies ist insbesondere auch nach Ende der Einspruchsfrist möglich. Die Änderung oder Aufhebung des Steuerbescheides kann von Amts wegen oder durch Antrag des Steuerpflichtigen erfolgen. Steuern können unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden, solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist (§ 164 Abs. 1 S. 1 AO). Es bedarf hierzu keiner Begründung. 1.2.1.3.6 Steueranmeldung Eine Steueranmeldung ist eine Steuererklärung, in welcher der Steuerpflichtige die Steuer aufgrund gesetzlicher Vorschriften selbst zu berechnen hat (§ 150 Abs. 1 S. 3 AO). Z.B. hat dies zu erfolgen bei Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärungen als auch bei Lohnsteuer-Anmeldungen durch den Arbeitgeber. Im folgenden Video wird näher darauf eingegangen: © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 20 von 49 www.steuerkurse.de/go/fb9b4a5 MERKE Eine Steueranmeldung steht also einem Steuerbescheid gleich (§ 218 Abs. 1 S. 2 AO). Eine Festsetzung der Steuer gem. § 155 Abs. 1 AO ist nur erforderlich, wenn die Festsetzung zu einer abweichenden Steuer im Vergleich zur Steueranmeldung führt oder die Steueranmeldung nicht abgegeben wird (§ 167 Abs. 1 S. 1 AO). Gibt der Steuerpflichtige eine Steueranmeldung ab, in welcher er eine Zahllast ermittelt hat (= Steuerpflichtiger muss zahlen), steht diese im Zeitpunkt des Eingangs beim Finanzamt einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§§ 150 Abs. 1 S. 3, 167 Abs. 1 S. 1, 168 S. 1, 164 Abs. 1 AO). Es handelt sich hierbei quasi um einen „fiktiven Steuerbescheid“, wogegen der Steuerpflichtige Einspruch einlegen kann (vgl. § 355 Abs. 1 S. 2 AO). Eine solche Steuerfestsetzung durch Anmeldung steht gesetzlich (§ 168 S. 1 AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO), was zur Folge hat, dass sie später ohne weiteres zu Gunsten wie zu Ungunsten des Stpfl. korrigiert werden kann, wenn sich herausstellt, dass sie unrichtig war (§ 164 Abs. 2 AO). BEISPIEL Am 10.06.10 gibt die Stpfl. ihre Umsatzsteuervoranmeldung 05/10 ab und leistet die fällige Umsatzsteuer i.H.v. 5.000 € am gleichen Tage per Überweisung (§ 18 Abs. 1 UStG). Bei der Überprüfung ihrer Unterlagen bemerkt sie einen Rechenfehler, der ihre Umsatzsteuer 05/10 um 1.500 € erhöht. Aufgrund dessen gibt sie am 20.06.10 eine berichtigte Umsatzsteuervoranmeldung 05/10 ab und entrichtet die restliche Umsatzsteuer von 1.500 €. Am 10.06.10 lag im Zeitpunkt des Eingangs beim Finanzamt eine wirksame Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (= Zahllast, Stpfl. muss zahlen) vor (§§ 150 Abs. 1 S. 3, 167 Abs. 1 S. 1, 168 S. 1, 164 Abs. 1 AO). Aus der geänderten Steueranmeldung, welche am 20.06.10 beim Finanzamt eingegangen © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 21 von 49 ist, resultiert erneut eine Zahllast (= Stpfl. muss zahlen). Demnach liegt am 20.06.10 mit Eingang beim Finanzamt eine Änderung der Steuerfestsetzung vor, welche weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht, da es sich um eine Steueranmeldung handelt (§§ 164 Abs. 2, 150 Abs. 1 S. 3, 167 Abs. 1 S. 1, 168 S. 1 AO). Führt die Steueranmeldung zu einem Vergütungsanspruch oder einer Herabsetzung der bisher zu entrichtenden Umsatzsteuer, liegt im Zeitpunkt des Eingangs beim Finanzamt zunächst ein Antrag auf Steuerfestsetzung vor (§ 155 Abs. 1 und 5 AO). Erst mit Bekanntgabe der Zustimmung durch das Finanzamt liegt eine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung vor (§§ 167 Abs. 1 S. 1, 168 S. 2 AO). Die Zustimmung bedarf keiner Form (§ 168 S. 3 AO); kann also auch konkludent erfolgen (z.B. Überweisung durch das Finanzamt). Erkennt ein Steuer- oder Haftungsschuldner nach Abschluss einer LSt-Außenprüfung seine Zahlungsverpflichtung schriftlich an, steht das Anerkenntnis einer Steueranmeldung, also einem Steuerbescheid gleich (§ 167 Abs. 1 S. 3 AO). 1.2.2 Den Steuerbescheiden gleichgestellte Bescheide Neben den klassischen Steuerbescheiden kennt das Steuerrecht diesen gleichgestellte Bescheide. Darunter fallen insbesondere folgende VAe: Feststellungsbescheide (§ 181 Abs. 1 S. 1 AO); Steuermessbescheide (§ 184 Abs. 1 S. 3 AO); Vergütungsbescheide im Sinne von § 155 Abs. 5 AO (vgl. z. B.§ 13 des 5. Vermögensbildungsgesetzes und § 14 des 5. Vermögensbildungsgesetzes; § 8 Abs. 1 WoPG; § 31 S. 3 EStG). Zinsbescheide (§ 239 Abs. 1 S. 1 AO); entsprechende Änderungsbescheide; Bescheide, mit denen Anträge auf Erlass der genannten Bescheide abgelehnt werden. Für diese Bescheide gelten sinngemäß die gleichen Vorschriften, die auch für Steuerbescheide anzuwenden sind. 1.2.3 Benennung von Gläubigern und Zahlungsempfängern gem. § 160 AO Der Steuerpflichtige hat auf Verlangen dem Finanzamt gegenüber anzugeben, wer seine Gläubiger bzw. seine Zahlungsempfänger sind. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, so sind die betreffenden Betriebsausgaben oder auch Werbungskosten regelmäßig steuerlich nicht zu berücksichtigen (§ 160 AO). Durch diese Vorschrift darf allerdings das Auskunftsverweigerungsrecht des § 102 AO, welches für bestimmte Berufsgruppen gilt, nicht eingeschränkt werden (§ 160 II AO). 1.2.4 Schätzung von Besteuerungsgrundlagen gem. § 162 AO Sehr häufig können Steuern nicht korrekt oder zügig festgesetzt werden, weil Stpfl. im steuerlichen Ermittlungsverfahren keine ausreichende Aufklärung geben oder weil der Steuerpflichtige Auskünfte (vgl. § 90 Abs. 2 AO, § 93 AO) verweigert oder seine Bücher und Aufzeichnungen nicht den Vorschriften der §§ 140 ff. AO entsprechen. In solchen Fällen hat das FA die Möglichkeit, andere als die Beteiligten zu befragen (§ 93 AO) oder die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen (§ 162 Abs. 1 und 2 AO). © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 22 von 49 HINWEIS Nur Besteuerungsgrundlagen können geschätzt werden, nicht aber die Steuer selbst. Diese ergibt sich als Folge der geschätzten Besteuerungsgrundlagen. In der Praxis ist nicht mehr allzu viel zu schätzen, da durch viele Übertragungspflichten von steuerlich relevanten Daten vieles bereits vorliegt. Man denke nur an den Arbeitslohn oder Versicherungsbeiträge. Eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen entbindet den Stpfl. jedoch nicht von der Pflicht, die Steuererklärung nachzureichen (§ 149 Abs. 1 S. 4 AO). BEISPIEL Im Rahmen einer Außenprüfung stellt der Betriebsprüfer fest, dass bei dem Gastronomen Schlucke erhebliche Mängel in der Kassenbuchführung vorliegen. Die Mängel führen zur Verwerfung der Buchführung (§ 158 AO) mit der Folge, dass das FA zur Schätzung verpflichtet ist (§ 162 Abs. 2 AO). 1.2.5 Steueranmeldungen gem. § 167 AO und § 168 AO Wie bereits erwähnt, sind Steueranmeldungen auch Steuererklärungen, allerdings der besonderen Art. Sie sind in § 167 AO, § 168 AO geregelt. Nach § 150 Abs. 1 S. 3 AO hat der Steuerpflichtige in der Steueranmeldung seine Steuer selbst zu berechnen (§ 167 Abs. 1 S. 1 AO). Steueranmeldungen sind beispielsweise: Lohnsteuer-Anmeldung (§ 41a Abs. 1 EStG) Umsatzsteuer-Voranmeldung (§ 18 Abs. 1 UStG) Umsatzsteuer-Jahreserklärung (§ 18 Abs. 3 UStG) Kapitalertragsteuer-Anmeldung (§ 45a Abs. 1 EStG) Bauleistungen (§ 48a Abs. 1 EStG) Diese sind jeweils am 10. Tag nach Ablauf des … Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums (§ 41a Abs. 1 EStG) Umsatzsteuer-Voranmeldungszeitraums (§ 18 Abs. 1 UStG) Zeitraums, in dem die Kapitalerträge einbehalten wurden (§ 44 Abs. 1 S. 5 EStG) einzureichen. Davon ausgenommen ist die Umsatzsteuer-Jahreserklärung (s.o. Erklärungsfristen). Umsatzsteuervoranmeldungen (§ 18 Abs. 1 S. 1 UStG), Umsatzsteuerjahreserklärungen und Lohnsteueranmeldungen (§ 41a Abs. 1 S. 2 EStG) sind in elektronischer Form an das FA zu übermitteln. Auf Antrag kann das FA in Härtefällen auf eine elektronische Übermittlung verzichten (§ 18 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 UStG; § 41a Abs. 1 S. 3 EStG). Das wird jedoch immer seltener. Werden diese Steueranmeldungen vom FA unbeanstandet übernommen, so stehen sie gem. § 168 S. 1 AO Steuerfestsetzungen (= Steuerbescheide, also VAe) gleich. Das gilt nicht, wenn die Steueranmeldung zu einer Erstattung oder Vergütung (Vorsteuer höher als Umsatzsteuer) führt. Dann wird sie erst mit Zustimmung des FA wirksam (§ 168 S. 2 AO). Die Zustimmung kann formlos erfolgen © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 23 von 49 (§ 168 S. 3 AO), z. B. als Abrechnung oder durch Überweisung der Erstattung auf das Konto des Unternehmers. Erst mit der Bekanntgabe der Zustimmung liegt der VA vor (AEAO Nr. 2 zu § 168). Eine Verrechnungsmitteilung mit einer anderen, noch offenen Forderung ist ebenfalls denkbar. Die gesetzlichen Fiktionen des § 168 AO sind in der folgenden Abbildung noch einmal zusammengefasst: BEISPIEL Unternehmer A gibt die USt-Anmeldung Juni 01 per Datenträgeraustausch am 10.07.01 ab. Die Anmeldung führt zu einer Vergütung von 2.000 €, da er einen neuen Bagger erworben hat. Die Gutschrift der Erstattung durch das FA Siegen erfolgt am 25.7.01, nachdem A die Rechnung des Baggers vorgelegt hat. Aufgabe: Wann ist der VA USt-Vergütungsbescheid ergangen? Lösung: Der Vergütungsbescheid liegt vor, wenn neben der USt-Anmeldung die (formlose) Zustimmung des FA Siegen vorliegt, also mit Überweisung des Vergütungsbetrags am 25.07.01 (§ 168 S. 2, 3 AO; AEAO Nr. 2 zu § 168). Will der Unternehmer im vorliegenden Beispielsfall Einspruch einlegen (§ 347 Abs. 1 Nr. 1 AO), etwa weil er eine höhere Vergütung anstrebt, so beginnt die Einspruchsfrist mit Ablauf des 25.7.01 zu laufen (§ 355 Abs. 1 S. 2 AO). In solchen Fällen ist es nicht unüblich, dass das Finanzamt direkt den Grund der Erstattung erfragt. Insbesondere, wenn sonst immer Zahlungen vorlagen, reicht es in der Regel, wenn, wie im vorliegenden Fall, die Rechnung per Fax/Mail mit Angabe der Steuernummer geschickt wird. © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 24 von 49 HINWEIS Der Unterschied zwischen Zahlung und Erstattung hat also großen Einfluss auf das Datum der Festsetzung sowie die daraus resultierende Einspruchsfrist; vgl. hierzu § 355 Abs. 1 Satz 2 AO. 1.2.6 Festsetzung von Steuermessbeträgen gem. § 184 AO Auf Steuermessbescheide (z.B. Gewerbe- und Grundsteuermessbescheide) sind die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung sinngemäß anzuwenden (§ 184 Abs. 1 S. 3 AO). Demnach finden in solchen Fällen die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung Anwendung. Übungsfall: Die Poetin Klara Helms aus Essen druckt ihre Gedichte im Selbstverlag, den sie zu diesem Zweck gegründet hat und vertreibt sie auch selbst. Sie fragt sich, inwieweit sie gewerblich tätig ist. Fakt ist, sie hat seit der Aufnahme dieser Tätigkeit im März 01 nie GewSt-Erklärungen abgegeben. Im Jahr 09 erfährt das FA von der verlegerischen Tätigkeit und fordert Helms auf, entsprechende GewStErklärungen nachzureichen. Für welche Jahre kann noch ein Gewerbesteuermessbescheid festgesetzt werden, wenn die Unterlassung Helms grob fahrlässig war? Lösung: Die Festsetzungsfrist für die Festsetzung des Messbetrages für das Jahr 01 begann mit Ablauf des Jahres 04 (§ 184 Abs. 1 S. 3 AO, § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO und § 14a GewStG, § 18 GewStG), dauerte fünf Jahre und endete mit Ablauf 09 (§ 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 S. 2 AO iVm. § 378 AO). Daraus folgt, dass das FA noch für alle Jahre seit 01 die Erklärungen fordern und die Messbeträge festsetzen kann. 1.3 Festsetzungsverjährung Die Festsetzungsverjährung ist ein häufiger Prüfungspunkt in der schriftlichen und mündlichen Steuerfachwirtprüfung! Nur innerhalb der Festsetzungs- bzw. Feststellungsfrist kann ein Steuerbescheid erlassen oder geändert werden! Bei einer Änderung eines Steuerbescheides müssen zusätzlich die Tatbestandsmerkmale einer Korrekturvorschrift erfüllt sein! 1.3.1 Grundlagen der Festsetzungsverjährung Zu eginn schauen wir uns ein Video zur Festsetzungsverjährung im Allgemeinen an. © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 25 von 49 www.steuerkurse.de/go/f8c6995 Ein Steuerbetrag kann erst dann erhoben werden, wenn der Steueranspruch entstanden ist, der Steueranspruch festgesetzt wurde, der Steueranspruch außerdem fällig ist und der Steueranspruch nicht erloschen ist. Ein Steueranspruch ist entstanden, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft (§ 38 AO). Wann dieser konkrete Tatbestand verwirklicht ist und wann nicht, richtet sich dabei nach den jeweiligen Einzelsteuergesetzen. So entsteht bspw. die Einkommensteuer mit Ablauf des Veranlagungszeitraum. EXPERTENTIPP Dies hat große Auswirkungen für den so genannten Bestandsschutz. Wenn zum Beispiel im Mai 01 die Gesetzeslage im Einkommensteuerrecht geändert wird, und zwar zulasten des Steuerpflichtigen auch für Monate Januar bis April 01, so handelt es sich nach bisheriger Rechtsprechung des BVerfG nicht um einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot des Grundgesetzes. Grund hierfür ist, dass die Einkommensteuer erst am Ende des Jahres entsteht und nicht am Anfang. Der Steuerpflichtige muss es deswegen ertragen, dass er Dispositionen im Februar trifft, ohne die Gesetzeslage ab dem Monat Mai zu kennen und dadurch Nachteile für die gesamte Steuer des Jahres 01 zu erleiden hat. Festgesetzt wird die Steuer, wie oben bereits erläutert, durch Steuerbescheide bzw. durch Steueranmeldungen (§ 218 Abs. 1 AO). Wann ein Steueranspruch fällig wird, richtet sich nach den jeweiligen Einzelsteuergesetzen (§ 220 Abs. 1 AO). Durch eine Stundung kann die Fälligkeit des Steueranspruchs gegebenenfalls nach hinten verzögert werden. EXPERTENTIPP Wichtig ist also insbesondere, dass der Steueranspruch noch nicht erloschen ist. Mit anderen Worten bedeutet dies, dass die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen sein darf, bzw. dass die Festsetzungsverjährung noch nicht eingetreten sein darf. © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 26 von 49 Die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen ist ein Teil des Steuerbescheides, welcher mit dem Einspruch nicht selbstständig anfechtbar ist (§ 157 Abs. 2 AO). Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlöschen durch Verjährung (§ 47 AO). Wenn die sog. Festsetzungsfrist abgelaufen ist, so können Steuern nicht mehr festgesetzt werden und die Festsetzung nicht mehr aufgehoben oder geändert werden (§ 169 Abs. 1 S. 1 AO). Ebenso können offenbare Unrichtigkeiten nach Ablauf der Festsetzungsfrist nicht mehr berichtigt werden (§ 129 AO). Wichtig ist, dass die Festsetzungsfrist grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in welchem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO). In welchem Jahr die Steuer entsteht, richtet sich wiederum nach den Einzelsteuergesetzen (§ 38 AO). BEISPIEL Zu welchem Zeitpunkt beginnt die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 01? Die Einkommensteuer für das Jahr 01 entsteht am Ende des Jahres 01, also am 31. Dezember 01 um 24:00 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt, also am 31. Dezember 01 um 24:00 Uhr beginnt die Uhr quasi rückwärts zu laufen, grundsätzlich 4 Jahre lang. MERKE Abweichend von diesem Grundsatz beginnt die Festsetzungsfrist in jenen Fällen, in welchen aufgrund gesetzlicher Vorschriften eine Steuererklärung bzw. eine Steueranmeldung verpflichtend abzugeben ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Steuererklärung beim Finanzamt eingereicht wurde, spätestens aber mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Man nennt diesen ein- bis dreijährigen Zeitraum die Anlaufhemmung. Dazu ein Beispiel: BEISPIEL Die Einkommensteuererklärung 01 wurde verspätet am 01.07.03 beim Finanzamt eingereicht. Die Festsetzungsfrist beginnt daher nicht nach der Grundsatzregel am 31.12.01 um 24:00 Uhr, sondern vielmehr erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Steuererklärung beim Finanzamt eingereicht wurde, also am 31.12.03 um 24:00 Uhr. BEISPIEL Die Einkommensteuererklärung 01 wurde verspätet am 01.07.05 beim Finanzamt eingereicht. Dies wurde durch immer wieder verlängerte Fristen des Finanzamtes gewährt. Die Festsetzungsfrist beginnt nicht nach der abweichenden Regelung am 31.12.04 um 24:00 Uhr, © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 27 von 49 sondern wegen der zeitlichen Begrenzung des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO spätestens mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist, das heißt also am 31.12.04 um 24:00 Uhr. BEISPIEL Die Einkommensteuererklärung für das Jahr 01 wurde bisher überhaupt nicht beim Finanzamt abgegeben. Die Festsetzungsfrist beginnt daher mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, welches auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist, hier also spätestens am 31.12.04 um 24:00 Uhr. Gemäß § 47 AO führt die Festsetzungsverjährung zum Erlöschen des Steueranspruchs. Damit unterscheidet sich die Verjährung im Steuerrecht von der bürgerlich-rechtlichen Verjährung. Diese räumt dem Gläubiger lediglich eine Einrede ein, § 214 Abs. 1 BGB. Der Gegenstand der Festsetzungsverjährung wird in der folgenden Abbildung dargestellt: Eine Festsetzung, Aufhebung oder Änderung, die erst nach Eintritt der Festsetzungsverjährung erfolgt, ist nicht nichtig (§ 125 Abs. 1 AO), sondern nur rechtswidrig und anfechtbar. Sie erwächst also in Bestandskraft und ist vollstreckbar, wenn sich der Betroffene nicht mit einem Einspruch dagegen wendet (AEAO Nr. 4 vor § 169 bis § 171 AO). 1.3.2 Festsetzungs- und Zahlungsverjährung Es gibt in der Abgabenordnung zwei Arten der Verjährung: die Festsetzungsverjährung, §§ 169 ff. AO und die Zahlungsverjährung, §§ 228 ff. AO. Eine Steuer kann weder erstmalig festgesetzt, noch aufgehoben oder geändert werden, wenn die Festsetzungsfrist gem. §§ 169 bis 171 AO abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 S. 1 AO). Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, die bereits festgesetzt wurden, unterliegen der Zahlungsverjährung (§§ 228 ff. AO). Durch die Zahlungsverjährung erlischt der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis und © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 28 von 49 die von ihm abhängenden Zinsen, sodass die festgesetzten Ansprüche nicht mehr vollstreckt werden können (§ 232 AO). Wirkung der Festsetzungsverjährung: Wie bereits dargestellt, führt die Festsetzungsverjährung zum Erlöschen der Steuer (§ 47 AO). Der Steuerfall ist quasi tot. Er kann in keiner Weise mehr bearbeitet werden. Hat das Finanzamt dadurch Steuern verloren, hat es leider Pech, ebenso der Steuerpflichtige, wenn er eine Erstattung zu erwarten gehabt hätte. Steuerfestsetzungen sind auch Änderungsbescheide, welche als solche nach Ablauf der Festsetzungsfrist nicht mehr aufgehoben oder geändert werden dürfen. Dies gilt sowohl zugunsten als auch zuungunsten des Steuerpflichtigen. 1.3.3 Fristdauer der Festsetzungsverjährung MERKE In Abhängigkeit von der jeweiligen Festsetzungsfristen (§ 169 Abs. 2 AO): Steuer gelten unterschiedliche ein Jahr für Verbrauchsteuern und Verbrauchsteuer-Vergütungen, vier Jahre für Besitz- und Verkehrssteuern sowie für gesonderte Feststellungen, fünf Jahre bei leichtfertiger Steuerverkürzung (§ 378 AO) und zehn Jahre bei Steuerhinterziehung (§ 370 AO). Hierzu ein Beispiel: BEISPIEL Die Einkommensteuererklärung für das Jahr 01 wurde beim Finanzamt am 20.5.02 abgegeben. Die Festsetzungsfrist beginnt am 31.12.02 um 24:00 Uhr. Sie endet vier Jahre später, also am 31.12.06 um 24:00 Uhr. BEISPIEL Die Einkommensteuererklärung des Jahres 01 wurde am 1.3.02 abgegeben. Die Steuerfestsetzung erfolgt unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Wie sich herausstellt, handelt es sich um eine Steuerhinterziehung. Wann entfällt der Vorbehaltsvermerk? Der Vorbehalt der Nachprüfung entfällt bei Ablauf der regulären Festsetzungsfrist (§ 164 Abs. 4 S. 1 AO). Die Tatsache, dass die Festsetzungsfrist bei hinterzogenen Steuern auf zehn Jahre verlängert wird (§ 169 II 2 AO) bedeutet nicht, dass der Vorbehalt entsprechend länger wirksam ist (§ 164 Abs. 4 S. 2 AO). Entsprechend entfällt der Vorbehalt der Nachprüfung bei der Einkommensteuer stets nach vier Jahren. Der Vorbehalt der Nachprüfung entfällt also vier Jahre nach Beginn der Festsetzungsfrist, © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 29 von 49 also am 31.12.06 um 24:00 Uhr. Durch die Steuerhinterziehung endet die Festsetzungsfrist jedoch insoweit erst mit Ablauf des 31.12.12. Eine Korrektur des Steuerbescheides ist regelmäßig nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zulässig. MERKE Zu beachten ist schließlich noch die Ablaufhemmung, welche das Ende der Festsetzungsfrist hinausschiebt (§ 171 AO). In diesem Fall endet die Festsetzungsfrist nicht wie normalerweise am Ende eines Kalenderjahres, sondern erst im Laufe eines Kalenderjahres. Gründe für eine Ablaufhemmung sind beispielsweise Ereignisse höherer Gewalt innerhalb der letzten sechs Monate vor Fristablauf (§ 171 Abs. 1 AO), offenbare Unrichtigkeiten des Steuerbescheides (§ 171 Abs. 2 AO), Antrag oder Einspruch des Steuerpflichtigen auf Steuerfestsetzung, Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung (§ 171 Abs. 3 und 3 a AO), Beginn einer Außenprüfung (§ 171 Abs. 4 AO), vorläufige Steuerfestsetzung (§ 171 Abs. 8 AO). 1.3.4 Berechnung der Festsetzungsfrist Die Festsetzungsfrist ist in der Klausur wie folgt zu prüfen bzw. bestimmen: Beginn: ◦ Grundsatz: § 170 Abs. 1 AO ◦ Ausnahme (in der Klausur aber Regelfall!): §§ 170 Abs. 2 Nr. 1, 149 Abs. 1 S. 1 AO (+ § 38 AO) i.V.m. Einzelsteuergesetzen Dauer: § 169 Abs. 2 Nr. 2 / S. 2 AO Ende: § 108 Abs. 1 AO i.V.m. § 188 Abs. 2 BGB (ggf. § 108 Abs. 3 AO und/oder § 171 AO) PRÜFUNGSTIPP Diesen dreistufigen Aufbau von Fristenprüfungen haben Sie bereits kennengelernt. Halten Sie sich stets daran, um in der Klausur keine Punkte zu verschenken. 1.3.5 Beginn der Festsetzungsfrist gem. § 170 AO Den Beginn der Frist regelt § 170 AO. § 170 Abs. 1 AO gilt nur für sog. Antragsveranlagungen gem. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG und andere Fälle, in denen keine Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung besteht. Hier beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Entstehungsjahres der Steuer. Bei den sog. Pflichtveranlagungen ist dies regelmäßig nicht der Fall mit der Folge, dass § 170 Abs. 1 AO bei diesen Steuern (z. B. viele ESt-Fälle, KSt, GewSt, USt usw.) nicht anwendbar ist. Hier MUSS eine Erklärung abgegeben werden. Ist der Stpfl. gesetzlich verpflichtet, eine Steuererklärung abzugeben, gibt es eine Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO ein. In diesen Fällen beginnt der Lauf der Frist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Erklärung, ggf. auch die Steueranmeldung, eingereicht wird. Durch eine © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 30 von 49 eventuell verspätete Abgabe der Steuererklärung soll der Steuerpflichtige nicht die Bearbeitungs- bzw. Änderungsmöglichkeiten des Finanzamts zeitlich einschränken können. Die Festsetzungsfrist beginnt jedoch spätestens mit Ablauf des dritten Jahres, das dem Steuerentstehungsjahr folgt (§ 170 Abs. 2 Nr. 1 2. Alt. AO), damit der Steuerfall einen Abschluss findet und der Rechtsfrieden gewahrt wird. Übungsfall: Franz Hase hat Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit i.H.v. 80.000 €. Er gibt seine ESt-Erklärung für Jahr 00 ab 1. 2. 3. 4. im Februar 01, im Mai 02, im Juli 03, im November 05. Wann beginnt jeweils die Festsetzungsfrist für die ESt 00 zu laufen? Lösung: Hase ist gem. § 149 Abs. 1 AO und § 25 Abs. 3 EStG verpflichtet, eine ESt-Erklärung abzugeben. § 170 Abs. 1 AO scheidet aus. Die ESt 00 ist nach § 38 AO, § 36 Abs. 1 EStG mit Ablauf des Jahres 00 entstanden. Nach § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO beginnt die Frist im Fall a. b. c. d. mit Ablauf 01, mit Ablauf 02, mit Ablauf 03. Gibt Hase seine Erklärung nach Ablauf des Jahres 05 ab, so beginnt die Frist immer mit Ablauf 03. Im Fall d) beginnt die Frist daher mit Ablauf 03. Wird eine Steuer nur auf Antrag überhaupt festgesetzt, so gilt die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 3 AO. BEISPIEL Der Arbeitnehmer Otto Esel reicht im Oktober 03 seine ESt-Erklärung 01 ein und beantragt eine LSt-Erstattung. Der Bescheid ergeht im Jahre 04. Im Jahre 07 beantragt er eine Änderung des Bescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Da Otto Esel nicht verpflichtet war, eine Steuererklärung abzugeben, findet § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO keine Anwendung. Nach § 170 Abs. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres 01 und endet mit Ablauf des Jahres 05. Nach § 170 Abs. 3 AO beginnt die Festsetzungsfrist für die Änderung nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Antrag gestellt wird, hier also mit Ablauf des Jahres 03. Die Frist endet demnach mit Ablauf des Jahres 07. Darüber hinaus ist auch noch die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3 AO zu beachten. Sofern die Tatbestandsmerkmale des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO bejaht werden, ist eine Änderung möglich. Es existiert eine Sonderregelung für Erbschaft- und Schenkungsteuer, siehe § 170 Abs. 5 AO. © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 31 von 49 Im Zusammenhang mit der Korrekturvorschrift des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO befindet sich in § 175 Abs. 1 S. 2 AO eine weitere Anlaufhemmung innerhalb der AO. Hier beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem das rückwirkende Ereignis eintritt. 1.3.6 Dauer der Festsetzungsfrist Es gibt verschiedene zeitliche Rahmen der Festsetzungsverjährung. 1.3.6.1 Dauer der Festsetzungsfrist für Steuern, Steuervergütungen und bestimmte Abgaben gem. § 169 AO Die Festsetzungsfrist beträgt grundsätzlich vier Jahre (§ 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO). Eine Ausnahme stellen die Verbrauchsteuern dar (§ 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO). Hier beträgt sie nur 1 Jahr. Umsatzsteuer gilt nicht als Verbrauch- sondern als Verkehrsteuer. § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO ist also auf die USt nicht anwendbar, so dass für die USt die vierjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO gilt, was oft in Klausuren zu Fehlern führt. Hat ein Stpfl. eine leichtfertige Steuerverkürzung, also eine Ordnungswidrigkeit (§ 378 AO) begangen, verlängert sich die Frist insoweit, also punktuell auf fünf Jahre. Hat er eine Steuerhinterziehung (§ 370 AO) begangen, so verlängert sie sich insoweit, also wieder punktuell auf zehn Jahre, § 169 Abs. 2 S. 2 AO. Übungsfall: Der Steuerpflichtige Frank Reich reicht am 05.08.11 seine Einkommensteuererklärung 10 beim Finanzamt ein. Das Finanzamt veranlagt erklärungsgemäß und setzt eine Einkommensteuer 10 i.H.v. 150.000 € fest. Im Rahmen einer späteren Außenprüfung stellt das Finanzamt fest, dass der Steuerpflichtige 50.000 € Einkommensteuer für das Jahr 10 hinterzogen sowie 20.000 € Einkommensteuer für das Jahr 10 leichtfertig verkürzt hat. 1. Bestimmen Sie den Beginn der Festsetzungsfrist! 2. Wann endet die reguläre Festsetzungsfrist? Lösung: 1. Die Festsetzungsfrist beginnt m.A.d. 31.12.11, da der Steuerpflichtige verpflichtet ist eine Einkommensteuererklärung abzugeben (§§ 170 Abs. 2 Nr. 1 1. Alt., 149 Abs. 1 S. 1 AO, § 25 Abs. 3 EStG). Beim Fristbeginn ist es unerheblich, dass Reich die Einkommensteuer vorsätzlich oder leichtfertig verkürzt hat. 2. Die reguläre Festsetzungsfrist endet m.A.d. 31.12.15 (§§ 169 Abs. 2 Nr. 2, 108 Abs. 1 AO, § 188 Abs. 2 BGB). Soweit die Einkommensteuer hinterzogen wurde (50.000 €), endet die Festsetzungsfrist m.A.d. 31.12.21 und soweit sie leichtfertig verkürzt wurde (20.000 €), endet sie m.A.d. 31.12.16 (§§ 169 Abs. 2 S. 2, 108 Abs. 1 AO, § 188 Abs. 2 BGB). Die verlängerte Festsetzungsfrist von 5 und 10 Jahren findet auch Anwendung, wenn ein Vertreter oder Erfüllungsgehilfe des Steuerpflichtigen die Steuer leichtfertig oder vorsätzlich verkürzt hat (§ 169 Abs. 2 S. 3 AO). Unmaßgeblich ist es ebenfalls, wenn der Steuerpflichtige infolge der Steuerverkürzung keinen Vorteil erlangt und die im Verkehr erforderliche Sorgfalt aufgewendet hat, damit es nicht zu einer solchen Verkürzung kommen kann. Eine Hinterziehung liegt auch schon bereits dann vor, wenn der Steuerpflichtige seine Erklärung verspätetet beim Finanzamt abgibt (keine Fristverlängerung!), sodass eine Hinterziehung auch bei anderen Steuervorteilen vorliegen kann (§ 370 Abs. 4 AO). Handelt es sich weder um einen Vertreter noch um einen Erfüllungsgehilfen des Steuerpflichtigen, also um einen fremden Dritten, welcher die Steuerverkürzung veranlasst hat, so kann sich der Steuerpflichtige auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung berufen (§ 169 Abs. 2 S. 3 AO). © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 32 von 49 Übungsfall: Der Chef der Buchhaltungsabteilung des Warenhauses Wahlmart, Claus Claufix, hat in der UStJahresanmeldung zu hohe Vorsteuerbeträge ausgewiesen. Es kommt dadurch zu unberechtigten Steuervergütungen. Die Erstattung erfolgt per Überweisung auf das Geschäftskonto des Warenhauses. Wann tritt Festsetzungsverjährung für die Umsatzsteuer ein? Würde sich an der Lösung etwas ändern, wenn der Buchhalter die Überweisung der Vergütungen auf sein privates Konto veranlasst hätte? Spielt es eine Rolle, ob der Buchhalter seine Pflichten bisher sorgfältig erfüllt hat oder ob bei ihm bereits früher steuerliche Unregelmäßigkeiten durch seinen Arbeitgeber festgestellt wurden? Lösung: Der Claufix ist Erfüllungsgehilfe, aber nicht Eigentümer oder Vertreter des Warenhauses. Die Verjährungsfrist beträgt in allen angesprochenen Fällen entsprechend § 169 Abs. 2 S. 3 AO zehn Jahre, da der Buchhalter als Erfüllungsgehilfe die Steuerhinterziehung begangen hat. 169 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 AO bestimmt, dass die Festsetzungsfrist gewahrt ist, wenn der Bescheid vor Ablauf der Frist das FA verlassen hat. Generell gilt, dass laufende Verfahren erst abgeschlossen werden müssen, damit Verjährungen eintreten können. BEISPIEL Das Finanzamt Kamp-Lintfort erkennt am 19.12.06, dass die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 01 des Gewerbetreibenden Mäxchen bald abläuft. Das Finanzamt möchte noch einen geänderten Bescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO für die Einkommensteuer 01 erlassen. Der Änderungsbescheid geht am 30.12.06 zur Post und erreicht Mäxchen am 02.01.07. Als der Änderungsbescheid zur Post gegangen ist, war die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen. Nach § 169 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 AO ist es unerheblich, dass der Änderungsbescheid Mäxchen erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist erreicht hat. Jedoch muss der Bescheid dem Steuerpflichtigen nach Fristablauf auch tatsächlich zugehen (AEAO zu § 169 Nr. 1) sowie vom örtlich und sachlich zuständigen Finanzamt erlassen und richtig adressiert worden sein. Eine Heilung von Übermittlungsfehlern ist u.U. möglich. 1.3.6.2 1.3.6.2.1 Dauer der Festsetzungsfrist für bestimmte steuerliche Nebenleistungen Vorbemerkungen Bei steuerlichen Nebenleistungen spielt die Festsetzungsverjährung nur dort eine Rolle, wo sie gesetzlich vorgesehen ist (AEAO Nr. 5 vor § 169 bis § 171). 1.3.6.2.2 Dauer der Festsetzungsfrist für Zinsen gem. § 239 AO Nach § 239 Abs. 1 AO finden die Vorschriften über die Besteuerung für Zinsen entsprechende Anwendung. Damit gelten auch die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung. Die Vorschriften der §§ 169 ff. AO finden nur insoweit Anwendung, als § 239 AO keine Besonderheiten vorsieht. Auch hier sei noch einmal drauf hingewiesen, dass Verfahren erst abgeschlossen sein müssen, damit Verjährung © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 33 von 49 eintreten kann. § 239 Abs. 1 S. 1 AO legt die Dauer der Frist einheitlich auf zwei Jahre fest. § 239 Abs. 1 S. 2 AO bestimmt für die einzelnen Zinsarten jeweils den Beginn der Frist. BEISPIEL Dem Unternehmer wurde die USt für das Jahr 00 von März 02 bis Februar 03 gestundet (§ 222 AO). Nach § 234 Abs. 1 AO sind für die Dauer der Stundung Zinsen zu erheben. Die Frist für die Festsetzungsverjährung beginnt mit Ablauf 03, dauert zwei Jahre und endet mit Ablauf 05 (§ 239 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 2 AO). 1.3.6.2.3 Dauer der Festsetzungsfrist für Verspätungs- und Säumniszuschläge sowie Zwangsgelder Säumniszuschläge, SZ, § 240 AO: SZ werden nicht vom Sachbearbeiter festgesetzt, sondern entstehen kraft Gesetz (§ 240 Abs. 1 AO). Daher kann es folglich auch keine Festsetzungsfrist geben. Säumniszuschläge unterliegen allein der Zahlungsverjährung (AEAO Nr. 6 vor § 169 bis § 171). Verspätungszuschläge, § 152 AO: Verspätungszuschläge sind teilweise Ermessensentscheidungen (§ 152 AO und § 5 AO). Sie werden nach § 152 Abs. 11 AO regelmäßig mit der Steuer festgesetzt. Daher können sie so lange festgesetzt werden wie die zugrunde liegende Steuer. Eine spätere Festsetzung ist ermessenswidrig (§ 5 AO). Zwangsgelder, § 329 AO: Die Finanzämter können Zwangsgelder im Ermessensrahmen festsetzen (§ 328 Abs. 1 AO und § 5 AO). Vor der Festsetzung ist das Zwangsgeld anzudrohen (§ 332 Abs. 1 AO). Im Rahmen der Androhung ist dem Betroffenen eine angemessene Frist zur Nachholung der unterlassenen Handlung zu setzen (§ 332 Abs. 1 S. 3 AO). Wird nach Ablauf dieser Frist das Zwangsgeld nicht zügig festgesetzt, so ist die Festsetzung ermessenswidrig (§ 5 AO) und somit rechtsfehlerhaft. 1.3.7 1.3.7.1 Ende der Festsetzungsfrist gem. § 171 AO Ablaufhemmung bei höherer Gewalt gem. § 171 Abs. 1 AO Eine Einführung und einen Überblick über die Aublaufhemmungen nach § 171 AO gibt das folgende Video. © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 34 von 49 www.steuerkurse.de/go/f8d36fb So wie der Beginn der Festsetzungsfrist durch die Anlaufhemmung hinausgeschoben wird, gibt es Fakten, die das Ende, also den Eintritt der Verjährung, hinausschieben. Dann reden wir von einer Ablaufhemmung, da der Ablauf der Frist gehemmt wird. Das Ende liegt dann mitten im Jahr, also nicht mehr, wie sonst, immer mit Ablauf eines Kalenderjahres. Nach § 171 Abs. 1 AO läuft die Festsetzungsfrist nicht ab, solange die Steuerfestsetzung wegen höherer Gewalt innerhalb der letzten sechs Monate der Festsetzungsfrist nicht erfolgen kann. Unter höherer Gewalt versteht man Ereignisse, die auch bei Anwendung äußerster Sorgfalt durch das FA eine Festsetzung der Steuer nicht zulassen, wie etwa Krieg, Aufruhr, Naturkatastrophen wie Hochwasser, Brand im FA-Gebäude. Vor einigen Jahren stürzte das Kölner Stadtarchiv in eine Baugrube. Manch einer hätte sich vermutlich gefreut, wenn es das Finanzamt erwischt hätte. Das wäre ebenfalls ein Fall der höheren Gewalt. Die Steuerfestsetzung muss aufgrund der höheren Gewalt nicht möglich sein. Dieses Kriterium dürfte kaum noch greifen, da aufgrund der zentralen Speicherung innerhalb kürzester Zeit ein anderes Finanzamt die Arbeit übernehmen kann. Übungsfall: Fleder gibt seine USt-Jahresanmeldung (= Steuererklärung) für 00 in 01 ab. Vom 15.6. bis 18.7.05 ist das FA wegen Covid-19-Viren von der Gesundheitsbehörde gesperrt. 1. Berechnen Sie die planmäßige Festsetzungsfrist! 2. Wann läuft die Festsetzungsfrist tatsächlich ab? Lösung: 1. Die Frist beginnt mit Ablauf 01 (§ 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO, § 18 Abs. 3 UStG) und würde planmäßig mit Ablauf 05 enden (§ 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO). 2. Pandemien, die zur Sperrung des FA führen, sind höhere Gewalt. Da das FA innerhalb der letzten sechs Monate des Fristlaufs, also vom 1.7. bis 18.7.05 gesperrt war, werden diese 18 Tage an das Ende der Frist angehängt (§ 171 Abs. 1 AO). Die Frist endet mit Ablauf des 18.1.06. Die Sperrung vom 15.6. bis 30.6. liegt nicht in den letzten sechs Monaten vor Ablauf der Frist und bleibt daher unberücksichtigt. 1.3.7.2 Ablaufhemmung bei offenbarer Unrichtigkeit gem. § 171 Abs. 2 AO Ist beim Erlass eines Steuerbescheids eine offenbare Unrichtigkeit unterlaufen (§ 129 AO), so läuft die Festsetzungsfrist insoweit, also punktuell, nicht vor Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe des die offenbare Unrichtigkeit erstmals enthaltenden Bescheids ab. © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 35 von 49 www.steuerkurse.de/go/e0a2be3 Übungsfall: Die Steuerpflichtige Klara Fall reicht ihre Einkommensteuererklärung 11 im Jahre 17 beim zuständigen Finanzamt ein. Das Finanzamt veranlagt erklärungsgemäß und gibt den Einkommensteuerbescheid 11 am 15.02.18 zur Post. Das Finanzamt entdeckt im April 18 eine offenbare Unrichtigkeit, die sich zugunsten der Steuerpflichtigen auswirkt. Aufgrund dessen erlässt das Finanzamt im Mai 19 einen Änderungsbescheid. 1. Ermitteln Sie die reguläre Festsetzungsfrist! 2. Durfte das Finanzamt im Mai 19 den Einkommensteuerbescheid noch ändern? Abwandlung: Die Steuerpflichtige Klara Fall gibt ihre Einkommensteuererklärung 11 bereits im Jahre 12 ab. Das Finanzamt erlässt den Einkommensteuerbescheid 11 mit der offenbaren Unrichtigkeit daraufhin im selben Jahr. Welche Änderungen ergeben sich nunmehr? Lösung: 1. Die Festsetzungsfrist beginnt m.A.d. 31.12.14 (dreijährige Anlaufhemmung nach Steuerentstehung) nach §§ 170 Abs. 2 Nr. 1 2. Alt., 149 Abs. 1 S. 1, 38 AO, §§ 25 Abs. 1 und 3, 36 Abs. 1 EStG. Die Festsetzungsfrist endet regulär m.A.d. 31.12.18 (Fristdauer: 4 Jahre) nach §§ 169 Abs. 2 Nr. 2, 108 Abs. 1 AO, § 188 Abs. 2 BGB. 2. Grundsätzlich ist im Jahre 19 bereits die reguläre Festsetzungsfrist abgelaufen (vgl. Lösung zu Frage 1), aber es greift die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 2 AO. Danach endet die Festsetzungsfrist insoweit nicht vor Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids 11 vom 15.02.18, da dem Finanzamt beim Erlass des Einkommensteuerbescheids eine offenbare Unrichtigkeit unterlaufen ist. Die Jahresfrist endet demnach m.A.d. 18.02.19. Eine Änderung durfte im Mai 19 aufgrund der Festsetzungsverjährung also nicht mehr erfolgen (§ 169 Abs. 1 S. 1 AO). Allerdings ist der Änderungsbescheid aus Mai 19 nicht nichtig (§ 125 Abs. 1 AO), sondern nur anfechtbar (vgl. AEAO vor §§ 169 bis 171 Nr. 4). Die Steuerpflichtige könnte folglich Einspruch einlegen. Abwandlung: Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 2 AO greift hier nicht, da die reguläre Festsetzungsfrist m.A.d. 31.12.16 enden würde und die Jahresfrist des § 171 Abs. 2 AO dann bereits abgelaufen wäre. Eine Ablaufhemmung verkürzt niemals die reguläre Festsetzungsfrist! Gleiches gilt für sämtliche Fälle (Schreib- oder Rechenfehler bei Erstellung einer Steuererklärung) des § 173a AO, wenn dem Stpfl. ein mechanischer Fehler bei der Erstellung der Erklärung unterlaufen ist. © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 36 von 49 1.3.7.3 Ablaufhemmung bei noch nicht unanfechtbar gewordenen Antragsverfahren gem. § 171 Abs. 3 AO § 171 Abs. 3 AO knüpft an das an, was zuvor bereits erwähnt wurde. Ist ein Verfahren (hier: Einspruchs- oder Klageverfahren) noch nicht abgeschlossen, so kann keine Verjährung eintreten. Jedes Verfahren muss erst unanfechtbar beendet sein, das heißt, es kann keine weitere Instanz geben, die man noch anrufen kann, da die Fristen abgelaufen sind (AEAO Nr. 2 zu § 171). www.steuerkurse.de/go/e0b19c6 Übungsfall: Der Steuerpflichtige Reiner Fuchs reicht seine Einkommensteuererklärung 00 am 01.08.01 beim Finanzamt ein. Das Finanzamt veranlagt das Jahr 00 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO). Am 31.12.05 beantragt der Steuerpflichtige bestimmte Werbungskosten mit einer steuerlichen Auswirkung i.H.v. 1.500 € bei der Einkommensteuer 00 nachträglich zu berücksichtigen, da diese bei der damaligen Veranlagung nicht anerkannt wurden. 1. Ermitteln Sie die reguläre Festsetzungsfrist! 2. Wie lange dauert die Festsetzungsfrist im vorliegenden Fall längstens an? Lösung: 1. Die Festsetzungsfrist beginnt m.A.d. 31.12.01 nach §§ 170 Abs. 2 Nr. 1 1. Alt., 149 Abs. 1 S. 1 AO, § 25 Abs. 3 EStG. Die Festsetzungsfrist endet regulär m.A.d. 31.12.05 (Fristdauer: 4 Jahre) nach §§ 169 Abs. 2 Nr. 2, 108 Abs. 1 AO, § 188 Abs. 2 BGB. 2. Es greift die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3 AO. Danach läuft die Festsetzungsfrist insoweit (punktuell 1.500 €) nicht ab, bevor über den Antrag unanfechtbar entschieden worden ist, da der Steuerpflichtige vor Ablauf der Festsetzungsfrist außerhalb eines Einspruchsoder Klageverfahrens einen Antrag auf Änderung der Einkommensteuerfestsetzung 00 gestellt hat. Darüber hinaus ist bereits Festsetzungsverjährung eingetreten. Wegen der punktuellen Ablaufhemmung sind etwaige Antragserweiterungen nach Ablauf der regulären Festsetzungsverjährung nicht mehr möglich. Übungsfall: Sachverhalt wie im vorigen Übungsfall. Bei der Bearbeitung des Antrags im Mai 06 bemerkt das FA, dass es bei der ursprünglichen Veranlagung einen Rechtsfehler begangen hat. Steuerliche Auswirkung: 100 € zuungunsten des Fuchs. Kann der Fehler bei der Korrektur im Mai 06 berücksichtigt werden? Lösung: © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 37 von 49 Die Berücksichtigung könnte an dem Wort „insoweit“ scheitern. Allerdings hat der BFH entschieden, dass auch nach Eintritt der planmäßigen Verjährung Gegensaldierungen noch möglich sind. Das FA wird also die 100 € zuungunsten Fuchs saldieren und die ESt nur um 1.400 € mindern (AEAO Nr. 1 zu 177). Es wird quasi ein Verjährungsrahmen ermittelt. PRÜFUNGSTIPP Zu beachten ist, dass Ablaufhemmungen regelmäßig in ihrer Anwendung beschränkt sind („soweit“). Dies ist insbesondere bei der Berichtigung von mehreren Fehlern zu berücksichtigen (vgl. § 171 Abs. 2 und Abs. 10 AO). Die Abgabe einer gesetzlich vorgeschriebenen Steuererklärung ist auch dann kein Antrag iSd. § 171 Abs. 3 AO, wenn sie zu einer Steuervergütung (§ 168 S. 2 AO) führt (BFH v. 28.8.2014, V R 8/14, BStBl. II 2015, S. 3; AEAO Nr. 2 Abs. 3 zu § 171). Dies gilt auch, wenn die Erklärung zusammen mit einem begleitenden Schreiben eingereicht wird. Der Urteilsfall betraf die Umsatzsteuerjahreserklärung 2003, welche am 31.12.2010 beim Finanzamt einging. Da die Steuererklärung nicht als Antrag iSd. § 171 Abs. 3 AO gilt, ist mit Ablauf des Jahres 2010 Festsetzungsverjährung eingetreten. Ebenfalls keine Anträge im Sinne von § 171 Abs. 3 AO sind die Berichtigungserklärung nach § 153 AO sowie die Selbstanzeige nach § 371 AO. 1.3.7.4 Ablaufhemmung bei noch nicht unanfechtbar gewordenen Rechtsbehelfsverfahren gem. § 171 Abs. 3a AO Der Gedanke des § 171 Abs. 3 AO ("jedes laufende Verfahren muss erst abgeschlossen sein") gilt auch, wenn der Stpfl. gegen seinen Steuerbescheid zulässig Einspruch eingelegt hat und während des Einspruchsverfahrens die reguläre Festsetzungsfrist abläuft. Allerdings betrifft im Gegensatz zu Abs. 3 bei Einsprüchen die Hemmung den gesamten Steueranspruch, da der Einspruch auch den gesamten Steuerfall betrifft, § 171 Abs. 3a S. 2 AO (AEAO Nr. 2a zu § 171 AO). www.steuerkurse.de/go/d6d1d94 Übungsfall: Der Steuerpflichtige Reiner Fuchs reicht seine Einkommensteuererklärung 10 am 10.05.13 bei seinem zuständigen Finanzamt ein. Die Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids 10 erfolgt am 11.11.13. Später erlässt das Finanzamt einen Änderungsbescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO, in welchem es die Einkommensteuer 10 um 1.500 € erhöht. Die Bekanntgabe des Änderungsbescheids erfolgt am 19.12.17. Am 10.01.18 legt Fuchs Einspruch ein und trägt vor, dass die Änderung gar nicht durchgeführt werden durfte. Eine Korrekturvorschrift käme überhaupt nicht in Frage. © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 38 von 49 1. 2. 3. 4. Konnte der Steuerpflichtige Fuchs am 10.01.18 noch Einspruch einlegen? Ermitteln Sie die reguläre Festsetzungsfrist! Wie lange dauert die Festsetzungsfrist im vorliegenden Fall längstens an? Hat das Finanzamt im Einspruchsverfahren noch die Möglichkeit der Verböserung der Einkommensteuer 10 gem. § 367 Abs. 2 S. 2 AO? Lösung: 1. Der Steuerpflichtige konnte am 10.01.18 gem. § 171 Abs. 3a S. 1 2. HS AO noch Einspruch einlegen. 2. Die Festsetzungsfrist beginnt m.A.d. 31.12.13 nach §§ 170 Abs. 2 Nr. 1 1. Alt., 149 Abs. 1 S. 1 AO, § 25 Abs. 3 EStG. Die Festsetzungsfrist endet regulär m.A.d. 31.12.17 (Fristdauer: 4 Jahre) nach §§ 169 Abs. 2 Nr. 2, 108 Abs. 1 AO, § 188 Abs. 2 BGB. 3. Es greift die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3a AO. Danach läuft die Festsetzungsfrist nicht ab, bevor über den Einspruch unanfechtbar entschieden ist. 4. Nach § 171 Abs. 3a S. 2 AO ist der Ablauf der Festsetzungsfrist hinsichtlich des gesamten Steueranspruchs gehemmt, sodass das Finanzamt unter den Voraussetzungen des § 367 Abs. 2 S. 2 AO im Rahmen des Einspruchsverfahrens verbösern darf. Der Steuerpflichtige könnte den Einspruch gem. § 362 AO zurücknehmen und damit die Verböserung nach deren Androhung verhindern. 1.3.7.5 1.3.7.5.1 Ablaufhemmung bei Ermittlungen gem. § 171 Abs. 4 bis 6 AO Vorbemerkungen Die Ablaufhemmungen gem. Ermittlungshandlungen, wie: § 171 Abs. 4 bis 6 AO beziehen sich auf bestimmte § 171 Abs. 4 AO: Außenprüfungen § 171 Abs. 5 AO: Prüfungen durch Zoll- oder Steuerfahndung § 171 Abs. 6 AO: Ermittlungshandlungen, die sich auf Auslandsvorgänge beziehen Sonach sollen Feststellungen, welche im Rahmen der Ermittlungshandlungen getroffen wurden, steuerlich berücksichtigt werden können, ohne dass dies wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung nicht möglich wäre. Dabei hat etwa § 171 Abs. 4 AO eine enorme praktische Bedeutung und differenziert zwei unterschiedliche Fallkonstellationen: 1.3.7.5.2 Beginn einer Außenprüfung gem. § 171 Abs. 4 1. Alt AO Nach § 171 Abs. 4 S. 1 AO läuft die Festsetzungsfrist für die Steuern, auf die sich die Außenprüfung erstreckt (vgl. Prüfungsanordnung!) nicht ab, bevor die aufgrund der Außenprüfung zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind oder nach Bekanntgabe der Mitteilung nach § 202 Abs. 1 S. 3 AO (sog. „Null-Mitteilung“) drei Monate verstrichen sind, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist mit einer Außenprüfung begonnen wird. Eine nichtige Prüfungsanordnung kann zu keiner Ablaufhemmung führen, da sie keine Rechtswirkung entfaltet. Anders sieht es bei einer rechtswidrigen, also lediglich materiell rechtlich falschen Anordnung aus. Die Ablaufhemmung findet jedoch nur Anwendung, wenn die Außenprüfung auch tatsächlich begonnen hat. Es reicht nicht aus, wenn die Prüferin bzw. der Prüfer lediglich zur Vorlage ihres bzw. seines Ausweises und Übergabe der Prüfungsanordnung erscheint (vgl. AEAO zu § 198 Nr. 1). © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 39 von 49 BEISPIEL Ende Oktober 2017 stellt das Finanzamt Detmold fest, dass die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 2010 des Steuerpflichtigen Ernst Fall, der auf dem Prüfungsplan steht, m.A.d. 31.12.17 endet. Infolgedessen wird die Prüferin Klara Fall beauftragt, ab dem 10.12.17 mit einer Prüfung zu beginnen. Die Prüferin erscheint noch im Dezember 2017 beim Steuerpflichtigen und überfliegt kurz einige Unterlagen, nachdem eine entsprechende Prüfungsanordnung gem. § 196 AO ergangen ist. Die Prüfung wird aufgrund des bevorstehenden Weihnachtsfestes allerdings nicht beendet und erst im nachfolgenden Jahr fortgesetzt und abgeschlossen. Die aus der Prüfung resultierenden Änderungsbescheide ergehen noch im selben Jahr. Mangels tatsächlichen Beginns der Außenprüfung findet die Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 4 AO keine Anwendung, da ausschließliche Scheinhandlungen nicht ausreichen. Sonach beginnt die Prüfung erst im Jahre 18 und damit nach Ablauf der Festsetzungsfrist. Der Umfang der Ablaufhemmung des § 171 Abs. 4 AO entspricht dem Umfang der wirksamen Prüfungsanordnung (subjektiver, sachlicher, zeitlicher Umfang). Ferner muss die Prüfung tatsächlich vor Ablauf der Festsetzungsfrist begonnen werden. Übungsfall: Der Steuerpflichtige Hansi reicht seine Einkommensteuererklärung 11 am 05.08.12 bei seinem zuständigen Finanzamt ein. Die erklärungsgemäße Veranlagung erfolgt noch im selben Jahr. Im Dezember 16 beginnt das Finanzamt eine Außenprüfung bei dem Steuerpflichtigen, welche bis März 17 andauert. Am 14.04.17 gibt das Finanzamt dem Hansi eine sog. „Null-Mitteilung“ nach § 202 Abs. 1 S. 3 AO bekannt, da sich für die Einkommensteuer 11 keine Änderungen ergeben haben. Mit Schreiben vom 20.06.17 beantragt Hansi die Berichtigung seines Einkommensteuerbescheids 11 wegen einer offenbaren Unrichtigkeit i.S.d. § 129 AO zu seinen Gunsten (zutreffend). Kann der Einkommensteuerbescheid 11 noch berichtigt werden? Lösung: Die Festsetzungsfrist beginnt m.A.d. 31.12.12 nach §§ 170 Abs. 2 Nr. 1 1. Alt., 149 Abs. 1 S. 1 AO, § 25 Abs. 3 EStG. Die Festsetzungsfrist endet regulär m.A.d. 31.12.16 (Fristdauer: 4 Jahre) nach §§ 169 Abs. 2 Nr. 2, 108 Abs. 1 AO, § 188 Abs. 2 BGB. Im vorliegenden Fall greift allerdings die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 4 AO. Danach läuft die Festsetzungsfrist für die Steuern, auf die sich die Außenprüfung erstreckt (vgl. Prüfungsanordnung!) nicht ab, bevor nach Bekanntgabe der Mitteilung nach § 202 Abs. 1 S. 3 AO (sog. „Null-Mitteilung“) drei Monate (m.A.d. 14.07.17) verstrichen sind, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist mit einer Außenprüfung begonnen wird, hier im Jahr 16. Sonach bestand am 20.06.17 noch die Möglichkeit einen Antrag zu stellen. Neben § 171 Abs. 4 AO greift zusätzlich die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO ein, wonach die Festsetzungsfrist insoweit nicht abläuft bevor über den Antrag unanfechtbar entschieden worden ist. 1.3.7.5.3 Hinausschieben des Prüfungsbeginns gem. § 171 Abs. 4 2. Alt. AO Nach § 171 Abs. 4 S. 1 AO läuft die Festsetzungsfrist nicht ab, bevor die aufgrund der Außenprüfung zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind oder nach Bekanntgabe der Mitteilung nach § 202 Abs. 1 S. 3 AO (sog. „Null-Mitteilung“) drei Monate verstrichen sind, sofern der Beginn der Prüfung auf Antrag des Steuerpflichtigen hinausgeschoben wird, etwa aufgrund von Krankheit. © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 40 von 49 HINWEIS Beachten Sie, dass nach Auffassung des BFH die Ablaufhemmung entfällt, wenn das FA bei einem befristeten Antrag nicht innerhalb von zwei Jahren nach Ablauf der Frist bzw. beim unbefristeten Antrag nach Wegfall des Hindernisses mit der Außenprüfung beginnt (AEAO Nr. 3.3.1 und 3.3.2 zu § 171). 1.3.7.5.4 Gemeinsame Vorschriften Gem. § 171 Abs. 4 S. 2 AO findet die Ablaufhemmung keine Anwendung, wenn die Außenprüfung unmittelbar nach ihrem Beginn für die Dauer von mehr als sechs Monaten aus Gründen unterbrochen wird, die die Finanzbehörde zu vertreten hat. Ein Beispiel wäre hier die Erkrankung des Prüfers, wenn kein anderer Prüfer geschickt wird. BEISPIEL Der Steuerpflichtige Günter Genau reicht seine Einkommensteuererklärung 11 im Jahre 12 bei seinem zuständigen Finanzamt ein. Sonach läuft die reguläre Festsetzungsfrist m.A.d. 31.12.16 ab (§§ 170 Abs. 2 Nr. 1 1. Alt., 149 Abs. 1 S. 1, 169 Abs. 2 Nr. 2, 108 Abs. 1 AO, § 25 Abs. 3 EStG, § 188 Abs. 2 BGB). Am 19.12.16 wird bei dem Steuerpflichtigen mit einer Außenprüfung begonnen, welche für eine Woche vorgesehen ist. Die Betriebsprüferin Klara Fall erschien auch tatsächlich am 19.12.16 um 9.30 Uhr in den Büroräumen des Genau. Nach einem äußerst produktiven Arbeitstag erkrankt Klara Fall plötzlich und schwer am nachfolgenden Tag, sodass sie die Außenprüfung erst ab September 2017 zu Ende führen kann. Die Außenprüfung wird im vorliegenden Fall unmittelbar nach ihrem Beginn für die Dauer von mehr als sechs Monaten aus Gründen unterbrochen, die die Finanzbehörde zu vertreten hat. Ein Verschulden ist hierbei unmaßgeblich. Das Finanzamt hätte hier eine andere Prüferin bzw. einen anderen Prüfer mit der Außenprüfung betrauen können. Dies ist hier allerdings unterblieben. Infolgedessen ist die Festsetzungsverjährung bereits eingetreten gem. § 171 Abs. 4 S. 2 AO. Eine Fortsetzung der am 19.12.16 begonnen Außenprüfung wurde lediglich vorliegen, wenn Klara Fall die Prüfung schon am 29.05.17 wieder aufgenommen hätte. Eine neue Prüfungsanordnung wäre in einem solchen Fall nicht erforderlich. Die Frage, ob eine Außenprüfung unmittelbar nach ihrem Beginn unterbrochen worden ist (§ 171 Abs. 4 Satz 2 AO), ist grundsätzlich nach den Verhältnissen im Einzelfall zu beurteilen. Dabei sind neben dem zeitlichen Umfang der bereits durchgeführten Prüfungsmaßnahmen alle Umstände zu berücksichtigen, die Aufschluss über die Gewichtigkeit der Prüfungshandlungen vor der Unterbrechung geben. Soweit Prüfungshandlungen bezüglich eines Prüfungsjahrs nachweislich erhebliches Gewicht erreicht oder erste verwertbare Ergebnisse hervorgebracht haben, gilt die Außenprüfung insgesamt – also auch bezogen auf andere Prüfungsjahre – als nicht unmittelbar nach dem Prüfungsbeginn unterbrochen i. S. d. § 171 Abs. 4 S. 2 AO (vgl. AEAO zu § 171 Nr. 3.5). Gemäß § 171 Abs. 4 S. 3 AO endet die Festsetzungsfrist spätestens, wenn seit Ablauf des © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 41 von 49 Kalenderjahrs, in dem die Schlussbesprechung stattgefunden hat, die in § 169 Abs. 2 AO genannten Fristen (also 4, 5 oder 10 Jahre) verstrichen sind. Sollte eine Schlussbesprechung nicht stattgefunden haben, so endet die Festsetzungsfrist spätestens, wenn seit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die letzten Ermittlungen im Rahmen der Außenprüfung stattgefunden haben, die in § 169 Abs. 2 AO genannten Fristen (also 4, 5 oder 10 Jahre) verstrichen sind. Demnach ist das Finanzamt nach Abschluss einer Prüfung verpflichtet, innerhalb bestimmter Fristen die entsprechenden Änderungsbescheide zu erlassen. BEISPIEL Die Steuerpflichtige Wilma Streit hat ihre Einkommensteuererklärung 11 am 11.11.12 bei ihrem zuständigen Finanzamt eingereicht. Im November 2016 findet bei ihr eine Betriebsprüfung statt. Prüfungsgegenstand ist u.a. auch die Einkommensteuer für das Jahr 11. Die Außenprüfung endet mit der Schlussbesprechung im April 17 gem. § 201 AO. Die Festsetzungsfrist beginnt m.A.d. 31.12.12 nach §§ 170 Abs. 2 Nr. 1 1. Alt., 149 Abs. 1 S. 1 AO, § 25 Abs. 3 EStG. Die Festsetzungsfrist endet regulär m.A.d. 31.12.16 (Fristdauer: 4 Jahre) nach §§ 169 Abs. 2 Nr. 2, 108 Abs. 1 AO, § 188 Abs. 2 BGB. Im vorliegenden Fall greift allerdings die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 4 S. 1 AO, da im Jahr 16 mit einer Prüfung der Einkommensteuer 11 begonnen wurde. Danach endet die Festsetzungsfrist spätestens, wenn seit Ablauf des Jahres der Schlussbesprechung, hier also m.A.d. 31.12.17, die in § 169 Abs. 2 AO genannten Fristen abgelaufen sind. Im vorliegenden Fall muss also spätestens bis zum Ablauf des 31.12.21 der geänderte Einkommensteuerbescheid 11 erlassen worden sein. Sofern und soweit Wilma Streit auch Einkommensteuer hinterzogen hätte, würde insoweit die Festsetzungsfrist spätestens m.A.d. 31.12.27 enden. Lernvideo zur Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO Wir betrachten nun nochmal die Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 4 AO im folgenden Lernvideo. www.steuerkurse.de/go/d6dc3e5 1.3.7.6 Ablaufhemmung bei Steuervergehen gem. § 171 Abs. 7 AO Diese Vorschrift zur Ablaufhemmung hat den Zweck, zu verhindern, dass bei Steuerhinterziehungen © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 42 von 49 i.S.d. § 370 AO oder leichtfertigen Steuerverkürzungen nach § 378 AO die Festsetzungsverjährung eintritt, obwohl die Strafverfolgungsverjährung bzw. die Frist für die Verfolgung der Steuerordnungswidrigkeit noch nicht abgelaufen ist. Die Verjährungsfrist beträgt z.B. 15 Jahre in Fällen von besonders schwerer Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 - 6 AO (§ 376 Abs. 1 AO). 1.3.7.7 Ablaufhemmung in den Fällen der §§ 164 und 165 AO gem. § 171 Abs. 8 AO Sehr deutlich wird der Unterschied zwischen der Vorläufigkeit § 165 AO im Vergleich zur Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) durch den § 171 Abs. 8 AO. § 164 Abs. 4 S. 1 AO bestimmt, dass der Vorbehalt wegfällt, wenn die vierjährige Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO) abgelaufen ist. Eine dem entsprechende Vorschrift für den § 165 AO existiert nicht. Darum kann es durchaus positiv sein, vor allem wenn die nach § 165 Abs. 1 AO erforderliche Ungewissheit längere Zeit andauern wird (was bei anhängigen Verfahren regelmäßig der Fall ist, den Bescheid vorläufig zu erlassen (AEAO Nr. 5 zu § 171 AO). Übungsfall: Die Schwestern Anna und Berta Hase fechten seit Jahren einen Rechtsstreit vor dem Landgericht Hagen, wem im Jahre 01 Zinsen in Höhe von 35.000 € zugeflossen sind. Die Schwestern scheuen nicht davor zurück, dafür durch alle Gerichtsinstanzen zu gehen, weshalb man mit mehreren Jahren Dauer rechnet. Der zuständige Veranlagungsbezirk des FA Hagen berücksichtigte bei der Veranlagung die Zinsen als Einnahmen aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG) bei Anna Hase und erlässt in 02 beide Bescheide, auch den von Berta Hase, in diesem Punkt vorläufig. Am 11.06.09 erfährt das FA, dass der Rechtsstreit seit November 08 zugunsten Berta Hases rechtskräftig und final entschieden ist. Kann das FA die Bescheide noch ändern? Lösung: Das FA hat die ESt-Bescheide rechtsfehlerfrei nach § 165 Abs. 1 S. 1 AO vorläufig erlassen, da eine punktuelle, objektive Ungewissheit vorlag, die noch einer Klärung bedurfte. Die reguläre Festsetzungsfrist wäre Ende 06 abgelaufen (§ 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO, § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO). Soweit es sich um die strittigen Zinsen handelt, kann das FA noch bis zum Ablauf des 11.06.10 beide Bescheide nach § 165 Abs. 2 AO korrigieren (§ 171 Abs. 8 AO). Zur Fristberechnung vgl. § 108 Abs. 1 AO und §§ 187 ff. BGB. Hätte das FA die Bescheide nach § 164 Abs. 1 AO unte