🎧 New: AI-Generated Podcasts Turn your study notes into engaging audio conversations. Learn more

abgabenordnung-ao-5ea417761a694a705a35f6b3.pdf

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

Full Transcript

Abgabenordnung Rechtsbehelfsverfahren Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Autor: examio GmbH © examio GmbH - 03.03.2024 INHALTSVERZEICHNIS 1 Rechtsbehelfsverfahren 1.1 3 Einführung 3 Überblick über das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren 1.2 Außergerichtli...

Abgabenordnung Rechtsbehelfsverfahren Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Autor: examio GmbH © examio GmbH - 03.03.2024 INHALTSVERZEICHNIS 1 Rechtsbehelfsverfahren 1.1 3 Einführung 3 Überblick über das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren 1.2 Außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren - (Einspruchsverfahren) 5 1.2.1 5 Vorbemerkungen Das Einspruchsverfahren 1.2.2 Zulässigkeit 6 1.2.2.1 Voraussetzungen 6 1.2.2.2 Statthaftigkeit gem. § 347 AO 8 1.2.2.2.1 Vorbemerkungen 8 1.2.2.2.2 Zulässigkeit des Finanzrechtsweges 8 1.2.2.2.3 Verwaltungsakt in Abgabenangelegenheiten 9 1.2.2.2.3.1 Begriffliches 1.2.2.3 1.2.2.2.3.2 Untätigkeitseinspruch 10 1.2.2.2.3.3 Einspruch gegen nichtige Verwaltungsakte/ Scheinverwaltungsakte 10 Form Formerfordernisse 10 1.2.2.3.2 Äußere Form 11 1.2.2.3.2.1 Schriftlich 11 1.2.2.3.2.2 Elektronisch 12 1.2.2.3.2.3 Erklärung zur Niederschrift 13 1.2.2.6 Erkennbarkeit des Nachprüfungsbegehrens 13 Beschwer gem. § 350 AO 13 1.2.2.4.1 Inhaltliche Bedeutung des Begriffes 13 1.2.2.4.2 Beschwer bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten 15 Beschwer bei Gewinnfeststellungsbescheiden 15 1.2.2.4.3 1.2.2.5 10 1.2.2.3.1 1.2.2.3.3 1.2.2.4 9 Einspruchsbefugnis bei einheitlichen und gesonderten Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen, § 352 AO 16 1.2.2.5.1 Allgemeine Grundsätze 16 1.2.2.5.2 Einspruchsbefugnis nach § 352 AO 18 1.2.2.5.3 Zusammenfassender Übungsfall 18 Einspruchsverzicht gem. § 354 AO © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) 24 Seite 1 von 42 1.2.3 Einspruchsfrist gem. § 355 AO 24 1.2.3.1 Grundsätze 24 1.2.3.2 Anbringungsbehörde, § 357 Abs. 2 AO 25 1.2.3.3 Beispiele zu den prüfungsrelevanten Besonderheiten bei der Fristberechnung 26 1.2.4 Hinzuziehung, § 360 AO 28 1.2.5 Aussetzung der Vollziehung gem. § 361 AO 29 1.2.5.1 29 Bedeutung der Aussetzung der Vollziehung Übersicht zur Aussetzung der Vollziehung 1.2.5.2 30 1.2.5.2.1 Vorliegen eines Rechtsbehelfes 30 1.2.5.2.2 Übersicht über vollziehbare Verwaltungsakte 31 1.2.5.3 Aussetzung der Vollziehung von Amts wegen 31 1.2.5.4 Aussetzung der Vollziehung auf Antrag 32 1.2.5.5 1.2.5.4.1 Antrag auf Aussetzung beim Finanzamt 32 1.2.5.4.2 Antrag auf Aussetzung der Vollziehung im außergerichtlichen Einspruchsverfahren an das Finanzgericht 32 Wirkung der Aussetzung auf Vollziehung 33 1.2.6 Rücknahme des Einspruchs gem. § 362 AO 33 1.2.7 Entscheidung(sverfahren) über den Einspruch gem. § 367 AO 33 1.2.7.1 Vorbemerkungen 33 1.2.7.2 Erneute Prüfung der Sache in vollem Umfang 34 1.2.7.3 1.2.8 1.2.9 1.3 Voraussetzung der Aussetzung der Vollziehung 1.2.7.2.1 Vorbemerkungen 34 1.2.7.2.2 Einsprüche gegen Korrekturbescheide 35 1.2.7.2.3 Einsprüche gegen Grundlagenbescheide 36 1.2.7.2.4 Korrekturen von Steuerverwaltungsakten im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren 37 Einspruchsentscheidung (als Verfahrensabschluss) 38 Einspruchsentscheidung gem. § 366 AO 39 1.2.8.1 39 Einspruchsentscheidung als Verwaltungsakt Zusammenfassende Betrachtung zu den Beendigungsmöglichkeiten eines Einspruchsverfahrens Gerichtliches Rechtsbehelfsverfahren © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) 40 41 Seite 2 von 42 1 Rechtsbehelfsverfahren 1.1 Einführung In einem Rechtstaat hat der Bürger die Möglichkeit, gegen hoheitliche Entscheidungen der Finanzverwaltung (und auch anderer Verwaltungen) vorzugehen. Hierbei wird unterschieden zwischen außergerichtlichen und gerichtlichen Rechtsbehelfen. Nach Art. 19 IV GG können Maßnahmen der Verwaltung gerichtlich überprüft werden. Gegen einen Verwaltungsakt, speziell gegen Steuerbescheide, sind folgende außergerichtliche und gerichtliche Rechtsbehelfe möglich: außergerichtlich ◦ Einspruch gerichtlich ◦ Klage und ◦ Revision.  HINWEIS In diesem Kapitel beleuchten wir das oft sehr prüfungsrelevante außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren (= Einspruchsverfahren). Dieses Verfahren dient der Überprüfung von Entscheidungen einer Finanzbehörde, ohne Gerichte einzuschalten. Zunächst sind stets die formellen Zulässigkeitsvoraussetzungen zu prüfen. Erst bei Feststellung der Zulässigkeit widmet sich das Finanzamt der Begründetheit. Es gibt verschiedene Entscheidungsmöglichkeiten, auf die wir auf den nächsten Seiten eingehen. Der Siebte Teil der Abgabenordnung (AO) ist mit „Außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren“ überschrieben. Als außergerichtlichen Rechtsbehelf stellt die AO den Einspruch zur Verfügung, § 347 AO. Das Einspruchsverfahren ist zugleich ein notwendiges Vorverfahren für eine Klage vor dem Finanzgericht, § 44 FGO, § 46 FGO. Außergerichtlicher Rechtsbehelf und Einspruch sind also Synonyme. Das rührt aus einer Zeit, als es noch einen weiteren Rechtsbehelf gab, auf den jedoch nicht näher eingegangen wird. Ein außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren kann insgesamt folgende Stufen enthalten: © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 3 von 42 Liegen die Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Einspruchs vor, erfolgt die Prüfung der Begründetheit. Es gilt hierbei der Grundsatz der Vollüberprüfung (§ 367 Abs. 2 S. 1 AO). Je nach Fallkonstellation bietet es sich an persönliche „Textbausteine“ auswendig zu lernen, damit man sich in der Klausur keine Gedanken über Standartformulierungen machen muss und damit Zeit sparen kann. Mögliche Formulierungen könnten etwa sein:  PRÜFUNGSTIPP Einleitung:„Ein zulässiger und begründeter Einspruch hat Aussicht auf Erfolg.“ Danach sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Einspruchs zu prüfen. Ist auch nur eine Zulässigkeitsvoraussetzung nicht erfüllt, so ist der Einspruch unzulässig:„Der Einspruch wird als unzulässig verworfen (§ 358 S. 2 AO) und hat damit keine Aussicht auf Erfolg.“ Sofern alle Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen, erfolgt die Gesamtfallüberprüfung im Rahmen der Begründetheit:„Der Fall ist in vollem Umfang erneut zu prüfen (§ 367 Abs. 2 S. 1 AO).“ Bei der Begründetheit des Einspruchs ist wiederum zu differenzieren: Der Einspruch ist in vollem Umfang begründet:„Der Einspruch ist in vollem Umfang begründet und hat damit Aussicht auf Erfolg.“ Der Einspruch ist nicht in vollem Umfang begründet:„Der Einspruch ist teilweise begründet und hat damit teilweise Aussicht auf Erfolg.“ Der Einspruch ist in vollem Umfang unbegründet:„Der Einspruch ist unbegründet und hat damit keine Aussicht auf Erfolg.“ Schreiben Sie in Klausuren immer das Ergebnis hin (wird oft vergessen, was leider Punkte kostet). © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 4 von 42 Überblick über das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren www.steuerkurse.de/go/3895ef2 1.2 1.2.1 Außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren - (Einspruchsverfahren) Vorbemerkungen Der Einspruch ist bei der Finanzbehörde selbst einzulegen, welche den Verwaltungsakt erlassen hat. Das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren des Einspruchs ist für den Steuerpflichtigen kostenfrei. Es soll dazu dienen, ein aufwändiges Gerichtsverfahren zu vermeiden. Dadurch, dass bei der Erstellung von Millionen von Steuerbescheiden gegen Millionen von Steuerpflichtigen und aufgrund der Komplexität des deutschen Steuerrechts Fehler unvermeidlich sind, wird also durch die Möglichkeit des Einspruchs vermieden, dass wegen mancher kleinerer Fehler direkt ein Gerichtsverfahren eingeleitet werden muss. Man bezeichnet den Einspruch als verlängertes Veranlagungsverfahren, weil hierdurch die Behörde, welche den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, diesen nochmals zu überprüfen hat (§ 367 II 1AO). Das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren (= Einspruchsverfahren) verläuft in folgenden Schritten: Prüfung, ob die Voraussetzungen der Zulässigkeit gegeben sind (§ 358 AO), materiell-rechtliche inhaltliche Prüfung der Begründetheit (vgl. § 367 II AO), Entscheidung über den Einspruch (§ 367 I AO). Das Einspruchsverfahren In diesem Video wird das Einspruchsverfahren (außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren) ausführlich erläutert. © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 5 von 42 www.steuerkurse.de/go/77c8d81 1.2.2 Zulässigkeit Zulässigkeit vs. Begründetheit 1.2.2.1 Voraussetzungen Zunächst muss also überprüft werden, ob der Einspruch formell zulässig ist. Hierfür sind einzelne Voraussetzungen kumuliert zu überprüfen (§ 358 S.1 AO). Wenn auch nur eine dieser Zulässigkeitsvoraussetzungen für einen formellen Rechtsbehelf wie den Einspruch nicht erfüllt ist, so ist dieser Rechtsbehelf unzulässig bzw. wird vom Finanzamt als unzulässig verworfen, ohne dass überprüft wird, ob der angegriffene Verwaltungsakt sachlich richtig ist (§ 358 S.2 AO). © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 6 von 42  HINWEIS Ein Einspruch muss erst die formellen Hürden nehmen. Erst danach schaut man nach der Begründung. Darum ist die Begründung selbst auch keine Voraussetzung für die Zulässigkeit, sondern lediglich eine Soll-Vorschrift, die nur zur einer Ablehnung wegen fehlender Begründung führen kann. Aber zunächst ist der Einspruch formell in der Welt und muss bearbeitet werden, wenn die Formalia erfüllt sind. Die sachliche Überprüfung erfolgt erst im zweiten Schritt. Im Ergebnis für den Steuerpflichtigen kommt dies einer Ablehnung des Einspruchs und also der Unbegründetheit natürlich gleich. Trotzdem darf nicht verkannt werden, dass bereits auf einer ersten Ebene der Einspruch überhaupt nicht überprüft wird, weil er unzulässig ist. In diesem Fall bliebe ggf. nur noch die Möglichkeit, Berichtigungsvorschriften anzuwenden. Die wichtigsten Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 358 AO sind folgende: Statthaftigkeit, Form, Frist, Beschwer und Einspruchsbefugnis. Das FA tritt auf einen Einspruch hin nur dann in die materiell-rechtliche Prüfung des Sachverhalts ein, wenn alle formellen Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt sind. Ist ein Einspruch unzulässig, weil eine dieser Voraussetzungen nicht vorliegt, wird der Einspruch als unzulässig verworfen (§ 358 S. 2 AO). Die einzelnen Zulässigkeitsvoraussetzungen ergeben sich aus §§ 347 ff. AO. © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 7 von 42 1.2.2.2 Statthaftigkeit gem. § 347 AO 1.2.2.2.1 Vorbemerkungen Damit ein Einspruch statthaft sein kann, muss er sich gegen einen wirksamen Verwaltungsakt der Finanzbehörden wenden (§ 347 AO, § 348 AO). Hierzu ist der Einspruch bei jener Behörde einzuwenden, welche den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat (§ 357 II 1 AO). Zu dieser Regel existiert eine Ausnahme. Bei der Aufspaltung in Grundlagen- und Folgebescheide können Einsprüche gegen Grundlagenbescheide auch bei jener Behörde eingelegt werden, welche lediglich den Folgebescheid ausgestellt hat (§ 357 II 3 AO). Ein Einspruch ist nicht deswegen schon unstatthaft, weil die Bezeichnung „Einspruch” im Titel des Briefes fehlt (§ 357 I 4 AO). www.steuerkurse.de/go/e4b55df  MERKE Die Statthaftigkeit dürfte in fast allen Prüfungen unproblematisch sein. 1.2.2.2.2 Zulässigkeit des Finanzrechtsweges Nach § 347 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 + Abs. 2 AO ist ein Einspruch gegen Verwaltungsakte in Abgabenangelegenheiten statthaft (Statthaftigkeit = Zulässigkeitsvoraussetzung). Übungsfall: 1. Der Steuerpflichtige Rudi Ruck hat seine Einkommensteuer 20 leichtfertig verkürzt (§ 378 AO). Daraufhin erhält er einen Bußgeldbescheid gem. § 410 Abs. 1 AO, §§ 65, 66 OWiG. 2. Der Steuerpflichtige Paul Ahner hat seine Einkommensteuererklärung 20 deutlich nach Ablauf der Abgabefrist für Steuererklärungen bei seinem zuständigen Finanzamt eingereicht. Aufgrund dessen erlässt das zuständige Finanzamt einen erklärungsgemäßen Einkommensteuerbescheid 20 und setzt gleichzeitig einen Verspätungszuschlag gem. § 152 AO fest. 3. Frank Reich ist als Komplementär an der RXY-KG beteiligt. Als Empfangsbevollmächtigter i.S.d. § 183 Abs. 1 S. 2 AO erhält er den Feststellungsbescheid 20 für die RXY-KG. 4. Die Steuerpflichtige Maria Krohn unterhält einen Gewerbebetrieb. Für das Jahr 2020 erhält sie vom Finanzamt Kamp-Lintfort einen Gewerbesteuermessbescheid gem. § 14 GewStG und einige Zeit später einen Gewerbesteuerbescheid gem. § 16 GewStG von der Stadt © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 8 von 42 Moers. In welchen Fällen kann hier Einspruch eingelegt werden? Lösungen 1. Keine Abgabenangelegenheiten i.S.d. § 347 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 + Abs. 2 AO liegen im Falle von Bußgeldbescheiden vor, welche Ordnungswidrigkeiten ahnden. Hier wäre der „Einspruch“ zum Strafgericht gem. § 67 OWiG der richtige Rechtsbehelf. 2. Gegen den Einkommensteuerbescheid und gegen die Festsetzung des Verspätungszuschlags (= sonstiger Verwaltungsakt) wäre ein Einspruch statthaft, da es sich um Verwaltungsakte in Abgabenangelegenheiten handelt (§ 347 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 + Abs. 2 AO). 3. Bei Feststellungsbescheiden handelt es sich um Verwaltungsakte, die den Steuerbescheiden gleichgestellt sind. Feststellungsbescheide sind Grundlagenbescheide mit Bindungswirkung (vgl. § 182 Abs. 1 S. 1 AO) für Folgebescheide (z.B. Einkommensteuerbescheid). Ein Einspruch gegen einen solchen Feststellungsbescheid wäre demnach statthaft, da es sich um einen Verwaltungsakt in Abgabenangelegenheiten handelt (§ 347 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 + Abs. 2 AO). 4. Bei dem Gewerbesteuermessbescheid handelt es sich um einen Verwaltungsakt in Abgabenangelegenheiten (§ 347 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 + Abs. 2 AO), wogegen ein Einspruch statthaft wäre. Gem. § 184 AO werden Gewerbesteuermessbescheide von den Finanzämtern erlassen und bilden den Grundlagenbescheid für die Gewerbesteuer. Gem. § 4 GewStG wird der Folgebescheid (= Gewerbesteuerbescheid) von der Stadt Moers erlassen. Eine Abgabenangelegenheit i.S.d. § 347 Abs. 2 AO liegt bei dem Gewerbesteuerbescheid nicht vor, da die Stadt keine Finanzbehörde ist. Möchte sich der Steuerpflichtige gegen den Gewerbesteuerbescheid wenden, muss dieser Widerspruch bei der Stadt Moers erheben (§§ 68 f. VwGO). Gleiches gilt nach dem GrStG für Grundsteuermessbescheide und Grundsteuerbescheide. Weitere Fälle des Finanzrechtsweges: vgl. § 347 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 bis 4 AO 1.2.2.2.3 Verwaltungsakt in Abgabenangelegenheiten 1.2.2.2.3.1 Begriffliches  BEISPIEL Der Arbeitnehmer A hat am 17. Januar 01 seinen Antrag auf Veranlagung zur ESt für das Jahr 00 (§ 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG) gestellt. Am 3.4.02 wird ihm ein Erstattungsbetrag von 1.888 € auf sein Konto als Einkommensteuererstattung überwiesen. Den Steuerbescheid hat er noch nicht erhalten. A wundert sich, denn der Erstattungsbetrag ist niedriger als beantragt. Darum legt er Einspruch nach § 347 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO ein. Der Einspruch ist als unzulässig zu verwerfen, da bei dessen Einlegung ein StVA noch nicht vorlag. Die Überweisung des Erstattungsbetrags ist kein VA (§ 118 AO und § 155 Abs. 1 AO), sondern nur dessen Folge. Nach § 347 AO ist gegen alle StVAe iSv. § 118 AO der Einspruch gegeben. Keine VAe (§ 118 AO) und damit nicht mit Einspruch anfechtbar sind z. B. Niederschlagungen (§ 261 AO), BP-Berichte (§ 202 AO), Richtlinien, Gerichtsurteile, verwaltungsinterne Maßnahmen und wiederholende Verfügungen. © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 9 von 42 1.2.2.2.3.2 Untätigkeitseinspruch Ist ein Verwaltungsakt nicht vorhanden, kann unter bestimmten Voraussetzungen ein sog. Untätigkeitseinspruch eingelegt werden (vgl. § 347 Abs. 1 S. 2 AO). Es handelt sich hierbei um Angelegenheiten i.S.d. § 347 Abs. 1 S. 1 AO über einen vom Einspruchsführer gestellten Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts. Über diesen Antrag erfolgte keine Entscheidung binnen angemessener Frist und auch keine Mitteilung eines sachlichen Grundes für die Verzögerung. Die Angemessenheit der Frist richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls hinsichtlich der Komplexität und des Umfangs. Als Anhaltspunkt kann die sechsmonatige Frist des § 46 FGO herangezogen werden. Der Untätigkeitseinspruch ist unbefristet möglich (§ 355 Abs. 2 AO). Sofern auch keine Entscheidung über den Untätigkeitseinspruch seitens des Finanzamts getroffen wird, kann der Betroffene eine Untätigkeitsklage (§ 46 FGO) erheben (§ 348 Nr. 2 AO). Lange Wartezeiten kommen durchaus vor, Untätigkeitsklagen dagegen eher selten. Vermutlich, weil man sich nicht den Zorn des FA zuziehen möchte.  BEISPIEL Der Steuerpflichtige Bernhard Diener erzielt lediglich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Er stellt am 10.05.21 einen Antrag auf Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 20. Nach Ablauf eines Jahres hat er immer noch keinen Einkommensteuerbescheid 20 erhalten. Das Finanzamt hat sich bislang in keinster Weise dazu geäußert. Diener kann nunmehr einen Untätigkeitseinspruch nach § 347 Abs. 1 S. 2 AO einlegen und erneut darum bitten, dass das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid 20 erlässt. Sollte das Finanzamt auch bezüglich des Untätigkeitseinspruchs nicht tätig werden, könnte Diener eine Untätigkeitsklage erheben (vgl. § 46 FGO). 1.2.2.2.3.3 Einspruch gegen nichtige Verwaltungsakte/Scheinverwaltungsakte Aufgrund der faktischen Wirkung von nichtigen bzw. Scheinverwaltungsakten, da sie von einer mit staatlicher Autorität ausgestatteten Behörde stammen und Rechtwirkung auszulösen scheinen, ist aus Rechtsschutzgründen daher der Einspruch auch unbefristet (kein § 355 AO) statthaft (§§ 124 Abs. 3, 125 AO; vgl. auch AEAO zu § 347 Nr. 1). 1.2.2.3 1.2.2.3.1 Form Formerfordernisse Zunächst schauen wir uns zum Thema Formerfordernisse folgendes Lernvideo an. © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 10 von 42 www.steuerkurse.de/go/e4bf2c0 Ein Einspruch muss schriftlich oder elektronisch eingereicht werden. Er hat also durch einfachen Brief, Telegramm, Telefax oder E-Mail zu erfolgen bzw. muss an Amtsstelle zur Niederschrift erklärt werden (§ 357 I AO). Der Rechtsbehelf des Einspruchs kann also nicht mündlich eingelegt werden. Darüber hinaus muss aus dem Einspruch deutlich hervorgehen, welche Person den Einspruch einlegt und welcher Verwaltungsakt überhaupt durch den Einspruch angegriffen wird (§ 357 I 2 § 357 III 1 AO). Der Einspruch soll Antrag, Begründung und Beweismittel enthalten (§ 357 III 2,3 AO).  BEISPIEL Der Steuerpflichtige Fritz S. aus Essen schickt folgendes Schreiben an sein Finanzamt in Essen-Ost: Betreff: Steuernummer 123/489/9576 Ihre Steuerfestsetzung vom 15.08.2016 ist total falsch. Ich bitte um Rücknahme. Dieses Schreiben ist ein Einspruch, denn er wendet sich gegen einen wirksamen Verwaltungsakt der Finanzbehörde, nämlich den Steuerbescheid vom angegebenen Datum. Dass das Wort „Einspruch” in der Betreffzeile fehlt, ist unschädlich. Der Einspruch ist also statthaft. Darüber hinaus sind die Formvorschriften gewahrt, denn der Einspruch erfolgt schriftlich durch einen einfachen Brief. Darüber hinaus geht klar hervor, wer der Einspruchsführer ist, nämlich Fritz S., und welcher Verwaltungsakt angegriffen wird, nämlich die Steuerfestsetzung vom besagten Datum. Dass Fritz sein Schreiben nicht unterschrieben hat, ist ebenfalls unschädlich. Begründung und Beweismittel sind keine Pflichtvoraussetzungen für die Formgebundenheit des Einspruchs. Trotz ihres Fehlens ist der Verwaltungsakt also sehr wohl von Amts wegen zu überprüfen. 1.2.2.3.2 Äußere Form 1.2.2.3.2.1 Schriftlich Der Einspruch muss nach § 357 Abs. 1 AO: schriftlich oder elektronisch (Telefax, ELSTER, E-Mail) eingereicht oder zur Niederschrift erklärt werden (§ 357 Abs. 1 S. 1 AO) und den Absender erkennen lassen (§ 357 Abs. 1 S. 2 AO) © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 11 von 42 Um den Absender erkennen zu können reicht die Angabe der Steuernummer / Identifikationsnummer aus. Eine Unterschrift des Steuerpflichtigen ist nicht erforderlich (anders: Klageschrift im finanzgerichtlichen Verfahren gem. § 64 Abs. 1 FGO). Die unrichtige Bezeichnung des Einspruchs, etwa als „Widerspruch“ oder „Beschwerde“ schadet nicht (§ 357 Abs. 1 S. 3 AO). Auch eine fehlende Bezeichnung des angefochtenen Verwaltungsakts steht der Zulässigkeit des Einspruchs nicht entgegen. Das Schreiben muss erkennen lassen, dass der Einspruchsführer mit einer Maßnahme des Finanzamts nicht einverstanden ist:„Ihr habt schon wieder vergessen meine Werbungskosten zu berücksichtigen!“. Der Einspruch soll nach § 357 Abs. 3 AO: den Verwaltungsakt bezeichnen, gegen den der Einspruch gerichtet ist eine Begründung enthalten eine Angabe von Tatsachen und Beweismittel enthalten Es macht den Einspruch nicht unzulässig, wenn die „Soll-Angaben“ fehlen. Im Zweifel ist auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines schlichten Antrages auf Änderung ein Einspruch anzunehmen, da er die Rechte des Steuerpflichtigen umfassender wahrt als ein Korrekturantrag (vgl. AEAO vor § 347 Nr. 1). Übungsfall: 1. Der Steuerpflichtige Armin Arm legt am 11.11.21 telefonisch „Beschwerde“ gegen seinen Umsatzsteuerbescheid 20 ein, da das Finanzamt Vorsteuern zu Unrecht nicht berücksichtigt hat. 2. Die Steuerpflichtige Klara Fall erhebt mit Schreiben vom 11.11.21 (= Eingang im Finanzamt) „Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 20 vom 28.10.21“. 3. Der Steuerpflichtige Bernd Sorglos erhält am 11.11.21 seinen Einkommensteuerbescheid 20 vom 09.11.21. Das Schreiben des Sorglos vom 20.11.21 (= Eingang beim Finanzamt) enthält lediglich folgenden Inhalt: „Ich bin mir Ihrem Schreiben vom 09.11.21 nicht einverstanden!!“. Die Aufforderungen und Erinnerungen des Finanzamts, das Schreiben des Sorglos zu begründen werden vom Steuerpflichtigen ignoriert. Liegen in den o.g. Fallkonstellationen formgerechte und zulässige Einsprüche vor? Lösung: 1. Im Falle des Armin Arm liegt kein zulässiger Einspruch vor, da dieser nicht formgerecht wäre (vgl. § 357 Abs. 1 S. 1 AO). Gem. § 89 Abs. 1 S. 1 AO soll das Finanzamt hierbei auf die Schriftformerfordernis hinweisen. Die „Beschwerde“ könnte hier allerdings als Antrag auf schlichte Änderung gem. § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. a AO ausgelegt werden. 2. Die unrichtige Bezeichnung des Einspruchs der Steuerpflichtigen als „Klage“ schadet nicht gem. § 357 Abs. 1 S. 3 AO und macht den Einspruch nicht unzulässig (§ 347 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 + Abs. 2 AO). Durch das Schreiben ist erkennbar, dass Fall mit dem Einkommensteuerbescheid 20 nicht einverstanden ist. Eine Klage wäre ohne vorangehendem außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren ohnehin ausgeschlossen gem. § 44 FGO. 3. Die fehlende Bezeichnung des Einspruchs schadet nicht gem. § 357 Abs. 1 S. 3 AO und macht den Einspruch nicht unzulässig (§ 347 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 + Abs. 2 AO). Bei der Begründung des Einspruchs handelt es sich auch lediglich um eine „Soll-Angabe“ (§ 357 Abs. 3 AO). 1.2.2.3.2.2 Elektronisch Wie bereits o.g. kann ein Einspruch auch elektronisch eingereicht werden (vgl. § 357 Abs. 1 S. 1 AO). Eine Unterschrift ist nicht erforderlich. Jedoch sollte der Einspruchsführer erkennbar sein (vgl. § © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 12 von 42 357 Abs. 1 S. 2 AO). Ein elektronisch erhobener Einspruch bedarf keiner qualifizierten elektronischen Signatur (vgl. AEAO zu § 357 Nr. 1 und zu § 87a Nr. 3.2.4). 1.2.2.3.2.3 Erklärung zur Niederschrift Gemäß § 357 Abs. 1 S. 1 AO kann der Einspruch dem FA auch zur Niederschrift erklärt werden. In diesem Fall protokolliert der Bearbeiter im Finanzamt das Einspruchsbegehren und bestätigt diesen Vorgang durch seine Unterschrift. Der Einspruchsführer hat das Protokoll zu unterschreiben.  HINWEIS Deshalb kann ein Einspruch nicht „telefonisch zur Niederschrift“ eingelegt werden. Denn es fehlt an der – hier erforderlichen – Unterschrift. 1.2.2.3.3 Erkennbarkeit des Nachprüfungsbegehrens Eine fehlende oder unrichtige Bezeichnung (z.B. Widerspruch, Beschwerde, etc.) ist gem. § 357 Abs. 1 S. 3 AO unschädlich. Das Schreiben muss jedoch erkennen lassen, dass der Steuerpflichtige bzw. Einspruchsführer mit einer Maßnahme (einem Verwaltungsakt) des Finanzamts nicht einverstanden ist. 1.2.2.4 1.2.2.4.1  Beschwer gem. § 350 AO Inhaltliche Bedeutung des Begriffes MERKE Durch den Verwaltungsakt muss ein Steuerpflichtiger beschwert sein. Der Steuerpflichtige muss also in seinem Einspruch geltend machen, dass er in seinen Rechten durch den Verwaltungsakt beeinträchtigt, das heißt beschwert wird (§ 350 AO). Er muss diese Behauptung nicht begründen und nicht beweisen. Die Behauptung reicht also aus. Die Beschwer wird lediglich in manchen Ausnahmefällen nicht gegeben sein.  BEISPIEL Die Steuerpflichtige Dagmar aus Bochum hat ein zu versteuerndes Einkommen im Jahre 01 von 5.000 €. Das zuständige Finanzamt in Bochum schickt deswegen einen Steuerbescheid in Höhe von 0 € Einkommensteuer der steuerpflichtigen Dagmar zu, weil das steuerpflichtige Einkommen unterhalb des Grundfreibetrages liegt. Dagmar legt Einspruch gegen den Steuerbescheid ein. Dieser ist unzulässig, weil die Beschwer fehlt, denn eine Einkommensteuer kann nicht unterhalb von 0 € festgesetzt werden. Lediglich dann, wenn es um außersteuerliche Bindungswirkungen für andere Verwaltungsakte geht, kann eine Beschwer bei einer festgesetzten Steuer in Höhe von 0 € angenommen werden (AEAO zu © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 13 von 42 § 350 Nr. 3). Außerdem ist es wichtig zu wissen, dass (neben dem Adressaten), nur derjenige beschwert ist und folglich zum Einspruch befugt, der betroffen ist durch das, was im Verwaltungsakt geregelt wird. Die Rechtsverletzung muss also vom Betroffenen gerügt werden. Der Steuerpflichtige kann nur durch den Tenor des Verwaltungsaktes (= konkrete Regelung) beschwert sein, sodass sich aus nicht gesondert festgestellten Besteuerungsgrundlagen (§ 157 Abs. 2 AO) keine Beschwer ergibt. Die Beschwer ergibt sich also nur durch die Höhe der festgesetzten Steuer im Verhältnis zur angestrebten Steuer. Einschränkungen zur Beschwer ergeben sich etwa im Feststellungsverfahren aufgrund des § 352 AO.  BEISPIEL Die Steuerpflichtige Elke Ehrlich erhält am 10.05.22 ihren Einkommensteuerbescheid 20 (Aufgabe mit einfachem Brief zur Post am 08.05.22): Festgesetzte Steuer: 4.900 € anzurechnende LSt: 5.000 € Erstattungsbetrag 100 € Frau Ehrlich legt form- und fristgerecht Einspruch ein. Ist sie beschwert? Der Einspruch richtet sich gegen den Einkommensteuerbescheid 20, dessen Regelungsgehalt die Steuerfestsetzung ist, hier 4.900 € (Steuer > 0 €). Demnach ist die Steuerpflichtige durch den Verwaltungsakt belastet. Das Ergebnis der Erstattung über die anzurechnende Lohnsteuer in unerheblich. Darüber hinaus spielen auch die Besteuerungsgrundlagen, wie Einkunftsart, Kindefreibeträge, Sonderausgaben, usw. keine Rolle. Frau Ehrlich ist demnach beschwert gem. § 350 AO.  BEISPIEL Ernst Haft haftet gem. § 73 AO. Hierüber wird ihm ein entsprechender Haftungsbescheid über eine Haftungsschuld von 55.000 € mittels Postzustellungsurkunde zugestellt. Aufgabe zur Post am 08.05.22. Der Postbote hat den Bescheid am 10.05.22 ausgehändigt und dies entsprechend vermerkt. Auszug aus dem Haftungsbescheid: „Der Steuerpflichtige Armin Ärmlich schuldet dem Finanzamt als Steuerschuldner folgende Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, für die Sie – Ernst Haft - neben dem Steuerpflichtigen in nachstehender Höhe haften (§§ 73, 191 AO): Einkommensteuer 2018, Fälligkeit 12.10.2020, Haftungsbetrag 55.000 €“ Auch in diesem Fall spielen die Haftungsgrundlagen keine Rolle für eine mögliche Beschwer des Ernst Haft gem. § 350 AO. © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 14 von 42  BEISPIEL D legt Einspruch gegen den ESt-Bescheid für das Jahr 01 wegen der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Abziehbarkeit von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung als vorweggenommene Werbungskosten ein. Der Bescheid enthält diesbezüglich einen Vorläufigkeitsvermerk gem. § 165 Abs. 1 S. 2 AO. Im Umfang der Vorläufigkeit fehlt es an einer Beschwer in der Sonderform eines Rechtsschutzinteresses, weil der Stpfl. auch ohne Einspruch sein Begehren über § 165 Abs. 2 S. 1 AO erreichen kann. 1.2.2.4.2 Beschwer bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten Nach den § 26 Abs. 1 EStG und § 26b EStG haben Ehegatten ein Wahlrecht bzgl. der Veranlagungsform. Sie können die Zusammenveranlagung wählen oder auch einzeln veranlagt werden. Bei der Zusammenveranlagung schulden sie beide die ESt als Gesamtschuldner (vgl. § 44 Abs. 1 AO). Daraus folgt, dass beide Ehegatten beschwert sind, auch wenn die Gründe ihres Einspruchs in den Einkünften des anderen Ehegatten liegen. Beachte allerdings, dass im Falle der Steuerhinterziehung nur der jeweils betroffene Ehegatte als Beteiligter gilt.  BEISPIEL Die Eheleute Gerda und Gerrit Glücklich werden zusammen zur Einkommensteuer 20 veranlagt. Frau Glücklich erzielt aus dem Betrieb ihres Cafés gewerbliche Einkünfte. Herr Glücklich erzielt als angestellter Steuerberater Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Einkommensteuerbescheid 20 geht am 08.05.22 mit einfachem Brief zur Post und geht den Eheleuten am 10.05.22 tatsächlich zu. Währenddessen befindet sich Frau Glücklich auf einer längeren Auslandsreise. Herr Glücklich kennt sich als Steuerberater ohnehin besser aus, wenn es um Steuern geht, sodass er formund fristgerecht Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 20 einlegt. Er trägt vor, dass bestimmte Betriebsausgaben seiner Ehefrau zu Unrecht bei ihren Einkünften aus gewerblicher Arbeit nicht berücksichtigt wurden. Ist der Einspruch im Hinblick auf die Beschwer zulässig? Durch den Einkommensteuerbescheid 20 sind die Eheleute Glücklich beschwert (§ 350 AO), da auch beide Gesamtschuldner i.S.d. § 44 AO sind. 1.2.2.4.3 Beschwer bei Gewinnfeststellungsbescheiden Bei Feststellungsbescheiden, wie Gewinnfeststellungsbescheiden (§ 179 AO, § 180 AO) o.ä. ergibt sich die Beschwer aller Feststellungsbeteiligten aus der Bindungswirkung (§ 182 Abs. 1 AO) für die Folgebescheide. © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 15 von 42  BEISPIEL Maria Krohn und Paul Ahner betreiben in der Rechtsform der KG einen Einzelhandel für Getränke. An der Gesellschaft sind beide zu je 50 % beteiligt. Das zuständige Finanzamt für die gesonderte und einheitliche Feststellung der KG stellt einen Gesamtgewinn i.H.v. 100.000 € fest und verteilt diesen je zu 50 % auf Krohn und Ahner. Krohn und Ahner sind jedoch der Auffassung, der Gesamtgewinn betrage lediglich 80.000 €. Liegt hinsichtlich der Gesellschafterin Krohn und des Gesellschafters Ahner eine Beschwer i.S.d. § 350 AO vor? Eine Beschwer bezüglich der Gesellschafterin Krohn und des Gesellschafters Ahner liegt aufgrund der Bindungswirkung gem. § 182 Abs. 1 S. 1 AO des Feststellungsbescheids (= Grundlagenbescheid) für die Folgebescheide (= Einkommensteuerbescheide der Krohn und des Ahner) vor (§ 350 AO). Folgendes Video geht nochmal zusammenfassend auf die Beschwer gem. § 350 AO ein. www.steuerkurse.de/go/e4cb148 1.2.2.5 1.2.2.5.1 Einspruchsbefugnis bei einheitlichen und gesonderten Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen, § 352 AO Allgemeine Grundsätze Erlass eines positiven oder negativen Feststellungsbescheides gemäß §§ 179 Abs. 1, 179 Abs. 2 Satz 2 und 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AO Prüfung der allgemein geltenden Zulässigkeitsvoraussetzungen für einen Einspruch: ◦ Statthaftigkeit, § 347 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ◦ Form, § 357 Abs. 1 AO ◦ Frist, §§ 355, 356 AO ◦ Beschwer, § 350 AO © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 16 von 42 Prüfung der Einspruchsbefugnis nach § 352 AO als zusätzliche Zulässigkeitsvoraussetzung; somit ist der Einspruch als unzulässig zu verwerfen, wenn die Tatbestandsmerkmale des § 352 Abs. 1 und 2 AO nicht erfüllt sind! Hinweis auf die notwendige Hinzuziehung anderer Gesellschafter bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 352 AO; vgl. hierzu § 360 Abs. 3 AO! Maßgebend für die Prüfung der Einspruchsbefugnis nach § 352 AO sind die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Einlegung des Einspruchs; unerheblich sind die Beteiligungs- und Vertretungsverhältnisse innerhalb des Veranlagungszeitraumes für den der Feststellungsbescheid ergangen ist. © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 17 von 42 1.2.2.5.2 Einspruchsbefugnis nach § 352 AO 1.2.2.5.3 Zusammenfassender Übungsfall Die zum 01.01.01 gegründete Sonne-KG betreibt ein Reisebüro und hat sich auf Flugreisen nach Spanien spezialisiert. Gesellschafter der KG sind die folgenden Personen: Bernd Baller (BB) und Martin Mann (MM) als Komplementäre mit einem Anteil am Gewinn und den stillen Reserven von jeweils 30 % Petra Palma (PP) und Rita Ratjada (RR) als Kommanditisten mit einem Anteil am Gewinn und © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 18 von 42 den stillen Reserven von jeweils 20 % Der Gesellschaftsvertrag enthält hinsichtlich der Geschäftsführung und Vertretung keine Regelungen. Nach Aufforderung durch das Finanzamt Gummersbach haben sämtliche Beteiligten an der Personengesellschaft im März 01 Petra Palma als Empfangsbevollmächtigte für alle mit der KG in Zusammenhang stehende Verwaltungsakte benannt. Veranlagungszeitraum 01 Aufgrund der fristgerecht abgegebenen Feststellungserklärung 01 hat das Finanzamt Gummersbach den endgültig erlassenen Feststellungsbescheid 01 am 19.07.02 ordnungsgemäß bekanntgegeben. Nach Prüfung durch die Gesellschafter sind im Feststellungsbescheid folgende materielle Fehler enthalten: Das Finanzamt hat in der Steuerbilanz der KG eine Rückstellung für Stornokosten iHv 60.000 € nicht anerkannt. MM hat die Darlehenszinsen zur Finanzierung seiner Einlage nicht geltend gemacht. RR ist Eigentümerin des Grundstücks, auf dem sich das Reisebüro befindet. Das Finanzamt hat als Erhaltungsaufwendungen geltend gemachte Umbaukosten als nachträgliche Herstellungskosten umqualifiziert. © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 19 von 42 Einspruchsantrag iSv § 357 Abs. 3 AO Rückstellung für Stornokosten Bekanntgabe, § 183 AO § 352 Abs. 1 Nr. 1 1. HS AO Bekanntgabe an PP gem. § 183 Abs. 1 S. 1, 5 AO X Einspruchsführer ist die KG, vertreten durch BB oder alternativ MM (§§ 161 II, 114 I und 125 I HGB) Darlehenszinsen zur Finanzierung der Einlage Erhaltungsaufwendungen Grundstück § 352 Abs. 1 Nr. 1 2. HS iVm Abs. 2 AO § 352 Abs. 1 Nr. 2 AO § 352 Abs. 1 Nr. 3 AO X Einspruchsführer ist die KG, vertreten durch BB oder alternativ MM (§§ 161 II, 114 I und 125 I HGB) X Einspruchsführer ist die KG, vertreten durch BB oder alternativ MM (§§ 161 II, 114 I und 125 I HGB) § 352 Abs. 1 Nr. 4 AO § 352 Abs. 1 Nr. 5 AO X Einspruchsführer ist der Gesellschafter M („soweit“) X Einspruchsführerin ist die Gesellschafterin RR („soweit“) Veranlagungszeitraum 02 Aus der Feststellungserklärung 02 war erkennbar, dass die Gesellschafterin PP ihren Kommanditanteil zum 01.07.02 an Anette Alcudia (AA) veräußert hat. Im Zusammenhang mit dem Ausscheiden von PP haben sämtliche Gesellschafter am 31.10.02 gegenüber dem Finanzamt ihre bisher gültige Willenserklärung zur Bekanntgabe von Feststellungsbescheiden widerrufen. Das Finanzamt Gummersbach hat den unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassenen Feststellungsbescheid 02 am 11.08.03 ordnungsgemäß bekanntgegeben. Nach Prüfung durch die Gesellschafter sind im Feststellungsbescheid folgende materielle Fehler enthalten: Das Finanzamt hat in der Steuerbilanz der KG eine Forderungsabschreibung gegenüber der Mega-Park AG iHv 20.000 € nicht anerkannt. Im Zusammenhang mit dem Ausscheiden von PP sind Veräußerungskosten iHv 5.000 € © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 20 von 42 bisher nicht geltend gemacht worden. Somit ist der Veräußerungsgewinn (§ 16 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 EStG) von PP zu hoch festgestellt worden. Bei der Gewinnverteilung sind RR 30 % und AA (ab 01.07.02) nur 10 % zugerechnet worden. © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 21 von 42 Einspruchsantrag iSv § 357 Abs. 3 AO Forderungsabschreibung Bekanntgabe, § 183 AO Bekanntgabe an BB oder alternativ MM, § 183 Abs. 1 Sätze 2 und 5 AO für BB, MM und AA Einzelbekanntgabe an PP, § 183 Abs. 2 AO Veräußerungskosten Gewinnverteilung § 352 Abs. 1 Nr. 1 1. HS AO § 352 Abs. 1 Nr. 1 2.HS iVm Abs. 2 AO § 352 Abs. 1 Nr. 2 AO § 352 Abs. 1 Nr. 3 AO X Einspruchsführer ist die KG, vertreten durch BB oder alternativ MM (§§ 161 II, 114 I und 125 I HGB) X Einspruchsführer ist die ausgeschiedene Gesellschafterin PP = Uneingeschränkte Einspruchsbefugnis X Einspruchsführer ist die KG, vertreten durch BB oder alternativ MM (§§ 161 II, 114 I und 125 I HGB) X Einspruchsführer ist die ausgeschiedene Gesellschafterin PP = Uneingeschränkte Einspruchsbefugnis X Einspruchsführer ist die KG, vertreten durch BB oder alternativ MM (§§ 161 II, 114 I und 125 I HGB) X Einspruchsführer ist die ausgeschiedene Gesellschafterin PP = Uneingeschränkte Einspruchsbefugnis § 352 Abs. 1 Nr. 4 AO § 352 Abs. 1 Nr. 5 AO X Einspruchsführer ist die ausgeschiedene Gesellschafterin PP („soweit“) X Einspruchsführer sind die Gesellschafter RR und AA („soweit“) Veranlagungszeitraum 03 © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 22 von 42 Aus der Feststellungserklärung 03 (Übermittlung am 30.06.04) war erkennbar, dass die Sonne-KG ihren Geschäftsbetrieb zum 31.12.03 eingestellt hat. Die Liquidation ist bereits zum 31.05.04 abgeschlossen und es bestehen keine steuerlichen Verpflichtungen der Gesellschaft gegenüber dem Finanzamt. Das Finanzamt Gummersbach hat den endgültig erlassenen Feststellungsbescheid 03 am 10.10.04 ordnungsgemäß bekanntgegeben. Nach Prüfung durch die Gesellschafter sind im Feststellungsbescheid folgende materielle Fehler enthalten: Das Finanzamt hat in der Steuerbilanz der KG die Betriebseinnahmen um 12.000 € erhöht. Für die Gesellschafterin RR sind die Sonder-BE um 4.000 € erhöht worden. Einspruchsantrag iSv § 357 Abs. 3 AO Bekanntgabe, § 183 AO Einzelbekanntgabe an die ehemaligen Gesellschafter, § 183 Abs. 2 AO BE der KG Sonder-BE (Kein Fall der Rückausnahme gemäß § 183 Abs. 3 AO; gilt nur bei § 183 Abs. 1 S. 1 AO) § 352 Abs. 1 Nr. 1 1. HS AO § 352 Abs. 1 Nr. 1 2. HS iVm Abs. 2 AO § 352 Abs. 1 Nr. 2 AO § 352 Abs. 1 Nr. 3 AO § 352 Abs. 1 Nr. 4 AO § 352 Abs. 1 Nr. 5 AO X Jeder ehemalige Gesellschafter als Einspruchsführer = Uneingeschränkte Einspruchsbefugnis X Jeder ehemalige Gesellschafter als Einspruchsführer = Uneingeschränkte Einspruchsbefugnis © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) X Einspruchsführerin ist die ehemalige Gesellschafterin RR („soweit“) Seite 23 von 42 1.2.2.6 Einspruchsverzicht gem. § 354 AO www.steuerkurse.de/go/998e7e4 Die Zulässigkeit des Einspruchs setzt voraus, dass der Betroffene nicht auf die Einlegung verzichtet hat, § 354 Abs. 1 S. 1, 3 AO. In zeitlicher Hinsicht kann ein solcher Verzicht vom Erlass des StVA bis zur Einlegung des Einspruchs erfolgen. Da es sich bei dem Verzicht um eine Verfahrenshandlung handelt, darf dieser keine weiteren Erklärungen (Bedingungen) enthalten (§ 354 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 AO), da er andernfalls unwirksam ist. 1.2.3 Einspruchsfrist gem. § 355 AO 1.2.3.1 Grundsätze Die Einspruchsfrist gem. §§ 355 ff. AO wird im folgenden Video besprochen. www.steuerkurse.de/go/e4d63d6 Für die Berechnung der Einspruchsfrist ist zunächst die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes im Sinne des § 124 Abs. 1 AO zu ermitteln; diese bestimmt sich wie folgt: Bekanntgabe mit einfachem Brief © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 24 von 42 § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO, § 124 Abs. 1 AO, § 108 Abs. 1 AO iVm §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 und 3 BGB und gegebenenfalls § 108 Abs. 3 AO § 122 Abs. 2 Nr. 1 Halbsatz 2 AO, § 124 Abs. 1 AO = Keine Frist, sondern Termin außerhalb der Frist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO; § 108 Abs. 3 AO gilt nicht! Heilung des Bekanntgabemangels analog § 8 VwZG, § 124 Abs. 1 AO = Keine Frist, sondern Termin außerhalb der Frist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO; § 108 Abs. 3 AO gilt nicht! Elektronische Bekanntgabe (E-Mail oder Telefax) § 122 Abs. 2a AO, § 124 Abs. 1 AO, § 108 Abs. 1 AO iVm §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 und 3 BGB und gegebenenfalls § 108 Abs. 3 AO Förmliche Zustellung § 122 Abs. 5 AO iVm –alternativ-- §§ 3, 4 oder 5 VwZG (Heilung Zustellungsmangel nach § 8 VwZG) und § 124 Abs. 1 AO; § 108 Abs. 3 AO gilt nicht! Bereitstellung zum Datenabruf § 122a Abs. 4 Satz 1 AO, § 124 Abs. 1 AO, § 108 Abs. 1 AO iVm §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 und 3 BGB und gegebenenfalls § 108 Abs. 3 AO ⇒ Heilung des Bekanntgabemangels am Tag des Datenabrufs, § 122a Abs. 4 Sätze 3 und 4 AO, § 124 Abs. 1 AO = Keine Frist, sondern Termin außerhalb der Frist des § 122a Abs. 4 Satz 1 AO Berechnung der Einspruchs- bzw. Ausschlussfrist § 355 Abs. 1 Satz 1 AO oder alternativ § 356 Abs. 1 und 2 AO, 357 Abs. 2 Sätze 1 und 4 AO, § 108 Abs. 1 AO iVm § 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 und 3 BGB und gegebenenfalls § 108 Abs. 3 AO 1.2.3.2 Anbringungsbehörde, § 357 Abs. 2 AO Behörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, § 357 Abs. Satz 1 AO Bei einem Einspruch gegen einen Grundlagenbescheid (zB Feststellungsbescheid) besteht ein Wahlrecht: Grundsätzlich ist der Einspruch nach § 357 Abs. 2 Satz 1 AO bei dem Finanzamt einzulegen, das denn Grundlagenbescheid erlassen hat. Es ist jedoch auch mit fristwahrender Wirkung möglich, den Einspruch bei dem Finanzamt einzulegen, dass für den Erlass der Einkommensteuerbescheide der Gesellschafter zuständig ist, § 357 Abs. 2 Satz 2 AO. © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 25 von 42 Ansonsten trägt der Einspruchsführer das Risiko einer rechtzeitigen Übermittlung an das zuständige Finanzamt, § 357 Abs. 2 Satz 4 AO. 1.2.3.3 Beispiele zu den prüfungsrelevanten Besonderheiten bei der Fristberechnung Fall 1 EStB 07 zur Post am Donnerstag, den 23.02.09 Einwurf in den Briefkasten des Adressaten am Freitag, 24.02.09 Tag der Bekanntgabe nach § 122 II Nr. 1 AO grundsätzlich Sonntag, 26.02.09; jedoch Verlängerung und damit Wirksamkeit gemäß § 124 Abs. 1 AO am Montag, den 27.02.09, § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO iVm §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB und § 108 Abs. 3 AO; vgl. AEAO, Tz 2 zu § 108 AO und die Ausführungen zu Tz 4! Früherer Zugang ist für die Wirksamkeit und für die Berechnung der Einspruchsfrist unmaßgeblich; Einlegung des Einspruchs am 24.02.09 wäre jedoch wegen der „Rechtsscheinwirkung“ des Verwaltungsaktes zulässig! Beginn der Einspruchsfrist am 28.02.09 um 0:00 Uhr und Ende der Einspruchsfrist mit Ablauf des 27.03.09, § 355 I Satz 1 AO, § 108 I AO iVm §§ 187 I und 188 II BGB Fall 2 EStB 07 zur Post am Mittwoch, den 27.03.09 Tag der Bekanntgabe nach § 122 II Nr. 1 AO grundsätzlich Samstag, 30.03.09; jedoch Verlängerung und damit Wirksamkeit am Montag, den 01.04.09, § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO, § 124 Abs. 1 AO, § 108 Abs. 1 AO iVm §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB iVm § 108 Abs. 3 AO! Beginn der Einspruchsfrist am 02.04.09 um 0:00 Uhr und Ende der Einspruchsfrist grundsätzlich am 01.05.09 um 24:00 Uhr, § 108 Abs. 1 AO iVm §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB; jedoch Verlängerung bis zum Ablauf des 02.05.09; ebenfalls Anwendung des § 108 III AO, weil der 01.05.09 ein gesetzlicher Feiertag ist! Fall 3 EStB 07 zur Post am Mittwoch, den 27.03.09 und Einwurf in den Briefkasten des Empfängers am 01.04.09 Lösung wie Fall 2, weil der Zugang innerhalb der durch § 108 Abs. 3 AO verlängerten Bekanntgabefrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO erfolgt ist Fall 4 © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 26 von 42 EStB 07 zur Post am Mittwoch, den 27.03.09 und Einwurf in den Briefkasten des Empfängers am 03.04.09 Bekanntgabe und Wirksamkeit mit Zugang am 03.04.09, § 122 Abs. 2 Nr. 1 Halbsatz 2 AO (Zugang außerhalb der Bekanntgabefrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 und 108 Abs. 3 AO) und § 124 Abs. 1 AO Beginn der Einspruchsfrist am 04.04.09 um 0:00 Uhr und Ende der Einspruchsfrist 03.05.09 um 24:00 Uhr, § 108 Abs. 1 AO iVm §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB Fall 5 EStB 08 mit Datum vom 22.02.10 wird mit Zustellungsurkunde am 24.02.10 zugestellt Wirksamkeit mit Zustellung am 24.02.10, § 122 Abs. 5 AO iVm § 3 VwZG und § 124 Abs. 1 AO Beginn der Einspruchsfrist am 25.02.10 um 0:00 Uhr und Ende der Einspruchsfrist mit Ablauf des 24.03.10, § 355 I Satz 1 AO, § 108 Abs. 1 AO iVm §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB Fall 6 EStB 08 zur Post am Freitag, den 28.01.10 Bekanntgabe und Wirksamkeit des Bescheides am Montag, den 31.01.10, § 122 II 1 AO, § 124 Abs. 1 AO, § 108 Abs. 1 AO iVm §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB Beginn der Einspruchsfrist am 01.02.10 um 0:00 Uhr und Ende der Einspruchsfrist mit Ablauf des 28./29.02.10 (im Schaltjahr); § 355 I Satz 1 AO, § 108 Abs. 1 AO iVm §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 und 3 BGB Fall 7 EStB 07 zur Post am Donnerstag, den 23.02.09. Aufgrund einer technischen Panne im Rechenzentrum ist der Steuerbescheid ohne Rechtsbehelfsbelehrung zur Post gegeben worden (alternativ: „Die Frist zur Einlegung des Einspruchs beträgt vier Wochen“) Tag der Bekanntgabe nach § 122 II Nr. 1 AO grundsätzlich Sonntag, 26.02.09; jedoch Verlängerung und damit Wirksamkeit gemäß § 124 Abs. 1 AO am Montag, den 27.02.09, § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO iVm §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB und § 108 Abs. 3 AO; vgl. AEAO, Tz 2 zu § 108 AO In beiden Varianten keine Geltung der Einspruchsfrist nach § 355 Abs. 1 Satz 1 AO wegen fehlender bzw. unrichtiger Belehrung, § 356 Abs. 1 AO ABER: Ausschlussfrist des § 356 Abs. 2 AO ist zu beachten! Beginn der Ausschlussfrist am 28.02.09 um 0:00 Uhr und Ende der Ausschlussfrist mit Ablauf des © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 27 von 42 27.02.10, § 356 I und II AO, § 108 I AO iVm §§ 187 I und 188 II BGB Hinweis Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO bei einem verspätet eingelegten Einspruch wird ausführlich im Kapitel 7 behandelt! 1.2.4 Hinzuziehung, § 360 AO Hinzugezogener ist Beteiligter gem. § 359 Nr. 2 AO. Zweck der Hinzuziehung ist die Vermeidung abweichender Entscheidungen! Sowohl vor der einfachen als auch vor der notwendigen Hinzuziehung ist dem Einspruchsführer rechtliches Gehör zu gewähren; Möglichkeit = Rücknahme nach § 362 AO, AEAO Tz 2 zu § 360 AO Der Hinzugezogene kann im Einspruchsverfahren alle Anträge stellen, § 360 IV AO; nicht: Rücknahme Einspruch nach § 362 AO! Nimmt der Ef den Einspruch zurück (§ 362 AO), so ist das Verfahren für alle Beteiligten erledigt; Hinzugezogener hat kein Widerspruchsrecht, BFH/NV 1989, S. 240 Wirkung der Hinzuziehung: Die Bestandskraft der Entscheidung wirkt gegen alle Beteiligten (Einspruchsführer und Hinzugezogener); vgl. auch § 166 AO. Eine widersprüchliche Entscheidung entfällt. Einfache Hinzuziehung, § 360 I AO ("kann") Rechtliche Interessen eines Dritten werden durch die Entscheidung berührt. Hierüber entscheidet das FA nach pflichtgemäßem Ermessen; zB Haftungsschuldner im Verhältnis zum Steuerschuldner oder zusammenveranlagte Eheleute, wenn nur ein Ehegatte Einspruch einlegt Notwendige Hinzuziehung, § 360 III AO ("sind") = Einspruchsverfahren gegen einheitliche und gesonderte Feststellungsbescheide! Nur wer nach § 352 AO rechtsbehelfsbefugt ist bzw. wäre, ist nach § 360 AO notwendig zum Einspruchsverfahren eines anderen hinzuzuziehen, § 360 III 2 AO Rechtsfolgen der unterlassenen Hinzuziehung Einfache Hinzuziehung EE ist gegenüber dem Einspruchsführer wirksam; jedoch keine Bindung des Dritten an die Entscheidung Notwendige Hinzuziehung © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 28 von 42 Es tritt keine Wirkung gegenüber den Beteiligten ein. Die EE ist grds. unwirksam; weitere Ablaufhemmung nach § 171 III AO bzgl. offenem Rbh mangels unwirksamer Entscheidung! Übersicht zur notwendigen Hinzuziehung nach § 360 III AO von Beteiligten im Rechtsbehelfsverfahren gegen einheitliche Feststellungsbescheide, die sich gegen Gesellschafter einer OHG, KG, Partnerschaftsgesellschaft oder GbR richten, § 352 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 1 AO Einspruchsführer, § 352 AO (Notwendige) Hinzuziehung, § 360 Abs. 3 AO Geschäftsführer, § 352 I Nr. 1 Alt. 1 AO (in Prozessstandschaft für die Personengesellschaft) 1. des/der ausgeschiedenen Gesellschafter/s, § 352 I Nr. 3 AO 2. des/der Gesellschafter/s für einen Rechtsstreit nach a) § 352 I Nr. 4 AO (z.B. Gewinnanteil, Beteiligung streitig) b) § 352 I Nr. 5 AO (z.B. Sonderbetriebsausgaben) Ausgeschiedene/r Gesellschafter, § 352 I Nr. 3 AO Geschäftsführer, § 352 I Nr. 1 AO (in Prozessstandschaft für die Personengesellschaft) Gesellschafter für einen Rechtsstreit nach a) § 352 I Nr. 4 AO b) § 352 I Nr. 5 AO Geschäftsführer, § 352 I Nr. 1 AO (in Prozessstandschaft für die Personengesellschaft) 1.2.5 1.2.5.1 Aussetzung der Vollziehung gem. § 361 AO Bedeutung der Aussetzung der Vollziehung Die Aussetzung der Vollziehung (AdV) wird auch als vorläufiger Rechtsschutz im Rechtsbehelfsverfahren bezeichnet, weil es die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes verhindert; zB die Pflicht zur Leistung der sich aus dem angefochtenen Steuerbescheid ergebenden Nachzahlung.  MERKE Wenn ein Einspruch eingelegt wurde, so wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakt nicht gehemmt. Bei Nichtbezahlung der noch offenen Steuer entstehen also insbesondere Säumniszuschläge. Es ist allerdings möglich, diese Folgen zu vermeiden, wenn das Finanzamt die Vollziehung der Steuerschuld aussetzt. Die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes kann nach § 361 II 2 AO auf Antrag des Steuerpflichtigen ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte bedeuten würde. Allerdings kann auch die Finanzbehörde von sich aus die Vollziehung aussetzen (§ 361 II 1 AO), insbesondere dann, wenn der Einspruch offensichtlich begründet ist, der Abhilfebescheid aber voraussichtlich nicht mehr vor Fälligkeit der geforderten Steuer ergehen kann. Voraussetzung für die Aussetzung der Vollziehung ist weiterhin, dass der Verwaltungsakt angefochten und das © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 29 von 42 Einspruchsverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Einspruch und Aussetzung der Vollziehung kleben aneinander. Wenn also kein Einspruch, sondern vielmehr ein Änderungsantrag beim Finanzamt eingereicht wurde, so kommt eine Aussetzung der Vollziehung nicht in Betracht. Wenn ein Verwaltungsakt weiterhin unanfechtbar ist, so kommt lediglich eine Stundung (§ 222 AO) bzw. ein Vollstreckungsaufschub (§ 258 AO) in Betracht. Übersicht zur Aussetzung der Vollziehung www.steuerkurse.de/go/9997542 1.2.5.2 1.2.5.2.1 Voraussetzung der Aussetzung der Vollziehung Vorliegen eines Rechtsbehelfes Voraussetzung für die Aussetzung der Vollziehung ist ein anhängiges Hauptverfahren; dh ein Einspruch oder ein Klageverfahren. Bezüglich der AdV im Klageverfahren wird auf § 69 FGO verwiesen. © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 30 von 42 1.2.5.2.2 Übersicht über vollziehbare Verwaltungsakte Ein Einspruch allein hemmt die Vollziehung eines vollziehbaren Verwaltungsaktes nicht. Darum ist der Antrag auf AdV zwingend notwendig. Art der Forderung an den Stpfl. Beispiele für vollziehbare VAe Geldleistung Steuerbescheide Zinsbescheide Festsetzung eines Zwangsgeldes Verspätungszuschlag Feststellungsbescheide Sonstige Handlung VAe im Rahmen des Ermittlungsverfahrens, z.B. Auskunftsersuchen oder Belegvorlage Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärung, § 149 AO Duldung Prüfungsanordnung VAe im Vollstreckungsverfahren (Sach- und Forderungspfändungen, VO-Maßnahmen in Grundstücke) Gegensatz: Nicht vollziehbare VAe Verwaltungsakte, die den Erlass oder die Korrektur eines -idR begünstigenden- Verwaltungsaktes ablehnen = Keine "Forderung" iS des § 249 Abs. 1 AO an den Stpfl. oder Verwaltungsakte, die auf einen negativen Betrag lauten, wenn der Stpfl. die Erhöhung des negativen Betrages begehrt, zB höhere Steuervergütung bei der USt Beispiele Einspruch gegen die Ablehnung eines Antrages auf Korrektur des Steuerbescheides (§ 155 I Satz 3 AO); zB Antrag Stpfl. gemäß § 129 oder § 173 I Nr. 2 AO Einspruch gegen die Ablehnung des Antrages auf Erlass eines sonstigen begünstigenden Verwaltungsaktes; zB Ablehnung eines Antrages auf Herabsetzung der Vorauszahlungen oder Ablehnung eines Antrags auf Stundung oder Erlass 1.2.5.3 Aussetzung der Vollziehung von Amts wegen Im Rahmen einer pflichtgemäßen Ermessensentscheidung kann eine AdV auch ohne Antrag des Stpfl. und somit von Amts wegen gewährt werden. © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 31 von 42 1.2.5.4 1.2.5.4.1 Aussetzung der Vollziehung auf Antrag Antrag auf Aussetzung beim Finanzamt Der § 361 AO bietet zwei Alternativen zur Aussetzung: 1. Alternative Nach § 361 Abs. 2 S. 2 AO und dem identischen § 69 Abs. 2 S. 2 FGO soll (Ermessen) die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen VA bestehen. 2. Alternative Ferner soll ausgesetzt werden bei unbilliger Härte. Faktisch hat diese Alternative kaum eine praktische Bedeutung, weil in diesen Fällen eine Stundung nach § 222 AO in Betracht kommt. Die Stundung ist für den Einspruchsführer vor allem wegen der zeitlichen Dauer – nämlich solange die persönliche Härte vorliegt – vorteilhafter. Bei summarischer Prüfung müssen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des VA sprechende Gründe vorliegen; diese brauchen nicht zu überwiegen. Bei der Abschätzung der Erfolgsaussichten sind nicht nur die einschlägige BFH-Rechtsprechung und die Verwaltungsanweisungen, sondern auch die Rechtsprechung des zuständigen FG zu beachten. Im Interesse des Stpfl. ist Ermessensspielraum voll auszuschöpfen. Im Einzelfall kann eine Voll- oder Teilaussetzung erfolgen, soweit ernstliche Zweifel bestehen; zB bei verschiedenen Einwendungen des Stpfl., die teilweise offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg haben. Unbillige Härte als selbständiger Aussetzungsgrund daneben ohne praktische Bedeutung, zB trotz Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz nicht gegeben, wenn der Einspruch offensichtlich aussichtslos erscheint! In derartigen Fällen sind die Möglichkeiten nach den §§ 222, 258 oder 227 AO in Erwägung zu ziehen! 1.2.5.4.2 Antrag auf Aussetzung der Vollziehung im außergerichtlichen Einspruchsverfahren an das Finanzgericht Grundsatz Antrag an das FA, § 361 II AO Ausnahme Antrag an das Finanzgericht nach § 69 III FGO ist nach Satz 2 der Vorschrift grundsätzlich auch im Einspruchsverfahren und ohne anhängiges Klageverfahren möglich! Ein AdV-Antrag an das FG nach § 69 Abs. 3 FGO ist im Einspruchsverfahren jedoch nur unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 4 FGO zulässig = Zugangsvoraussetzung zum Zeitpunkt der Antragstellung! © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 32 von 42 Zugangsvoraussetzungen des § 69 IV FGO FA hat AdV-Antrag abgelehnt, § 69 IV Satz 1 FGO FA hat über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes nicht in angemessener Frist sachlich entschieden Trotz beim FA anhängigen AdV-Antrag droht die Vollstreckung; zB FA kündigt Vo-Maßnahmen an bzw. führt bereits Vollstreckungsmaßnahmen durch, § 69 IV Nr. 2 FGO 1.2.5.5 Wirkung der Aussetzung auf Vollziehung Die sich aus dem angefochtenen Verwaltungsakt ergebende Leistungspflicht kann bei Stattgabe des Antrags nicht vollzogen werden. Bei Steuerbescheiden besteht grundsätzlich im Rahmen des Antrags und der Stattgabe durch das Finanzamt keine Leistungspflicht bis einen Monat nach der Entscheidung über den Einspruch. Hat der Einspruch ganz oder teilweise keinen Erfolg, werden für den Zeitraum der gewährten AdV bei Steuern zusätzlich Aussetzungszinsen nach § 237 AO festgesetzt. 1.2.6 Rücknahme des Einspruchs gem. § 362 AO Ein Einspruch kann vom Zeitpunkt seiner Einlegung bis zur Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung nach § 362 Abs. 1 AO vom Einspruchsführer zurückgenommen werden. Auch hier gilt die Bekanntgabefiktion nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO. Aus dem Verweis auf § 357 Abs. 1 AO ergibt sich, dass die Rücknahme schriftlich, elektronisch oder zur Niederschrift zu erfolgen hat (AEAO Nr. 1 zu § 362), wie der Einspruch selbst auch. Die Rücknahme ist unanfechtbar und unwiderrufbar. Zur Unwirksamkeit der Rücknahme gelten die Ausführungen zum Verzicht entsprechend (vgl. auch § 362 Abs. 2 S. 2 AO). Die Rücknahme bewirkt den Verlust des eingelegten Einspruchs (§ 362 Abs. 2 S. 1 AO), so, als wäre er nie eingelegt worden. Der Einspruchsführer kann daher gegen den VA erneut Einspruch einlegen, wenn die Einspruchsfrist noch nicht abgelaufen ist (AEAO Nr. 2 zu § 362). Ist die ursprüngliche Einspruchsfrist im Zeitpunkt der Rücknahme bereits abgelaufen, so erwächst der Bescheid im Zeitpunkt der Rücknahme in Bestandskraft/Unanfechtbarkeit. Eine Änderung ist dann nur noch möglich, wenn die Voraussetzungen für eine Korrekturnorm des Berichtigungsverfahrens vorliegen. 1.2.7 1.2.7.1 Entscheidung(sverfahren) über den Einspruch gem. § 367 AO Vorbemerkungen Wenn alle Formerfordernisse erfüllt sind, so ist der Einspruch zumindest zulässig. Als Konsequenz hieraus muss die Finanzbehörde im nächsten Schritt nunmehr die Sache in vollem Umfang neu überprüfen (§ 367 Abs. 2 S. 1 AO). Der gesamte Fall wird daher wieder aufgerollt. © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 33 von 42 MERKE  Es besteht dabei die Möglichkeit, dass das Finanzamt insbesondere auch zuungunsten des Einspruchsführers den Verwaltungsakt ändert. Diese Verböserung ist allerdings nur möglich, wenn der Steuerpflichtige vorab die Möglichkeit der Stellungnahme hatte (§ 367 Abs. 2 2 AO). Um die mögliche Verbösung zu umgehen, kann der Steuerpflichtige den Einspruch zurücknehmen (§ 362 AO). Der Verböserung lässt sich daher regelmäßig entgehen. Eine Feststellung des Grundlagenbescheids kann nur durch einen Einspruch gegen eben diesen Grundlagenbescheid angefochten werden und nicht im Rechtsbehelfsverfahren gegen den Folgebescheid (§ 351 Abs. 2 AO). Nachdem nun alle Formvoraussetzungen erfüllt sind, ist der Einspruch zulässig und muss bearbeitet werden. Das Einspruchsverfahren wird von folgenden Grundsätzen bestimmt: 1.2.7.2 Erneute Prüfung der Sache in vollem Umfang 1.2.7.2.1 Vorbemerkungen Nach § 367 Abs. 2 AO führt der zulässige Einspruch zur Aufrollung des kompletten Falles in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Dies bedeutet, dass der angefochtene VA auch zum Nachteil des Einspruchsführers geändert werden kann (Verböserung), wenn er auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung hingewiesen wurde, ihm die Gründe dargestellt wurden und ihm Gelegenheit gegeben wurde, sich hierzu zu äußern, § 367 Abs. 2 S. 2 AO (ggf. Rücknahme). Durch dieses rechtliche Gehör eröffnet sich für den Einspruchsführer die Möglichkeit, durch Rücknahme des Einspruchs (§ 362 AO) unter Umständen der Verböserung zu entgehen. Übungsfall: A erhält seinen Einkommensteuerbescheid 01 mit einer festgesetzten Einkommensteuer von 5.800 €. Er legt einen zulässigen Einspruch ein und beantragt die Berücksichtigung weiterer Betriebsausgaben mit einer steuerlichen Auswirkung von 500 € (§ 4 Abs. 4 EStG). Während des Einspruchsverfahrens bemerkt das FA, dass ihm bei der Veranlagung ein Rechtsfehler unterlaufen ist, der eine steuerliche Auswirkung von 1.700 € zugunsten des A bewirkte. Diesen Fehler will das FA nunmehr im Rahmen der gesamten Neuüberprüfung mit berücksichtigen. Lösung: Da es dadurch zu einer Verböserung käme, hat das FA dem A rechtliches Gehör zu gewähren (§ 367 Abs. 2 S. 2 AO). Durch die Rücknahme des Einspruchs kann A der Verböserung entgehen. Nimmt er den Einspruch zurück, so wird der Bescheid bestandskräftig mit der Folge, dass der Rechtsfehler nicht mehr zu seinen Ungunsten berücksichtigt werden kann. Es bleibt andererseits bei der bisher festgesetzten Einkommensteuer von 5.800 €. Das FA müsste bezüglich seines Rechtsfehlers die Möglichkeit einer Korrektur prüfen. Eine solche kommt nicht in Betracht; insbesondere scheidet die Korrektur wegen neuer Tatsachen aus (§ 173 © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 34 von 42 Abs. 1 Nr. 1 AO).  HINWEIS Enthält der angefochtene Bescheid eine wirksame Nebenbestimmung in Form eines Vorbehalts der Nachprüfung, so kommt es nicht zu einer Verböserung im Sinne des § 367 AO. Hier liegt eine Nebenbestimmung vor, die jederzeit auch ohne Einspruchsverfahren möglich ist. 1.2.7.2.2 Einsprüche gegen Korrekturbescheide Nach § 351 Abs. 1 AO können solche Steuerbescheide, die unanfechtbare Steuerbescheide ändern, nur insoweit angegriffen werden, als die Änderung reicht (Anfechtungsbeschränkung). Der Erstbescheid ist bestandskräftig, insoweit, was Einsprüche eingeht, in Stein gemeißelt. Er muss daher die Bestandskraft gegen sich gelten lassen (AEAO Nr. 1 zu § 351).  BEISPIEL Die ESt 01 ist durch Bescheid vom 30.11.02 bestandskräftig mit 18.000 € festgesetzt. Später erfolgt eine Erhöhung auf 20.000 € nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO, weil sich der Gewinnanteil des Stpfl. an der KG erhöht hat. Gegen den geänderten EStB legt S einen zulässigen Einspruch ein und trägt als Begründung die folgenden -materiell zutreffenden- Gründe vor: a) Werbungskosten aus V+V seien zu Unrecht nicht anerkannt worden; steuerliche Auswirkung -3.000 €. Die Belege waren bereits der ESt-Erklärung beigefügt gewesen. b) Bei der Zusammenstellung der Einnahmen aus Kapitalvermögen sei ihm in seinen Unterlagen und für das FA nicht erkennbar ein Rechenfehler zuungunsten Unterlaufen; steuerliche Auswirkung -500 €. Der Fehler ist dem Stpfl. erst nach Erhalt des Änderungsbescheides aufgefallen. Fall des § 351 I AO, da Änderung eines formell bestandskräftigen Bescheides Überprüfung der materiellen Fehler im Hinblick darauf, ob sie die Voraussetzungen einer oder ggf. mehrerer Korrekturvorschriften erfüllen; § 351 Abs. 1 Alternative 2 AO: Gewinnanteil KG Die Korrektur des FA gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist rechtmäßig erfolgt WK aus V+V In diesem Fall ist der angefochtene Steuerbescheid nicht selbständig berichtigungsfähig, da es sich nicht um eine neue Tatsache handelt und die Tatbestandsmerkmale einer anderen Korrekturvorschrift nicht erfüllt sind. Einnahmen aus Kapitalvermögen Fall des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, da neue Tatsache mit einer Herabsetzung der Einkommensteuer und kein grobes Verschulden (Rechenfehler = normale "leichte" © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 35 von 42 Fahrlässigkeit) oder alternativ gemäß § 173a AO (Rechenfehler des Stpfl. bei Erstellung seiner Steuererklärung) Kein Fall von § 129 AO, da offenbare Unrichtigkeit nicht beim Erlass des VA unterlaufen (Kein Rechenfehler FA) und auch kein Übernahmefehler (Unterlagen lagen nicht vor und Fehler war somit für das FA nicht erkennbar) Bildung des Anfechtungsrahmens gemäß § 351 Abs. 1 AO 20.000 € Anfechtungsobergrenze - § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO 18.000 € bestandskräftig festgesetzte ESt 17.500 € Anfechtungsuntergrenze - § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO Saldierung der WK aus V+V (ESt -3.000) nur iHv 2.000 € zulässig; „soweit die Änderung durch § 175 Abs. 1 Satz 1 AO reicht“. Ergebnis Erlass einer Einspruchsentscheidung gemäß §§ 367 Abs. 1 Satz 1, 366 AO mit ESt iHv 17.500 € unter Hinweis auf § 351 Abs. 1 AO; der Einspruch ist teilweise begründet! Tenor der Einspruchsentscheidung Unter Änderung des Steuerbescheides Einkommensteuer auf 17.500 € festgesetzt. 1.2.7.2.3 01 vom 30.11.02 wird die Einsprüche gegen Grundlagenbescheide Will ein Steuerpflichtiger gegen einen Grundlagenbescheid vorgehen, so muss er diesen angreifen. Greift er den aufgrund des Grundlagenbescheids ergangenen Folgebescheid durch einen zulässigen Einspruch ausschließlich mit Begründungen an, die den Grundlagenbescheid betreffen, so sind diese Einwendungen im Rahmen des Einspruchs gegen den Folgebescheid trotz Wiederaufrollung des Folgebescheids unbegründet, § 351 Abs. 2 AO (AEAO Nr. 4 zu § 351). Dieses Ergebnis erklärt sich aus dem Verhältnis von Grundlagen- und Folgebescheid. Übungsfall: A erzielt im Bezirk des Finanzamts Siegen Einkünfte im Rahmen seiner gewerblichen Tätigkeit. Da er in einem anderen FA-Bezirk wohnt, wird eine gesonderte Gewinnfeststellung durchgeführt (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 AO. § 180 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. b AO, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG). Das Wohnsitz-FA Köln übernimmt den festgestellten Gewinn und erlässt den Einkommensteuerbescheid. Gegen diesen legt A zulässig Einspruch ein mit folgender Begründung: a. Das FA Köln habe es unterlassen, außergewöhnliche Belastungen für eine Zahnbehandlung in Höhe von 20.000 € anzuerkennen (§ 33 EStG). b. Außerdem bitte er um Berücksichtigung von weiteren Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4 EStG), die ihm im Siegener Betrieb entstanden seien. Lösung: © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 36 von 42 Eine Änderung im Einspruchsverfahren gegen den ESt-Bescheid kann A nur mit den Einwendungen zu den außergewöhnlichen Belastungen erreichen. Soweit er die Anerkennung der Betriebsausgaben verlangt, hat er nur Erfolgsaussichten im Einspruchsverfahren gegen den Feststellungsbescheid. Die Einwendung – wie hier gegen den Einkommensteuerbescheid vorgebracht – ist unbegründet (§ 351 Abs. 2 AO). Zu prüfen ist allerdings in diesen Fällen immer, ob das Begehren nicht auch als Einspruch gegen den Grundlagenbescheid auszulegen ist. Dies ist zu bejahen, wenn die Einspruchsfrist bezüglich dieses Bescheids noch nicht abgelaufen ist. Zur Anbringungsbehörde vgl. § 357 Abs. 2 S. 2 AO. § 351 Abs. 2 AO kommt natürlich nicht zum Tragen, wenn der Grundlagenbescheid nichtig ist. Insoweit entfaltet dieser nichtige Bescheid auch keine Bindungswirkung (§ 182 AO). Bei Änderung des Folgebescheids ist Einspruch gegen diesen Bescheid einzulegen. Fazit Wir betrachten nun noch einmal materielle Fehler gem. §§ 177, 351 Abs. 1 AO als abschließende Übersicht an. www.steuerkurse.de/go/7807d6a 1.2.7.2.4 Korrekturen von Steuerverwaltungsakten im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren Nach § 132 S. 1 AO kann das FA auch während eines laufenden Einspruchsverfahrens und sogar im finanzgerichtlichen Klageverfahren Steuerverwaltungsakte korrigieren, wenn diese falsch sind. Dies gilt für die Rücknahme und den Widerruf von sonstigen VAen ebenso wie für die Aufhebung oder Änderung oder Berichtigung von Steuerbescheiden und solchen gleichgestellten Bescheiden, wie z.B. Feststellungsbescheiden.  BEISPIEL A hat gegen seinen ESt-Bescheid 01 Einspruch eingelegt (§ 347 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO) und die Anerkennung von Sonderausgaben (§ 10 EStG) mit einer steuerlichen Auswirkung von 100 € beantragt. Während des Einspruchsverfahrens geht beim FA eine Mitteilung ein, wonach A an einer Eigentümergemeinschaft beteiligt war und Vermietungseinkünfte erzielt hat. © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 37 von 42 Steuerliche Auswirkung des Gewinnanteils: 5.000 €. Das FA kann, ohne das Einspruchsverfahren zu beenden oder irgendwie zu beeinträchtigen, die Gewinnmitteilung durch einen ESt-Änderungsbescheid nach § 132 S. 1 AO und § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO berücksichtigen. Zu beachten ist allerdings, dass in diesem Falle der Änderungsbescheid nunmehr Gegenstand des Einspruchsverfahrens ist (§ 365 Abs. 3 S. 1 AO). Wie aus § 365 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO folgt, kann im Einspruchsverfahren auch eine offenbare Unrichtigkeit (§ 129 AO) berichtigt werden. 1.2.7.3 Einspruchsentscheidung (als Verfahrensabschluss) Wenn ein Einspruch zulässig ist, so ist im Rahmen der Bearbeitung über die Begründetheit zu entscheiden. Das erfolgt durch Einspruchsentscheidung (§ 367 Abs. 1 S. 1AO). Eine Möglichkeit bei dieser Einspruchsentscheidung ist, dass im Sinne des Steuerpflichtigen direkt durch einen neuen Steuerbescheid im Rahmen des sog. Abhilfebescheides entschieden wird (§ 367 Abs. 2 S. 3 AO i.V.m. § 132 AO). Die Entscheidung der Finanzverwaltung erfolgt also durch: Einspruchsentscheidung Abhilfebescheid Teilabhilfe, wenn der Einspruch sich gegen mehrere Punkte richtet und nur teilweise zugestimmt wird. Je nachdem, wie das Finanzamt entscheidet, sind folgende Einspruchsentscheidungsformeln üblich: „Der Einspruch wird als unzulässig verworfen” ◦ wenn er eine der Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht erfüllt, „der Einspruch wird als unbegründet zurückgewiesen” ◦ wenn der Einspruch zwar zulässig ist, allerdings in der Sache selbst inhaltlich keine andere Entscheidung getroffen wird als jene des alten Verwaltungsaktes, unter Änderung des Bescheides vom … wird die … Steuer … auf … festgesetzt ◦ wenn teilweise der Einspruch des Steuerpflichtigen als zulässig und zumindest teilweise begründet angesehen wird, diesem also entsprochen wird. Der Abhilfebescheid ist eine Möglichkeit, eine Einspruchsentscheidung mit ausführlicher Sachverhaltsdarstellung und Begründung zu vermeiden. Der Abhilfebescheid dient also der Verwaltungsvereinfachung. Er enthält insbesondere keine ausführliche Sachverhaltsdarstellung und keine Begründung. Lediglich ein Hinweis, dass der Einspruch des Steuerpflichtigen insoweit erledigt ist, genügt im Abhilfebescheid. Der Abhilfebescheid kann erneut mit dem Einspruch angefochten werden. Ergeht eine sog. Teilabhilfe, so wird der neue Abhilfebescheid als Steuerbescheid Gegenstand des laufenden Einspruchsverfahrens, denn der ursprüngliche Einspruch bleibt noch anhängig (§ 365 Abs. 3 AO). Es ist daher nicht erforderlich, den Bescheid erneut anzufechten. Sollte sich das Finanzamt dafür entscheiden, im Rahmen der sog. Verböserung die Steuer höher festzusetzen als im ursprünglichen Steuerbescheid, so ist vorab der Steuerpflichtige anzuhören (§ 367 Abs. 1 S. 2 AO). Dieser kann dann durch Rücknahme des Einspruchs dafür sorgen, dass die Verböserung ausbleibt (§ 362 Abs. 1 AO). Die Behörde hat in diesem Falle keine Entscheidung mehr zu treffen (§ 362 Abs. 2 AO), denn durch die Rücknahme des Einspruchs durch den Steuerpflichtigen hat sich das Einspruchsverfahren erledigt. Sollte der Steuerpflichtige seinen Einspruch nicht © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 38 von 42 zurücknehmen, so ergeht dann eine Einspruchsentscheidung des Finanzamtes mit einer höheren Steuerfestsetzung. 1.2.8 1.2.8.1 Einspruchsentscheidung gem. § 366 AO Einspruchsentscheidung als Verwaltungsakt Das Einspruchsverfahren ist im Regelfall durch eine Einspruchsentscheidung abzuschließen, § 367 Abs. 1 Satz 1 AO. Form und Inhalt der Einspruchsentscheidung ergeben sich aus § 366 AO. Entspricht die Finanzbehörde im Hinblick auf die vom Einspruchsführer begehrte Steuerminderung dem Antrag in vollem Umfang, kann auch durch Abhilfebescheid entschieden werden, § 367 Abs. 2 Satz 3 AO. Hierbei handelt es sich um einen geänderten Steuerbescheid, der nach § 164 Abs. 2 AO oder bei einem endgültig erlassenen Bescheid nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AO geändert wird. Gegen eine Einspruchsentscheidung ist kein erneuter Einspruch zulässig, § 348 Nr. 1 AO. Hier kommt nur eine Klage beim zuständigen Finanzgericht in Betracht. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Klage ergeben sich aus der Finanzgerichtsordnung (FGO). Hierauf wird jedoch hier nicht näher eingegangen.  HINWEIS Das Klageverfahren ist nicht Gegenstand der Steuerfachwirtprüfung! Grundsätzlichen stehen die folgenden Klagearten zur Verfügung: © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 39 von 42 Die Klagearten werden im folgenden Video näher erläutert. www.steuerkurse.de/go/d1d0cba Außerdem geht das nächste Video auf die Sprungklage ein und erkläutert zudem die Klagefrist, die Form und notwendigen Inhalte der Klage. www.steuerkurse.de/go/d1d5df1 1.2.9 Zusammenfassende Betrachtung zu den Beendigungsmöglichkeiten eines Einspruchsverfahrens Das Einspruchsverfahren kann demnach auf drei Arten beendet werden: durch Rücknahme des Einspruchs (§ 362 AO); durch einen Abhilfebescheid (§ 367 Abs. 2 S. 3 AO); Stimmt das FA im Einspruchsverfahren dem Einspruchsführer der Sache nach zu, so hat dieser keinen Anspruch auf eine formelle Einspruchsentscheidung. Das FA kann das Verfahren vielmehr durch einen Korrekturbescheid, den sogenannten Abhilfebescheid beenden, der sich auf § 130 AO, § 131 AO oder auf § 164 Abs. 2 AO, § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a AO stützt. durch Einspruchsentscheidung (§ 366 AO). Nach § 132 AO kann auch während des Rechtsbehelfsverfahrens ein Änderungs- bzw. Abhilfebescheid ergehen. Dieser beendet das Einspruchsverfahren nur, wenn er dem Begehren des © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 40 von 42 Stpfl. voll entspricht, § 367 Abs. 2 S. 3 AO. Das hat zur Folge, dass nach Erlass eines Korrekturbescheids weiterhin eine Einspruchsentscheidung erforderlich ist, wenn dem Begehren nicht in vollem Umfang entsprochen wird (= Teil-Abhilfebescheid, AEAO Nr. 3 zu § 367). Der Korrekturbescheid wird in diesem Fall nach § 365 Abs. 3 AO kraft Gesetzes Gegenstand des zulässigen und fortbestehenden Einspruchsverfahrens. Ein erneuter Einspruch hiergegen wäre mangels Rechtsschutzinteresse unzulässig, weil die Rechte des Einspruchsführers durch den noch anhängigen Rechtsbehelf umfassend gewahrt sind. 1.3 Gerichtliches Rechtsbehelfsverfahren Sollte die Finanzbehörde den Einspruch ablehnen, so hat der Steuerpflichtige die Möglichkeit, beim zuständigen Finanzgericht Klage hiergegen einzulegen. Das Finanzgericht (welches unabhängig von den Finanzbehörden ist) entscheidet dann hierüber. Die Kosten des gerichtlichen Verfahrens trägt derjenige, welcher hierin unterliegt. Gegen die Entscheidung des Finanzgerichts kann Revision vor dem Bundesfinanzhof (BFH) in München erhoben werden. Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs ist dann letztinstanzlich. www.steuerkurse.de/go/d1dd7a8 Es besteht also im Steuerrecht ein zweistufiger Instanzenzug aus den Ländergerichten ◦ als Tatsacheninstanz und dem Bundesfinanzhof ◦ als Revisionsinstanz. Bei anderen Gerichtszweigen existiert ein dreistufiger Instanzenzug, bestehend aus Tatsacheninstanz, Berufungsinstanz und Revisionsinstanz. Es besteht im Verfahren vor dem BFH Vertretungszwang durch einen Steuerberater bzw. einen Wirtschaftsprüfer. Wichtig ist, dass das gerichtliche Rechtsbehelfsverfahren, also die Klage, erst dann eingeleitet werden kann, wenn das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren, also der Einspruch, erfolglos geblieben ist. Der Einspruch als außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren ist formgebunden. Formlose Rechtsbehelfe hingegen sind die Gegenvorstellung und die Dienstaufsichtsbeschwerde, welche nicht kodifiziert sind. Sie gehören nach Art. 17 GG zu den Petitionsrechten des Steuerbürgers und können gegen alle Handlungen der Behörde gerichtet werden. © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 41 von 42  MERKE Der Einspruch hingegen muss sich stets gegen einen Verwaltungsakt der ausstellenden Behörde richten.  BEISPIEL Der Steuerpflichtige Fritz S. aus Essen ruft beim Finanzamt Essen-Ost an, weil er der Meinung ist, dass ein Rechenfehler im Steuerbescheid 01 vorhanden ist. Der für ihn zuständige Finanzbeamte ist am Telefon zu Fritz besonders unfreundlich. Gegen den Steuerbescheid muss Fritz Einspruch einlegen, gegen das besonders unfreundliche Verhalten des Finanzbeamten kann der Steuerpflichtige Fritz mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde vorgehen. Konsequenz eines förmlichen und zulässigen Einspruchs ist ebenso wie die Konsequenz einer zulässigen Klage, dass der Verwaltungsakt nicht unanfechtbar wird. Der angefochtene Verwaltungsakt wird also nicht bestandskräftig. Der Steuerpflichtige hat zusätzlich zum Einspruch die Möglichkeit, einen Antrag auf schlichte Änderung zu stellen (§ 172 Abs. 1 Nr. 2a AO). Der Antrag auf schlichte Änderung ist formlos, er kann zum Beispiel auch telefonisch gestellt werden. Die schlichte Änderung soll dazu beitragen, formgebundene Einsprüche bzw. später auch Klagen zu verhindern, indem in besonders einfach gelagerten Fällen ein solcher Antrag auf schlichte Änderung gestellt wird. © examio GmbH - 03.03.2024 - Erstellt für Matthias Merten Pritschow (Nur für den persönlichen Gebrauch) Seite 42 von 42

Use Quizgecko on...
Browser
Browser