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Differentielle Psychologie & Persönlichkeitspsychologie – Skript A1 – Einführung und Grundlagen – Begriffe, Konzepte und Perspektiven Leitfragen: - Was ist der Gegenstand bzw. sind die Aufgaben der Di...

Differentielle Psychologie & Persönlichkeitspsychologie – Skript A1 – Einführung und Grundlagen – Begriffe, Konzepte und Perspektiven Leitfragen: - Was ist der Gegenstand bzw. sind die Aufgaben der Differentiellen Psychologie? - Was ist der Unterschied zwischen Nomothetik und Idiografik? - Was verstehen wir unter Persönlichkeit? - Worin besteht der Unterschied zwischen Zuständen (states), Gewohnheiten (habits) und Dispositionen (traits)? - Wie lassen sich Persönlichkeitstypen von Persönlichkeitsdimension abgrenzen? 1. Einordnung und Zentralität der Differentiellen und Persönlichkeitspsychologie Die Psychologie kann nach Perspektiven und Inhaltsbereichen unterschieden werden. - Die Differentielle Psychologie bezieht sich eher auf eine Perspektive und betrachtet Unterschiede in Erleben und Verhalten o interindividuell (Unterschiede zwischen Personen) oder o intraindividuell (Unterschiede innerhalb einer Person über Situationen und/oder Zeit hinweg). - Die Persönlichkeitspsychologie bezieht sich eher auf einen Inhalt, nämlich die Beschreibung, Erklärung und Vorhersage der Persönlichkeit und damit der Individualität im Erleben und Verhalten bzw. der Einzigartigkeit von Individuen. 1 2. Gegenstand der Differentiellen und Persönlichkeitspsychologie Beschreiben: Worin unterscheiden wir uns? Was macht unsere Persönlichkeit aus? Erklären: Warum unterscheiden wir uns? Was macht uns zu dem Menschen, der wir sind? Vorhersagen: Welche Konsequenzen haben Persönlichkeitsunterschiede? Die Differentielle Psychologie beschäftigt sich mit: - Der Beschreibung der Art und des Ausmaßes individueller Unterschiede in psychologisch relevanten Merkmalen (z.B. Eigenschaften, Fähigkeiten, Motive, Interessen, Werte und Einstellungen) - Der Messung solcher Merkmalsunterschiede - Ihrer wechselseitigen Abhängigkeit - Ihrer Stabilität und Veränderbarkeit - Sowie der Erklärung / den Ursachen dieser (z.B. Gene, Kultur, Sozialisation) - Und deren Manifestation im individuellen Erleben, Empfinden und Verhalten 2.1. Beschreibung individueller Unterschiede Nomothetik: Variablenorientiert - Differentielle / interindividuelle Variationsforschung: 2 - Differentielle / interindividuelle Korrelationsforschung: Idiografik: Personenorientiert - Intraindividuelle Psychografie: - Interindividuelle Vergleiche intraindividueller Profile – Komparationsforschung: 3 2.2. Erklärung individueller Unterschiede Ursachenforschung: - Genetische und biologische Einflüsse - Familiäre Umwelteinflüsse - Einflüsse außerfamiliärer wichtiger Bezugspersonen (Peers, Partner) - Makrosoziale und Kulturelle Einflüsse (Medien, Gesellschaft) - Situative Einflüsse und Kritische Lebensereignisse - Historische Einflüsse/Zeitgeist - Person ×Situation-Interaktion und -Transaktion - Anlage ×Umwelt-Interaktion und -Transaktion - Strukturen (z. B. Genom) vs. Prozesse (z. B. Neurotransmitteraktivität ×Stress-Interaktion) - … Die wichtigsten Kontroversen in der Persönlichkeitspsychologie: - Freiheit vs. Determination - Anlage vs. Umwelt - Stabilität vs. Veränderbarkeit - Person vs. Situation 3. Kernbegriffe 3.1. Was ist Persönlichkeit? - Lat. „persona“ = Theatermaske - Persönlichkeit ist ein sehr allgemeines theoretisches Konstrukt (d.h. nicht direkt empirisch zugänglich), das nicht vollständig definiert ist. - Theoretische Konstrukte sind immer hypothetisch und sollten empirisch überprüfbar und damit modifizierbar sein. - Sie erhalten ihre Bedeutung aus einem wachsenden und sich verdichtenden Netzwerk empirischer Informationen. 4 Arbeitsdefinition: „Persönlichkeit umfasst die auf menschliches Empfinden, Erleben, Streben und Verhalten bezogenen, relativ überdauernden, situations- und kontextübergreifenden individuellen Besonderheiten.“ 5 3.2. States: Zustände - States sind zeitlich fluktuierende Verhaltenstendenzen, die kurzfristig über die Zeit und Kontexte hinweg konsistent sein können, z.B. Aktivation, An- und Entspannung, Stimmungen, Bedürfnisse - States sind Merkmale von Personen in Situationen / zu Gelegenheiten 3.3. Habits / Adaptations: Gewohnheiten / Anpassungen - Habits sind zeitlich relativ stabile Verhaltenstendenzen oder Muster von Verhaltensweisen, die unter gleichartigen Kontextbedingungen beobachtbar sind (z.B. Muttersprache, Routinen beim Autofahren, Essgewohnheiten, Schlafgewohnheiten, die Zigarette danach) - Habits / Adaptations sind Merkmale von Personen in Kontexten / Umwelten 3.4. Traits: Dispositionen / Eigenschaften - Dispositionen sind breite, nicht an eine bestimmte Situation und Kontexte gebundene relativ stabile Merkmale oder Tendenzen des Erlebens und Verhaltens von Personen. - Sie sind von allgemeinerer Art als Gewohnheiten, sind nicht mehr direkt beobachtbar und müssen aus Verhalten geschlossen werden. - Persönlichkeit als Gesamtheit aller individuellen Dispositionen 6 Zusammenfassung Persönlichkeit: 4. Perspektiven auf Persönlichkeitsunterschiede - Klassifikation von Personen in qualitativ verschiedene Kategorien nach dem Vorliegen bestimmter Eigenschaftskombinationen, z.B. Temperamentstypen nach Galen (Choleriker, Sanguiniker, Melancholiker, Phlegmatiker) oder Geschlecht (männlich, weiblich, divers) - Anordnung von Personen auf der Basis quantitativ abgestufter Beschreibungskontinua, z.B. Maskulinität vs. Femininität, Introversion vs. Extraversion oder Ausmaß an Aggressivität - Klassifikation / Typologisierung von Individuen auf Basis ihrer Ausprägungen auf mehreren Beschreibungsdimensionen - Klassifikation / Typologisierung von Individuen in seltene, auffällige Persönlichkeitstypen, z.B. o Dissoziale Persönlichkeitsstörung o Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung o Narzisstische Persönlichkeitsstörung - Klassifikation / Typologisierung von Individuen in seltene, von der Norm stark abweichende Extremausprägungen auf Persönlichkeitsdimensionen, z.B. o Dissoziale Persönlichkeitsstörung als Extremvariante von Unverträglichkeit o Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung als Extremausprägung von emotionaler Instabilität o Zwanghafte Persönlichkeitsstörung als Extremvariante von Gewissenhaftigkeit 7 A2 – Methodische Grundlagen Leitfragen: - Welche statistischen Kennwerte erlauben interindividuelle Unterschiede abzubilden? - Welche Korrelationsarten können unterschieden werden? - Was ist der Unterschied zwischen absoluter und relativer Stabilität bzw. Konsistenz? - Was ist der Unterschied zwischen einer Merkmalsstabilität (Rangreihenstabilität) und einer Profilstabilität? Klassifikation / Typisierung von Personen - Einteilung auf Nominalskalenniveau: in Kategorien - Beispiel: Vorliegen einer bestimmten Diagnose oder nicht? Z.B. Narzisstische Persönlichkeitsstörung - Klassifikationen sind objektiv, wenn unterschiedliche Beurteiler unabhängig voneinander die Klassifikationsregel gleich anwenden → intersubjektive Objektivität - Prüfung der intersubjektiven Objektivität erfolgt mit bestimmten statistischen Kennwerten, die um die zufällige Übereinstimmung korrigieren (z.B. Cohens K → Psychologische Diagnostik) Verteilung von Individuellen Messwerten auf kontinuierlichen Merkmalen Ziel: Bestimmung der Unterschiedlichkeit zwischen Individuen - Einteilung auf (zumeist angenommenem) Intervallskalenniveau, z.B. o Zustimmung (wie gerne -2 bis +2?) o Subjektive Häufigkeit 0-7 - Einteilung auf Verhältnis- bzw. Absolutskalenniveau, z.B. o Zeitbezogene Häufigkeit: Wie oft in h/Woche? o BMI o Erfahrung seltener Ereignisse - Ab Intervallskallenniveau: Varianz und Standardabweichung (=Wurzel aus der Varianz) 8 - Intervallskalierte Messwerte x lassen sich immer als z-Werte ausdrücken (z-Transformation). Dadurch lassen sie sich in einer einheitlichen Sprache (Normwerte) beschreiben und zwischen verschiedenen Messverfahren direkt vergleichen Abweichungswerte und ihre Interpretation: vor 100 Jahren vs. heute Bestimmung von Zusammenhängen zwischen Merkmalen Cattells Datenwürfel ist ein Forschungsschema, das Personen, Merkmale und Messzeitpunkte miteinander kreuzt und sechs Möglichkeiten bivariater Zusammenhänge veranschaulicht. 9 10 Bestimmung von Ähnlichkeiten zwischen Personen Von der Merkmalskorrelation zur Personenkorrelation Bestimmung von Profilkorrelationen Bsp. 1: Bestimmung der Profilkorrelation (q) zwischen verschiedenen Personen - Einschätzung durch Andere auf bipolaren Adjektivzuschreibungen mittels 7-Punkte-Skala - Möglichkeiten der Erfassung: o Ähnlichkeit zwischen Personen rot und blau q =.7 o Ähnlichkeit zwischen Personen rot und gold: q =.7 o Ähnlichkeit zwischen Personen blau und gold: q =.9 Bsp. 2: Bestimmung der Selbst(in)kongruenz über die Profilkorrelation - Einschätzung von Begriffen („Realselbst“ und „Idealselbst“) - Möglichkeiten der Erfassung: o Profil des Realselbst o Profil des Idealselbst o Durchschnittliches (normatives) Profil Zwischen welchen Profilen ist die Korrelation am größten? 11 Bestimmung von dynamischen Kovariationen zwischen Personen in einem Merkmal über die Zeit Bsp.: Bestimmung der Korrelation zwischen Personen in ihren Stimmungen über die Zeit s - Einschätzung auf 7-stufiger Skala Bestimmung der Stabilität von Merkmalsunterschieden und Profilen 12 Bestimmung der Stabilität von Merkmalsunterschieden: Rangreihenstabilität Bestimmung der Stabilität von Profilen: Profilstabilität …über Zeitpunkte 1, 2 und 3. Zwischen welchen Zeitpunkten ist die Profilstabilität am größten? 13 Bestimmung der transsituativen Konsistenz von Merkmalsunterschieden Beispiel: Angst und Situationen - Hohe transsituative Konsistenz von Merkmalsunterschieden - Bei starker Situationsabhängigkeit Absolute oder relative transsituative Konsistenz? A3 – Von Alltagstheorien zu wissenschaftlichen Paradigmen Leitfragen: - Anhand welcher Kriterien kann die Wissenschaftlichkeit von theoretischen Ansätzen beurteilt werden? - Welche vier Aspekte kennzeichnen implizite Persönlichkeitstheorien? - (Was ist der Unterschied zwischen Theorie und Paradigma?) - Welche vier klassischen Temperamentstypen lassen sich unterscheiden? - Welche Paradigmen der Persönlichkeitspsychologie lassen sich unterscheiden? Kriterien zur Bewertung von Persönlichkeitstheorien „Potenziell empirisch untersuchbare und falsifizierbare Aussagen zu mit systematischer Beobachtung zugänglichen Phänomenen sollten mit expliziter Terminologie widerspruchsfrei möglichst vollständig, aber dennoch sparsam dargelegt werden, sodass viele Fragestellungen bearbeitet und Erkenntnisse in der Praxis angewandt werden können.“ (Rauthmann, 2017) 1. Beschreibung: Ordnung in die Komplexität des beobachteten und gemessenen Erlebens, Empfindens und Verhaltens bringen 2. Erklärung: Ursachen für interindividuelle Unterschiede in der Persönlichkeit überzeugend darlegen 3. Vollständigkeit und Sparsamkeit in der Beschreibung und Erklärung interindividueller Persönlichkeitsunterschiede 4. Prüfbarkeit und empirische Evidenz: a. Operationalisierung (Messbarkeit) der in der Theorie enthaltenen Konzepte b. Ableitung von Hypothesen, die empirisch geprüft und validiert werden können 5. Produktivität: Anregung neuer / alternativer Hypothesen 6. Praxiswert: Praktische Anwendbarkeit Von Alltagsmythen zu Theorien Alltagspsychologische Perspektiven - Einschätzungen von anderen Menschen sind wichtig für das soziale Miteinander im privaten und gesellschaftlichen Leben - Laientheorien über Persönlichkeit sowie astrologische, theologische und esoterische Überlegungen sind im Alltag verankert, sind aber unwissenschaftlich 14 - Implizite Persönlichkeitstheorien sind an interpersonelle Wahrnehmungen in sozialen Kontexten gekoppelt und betreffen vier Aspekte: o Klassifikation: Wir klassifizieren Personen o Inferenz: Wir schließen von Merkmalen auf weitere Merkmale o Struktur: Wir formen ganze Struktursysteme an Merkmalen o Prädiktion: Wir wollen das Verhalten anderer durch stabile Merkmale erklären und vorhersagen - Naive Laientheorien über Persönlichkeitsmerkmale sind maßgeblich für die Ausgestaltung von Eigenschaftstheorien, die alltägliche Selbst- und Fremdwahrnehmung betonen (→ dispositionales Paradigma) Philosophische und medizinische Ansätze - Psychognostische Ansätze wollen von äußeren Merkmalen auf innere psychische Prozesse schließen - Diese Ansätze gelten heute als unwissenschaftlich und werden nicht mehr ernsthaft vertreten - Abwandlungen und Weiterentwicklungen prägten biopsychologische Persönlichkeitstheorien (→ biologisches Paradigma) - Konstitutionstypologische Ansätze o Beispiel 1: Lehre der 4 Körpersäfte nach Hippokrates und Galenos o Beispiel 2: 4 Temperamentstypen nach Immanuel Kant (oder Galen, oder diesem Waldorftyp, scheint ja wohl egal zu sein 15 - Wilhelm Wundt ( 1832 – 1920) arbeitete die antiken Temperamentstypen in zwei Dimensionen der Emotionalität (Affektintensität) und Wankelmütigkeit (Impulsivität) um: Von Theorien zum Paradigma 16 Die 7 Paradigmen der Persönlichkeitspsychologie Psychodynamisches Paradigma: - Ansätze, die sich mit motivationalen Kräften und Energien sowie Dynamiken zwischen diesen beschäftigen - Dabei gehen viele Ansätze auf unbewusste und „versteckte“ Motive oder Triebe ein und beschreiben, wie diese sich äußern und im Leben entwickeln Humanistisches / bedürfnistheoretisches Paradigma: - Ansätze, die die Einzigartigkeit einer Person und deren Menschlichkeit oder Menschwerdung in den Vordergrund rücken - Dabei werden für Personen charakteristische Erlebnisse, Erfahrungen und Entfaltungsprozesse fokussiert Behaviorales / lerntheoretisches Paradigma: - Ansätze, die Lernprozesse (v.a. Konditionierung und soziales Lernen) beschreiben und erklären - Durch Lernen können gewohnheitsmäßige und feste Muster des Verhaltens entstehen, die Teil einer umweltgeprägten Persönlichkeit sind Kognitives / konstruktivistisches Paradigma: - Ansätze, die kognitive Faktoren bei der Persönlichkeit betonen - Dabei werden stabile Tendenzen von Interpretationsmechanismen (wie Personen ihre Welt konstruieren) und Informationsverarbeitungsprozessen (z.B. Intelligenz, Einstellungen) untersucht Dispositionales / eigenschaftstheoretisches Paradigma: - Ansätze, die sich im weitesten Sinne mit Beschreibungen von Personen und deren Besonderheiten auseinandersetzen - Beschreibungsmodelle auf der Basis von Eigenschaften, Selbstkonzepten und Identität sind dabei von zentraler Bedeutung Biologisches / neurologisches / verhaltensgenetisches Paradigma - Ansätze, die die biologische Basis von Persönlichkeit beleuchten - Eine Vielzahl biologischer Faktoren (z.B. Gene, Anatomie, Hormone) wird dabei untersucht Transaktionales / interaktionistisches Paradigma - Ansätze, die komplexe Transaktionen und Interaktionen zwischen Personen und ihren Umwelten über die Zeit hinweg studieren - Verschiedene Themen sind dabei von Interesse, wie z.B. Stabilität und Veränderung von Persönlichkeit über die Lebensspanne 17 B1 – Psychodynamisches Paradigma Leitfragen: Welche differentiell psychologische Relevanz haben Freuds dynamisches Modell und sein Strukturmodell der menschlichen Psyche? Welche Bedeutung hat nach Ansicht Freuds die psychosexuelle Entwicklung für charakterliche Unterschiede zwischen Menschen? Worin unterscheidet sich Jungs dynamisches Modell von Freuds dynamischem Modell? Was versteht Jung unter den sogenannten Archetypen? Nach welchen merkmalsbezogenen Bausteinen lassen sich Jungs 8 Persönlichkeitstypen unterscheiden? Worin unterscheidet sich Adlers Ansatz von den meisten anderen psychodynamischen Ansätzen? Das Psychodynamische Menschenbild Ist beeinflusst von der im 19. Jh. Allgemein vorherrschenden Vorstellung, psychische Phänomene mit Naturgesetzen und physikalischen Formeln beschreiben zu können (→ Psychophysik) Psychodynamik will Aufschluss geben über die Auslösung psychischer Prozesse als Reaktionen auf bestimmte äußere und innere Einflüsse 18 Psychische Prozesse laufen nicht zufällig ab, sondern haben stets eine Ursache, die meist nicht dem Bewusstsein zugänglich ist Unbewusste Impulse (instincts, strivings) sind Grundmotor menschlichen Verhaltens, sie stellen psychische Energie bereit und treffen auf soziale Rahmenbedingungen (äußere Instanzen) des Auslebens Gegensätzliche Kräfte (psychische Instanzen) führen zu Konflikten, die Spannungen erzeugen und nach Entladung (Befriedigung) verlangen Zunächst sehr pessimistisches und deterministisches Menschenbild Der dynamischen Betrachtung wird analog zur Physik die strukturelle oder statische Betrachtung gegenübergestellt (Dynamik und Statik) Neuere Ansätze lösten sich von kritischen Begriffen wie instinktoide Triebe und legten mehr Fokus auf soziale Beziehungen und Autonomie des Ichs in der Persönlichkeitsentwicklung → Aufweichung der eher deterministischen und pessimistischen Sicht auf den Menschen Dynamische Modelle Das dynamische Modell von Freud Die menschliche Psyche als dynamisches Energiesystem: Dynamik zwischen Stärken und Schwächen (Kompensation vs. Dekompensation) Alle psychischen Prozesse (Gedanken, Gefühle und Verhaltensimpulse) erfordern und verbrauchen Energie, die von angeborenen Trieben bereitgestellt werden Umwandlung von biologischer in psychische Energie → Triebspannung, die nach Entladung verlangt Entladung der Triebspannung wird als Lustvoll empfunden, Aufstauung der Triebspannung als unangenehm Zwei elementare Triebe → Energien: - Eros: Sexualtrieb, Selbsterhaltungstrieb → Libido - Thanatos: Aggressionstrieb, Todestrieb → Destrudo Persönlichkeitspsychologische Bedeutung Allgemeinpsychologisch: Alles menschliche Denken, Fühlen und Verhalten wird durch tierische Triebe (grundlegende Natur menschlicher Motivation) energetisiert 19 Differentiell psychologisch: angeborene Triebstärke kann zwischen Menschen variieren und Triebbefriedigung kann sich in unterschiedlichen Verhaltensweisen mit unterschiedlicher Intensität und Häufigkeit äußern (z.B. Aggressivität) → genetisch bedingte interindividuelle Unterschiede → interindividuelle Unterschiede in psychischen Prozessen → interindividuelle Besonderheiten im Verhalten Das dynamische Modell von Jung Libido = unspezifische allgemeine psychische Energie (Lebensenergie) - Entstehe aus gegensätzlichen Kräften in der Psyche (Prinzip der Gegensätze), die in Anzahl möglicher Konflikte unendlich seien (z.B. ständiger Widerstreit zwischen dem Bewussten und dem Unbewussten) - Prinzip der Gleichwertigkeit: In einem psychischen Teilsystem zu investieren, kann nur auf Kosten eines anderen (gegensätzlichen) geschehen - Prinzip der Entropie: Kann sich in alle Richtungen verteilen zur Energetisierung des Verhaltens, das auf die Erreichung von Harmonie zwischen den Strukturen der Psyche (→ Selbst) abzielt Das dynamische Modell von Adler Die Rolle des Minderwertigkeitsgefühls - Ausgangspunkt: Körperliche Behinderungen („Minderwertigkeiten“) oder „Eingebildete“ Minderwertigkeiten aufgrund sozialer Konventionen (z.B. rote Haare, körperliche Schwäche) - Führt zu Wunsch nach Kompensation, zum Beispiel durch Spezialisierung einer anderen Funktion (z.B. Blinde hören und tasten besser) - Minderwertigkeitsgefühle durch bewusste Hilflosigkeit und Unvollkommenheit von Geburt an (sämtliche Bezugspersonen, Eltern und ältere Geschwister, sind größer und fähiger) - Wenn Personen eigene individuelle Minderwertigkeiten anerkennen und individuell kompensieren können → gesunde Entwicklung - Wenn nicht → „Minderwertigkeitskomplexe“ Vertikales Streben: Getting Ahead - Minderwertigkeitsgefühle führen zu einem Streben, diese Minderwertigkeiten zu beseitigen → vertikales Streben: soziale Anerkennung erreichen, Geltung, Überlegenheit über andere gewinnen oder Macht auf andere ausüben - Vertikales Streben als Motor menschlichen Verhaltens 20 - Adler hält diese Art der Kompensation des Minderwertigkeitsgefühls für sich allein als eine verfehlte Antwort auf die objektiv gegebene oder subjektiv empfundene Minderwertigkeit (Überlegenheitskomplexe) - Pathologische Kompensation: vertikales > horizontales Streben Horizontales Streben: Getting Along - Jeder Mensch besitze ein angeborenes Bedürfnis, ein Teil der Gemeinschaft zu sein und mit anderen zu kooperieren → horizontales Streben - Ist dieses Gemeinschaftsgefühl genügend entwickelt (durch soziales Vertrauen) → Erkenntnis, dass Minderwertigkeitsgefühle nur auf eine menschenwürdige Weise ausgeglichen werden kann: Kooperation mit anderen - Minderwertigkeitsgefühle können also auch durch Entwicklung und Sozialisation des Gemeinschaftsgefühls kompensiert werden - Gesunde Kompensation: vertikales Streben entspricht horizontalem Streben: ausgewogenes Maß zwischen Kooperation, Selbstbehauptung und Leistungsstreben Persönlichkeitspsychologische Bedeutung: Allgemeinpsychologisch: Denken, Fühlen und Verhalten werden durch Minderwertigkeitsgefühle geprägt und durch vertikales und horizontales Streben kompensiert Differentiell psychologisch: Verschiedene Minderwertigkeiten zwischen Menschen (biologisch oder durch Kultur vermittelt), interindividuelle Unterschiede in der Art und Weise der Kompensation Das dynamische Modell von Horney Angst und Feindseligkeit - Jeder Mensch besitze eine Grundangst (allein in einer bedrohlichen oder feindseligen Welt zu sein) → Abwehr dieser Angst durch sogenannte Lebensorientierungen, wie z.B.: o Streben nach Liebe: Eingehen bedeutungsvoller (fester und intimer) Beziehungen o Abhängigkeit: ▪ Institutionelle Unterwürfigkeit (Konformität, Traditionalität, Konservatismus) ▪ Nachgiebigkeit (es allen recht machen wollen) o Macht-, Besitz- und Statusstreben (soziale Dominanzorientierung) o Autonomiestreben (soziale Distanzierung) - Lebensaufgabe: Dynamik zwischen Angstgefühlen und Gefühlen der Feindseligkeit müssen gut und sinnvoll kompensiert werden o Gelingt es: gesunde Entwicklung o Gelingt es nicht: neurotische Störungen Kurze Zusammenfassung Dynamische Modelle versuchen, menschliches Streben und Handeln durch grundlegende, zum Teil angelegte (biologisch verankerte), zum Zeil durch soziale Umwelt geprägte menschliche Natur aus Motivationen (z.B. Sexualtrieb, horizontales Streben) und Affekten (z.B. Minderwertigkeitsgefühl, Grundangst) zu erklären. 21 Strukturmodelle Das Strukturmodell von Freud - Es: Der von Geburt an angelegte Sitz der Triebe, der nach unmittelbarer Triebbefriedigung verlangt (Lustprinzip). Im ersten Lebensjahr ist der Mensch noch nicht zum Befriedigungsaufschub in der Lage, muss erst erlernst werden. - Ich: Entwickelt sich nach dem Es und handelt in Auseinandersetzungen mit der Umwelt und den gemachten Erfahrungen, um „vernünftig“ Befriedigung zu erreichen (z.B. Befriedigungsaufschub oder -Verlagerung), ohne in Konflikt mit sozialen Normen und Werten (Über-Ich) zu gelangen (Realitätsprinzip) - Über-Ich: Der zuletzt entwickelte Sitz der internalisierten Gebote (Ideal-Ich) und Verbote (Gewissen), welche durch Bezugspersonen und Kultur vermittelt werden, Triebe bewerten und „nichtmoralisches“ Denken, Fühlen und Verhalten mit Schuldgefühlen bestrafen (Moralitätsprinzip) Konflikte → Ängste → Abwehrmechanismen 22 Konflikte → Ängste → Abwehrmechanismen Drei Bewusstseinsebenen: - Bewusstsein: enthält alle gegenwärtigen Gedanken, Vorstellungen, Erinnerungen und Bilder, auf die eine Person willentlich zugreift - Vorbewusstsein (10 – 20 %): enthält alle bewusstseinsfähigen Inhalte (v.a. Erinnerungen), die sich bei Bedarf sofort ins Bewusstsein rufen lassen - Unterbewusstsein (80 – 90 %: enthält alle Gefühle, Erinnerungen und Wünsche, die nicht willkürlich zugänglich gemacht werden können, aber über motivationale Kräfte verhaltenswirksam werden (z.B. Freudscher Versprecher) 23 Persönlichkeitspsychologische Bedeutung: Allgemeinpsychologisch: Das Strukturmodell ist ein System zur Beschreibung psychischer Instanzen bei allen Menschen Differentiell psychologisch: - Individuelle Unterschiede in der Ich-Stärke (Selbstwertgefühl) - Kulturelle Unterschiede → Variation zwischen Kulturen hinsichtlich der Gebote und Verbote im Über-Ich → Variation in der Regulation der Triebbefriedigung → Variation hinsichtlich der Intensität von Konflikten/Ängsten und Abwehrmechanismen - Ausbildung von Vorlieben für bestimmt Abwehrmechanismen → Typen (z.B. „Represser“, „Verdränger“) Das Strukturmodell von Jung 3 Psychische Instanzen - Das Ich (Selbst): vereinigende Kraft im Zentrum des Bewusstseins, das die bewussten Gedanken und Gefühle in Bezug auf Verhalten, Erinnerungen und Erfahrungen enthält und die Libido entsprechend ausrichtet oder lenkt. - Das individuelle Unbewusste: Speicher aller persönlichen Erfahrungen (als individuelle Komplexe gespeichert), die aus dem Bewusstsein gedrängt wurden oder nie bewusst waren (subliminale Erfahrungen) - Das kollektive Unbewusste: Alle angeborenen Erfahrungen (als Archetypen gespeichert), die die Menschheit im Laufe ihrer Evolution gesammelt hat, von allen Menschen geteilt wird und das stereotype Erleben, Denken und Verhalten des Menschen beeinflussen Individuelle Komplexe = Gefühle, Gedanken, Wahrnehmungen um einen erlebten Sachverhalt oder Ideen - Verdrängte oder vergessene Komplexe können als „Affekt“ ins Bewusstsein treten und häufig unbewusst Gedanken, Motive und Handlungen beeinflussen - Bsp.: „Adonis-Komplex“: Störung des Selbstbildes hinsichtlich der unzureichenden Ausprägung des eigenen Äußeren und der eigenen Muskulatur gemessen an der eigenen Idealvorstellung (kann durch die soziale Gemeinschaft geprägt sein) → exzessiver Muskelaufbau, Essstörungen und Schönheitsoperationen - Komplexe seien mithilfe des Wortassoziationstests aufzudecken Archetypen = universelle Urbilder oder Symbole im kollektiven Unbewussten - Treten in allen Kulturen überall auf der Welt in Erscheinung - Lösen kulturübergreifend Grundassoziationen und geistige Ideen aus - Beispiele: Held, Ungeheuer, Gott, Kreis 24 Beispiele für Archetypen: - Persona: Maske oder Rolle, die wir uns zulegen, um besser mit der Außenwelt zurecht zu kommen. Sie hilft uns, unsere inneren Gefühle zu verbergen und in sozial angemessener Weise mit anderen Menschen zu interagieren. Wir haben verschiedene Persona für verschiedene soziale Rollen. - Schatten: Die dunkle Seite unseres Wesens, bestehend aus verdrängten Inhalten in unserem persönlichen Unbewussten und universellen Urbildern des Bösen in unserem kollektiven Unbewussten. Wir kennen den Schatten in uns kaum vollständig, da es zu beängstigend wäre, unser Potential für Böses zu erkunden. Er drücke sich in unerklärbaren Stimmungen, unkontrollierter Wut, psychosomatischen Schmerzen etc. aus. - Anima: Das weibliche Element in der männlichen Psyche, bestehend aus angeborenen Vorstellungen dessen, was Frauen ausmache, die wiederrum aus dem männlichen Erleben von Frauen in der Evolution entstanden sind. - Animus: Das männliche Element in der weiblichen Psyche, bestehend aus angeborenen Vorstellungen dessen, was Männer ausmache. - Animus und Anima sollen helfen, das jeweils andere Geschlecht besser zu verstehen. - Selbst: Das allen Menschen eigene Potential, die uns innewohnende Einzigartigkeit zu erreichen. Das Selbst werde durch den Prozess der Individuation erreicht, im Zuge dessen ein Ausgleich der Kräfte innerhalb der Psyche herbeigeführt wird und man lerne, sich so zu akzeptieren, wie man wirklich ist. Persönlichkeitspsychologische Bedeutung: Allgemeinpsychologisch: Alles menschliche Denken, Fühlen und Verhalten wird durch psychische Instanzen beeinflusst und gesteuert und durch die Libido energetisiert Differentiell psychologisch: Interindividuelle Unterschiede in der Auseinandersetzung mit den eigenen verborgenen Kräften (z.B. Archetypen) und innerpsychischen Komplesen → interindividuelle Unterschiede auf dem Weg zu „Selbst“ Kurze Zusammenfassung Strukturmodelle beschreiben psychische Instanzen, die an der Steuerung und dem Ausdruck der Motivationen, Kognitionen, Emotionen und Verhalten beteiligt sind Das ICH (EGO) spielt bei der Steuerung und Ausrichtung verschiedener Kräfte (z.B. individuelles und kollektives Unbewusstes) und Energien (z.B. Libido) in unserer Psyche eine zentrale Rolle 25 Entwicklungsmodelle Freuds Psychosexuelles Entwicklungsmodell - Die Art der Triebbefriedigung ändere sich während der Kindheit mehrfach und durchlaufe eine feste Abfolge von Phasen - Freud formulierte diese Annahmen nur für den Sexualtrieb detailliert aus - Jede psychosexuelle Entwicklungsphase ist durch eine erogene Zone des Körpers definiert, in der libidinöse Triebspannung erzeugt und abgebaut wird: o Orale Phase: 0-1 Jahre o Anale Phase: 1-3 Jahre o Phallische / Ödipale Phase: 3-6 o Latenzphase: 6-Pubertät o Genitale Phase: Pubertät bis Erwachsenenalter Orale Phase: - Erogene Zone: Mund, Lippen und Zunge - Bedürfnis: Auf- und Einnehmen - Triebbefriedigung: Saugen (auch ohne Nahrungsaufnahme - Entwicklungsaufgabe: Aufbau sozialen Vertrauens Anale Phase: - Erogene Zone: Anus - Bedürfnis: Ausscheidung - Triebbefriedigung: kontrollierter Stuhlgang - Entwicklungsaufgabe: Aufbau der Selbstkontrolle → Entwicklung des Ich und der Ich-Stärke (des Selbstvertrauens und des Selbstwertgefühls) Phallische Phase: - Erogene Zone: Genitalien - Bedürfnis: o Jungen rivalisieren mit Vater um Mutter → Angst vor dem Vater o Mädchen rivalisieren mit Mutter um Vater → Angst vor der Mutter - Triebbefriedigung: Bindung an das gegengeschlechtliche Elternteil - Entwicklungsaufgabe: Identifikation mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil o → Übernahme von Geschlechterrollen, gesellschaftlichen Erwartungen, Werten und Normen von den Eltern o → Entwicklung des Über-Ich Latenzphase: - Sexualtrieb schlummert und die geistige Entwicklung tritt in den Vordergrund. Identifikation mit Peers wird wichtiger Genitale Phase: - Erogene Zone: Genitalien - Bedürfnis: Intimität, Sex - Triebbefriedigung: Sexualität - Entwicklungsaufgabe: Partnerschaft 26 Störungen der psychosexuellen Entwicklung - Dauerhaft zu viel oder zu wenig Triebbefriedigung während einer bestimmten frühen psychosexuellen Entwicklungsstufe - → Fixierung: Steckenbleiben auf einer Entwicklungsstufe - Fixierungen äußern sich in bestimmten Charaktereigenschaften (siehe Charaktertypen) - Unregelmäßige oder erschwerte Triebbefriedigung während einer später entwickelten (reiferen) Form des Spannungsabbaus - → Regression: Rückfall auf frühere Formen der Triebbefriedigung - Regressionen sind zeitlich und situativ begrenzte Phänomene, äußern sich durch Verhaltensweisen zum Abbau von Triebspannung, die nicht dem Alter der Person entsprechen Persönlichkeitsentwicklung nach Jung - Entwicklung sei ein kontinuierlicher Prozess über die gesamte Lebensspanne zur Integration der gegensätzlichen psychischen Kräfte - Kindes- und Jugendalter: Entwicklung des „Ich“ und der eigenen Identität → Fokus auf die objektive Welt (Lernen, Karriere, Familiengründung) - Mittleres Erwachsenenalter: Nach Erfüllung von Lebensaufgaben Gefühl der Leere → Folus auf die internale subjektive Welt („Selbst) - → Individuation: Integration aller bewussten und unbewussten Facetten unserer Persönlichkeit „Die Persönlichkeit als eine völlige Verwirklichung der Ganzheit unseres Wesens ist ein unerreichbares Ideal. Die Unerreichbarkeit ist aber nie ein Gegengrund gegen ein Ideal, denn Ideale sind nichts als Wegweiser und Ziele.“ (Jung, 1939) - Selbstverwirklichung (Individuation) könne nur im mittleren bis hohen Alter erreicht werden, da ein hohes Maß an Lebenserfahrung erforderlich sei 27 - Alle Menschen gehen die Selbstverwirklichung auf unterschiedlichen Wegen an, was sich in verschieden dominierenden Ich-Orientierungen und psychischen Grundfunktionen zeige (siehe Charaktertypen) - Extraversion: Ich-Orientierung der Aufmerksamkeit (bzw. der psychischen Energie) nach außen, zur objektiven Welt und Erfahrung - Introversion: Ich-Orientierung der Aufmerksamkeit (bzw. der psychischen Energie) nach innen, zur subjektiven Welt und Erfahrung Persönlichkeitsentwicklung nach Adler - Menschen haben die Möglichkeit, ihr Schicksal selbst zu gestalten („Die kreative Macht des Selbst“) - Jeder Mensch ist in der Lage, das eigene kreative Potential zu nutzen, um einen individuell angepassten Lebensstil zu entwickeln, in dem Minderwertigkeiten kompensiert und das Selbst verwirklicht werden kann Die Rolle der Eltern - (soziales) Vertrauen ist entscheidend zur Bewältigung von drei grundlegenden Anforderungen im Leben: Berufsleben, Freundschaft, sexuelle Partnerschaft - Eltern vermitteln Vertrauen und setzen erstes Rollenmodell zur Bewältigung dieser Anforderungen des Lebens - Ist dieses Rollenmodell unangepasst (z.B. wenn Vater und Mutter mit ihren Rollen unzufrieden sind oder die Beziehung der beiden von Konflikt und Unzufriedenheit geprägt ist: Irritation der Kinder - Beispiel: Zufriedene Mütter vermitteln alle sozialen Fertigkeiten; unzufriedene Mütter setzen zu hohe Anforderungen an das Kind (früher laufen lernen, besser in der Schule sein) → Minderwertigkeitskomplexe Die Rolle der Geschwisterreihe - Die innerfamiliären Beziehungen ändern sich mit jedem neu hinzukommenden Kind und jedes Kind werde in Abhängigkeit von seiner Position in der Geschwisterreihe anders behandelt 28 Störungen der Entwicklung - Innerfamiliäre Erfahrungen und Erlebnisse, sowie deren individuelle Interpretation, nehmen einen hohen Stellenwert bei der Entwicklung ein - Schädigende Faktoren: o Wahrnehmen und Empfinden von Minderwertigkeit o Mangelhafte Kompensation der Minderwertigkeit o Vernachlässigung und Zurückweisung durch Bezugspersonen o Verhätschelung durch Bezugspersonen ➔ Begünstigung der Entwicklung eines neurotischen Charakters 29 Charaktertypen / Persönlichkeitstypen Begriffsbestimmung: Nicht eindeutig definiert. Bezieht sich häufig auf interindividuelle Unterschiede in: soziokulturellen Erfahrungen entwickelten Aspekten der Persönlichkeit (b) in moralisch relevanten Persönlichkeitseigenschaften und Kompetenzen, die ein soziales Verhalten und Miteinander ermöglichen (z.B. Ehrlichkeit) Der neurotische Charakter (Adler, Horney) - Vermag seine Minderwertigkeitsgefühle bzw. seine Grundängste nur inadäquat zu kompensieren - Neigt zu Über- oder Unterbewertung der eigenen Person - Ist oft angespannt und unsicher in Bezug auf die Anforderungen des Lebens - Vermeidet Situationen, in denen Versagen möglich ist (Misserfolgsvermeidung) - → es gibt nicht „den“ neurotischen Charakter, sondern individuelle Auffälligkeiten, die ganz individuell zu diagnostizieren und zu behandeln sind. Dennoch entwickelten viele Analytiker*innen ein System von Persönlichkeitstypen zur groben Unterscheidung von gesunden und ungesunden Lebensstilen/Charakteren Freuds Charaktertypologie Störung der Bedürfnisbefriedigung während der oralen Phase → oraler Charakter: starkes Bedürfnis nach Ein-und Aufnahme - zeigt Vorliebe für oral vermittelte Genüsse (Essen, Trinken, Rauchen, Lutschen) - hat höheres Suchtpotential für Drogen - ist sensationslustig, neu-und wissbegierig Zu viel Bedürfnisbefriedigung während der oralen Phase → oral rezeptiver Charakter: abhängig, vertrauensselig, leichtgläubig, submissiv Zu wenig Bedürfnisbefriedigung während der oralen Phase → oral aggressiver Charakter: ausbeuterisch, missgünstig, dominant, gewalttätig; strebt nach materiellen Gewinn Störung der Bedürfnisbefriedigung während der analen Phase z.B. zu frühe und zu strenge Sauberkeitserziehung → anal retentiverCharakter: starkes Bedürfnis nach Kontrolle - ist sehr kontrolliert, stur, diszipliniert und geizig - bevorzugt Ordnung, Regeln und Struktur - zeigt zwanghafte Verhaltensweisen z.B. zu späte und zu laxe Sauberkeitserziehung → anal explosiver Charakter: Bedürfnis nach Selbstbestimmung - zeigt geringe Selbstkontrolle und ist verschwenderisch - ist unordentlich, undiszipliniert und impulsiv - verwehrt sich Regeln und rebelliert gegen Autoritäten Störung der Bedürfnisbefriedigung während der phallischen Phase gestörte Identifikation des Jungen mit dem Vater → männlich phallischer Charakter. Betont seine Männlichkeit und Potenz übermäßig, ist eitel und achtet auf seine Figur, strebt nach Macht und Anerkennung 30 Gestörte Identifikation des Mädchens mit der Mutter → weiblich phallischer Charakter. Betont Weiblichkeit durch kokettes Auftreten, dramatisch-theatralisch, manipulatives Verhalten. Zeigt sich naiv, abhängig und unterwürfig Jungs Persönlichkeitstypologie - Extraversion: Extravertierte sind aktiv, abenteuerlustig, kontaktfreudig, offenherzig und gesellig, passen sich schnell an neue Begebenheiten an und knüpft rasch neue Bindungen. - Introversion: Introvertierte sind zögerlich, vorsichtig, nachdenklich und schüchtern, am liebsten allein und eher reserviert im Knüpfen neuer Bindungen. Psychische Grundfunktionen - Rationale Funktionen o Denken: Bewertung von Sinneseindrücken und Verstehen der Realität nach Vernunft und Logik (z.B. wahr vs. falsch). o Fühlen: Bewertung von Sinneseindrücken nach der Valenz und Erfassen der Realität über Emotionen (z.B. angenehm vs. unangenehm). - Irrationale Funktionen o Empfinden: bewusste Wahrnehmung und Erfassen der Realität über Erfahrungen (z.B. das Gras ist grün) o Intuition: unbewusste und unterschwellige Wahrnehmung der Realität (z.B. über Bilder, Symbole und Ahnungen) Jede Ich-Orientierung und jede Funktion sein in jedem Menschen vorhanden, wobei aber nur jeweils eine Orientierung und eine der rationalen oder der irrationalen Funktionen dominiere Kombination aus den zwei Ich-Orientierungen und den vier psychischen Grundfunktionen ergibt acht Typen: 31 Diagnostik in den psychodynamischen Ansätzen Freuds Psychoanalyse Traumdeutung - Annahme: Im Schlaf ist die Kontrolle des Ichs über das Es ausgeschaltet → Ausleben der Triebimpulse im Traumgeschehen - Träume geben Auskunft über verdrängte Wünsche und Konflikte, die symbolisch verschlüsselt seien (manifeste Trauminhalte) - Traumtagebücher zum Festhalten manifester Trauminhalte, die von ausgebildeten Psychoanalytiker:innen gedeutet werden müssen (latente Trauminhalte) - Es existiert kein feststehender Symbolkatalog, Trauminhalte müssen von Analytikerinnen patientenspezifisch unter anderem auch durch weitere Methoden (z.B. freies Assoziieren) interpretiert werden 32 Freie Assoziation - Patient lässt im entspannten Zustand seinen Gedanken zu bestimmten Inhalten (z.B. manifeste Trauminhalte) unzensiert freien Lauf - 3 zentrale Annahmen: o Freie Gedanken führen zu unbewussten Geistesinhalten o Wenn kein Widerstand, dann weisen Assoziationen auf bedeutsame Inhalte für die Therapie o Entspannung minimiert Widerstand - Bedeutung der Gedankengebilde erst durch Analytiker zu interpretieren - Oft identifizieren Patienten die Therapeuten mit wichtigen Bezugspersonen und übertragen Gefühle und Triebwünsche gegenüber diesen Personen auf Therapeuten (→ Projektion) → Aufdeckung verdrängter Wünsche und Konflikte - Als Behandlungsmethode reagieren Therapeutinnen mit Gegenübertragung, indem sie sich so verhalten wie die entsprechende Person → Konflikte werden neu durchlebt, ins Bewusstsein gerückt und können so bewältigt werden Jungs analytische Diagnostik Traumanalyse zur Aufdeckung individueller und kollektiver Komplexe - Traumserienmethode o Bezug auf eine Serie von Träumen (Traumtagebuch), um bestimmte, sich wiederholende Traumthemen ausfindig zu machen o Vergleiches des Traumelements mit Symbolen aus Mythen, Geschichten, Völkerkunde und Religionswissenschaften (Archetypen) - Amplifizierung o Freie Assoziation zu einem Traumelement durch Testperson o Therapeut:in lässt bestimmte Archetypen einfließen - Aktive Imagination o Konzentration auf ein Traumbild durch die Testperson und Beobachtung, was mit dem Bild passiert, dabei Rückmeldung Wortassoziationstest - Art der Reaktion: verlängerte Reaktionszeit, Atmung, Hautleitfähigkeit, Stottern, Reaktionen mit mehreren Wörtern - Art des Inhalts: Wiederholungen, Erinnerungsfehler - Interpretation des Inhalts durch Therapeutin - Beispiel: Komplex einer unglücklichen Liebe. o „Treue“ → „hat sie nicht gehalten“ o Wählen → einen anderen o Lieb → hatte ich sie o Wunder → müsste geschehen Myers-Briggs-Typenindikator Aus Jungs Ich-Orientierungen und psychischen Basisfunktionen resultieren drei Skalen und zusätzliche Skala Rationalität → 16 Persönlichkeitstypen 33 Adlers individualpsychologische Diagnostik ➔ Aufdecken des fehlerhaften Lebensstils und von unangepassten Überzeugungen zur Grundlage der Entwicklung eines sozial nützlichen und daher gesunden Lebensstils B2 – Humanistisches / Bedürfnistheoretisches Paradigma Leitragen: - Welche grundlegenden Annahmen liegen dem humanistischen Menschenbild zugrunde? - Was wird unter sogenannten need x press Interaktionen verstanden? - Wie lässt sich der prozessuale Unterschied zwischen Defizit- und Wachstumsbedürfnissen beschreiben? - Welche Elemente beinhaltet das Selbstkonzept nach Rogers? - Was sind nach Rogers die Voraussetzungen für eine funktionale Persönlichkeitsentwicklung? - Was wird unter primärem und sekundärem Kontrollstreben verstanden? - Wie lassen sich Interessen von Motiven, Bedürfnissen und Zielen abgrenzen? Bekannte Vertreter:innen: Murray, Maslow, Rogers, Jutta Heckhausen Das Humanistische Menschenbild Humanismus: Philosophische Strömung, die der Menschheit die Fähigkeit zutraut, sich zu einer besseren Existenzform zu entwickeln Annahme: - Jeder Mensch ist zu einer lebenslangen Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung seiner Persönlichkeit motiviert und fähig - Dabei sind die höchsten Ziele Autonomie, Sinnfindung und Selbstverwirklichung - Der Mensch ist von Natur aus gesund und besitzt Selbstheilungskräfte ➔ Der Mensch ist anpassungsfähig und kann aus eigener Kraft schwierige Lebensbedingungen meistern sowie Krankheiten und Störungen kompensieren 34 Grundlegende Konzepte Motive = grundlegende, bewusste oder unbewusste menschliche Impulse, die - sich in spezifischen situativen Bedürfnissen (needs) individuell zeigen und in persönlichen Zielen (goals) ausdrücken - in der Häufigkeit und Intensität des Auftretens zwischen Menschen variieren können Ziele = bewusst repräsentierte individuelle, für wichtig gehaltene mittel- oder langfristige Bestrebungen. Verflochten mit, aber erheblich spezifischer als Motive (personalisierte individuelle Motive) Interessen = intrinsische Motivationen in Bezug auf bestimmte Tätigkeiten, Objekte und Handlungen Ziele und Motive Murrays Konzepte von needs und presses Bedürfnisse (needs) Primäre (viszerogene) Bedürfnisse: angeborene Bedürfnisse, die für das Überleben und die Erhaltung der Art unabdingbar sind, z.B. Sexualität, essen, Ausscheidung, Schlaf, Schutz, Vermeidung körperlichen Leids → primär körperliche Befriedigung Sekundäre (psychogene) Bedürfnisse: Aus den primären Bedürfnissen entwickelte Bedürfnisse im Laufe der Sozialisation, z.B. Leistung, Bindung, Unabhängigkeit, Macht, Vermeidung psychischen Leids, Ordnung, Selbstdarstellung oder Sinnhaftigkeit → primär psychische Befriedigung Needs und needs x press-interactions Menschen können sich in ihren Bedürfnisprofilen (=Persönlichkeit) unterscheiden → individuell dominierende Bedürfnisse äußern sich häufiger und intensiver Ein Bedürfnis - führt zur selektiven Wahrnehmung von Reizen in der Umwelt und zu einer spezifischen Reaktion auf diese Reize - äußert sich in der Art und Weise des Verhaltens - kann aus dem Resultat von Verhalten abgeleitet werden - wird von bestimmten Emotionen begleitet - führt zu Befriedigung, wenn ein bestimmtes Resultat erreicht ist, oder zu einer Enttäuschung, wenn nicht 35 ➔ Situative Bedingungen → need x press interactions: konkrete Bedürfnisse in einer bestimmten Situation äußern sich situationsspezifisch Situative Bedinungen (presses) und Verhalten Konkretes Verhalten kann nur aus der Interaktion von Personenmerkmalen (needs) und Merkmalen der Situation (presses) erkärt werden (needs x presses interaction) α-press: objektive Merkmale einer Situation, die eine Bedürfnisbefriedigung ermöglichen oder verhindern. Z.B. Bedürfnis nach Machtausübung erfordert (zumindest digitale) Anwesenheit anderer Personen β- press: subjektive Wahrnehmung und Interpretation einer Situation durch die Person. Z.B. Bedürfnis nach Sexualität in einer Partnerschaft, in der jeder der beiden erwartet, vom anderen verführt zu werden als Zeichen des Bedürfnisses Diagnostik von Bedürfnissen Thematischer Apperzeptionstest (TAT) - Test besteht aus 30 Bildtafeln mit mehrdeutigen Zeichnungen - Erzählen einer Geschichte zu jeder Tafel, wobei die Gliederung wie folgt vorgegeben ist: o Wie ist es zur dargestellten Situation gekommen? o Was passiert gerade? Was denken und fühlen die Akteure? o Wie geht es weiter? - Registrierung der Nennungen von Bedürfnissen (needs) der Figuren und der Umweltbedingungen (presses), denen sie gegenüberstehen - Häufigkeit der Nennungen soll Auskunft über die Ausprägung bestimmter Bedürfnisse und die charakteristischen need×pressKonstellationen der erzählenden Person selbst geben Personality Research Form (PRF) – Jackson 1994, deutsche Version Stumpf et al. 1985 - 2 Parallelformen zu 234 Items (Aussagen, die mit Richtig vs. Falsch zu beurteilen sind) = 14 Skalen mit je 16 Items + Validitätsskala mit 10 Items - Skalen: - Beispielitems: o „Ich arbeite, weil ich arbeiten muss, und nur deswegen.“ o „Ich fluche viel.“ o „Ich habe nur wenig Interesse daran, andere zu führen.“ o „Es ist mir wichtig, dass ich mit den Leuten um mich herum zurecht komme.“ 36 Maslows Konzepte von Mangel- und Wachstumsbedürfnissen Menschliche Defizitmotive (deficiency motives) …resultieren aus einem Zustand des Mangels und zielen darauf ab, diesen zu beseitigen - Physiologische Motive: Nahrung, Sauerstoff, Sexualität… - Sicherheitsmotive: materieller Schutz, Ordnung und Berechenbarkeit der Umwelt - Anschlussmotiv: Zugehörigkeit, Liebe, Intimität - Anerkennungsmotiv / Statusmotiv: Achtung und Wertschätzung durch andere und sich selbst → unangenehme Gefühle (Angst, Traurigkeit) als Ausdruck eines Mangelzustands, der Ist-Soll- Diskrepanz signalisiert → Handlungsmotivation, um einen angenehmen Zustand, das Ist-Soll-Gleichgewicht, wieder herzustellen ➔ Homöostase Menschliche Wachstumsmotive (growth motives) …entsprechen dem Streben nach Selbstverwirklichung, seine eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten auszuleben und Sinn im Leben zu finden ➔ Heterostase Maslows Bedürfnispyramide - Bedürfnisse sind angeboren und folgen einer hierarchischen Ordnung - Dabei müssen tendenziell zunächst niedrigere Bedürfnisse befriedigt werden, bevor übergeordnete Bedürfnisse zum Tragen kommen Persönlichkeitspsychologische Bedeutung Allgemeinpsychologisch: hierarchische Ordnung der Bedürfnisse und die Prozesse Homöostase und Heterostase Differentiell psychologisch: - Bedürfnisse können in ihrer Stärke interindividuell variieren, was wiederum interindividuelle Unterschiede im Verhalten erklären kann - Persönlichkeit kann anhand von zwei Größen beschrieben werden: o Profil der typischen Ausprägungen in den Bedürfnissen o Entwicklungsstand des Individuums in der Bedürfnispyramide 37 Persönlichkeitsentwicklung Psychische Störungen …entstehen aus dem Fehlen der Befriedigung von Bedürfnissen - Je niedriger die hierarchische Ebene, desto tiefgreifender die Störung - Bei tiefgreifenden Störungen, zum Beispiel bei Mangel an Sicherheit und sozialem Anschluss (→ Angststörungen) → langwierige psychoanalytische Therapie - Bei weniger schwerwiegenden Problemen, zum Beispiel beim Mangel an Anerkennung durch andere oder sich selbst (→ Depressive Verstimmung) → kürzere Behandlungsstrategien einschließlich Verhaltenstherapie - Maslow schätzte Gruppentherapieverfahren und Selbsterfahrungsgruppen zur Spiegelung des eigenen Wesens/Potenzials der Teilnehmer 38 Rogers Konzeptionen des Selbst und der Selbstaktualisierung „Wie ich bin ist gut genug, wenn ich es nur offen sein könnte“ (Carl Rogers) Rogers positives Menschenbild Humanistischer und phänomenologischer Rahmen: - Die Natur des Menschen sei im Kern positiv, zielstrebig und konstruktiv in Richtung Differenzierung, Selbstverantwortlichkeit, Kooperation und Reife - Die wichtigsten Determinanten des Verhaltens seien bewusste Wahrnehmungen und Gefühle in Verbindung mit sozialen Interaktionen - Rogers entgegnet dem Vorwurf, ein naiver Optimist zu sein, wie folgt: „Ich habe kein euphorisches Bild von der menschlichen Natur Ich weiß, dass Individuen aus Abwehr und innerer Angst sich unglaublich grausam, destruktiv, unreif, regressiv, asozial und schädlich verhalten können. Es ist dennoch einer der erfrischendsten und belebendsten Aspekte meiner Erfahrung, mit solchen Individuen zu arbeiten und die starken positiven Richtungsneigungen zu entdecken, die sich auf den tiefsten Ebenen bei ihnen wie bei uns allen finden.“ (1961) Selbst und Selbstaktualisierung Aktualisierungstendenz …ist die angeborene Tendenz eines Organismus (Physisches + Psychisches), dessen Bedürfnisse zu befriedigen, Möglichkeiten in einer Weise zu entwickeln, um ihn zu erhalten und zu fördern → Wachstum, Autonomie, Entfaltung / Komplexität - Ein beständiger und autonomer angeborener organismischer Bewertungsprozess bemisst alle Erfahrungen, Erlebnisse und Verhaltensweisen des Menschen dahingehend, in welchen Ausmaß diese zur Aktualisierung beitragen (→ positive Gefühle) oder nicht (→ negative Gefühle) - Gefühle signalisieren uns, welche Erfahrungen und Verhaltensweisen wir meiden oder anstreben sollen Selbstkonzept …enthält alle Erfahrungen und Bewertungen, die sich auf die eigene Person beziehen („Wer bin ich?“), und beinhalten: - Vorstellungen über die eigene Person, - Das eigene Können und Funktionieren, - Das subjektive Wissen der Beziehungen der Person zu anderen Personen und zur Außenwelt, - Die Bewertung dieser Aspekte - Begleitende Gefühle Aktualisierungstendenzen, die das Selbstkonzept betreffen, werden als Selbstaktualisierungstendenzen bezeichnet mit dem Ziel der Selbstverwirklichung → „voll funktionale Person“ - Wir neigen dazu, Dinge so wahrzunehmen und zu interpretieren, dass diese zu unserem Selbstkonzept passen (inneres Bezugssystem) → die einzigartige subjektive Welt des Individuums(vgl. George Kelly: Konstruktivismus) - Das Selbstkonzept resultiert nicht nur aus Selbstwahrnehmung und Selbstbewertung, sondern auch aus Fremdbewertung, v.a. durch wichtige Bezugspersonen (Eltern, Partner, Freunde) 39 - Der Mensch als soziales Wesen hat ein natürliches Bedürfnis nach Wertschätzung und sozialer Anerkennung → Wirksamkeit der Fremdbewertung für das Selbstkonzept → Unterscheidung zwischen Realselbst (wie ich bin) und Idealselbst (wie ich sein sollte) Rolle der Fremdbewertung Unbedingte positive Wertschätzung → Selbstkonsistenz → Ausrichtung des Verhaltens zur Selbstaktualisierung Bedingte positive Wertschätzung (Akzeptanz an Bedingungen geknüpft) → Selbstakzeptanz und Fremdbewertung widersprechen sich → Konflikt zwischen dem Bedürfnis nach Selbstaktualisierung und Wertschätzung durch andere → Selbstinkongruenz: Konflikt zwischen Realselbst und Idealselbst → Blockierung der Selbstaktualisierung Selbstinkongruenz Bewusste Inkongruenz: Spannungen (verminderter Selbstwert) und innere Verwirrungen (Unzufriedenheit, Unglücklichsein, Krise) ➔ Organismische Abwehrmechanismen gegen selbstwertbedrohliche Erfahrungen: o Verzerrung: Adaptation der Erfahrung zur Übereinstimmung mit dem Selbstkonzept ▪ Verzerrte (In-)Kongruenz: z.B. Narzissmus (verzerrte Selbsterhöhung) o Verleugnung: Verhinderung des Zugangs der Erfahrung ins Bewusstsein o → unbewusste Inkongruenz: Ängste, Depression Persönlichkeitspsychologische Bedeutung Allgemeinpsychologisch: Die Natur des Menschen ist positiv und die treibende Kraft sind (Selbst- )Aktualisierungstendenzen zum Wachstum und zur Entfaltung des Selbst Differentiell psychologisch: Interindividuelle Unterschiede im Selbstkonzept, in der Selbstbewertung (Selbstwert) und begleitenden Gefühlen → Unterschiede im Denken, Empfinden, Wahrnehmen und Verhalten 40 Persönlichkeitsentwicklung - Persönlichkeitsentwicklung sein ein lebenslanger Prozess und persönliches Wachstum könne in jedem Alter stattfinden - Selbstaktualisierungstendenz ist treibende Kraft im Persönlichkeitsentwicklungsprozess - Der Endpunkt der Persönlichkeitsentwicklung, was selten erreicht werde: „voll funktionale Person“ o Selbstkongruenz = Harmonie zwischen Realselbst und Idealselbst o Nutzung der bedingungslosen positiven Wertschätzung durch andere als Gradmesser und Wegweiser zur Selbstverwirklichung Hauptcharakteristika einer voll funktionalen Person: - Offenheit für auch widersprüchliche Erfahrungen (Gefühle, Einstellungen, Erinnerungen) - Existenzielles Lebensgefühl (Leben im Augenblick mit einem Maximum an Anpassungsfähigkeit) → Spontaneität, Flexibilität, Toleranz - Wachsendes Vertrauen zum eigenen Organismus (Einsicht, dass Organismus ein angemessenes Instrument ist, dasjenige Verhalten hervorzubringen, das in der jeweiligen Situation angemessen ist) - Subjektive Freiheit / Autonomiewahrnehmung - Kreativität / schöpferische Entfaltung Diagnostik des Selbstkonzepts und der Selbst(in)kongruenz Messung des Selbstkonzepts mittels Q-Sort-Technik (Rogers & Dymond, 1954) - Ca. 100 Adjektive oder kurze Aussagen auf separaten Karten, z.B. 41 - Probanden müssen Karten in Kategorien einsortieren, z.B. Likertskala 1-9 - Sortierung in Bezug auf reales Selbst und ideales Selbst - Bestimmung der Selbstkongruenz über die Profilkorrelation Die Selbst(in)kongruenz (Osgood et al., 1957) - Einschätzung von Begriffen („Selbst“) auf bipolaren Adkjektivzuschreibungen, meist 7-Punke-Skalen - Möglichkeiten der Erfassung: o Profil des Realselbst o Profil des Idealselbst o Kontinuität des Realselbst o Kontinuität des Idealselbst o Vergleich von Real- und Idealselbst o Vergleich von Real- und Idealselbst bezüglich der Norm Heckhausens Lebensspannentheorie des Bedürfnisses nach Kontrolle Primäre und sekundäre Kontrolle Grundannahme: Der Mensch ist Mitgestalter seiner Entwicklung, indem er kontrollierbares Verhalten so steuert, dass das eigene aktive Verhalten wünschenswerte Veränderungen in der Umwelt herbeiführt Grundmotiv nach primärer Kontrolle: Einsatz von Fähigkeiten, Ressourcen, Zeit und Anstrengung, um Umweltbedingungen so zu gestalten, dass zentrale Lebensziele erreicht werden können Sekundäres Kontrollstreben: Veränderung der eigenen Person mit dem Ziel sich den Gegebenheiten der Umwelt anzupassen zur Zielerreichung bzw. -aufrechterhaltung Beide Kontrollarten sind mit bestimmten Kontrollstrategien verbunden, die entweder die Zielauswahl (Selektion) oder die Zielsubstitution (Kompensation) unterstützen Kontrollstrategien im Lebenslauf - Obgleich beide Kontrollen die Entwicklung befördern, wird der primären Kontrolle eine größere adaptive Bedeutung im Entwicklungsprozess beigemessen - Im Lebenslauf bleibt das Streben nach primärer Kontrolle bis an unser Lebensende als grundlegendes Motiv bestehen - Möglichkeiten der primären Kontrolle nehmen mit dem Lebensalter zu und erreichen im mittleren Erwachsenenalter ihren Höhepunkt - In der zweiten Lebenshälfte werden die Möglichkeiten aktiver Kontrollausübung geringer, sodass zunehmend Strategien der sekundären Kontrolle eingesetzt werden, um die motivationale Grundtendenz nach primärer Kontrolle zu unterstützen und zu sichern 42 Zentrale Lebensziele und Zielengagement Allgemeinpsychologisch: - Alle Menschen wollen bis zum Lebensende die Kontrolle über ihr Leben behalten - Erfolge bei der Kontrollausübung sind mit positiven Emotionen verbunden, sodass bisherige Verhaltensstrategien beibehalten werden - Misserfolge dagegen bewirken negative Emotionen, die folgend das Verhalten einschränken - Ziele müssen ständig an die veränderten Umweltbedingungen angepasst werden, damit sie erreichbar bleiben oder aufgegeben werden, wenn die Erreichbarkeit infrage steht Differentiell psychologisch: - Die gesetzten Ziele sowie der Einsatz von Strategien, um Ziele zu erreichen, sind interindividuell verschieden Interessen Begriffsbestimmung = intrinsische Motivation in Bezug auf bestimmte Tätigkeiten, Objekte und Handlungen - Während Motive mit Aussicht auf ein bestimmtes Ziel Handlungen motivieren, beziehen sich Interessen auf die Motivation bezüglich der Ausübung von Handlungen an sich - Interessen können nicht nur in Bezug auf die Motivationsstärke, sondern auch in Bezug auf die Art der Tätigkeitsobjekte untersucht werden 43 Diagnostik von Interessen 3 Aspekte der Erfassung von Interessen: - Ausmaß, in dem die Tätigkeit die Neugier weckt (Interesse im engeren Sinne) - Ausmaß, in dem die Ausübung der Tätigkeit als angenehm oder als unangenehm empfunden wird (Valenz) - (subjektive versus objektive) Häufigkeit, mit der eine Tätigkeit ausgeführt wird Das RIASEC-Hexagon-Modell von Holland Sechs Berufsinteressen und Berufsgruppen/-tätigkeiten Wichtiger Befund: Die Passung zwischen Berufsinteressen und Arbeitsinhalten korreliert mit der Arbeitszufriedenheit 44 B3 – Behavioristisches / Lerntheoretisches Paradigma Leitfragen: - Worin besteht das zentrale Dogma der lerntheoretischen Ansätze? - Was wollte Watson mit seinen Experimenten zeigen? - Was machte Skinners behavioralen Ansatz radikal? - Was bedeutet Modelllernen? - In welcher Weise gehen soziale Lerntheorien über den klassischen Behaviorismus hinaus? - Was bedeutete die kognitive Wende für lerntheoretische Ansätze? Bekannte Vertreter: Das Behavioristische Menschenbild Ausgangspunkt: Verhalten und Erleben sind das Ergebnis von Lernerfahrungen und der Umwelt, in der man sich befindet - Erklärung der Kontinuität interindividueller Unterschiede über die Zeit durch individuelle „Gewohnheiten“ aufgrund interindividuell unterschiedlicher Lernprozesse und Lebenserfahrungen in ähnlichen Situationen und relativ konstanten individuellen Umwelten - Um Verhalten und Erleben eines Individuums in einer Situation zu verstehen, müssen frühere Erfahrungen in ähnlichen Situationen untersucht werden - Lernerfahrungen werden als einzige „Dispositionen“ zu individuellen Besonderheiten betrachtet → Ablehnung aller theoretischen Phänomene, die sich nicht direkt beobachten lassen 45 Geschichte lerntheoretischer Ansätze Klassische Konditionierung (Pavlov) Der Behaviorismus (Watson) John B. Watson gilt als Begründer der Schule des Behaviorismus „Die Psychologie ist … ein rein objektiver experimenteller Zweig der Naturwissenschaften. Ihr theoretisches Ziel ist die Voraussage und Kontrolle des Verhaltens. Die Introspektion zählt nicht zu ihren Methoden, noch hängt der wissenschaftliche Wert ihrer Daten davon ab, wie leicht sie sich in den Begriffen des Bewusstseins interpretieren lassen. Der Behaviorist erkennt keine Trennlinie zwischen Mensch und Tier, insofern, als er ein einheitliches Verständnis des tierischen Verhaltens anstrebt. “ „Gebt mir ein Dutzend wohlgeformter, gesunder Kinder und meine eigene, von mir entworfene Welt, in der ich sie großziehen kann und ich garantiere euch, dass ich jeden von ihnen zufällig herausgreifen kann und ihn so trainieren kann, dass aus ihm jede beliebige Art von Spezialist wird –ein Arzt, ein Rechtsanwalt, ein Kaufmann und, ja, sogar ein Bettler und Dieb, ganz unabhängig von seinen Talenten, Neigungen, Tendenzen, Fähigkeiten, Begabungen und seiner Herkunft.“ 46 - Übertrug Pavlovs Erkenntnisse zur klassischen Konditionierung auf menschliche Lernprozesse in der Entstehung von Verhaltensdispositionen - Bekanntes Experiment: Little Albert o Konditionierung von Angstreaktionen o Reizgeneralisierung: Übertragung der Angstreaktion auf ähnliche Situationen - Forderung: Beschreibung und Erklärung menschlichen Erlebens und Verhaltens durch beobachtbare und damit empirisch prüfbare Prozesse (mittels Experiment) - Klinische Anwendung der Klassischen Konditionierung: o Systematische Desensibilisierung (zur Löschung von Angstreaktionen) o Aversionstherapie (Gegenkonditionierung) Der Radikale Behaviorismus (Skinner) - Lehnte nicht nur intrinsische Faktoren (z.B. Motive) als Verhaltensdeterminanten ab, sondern auch das Konzept der „Persönlichkeit“ (überflüssig) - Demonstrierte, dass Konsequenzen einer Reaktion auf eine Situation (Reiz) entscheidend dafür sind, ob diese Reaktion später erneut gezeigt wird (Operante Konditionierung) - Die Verhaltensmotivation ergebe sich lediglich aufgrund positiver oder negativer Konsequenzen (positive und negative Verstärkung, Bestrafung, Löschung) - Betrachtete genetisch bedingte Unterschiede als über viele Generationen evolvierte Variationen aufgrund unterschiedlicher Umweltanforderungen Modelllernen (Bandura) - Menschen lernen nicht nur für sich, sondern auch voneinander (Nachahmung) – evolutionär erworbener Automatismus 47 Verstärkungs- und Motivationsprozesse: - Positive und negative Konsequenzen des Verhaltens als direkte Anreize - Stellvertretende Anreize werden vom Modell erfahren und vom Beobachter registriert - Selbstgesetzte Anreize durch Erwartung und Bewertung der negativen und positiven Konsequenzen des Verhaltens (Prozess der Selbstregulation) Kind lernt von sozialen Rollenmodellen wichtiger Bezugspersonen oder Vorbilder wichtige Standards, Ideale, Werte - Verhalten der Rollenmodelle und Lernprozesse sind wiederum abhängig von der situativen, sozialen und kulturellen Umwelt - Rollenmodell und Lernprozesse können in Auseinandersetzung mit der Umwelt mehr oder weniger effektiv und konsistent sein - Lernen in Interaktionen mit Rollenmodellen (Feedback), z.B. in der Identifikation mit erstrebenswerten Zielen (von der Fremd- zur Selbstregulation) ➔ Große interindividuelle Unterschiede in den Inhalten und der Komplexität von Lernerfahrungen ➔ Große interindividuelle Unterschiede in Erleben, Empfinden und Verhalten ➔ Persönlichkeitsunterschiede Berühmte Bobo-Doll Experimente Untersuchung an Kindergartenkindern (Bandura, 1963) - Gruppen beobachteten Erwachsenen, wie dieser eine Puppe misshandelte/nicht misshandelte und dafür belohnt/nicht belohnt wurde - Die Kinder, die den misshandelnden Erwachsenen beobachteten, zeigten höhere Aggressivität beim Spielen mit der Puppe - Die Kinder, die eine Belohnung des misshandelnden Erwachsenen beobachteten, zeigten noch mehr Aggressivität (stellvertretende Verstärkung) Soziale Lerntheorien 48 Die kognitive Wende Was ist mit Denkprozessen und der Entscheidungsfreiheit? Die kognitive Perspektive: Menschen sind dazu in der Lage… - Sich aus freiem Willen Ziele zu setzen - Mittel zur Erreichung von Zielen nach Effektivität und Effizienz zu beurteilen - Sich Konsequenzen verschiedener Verhaltensalternativen vorzustellen - Komplexe und langfristige Handlungspläne zu erstellen - Ausgeführte Handlungen anhand ihrer Folgen zu bewerten und - Aus solchen Bewertungen Schlüsse für künftige Handlungen zu ziehen B4 – Konstruktivistisches / Kognitives Paradigma Leitfragen: - Worin besteht das Menschenbild des Konstruktivismus? - Was sind persönliche Konstrukte, wie entstehen diese und wie können sie abgebildet werden? - Aus welchen Komponenten besteht das Verhaltenspotential nach Rotter? - Was sind generalisierte Erwartungen? Nennen Sie Beispiele - In welcher Weise ist der einzelne selbstreguliert beim sozialen Lernen? - Worin besteht der Unterschied zwischen internaler Kontrollüberzeugung und Selbstwirksamkeitserwartung? Bekannte Vertreter: Das konstruktivistische Menschenbild Ausgangspunkt: Bewusste Gedanken (mentale Repräsentationen) über uns selbst, andere Menschen und Situationen beeinflussen, wie wir wahrnehmen, empfinden, entscheiden und uns verhalten. Die Art, wie wir die Welt sehen, macht uns zu dem Menschen, der wir sind. - Erklärung der Kontinuität interindividueller Unterschiede über die Zeit durch individuelle stabile Sichtweisen - Um Verhalten und Erleben eines Individuums zu verstehen, muss sein individuelles Verständnis der Welt untersucht werden (Idiografischer Ansatz) - Zwar spielen Umweltfaktoren und frühere Erfahrungen eine wichtige Rolle, doch stehen bewusste Kognitionen im Vordergrund, die das Potenzial zur Kreativität und „Freiheit“ der Veränderung im Verhalten haben 49 Konstruktivismus nach Kelly Fundamentales Postulat des Konstruktivismus: „Das Erleben und Verhalten einer Person wird psychologisch durch die Art und Weise, wie sie Ereignisse antizipiert, kanalisiert.“ - Menschen = „Wissenschaftler“ o Besitzen die Fähigkeit, über sich und die Welt nachzudenken o Machen Vorhersagen und überprüfen diese o Streben nach Bestätigung (Konsistenz) und Ausdehnung der persönlichen Konstrukte (Sichtweisen, Überzeugungen) - Denken, Fühlen und Handeln sind an diesen abstrakten „kognitiven“ Abbildungen (Konstruktsystem) ausgerichtet - Persönliches Konstruktsystem = Persönlichkeit Die Theorie persönlicher Konstrukte von Kelly Was sind persönliche Konstrukte? - Subjektive Abbildungen (Ideen, Gefühle, Wissen) der physikalischen, sozialen, aber auch der inneren Welt, um die Welt zu klassifizieren und zu interpretieren (z.B. Auto, Selbst, Ich) - Bestehen aus mindestens drei Elementen: Zwei ähnliche Elemente (Ähnlichkeitskorrelation: - Elemente (Ähnlichkeitsrelation: a ≈ b), die sich von einem dritten unterscheiden (Kontrastrelation: b ≠ c) - Beispielkonstrukt: Extraversion – Introversion Welche Funktionen haben persönliche Konstrukte? - Reduktion der Vielfalt der inneren und äußeren Welt auf ein kognitiv zu verarbeitendes Maß → die Welt durch Schablonen sehen - Sicherheit und Kontrolle in der persönlichen Umwelt als Grundlage zur Antizipation erreichen → Mensch als Wissenschaftler Kellys 11 Korollarien …beschreiben, wie kognitive Prozesse uns die Erstellung, Nutzung und Veränderung persönlicher Konstrukte ermöglichen 50 Konstruktionskorollarium: Kelly: „Wir konstruieren eine Bedeutung um die Ereignisse und benutzen diese anschließen, um die Situation zu verstehen und mit ihr umzugehen“ - Aus einer Anzahl bereits gewonnener Erfahrungen über sich wiederholende Ereignisse resultieren kognitive Abbildungen (individuelle Konstruktion) - Diese persönlichen Konstrukte helfen durch die Ähnlichkeit zu einem Ereignis bei der Vorhersage dieses Ereignisses Individualitätskorollarium. Kelly: „alle Menschen interpretieren Ereignisse und Situationen auf ganz individuelle Art und Weise“ - Aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen, Perspektiven und Wege der Konstruktion - → individuelle Konstruktsysteme - Interindividuelle Unterschiede in der Wahrnehmung und Antizipation von Ereignissen Organisationskorollarium. „Jedes individuelle Konstruktsystem ist hierarchisch organisiert. Es gibt über- und untergeordnete Konstrukte, sowie zentrale (wichtigere) und periphere (weniger wichtige) Konstrukte Dichotomiekorollarium. „Das Konstruktsystem einer Person besteht aus einer endlichen Anzahl bipolarer Konstrukte“ Bereichskorollarium: „Ein Konstrukt ist nur für die Antizipation eines endlichen Bereichs von Ereignissen brauchbar.“ - Bandbreite: Allgemein vs. spezifisch - Konstrukte unterscheiden sich in der Reichweite der Anwendbarkeit - Die Bahndbreite hängt auch von der Hierarchieebene ab (3. Hilfssatz) - Brennpunkt: Jedes Konstrukt habe einen Schwerpunkt für ähnliche und gegensätzliche Ereignisse Wahlkorollarium: „Menschen wählen frei diejenige Alternative eines dichotomen Konzepts, von der sie annehmen, dass sie die größte Wahrscheinlichkeit dafür aufweist, das individuelle Konstruktsystem zu bestätigen, zu konkretisieren oder auszuweiten.“ - Circumspection: Eine Person betrachtet zunächst alle verfügbaren Handlungsalternativen - Preemtion: Wählt schließlich diejenige aus, die ihr als angemessen erscheint - Control: überprüft die Richtigkeit der Auswahl ➔ Selbstregulierte Stabilität und Veränderung in unserer Persönlichkeit Erfahrungskorollarium: „Menschen können ihr Konstruktsystem vor dem Hintergrund neuer Erfahrungen prüfen, gegebenenfalls adaptieren oder gar ganz verändern.“ - Aufgrund eines kontinuierlichen Validierungsprozesses (Control) des persönlichen Konstruktsystems kommt es o Bei Validierung zu einer Verfestigung (→ zunehmend schwerer modifizierbar) o Bei neuen passenden Erfahrungen zu einer Konkretisierung und Ausweitung o Bei Invalidierung aufgrund inkongruenter Erfahrungen zu einer Veränderung (Umlernvorgang) 51 Des Konstruktsystems, die das System genauer und klarer macht ➔ Veränderung unserer Persönlichkeit aufgrund neuer Erfahrungen Modulationskorollarium: „Die Veränderbarkeit eines Konstrukts hängt von seiner Durchlässigkeit ab. Durchlässigen Konstrukten können neue Elemente hinzugefügt werden, während weniger durchlässige Konstrukte nur schwer verändert werden können.“ - Die Veränderung eines Konstruksystems ist nur möglich, wenn das veränderte Konstrukt in das Konstruktsystem integriert werden kann - Unterscheidung zwischen peripheren (leicht veränderbaren) und Kernkonstrukten (schwer modifizierbar) Fragmentierungskorollarium: „Im Verlauf der Ausdifferenzierung eines Konstruktsystems können Konstruktsubsysteme entstehen, die invereinbar miteinander sind.“ - Widersprüche innerhalb eines Konstruktsystems sind durch die Genauigkeit der herrschenden Konstrukte und der Bedeutung, welche die Konstrukte für die Person haben, zu einem gewissen Grad tolerierbar → typische beobachtbare Inkonsistenzen im Verhalten - Konflikte zwischen Konstrukten oder Erfahrungen, die nicht zu Kernkonstrukten passen, sowie Festhalen an invaliden Konstrukten → Spannungen und Bedrohungsgefühle → internalisierte (Depression) und externale (Sucht) Störungen Ähnlichkeitskorollarium: „Menschen, die ein ähnliches Konstruktsystem haben, sind einander auch psychologisch ähnlich.“ - Konvergenz im Antizipieren bildet die Grundlage für ähnliche Handlungen - Nicht zwangsläufig erforderlich, aber hilfreich für soziale Interaktionen Sozialitätskorollarium: „Das Verständnis des Konstruktsystems einer anderen Person ist erforderlich, um deren Verhalten vorherzusagen und befriedigende zwischenmenschliche Interaktionen aufbauen zu können.“ - Um andere Personen zu verstehen, ist es notwendig, ein Bild von ihnen zu haben und ihre Art, die Welt zu betrachten, zu kennen - Ist essentiell für das Funktionieren einer Gesellschaft und zum Aufbau sozialer Beziehungen Persönlichkeitsentwicklung - Bei der Geburt seien wir alle gleich - Im Kindesalter erhält das Kind als Teil seiner Lernerfahrungen Rückmeldungen von der sozialen Umwelt bezüglich der Effektivität seines Konstruktsystems - Mit zunehmender Erfahrung werden unsere Konstruktsysteme effektiver - Eine gesunde Entwicklung führe zur Ausprägung eines präzisen und ausgefeilten Systems persönlicher Konstrukte, das dem Individuum erlaube, seine Umwelt flexibel zu sehen → das Individuum ist offen für neue Erfahrungen, kreativ und anpassungsfähig (eher „frei) - Eine gestörte Entwicklung führt zur Ausprägung eines unpräzisen, fragmentierten und rigiden Systems persönlicher Konstrukte, das dem Indidivuum bei der Interpretation seiner Umwelt wenig Spielraum lässt → das Individuum ist unflexibel, wenig kreativ und wenig anpassungsfähig (eher „determiniert“) - Persönlichkeitsentwicklung bestehe darin, das Wissen über sich und die Welt zu maximieren, was durch die Weiterentwicklung des persönlichen Konstruktsystems erreicht werden kann. 52 - Woher kommt die Motivation dazu? – Streben nach Wissen über die Lebensumwelt sei in menschlicher Natur verankert - Wie entstehen interindividuelle Unterschiede? – Durch Auseinandersetzung mit unserer individuellen Umwelt, wobei wir diese aber ganz individuell interpretieren und uminterpretieren können (je nachdem, wie starr unser Konstruktsystem ist) Selbstchararkterisierung - Personen sollen in der dritten Person verfasste Besfchreibungen von sich selbst anfertigen - Laut Kelly soll die Selbstcharakterisierung in der dritten Person weniger bedrohlich für die Person sein Diagnostik persönlicher Konstrukte Der Role Construct Repertory Test (List Form) 2 Phasen: - Testperson erhält Liste von 15-30 Rollentiteln (Vater, Mutter, Lehrer, Chef etc.) und muss eine bekannte Person einer Rolle zuordnen. - Drei Personen hinsichtlich der Ähnlichkeit / Unterschiede in einem Merkmal (Konstrukt) beurteilen Der Role Construct Repertory Test (Grid Form) 3 Phasen: - Darstellung der Rollenzuordnung in Form eines Gitters - Feststellung von Ähnlichkeit und Unterschieden innerhalb vorgegebener Dreiergruppe - Anschließend alle anderen Personen hinsichtlich des genannten Merkmals (Konstrukts) beurteilen Auswertung: - Komplexität des individuellen Konstruktsystems über die Länge der Liste / des Grid und die eingetragene Natur der Konstrukte 53 - Interpretation der Benennungen von Ähnlichkeiten und Kontrasten hinsichtlich positiver und negativer Eigenschaften - Individuelle Selbstsicht Klinische Anwendung - Aufgabe der Therapeutin besteht darin, den Klienten ihre ineffizienten Konstrukte zur interpretation von Ereignissen / Situationen bewusst zu machen - Dazu ist es wichtig, dass die Therapeutinnen (1) sich ihrer eigenen Konstruktsysteme bewusst sind, sowie (2) offen und flexibel sind, um (3) eine genaue Vorstellung von dem Konstruktsystem der Klienten zu bekommen und (4) deren maladaptive persönliche Konstrukte zu identifizieren (Kontrollierte Elaboration) - Auf den über die Selbstcharakterisierung und den Rep-Test gewonnenen Daten entwickeln Therapeutinnen fiktive Rollen, die Patienten in und zu den einzelnen Therapiesitzungen einüben und spielen sollen (fixierte Rollentherapie) → Erleichterung, alte Konstrukte zu lockern und zu modifizieren und neue Konstrukte zu entwickeln Das Konzept der Generalisierten Erwartungen von Julian Rotter Das Verhaltenspotential …ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes Verhalten in einer bestimmten Situation mit Aussicht auf eine positive Konsequenz gezeigt wird: Verhaltenspotential = f(Erwartung│Situ, Verstärkungswert│Situ) - Erwartung: subjektive Einschätzung, wie sich eine bestimmte Verhaltensoption auswirken wird - Verstärkungswert: individuelle Präferenz bezüglich der verfügbaren möglichen Folgen einer bestimmten Verhaltensoption - Basierend auf Erfahrungen in den gleichen / ähnlichen Situationen (Situ) 54 Generalisierte Erwartungen …entwickelnd sich auf der Basis bisheriger Erfahrungen mit verschiedenen Verhaltensweisen und Konsequenzen: - Problemlöseerwartungen: GE, auftauchende Probleme zu meistern, wenn noch keine adäquaten Problemlösestrategien vorhanden sind (vgl. Selbstwirksamkeitserwartung) - Vertrauenserwartungen: GE, sich auf andere verlassen zu können - Kontrollüberzeugungen: 55 o Externale KÜ: GE, dass Verstärkung eher durch äußere Einflüsse kontrolliert wird o Internale KÜ: GE, dass Verstärkung durch das eigene Verhalten kontrolliert wird Kontrollüberzeugungen Empirische Befunde zu Kontrollüberzeugungen (locus of control) - Internalisierer: o Empfinden mehr Kontrolle über das eigene Leben o Sehen mehr Möglichkeiten der Veränderung in der eigenen Umwelt o Sind selbstsicherer in sozialen Interaktionen - Externalisierer: o Fühlen sich eher abhängig von anderen Menschen o Sehen sich eher machtlos und hilflos in der Herbeiführung von Veränderungen o Haben weniger günstige Stressverarbeitungsstrategien Das Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung von Albert Bandura Soziales Lernen und Selbstverstärkung - Durch bewusste individuelle Lernprozesse in sozialen Interaktionen werden wir zu der Person, die wir sind, was dann wiederum unser Verhalten bestimmt - Modelllernen: Lernen durch Beobachten und Nachahmen von Menschen - Mit der Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen entwickle sich zunehmend mehr Selbstregulation: Setzen und (Neu-)bewerten von eigenen Standards und Zielen - Entscheidend hierfür sei Kompetenzerleben: o Persönliches Kompetenzerleben o Stellvertretendes Kompetenzerleben durch Hilfe anderer o Kollektives Kompetenzerleben mit Hilfe anderer → Selbstwirksamkeitserwartung: Überzeugung, Situationen beeinflussen oder verändern zu können, um für sich selbst oder andere eine Verbesserung herbeizuführen Die Selbstwirksamkeitserwartung …ist die Überzeugung, aufgrund eigener Fähigkeiten / Kompetenzen mittels bestimmter Handlungen ein bestimmtes wünschenswertes Ziel zu erreichen und beeinflusst: - Ob eine Aufgabe überhaupt in Angriff genommen wird - Wie viel Anstrengung in diese Aufgabe investiert wird - Wie hartnäckig man angesichts von Problemen oder ausbleibendem Erfolg bleibt 56 Entwicklung der Selbstwirksamkeitserwartung durch: - Eigene Erfahrungen (Erfolg / Misserfolg bei Attribuierung auf eigene Fähigkeiten) - Stellvertretende Erfahrungen (umso wichtiger, je ähnlicher das Modell dem Beobachter ist) - Fremdbewertung und Selbstbewertung (Feedback und Selbstkritik) - Emotionale Zustände (emotionale Erregung bei der Planung, Durchführung Bewältigung einer Aufgabe) Internale Kontrollüberzeugung vs. Selbstwirksamkeitserwartung Internale Kontrollüberzeugung: Überzeugung, inwiefern ein Ereignis oder eine Konsequenz eines Verhaltens überhaupt kontrollierbar ist Selbstwirksamkeitserwartung: Erwartung, dass man selbst ein Ereignis oder eine Konsequenz eines Verhaltens herbeiführen kann ➔ Sollte positiv miteinander korrelieren. Metaanalyse von Judge et al. 2002: r =.56 B5 – Eigenschaftstheoretisches Paradigma: Teil 1: vom Lexikalischen Ansatz bis zu den Big Five Leitfragen: - Wie können Eigenschaften aus Zuständen herausgeschalt werden? - In welcher Weise wollte Allport den nomothetischen und idiografischen Ansatz in seiner Theorie vereinen? - Welche Arten von Persönlichkeitseigenschaften unterschied Gordon Allport? - Welche Arten von Persönlichkeitseigenschaften unterschied Raymond Cattell? - Grundannahmen des lexikalischen Ansatzes - Was sind die Big Five der Persönlichkeit - Warum ist das Fünf-Faktoren-Modell überzeugend? Worin besteht die grundlegende Kritik? Bekannte Vertreter:innen: 57 Einführung in Eigenschaftstheorien Eigenschaften als Sammelbegriffe Arbeitsdefinition: Persönlichkeit bezeichnet die Summe der auf menschliches Erleben, Empfinden und Verhalten bezogenen relativ überdauernden Situations- und kontextübergreifenden individuellen Besonderheiten. Definition: Eigenschaften bezeichnen relativ stabile physische und psychische Merkmale, anhand derer Individuen beschrieben und unterschieden werden können (z.B. groß, intelligent, faul, geizig, attraktiv). ➔ Persönlichkeitseigenschaften bezeichnen alle auf menschliches Erleben, Empfinden und Verhalten bezogenen, relativ überdauernden und situationsübergreifenden individuellen Merkmalsausprägungen - Persönlichkeitseigenschaften sind nicht direkt beobachtbar, sondern werden aus der Häufigkeit und Intensität direkt beobachtbarer Verhaltensweisen geschlossen → Persönlichkeitseigenschaften als ökonomisches Beschreibungskonstrukt für verschiedene typische Verhaltensweisen - Eigenschaftszuschreibungen („blöd“, „faul“, „gefräßig“) unterstellen eine implizite Vorstellung von: o Interindividuellen Unterschieden in Merkmalsausprägungen o Stabilität der Merkmalsausprägung über verschiedene Zeitpunkte o Konsistenz der Merkmalsausprägung über verschiedene Situationen und Kontexte - Persönlichkeitseigenschaften erlauben Prognosen für die Wahrscheinlichkeit des Auftretens bestimmter Verhaltensweisen → PE als Instrument der Verhaltensvorhersage (werden häufig als Dispositionen zu konsistent beobachtbaren und stabilen Verhaltensweisen betrachtet) 58 - Fähigkeitsbezogene Persönlichkeitseigenschaften bestimmen, wie gut man mit einer gegebenen Situation zurechtkommt und in welchem Ausmaß man sein wie auch immer ausgerichtetes Ziel erreicht (z.B. Vorstellungsvermögen, mathematisches Verständnis, Auffassungsgabe, Sprachverständnis, etc.). - Temperamentsbezogene Persönlichkeitseigenschaften (Persönlichkeitseigenschaften im engeren Sinne) bezeichnen unterschiedliche Verhaltensstile und das Gefühlsleben bei der Verfolgung eines bestimmten Ziels (z.B. Reizbarkeit, Ängstlichkeit, Diszipliniertheit, Extravertiertheit, Offenheit). - Dynamische Persönlichkeitseigenschaften motivieren und energetisieren unser Verhalten (Leistungsorientierung, künstlerisches Interesse, Interesse an anderen Menschen, Werte, Bedürfnisse, Einstellungen, Präferenzen). Eigenschaften als Dispositionen (traits) - States beziehen sich eher auf situations- bzw- zeitabhängige Unterschiede im Verhalten („aktiv“), Erleben („entspannt“) und Empfinden („traurig“) → Zustände - Traits beziehen sich eher auf situationsübergreifende und kontinuierliche Unterschiede im Verhalten, Erleben und Empfinden → Eigenschaften Klassische Differenzierung zwischen Traits und States - Basierend auf der Definition von Eigenschaften und unserer Arbeitsdefinition von Persönlichkeit können wir zwischen Persönlichkeitseigenschaften und Zuständen unterscheiden. - Persönlichkeitseigenschaften bezeichnen alle auf menschliches Erleben, Empfinden und Verhalten bezogenen, relativ überdauernden und situationsübergreifenden individuellen Merkmalsausprägungen. Differenzierung und Integration von Traits und States - States (z.B. moods) beinhalten sowohl die Traitkomponente als auch zeitlich fluktuierende Einflüsse des Kontextes und der Situation sowie Trait x Situation-Interaktionen → Erfassung einer Persönlichkeitseigenschaft sollte also über Situationen und Zeitpunkte hinweg erfolgen - Sich wiederholende und in verschiedenen Situationen gleichsam auftretende Zustände lassen auf Persönlichkeitseigenschaften schließen → individuelle Zustände können in Intensität und Qualität durch die Persönlichkeitseigenschaft eingegrenzt werden 59 - Persönlichkeitseigenschaften als Ursache für die konstanten Anteile des Verhaltens: - PE seien neurophysiologisch verankert → strukturelle Komponente - PE seien die Ursache der intraindividuellen Konsistenz und Stabilität im Verhalten → dispositionelle Komponente - PE haben die Funktion, Reize aus der Umwelt hinsichtlich ihrer funktionellen Bedeutung für das Individuum zu analysieren und zu klassifizieren, sowie darauf äquivalente Reaktionen zu produzieren → Prozesskomponente Beschreibende und erklärende Persönlichkeitseigenschaften - Oberflächeneigenschaften (surface traits): einzelne oder bestimmte Gruppen von Persönlichkeitsdeskriptoren, die in vielen Individuen über viele Situationen hinweg zusammenhängend als „offenkundige“ Verhaltensweisen auftreten (z.B. optimistisch und zufrieden, ängstlich und gehemmt → Korrelationen zwischen einzelnen Persönlichkeitsdeskriptoren - Grundeigenschaften (source traits): Persönlichkeitseigenschaften als Quelle des Zusammenhangs verschiedener Oberflächeneigenschaften, die somit grundlegend die Unterschiede in der temperamentsbezogenen Persönlichkeit zwischen Individuen erklären (z.B. Extraversion, Emotionalität) → Latente Persönlichkeitsfaktoren zur Erklärung von Korrelationen zwischen Oberflächeneigenschaften 60 Typen, Dimensionen und Profile - Typen: Klassifikation von Personen in qualitativ verschiedene Beurteilungskategorien nach dem Vorliegen bestimmter Eigenschaftskombinationen und Besonderheiten in bestimmten Eigenschaftsausprägungen - Dimensionen: Anordnung von Personen auf der Basis quantitativ / kontinuierlich abgestufter Eigenschaftsdimensionen - Profile: Klassifikation von Individuen aufgrund ihrer Ausprägungen auf mehreren quantitativ / kontinuierlich abgestuften Eigenschaftsdimensionen 3 Arten von individuellen Eigenschaften nach Allport: - Kardinale Persönlichkeitseigenschaften (cardinal traits): dominieren die Persönlichkeit eines Individuums und üben sehr starken Einfluss auf dessen Verhalten aus (Besessenheit, Leidenschaft) - Zentrale Persönlichkeitseigenschaften (central traits): die PE, die die beste Beschreibung eines Individuums liefern und zu einem gewissen Grad jede Person charakterisieren (Ängstlichkeit, Ehrlichkeit) - Sekundäre Persönlichkeitseigenschaften (secondary traits): Präferenzen eines Individuums, die dessen Verhalten eher nur in bestimmten Situationen und individuellen Erfahrungskontexten beeinflussen (Gewohnheiten, Einstellungen, Interessen, Motive) Kombination aus nomothetischer und idiografischer Perspektive: - Individuelle PE und Ausprägungen auf allgemeinen PE (individuelles Profil) sowie deren individuelles Zusammenwirken mache die einzigartige Persönlichkeit jedes Einzelnen aus - Personen sind zu konstanter Weiterentwicklung und Veränderung fähig, um Lernerfahrungen zu integrieren und sich an neue Gegebenheiten anzupassen Der Lexikalische Ansatz Lexikalische Hypothese Besagt, dass alle bedeutsamen Begriffe zur Beschreibung von Persönlichkeitsunterschieden in der Sprache enkodiert sind - Annahme 1: Je häufiger ein bestimmtes Wort zur Beschreibung der Persönlichkeit verwendet wird (Persönlichkeitsdeskriptor), umso bedeutsamer ist die entsprechende Eigenschaft für die Persönlichkeitsbeschreibung - Annahme 2: Je mehr Wörter (Synonyme) zur Beschreibung einer Persönlichkeitseigenschaft herangezogen werden können, desto bedeutsamer ist die Eigenschaft für die Persönlichkeitsbeschreibung - Annahme 3: Kultur- und sprachübergreifende Gültigkeit 61 - Allport und Odbert (1936) identifizierten 17.953 personenbeschreibende Begriffe aus einem Wörterbuch, die folgenden Kategorien zugeordnet wurden: - Erste Kategorien umfassen 4504 Wörter Mit Faktorenanalyse zu Eigenschaftsdimensionen - Cattell knüpfte an den psycho-lexikalischen Ansatz an o Mehrstufige weitere rationale Variablenreduktion ▪ Aussonderung von Synonyma ▪ Ausschluss von unverständlichen und seltenen Begriffen ▪ Aufnahme von psychologisch nützlichen Begriffen wie z.B. vigilant - → Pool aus 171 Eigenschaften, die mehrheitlich als Gegensatzpaar angeordnet werden, z.B. „observant, vigilant vs. dreamy, indefinite“; „alert vs. absent-minded“; … Variablenreduktion auf der Basis von L-Daten (Life Records) - Cattell nannte die 171 Eigenschaften Oberfllächeneigenschaften (Surface traits) - Diese bildeten die Grundlage einer analytischen Variablenreduktion mittels Clusteranalyse o Cattell (1945): 100 Personen wurden jeweils von verschiedenen Bekannten auf der Basis der 171 Oberflächeneigenschaften eingeschätzt o Clusteranalyse dieser Daten bezüglich Itemgruppierungen (inhaltliche und statistische Ähnlichkeit) o Hinweise bezüglich Itemgruppierungen aus anderen Studien ➔ Reduktion auf 36 Oberflächeneigenschaften, die nach Cattell ausreichen, um interindividuelle Persönlichkeitsunterschiede zu beschreiben 62 - Die 36 Variablen bildeten, auf Bais einer weiteren analytischen Variablenreduktion (Faktorenanalyse mit obliquer Rotation) die Basis zu Erschließung dispositionaler Grundeigenschaften (source traits) ➔ Reduktion auf 12 Grundeigenschaften, die bis zu r =.43 (im Mittel zu etwa r =.18) untereinander korrelierten und entsprechend ihres Eigenwertes der Größe nach geordnet wurden Replikationsversuche mit Q-Daten (Fragebogendaten aus Selbstberichten) - Cattell entwickelte in Anlehnung an die Befunde aus dem L-Datenbereich und zusätzlichen Studien mit Q-Daten einen Fragebogen mit den zwölf Grundfaktoren, die auf der Basis von L- Daten gewonnen wurden… …und fügte lediglich vier Dimensionen als fragebogenspezifisch hinzu, die mit Q gekennzeichnet wurden → 16 PF mit Primärskalen ➔ Die Grundeigenschaften finden größtenteils ihre Entsprech

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