Mechanik in der Mechatronik 1 Studienblätter SS 2024 PDF

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Universität Innsbruck

2024

Thomas Furtmüller

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mechanics mechatronics kinematics engineering

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These study notes cover the lecture on Mechanics in Mechatronics 1, held at the University of Innsbruck in the summer semester 2024. They cover fundamental concepts such as kinematics, statics, and dynamics, important for students studying mechatronics engineering.

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Studienblätter zur Lehrveranstaltung Mechanik in der Mechatronik 1 Gehalten an der Universität Innsbruck von Assoz. Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Thomas Furtmüller Institut für Grundlagen der Technischen Wissenschaften Arbeitsbereich für Angewandte Mechanik im Sommersemester 2024 (LV-Nr. 844.534...

Studienblätter zur Lehrveranstaltung Mechanik in der Mechatronik 1 Gehalten an der Universität Innsbruck von Assoz. Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Thomas Furtmüller Institut für Grundlagen der Technischen Wissenschaften Arbeitsbereich für Angewandte Mechanik im Sommersemester 2024 (LV-Nr. 844.534) Ein Großteil dieser Studienblätter entstand aus den Studienblättern zu den Vorlesungen Mechanik 1 und Mechanik 2, gehalten von Univ.Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Christoph Adam. Da das Urheberrecht bei Prof. Adam liegt, ist eine Vervielfältigung bzw. Verbreitung dieser Studien- blätter ohne dessen schriftliche Genehmigung nicht gestattet. AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 Inhaltsverzeichnis 1 Grundbegriffe der Mechanik 1 1.1 Einteilung........................................ 1 1.2 Maßeinheiten in der Mechanik............................. 1 2 Kinematik 3 2.1 Freiheitsgrade, Lagekoordinaten............................ 3 2.2 Punktkinematik..................................... 5 2.3 Kinematik des starren Körpers............................. 8 2.4 Lagerung und Verbindungselemente mechanischer Systeme.............. 12 2.5 Kinematik des verformbaren Körpers......................... 17 3 Kräfte, Schnittprinzip 19 3.1 Newton’sche Axiome.................................. 19 3.2 Einteilung von Kräften................................. 20 4 Kräftegruppen, Gleichgewichtsbedingungen 23 4.1 Einzelkraft........................................ 23 4.2 Zentrales Kraftsystem.................................. 24 4.3 Moment und Kräftepaar................................. 24 4.4 Allgemeines Kraftsystem................................ 25 4.5 Parallelkraftsystem................................... 27 4.6 Gewichtskraft, Schwerpunkt, Statische Momente................... 28 4.7 Auflagerreaktionen statisch bestimmt gelagerter Systeme............... 30 5 Innere Kräfte 33 5.1 Spannungstensor.................................... 33 5.2 Einachsiger Spannungszustand............................. 34 5.3 Ebener Spannungszustand............................... 37 6 Stabstatik 39 6.1 Mechanische Modellbildung.............................. 39 6.2 Schnittgrößen...................................... 40 6.3 Berechnung der Schnittgrößen............................. 44 i AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 6.4 Lokale Gleichgewichtsbedingungen.......................... 48 7 Hydrostatik 51 7.1 Hydrostatischer Spannungszustand........................... 51 7.2 Schwere Flüssigkeit................................... 52 7.3 Druckfeld schwerer Flüssigkeiten auf Behälterwände................. 53 7.4 Druckfeld komprimierter Gase auf Behälterwände................... 57 7.5 Hydrostatischer Auftrieb................................ 58 8 Reibung 60 9 Arbeit, Leistung, Potentielle Energie 63 9.1 Arbeit und Leistung................................... 63 9.2 Potentielle Energie................................... 66 9.3 Potential der äußeren Kräfte.............................. 67 9.4 Potential der inneren Kräfte............................... 68 10 Prinzip der virtuellen Arbeit 72 10.1 Ermittlung von Auflagerreaktionen und Schnittgrößen................. 73 10.2 Konservative Systeme.................................. 76 ii AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 1 Grundbegriffe der Mechanik 1.1 Einteilung Die (technische) Mechanik ist die Lehre von ruhenden und bewegten Körpern, auf die Kräfte ein- wirken. Sie ist eine Erfahrungswissenschaft, bei der die entwickelten Theorien durch Experimente bestätigt werden müssen. Die Grundlage sind Axiome (Erfahrungssätze), welche das reale Verhalten der Körper unter Verwendung von Idealisierungen und Abstraktionen hinlänglich genau beschrei- ben. Ein Axiom ist damit eine Aussage, die grundlegend ist und deshalb nicht innerhalb ihres Systems begründet werden kann bzw. muss. Nach dem Untersuchungsgegenstand unterscheidet man zwischen der Festkörpermechanik (verformbar bzw. idealisiert als starr angenommen) Fluidmechanik (Flüssigkeiten und Gase bzw. tropfbare und gasförmige Fluide) Die Mechanik lässt sich in die folgenden Gebiete einteilen: Kinematik: Untersucht wird die Bewegung von Körpern, ohne auf deren Ursache einzugehen. Statik: Untersucht wird die Wirkung von Kräften auf und in Körpern, die sich in Ruhe oder in gleichförmiger Bewegung befinden. Dynamik: Untersucht wird der Zusammenhang zwischen der beschleunigten Bewegung von Körpern und der Einwirkung von Kräften; wird auch oft als Kinetik bezeichnet. 1.2 Maßeinheiten in der Mechanik In der Mechanik sind die drei folgenden Basisgrößen maßgeblich: Länge: SI1 -Maßeinheit Meter (m). Zeit: SI-Einheit Sekunde (s). Masse: SI-Einheit Kilogramm (kg). Daraus lassen sich Einheiten weiterer mechanischen Größen ableiten, z.B. Geschwindigkeit (m/s) Beschleunigung (m/s2 ) Kraft (Newton, N = kgm/s2 ) Arbeit bzw. Energie (Joule J = Nm) Leistung (Watt W = J/s) 1 Système international d’unités 1 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 Um Vielfache bzw. Teile von Maßeinheiten zu bilden, werden folgende standardisierte Präfixe ver- wendet: 1 000 000 000 = 109... Giga (G-) 1 000 000 = 106... Mega (M-) 1 000 = 103... Kilo (k-) 0,001 = 10−3... Milli (m-) 0,000 001 = 10−6... Mikro (µ-) 0,000 000 001 = 10−9... Nano (n-) 2 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 2 Kinematik 2.1 Freiheitsgrade, Lagekoordinaten Unter den Freiheitsgraden eines Körpers versteht man die Anzahl der voneinander unabhängigen skalaren Größen, welche zur eindeutigen Festlegung der momentanen Lage dieses Körpers notwendig und hinreichend sind. Die unabhängigen skalaren Größen nennt man Lagekoordinaten. Punktförmiger Körper: Die Lage eines punktförmigen Körpers P im Raum relativ zu einem raumfesten (kartesischen) Bezugssystem ist durch den Ortsvektor   x   P     ~rP = xP~ex + yP~ey + zP~ez = yP     z    P eindeutig festgelegt. Besitzt der Punkt keine kinematischen Einschränkungen, können die Kompo- nenten xP , yP und zP voneinander unabhängig vorgegeben und daher als Lagekoordinaten gewählt werden. Der punktförmige Körper besitzt im Raum also drei Freiheitsgrade. Wird der Punkt entlang einer Ebene geführt, verringert sich die Anzahl der Freiheitsgrade auf zwei. Wird er entlang einer Bahnkurve geführt, verringert sich die Anzahl der Freiheitsgrade auf eins. Starrer Stab: Zwei punktförmige Körper P und Q im Raum besitzen sechs Freiheitsgrade. Ist der Abstand der beiden Punkte konstant, |~rP −~rQ | = const, reduziert sich die Anzahl der Freiheitsgrade auf fünf und man erhält das kinematische Modell des starren Stabes. Als Lagekoordinaten können zum Beispiel die Ortskoordinaten xP , yP , zP des Punktes P und die beiden Winkel ϕ und ψ herange- zogen werden. 3 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 Starrer Körper: Das kinematische Modell des starren Körpers erhält man, wenn sich drei punktförmi- ge Körper P, Q und R im Raum mit zueinander konstantem Abstand bewegen, |~rP −~rQ | = const, |~rP −~rR | = const, |~rR −~rQ | = const mit sechs Freiheitsgraden. Als Lagekoordinaten können z.B. die drei Komponenten des Ortsvektors ~rP und drei Drehwinkel verwendet werden. Starre Scheibe: Zwei Punkte P und Q in der Ebene besitzen vier Freiheitsgrade. Ist der Abstand der beiden Punkte konstant, |~rP −~rQ | = const, reduziert sich die Anzahl der Freiheitsgrade auf drei. Die Ortskoordinaten xP und yP des Punktes P und der Winkel ϕ sind drei mögliche Lagekoordinaten einer starren Scheibe ohne Bindungen. Verformbarer Körper: Ein verformbarer Körper (ein Kontinuum) besitzt unendlich viele Frei- heitsgrade, zur kinematischen Behandlung hierfür werden Verzerrungen (Abschnitt 2.5) verwendet. 4 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 2.2 Punktkinematik Geschwindigkeit, Beschleunigung: Es wird die Bewegung eines Punktes P im Raum untersucht, ohne nach der Ursache dieser Bewe- gung (einwirkende Kräfte) zu fragen. Die Momentanlage des Punktes P zur Zeit t relativ zu einem raumfesten Bezugssystem wird durch den Ortsvektor~rP (t) festgelegt. Der Endpunkt dieses Vektors beschreibt im Laufe der Zeit die Bahnlinie (Bahnkurve) von P. Betrachtet man jede Momentanlage von P als Abbildung von der Anfangslage zur Zeit t0 , wird die Bahnlinie in einer sogenannten La- grangeschen Beschreibung mit Hilfe des Verschiebungsvektors ~uP (t) =~rP (t) −~rP (t0 ) festgelegt. Ein Maß für den zurückgelegten Weg von P ist die von einem beliebigen Punkt der Bahnlinie aus gezählte Bogenlänge s(t). Weder der Ortsvektor noch der Verschiebungsvektor geben Aufschluss über den zeitlichen Ablauf der Bewegung. Zu diesem Zweck wird die Veränderung des Verschiebungsvektors zwischen zwei Momentanlagen von P, bezogen auf deren zeitlichen Differenz ∆t, gebildet. Aus diesem Vektor der mittleren Geschwindigkeit ∆~vP (t) wird im Grenzübergang ∆t → 0 der Vektor der Momentageschwin- digkeit ~vP (t), kurz Geschwindigkeit genannt: ∆~rP ∆~rP d~rP d~uP ≡ ~r˙P ≡ ~u˙P  ∆~vP (t) = ~vP (t) = lim = = ∆t ∆t→0 ∆t dt dt Das infinitesimal kleine Inkrement d~rP (t) = d s(t)~et zeigt in tangentialer Richtung zur Bahnlinie. Daraus folgt für die Geschwindigkeit d~rP (s(t)) d~rP d s ~vP (t) = = = ṡ(t)~et ≡ vP (t)~et dt d s dt Die skalare Größe vP = ṡ nennt man Schnelligkeit mit der Einheit (m/s). 5 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 Mit dem Ortsvektor ~rP (t) (bzw. dem Verschiebungsvektor ~uP (t) ) und dem Geschwindigkeitsvektor ~vP (t) wird die Bewegung des Punktes vollständig beschrieben. In der Mechanik spielt die kinematische Größe der Beschleunigung eine große Rolle. Diese vek- torielle Größe ist analog über die zeitliche Änderung des Geschwindigkeitsvektors definiert: ∆~vP d~vP  d 2~rP d 2~uP ≡ ~v˙P = ≡ ~r¨P ≡ ~u¨P  ~aP (t) = lim = 2 = 2 ∆t→0 ∆t dt dt dt mit Einheit (m/s2 ). In manchen Anwendungen spielt auch die zeitliche Änderung der Beschleunigung, der sog. Ruck, eine Rolle (Einheit (m/s3 )). Darstellung in raumfesten kartesischen Koordinaten: Das raumfeste kartesische Koordinatensystem ist durch die nicht von der Zeit abhängigen Einheits- vektoren~ex ,~ey und~ez charakterisiert. Die Lagekoordinaten des räumlich bewegten Punktes P sind die drei Komponenten xP (t) , yP (t) und zP (t) des Ortsvektors in Richtung der Einheitsvektoren:   x (t)  P      ~rP (t) = xP (t)~ex + yP (t)~ey + zP (t)~ez = yP (t)      z (t) P 6 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 Für Geschwindigkeit und Beschleunigung ergibt sich durch komponentenweises zeitliches Differen- zieren2     ẋP    d xP d yP d zP   ~vP (t) = ~ex + ~ey + ~ez ≡ ẋP~ex + ẏP~ey + żP~ez = ẏP dt dt dt     ż    P    ẍP   2 2 2   d xP d yP d zP   ~aP (t) = ~ e x + ~ e y + ~ e z ≡ ẍ ~ e P x + ÿ ~ e P y + z̈ ~ e P z = ÿP dt 2 dt 2 dt 2     z̈    P Für den Betrag von Geschwindigkeit und Beschleunigung gilt 1 ds p q q |~vP (t)| = ~vP (t) ·~vP (t) = ẋP2 + ẏ2P + ż2P = d xP2 + d y2P + d z2P = = |ṡ| dt dt p q |~aP (t)| = ~aP (t) ·~aP (t) = ẍP2 + ÿ2P + z̈2P Darstellung in natürlichen Koordinaten: Bei einer geführten Bewegung des Punktes P entlang einer Bahnlinie ist es sinnvoll, Geschwindigkeit und Beschleunigung in Richtung des begleitenden Dreibeins zu zerlegen. Dieses natürliche Koordi- natensystem wird durch die orthogonalen, zeitlich veränderlichen Einheitsvektoren ~et (t) in Tangen- tenrichtung, ~en (t) in Hauptnormalenrichtung (Richtung zum lokalen Krümmungsmittelpunkt M der Bahnkurve) und in Richtung der Binormalen ~em (t) = ~et (t) ×~en (t) gebildet. Der Ortsvektor und die Koordinaten des begleitenden Dreibeins werden als Funktion der Bogenlänge s(t) der Bahnlinie auf- gefasst:~rP (s(t)), ~et (s(t)), ~en (s(t)), ~em (s(t)). 2 das Argument (t) wird oft weggelassen, da das Symbol (˙) auf eine zeitlich veränderliche Größe schließen lässt 7 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 Die Geschwindigkeit fällt, wie bereits gesehen, in Tangentenrichtung der Bahnkurve:~vP (t) = vP (t)~et (t). Für die Beschleunigung ergibt sich dann d~vP d d vP d~et d s d vP v2 ṡ2 ~aP (t) = = (vP~et ) = ~et + vP = ~et + P ~en ≡ s̈~et + ~en = at~et + an~en dt dt dt d s dt dt ρ(s) ρ(s) mit ρ(s) als Krümmungsradius der Bahnkurve an der Stelle s. Für d~et /d s = 1/ρ(s)~en wurde die Frenet’sche Formel angewendet: Betrachtung der ähnlichen Dreiecke liefert den Betrag: d~et 1 |d~et | : |~et | = d s : ρ(s) → = ds ρ(s) Die Richtung ergibt sich durch Differentiation von ~et ·~et = 1: d~et d~et ·~et +~et · = 2~e˙t ·~et = 0 dt dt d~et muss also orthogonal zu ~et sein, also in Richtung ~en Der Beschleunigungsvektor liegt also in der Schmiegebene der Bahnkurve, die von ~et und ~en auf- gespannt wird, in Binormalenrichtung ~em gibt es keine Komponente. Eine Bewegung entlang einer gekrümmten Bahnkurve mit zeitlich konstanter Schnelligkeit ṡ = const stellt also eine beschleunigte Bewegung dar. 2.3 Kinematik des starren Körpers Geschwindigkeitszustand des starren Körpers - Grundformel der Kinematik Auf einem bewegten starren Körper werden ein körperfester Bezugspunkt A und ein allgemeiner Körperpunkt P betrachtet. Die Momentanlage des Starrkörpers ist über die sechs Komponenten der Ortsvektoren~rA und~rP eindeutig festgelegt. Weiters gilt~rP =~rA +~rPA 3 mit |~rPA | = const (Starrkörper). Ableiten nach der Zeit ergibt d~rA d~rPA ~vP = + =~vA +~vPA dt dt 2 Da rPA =~rPA ·~rPA = const, ergibt die Zeitableitung dieses Ausdrucks d~rPA d~rPA ·~rPA + ·~rPA · = 2~vPA ·~rPA = 0 → ~vPA ⊥~rPA dt dt 3 Bezüglich der Notation gilt allgemein:~rAB ist der Vektor von B nach A,~rBA = −~rAB ist der Vektor von A nach B 8 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 Diese Orthogonalität der Relativgeschwindigkeit bezüglich des Verbindungsvektors lässt sich durch ~ ×~rPA ausdrücken, wobei ω den Ansatz ~vPA = ω ~ der Winkelgeschwindigkeitsvektor mit Einheit (rad/s) ist. Für die Geschwindigkeit des allgemeines Körperpunkts P ergibt sich daraus die Grund- formel der Kinematik ~ ×~rPA ~vP =~vA + ω ~ entsprechen den sechs Freiheitsgraden des starren Körpers im Die sechs Komponenten von ~vA und ω Raum. Der Winkelgeschwindigkeitsvektor ist ein freier Vektor, d.h. unabhängig vom Bezugspunkt A. Bei der Wahl von zwei unterschiedlichen körperfesten Bezugspunkten A und A0 gilt gemäß der Grundfor- mel der Kinematik ~ ×~rPA ~vP =~vA + ω ~ 0 ×~rPA0 bzw. ~vP =~vA0 + ω ~ ×~rA0 A sowie ~vA0 =~vA + ω Daraus folgt ~ 0 ×~rPA0 ~ ×~rA0 A + ω ~vP =~vA + ω 9 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 Mit~rPA =~rA0 A +~rPA0 ergibt sich alternativ ~ ×~rA0 A + ω ~vP =~vA + ω ~ ×~rPA0 ~0=ω Da diese beiden Ausdrücke für ~vP dasselbe Ergebnis liefern müssen, muss ω ~ gelten. Der mo- mentane Winkelgeschwindigkeitsvektor ist also unabhängig von der Wahl des Bezugspunktes, d.h. für alle Punkte des Starrkörpers gleich. ~ = ~0 und daher ~vP = ~vA. Alle Körperpunkte Bei einer reinen Translation eines Starrkörpers gilt ω besitzen die gleiche Geschwindigkeit und bewegen sich auf parallelen Bahnen. Bei einer reinen Rotation eines Starrkörpers ist ein Punkt festgehalten. Wird dieser als Bezugspunkts A verwendet, gilt ~vA = ~0 und daher ~vP = ω ~ ×~rPA. Ebene Bewegung der starren Scheibe Die ebene Bewegung ist dadurch charakterisiert, dass der Abstand der Körperpunkte in einer fes- ten Ebene, hier z.B. der (x, y)-Ebene, konstant bleibt. Die Ortsvektoren und Geschwindigkeiten aller Körperpunkte liegen in dieser Ebene, der Winkelgeschwindigkeitsvektor steht normal zur Ebene. Un- ter diesen Voraussetzungen gilt~rPA = (xP − xA )~ex + (yP − yA )~ey bzw. ω ~ = ω~ez = α̇~ez. Für die Relativgeschwindigkeit ergibt sich damit        0   x − xA   − (yP − yA )  P              ~ ×~rPA = 0 × yP − yA = ω ~vPA = ω xP − xA = ω~rˆPA              ω     0      0  mit dem um π/2 im positiven Drehsinn gedrehten Verbindungsvektor ~rˆPA. Die Grundformel der Ki- 10 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 nematik bei ebener Bewegung lautet somit ~vP =~vA + ω~rˆPA Die beiden Komponenten von ~vA und die Winkelgeschwindigkeit von ω entsprechen zusammen den drei Freiheitsgraden der starren Scheibe. Geschwindigkeitspol: Ist ω 6= 0, gibt es einen Punkt G, dessen momentane Geschwindigkeit Null ist. Dieser Punkt wird Geschwindigkeitspol genannt. In der Momentanlage führt die Scheibe um den Geschwindigkeitspol eine Rotation durch. Kennt man ~vA = ẋA~ex + ẏA~ey und ω, lässt sich mittels Grundformel der Kinematik aus ~vG =~vA + ω~rˆGA mit ~vG = ~0 seine Lage berechnen:       0 ẋ  − (y − y ) ẏA ẋA A G A = +ω → xG = xA − yG = yA + 0 ẏ   x −x  A G A ω ω Wählt man als körperfesten Bezugspunkt A = G , folgt für jeden allgemeinen Körperpunkt P ~vP = ω~rˆPG bzw. ẋP = −ω (yP − yG ) , ẏP = ω (xP − xG ) Beschleunigung: Ableiten der Grundformel der Kinematik für die ebene Bewegung ergibt d~vA d  ˆ  dω ˆ d~rˆPA ~aP = + ω~rPA = ~aA + ~rPA + ω dt dt dt dt Da ~vPA = ~r˙PA = ω~rˆPA , gilt analog ~r˙ˆPA = −ω~rPA und es folgt für die Beschleunigung des Punkts P bei ebener Bewegung ~aP = ~aA + ω̇~rˆPA − ω 2~rPA 11 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 ω̇~rˆPA ist die Tangentialkomponente und −ω 2~rPA die Normalkomponente der Relativbeschleuni-  gung ~aPA Zeitfreie Bewegung des starren Körpers Mit der Grundformel der Kinematik können auch kleine zeitunabhängige Verrückungen (Verschie- bungen und Verdrehungen) berechnet werden. Multiplikation der Grundformel der Kinematik d~rP d~rA d ~α = + ×~rPA dt dt dt mit dt führt auf den Zusammenhang für infinitesimal kleine Verschiebungen d~rP , d~rA und Verdre- hungen d α in der Form d~rP = d~rA + d ~α ×~rPA. Im Rahmen des Prinzips der virtuellen Arbeit (siehe Abschnitt 10) wird dieser Zusammenhang verwendet, als Nomenklatur wird dort δ statt d verwendet: δ~rP = δ~rA + δ ~α ×~rPA (starrer Körper) bzw. δ~rP = δ~rA + δ α~rˆPA (starre Scheibe) 2.4 Lagerung und Verbindungselemente mechanischer Systeme Eine Maschine, ein Tragwerk oder eine Vorrichtung wird im Rahmen einer mechanischen Modell- bildung als System aus einem oder mehreren Körpern beschrieben. Liegen alle Teile eines Systems und alle angreifenden Kräfte in einer Ebene, spricht man von einem ebenen System, ansonsten von einem räumlichen System. Im Zuge der mechanischen Modellbildung werden die Körper oft geometrisch idealisiert betrachtet. Ist beispielsweise bei einem Körper eine Abmessung, z.B. die Dicke, wesentlich kleiner als die beiden 12 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 anderen, spricht man von einem Flächentragwerk. Ebene Flächentragwerke, die in der Hauptausdeh- nungsebene belastet werden, nennt man Scheiben. Erfolgt die Belastung senkrecht dazu, spricht man von Platten. Gekrümmte Flächentragwerke werden als Schalen bezeichnet. Sind die Querschnittsabmessungen des Körpers klein gegenüber der Längsabmessung, spricht man von einem Stab. Dieser wird im mechanischen Modell durch seine Stabachse dargestellt, welche als die Verbindungslinie der geometrischen Querschnittsschwerpunkte definiert ist. Die kinematischen Bewegungsmöglichkeiten des Systems werden eingeschränkt durch Auflager (Ver- bindungen des Systems mit seiner Umgebung) und Verbindungselementen (zwischen den einzelnen Körpern des Systems). Diese werden oftmals idealisiert punkt- oder linienförmig modelliert. Un- ter der Wertigkeit r eines Auflagers- bzw. ν eines Verbindungselements versteht man die Anzahl der eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten, die dem System durch dieses Element eingeprägt werden. Die Wertigkeit entspricht damit den voneinander unabhängigen Kraft- bzw. Momentenkomponenten (siehe dazu Abschnitt 3), welche auf die Umgebung bzw. zwischen den Körpern übertragen werden. Da ein freier starrer Körper sechs Freiheitsgrade besitzt, sind sechs Bindungen notwendig, um dessen Bewegung vollständig zu behindern, die maximale Auflagerwertigkeit ist also r = 6. Star- re Scheiben besitzen in der Ebene drei Freiheitsgrade, daher ist die maximale Auflagerwertigkeit bei diesen r = 3. Die folgenden Tabellen zeigen typische Auflager für räumliche und ebene Systeme mit ihrer Wertigkeit, den zugehörigen mechanischen Modellen und die durch das Auflager übertragenen Kraft- bzw. Momentenkomponenten. 13 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 Punktförmige Auflager für räumliche Systeme Bezeichnung Wertigkeit Skizze, Symbol, Komponenten der Auflagerreaktion Gleitlager r=1 Geführtes Gleitlager r=2 Festlager r=3 Geführte Einspannung r=5 Eingespannte Hülse r=5 Einspannung r=6 14 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 Punktförmige Auflager für ebene Systeme Skizze, Symbol, Bewegungsmöglichkeiten (rot), Bezeichnung Wertigkeit Komponenten der Auflagerreaktionen (blau) Gleitlager r=1 Festlager r=2 Partielle Einspannung r = 2 Einspannung r=3 Punktförmige Verbindungselemente für räumliche Systeme Bezeichnung Wertigkeit Skizze, Symbol, Komponenten der Gelenkskraft Kugelgelenk ν =3 Scharniergelenk ν =5 15 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 Punktförmige Verbindungselemente für ebene Systeme Skizze, Bewegungsmöglichkeit (rot), Bezeichnung Komponenten der Gelenkskraft (blau), Symbol mit Wertigkeit ν Gelenk zw. zwei Scheiben Gelenk zw. drei Scheiben Querkraftgelenk Hülse Anzahl von Freiheitsgraden zusammengesetzter Systeme Die im Folgenden betrachteten Körper sollen nur so kleine Formänderungen aufweisen, dass sie als unverformt bzw. starr angesehen werden können. Bei einem System, welches aus mehreren solchen Körpern besteht, setzt sich die Anzahl der Freiheitsgrade (FG) f aus der Summe der Freiheitsgrade der einzelnen Körper abzüglich der eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten durch Auflager und Verbindungselemente, ausgedrückt durch deren Wertigkeiten, zusammen. Räumliches System: Mit n1 starren Körpern (je 6 FG), n2 starren Stäben (je 5 FG), r als Summe der Auflagerwertigkeiten und ν als Summe der Wertigkeiten der Verbindungselemente ergibt sich f = 6n1 + 5n2 − r − ν 16 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 Ebenes System: Mit n starren Scheiben (je 3 FG), r und ν wie oben folgt f = 3n − r − ν Anhand der Anzahl der Freiheitsgrade f kann unterschieden werden:     > 0 kinematisches (bewegliches) System  f = 0 notwendige Bedingung für statisch bestimmte Lagerung     < 0 notwendige Bedingung für statisch unbestimmte Lagerung Bei statisch bestimmt gelagerten Tragwerken können die Auflagerreaktionen durch Anwenden der Gleichgewichtsbedingungen (siehe Abschnitt 3) berechnet werden, während bei statisch unbestimmt gelagerten Tragwerken hierfür auch Formänderungsbedingungen zu berücksichtigen sind. Für letztere müssen die Abmessungen und Materialeigenschaften des Systems bekannt sein, was das Bestimmen der Auflagerreaktionen zu einem iterativen Prozess macht. 2.5 Kinematik des verformbaren Körpers Die Mechanik verformbarer Körper wird in der Lehrveranstaltung Festigkeitslehre ausführlich be- handelt. Wir beschränken uns hier nur auf die notwendigen Grundlagen. Zur Beschreibung der Kinematik verformbarer Körper benötigt man den Begriff der Verzerrungen. Hierzu betrachten wir zwei infinitesimal kleine, orthogonal aufeinander stehende Linienelemente an einem in der XY -Ebene befindlichen Körper. In der Ausgangslage zum Zeitpunkt t0 , charakterisiert durch Großbuchstaben, haben diese die Längen d X bzw. dY. Im Zuge der Verformung wird jedem Punkt ~X = X~ex +Y~ey über die Verschiebung ~u(~X,t) = u(X,Y,t)~ex + v(X,Y,t)~ey eine neue Lage zum Momentanzeitpunkt t (Kleinbuchstaben) zugeordnet. Die Linienelemente ändern ihre Länge sowie ihren Winkel zueinander. Betrachtet man die bezogene Längenänderungen von d X und dY , so er- 17 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 geben sich ∂u ∂v dX + dX −dX ∂ u def dY + dY − dY ∂ v def ∂X = = εxx bzw. ∂Y = = εyy dX ∂X dY ∂Y als sog. Normalverzerrungen. Die Winkeländerungen berechnen sich aus ∂v ∂u dX ∂v dY ∂u tan γ1 = ∂X ≈ ≈ γ1 und tan γ2 = ∂Y ≈ ≈ γ2 ∂u ∂X ∂v ∂Y dX + dX dY + dY ∂X ∂Y wobei die Näherung für kleine Verzerrungen εxx , εyy  1 und Winkeländerungen gilt4. Die gesamte ∂ u ∂ v def Winkeländerung ergibt die sog. Gleitung γxy = γ1 + γ2 = + = 2εxy ∂Y ∂ X Wenn zusätzlich zu den Verzerrungen auch die Verschiebungen klein gegenüber den Querschnitts- abmessungen des Körpers sind, muss man nicht zwischen der Ausgangslage und der Momentanlage unterscheiden, es werden dann konventionsgemäß Kleinbuchstaben verwendet, d.h. X = x,Y = y. Verallgemeinerung auf dreidimensionale Verzerrungszustände führt mit ~u = u~ex + v~ey + w~ez auf den linearisierten Verzerrungstensor   εxx εxy εxz     1 ∂ ui ∂ u j ε =  εyx εyy εyz mit εi j = + , ui = {u, v, w} , xi = {x, y, z}   2    ∂ x j ∂ xi εzx εzy εzz Der Verzerrungstensor ist symmetrisch, d.h. es gilt εxy = εyx , εxz = εzx , εyz = εzy. Die drei Normalver- zerrungen εxx , εyy , εzz und die drei Schubverzerrungen εxy , εxz , εyz (bzw. die entsprechenden Gleitun- gen) beschreiben also den Verzerrungszustand in einem Punkt eines dreidimensionalen deformierba- ren Körpers unter den genannten Voraussetzungen eindeutig. Eine Starrkörperbewegung zeichnet sich dadurch aus, dass dabei keine Verzerrungen im Körper entstehen. Für positive Normalverzerrungen wird auch der Begriff Dehnung verwendet, für negative Normalver- zerrungen Stauchung. Experimentell lassen sich (positive und negative Normal-)Verzerrungen mittels Dehnungsmessstreifen messen, die auf den untersuchten Körper geklebt werden. Dehnungsmess- streifen bilden auch die Grundlage für andere Sensoren zum Messen von Kräften oder Drehmomen- ten. 4 Kleine Verzerrungen im ‰-Bereich sind bei vielen technischen Systemen im Gebrauchszustand in der Regel gegeben. 18 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 3 Kräfte, Schnittprinzip 3.1 Newton’sche Axiome Eine Kraft ist eine gerichtete (vektorielle) Größe, die sich der unmittelbaren Betrachtung entzieht. Man erkennt sie nur an ihren Auswirkungen. Festgehaltene Körper werden durch die Einwirkung von Kräften verformt, bewegliche Körper werden in Bewegung gesetzt. Die Grundlage der Newton’schen Mechanik und damit den Umgang mit Kräften bilden die drei New- ton’schen Axiome: Erstes Newtonsches Axiom (Trägheitsprinzip) Ein Körper beharrt im Zustand der Ruhe oder der gleichförmigen geradlinigen Bewegung, solange die Summe aller auf ihn einwirkenden Kräfte gleich Null ist. Die Geschwindigkeit eines solchen sich frei“ bewegenden Körpers ist nach Betrag und Richtung konstant. ” Zweites Newtonsches Axiom (Beschleunigungsprinzip bzw. dynamisches Grundgesetz) Durch eine einwirkende Kraft erfährt ein massebehafteter Körper eine Beschleunigung, die der Kraft proportional ist und deren Richtung besitzt. Drittes Newtonsches Axiom (Wechselwirkungsprinzip) Übt ein Körper auf einen zweiten Körper eine Kraft aus, so übt der zweite Körper auf den ersten eine gleich große Gegenkraft aus, die entgegengesetzt der ersten Kraft gerichtet ist. Diese Axiome lassen sich anhand der Gewichtskraft erklären: Gemäß dem zweiten Newtonschen Axiom entsteht während des freien Falls eines punktförmigen Körpers mit der Masse m durch die Fallbeschleunigung g = 9.81 m/s2 die Gewichtskraft G = mg, die gegen die Erdoberfläche gerichtet ~ = −G~ez. Der Körper befindet sich nach dem Auftreffen auf den Untergrund in Ruhe, die auf ihn ist: G 19 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 wirkende Gewichtskraft verschwindet jedoch nicht. Da das erste Newtonsche Axiom besagt, dass die auf den ruhenden Körper wirkende Gesamtkraft (resultierende Kraft) Null ist, muss auf den Körper eine betragsmäßig gleich große nach oben gerichtete Gegenkraft ~A = −G ~ wirken. Diese Gegenkraft stellt eine Auflagerreaktion dar, der Betrag der Auflagerreaktion entspricht der Gewichtskraft: A = G. Laut dem dritten Newtonschen Axiom ist die vom Körper auf den Untergrund ausgeübte Kraft betragsmäßig gleich groß, aber entgegengesetzt gerichtet zur Auflagerreaktion: ~B = −~A bzw. B = A Die Kräfte ~A und ~B wirken auf zwei unterschiedliche Körper, die Kräfte G ~ und ~A hingegen auf denselben Körper. 3.2 Einteilung von Kräften Nach ihrer Ausdehnung unterscheidet man zwischen Einzelkräften (Maßeinheit (N)), die idealisiert an einem Punkt angreifen Linienkräften (Maßeinheit (N/m)), die idealisiert entlang einer Linie angreifen Flächenhaft verteilten Kräften (Maßeinheit (N/m2 )), z.B. Wasserdruck auf eine Behälterwand. Im Falle innerer Kräfte (siehe später) spricht man auch von Spannungen Volumenkräften (Maßeinheit (N/m3 )), z.B. die Gewichtskraft mit Volumenkraftdichte~k = −ρg~ez mit Massendichte ρ, Fallbeschleunigung g, die in jedem materiellen Punkt eines Kontinuums in Richtung des Erdmittelpunkts −~ez gerichtet ist. Nach ihrem Ursprung unterscheidet man zwischen eingeprägten Kräften und Reaktionskräften. Letztere ergeben sich durch einen dem Körper auferlegten Zwang, also durch Einschränkung der Bewegungsmöglichkeit. Zu diesen Kräften zählen die Auflagerreaktionen, die an den Kontaktstellen 20 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 eines Körpers mit seiner Umgebung entstehen. Nach der Wirkung am Körper unterscheidet man zwischen äußeren und inneren Kräfte. Äußere Kräfte wirken von außen auf den Körper ein. Die inneren Kräfte sind die innerhalb, zwischen den Elementen eines Körpers wirksamen Kräfte. Um die inneren Kräfte berechenbar zu machen, werden am Körper gedachte Schnitte geführt und die Körperteile gedanklich auseinander gerückt. Damit an den Bewegungs- und Deformationsverhältnis- sen nichts geändert wird, müssen an den Schnittflächen die jeweils von dem einen auf den anderen abgeschnittenen Körperteil ausgeübten inneren Kräfte angebracht werden, die so sichtbar werden. Diesen Vorgang nennt man freischneiden bzw. wendet man das sog. Schnittprinzip an. Die an den gegenüberliegenden Schnittufern in korrespondierenden Punkten angreifenden inneren Kräfte sind gemäß dem Wechselwirkungsprinzip gleich groß aber entgegengesetzt gerichtet. Nach dem Zusam- menfügen der Körperteile zu einem Ganzen heben sich so die an den Schnittufern als äußere Kräfte angebrachten inneren Kräfte auf und verschwinden“ wieder. ” Die flächenhaft verteilten inneren Kräfte werden mit dem Spannungsvektor ~σn gekennzeichnet, der mathematisch wie folgt definiert ist: ∆~F d ~F ~σn = lim = ∆Sn →0 ∆Sn d Sn ∆~F ist dabei der resultierende Kraftvektor der inneren Kräfte auf das endlich kleine Flächenelement ∆Sn Der Spannungsvektor hat zusätzlich zu den Bestimmungsstücken Betrag, Richtung und Angriffs- punkt eines gebundenen Vektors als weiteres Merkmal die räumliche Stellung des Flächenelements, auf das die Spannung bezogen ist. Diese ist durch den auf das Flächenelement normal stehenden und nach außen (d.h. weg vom Schnitt) gerichteten Einheitsvektor ~en festgelegt, daher der Index n beim 21 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 Spannungsvektor ~σn. Die Schnittfläche, die durch die positiven Normalenvektoren ~en gekennzeichnet ist und an der die Spannungsvektoren ~σn angreifen, wird positives Schnittufer genannt. Die Stellung der Flächenele- mente des gegenüberliegenden negativen Schnittufers mit den entgegengesetzt gerichteten angrei- fenden Spannungen −~σn ist durch die Normalenvektoren −~en festgelegt. Spannungen werden in Abschnitt 5 näher behandelt. 22 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 4 Kräftegruppen, Gleichgewichtsbedingungen 4.1 Einzelkraft Eine Einzelkraft ist über ihren Betrag, ihre Richtung und ihren Angriffspunkt definiert. Betrag und Richtung definieren in der Mathematik eine vektorielle Größe. Da eine Einzelkraft durch ihren An- griffspunkt mit einem bestimmten Ort ihrer Wirkungslinie verknüpft ist, zählt sie zu den gebundenen Vektoren. Greift eine Einzelkraft an einem starren Körper an, kann sie beliebig entlang ihrer Wir- kungslinie verschoben werden. Sie ist dann ein linienflüchtiger Vektor. Im räumlichen kartesischen (x, y, z)-Koordinatensystem besitzt die Einzelkraft ~F im Allgemeinen drei hier mit X,Y, Z bezeichnete Komponenten:   X        p ~F = X~ex +Y~ey + Z~ez = Y , F = |~F| = X 2 +Y 2 + Z 2      Z   Das Zusammensetzen von zwei Einzelkräften ~F1 und ~F2 mit demselben Angriffspunkt A ergibt die resultierende Kraft ~R, kurz Resultierende genannt, ~R = ~F1 + ~F2 = ~F2 + ~F1. ~R ersetzt die Wirkung von ~F1 und ~F2 in A statisch äquivalent. 23 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 4.2 Zentrales Kraftsystem Mehrere Einzelkräfte mit einem gemeinsamen Angriffspunkt bilden ein zentrales Kraftsystem Die Wirkung der n Einzelkräfte eines zentralen Kraftsystems lässt sich statisch äquivalent durch die Resultierende ~R im Angriffspunkt A ersetzen. Werden die Einzelkräfte im (x, y, z)-Koordinatensystem zerlegt, ~Fi = Xi~ex + Yi~ey + Zi~ez , kann die Resultierende komponentenweise dargestellt werden: ~R = n n n Rx~ex + Ry~ey + Rz~ez mit Rx = ∑ Xi , Ry = ∑ Yi , Rz = ∑ Zi i=1 i=1 i=1 Gleichgewichtsbedingungen: Ein zentrales Kraftsystem ist definitionsgemäß dann im Gleichge- wicht, wenn die Resultierende verschwindet, n n n n ~R = ∑ ~Fi = 0 bzw. komponentenweise Rx = ∑ Xi = 0, Ry = ∑ Yi = 0, Rz = ∑ Zi = 0 i=1 i=1 i=1 i=1 Beim zentralen ebenen Kraftsystem befinden sich die Kräfte mit gemeinsamen Angriffspunkt in einer Ebene, es verbleiben dementsprechend zwei Gleichgewichtsbedingungen 4.3 Moment und Kräftepaar Unter dem Moment einer Kraft ~F in Bezug auf den Punkt A0 , der nicht auf der Wirkungslinie von ~F liegt, versteht man das Produkt aus dem Betrag F der Kraft und dem Normalabstand a (auch Hebels- 0 arm genannt) der Wirkungslinie von diesem Punkt, M (A ) = F a (Maßeinheit (Nm)). Das Moment beschreibt die Drehwirkung der Kraft auf einen Körper bezüglich des Punkts A0. Zwei parallele, gleich große, entgegengesetzte Einzelkräfte ~F und−~F, die nicht auf derselben Wir- kungslinie liegen, bilden das Kräftepaar (~F, −~F). Ein Kräftepaar übt auf Körper eine Drehwirkung aus. Die Wirkung eines Kräftepaares lässt sich durch das Moment M(= F a) und die Stellung der Wirkungsebene im Raum, welche durch den (im Sinne einer Rechtsschraube) orientieren Normalen- vektor ~en der von ~F und−~F aufgespannten Ebene, beschreiben. Diese beiden Bestimmungsstücke 24 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 werden zum Momentenvektor zusammengefasst, ~ =~r × ~F M ~ = Fa~en , |M| bzw. M ~ ≡ M = |~F| |~r| sin α ≡ Fa der orthogonal zur Wirkungsebene (und damit normal zu~r und ~F) gerichtet ist.~r ist der Ortsvektor von einem beliebigen Punkt der Wirkungslinie der Kraft −~F zu einem beliebigen Punkt der Wirkungslinie der Kraft ~F. Der Momentenvektor hat keinen definierten Angriffspunkt, d.h. er ist ein freier Vektor. 4.4 Allgemeines Kraftsystem Ein allgemeines Kraftsystem ist eine Kräftegruppe aus mehreren im Raum befindlichen Einzelkräften mit unterschiedlichen Angriffspunkten. Zuerst wird die ite Einzelkraft ~Fi dieser Kräftegruppe in den allgemeinen Punkt A0 , der nicht auf der Wirkungslinie von ~Fi liegt, reduziert. Die Wirkung von ~Fi bezüglich des Punkts A0 wird statisch (A0 ) ~ äquivalent durch den Momentenvektor M i =~ri × ~Fi in A0 und der Kraft ~Fi in A0 beschrieben. 25 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 0 ~ (A ) der Einzelkraft ~Fi hängt vom Bezugspunkt A0 ab, während der Momen- Der Momentenvektor M i ~ des Kräftepaares (~F, −~F) an keinen Bezugspunkt gebunden ist. tenvektor M ~ (A0 ) Die komponentenweise Darstellung des Momentenvektors M i im (x, y, z)-System lautet         (A0 )  M x  X   y Z −z Y   ix 0   i  i  i i i i           0       ~ (A ) (A ) ~ Mi = Miy =~ri × Fi = yi × Yi = zi Xi − xi Zi  0          M (A )          z    Z  x Y − y X     iz i i i i i i Ein allgemeines Kraftsystem lässt sich in einen frei gewählten Bezugspunkt A0 reduzieren, indem die Reduktion für für alle n Kräfte durchgeführt wird und anschließend aufsummiert wird. Dies führt auf ~ (A0 ) die Resultierende ~R in A0 und den resultierenden Momentenvektor M n n ~R = ∑ ~Fi , ~ (A0 ) = ∑~ri × ~Fi M i=1 i=1 die die Wirkung der Einzelkräfte ~Fi bezüglich des Punktes A0 statisch äquivalent ersetzen Gleichgewichtsbedingungen: Ein allgemeines Kraftsystem befindet sich im Gleichgewicht, wenn ~ (A0 ) = ~0 ist. Im Raum folgen daraus sechs skalare Gleichgewichtsbedingungen sowohl ~R = ~0 und M n n n Rx = ∑ Xi = 0, Ry = ∑ Yi = 0, Rz = ∑ Zi = 0 i=1 i=1 i=1 n n n (A0 ) (A0 ) (A0 ) Mx = ∑ (yi Zi − zi Yi ) = 0, My = ∑ (zi Xi − xi Zi ) = 0, Mz = ∑ (xi Yi − yi Xi ) = 0 i=1 i=1 i=1 Bei einem ebenen System in der (x, y)-Ebene verbleiben die drei Gleichgewichtsbedingungen 26 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 (A0 ) Rx = 0, Ry = 0 und Mz = 0. Die Gleichgewichtsbedingungen sind von der Wahl des Bezugspunktes unabhängig. 4.5 Parallelkraftsystem Der Spezialfall eines Parallelkraftsystems liegt vor, wenn die Wirkungslinien der n Kräfte eines räum- lichen Kraftsystems parallel sind: ~Fi = Fi~e, i = 1... n mit ~e als Einheitsvektor, der die positive Rich- tung der Kräfte festgelegt. Die Reduktion des Parallelkraftsystems in den frei gewählten Bezugspunkt A0 ergibt das statische n n ~ (A0 ) = äquivalente Paar aus der Resultierenden ~R = ~e ∑ Fi und dem Momentenvektor M ∑ Fi (~ri ×~e) i=1 i=1 bezüglich A0. Das Parallelkraftsystem soll so reduziert werden, dass jeder Punkt auf der Wirkungslinie der Resul- tierenden ~R ein momentenfreier Punkt ist. Daher gilt für einen frei gewählten Bezugspunkt A00 auf dieser jetzt noch unbekannten Linie: ~ (A00 ) = M M ~ (A0 ) + (−~a) × ~R = ~0 0 ~ (A ) liefert mit dem noch unbekannten Suchvektor ~a. Einsetzen von ~R und M " # n ∑ Fi (~ri −~a) ×~e = ~0 i=1 Kräftemittelpunkt: Der momentenfreie Angriffspunkt AM der Resultierenden ~R wird Kräftemit- telpunkt genannt. 27 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 Da sich bei Drehung aller Einzelkräfte, d.h. des Einheitsvektor ~e, um den Winkel α die Bestim- mungsgleichung für den Kräftemittelpunkt nicht ändert, muss für jeden beliebig orientierten Vektor ~e n ∑ Fi (~ri −~a) = ~0 gelten. Auflösen dieses Ausdrucks nach dem speziellen Suchvektor ~a ≡~rM liefert i=1 n 1 ~rM = n ∑ Fi~ri ∑ Fi i=1 i=1 Es ist zu beachten, dass in dieser Gleichung der Anfangspunkt der Ortsvektoren ~ri der Bezugspunkt A0 und der Endpunkt der Angriffspunkt der zugehörigen Einzelkraft ~Fi (und nicht ein frei wählbarer Punkt auf der Wirkungslinie der Kraft) ist. 4.6 Gewichtskraft, Schwerpunkt, Statische Momente Gewichtskraft: Man stößt auf ein räumlich verteiltes Parallelkraftsystem, wenn die kleinen Win- keländerungen des zentralen Schwerefeldes im Bereich eines betrachteten Körpers vernachlässigt werden. Da auf den Körper die Fallbeschleunigung g einwirkt5 , besitzt er eine über das Volumen verteilte Gewichtskraft, die gegen die (ebene) Erdoberfläche gerichtet ist (hier in Richtung −~ez ). Für einen materiellen Körperpunkt mit der Massendichte ρ(x, y, z) erhält man die Volumenkraft- 5 Hier wird ein homogenes Schwerefeld mit g = const = 9.81 m/s2 vorausgesetzt 28 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 dichte ~k = −ρ(x, y, z)g~ez. Integration über das Körpervolumen ergibt die resultierende Gewichtskraft Z Z ~ = −G~ez = −~ez g G ρ dV = −mg~ez mit m = ρ dV V V als Körpermasse (nicht zu verwechseln mit dem Körpergewicht G = mg). Schwerpunkt: Der Kräftemittelpunkt eines schweren Körpers wird Schwerpunkt genannt. Die La- ge des Schwerpunktes S gewinnt man mit der zuvor für ein diskretes Parallelkraftsystem hergeleiteten Beziehung, wenn der Grenzübergang auf das kontinuierlich verteilte Parallelkraftsystem durchgeführt n Z wird: Mit ~Fi ⇒ −~ez ρ g dV , ~ri ⇒~r(x, y, z), ∑⇒ ergibt sich die Lage des Schwerpunkts, bezogen i=1 V auf den Koordinatenursprung als 1 1 Z Z (M) ~rS = ~r ρ g dV bzw. ~rS = ~r d m G m V m als Massenmittelpunkt, der im homogenen Schwerefeld (g = const) ident mit dem Schwerpunkt ist: (M) ~rS = ~rS. Bei einem homogenen Körper (ρ = const) entspricht die Lage des Massenmittelpunkts auch der Lage des geometrischen (Volumen-)Schwerpunkts 1 Z (V ) ~rS = ~r dV V V Diese Definition ist auch auf Flächen und Linien übertragbar. Der geometrische (Flächen-) Schwer- punkt einer (gekrümmten) Fläche mit der Oberfläche A sowie der geometrische (Linien-)Schwerpunkt einer (gekrümmten) Linie mit der Bogenlänge L berechnet sich aus 1 1 Z Z (A) (L) ~rS = ~r d A bzw. ~rS = ~r d s A L A L 29 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 Statische Momente: Die mit den Ortsvektoren ~r gewichteten Integrale der betrachteten Größen Gewicht, Masse, Volumen, Fläche, Linie, welche bei den zuvor angegebenen Berechnungen des Z Schwerpunktes auftreten, z.B. ~r d m, werden als statische Momente bezüglich des Bezugspunkts Z m 0 bezeichnet, im Fall von ~r d A auch als Flächenmoment 1. Ordnung. A Wird der entsprechende Schwerpunkt als Bezugspunkt verwendet, verschwindet das statische Mo- Z (M) ment definitionsgemäß, es gilt also z.B. ~r d m = 0 um den Bezugspunkt~rS m 4.7 Auflagerreaktionen statisch bestimmt gelagerter Systeme Ist ein mechanisches System statisch bestimmt gelagert, werden die Auflagerreaktionen und die Ge- lenkskräfte allein mit Hilfe der Gleichgewichtsbedingungen bestimmt. Dabei sind möglichst solche Gleichgewichtsbedingungen zu verwenden, die jeweils nur eine unbekannte Komponente der Auf- lagerreaktionen bzw. der Gelenkskräfte enthalten. Damit entkoppelt das Gleichungssystem zur Be- stimmung der Auflagerreaktionen und Gelenkskräfte. Bei räumlichen Systemen aus einem einzigen Körper können sechs linear unabhängige Gleichgewichtsbedingungen formuliert werden. Für ebene Systeme aus einer Scheibe (n = 1) existieren drei linear unabhängige Gleichgewichtsbedingungen. Bei ebenen Systemen aus n Scheiben setzen sich die 3n − ν linear unabhängigen Gleichgewichtsbe- dingungen aus den drei Gleichgewichtsbedingungen einer Scheibe und aus 3(n − 1) − ν Gelenksbe- dingungen zusammen, mit ν als Summe der Wertigkeiten aller Verbindungselemente. Statisch bestimmt gelagerte ebene Systeme aus einer Scheibe Für ein System bestehend aus einer statisch bestimmt gelagerten Scheibe gibt es drei grundlegende Lagerungsmöglichkeiten. 30 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 (1) Die Scheibe ist an einem mit A bezeichneten Punkt über ein Festlager und einem zweiten Punkt über ein Gleitlager mit der Umgebung verbunden. Bei der Ausrichtung des Gleitlagers ist darauf zu achten, dass die Wirkungslinie der zugehörigen Auflagerkraft nicht durch den Punkt A geht, da sonst das System beweglich ist. (2) Die Scheibe ist an einem Punkt eingespannt. (3) Ist die Scheibe durch drei Gleitlager abgestützt, dürfen für eine stabile Lagerung die Wirkungsli- nien der Auflagerkräfte keinen gemeinsamen Schnittpunkt aufweisen. Zur Berechnung der Auflagerreaktionen sind die Gleichgewichtsbedingungen des allgemeinen ebe- n n nen Kraftsystems heranzuziehen (die Scheibe soll in einer (x, y)-Ebene liegen), ∑ Xi = 0, ∑ Yi = 0, i=1 i=1 n (P) ∑ Mzi = 0, wobei P ein beliebiger Bezugspunkt ist. Wird jede Kraft ~Fi , i = 1... n, in ihre horizontale i=1 und vertikale Komponente Hi und Vi zerlegt, wird oft geschrieben: n n n (P) ∑ Hi = 0, ∑ Vi = 0, ∑ Mi =0 i=1 i=1 i=1 Alternativ können die Auflagerreaktionen aus einer Kraft- und zwei Momentengleichgewichtsbedin- gungen (um unterschiedliche Bezugspunkte) oder aus drei Momentengleichgewichtsbedingungen be- stimmt werden, wenn die entsprechenden Gleichungen linear unabhängig voneinander sind. Bei Mo- mentengleichgewicht um drei unterschiedliche Bezugspunkte folgt daraus, dass die drei Bezugspunk- te nicht auf einer Geraden liegen dürfen. 31 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 Statisch bestimmt gelagerte ebene Systeme aus zwei Scheiben Ein Dreigelenkbogen besteht aus zwei Scheiben auf jeweils einem Festlager, die über ein Gelenk miteinander verbunden sind. Dabei dürfen die Auflagerpunkte A und B und das Gelenk in C nicht auf einer Geraden liegen, da es sich sonst um ein wackeliges System handelt. Für die Berechnung der Reaktionskräfte wird das System im Gelenk freigeschnitten und die noch unbekannte Gelenkskraft als äußere Kraft angesetzt. Die Auflagerreaktionen und die Gelenkskraft werden dabei jeweils in zwei zueinander orthogonale Komponenten zerlegt, wobei die Gelenkskraft gemäß dem Schnittprinzip an den beiden Schnittufern entgegengesetzt gerichtet anzusetzen ist. Die Momentengleichgewichtsbedingungen um den Punkt B für das Gesamtsystem und um den Punkt C für die Scheibe I liefern ein Gleichungssystem für die beiden unbekannten Komponenten AH , AV der Auflagerreaktion in A n n (B) (C)I ∑ Mi = 0, ∑ Mi =0 ⇒ AH , AV i=1 i=1 n n Danach können über die Kraftgleichgewichtsbedingungen ∑ Hi = 0 und ∑ Vi = 0 die Komponen- i=1 i=1 ten BH , BV der Auflagerreaktion in B berechnet werden. Die beiden Komponenten der Gelenkskraft CH , CV erhält man durch Aufstellen von zwei Gleichgewichtsbedingungen für ein Teilsystem, zum n n Beispiel ∑ HiI = 0 und ∑ ViI = 0 für Scheibe I. Nachdem alle Komponenten der Auflagerreaktionen i=1 i=1 und der Gelenkskraft berechnet wurden, dienen bislang noch nicht verwendete Gleichgewichtsbedin- n n (A) (C)II gungen, z.B. ∑ Mi = 0, ∑ Mi = 0 als Kontrolle der Ergebnisse. i=1 i=1 Bei der gezeigten Art der Bestimmung von Auflagerreaktionen und Gelenkskräften werden die Kom- ponenten der Kräfte in einem kartesischen Koordinatensystem bestimmt, wobei sich die positive De- finition der entsprechenden Komponenten aus dem (beliebig wählbaren) Ansatz in der Skizze ergibt. Liefert die Berechnung ein negatives Ergebnis für eine Kraftkomponente, bedeutet dies, dass die Rich- tung des entsprechenden Komponentenvektors entgegengesetzt zur angenommen Richtung zeigt. 32 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 5 Innere Kräfte 5.1 Spannungstensor In Abschnitt 3 wurde bereits der Spannungsvektor ~σn als Maß für die inneren Kräfte zwischen den einzelnen Elementen eines Körpers eingeführt. ~σn ist ein gebundener Vektor, der wie ein Kraftvektor die Bestimmungsstücke Richtung, Betrag und Angriffspunkt besitzt, zusätzlich jedoch noch über die räumliche Stellung des Flächenelements, auf das ~σn bezogen ist. Im Gegensatz zu Kräften dürfen Spannungsvektoren mit demselben Angriffspunkt nur addiert werden, wenn sie auf dasselbe Flächen- element bezogen sind. Lässt man den äußeren Normalenvektor mit der x-Koordinate eines rechtwinkeligen kartesischen (x, y, z)-Koordinatensystems zusammenfallen (~en → ~ex ), dann lässt sich der Spannungsvektor ~σx zer- legen in ~σx = σxx~ex + σxy~ey + σxz~ez Die Komponente σxx , die senkrecht auf das Flächenelement steht, wird Normalspannung genannt, die beiden Komponenten σxy und σxz , die in der Schnittfläche wirken, nennt man Schubspannungen. Der erste Index einer Spannungskomponente bezieht sich auf die Stellung des Flächenelements, die durch den Normalvektor festgelegt ist (hier also ~ex ), der zweite Index auf die Richtung dieser Span- nungskomponente. Der im Allgemeinen räumliche Spannungszustand in einem Punkt eines Körpers ist eindeutig durch die Spannungsvektoren von drei zueinander orthogonalen Schnittflächen durch diesen Punkt be- stimmt. Ist die Stellung dieser Schnittflächen zum Beispiel durch die Normalenvektoren ~ex , ~ey und ~ez gekennzeichnet, sind das die Spannungsvektoren ~σx , ~σy und ~σz. Die Normalspannungen σxx , σyy , σzz und die Schubspannungskomponenten σxy , σxz , σyz , σyx , σzx , σzy dieser drei Spannungsvektoren 33 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 werden zum Spannungstensor6 σ zusammengesetzt: e       ~σ  σ σ σ ~ex    x   xx xy xz          ~σy =   σyx σyy σyz  ~ey         ~σ    σ σ σ  ~e   z zx zy zz z | {z } σ e Man kann zeigen (siehe Übung bzw. Lehrveranstaltung Festigkeitslehre), dass der Spannungstensor wie auch der Verzerrungstensor (siehe Abschnitt 2.5) symmetrisch ist, d.h es gilt σxy = σyx , σxz = σzx , σyz = σzy. Die drei Normalspannungen und drei Schubspannungen definieren also den Beanspru- chungszustand an einem materiellen Punkt des Körpers eindeutig. 5.2 Einachsiger Spannungszustand Ein schlanker gewichtsloser Stab mit der konstanten Querschnittsfläche A wird durch eine Zugkraft ~F = F~ex beansprucht. Mit einem Schnitt an der Stelle x normal zur Stabachse werden die axialen Spannungsvektoren ~σx sichtbar gemacht, die in hinreichend großem Abstand von der Einspannung und der Lasteinleitung als über die Querschnittsfläche gleichverteilt angenommen werden können. Definitionsgemäß sind diese am positiven Schnittufer in Richtung ~ex anzusetzen. 6 Der Spannungstensor (und auch der Verzerrungstensor) ist ein Tensor zweiter Stufe, daher sind zwei Indizes für die Einzelkomponenten notwendig. Vektoren sind Tensoren erster Stufe, Skalare Tensoren nullter Stufe. 34 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 Gleichgewicht am unteren Stabelement liefert F~ex − ~σx A = ~0, woraus sich der Spannungsvektor F ~σx = ~ex = σxx~ex A ergibt, d.h. ein reiner Normalspannungszustand ohne Schubspannungen, auch einachsiger Spannungs- zustand genannt. Aus den inneren Kräften, die ein Parallelkraftsystem darstellen, lässt sich eine Re- sultierende, die sogenannte Normalkraft N = σxx A bzw. ~N = N~ex bilden. Einachsige Spannungszustände, d.h. reine Normalkraftbeanspruchung, tritt bei sog. (idealen) Fach- werken auf. Das sind Tragwerke, die aus geraden Stäben bestehen, die an den Knoten gelenkig mit- einander verbunden sind und bei denen die äußere Beanspruchung nur als in den Knoten angreifenden Einzelkräften wirkt (sog. Pendelstützen). Bei Fachwerken spricht man statt von der Normalkraft auch von der Stabkraft, der Begriff der Normalkraft ist in der Stabstatik (siehe Abschnitt 6) weiter definiert. Wird bei dem durch eine Zugkraft beanspruchten Stab der gedankliche Schnitt nicht senkrecht zur Stabachse, sondern unter einem beliebigen Winkel α geneigt, geführt, treten aus Gleichgewichts- gründen nach wie vor axial gerichtete Spannungsvektoren ~σn auf, die Schnittfläche ist nun durch den A Einheitsvektor ~en charakterisiert. Aus F~ex − ~σn = ~0 folgt cos α F ~σn = cos α~ex = σxx cos α~ex A Dieser Spannungsvektor lässt sich in eine Normalspannung σnn und eine Schubspannung σnm auftei- 35 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 len: ~σn = σnn~en + σnm~em. Da ~ex ·~en = cos α und ~ex ·~em = sin α, ergibt sich 1 σnn = ~σn ·~en = σxx cos α~ex ·~en = σxx cos2 α = σxx (1 + cos 2α) 2 1 σnm = ~σn ·~em = σxx cos α~ex ·~em = σxx cos α sin α = σxx sin 2α 2 Diese Abhängigkeit der Spannungskomponenten σnn und σnm vom Stellungswinkel α ergibt in der Spannungsebene einen Kreis, den sogenannten Mohrschen Spannungskreis, mit (σnn , σnm ) als Ko- ordinatenachsen. Die größte Normalspannung wird im Schnitt α = 0 übertragen. Dieser Querschnitt ist schubspannungsfrei. Jeder schräge Schnitt führt auf eine Normal- und Schubspannung. Letztere besitzt ihren größten Wert von σxx /2 im Schnitt α = 45◦. Falls der Stab aus einem Material besteht, dessen maximal aufnehmbare Zugspannung (die Zugfestig- keit) mehr als doppelt so groß ist wie die maximal aufnehmbare Schubspannung (sie Schubfestigkeit), wird der Stab entlang einer unter 45◦ geneigten Ebene versagen, ansonsten senkrecht zur Stabachse. 36 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 5.3 Ebener Spannungszustand Der ebene Spannungszustand tritt in Punkten unbelasteter Körperoberflächen auf und näherungsweise in dünnen Scheiben, die in ihrer Ebene belastet sind. Ist ~σz = 0, d.h. σxz = σzx = 0, σyz = σzy = 0, σzz = 0, verbleiben die Spannungsvektoren ~σx = σxx~ex + σxy~ey und ~σy = σyx~ex + σyy~ey ,   σxx σxy also der Spannungstensor σ =   mit σxy = σyx. e σyx σyy Lokale Gleichgewichtsbedingungen Es wird aus einer in ihrer Ebene belasteten dünnen Scheibe der Dicke h = 1 an der Stelle (x, y) ein rechteckiges Element mit der Oberfläche d A = d x d y freigeschnitten. Auf das Flächenelement wirkt allgemein eine Volumenkraftdichte ~k (z.B. zufolge Eigengewicht) so- wie an den Schnittkanten die von der Umgebung ausgeübten inneren Kräfte (Spannungsvektoren, multipliziert mit den jeweiligen Flächenelementen). Die Resultierenden der inneren Kräfte und die Volumenkraft werden vektoriell zur Resultierenden addiert, d ~R = [~σx (x + d x, y) − ~σx (x, y)] d y + [~σy (x, y + d y) − ~σy (x, y)] d x +~kd xd y Taylorreihenentwicklung von ~σx (x + d x, y) und ~σy (x, y + d y) um den Punkt (x, y) ergibt ∂ ~σx (x, y) 1 ∂ 2~σx (x, y) 2 ~σx (x + d x, y) = ~σx (x, y) + dx+ dx +... ∂x |2 ∂ x2 {z } O2 37 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 ∂ ~σy (x, y) 1 ∂ 2~σy (x, y) 2 ~σy (x, y + d y) = ~σy (x, y) + dy+ dy +... ∂y 2 ∂ y2 | {z } O2 Einsetzen in den Ausdruck der Resultierenden liefert   ∂ ~σx (x, y) ∂ ~σy (x, y) ~ d ~R = + + k d x d y + O2 ∂x ∂y Nach Division durch d x d y und Grenzübergang d x, d y → 0 verschwinden die Terme höherer Ordnung (O 2 ) und man erhält die Kraftdichte ~f ~f = d ~R ∂ ~σx (x, y) ∂ ~σy (x, y) ~ lim = + +k d x,d y→0 d xd y ∂x ∂y Die lokalen Gleichgewichtsbedingungen besagen, dass ~f = ~0 gelten musss. Zerlegt man die Span- nungsvektoren und die Volumenkraftdichte jeweils in ihre beiden Komponenten, ergeben sich für den ebenen Spannungszustand daraus im kartesischen (x, y-Koordinatensystem) die zwei skalaren diffe- rentiellen Gleichgewichtsbedingungen ∂ σxx ∂ σyx ∂ σxy ∂ σyy ~ex : + + kx = 0 ~ey : + + ky = 0 ∂x ∂y ∂x ∂y In analoger Weise lassen sich auch für dreidimensionale Spannungszustände (~σz 6= ~0) die lokalen Gleichgewichtsbedingungen herleiten. Es ergibt sich dann ~ ~f = ∂ ~σx + ∂ σy + ∂ ~σz +~k = ~0 ∂x ∂y ∂z und entsprechend drei skalare Gleichgewichtsbedingungen. Man spricht hier auch von den Cauchy’schen Bewegungsgleichungen (siehe Lehrveranstaltung Festigkeitslehre), insbesondere bei der Formulie- rung für dynamische Probleme, wo auf der rechten Seite der Gleichungen der Beschleunigungsterm ρ~a angesetzt wird (siehe Lehrveranstaltung Mechanik 2). 38 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 6 Stabstatik 6.1 Mechanische Modellbildung In der Stabstatik werden Auflagerkräfte, Gelenkskräfte und Resultierende der inneren Kräfte (Schnittgrößen, siehe Abschnitt 6.2) von mechanischen Systemen analysiert, die aus einem oder mehreren geraden oder gekrümmten Stäben zusammengesetzt sind und unter den einwirkenden Kräften im Gleichgewicht bleiben. Stäbe können unterschiedlichste Querschnittsformen besitzen. Eine kleine Auswahl ist unten dargestellt. Ist der Stab aus einem einzigen Material hergestellt, ist er homogen, ansonsten inhomogen. Stäbe stellen dabei das Ergebnis eines Abstraktionsschritt eines Bauteils oder Tragwerks dar, dessen Längsabmessung wesentlich größer ist als seine Querschnittsabmessungen, also ein mechanisches Modell. Gerade Stäbe, die vorwiegend quer zu ihrer Stabachse belastet werden, bezeichnet man als Balken bzw. Träger. Im Folgenden werden die mechanischen Modelle einiger typischer ebener Stab- systeme mit häufig verwendeten Begriffen der Stabstatik vorgestellt. 39 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 Hat man die Schnittgrößen in den Stäben gefunden, kann man mit Methoden der Festigkeitslehre (siehe die diesbezügliche Lehrveranstaltung) der Spannungszustand im Stab ermittelt werden. Mit diesem kann ein Festigkeitsnachweis geführt werden, d.h. die Kontrolle, ob die vom Material er- tragbaren Normal- und Schubspannungen nicht überschritten werden. Dieses Prozedere nennt man Bemessung. In der Lehrveranstaltung Mechanik 1 beschränken wir uns auf den ersten Schritt, die Bestimmung der Schnittgrößen. 6.2 Schnittgrößen Um die Spannungen im Inneren sichtbar zu machen, wird das betrachtete Stabsystem normal zur Sta- bachse freigeschnitten. Das System zerfällt in zwei Teilsysteme. An der Stelle des Schnittes, welcher durch die Bogenlänge s der Stabachse gekennzeichnet ist, wird ein lokales kartesisches Koordinaten- system so eingeführt, dass die x-Achse die Tangente an die Stabachse bildet und die y- und die z-Achse in der Querschnittsebene liegen. Als positives Schnittufer wird diejenige Schnittfläche bezeichnet, bei welcher der äußere Normalenvektor~en in Richtung der x-Koordinate weist. Am positiven Schnittu- fer werden die Spannungsvektoren ~σx in die Normalspannung σxx in Tangentialrichtung der Stabachse und in die beiden Schubspannungskomponenten σxy und σxz zerlegt7 : ~σx = σxx~ex +σxy~ex +σxz~ez. Der 7 Hier wurde die Symmetrie des Spannungstensors verwendet: σyx = σxy , σzx = σxz 40 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 Spannungstensor der Stabtheorie hat damit das folgende Aussehen:   σ σ σ  xx xy xz  σ = σxy 0   0 e   σxz 0 0 Die über den Querschnitt (d.h. hier in der (y, z)-Ebene) verteilten inneren Kräfte ~σx werden zu sta- tisch äquivalenten resultierenden Kräften, den sogenannten Schnittgrößen, zusammengefasst. Der Bezugspunkt für die Reduktion dieses allgemeinen Kraftsystems mit Angriffspunkten in der Querschnittsebene kann in der (y, z)-Ebene beliebig angenommen werden. Vorerst wird jedoch der geometrische Schwerpunkt S gewählt, da durch diesen Punkt die Stabachse verläuft. Zunächst werden die resultierenden Größen von ~σx im Punkt (y, z) auf das infinitesimale Flächenelement d A gebildet: d ~R(s) = ~σx d A sowie d M(s) ~ =~r × ~σx d A mit~r = y~ey + z~ez. Integration über die Querschnittsfläche A führt dann auf den resultierenden Kraft- und Momentenvektor Z Z ~R(s) = ~σx d A = (σxx~ex + σxy~ey + σxz~ez ) d A = N~ex + Qy~ey + Qz~ez A A     0 σ   xx       Z      ~ M(s) = ~r × ~σx d A = y × σxy d A = Mx~ex + My~ey + Mz~ez         A  z  σ  xz 41 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 Die Komponenten der resultierenden Kraft ~R(s) sind die Z Z Z Normalkraft N = σxx d A und die Querkräfte Qy = σxy d A Qz = σxz d A A A A und jene des resultierenden Moments die Z Z Z axialen Momente Mx = (yσxz − zσxy ) d A My = zσxx d A Mz = − yσxx d A A A A Die Schnittgrößen können aufgeteilt werden in eine Kraftgruppe, bestehend aus N, My und Mz , die die Resultierenden des Parallelkraftsystems σxx d A darstellen, und eine zweite Kraftgruppe, bestehend aus Mx , Qy und Qz , die die Resultierenden des ebenen Kraftsystems (σxy d A, σxz d A). Biegemoment Wird bei der Reduktion der inneren Kräfte der Bezugspunkt so gewählt, dass die axialen Momente My , Mz der ersten Teilgruppe der Schnittgrößen (N, My , Mz ) von der Normalkraft N entkoppelt sind, nennt man My und Mz Biegemomente. Beim homogenen Stab entspricht dieser spezielle Bezugspunkt dem Querschnittsschwerpunkt S, durch den die Stabachse verläuft. Als Beispiel sollen für einen homogenen Träger mit Rechteckquerschnitt der Höhe h und Breite b unter ebener Biegung aus den an der Stelle x vorgegebenen Normalspannungen σxx die Normal- kraft N und das Moment My berechnet werden. So wie unten dargestellt, soll σxx linear über die Querschnittshöhe verlaufen, während ebene Biegung bedingt, dass σxx über die Querschnittsbreite konstant ist und somit Mz = 0. (N) (M) σxx (x, z) wird in einen konstanten Anteil σxx (x) und einen linearen Anteil σxx (x, z), dessen Null- (N) (M) punkt durch den Querschnittsschwerpunkt S geht, aufgespalten: σxx (x, z) = σxx (x) + σxx (x, z). Dar- 42 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 aus ergeben sich mit d A = bd z Normalkraft N und Moment My zu Zh/2 Zh/2 Zh/2 (N) (M) N=b σxx d z = b σxx (x) d z + b σxx (x, z) d z −h/2 −h/2 −h/2 | {z } 0 Zh/2 Zh/2 Zh/2 (N) (M) My = b zσxx d z = b zσxx (x) d z +b zσxx (x, z) d z −h/2 −h/2 −h/2 | {z } 0 (N) (M) In N geht somit nur σxx und in My nur σxx ein. Das Moment My ist somit von der Normalkraft N unabhängig. Da es dann alleinig für die Verkrümmung bzw. Biegung des betrachteten Querschnitts eines verformbaren Stabes verantwortlich ist, nennt man My dann Biegemoment. Torsionsmoment Analog gibt es für die zweite Kräftegruppe der Schnittgrößen, Mx , Qy und Qz , einen speziellen Be- zugspunkt, bei dem das axiale Moment Mx von den Querkräften Qy , Qz entkoppelt sind. Dieser (i.A. nicht dem Querschnittsschwerpunkt S entsprechende) Punkt wird Schubmittelpunkt D genannt. Bezieht man Mx auf diesen Punkt, wird es Torsionsmoment MT genannt. Beim homogenen Stab mit doppelt symmetrischem Querschnitt fallen der Schubmittelpunkt D und der Querschnittsschwerpunkt S zusammen. Dann ist Mx = MT das Torsionsmoment und My bzw. Mz sind Biegemomente. Bei Stäben 43 AB Angewandte Mechanik Studienblätter aus SS 2024 Universität Innsbruck Mechanik in der Mechatronik 1 mit asymmetrischem Querschnitt oder Verbundquerschnitt sind im Allgemeinen der Bezugspunkt für die Biegemomente und der Schubmittelpunkt unterschiedlich. 6.3 Berechnung der Schnittgrößen Die Resultierenden der inneren Kräfte werden durch Freischneiden des betrachteten Stabs sichtbar gemacht. Gemäß dem Schnittprinzip wird das abgetrennte Teilsystem statisch äquivalent durch die Schnittgrößen ersetzt, damit das betrachtete Teilsystem wie das Gesamtsystem reagiert. Da bei der Berechnung der Stab durch seine Stabachse repräsentiert wird, wird damit impliziert, dass die Schnitt- größen auf den geometrischen Querschnittsschwerpunkt bezogen sind. Am Schnitt des abgetrennten Teilsystems (d.h. am gegenüberliegenden Schnittufer) sind die Schnittgrößen entgegengesetzt gerich- tet einzutragen. Wenn beide Teile wieder zusammengefügt werden, heben sich so die Resultierenden der inneren Kräfte auf. Die Schnittgrößen werden mit Hilfe der Gleichgewichtsbedingungen an einem der beiden Teilsysteme bestimmt, da diese wie das Gesamtsystem im Gleichgewicht sind. Nachfol- gend wird der Berechnungsvorgang anhand zweier Beispiele vorgeführt. Beispiel 1: Geknickter Kragträger unter Einzelkraft Als erstes Beispiel wird der oben dargestellte geknickte Kragträger betrachtet, der an seinem Ende mit der Einzelkraft ~F = Fx~ex + Fz~ez belastet ist. Es soll der Schnittgrößenverlauf über den gesamten geknickten Träger ermittelt werden. Vorab sind an der Einspannstelle die Auflagerreaktionen dieses statisch bestimmten Stabwerks zu

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