Entwicklungspsychologie PDF
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Die Datei beschreibt die Entwicklungspsychologie, wobei sie auch auf die Grundlagen und wichtige Konzepte eingeht. Sie befasst sich mit dem Menschen und dem Konzept des Selbst und der persönlichen Faktoren und des Kontextes.
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Entwicklungspsychologie Was macht die Psychologie? Die Psychologie ist eine empirische Wissenschaft, deren Ziel es ist, menschliches Erleben und Verhalten, deren Entwicklung im Laufe des Lebens sowie alle dafür maßgeblichen inneren und äußeren Faktoren und Bedingungen sowie Verfahren zu ihrer Verä...
Entwicklungspsychologie Was macht die Psychologie? Die Psychologie ist eine empirische Wissenschaft, deren Ziel es ist, menschliches Erleben und Verhalten, deren Entwicklung im Laufe des Lebens sowie alle dafür maßgeblichen inneren und äußeren Faktoren und Bedingungen sowie Verfahren zu ihrer Veränderung zu beschreiben und zu erklären Menschliches Verhalten wird immer von personalen Faktoren und Kontextfaktoren bestimmt. Person → Verhalten Situation bzw. Kontext Einführung und Konzepte 1 Entwicklungspsychologie Um kindliches (und erwachsenes) Verhalten zu ergründen und zu verstehen, müssen wir uns also mit vielen verschiedenen Faktoren auseinandersetzen, die das Verhalten und das Erleben beeinflussen. Psychologie des Selbst Der Begriff des „Selbst“ bezieht sich auf die Empfindung, ein einheitliches, konsistent fühlendes, denkendes und handelndes Wesen zu sein - Das Selbst wird verwendet im Sinne des Zentrums der gesamten Person und Persönlichkeit - Viele Indizien sprechen dafür, dass unser Bild von unserem Selbst alles andere als ein vollständiges, realistisches und neutrales Archiv ist - Die Inhalte des Selbst sind subjektiv, sehr vielfältig und umfassen vergangene, gegenwärtige und zukünftige Eigenschaften Was ist das Selbst? Persönlichkeit - Gesamtheit der Eigenschaften und Verhaltensdispositionen eines Menschen - Zeitlich relativ stabil und besteht über verschiedene Situationen hinweg Selbst - Inhalte des Wissens oder der Annahmen, die das Individuum über die eigene Person entwickelt - kognitive Prozesse, durch die dieses Wissen hervorgebracht wird Das Selbst ist keine stabile Größe - Es verändert sich vielmehr immer wieder, um sich den lebenslangen - Veränderungen von uns und unserer Umwelt anzupassen, damit wir handlungsfähig bleiben - Wir sind immer „in Arbeit“, immer in Bewegung - Wir müssen uns selbst oft aktualisieren - Aber daraus den Schluss zu ziehen, es gebe kein Selbst, wir seien also „Niemand“, immer nur Prozess, niemals Produkt, ist irreführend! Nach der Persönlichkeitspsychologie ist das Selbst eine - beschreibend-ordnende Perspektive Die Psychologie des Selbst: - Geht der Frage nach, warum Menschen bestimmte Persönlichkeiten entwickeln, zu dem werden, was sie sind, und sich mit sich selbst identisch fühlen Selbstwahrnehmung (Ich-Bewusstsein) - Prozess zur Generierung von Wissen über die eigene Person - Mensch macht sich selbst zum Gegenstand seiner Gedanken - Bewusst machen: Selbst unterscheidet sich von der Umwelt Stabilität des Selbst - Es gibt viele Befunde, die für die Stabilität unseres Selbst sprechen - Im Erwachsenenalter ist unser Verhalten alles in allem so stabil, dass man empirisch zentrale Tendenzen erfassen und vorhersagen kann - Diese Vorhersagen gelingen nicht nur relativ gut, sondern immer besser, je älter wir sind 2 Entwicklungspsychologie - Dieses Phänomen scheint dafür zu sprechen, dass es so etwas wie einen inneren Kern von uns gibt, der dafür sorgt, dass wir vorhersehbar, stabil, mit uns identisch bleiben Instabilität des Selbst - Denken, Fühlen und Handeln wird vielfach unterschiedlich reguliert - Denken, Fühlen und Handeln ist oft nicht gut abgestimmt - Wir hören uns Dinge sagen, sehen uns Dinge tun, die wir nicht mögen, wir haben gemischte Gefühle – wir sind oft uneins mit uns selbst - Wir ändern uns über die Spanne unseres Lebens andauernd Das Selbst besteht aus 3 Aspekten des Selbst 1. Selbstwert = das affektive Selbst 2. Selbstkonzept = das kognitive Selbst 3. Selbstwirksamkeit = das Handlungsselbst Ideen zum Selbst - Was ist das Selbst? - Was gehört zum Selbst dazu? - Was für Ideen, Begriffe assoziieren Sie mit dem Selbst? - Was sind Unterschiede zwischen diesen Begriffen? - Welche Rolle spielen diese Aspekte des Selbst für Sozialarbeitende ganz allgemein? Das Selbstkonzept Def.: Das Selbstkonzept besteht als kognitive Komponente des Selbst aus der Selbstwahrnehmung und dem Wissen um das, was die eigene Person ausmacht. Neben persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten, die man besitzt, gehören zu diesem Wissen auch Neigungen, Interessen und typische Verhaltensweisen. Die grundlegende Funktion - ist die Strukturierung der Wahrnehmung und Interpretation selbstbezogener Informationen Ein angemessen ausgeprägtes Selbstkonzept stellt einer Person einen Bewertungs- und Interpretationsrahmen für die gegenwärtige Wahrnehmung ihres Selbst zur Verfügung Auch wenn über die Komponenten des Selbstkonzepts weitgehend Einigkeit besteht, gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Selbstkonzepttheorien Theoretische Ansätze zum Selbstkonzept 3 Entwicklungspsychologie Fragebögen zur Messung des Selbstkonzepts - lereSK-GS4: Skalen zum schulfachspezifischen Selbstkonzept im Lesen und Rechnen für das vierte Grundschuljahr - ISPS: Illustrierte Skala zur Erfassung des physischen Selbstkonzepts im Kindesalter Wie würden Sie Kinder unterschiedlicher Altersstufen nach ihrem Selbstkonzept fragen? Entwicklung des Selbstkonzepts in der Kindheit - In der Mitte des 2. Lebensjahres sind Kinder zur visuellen Selbsterkenntnis in der Lage - Zeitgleich mit der visuellen Selbsterkenntnis findet man in den sprachlichen Äußerungen den eigenen Namen als Selbstreferenz und die Nutzung von Personalpronomina - Kinder bringen am Anfang ihrer Selbstkonzeptentwicklung fremden Gesichtern mehr Interesse entgegen - dies ändert sich mit der Fähigkeit, sich selbst im Spiegel zu erkennen - Kinder bringen nun dem eigenen (und nicht einem fremden) Gesicht mehr Interesse entgegen - Mit 14 Monaten zeigen Kinder bereits eine sichere Differenzierung zwischen sich selbst und anderen - Erst mit etwa 4 Jahren kann man von der Existenz eines autobiografischen Gedächtnisses ausgehen - Erst in diesem Alter erleben sich Kinder als eine zeitlich invariante Entität - konnte durch eine Modifikation des Rouge-Tests und die Analyse kindlicher Erzählungen untermauert werden - Ab dem Vorschulalter können Kinder sich selbst aus einer fremden Perspektive betrachten und bewerten - Wahrgenommene Diskrepanzen zwischen dem Real-Selbst (subjektive Einschätzung des Selbst) und dem Fremd-Soll-Selbst (subjektive Erwartung anderer an das Selbst) stehen mit negativen selbstbezogenen Emotionen wie Schuld und Scham in Zusammenhang - Das Selbstkonzept besteht im Vorschulalter noch aus relativ unzusammenhängenden, inkohärenten Selbstaspekten, die sich auf physische Eigenschaften, Aktivitäten, soziale und psychische Eigenschaften beziehen - Die Repräsentation des Selbst ist in unrealistischem Maße positiv und folgt dem „Alles-oder-Nichts“-Prinzip Entwicklung des Selbstkonzepts in der Kindheit - Was sind Vor- und Nachteile unrealistisch positiver Selbstkonzepte? - Wie sollte man mit unrealistisch positiven Selbstkonzepten umgehen? - Pädagogische Ansätze? Entwicklung des Selbstkonzepts in der Kindheit - Ab dem Schulalter werden soziale Vergleiche als Quelle selbstbezogenen Wissens relevant - Leistungsbezogene Vergleiche treten in den Vordergrund, wobei offene Formen des Vergleichs durch subtile Formen des Vergleichs abgelöst werden - Der Fischteicheffekt bezieht sich darauf, dass eigene Leistungen in Abhängigkeit von den Leistungen der sozialen Bezugsgruppe bewertet werden, was sich bei einem Bezugsgruppenwechsel u. U. nachteilig auswirken kann - Einschätzungen der eigenen Leistungen orientieren sich zunehmend an Fremdeinschätzungen durch Bezugspersonen (vor allem Lehrkräfte) und werden zunehmend realistischer - hierarchische Struktur des Selbstkonzeptes tritt nun zunehmend zutage - Spezifische Verhaltensweisen auf der niedrigsten Ebene werden in Konzepte höherer Ordnung („traits“) integriert - Durch diese Differenzierung ist es Schulkindern nun auch möglich, positive und negative Aspekte des Selbstkonzeptes zu integrieren und dadurch ein realistisches Selbstbild zu haben https://lehrbuch-psychologie.springer.com/videos/437 Geschlechtsbezogene Unterschiede im Selbstkonzept 4 Entwicklungspsychologie - Jungen und Mädchen unterscheiden sich nicht in ihrem globalen Selbstkonzept - Geschlechtsunterschiede bestehen bezüglich des mathematischen Selbstkonzeptes (Jungen mit positiveren Werten als Mädchen) des sprachlichen Selbstkonzepts (Mädchen mit positiveren Werten als Jungen) - Diese Unterschiede lassen sich nur zum Teil durch Unterschiede in den objektiven Leistungsmaßen erklären - Woher könnten Sie dann kommen? Praktische Relevanz - Das kindliche Selbstkonzept beeinflusst Verhalten, Entscheidungen, Wohlbefinden und Kompetenzerwerb - Man geht von einem wechselseitigen Zusammenhang von Kompetenz(erwerb) und Selbstkonzept aus - Negative Selbstkonzepte sind sehr stabil, positive Rückmeldungen zur eigenen Person werden oft nicht (mehr) integriert - Wie können Fachkräfte die Entwicklung eines positiven (d.h. differenzierten, leicht optimistischen) Selbstkonzepts bei Kindern fördern? - Was sind Do’s und Dont‘s? Arbeitsblätter für Kinder zum Thema Selbstkonzept Der Selbstwert Def.: Der Selbstwert resultiert als affektive Komponente des Selbst aus den Bewertungen der eigenen Person oder von Aspekten, die die eigene Person ausmachen. Somit können sich die Bewertungen auf Persönlichkeitseigenschaften, Fähigkeiten oder aber auch auf das eigene emotionale Erleben beziehen Selbstkonzept und Selbstwert - Was ist der Unterschied zwischen Selbstwert und Selbstkonzept? - Wo gibt es Überschneidungen und gegenseitige Einflüsse? Selbstkonzept und Selbstwert - Zusammenhang zwischen Selbstkonzept und Selbstwert ist komplex und noch nicht abschließend untersucht Personen mit einem niedrigen Selbstwert zeigen in ihrem Selbstkonzept häufig Unsicherheit und Instabilität Der Selbstwert - Es gibt keine einheitliche Definition des Konstrukts - Begriffe wie beispielsweise Selbstwertempfinden, Selbstachtung, Selbstbewertung und Selbstwertgefühl werden oft synonym verwendet - Andere Konstrukte wie Selbstwirksamkeit, Selbstbestätigung, Selbstvertrauen und Selbstkonzept werden fälschlicherweise mit dem des Selbstwertes gleichgesetzt Arbeitsdefinition: Bewertung des Selbstbildes und damit eine grundlegende gefühlsmäßige Einstellung zur eigenen Person Der Selbstwert repräsentiert also die Gefühle, die eine Person zu sich selbst hegt und wie sie diese bewertet Der Selbstwert in der Praxis - Zahlreiche (sozial)pädagogische und psychologische Angebote nehmen den Selbstwert eines Menschen mehr oder weniger explizit in den Fokus - Die „Arbeit am Selbstwert“ eines jungen Menschen ist ein häufiges Ziel in der Hilfeplanung 5 Entwicklungspsychologie - Dabei bezieht man sich darauf, dass Selbstwertprobleme bei der Entstehung und Aufrechterhaltung nahezu aller psychischen Störungen eine Rolle spielen Globaler vs. Spezifischer Selbstwert – Unterscheidung, wichtig = Globaler und spezifischer Selbstwert sind zwei unterschiedliche Konstrukte, die nicht äquivalent zu gebrauchen sind Globaler - darunter versteht man die positive oder negative Einstellung eines Individuums gegenüber dem Selbst als Gesamtheit - Stabilität des globalen Selbstwerts in der frühen Kindheit zunächst relativ gering nimmt im Verlaufe der Adoleszenz und des jungen Erwachsenenalters zu nimmt dann im mittleren Alter und im hohen Alter wieder ab Der globale Selbstwert schwankt am wenigsten im jungen Erwachsenenalter - Höhe des globalen Selbstwerts in der Entwicklung Der typische Entwicklungsverlauf des Selbstwertes zeigt ein kontinuierliches Absinken von der mittleren Kindheit bis zur Jugend Zwischen der Adoleszenz und dem jungen Erwachsenenalter nimmt der Selbstwert wieder signifikant zu Dies gilt auch für alle spezifischen Bereiche außer dem schulischen Selbstwert Bei den Zusammenhängen zwischen dem globalen und den spezifischen Selbstwerten zeigt sich, dass der globale Selbstwert am höchsten mit dem Selbstwert in Bezug auf die physische Erscheinung korreliert Spezifischer - dieser bezieht sich darauf, wie Menschen ihre diversen Fähigkeiten und Eigenschaften emotional bewerten - Außerdem wird der Effekt des spezifischen Selbstwertes auf den globalen Selbstwert vom Grad der individuellen Bewertung des relevanten Funktionsbereiches beeinflusst Beispiel: Ist einem Kind sportlicher Erfolg sehr wichtig, wird sein sportbezogener Selbstwert seinen globalen Selbstwert sehr stark beeinflussen Was bedeutet diese Erkenntnis in der Praxis? Was könnte es bei Kindern für Lebens-bzw. Funktionsbereiche geben, für die man einen spezifischen Selbstwert annehmen kann? State-und Trait-Selbstwert Die Psychologie differenziert nicht nur zwischen globalem und spezifischem Selbstwert, sondern schlägt noch eine weitere Unterscheidung in State- und Trait-Selbstwert vor Dabei behalten Menschen ihren durchschnittlichen Selbstwert bei, da sie diesen über mehrere solcher Situationen bilden Der Selbstwert eines Menschen besteht zum einem aus - der Vorstellung, wie die Personen ihren eigenen Wert im Allgemeinen einschätzen (Trait-Selbstwert) - als auch aus spontanen und situationsabhängigen Schwankungen in den Selbstbewertungen (State- Selbstwert) State = Zustand - State-Selbstwert ist wie ein Barometer, das nach Erfolgen ansteigt und nach Misserfolgen abfällt 6 Entwicklungspsychologie - Im Gegensatz zu dem Trait Selbstwert wird der State Selbstwert als aktuelle, leichte und situationsabhängige Schwankung der Selbstbewertung betrachtet State-Selbstwert: Definition: Bezieht sich auf kurzfristige, situationsabhängige Schwankungen in der Selbstbewertung., situativ, kurzfristig, schwankend und ergänzt das Verständnis des Selbstwerts um dynamische Aspekte. Merkmale: - Variiert stark in Abhängigkeit von aktuellen Erlebnissen, wie Erfolg oder Misserfolg. - Ist dynamisch und reagiert unmittelbar auf externe Einflüsse. Beispiel: Ein Schüler, der nach einer schlechten Note kurzzeitig das Gefühl hat, weniger wert zu sein, zeigt eine Abnahme im State-Selbstwert. Trait = stabile Eigenschaft - Da der Trait-Selbstwert über Zeit und Situationen vor allem bei Erwachsenen stabil bleibt, wird er oft als Persönlichkeitsvariable betrachtet und mit dem globalen Selbstwert gleichgesetzt - Viele Wissenschaftler*innen nehmen aufgrund von Zwillingsuntersuchungen an, dass der Trait-Selbstwert zum Teil auch durch genetische Faktoren beeinflusst wird Definition: Beschreibt die stabile, über Zeit und Situationen hinweg konstante Einschätzung des eigenen Selbstwertes. Langfristig stabil und Teil des globalen Selbstwerts. Merkmale: - Wird als relativ unveränderliche Persönlichkeitsvariable angesehen. - Entspricht häufig dem allgemeinen Verständnis von „globalem Selbstwert“. Beispiel: Ein Mensch, der sich selbst grundsätzlich als kompetent und wertvoll empfindet, hat einen hohen Trait- Selbstwert, unabhängig von kurzfristigen Ereignissen. Der Trait- und State-Selbstwert ist eine zusätzliche Differenzierung des Selbstwertes und nicht direkt Teil des globalen Selbstwertes. - Der Trait-Selbstwert entspricht dem globalen Selbstwert oder wird oft als dessen langfristige Komponente angesehen. - Der State-Selbstwert wird als situative Komponente betrachtet, die kurzfristige Schwankungen beschreibt. - Der globale Selbstwert kann als eine Mischung aus Trait-Selbstwert (langfristige Tendenz) und den durchschnittlichen Schwankungen im State-Selbstwert interpretiert werden. Praktische Relevanz - Was schließen Sie aus diesen Erkenntnissen für sozialpädagogische, beraterische, psychosoziale Interventionen mit Kindern? - Wie würden Sie methodisch herangehen, wenn die Förderung des Selbstwerts eines Kindes Teil Ihres Auftrags wäre? - Übungen und Arbeitsblätter? - Für was ist ein hoher Selbstwert gut? - Ist ein hoher Selbstwert immer gut? Gibt es Geschlechtsunterschiede für den globalen Selbstwert und den spezifischen Selbstwert? Geschlechtsunterschiede im Selbstwert 7 Entwicklungspsychologie - In bisherigen Studien wurden nur geringe Geschlechterunterschiede bezüglich des globalen Selbstwertes gefunden = globaler - In einer Metaanalyse von Gentile et al. (2009) wurden Geschlechterunterschiede in 10 spezifischen Selbstwertbereichen untersucht = spezifischer Selbstwert - Männer/ Jungen: höherer Selbstwert bei physischer Erscheinung sportlichem Selbstwert - Frauen/ Mädchen: höherer Selbstwert bei Benehmensselbstwert moral-ethischen Selbstwert Keine Unterschiede im akademischen Selbstwert. - Es gibt also moderate Geschlechtsunterschiede, die aber in bestimmten spezifischen Bereichen deutlich größer sind, als die Unterschiede zwischen Männern/ Jungen und Frauen/ Mädchen im globalen Selbstwert - Woher könnten die Geschlechtsunterschiede kommen? - Welchen Einfluss haben pädagogische Fachkräfte auf diese Geschlechtsunterschiede? Erklärungsansätze für Unterschiede: soziale Rollenerwartungen: - Gesellschaftlich geprägte Normen beeinflussen die Entwicklung von Selbstwertbereichen. - Z. B. werden Jungen oft für mathematisch-technische Fähigkeiten gelobt, Mädchen eher für sprachliche oder soziale Kompetenzen. Kulturelle Stereotype: - Geschlechterstereotype verstärken die Unterschiede, unabhängig von objektiven Leistungsdaten. Pädagogische Einflussfaktoren: - Lehrkräfte könnten unbewusst unterschiedliche Erwartungen und Rückmeldungen geben, die den spezifischen Selbstwert beeinflussen. Pädagogische Implikationen: Förderung von Gleichberechtigung: - Bewusstes Entgegenwirken von Geschlechterstereotypen in der Erziehung und Bildung. - Z. B. Mädchen gezielt in MINT-Fächern fördern, Jungen sprachliche und soziale Kompetenzen stärken. Individuelle Rückmeldungen: - Ermutigung unabhängig von Geschlecht und spezifischem Selbstwert. - Anerkennung von Leistungen in vielfältigen Bereichen. Reflexion von Rollenvorstellungen: - Vermittlung, dass Kompetenzen nicht geschlechtsspezifisch sind, sondern individuell ausgeprägt sein können. Reflected reappraisal (reflektierte Einschätzungen) - In dem Modell wird davon ausgegangen, dass Menschen ihren Selbstwert von der Wahrnehmung, Meinung und Reaktion anderer Personen abhängig machen 8 Entwicklungspsychologie - Reflected Reappraisal beschreibt die Idee, dass der Selbstwert eines Menschen stark von der Wahrnehmung, Meinung und Reaktion anderer Personen geprägt wird. Menschen sehen sich gewissermaßen durch die „Augen anderer“ und bewerten sich auf Grundlage der Rückmeldungen, die sie von ihrer Umwelt erhalten. - Pädagogische Relevanz: Rückmeldungen beeinflussen direkt das Selbstkonzept und den Selbstwert von Kindern. Positive und ermutigende Kommunikation ist entscheidend, um ein gesundes Selbstwertgefühl zu fördern. Pädagog*innen sollten auf subtile Botschaften achten, die Kinder in der Interaktion wahrnehmen. Generalized other (Generalisierter Anderer) - Beim „generalisierten Anderen“ handelt es sich um die verallgemeinernde Vorstellung, die eine Person von den Erwartungen und Haltungen hinsichtlich anderer Gruppenmitglieder hat und dadurch ihr Verhalten bestimmt - Der Begriff stammt aus der soziologischen Theorie von George Herbert Mead und beschreibt die verallgemeinerte Vorstellung einer Person darüber, was andere von ihr erwarten und wie sie sich verhalten sollte. Es handelt sich um eine Art „soziales Konstrukt“ aus den gemeinsamen Normen, Werten und Erwartungen einer Gruppe. - pädagogische Relevanz: Normen und Erwartungen prägen das Verhalten von Kindern und Jugendlichen. Pädagog*innen spielen eine wichtige Rolle als Vorbilder und als Vermittler von Werten und Regeln. Es ist wichtig, Kindern zu helfen, die Erwartungen des „generalisierten Anderen“ kritisch zu reflektieren, insbesondere wenn diese ungesund oder einschränkend sind (z. B. Gruppenzwang oder schädliche Ideale). Gemeinsame Aspekte: - Soziale Rückmeldungen: Beide Konzepte betonen, wie stark die Umwelt (Menschen und Normen) das Selbstbild und Verhalten beeinflusst. - Interne Verarbeitung: Sowohl bei Reflected Reappraisal als auch beim Generalized Other handelt es sich um Prozesse, die externe Eindrücke in das eigene Denken und Handeln integrieren. - Relevanz für den Selbstwert: Beide Ansätze zeigen, dass der Selbstwert nicht nur von der eigenen Leistung abhängt, sondern stark durch soziale Interaktionen geformt wird. Bitte Lesen Sie: Neff (2011) Seite 1 bis 3 4) Kritik am Fokus auf den Selbstwert Praktische Relevanz: - Für was ist ein hoher Selbstwert gut? - Ist ein hoher Selbstwert immer gut? Ein hoher Selbstwert basiert oft auf externen Faktoren wie Erfolg, Status oder Anerkennung. Dadurch ist er instabil und kann bei Misserfolg oder Kritik schnell sinken. Er kann auf dem Mechanismus der Abgrenzung von anderen beruhen (z. B. "Ich bin besser als andere"), was soziale Vergleiche und Konkurrenz fördert. Übermäßiger Fokus auf Selbstwert kann zu Narzissmus, Unsicherheiten oder Versagensängsten führen, wenn Erwartungen nicht erfüllt werden. 9 Entwicklungspsychologie Praktische Relevanz der Kritik: - Es stellt sich die Frage: Für welche Situationen ist ein hoher Selbstwert tatsächlich hilfreich? - Ist ein hoher Selbstwert in allen Kontexten angemessen oder kann er negative Auswirkungen haben (z. B. Arroganz, mangelnde Reflexion)? Die Begriffe im Text kritisieren den Fokus auf den Selbstwert, indem sie die Schwächen eines hohen Selbstwerts beleuchten und Selbstmitgefühl als vorteilhaftere Alternative vorstellen. Selbstmitgefühl als Alternative - Selbstmitgefühl (self-compassion) bringt ähnlich viele positive Konsequenzen wie der Selbstwert, hat aber weniger ungünstige „Nebenwirkungen“ - Selbstmitgefühl umfasst drei Hauptkomponenten, die sich überschneiden und gegenseitig beeinflussen 1. Selbstfreundlichkeit versus Selbstverurteilung Selbstfreundlichkeit - Statt sich selbst hart zu verurteilen, zeigt man Mitgefühl und Freundlichkeit sich selbst gegenüber, besonders in schwierigen Momenten - Beispiel für Kinder Stell dir vor, du machst einen Fehler in der Schule, z. B. vergisst du deine Hausaufgaben. Statt dich selbst abzuwerten („Ich bin so blöd, wie konnte ich das vergessen?“), könntest du dir selbst mit Mitgefühl begegnen: „Es war ein langer und stressiger Tag gestern, und jedem passieren mal solche Dinge. Ich kann daraus lernen und das nächste Mal daran denken.“ 2. Gefühl der geteilten Menschlichkeit versus Isolation Geteilte Menschlichkeit - Man erkennt, dass Fehler, Schwierigkeiten, negative Gefühle Teil der gemeinsamen menschlichen Erfahrung sind und nicht nur einem selbst passieren. - Beispiel für Kinder Nach einem Streit mit deiner Freundin könntest du dich vielleicht isoliert und allein fühlen. Statt das Gefühl zu haben, dass nur dir so etwas passiert („Niemand anderes hat solchen Streit, alle anderen haben nur liebe Freudinnen“), könntest du daran denken, dass jeder Mensch solche schwierigen Situationen, Enttäuschungen und schlechte Gefühle erlebt. Das kann dir helfen, dich weniger allein zu fühlen. Viele Menschen erleben Herzschmerz; das gehört zum Leben dazu. 3. Achtsamkeit versus Überidentifikation Achtsamkeit - Achtsamkeit bedeutet, negative oder schwierige Gefühle anzuerkennen, ohne sie zu ignorieren oder zu übertreiben. Man nimmt sie wahr, ohne von ihnen überwältigt zu werden. - Beispiel für Kinder Angenommen, du fühlst dich in einer stressigen Situation überfordert, z.B. bei der Buchpräsentation vor der Klasse. Statt dich in deinen Ängsten zu verlieren („Das wird eine Katastrophe!“), könntest du deine Gefühle bewusst wahrnehmen: „Ich bin gerade sehr nervös, und das ist okay. Es ist normal, in solchen Momenten Angst zu haben, aber ich kann durchatmen und mich aufkonzentrieren, was ich mir vorgenommen habe.“ Selbstmitgefühl: Missverständnisse 10 Entwicklungspsychologie - Selbstmitleid? Psychischer Prozess, bei dem das eigene Leiden übertrieben wird und nicht gesehen wird, dass andere Menschen ähnliches erleben Selbstmitgefühl führt hingegen dazu, dass wir auch die Perspektiven anderer Menschen besser einnehmen können Anders als Selbstmitleid (Übertreibung des Leidens) hilft Selbstmitgefühl, die Perspektive anderer einzunehmen und ausgewogen zu bleiben. - Selbstverwöhnung? Die Forschung zeigt, dass selbstmitfühlende Menschen mehr Initiative zeigen, wenn es um notwendige persönliche Veränderungen geht Sie setzen sich ebenso hohe Ziele wie andere, aber sie sind nicht so verzweifelt, wenn sie ihre Ziele nicht erreichen Selbstmitgefühl wird oft missverstanden als "nachgiebig" oder "faul", aber tatsächlich motiviert es Menschen zu persönlicher Entwicklung, ohne Verzweiflung bei Rückschlägen. Selbstmitgefühl und Selbstwert - Selbstwert und Selbstmitgefühl beinhalten beide einen positiven Blick auf das eigene Selbst - Selbstmitgefühl funktioniert jedoch ohne den Mechanismus der Abgrenzung von anderen und Erhöhung des eigenen Selbst - Ein weiterer Vorteil des Selbstmitgefühls ist, dass es genau dann zur Verfügung steht, wenn der Selbstwert instabil ist oder sinkt (z.B. wenn Menschen an etwas scheitern, Fehler machen, schwierige Phasen oder Krisen durchleben) Selbstmitgefühl und Selbstwert: Neurophysiologie - Die Unterschiede zwischen Selbstmitgefühl und Selbstwertgefühl könnten zum Teil auf die unterschiedlichen physiologischen Systeme zurückzuführen sein, mit denen die beiden verbunden sind - Studien zeigen, dass Selbstmitgefühl das Bedrohungssystem (das mit Gefühlen von Unsicherheit, Angst, Abwehr und dem limbischen System verbunden ist) deaktiviert und das Selbstberuhigungssystem (das mit Gefühlen der sicheren Bindung, der Geborgenheit und dem Oxytocin System verbunden ist) aktiviert - Im Gegensatz dazu wird davon ausgegangen, dass das Selbstwertgefühl zum großen Teil eine Bewertung von Überlegenheit ⁄ Unterlegenheit darstellt - Diese Bewertung soll dazu beitragen, den eigenen sozialen Status zu erhalten - Dementsprechend ist sie mit alarmierenden, erregenden neuronalen Impulsen und Dopaminaktivierungverbunden ist - Das Dopaminsystemsorgt dann auch dafür, dass wir „mehr von dieser Selbstwerterfahrung“ wollen Selbstmitgefühl und Selbstwert: Fazit Während Selbstmitgefühl mit Wohlbefinden zusammenhängt, weil es den Menschen hilft, sich sicher und geborgen zu fühlen, hängt der Selbstwert (zum Teil) mit Wohlbefinden zusammen, weil er dazu führt, dass Menschen sich überlegen und selbstbewusst fühlen Übung zum Selbstmitgefühl Leonie (8) kommt zu Ihnen in die offene Sprechstunde der Schulsozialarbeit. Ihre Freundinnen sind in der Pause vor ihr weggelaufen und haben sich immer wieder vor ihr versteckt. Sie ist verletzt, wütend und enttäuscht. Wie könnten Sie regieren mit a) Einem Fokus auf den Selbstwert des Kindes b) Einem Fokus auf das Selbstmitgefühl des Kindes 11 Entwicklungspsychologie Selbstwirksamkeit Selbstwirksamkeitserwartung = subjektive Überzeugungen einer Person, über erforderliche Ressourcen zu verfügen, die zur Bewältigung von Anforderungen notwendig sind und diese auch zielführend einsetzen zu können - Das Konstrukt der Selbstwirksamkeit, das auf Albert Bandura (1997) zurückgeht, beschreibt den „Glaube[n] an die eigenen Fähigkeiten, den Verlauf und die Ausführung der eigenen Handlungen so zu steuern, dass ein bestimmtes Ergebnis erzielt wird“ - Zentral sind hierbei die subjektiven Überzeugungen einer Person, über erforderliche Ressourcen zu verfügen, die zur Bewältigung von Anforderungen notwendig sind und diese auch zielführend einsetzen zu können - Die Selbstwirksamkeit gilt damit als einer der wesentlichen Einflussfaktoren auf das menschliche Handeln - Das subjektive Selbstwirksamkeitserleben beeinflusst insbesondere die Auswahl von Handlungen bezüglich des Schwierigkeitsgrades, die investierten Bemühungen im Umgang mit Widrigkeiten und somit indirekt den Erfolg einer Handlung 4 Quellen der Selbstwirksamkeitserwartung (lerntheoretische Annahmen bedenken!) Die Entwicklung der Selbstwirksamkeitserwartung beginnt bereits in frühester Kindheit 1. Quelle = eigene Erfolgserlebnisse (mastery experiences) - Die wichtigste und wirksamste Quelle zum Aufbau der Selbstwirksamkeit stellen eigene Erfolgserlebnisse (mastery experiences) dar - Misserfolgserlebnisse hingegen unterminieren sie - Die Etablierung einer resilienten Selbstwirksamkeit erfordert insbesondere die Erfahrung, Widrigkeiten durch perseverierende Bemühungen überwinden zu können - Weniger wirksam sind also „einfache“ Erfolge, für die keine ausdauernden Bemühungen notwendig waren 2. Quelle = stellvertretende Erfahrungen (vicarious experiences) - Als zweite Quelle nennt Bandura stellvertretende Erfahrungen (vicarious experiences), die im Rahmen des sogenannten Modelllernens gemacht werden - Das Miterleben bzw. Beobachten von Erfolgserlebnissen anderer Personen erhöht die eigenen Überzeugungen, vergleichbare Fähigkeiten zu besitzen und Erfolge erreichen zu können - Scheitert das Modell hingegen, sinkt das Erleben der persönlichen Selbstwirksamkeit - Je größer die wahrgenommene Ähnlichkeit mit dem Modell ist, desto größer ist auch der Einfluss auf die wahrgenommene Selbstwirksamkeit 3. Quelle = wahrgenommene physiologische Erregung, emotionale Zustände und deren Verlauf während des Handelns (physical states) - Die dritte Quelle der Selbstwirksamkeit ist die wahrgenommene physiologische Erregung, emotionale Zustände und deren Verlauf (physical states) während des Handelns - Positive Emotionen während des Handelns vergrößern die wahrgenommene Selbstwirksamkeit - Negative Emotionen wie z. B. Angst oder Wut verringern die Selbstwirksamkeitserwartung 4. Quelle = verbale Einflussnahme durch Andere (social persuasion) - Die vierte Komponente ist die verbale Einflussnahme durch Andere (social persuasion) - Personen, die verbal durch andere davon überzeugt werden, dass sie über notwendige Fähigkeiten zur Bewältigung von Aufgaben verfügen, neigen zu mehr Anstrengung und erhöhtem Durchhaltevermögen - Dies wiederum stärkt die Selbstwirksamkeitserwartung 12 Entwicklungspsychologie Entwicklung der Selbstwirksamkeitserwartung - Die Entwicklung des Selbstwirksamkeitserlebens beginnt im frühsten Kindesalter - Verschiedene Studien der empirischen Säuglingsforschung zeigen: Neugeborene kommen ohne ein Bewusstsein über das eigene Selbst zur Welt Zwischen dem 6. und 9. Lebensmonat entwickelt sie ein erstes Gefühl für Selbstwirksamkeit in Form des Kontrollerlebens Man kann also vermuten, dass die Selbstwirksamkeit der erste Aspekt des Selbst ist, der sich entwickelt - Kleinkinder lernen durch wiederholtes Beobachten: bestimmte Handlungen führen zu vorhersehbaren Effekten Sie können dadurch sich selbst und ihr Umfeld wirkungsvoll beeinflussen bzw. kontrollieren Schütteln einer Rassel → Ertönen eines Geräuschs Abdrücken mit Beinen und Armen → Fortbewegung Schreien → die Eltern sorgen sich - Kinder, die wiederholt die Erfahrung machen, ihre Umwelt erfolgreich kontrollieren zur können lenken ihre Aufmerksamkeit vermehrt auf das eigene Handeln erlernen schnell weitere Kompetenzen (um gezielte Effekte herbeizuführen) - Bleiben Selbstwirksamkeits- und Kontrollerfahrungen aus, kann dies dazu ungünstigen Zuständen führen negativer Stress Gefühl der Handlungsunfähigkeit - Auch durch die soziale Interaktion mit anderen nehmen Kinder wahr, dass sie selbst als Person bestimmte Effekte herstellen können - Diese Erfahrung ist essenziell zur Etablierung eines personellen Selbstwirksamkeitserlebens - Ab dem zweiten Lebensjahr ist deutlich zu erkennen, dass Kleinkinder ihr eigenes Handeln kontrollieren und sich selbst als wirksam erleben möchten - In den ersten Lebensjahren lernen Kinder, dass sie durch den Einsatz ihrer eigenen Fähigkeiten bestimmte Ziele bzw. Erfolge erreichen können Ausbleibende Wirkungen werden als Misserfolge bewertet - Die Motivation, sich für etwas anzustrengen, wird beeinflusst durch die Erfahrung des Kindes, in welchem Maße es Dinge aus eigener Kraft bewirken kann - Die Selbstwirksamkeitsentwicklung der ersten Lebensjahre steht stark unter dem Einfluss der Familie - Kindergartenkinder und Vorschulkinder neigen dazu, ihre eigenen Fähigkeiten, also auch ihre Problemlösefähigkeiten zu überschätzen - Die meisten Schulkinder entwickeln relativ schnell eine realistische Einschätzung der persönlichen Selbstwirksamkeit - Im Laufe der Schulzeit bilden Kinder neben einer allgemeinen Selbstwirksamkeit auch sogenannte domänenspezifische Selbstwirksamkeitserwartungen - Eine Schüler*in kann haben ein hohes Maß an Selbstwirksamkeit im sportlichen Bereich gleichzeitig ein niedriges im sprachlichen Selbstwirksamkeitserleben 13 Entwicklungspsychologie - Die Schulzeit gilt als Dreh- und Angelpunkt der Kultivierung und sozialen Validierung verschiedener Kompetenzen und der damit einhergehenden Selbstwirksamkeit von Kindern - Einfluss auf die Selbstwirksamkeitsentwicklung: Eigene Wahrnehmungen Sozialer Vergleich mit anderen Schüler*innen Leistungsfeedbacks Lehrkraftverhalten Lehrkraftaufmerksamkeit Bewertungspraktiken - Frühe schulische Erfolgserlebnisse und positive soziale Erfahrungen führen zu: Förderung und Stabilisierung der Selbstwirksamkeit Geringerem subjektiven Stressempfinden im Jugendalter Effekte einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung - Menschen mit einer hohen Selbstwirksamkeit Setzen sich anspruchsvolle und realistische Ziele Haben oft eine hohe Ausdauer Strengen sich nach einem Misserfolg mehr an Sind psychisch recht robust bei negativen Ereignissen - Diese Effekte zeigen sich in vielfältigen Domänen des Lebens, z.B. Schule und Beruf, soziale Beziehungen, Erziehung, Gesundheit etc. Risiken einer niedrigen Selbstwirksamkeitserwartung - Menschen mit einer niedrigen Selbstwirksamkeit fühlen und verhalten sich oft hilflos wählen meist zu leichte und unambitionierte Ziele nutzen Chancen nicht verhalten sich bei Problemen passiv und erdulden sie geben bei Herausforderungen schnell auf reduzieren die Anstrengung, wenn Ergebnisse nicht gut sind fokussieren auf nichtveränderbare Dinge - Diese Effekte zeigen sich in vielfältigen Domänen des Lebens, z.B. Schule und Beruf, soziale Beziehungen, Erziehung, Gesundheit etc. - Damit sind Menschen mit einer niedrigen Selbstwirksamkeit unter den Adressat*innen der Sozialen Arbeit sehr häufig zu finden - Manchmal handelt es sich um Menschen mit einer niedrigen allgemeinen Selbstwirksamkeit - Je nach Kontext haben die Menschen auch eine niedrige bereichsspezifische Selbstwirksamkeitserwartung (z.B. in der Erziehungsberatung eine niedrige Selbstwirksamkeit, was Erziehungshandeln betrifft) Intelligenz Was ist Intelligenz? 14 Entwicklungspsychologie Allgemeine Definition? Welche Auswirkungen hat Intelligenz auf das Leben von Kindern? Wie entwickelt sich die Intelligenz im Kindesalter? Hochbegabung Was versteht man darunter? - Menschen aller Altersstufen zeigen in den verschiedensten Lebensbereichen ganz unterschiedliche Leistungen - Die psychologische und pädagogische Forschung beschäftigt die Frage, wie solche Leistungsunterschiede zu verstehen, zu beschreiben, zu messen und zu erklären sind Hochbegabung ist ein vielschichtiger Begriff: Wird in der Forschung und pädagogischen Feldern genutzt (Schule, Kita) Begabung - Macht Kinder besonders „außergewöhnlich-sein“ - Kinder weichen in einem Bereich der Entwicklungsnorm ab Hochbegabung - Potential für außergewöhnliche Leistungen - Ausdruck außergewöhnlicher Begabung Kompetenzdefinition von Hochbegabung: - Personen, die aufgrund von Anlagefaktoren (und ggf. weiteren Persönlichkeitsfaktoren) ein besonderes Entwicklungspotential aufweisen - Dieses Potential muss sich nicht in besonderer Leistung niederschlagen - Diese Definition wird oft bei Kindern verwendet Performanzdefinition von Hochbegabung: - Die sichtbare außergewöhnliche Leistung ist das Kriterium für Hochbegabung - Annahme: besondere Begabung und günstige Umstände kommen zusammen - Diese Definition wird oft bei Erwachsenen verwendet Eindimensionale vs. Mehrdimensionale Definition Hochbegabung Eindimensionale: ein einzelnes Konstrukt (bspw. Intelligenz) oder einen spezifischen Leistungsbereich (bspw. sprachliche Fähigkeiten) Mehrdimensionale: das Zusammenwirken mehrerer Persönlichkeitsmerkmale (bspw. Intelligenz, Kreativität, Motivation), ggf. auch in Wechselwirkung mit Umweltgegebenheiten In der Psychologie ist die Forschung zur Hochbegabung sehr eng mit der Forschung zur Intelligenz verbunden = Hochbegabung bezieht sich somit auf kognitive Prozesse und Leistungen 15 Entwicklungspsychologie Modell im Bereich Hochbegabung Begabung - wird in diesem Modell als das überwiegend genetisch determinierte, angeborene Potential einer Person verstanden - können Kinder in vielen Bereichen haben kognitiv (Sprache oder Denken) → Intelligenz nicht kognitiv (bspw. Motorik oder Musikalität) → Talent - Intelligenz und Talent gehen über die reine Begabung hinaus, denn sie stellen bereits eine Realisierung der in der Person verankerten Begabungen dar - Weitere Entwicklung von Intelligenz und Talent durch Im Langzeitgedächtnis gespeicherte Informationen (Wissen) und Fertigkeiten Kompetenzen mit Informationenumzugehen - Hohe Intelligenz/Talent drücken sich in einem schnellen und leichten Erwerb von Wissen aus → Kompetenzen manifestieren sich - Niedrige Intelligenz/Talent erklärt, warum Wissen und Kompetenzen in bestimmten Bereichen nur mühsam/gar nicht erworben werden können - Damit Expertise in einem Gebiet erlangt wird, ist eine lange Phase des Lernens erforderlich Wissen muss angeeignet werden Fertigkeiten müssen erworben, eingeübt und perfektioniert werden - Einflussfaktoren: Emotionen und Motivation nehmen auf alle Phasen der Leistungsentwicklung Einfluss Erklärungsmodelle für Hochbegabung - Intelligenz als kognitive Ressource ist nicht hinreichend zur Erklärung besonderer Leistungen Bsp.: mind. 15% der Menschen mit einem IQ von über 130 sind sog. „underachiever“ Underachiever: Menschen, die trotz eines hohen Leistungspotenzials und überdurchschnittlicher Intelligenz nur mäßige oder schlechte Leistungen zeigen. Hochbegabung kann nur mehrfaktoriell oder auch multifaktoriell erklärt werden 16 Entwicklungspsychologie 3-Ringe-Modell für Hochbegabung - Hochbegabung als Schnittmenge dreier in der Person verankerten Merkmale Überdurchschnittliche intellektuelle Fähigkeiten Besondere Kreativität (flexibles, originelles und produktives Vorgehen) Aufgabenverpflichtung (Motivation und Volition) - Umwelt als Einflussfaktor wird aber nicht berücksichtig! Triadisches Interdependenzmodell der Hochbegabung nach Moenks „drei Ringe Modell“ - Entscheidend nach Mönks: die soziale Kompetenz des Menschen, um in eine gelingende Interaktion mit der Umwelt zu treten - Begaben statt Begabung: „Unter Begaben versteht er die Kunst, mit Kindern und Jugendlichen so umzugehen, dass sie ermutigt werden, ihre Fähigkeiten in sich selbst zu entdecken und zur Entfaltung zu bringen“ (besonders begabte Kinder oft Schwierigkeiten in Gleichaltrigen Peergroups etc.) - Ob Underachiever als hochbegabt bezeichnet werden können oder nicht wird in den Modellen von Renzulli und Moenks nicht eindeutig geklärt Münchener (Hoch-)Begabungsmodell 17 Entwicklungspsychologie - Entwickelte sich aus der Kritik am deutschen Schulsystem - Modell setzt sich aus 3 Komponenten zusammen Den nichtkognitiven Persönlichkeitsmerkmalen Den Umweltmerkmalen Den Begabungsfaktoren - Diese 3 Bereiche (Einflusskomponenten) stehen in Wechselwirkung und sind Bedingungen des Leistungsbereichs (Zielkomponente) - Damit aus den intellektuellen Fähigkeiten Hochleistung entstehen kann, müssen sich die 3 genannten Einflusskomponenten als leistungsförderlich erweisen Erklärungsmodelle für Hochbegabung: Fazit - Eindimensionale Modelle sind zu kurz greifend - Viele verschiedene Faktoren haben auf die Entwicklung von Hochbegabung und außergewöhnlichen Leistungen Einfluss - Mehrdimensionale und systemische Modelle mit der Vorstellung von multifaktorieller Bedingtheit von besonderen Leistungen sollten in der Praxis Anwendung finden - Beratung und Förderung anhand solcher Modelle führen in der Praxis oftmals zu gut begründeten Einzelfallentscheidungen Berücksichtigung von Begabungen, Handlungsmöglichkeiten und Umweltbedingungen Hochbegabung als Thema für die Soziale Arbeit? Hochbegabte Kinder als Adressat*innen der Sozialen Arbeit? Aufträge an die Soziale Arbeit im Kontext Hochbegabung? JA, aus folgenden Gründen, mit folgenden möglichen Anliegen der Kinder/ Familien, mit folgenden Aufträgen der Sozialen Arbeit - Umwelteinflüsse ausgleichen/ berücksichtigen - Verhaltensweise/-auffälligkeiten besser einordnen → demokratischer, Partizipativer Erziehungsstil - sinnvoll → Erkenntnisse der Reformpädagogik (Wagner) - mehr Verständnis (ggf. für Angehörige) → Partizipations- und Kooperationsgedanke mit Eltern, bzw. anderen Institutionen (Bliemetsrieder + Wagner) - Förderungsmöglichkeiten 18 Entwicklungspsychologie - Lösungsmöglichkeiten von Schwierigkeiten / Problemen resultierend aus "anders-denken/-sehen" von Dingen und Situationen aufgrund der Hochbegabung → Bezug zum Diskurs Ausschluss von Kindern aufgrund von normativen Logiken der Kitas und Schulen (Migration, Beeinträchtigung, hochbegabung?) - Aufklärung - Erkennen von Hochbegabung - Hochbegabung wappnet einen nicht vor anderen Problemen der Sozialen Arbeit (z.B. Sucht) - Multiproblemlagen JA, ABER nur unter folgenden Bedingungen - Es gibt ein bestimmtes Anliegen NEIN, Hochbegabung ist kein Thema für die Soziale Arbeit, ausfolgenden Gründen - Hochbegabung kein reiner Schwerpunkt der Sozialen Arbeit, sollte mitgedacht werden, aber privilegierte hochbegabte Kinder (ohne Migrationshintergrund, wohlhabende Eltern, etc.) muss nicht geholfen werden Aspekte aus dem Münchner (Hoch)Begabungsmodell, die mit den anderen Seminaren in Zusammenhang stehen - Schulklima → Kritik der Produktion von Ungleichheiten an Schulen - Umwelt in KiTa (Betreuungsschlüssel, pädagogische Konzeption, Haltung zum Kind) beeinflusst die Chancen zur tatsächlichen Entwicklung und Ausprägung der Hochbegabung → Die Pädagogik steht im direkten Einfluss darauf, wie selbstwirksam das Kind ist → beeinflusst Stressbewältigung, Prüfungsangst, etc. → beeinflusst ob die Hochbegabung zum Vorschein kommt → Monolinguistische Ausrichtung an Schulen und KiTas kann die Ausprägung zur Hochbegabung behindern, Leistungen im sprachlichen Bereich können an der Ausrichtung nur an der deutschen Sprache nicht zum Vorschein kommen (bei hochbegabten Kindern mit Migrationserfahrungen) - Umweltmerkmale, Leistungsbereiche sowie Begabung stark abhängig von institutionellen Zugängen/familiären Zugängen - Es kommt auf die Frühförderung im Kleinkind Alter an Hochbegabung und Soziale Arbeit Mit welchen Anliegen nehmen hochbegabte Kinder und Erwachsene Beratungsangebote in Anspruch? - Schmerzhafte Schulerfahrungen - Schmerzhafte Kindheitserfahrungen - Hohe Sensibilität und damit eingehende Probleme - Intensives emotionales Erleben und damit einhergehende Probleme - Existentielle Krisen und Sinnfragen - Perfektionismus - Multipotenitalität und damit eingehende Probleme - Beziehungsthemen Auswirkungen einer nicht oder zu spät erkannten Hochbegabung auf individueller Ebene - Leistungsverweigerung - Minderleistung - Geringe Frustrationstoleranz - Schwieriger Zugang zu Gleichaltrigen - Rückzug - Aggression - Psychosomatische Beschwerden 19 Entwicklungspsychologie Wichtig: Aus der Forschung gibt es Hinweise, dass eine von Fachkräften vermutete Hochbegabung ausreicht, um die Entwicklung der Kinder positiv zu beeinflussen - Es muss nicht unbedingt eine „echte Diagnose“ vorliegen - Das unterstreicht die Wichtigkeit sozialpädagogischer Interventionen! Gleichzeitig wissen wir, dass Stereotype über soziale Gruppen oft leistungsbezogen sind - Bsp.: Schüler*innen ohne Migrationshintergrund werden im Vergleich zu Schüler*innen mit Migrationshintergrund oft eher als hart arbeitend, pflichtbewusst, intelligent, pünktlich und zuverlässig wahrgenommen Auswirkungen nicht erkannter Hochbegabungen auf gesellschaftlicher Ebene ? Hochbegabung und soziale Ungleichheit Psychologie der Kinderarmut Zusammenhänge Armut und psychische Prozesse - Komplexe Zusammenhänge zwischen Armut und psychischen Prozessen Ausgewählte Befunde zur Psychologie der Armut - Armut und Impulskontrolle Kinder aus armen Elternhäusern haben eine schlechtere Impulskontrolle und können Belohnungen schlechter aufschieben als Kinder aus wohlhabenderen Elternhäusern (Marshmellow-Test) - Armut und Stress Der mit Armut verbundene Stress wirkt sich negativ auf den präfrontalen Cortex aus, auf Prozesse und auf Strukturen Viele exekutive Funktionen werden dadurch beeinträchtigt (z.B. Arbeitsgedächtnis) - Armut und Aufmerksamkeitslenkung Das Zurechtkommenmüssen mit begrenzten Ressourcen führt zu einer Fokussierung der Aufmerksamkeit auf die zu erledigende Aufgabe (z.B. wenig Geld für Essen ausgeben) Finanzielle Knappheit kann aber auch dazu führen, dass nützliche Informationen in der Umgebung nicht wahrgenommen werden, selbst wenn die Informationen den Zustand der Ressourcenknappheit lindern können Diese Vernachlässigung kann eine Folge der Verengung der Aufmerksamkeit sein und eine Reihe kontraproduktiver Verhaltensweisen von Armut betroffener Menschen erklären (z. B. die Vernachlässigung von Hilfsprogrammen, Rabattaktionen etc.) - Armut und Gehirnentwicklung An einer Studie nahmen 1.000 Mütter mit niedrigem Einkommen und deren Neugeborene teil Die Mutter-Kind-Paare wurden per Zufall in zwei Gruppen aufgeteilt Eine Gruppe bekam monatlich 20 Dollar, die andere 333 Dollar Nach einem Jahr zeigten sich Unterschiede: Die Kleinkinder, deren Mütter monatlich 333 Dollar zusätzlich zu ihrem Einkommen erhielten, zeigten eine verstärkte Hirnaktivität Die Studie gilt als die erste, die zeigt, dass Geld einen kausalen Einfluss auf die Gehirnentwicklung hat Warum genau mehr Geld für die Mutter Auswirkungen auf das Gehirn ihres Kindes haben könnte, ist noch nicht bekannt Es könnte sein, dass die Mütter 20 Entwicklungspsychologie mit dem zusätzlichen Geld bessere Nahrung kaufen mehr für Gesundheitsversorgung ausgeben weniger Stress an die Kinder weitergeben 15 weniger arbeiten müssen und so mehr Zeit mit ihren Kindern und deren Förderung verbringen können In einer Studie von Luby et al. (2013) wurden magnetresonanztomographische Aufnahmen der Gehirne von 145 Sechs- bis Zwölfjährigen angefertigt Das Ergebnis: Kindern aus armen Familien wiesen weniger graue und weiße Substanz auf; zudem waren Hippocampus und Amygdala kleiner Zusammenhänge Armut und psychische Prozesse - Alle genannten Befunde machen es wahrscheinlich, dass sich Armut zumindest indirekt auf die Handlungskompetenzen von Menschen auswirkt - Gut belegt ist wiederrum, dass sich Handlungskompetenzen auf das Armutsrisiko auswirken - So kommt es zu einer Rückkopplung und dadurch zu einer Art „Teufelskreis“ Sog. Intelligenzminderung Definition der Intelligenzminderung - Eine Intelligenzminderung nach ICD-10 bzw. intellektuelle Behinderung in der Klassifikation des DSM- V ist durch eine Abweichung der intellektuellen Fähigkeiten um mehr als zwei Standardabweichungen vom Durchschnitt der Altersgruppe sowie Einschränkungen der adaptiven Kompetenzen gekennzeichnet IQ unter 70 17 Bei einem IQ zwischen 70 und 84 geht man häufig von einer Lernbehinderung aus - Unter Intelligenzminderung versteht man eine sich in der Entwicklung manifestierende, stehengebliebene oder unvollständige Entwicklung der geistigen Fähigkeiten, mit besonderer Beeinträchtigung von Fertigkeiten, die zum Intelligenzniveau beitragen, wie zum Beispiel Kognition (v.a. Schlussfolgern, abstraktes Denken, Lernen, Urteilen, Planen und Problemlösen) Sprache motorische sowie soziale Fähigkeiten - Die Intelligenzminderung ist das Hauptsymptom einer geistigen Behinderung Adaptive Fähigkeiten: sind erlernte konzeptuelle, soziale und praktische Fähigkeiten, die stärker als die Intelligenz auf die praktische alltägliche Lebensbewältigung fokussiert sind 21 Entwicklungspsychologie Häufigkeit der Intelligenzminderung - Die Prävalenzangaben bei Kindern schwanken in der internationalen Literatur - Einen Anhaltspunkt geben die Zahlen zum sonderpädagogischen Förderbedarf, die regelmäßig vom Statistischen Bundesamt erhoben werden - Danach liegt bei 1,1 % aller Schüler*innen ein sonderpädagogischer Förderbedarf im Bereich der geistigen Entwicklung vor - Das sind bundesweit ca. 80.000 Kinder im Alter zwischen 6 und 18 Jahren. Davon werden 7,9 % (d. h. etwa 6300 Kinder) inklusiv beschult Leichte Intelligenzminderung - Personen mit einer leichten Intelligenzminderung können im Alter von 18 bis 19 Jahren das Niveau eines Grundschulabschlusses erreichen (ungefährer Richtwert!) Dies entspricht beim Erwachsenen etwa dem Intelligenzalter eines neun- bis zwölfjährigen Kindes - Die Intelligenzminderung führt zu Schwierigkeiten im Aneignen von Kenntnissen, beim Handeln und Denken, beim Spracherwerb und bei der Selbstständigkeitsentwicklung - Betroffene Kinder sind schulbildungsfähig - Zusätzlich kann zur Intelligenzminderung noch soziale, kommunikative, und emotionale Schwierigkeiten, Probleme mit der Impulskontrolle etc. hinzukommen - Die meisten Menschen erlangen im Entwicklungsverlauf ausreichende Fertigkeiten der Alltagskommunikation sowie eine vollständige Unabhängigkeit in der Selbstversorgung (Haushalt, Nahrungsaufnahme, Hygiene, Kleidung, Darm- und Blasenkontrolle) - Es bestehen gute Potenziale für den Erwerb von Fertigkeiten, die für die selbstständige Ausübung einfacher Arbeitstätigkeiten (Anlerntätigkeiten) qualifizieren - Eine leichte Intelligenzminderung wird manchmal erst mit dem Schuleintritt diagnostiziert - Der Verlauf ist abhängig von etwaigen komorbiden Grund- und Folgeerkrankungen dem Grad der Beeinträchtigung den individuellen Förderpotenzialen der tatsächlich geleisteten Förderung und Therapie - Frühe und anhaltende Interventionen können vielfach die Anpassungsfähigkeit in der Kindheit und darüber hinaus verbessern, sodass die Diagnose einer Intelligenzminderung nicht weiter zutrifft Beispiel: Kognitives Training - Kognitives Training wird für Kinder mit einer Intelligenzminderung empfohlen, um ihre vorhandenen Fähigkeiten zu verbessern zu versuchen, die fehlenden Fähigkeiten bestmöglich zu entwickeln ihnen Strategien an die Hand zu geben, die fehlenden Fähigkeiten zu kompensieren Wie entsteht eine Intelligenzminderung? Intelligenzminderungen weisen keine spezifischen Entstehungsbedingungen auf, sondern gehen grundsätzlich mit bestehenden endogenen oder exogenen Grunderkrankungen einher Intelligenzminderung als Vulnerabilitätsfaktor 22 Entwicklungspsychologie - Psychische Störungen sind nicht zwangsläufig die Folge oder unvermeidliche Begleiterscheinung von intellektuellen Beeinträchtigungen - Kinder mit einer Intelligenzminderung haben aber ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung psychischer Störungen und schwerwiegender Verhaltensprobleme - Eine Abgrenzung zwischen problematischen Verhaltensweisen, die unter den Bedingungen einer Intelligenzminderung auftreten können, und psychischen Störungen ist in vielen Fällen leider schwierig - Verschiedene therapeutisch-pädagogische Konzepte können hilfreich sein für die allgemeine Förderung der sozialen, emotionalen und kommunikativen Fähigkeiten des Kindes und Unterstützung bei Verhaltensproblemen, die direkt mit der Intelligenzminderung zusammenhängen die Unterstützung einer Behandlung bei auftretenden psychischen Störungen Therapeutisch-pädagogische Konzepte - positive Verhaltensunterstützung Im Kontext der positiven Verhaltensunterstützung (PVS) handelt es sich um einen integrativen, präventiven Ansatz, der in der pädagogischen Praxis insbesondere im Umgang mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Verhaltensauffälligkeiten oder besonderen Bedürfnissen Anwendung findet. Der zentrale Gedanke von PVS ist es, herausforderndes Verhalten nicht lediglich als problematisch oder störend zu betrachten, sondern als Ausdruck von Bedürfnissen oder unerfüllten Wünschen, die es zu verstehen gilt. Der Ansatz basiert auf einem proaktiven und ressourcenorientierten Vorgehen, bei dem die Bedingungen des Umfelds und die sozialen Interaktionen so gestaltet werden, dass sie die Entwicklung und das Erlernen von positiven Verhaltensweisen fördern. Hierbei wird das Verhalten der Person nicht durch Strafen korrigiert, sondern durch eine gezielte, positive Verstärkung von erwünschtem Verhalten. Die Intention ist es, dass der*die Betroffene lernt, Verhaltensalternativen zu entwickeln, die sozial akzeptiert werden und die zu einer Verbesserung der Lebensqualität führen. Kernprinzipien der PVS umfassen: - Verhaltensanalyse und Ursachenklärung: Ein tiefes Verständnis für die zugrunde liegenden Auslöser und Funktionen des Verhaltens steht am Anfang der Unterstützung. Hierbei wird mit funktionellen Verhaltensanalysen gearbeitet, um zu ermitteln, welche Bedürfnisse das Verhalten des Kindes oder Jugendlichen befriedigen soll (z. B. Aufmerksamkeit, Escape, Selbstregulation). - Prävention statt Reaktion: Durch präventive Maßnahmen wird das Entstehen von problematischem Verhalten im Vorfeld vermieden. Hierzu zählt die Gestaltung von Lernumfeldern, die positive Verhaltensweisen fördern, sowie das Setzen von klaren, konsistenten Erwartungen. - Positive Verstärkung: Wünschenswertes Verhalten wird systematisch durch positive Verstärkung unterstützt. Diese Verstärkungen können unterschiedlich gestaltet werden, z. B. durch verbale Anerkennung, soziale Belohnungen oder materielle Anreize, wobei immer der langfristige Erlernprozess im Vordergrund steht. - Individuelle und differenzierte Interventionen & Unterstützung: Es wird stets berücksichtigt, dass jede Person individuelle Bedürfnisse und Ressourcen hat. PVS verlangt eine enge Zusammenarbeit mit allen an der Betreuung und Unterstützung Beteiligten (z. B. Lehrerinnen, Therapeutinnen, Eltern), um ein passgenaues, ganzheitliches Unterstützungsangebot zu entwickeln. - Partizipation und Empowerment: Ein weiteres Prinzip von PVS ist die Förderung der Selbstbestimmung und der aktiven Beteiligung der betroffenen Person an der Gestaltung ihres Unterstützungsplans. Die Idee ist, dass durch die Vermittlung von Handlungskompetenzen und die Möglichkeit, eigene Entscheidungen zu treffen, das Selbstbewusstsein und die Eigenverantwortung gestärkt werden. 23 Entwicklungspsychologie PVS stellt einen Paradigmenwechsel dar, bei dem nicht die Fehlverhaltensterminologie im Vordergrund steht, sondern der Fokus auf die Förderung von Fähigkeiten, Ressourcen und positiven Veränderungen gelegt wird. Dieser Ansatz ist nicht nur für den Einzelnen hilfreich, sondern hat auch das Potenzial, die soziale Atmosphäre und das Lernklima in Gruppen oder Einrichtungen nachhaltig zu verbessern. Vorteile der Positiven Verhaltensunterstützung (PVS): - Präventiv: Verhindert problematisches Verhalten durch proaktive Maßnahmen. - Fördert positives Verhalten: Verstärkt erwünschte Verhaltensweisen durch Belohnung. - Individuell angepasst: Berücksichtigt die spezifischen Bedürfnisse der Person. - Respektvoll: Fördert ein respektvolles und unterstützendes Umfeld. - Ganzheitlich: Stärkt sowohl Verhaltens- als auch Lebenskompetenzen. Nachteile der Positiven Verhaltensunterstützung (PVS): - Zeitintensiv: Erfordert kontinuierliche Beobachtung und Anpassung. - Hoher Aufwand: Bedarf an regelmäßiger Planung und Ressourcen. - Verhaltensfokussiert: Könnte andere, tieferliegende Probleme übersehen. - Unterschiedliche Wirksamkeit: Funktioniert nicht immer gleich gut bei allen Personen. - TEACCH Ansatz Der TEACCH-Ansatz (Treatment and Education of Autistic and Communication Handicapped Children) ist ein therapeutisch-pädagogisches Konzept, das speziell für Menschen im Autismus-Spektrum entwickelt wurde. Es zielt darauf ab, die Selbstständigkeit und Lebensqualität der betroffenen Personen zu fördern, indem es eine strukturierte Umgebung mit klaren visuellen Hilfsmitteln schafft. Wichtige Merkmale des TEACCH-Ansatzes sind (und Vorteile) - Strukturierte Umgebung: Klare physische und zeitliche Strukturen, die den Alltag der Betroffenen überschaubar machen = Struktur und Klarheit - Visuelle Unterstützung: Einsatz von Bildern, Symbolen und Zeitplänen zur besseren Orientierung. - Individualisierte Förderung: Anpassung der Unterstützung an die Bedürfnisse und Fähigkeiten des Einzelnen. - Ganzheitliche Förderung: Der Ansatz fördert nicht nur kognitive, sondern auch soziale und lebenspraktische Fähigkeiten, was zu einer umfassenden Entwicklung beiträgt. - Förderung der Selbstständigkeit: Entwicklung von Alltagskompetenzen und lebenspraktischen Fähigkeiten. - Zusammenarbeit mit dem sozialen Umfeld: Einbeziehung von Eltern und Bezugspersonen in den Förderprozess. TEACCH nutzt die Stärken der betroffenen Person und fördert durch positive Verstärkung gewünschte Verhaltensweisen. Nachteile: - Hoher Aufwand: Anpassung und Erstellung von Materialien erfordert viel Zeit und Ressourcen. - Ressourcenintensiv: Benötigt spezielle Materialien und intensive Betreuung. - Nicht für alle geeignet: Der Ansatz passt nicht immer zu jedem Individuum im Autismus-Spektrum. - Überstrukturierung: Zu viel Struktur kann die Flexibilität und Kreativität einschränken. - Fokus auf visuelle Hilfen: Nicht alle Personen profitieren gleich gut von visuellen Reizen - Funktionales Kommunikationstraining: Picture Exchange Communication (PECS) 24 Entwicklungspsychologie Picture Exchange Communication System (PECS) ist ein funktionales Kommunikationstraining, das vor allem bei Menschen mit Sprach- oder Kommunikationsstörungen, insbesondere im Autismus-Spektrum, eingesetzt wird. Es basiert auf der Verwendung von Bildern oder Symbolen, um Bedürfnisse und Wünsche auszudrücken. Kernaspekte von PECS: Bilder als Kommunikationsmittel: Personen lernen, Bilder auszuwählen und an eine Person zu übergeben, um eine Nachricht zu übermitteln, z. B. um nach einem Objekt zu fragen. Schrittweise Einführung: Das System wird in Phasen eingeführt, beginnend mit einfachen Gesten und Bildübertragungen, bis zu komplexeren Kommunikationsstrategien. Förderung von Selbstständigkeit: PECS fördert die Selbstständigkeit in der Kommunikation und ermöglicht es den Betroffenen, ihre Bedürfnisse effektiv auszudrücken. Verstärkung durch Belohnung: Das System setzt auf positive Verstärkung, wenn die Person erfolgreich kommuniziert. PECS ist besonders hilfreich für Menschen, die keine verbale Sprache nutzen, und unterstützt die Entwicklung grundlegender Kommunikationsfähigkeiten Vorteile von PECS: - Einfache Anwendung: Schnell zu erlernendes Kommunikationsmittel, das keine verbalen Fähigkeiten erfordert. - Fördert Selbstständigkeit: Hilft Personen, ihre Bedürfnisse und Wünsche eigenständig auszudrücken. - Visuelle Unterstützung: Nutzt Bilder, die von vielen Menschen, insbesondere im Autismus-Spektrum, besser verarbeitet werden. - Verbesserung der Kommunikation: Erhöht die Kommunikationsmöglichkeiten und reduziert Verhaltensprobleme, die durch Missverständnisse entstehen. Nachteile von PECS: - Abhängigkeit von Bildern: Personen könnten sich zu sehr auf Bilder verlassen und die Entwicklung verbaler Kommunikation verzögern. - Begrenzte Ausdrucksmöglichkeiten: PECS ermöglicht nur eine grundlegende Kommunikation und ist weniger flexibel als verbale Sprache. - Materialaufwand: Die Erstellung und Pflege von Bildkarten erfordert Zeit und Ressourcen. - Nicht für alle geeignet: Manche Menschen haben Schwierigkeiten, mit PECS zu lernen, insbesondere wenn sie wenig Interesse an visuellen Reizen zeigen. Emotionen und emotionale Kompetenz Emotionen - Emotionen können als komplexe Muster bezeichnet werden, die in für den Menschen bedeutsamen Situationen auftreten - Emotionen beinhalten physiologische Erregung (z. B. Ausschüttung von Cortisol bei Stress) affektive Zustände (positiv – negativ) kognitive Prozesse (z. B. Interpretation der Situation) behaviorale Reaktionen (z. B. Hilfe holen, Schreien, Weglaufen) Ein Gefühl ist die subjektive Bewertung eines Emotionszustandes, d. h. die erlebte Emotion, die bewusst und als subjektiver Zustand erfahrbar ist und sprachlich zum Ausdruck gebracht werden kann 25 Entwicklungspsychologie Emotionale Kompetenz - Emotionale Kompetenz bedeutet, mit seinen eigenen Gefühlen und den Gefühlen anderer kompetent umgehen zu können Entwicklung des Emotionsausdrucks - 0 bis 3 Monate: Wohlwollen versus Rückzug - Ab dem 3. Monat: Freude Ärger Traurigkeit Angst Überraschung Neugier/ Interesse - Emotionen wie das Lächeln oder die Furcht des Kindes vor Fremden sind funktional - Sie sind entwicklungsfördernd, da sie die Beziehung zwischen Kind und Eltern stärken, das Kind vor Gefahren schützen und somit sein Überleben sichern - Lächeln und Lachen bringen Wohlwollen/Freude zum Ausdruck und stärken die Eltern-Kind-Beziehung - Ärger und Furcht sichern das Überleben des Kindes, indem sie das Kind in Gefahrensituationen an der weiteren Exploration hindern und die Unterstützung der Bezugspersonen sicherstellen Entwicklung komplexer Emotionen - ab Ende des 2. Lebensjahres: Stolz Scham Schuld Neid Verlegenheit Empathie - Etwa ab der Mitte des zweiten Lebensjahres bilden Kinder komplexere Emotionen aus, welche auch als sekundäre Emotionen bezeichnet werden - Hierzu zählen zum Beispiel Stolz, Scham, Schuld, Neid und Verlegenheit - Diese Emotionen setzten voraus, dass sich das Kind seiner selbst bewusst ist und sein Verhalten reflektieren kann - Stolz, Scham und Schuld beinhalten zudem das Wissen über sozial anerkannte Verhaltensstandards und - regeln Trennung von Emotionserleben und -ausdruck - Ab dem Alter von etwa 3 Jahren können Kinder zwischen dem subjektiven Erleben und dem äußerlichen Ausdruck von Emotionen unterscheiden und erwerben Strategien für die Trennung von Emotionserleben und –ausdruck - Gesellschaftliche Standards machen es notwendig, dass nicht alle erlebten Emotionen zum Ausdruck kommen sollten (sog. „display rules“) - Maximierung: Übertreibung des Emotionsausdrucks - Minimierung: Abschwächung der erlebten Emotion im Emotionsausdruck, um das wahre Ausmaß der Gefühle vorzuenthalten - Maskierung: Ersetzen des erlebten Gefühls durch ein anderes, um die wahren Gefühle zu verbergen - Neutralisierung: So tun, als ob man emotional unbeteiligt ist, um seine Gefühle nicht preisgeben zu müssen Entwicklung komplexer Emotionen - Ab dem Alter von etwa 4 Jahren können Kinder Emotionsausdrücke überzeugend vorspielen, indem sie zum Beispiel Freude zeigen, ohne die Emotion zu empfinden „Gemischte“ Gefühle erleben - Mit zunehmendem Alter sind Kinder in der Lage, mehrere Emotionen gleichzeitig zu erleben (gemischte Gefühle) 26 Entwicklungspsychologie - So kann sich eine Person zwar darüber freuen, ein Geburtstagsgeschenk zu bekommen, aber gleichzeitig auch traurig sein, weil es sich nicht um das gewünschte Präsent handelt - Hat ein Kind erkannt, dass es „gemischte Gefühle“ haben kann, so versteht es auch, dass der emotionale Ausdruck einer Person nicht zwingend seinem inneren Empfinden entsprechen muss - Jemand kann sich folglich über ein Geschenk freuen, obwohl es ihm nicht gefällt und er sich über den Schenkenden, der seinen Geschmack verfehlt hat, ärgert - Da es jedoch unhöflich wäre, auf ein Geschenk ärgerlich zu reagieren, wird Freude vorgetäuscht - Diese Fähigkeit hängt mit der zunehmenden kognitiven Entwicklung zusammen Emotionen entschlüsseln - Die Fähigkeit, die Emotionen anderer zu erkennen, ist eine wichtige Voraussetzung für die soziale Kompetenz - Bereits Neugeborene zeigen ein ausgeprägtes Interesse an Gesichtern und deren Ausdrücken - Gelingt es Kindern nicht, den emotionalen Ausdruck anderer Personen richtig zu interpretieren, haben sie häufig Schwierigkeiten im Umgang mit Gleichaltrigen, da sie auf deren Verhalten nicht adäquat eingehen können - Kinder, die fälschlicherweise überdurchschnittlich häufig einen Gesichtsausdruck als ärgerlich einschätzen, obwohl das Gegenüber gar nicht „sauer“ ist, haben nachweislich weniger befriedigende Beziehungen zu Gleichaltrigen und werden von Lehrkräften häufig als feindselig beschrieben - Etwa ab dem Alter von 7 Monaten kann ein Baby Gesichtsausdrücke und verschiedene Stimmlagen wahrnehmen und entsprechend darauf reagieren - Diese Fähigkeit kommt besonders bei der sogenannten sozialen Bezugnahme (social referencing) zum Ausdruck - Damit wird ein Prozess benannt, durch den das Kind sich in einer unsicheren Situation aktiv emotionale und bewertende Informationen von einer ihm vertrauten Bezugsperson holt - Bereits kleine Kinder können am Gesichtsausdruck der Bezugspersonen ablesen, ob eine Situation gefährlich ist, d. h. beispielsweise die Mutter zu diesem Zeitpunkt einen ängstlichen Gesichtsausdruck zeigt - Vorschulkinder setzen die in der Eltern-Kind-Interaktion erworbene emotionale Kompetenz in Rollenspielen mit Gleichaltrigen um und verbessern dadurch ihre Fähigkeit, Emotionen zu entschlüsseln - Hierbei kommt vor allem dem gemeinsamen Spiel mit den Geschwistern eine große Bedeutung zu, da Emotionen vertrauter Interaktionspartner besser entschlüsselt werden können Emotionen benennen: Emotionsvokabular - Eine weitere wichtige Komponente emotionaler Kompetenz ist der Einsatz des Vokabulars der Gefühle - Kinder müssen lernen, ihre Emotionen und die Emotionen anderer zu benennen - Wer seine Gefühle benennen kann, ist in der Lage, sich anderen mitzuteilen und kann gegebenenfalls um Unterstützung bitten - Generell geht eine gute Sprachentwicklung mit einer besseren emotionalen und sozialen Kompetenz einher - Frühestens ab dem Alter von 18 Monaten können Kinder erste Emotionen mit Wörtern verknüpfen und somit sowohl ihren eigenen Gefühlszustand kommunizieren als auch den von Interaktionspartnern benennen - Kinder, deren Bezugsperson Gespräche über Emotionen führen, können Emotionen in Unterhaltungen besser benennen und auch erkennen - Die enorme Zunahme des Wortschatzes bis zum Vorschulalter ermöglicht es Kindern, zahlreiche weitere Emotionen zu benennen - Etwa mit 5 Jahren können Kinder zahlreiche einfachere Emotionen auch auf Fotos benennen - 18 –20 Monate: Erste Gefühlswörter für Emotionen anderer Verständnis einfacher Emotionswörter - Bis 2 Jahre: Rudimentäre Gespräche über Emotionen, Passives Verständnis ist größer als aktiver Gebrauch 27 Entwicklungspsychologie - Bis 4 Jahre: Häufige Benennung der Emotionen anderer, Ausführliche Gespräche über Emotionen (z. B. Ursachen und Konsequenzen von Emotionen) - Bis 6 Jahre: Vokabular für komplexe Emotionen - Bis 12 Jahre: Weitere Zunahme des Emotionsvokabulars Emotionsverständnis: Emotionswissen - Das Emotionsverständnis beinhaltet folgende Fähigkeiten: 1. Die Ursachen von Emotionen zu kennen – z. B. Peter ist traurig, weil seine Oma krank ist. 2. Von der Mimik (z. B. Lachen als Zeichen für Freude) und von körperlichen Begleiterscheinungen (z. B. Rotwerden als Zeichen von Scham) auf Emotionen schließen zu können - Zwischen 4 und 5 Jahren können Kinder die Ursachen für Gefühle benennen, d. h. sie erwerben ein umfangreiches Emotionswissen und sie erkennen, dass bestimmte Ursachen Emotionen auslösen - Sie sind auch in der Lage, mögliche Folgen von Gefühlen aufzuzählen - Darüber hinaus können Kinder dieser Altersgruppe Möglichkeiten benennen, wie negative Gefühle anderer gemildert werden, indem man zum Beispiel jemanden tröstet oder umarmt - Ab dem Alter von ca. 6 Jahren können Kinder nachvollziehen, dass Gefühle auch dann entstehen, wenn man sich an emotionsauslösende Ereignisse erinnert 1. Vorschulkinder erkennen und benennen den Emotionsausdruck anderer Personen. 2. Sie identifizieren emotionsauslösende Situationen. 3. Sie erkennen Ursachen für emotionsauslösende Situationen. 4. Sie können Konsequenzen emotionaler Reaktionen ableiten. 5. Sie verstehen, dass das emotionale Erleben anderer sich vom eigenen unterscheiden kann. 6. Sie kennen soziale Darbietungsregeln für den Ausdruck von Emotionen. Emotionsregulation - Emotionsregulation ist notwendig, um beim Auftreten von Gefühlen handlungsfähig zu bleiben und seine Ziele weiterhin verfolgen zu können, anstatt von Emotionen überwältigt zu werden - Vor allem die Fertigkeit, aversive und belastende Emotionen zu regulieren, ist eine wichtige Komponente emotionaler Kompetenz - Die Fähigkeit zur Emotionsregulation erwerben Kinder von Geburt an Emotionale Kompetenz - Fertigkeiten emotionaler Kompetenz Bewusstheit über den eigenen emotionalen Zustand Fähigkeit, Emotionen anderer zu erkennen Die Anwendung des Vokabulars der Gefühle Die Fähigkeit, empathisch auf die Emotionen anderer einzugehen Das Wissen, dass ein nach außen gezeigtem Ausdruck nicht den „innerlich“ erlebten Emotionen entsprechen muss Die Fähigkeit, aversive oder belastende Emotionen zu bewältigen (Emotionsregulation) Die Bewusstheit, dass zwischenmenschliche Beziehungen dadurch bestimmt werden, wie Gefühle in ihnen kommuniziert werden Emotionale Selbstwirksamkeit Arbeit mit einer Alltagsbeobachtung Zwei Kinder laufen gemeinsam auf dem Gehweg. Jona (4) möchte ein Gespräch beginnen und stellt Florian (6) Fragen. Florian antwortet nicht und schaut starr gerade aus. Jona spricht einfach weiter und fängt an vor Florian 28 Entwicklungspsychologie rumzutänzeln. Irgendwann wedelt er mit der Hand vor Florians Gesicht herum und ruft: „Hallooooo?!“ Daraufhin boxt Florian Jona ohne eine Miene zu verziehen in die Seite und läuft weiter. Nutzen Sie Ihr neugewonnenes Wissen und die entsprechenden Fachbegriffe, um zu erklären, was in der Interaktion passiert sein könnte Emotionale Entwicklung puzzeln - Beschriften Sie den Zeitstrahl mit 0 bis 10 Jahren und Zwischenschritten - Legen Sie die einzelnen Schritte der Entwicklung altersmäßig dorthin, wo die Entwicklung der Fähigkeit beginnt - Differenzieren Sie ggf. noch zwischen verschiedenen Emotionen Entwicklung des Emotionserlebens und -ausdrucks - Entwicklung des Emotionserlebens und –ausdrucks - Entwicklung komplexer Emotionen - Trennung von Emotionserleben und –ausdruck - „Gemischte“ Gefühle erleben - Emotionen entschlüsseln 29 Entwicklungspsychologie - Emotionen benennen: Emotionsvokabular Emotionsverständnis: Emotionswissen - Das Emotionsverständnis beinhaltet folgende Fähigkeiten: 1. Die Ursachen von Emotionen zu kennen 7 (z. B. Peter ist traurig, weil seine Oma krank ist) 2. Von der Mimik (z. B. Lachen als Zeichen für Freude) Begleiterscheinungen und von körperlichen (z. B. Rotwerden als Zeichen von Scham) schließen zu können - Zwischen 4 und 5 Jahren können Kinder die Ursachen für Gefühle benennen - Sie erwerben ein umfangreiches Emotionswissen und sie erkennen, dass bestimmte Ursachen Emotionen auslösen - Sie sind auch in der Lage, mögliche Folgen von Gefühlen aufzuzählen - Darüber hinaus können Kinder dieser Altersgruppe Möglichkeiten benennen, wie negative Gefühle anderer gemildert werden können 1. Vorschulkinder erkennen und benennen den Emotionsausdruck anderer Personen. 2. Sie identifizieren emotionsauslösende Situationen. 3. Sie erkennen Ursachen für emotionsauslösende Situationen. 4. Sie können Konsequenzen emotionaler Reaktionen ableiten. 5. Sie verstehen, dass das emotionale Erleben anderer sich vom eigenen unterscheiden kann. 6. Sie kennen soziale Darbietungsregeln für den Ausdruck von Emotionen. Emotionsregulation - Emotionsregulation ist notwendig, um beim Auftreten von Gefühlen handlungsfähig zu bleiben und seine Ziele weiterhin verfolgen zu können, anstatt von Emotionen überwältigt zu werden Vor allem die Fertigkeit, aversive und belastende Emotionen zu regulieren, ist eine wichtige Komponente emotionaler Kompetenz - Die Fähigkeit zur Emotionsregulation erwerben Kinder von Geburt an - Emotionsregulation bedeutet in der Lage zu sein seine starken Gefühle zu regulieren 30 Entwicklungspsychologie Die emotionsauslösende Situation zu verändern Ein Kind, das wütend ist, weil es wiederholt von einem Spielkameraden körperlich angegriffen wurde, muss nicht nur lernen die Wut in den Griff zu bekommen, sondern könnte beispielsweise den Jungen in Zukunft meiden oder das Problem in einem Gespräch klären, d. h. eine Bewältigungsstrategie finden - Emotionsregulation ist notwendig, um sich in die Gesellschaft im Sinne einer kulturellen Anpassungsleistung einzugliedern - So ist es in zahlreichen Kulturen nicht üblich, intensive Gefühle offen ausdrücken Eine Person, die laut schluchzend in einem öffentlichen Bus sitzt, wird bei den anderen Passagieren möglicherweise auf Unverständnis stoßen - Emotionen müssen in vielen Kulturkreisen in der Öffentlichkeit maskiert oder gar völlig unterdrückt werden Ob dies sinnvoll ist, sei dahingestellt! Emotionsregulation und Temperament - Kindspezifische Eigenschaften wie das Temperament beeinflussen die Emotionsregulation - Kinder mit einem schwierigen Temperament, die negative Gefühle intensiver wahrnehmen (negative Emotionalität), haben größere Probleme negative Emotionen zu regulieren als Kinder mit einem einfachen Temperament Dies bedeutet auch, dass es für die Eltern und Fachkräfte eine große Herausforderung darstellt, die Kinder bei der Emotionsregulation zu unterstützen Entwicklung der Emotionsregulation - Die Fähigkeit zur Emotionsregulation erwerben Kinder von Geburt an - Sie erfolgt von der interpersonalen zur intrapersonalen Emotionsregulation - Entwicklungsphasen von der interpersonalen zur intrapersonalen Emotionsregulation 1. Phase: Die Bezugsperson reguliert das Erregungsniveau des Säuglings. Sie schützt ihn z.B. vor Übererregung und beruhigt ihn bei negativen Emotionen 2. Phase: Der Säugling übernimmt erste Regulationsanteile. Er kann sich z. B. selbstständig von einer Erregungsquelle abwenden 3. Phase: Kleinkind und Bezugsperson regulieren Emotionen 4. Phase: Das Vorschulkind reguliert unter Anleitung der Eltern selbst seine Emotionen 5. Phase: Das Schulkind reguliert sich meistens selbst - Neugeborene können ihre Emotionen selbst noch nicht regulieren und sind deshalb darauf angewiesen, dass ihre Bezugsperson vor allem negative Gefühle „von außen“ reguliert - Mit zunehmendem Alter erwirbt der Säugling erste Kompetenzen, um Emotionen selbstständig zu regulieren Eineinhalbjährige Kinder verfolgen bei diversen Handlungen bereits eigene Ziele. Werden sie in ihrer Zielerreichung von den Eltern blockiert, reagieren sie häufig sehr trotzig und können ihre negativen Emotionen nicht regulieren. Diese Reaktion wird mit der mangelnden Fähigkeit erklärt, zeitnah eine Handlungsalternative zu finden. Mit zunehmender Sprach- und Handlungskompetenz nehmen die Trotzreaktionen ab. Dem Kind gelingt es immer besser, alternative Strategien zur Zielerreichung zu finden. - Im Kindergartenalter reguliert das Kind gemeinsam mit den Bezugspersonen seine Emotionen, d. h. es lässt sich von Eltern, pädagogischen Fachkräften und Gleichaltrigen dabei unterstützen - Mit zunehmendem Alter gelingt es Kindern immer besser, Emotionen unter der Anleitung von Erwachsenen bzw. auch selbst zu regulieren - Bereits mit drei Jahren sind Kinder beispielsweise in der Lage, die emotionsauslösenden Ereignisse selbst zu beeinflussen, indem sie sich zum Beispiel die Augen und Ohren zuhalten, wenn sie vor etwas Angst haben 31 Entwicklungspsychologie - Zusätzlich setzen Vorschulkinder das egozentristische Sprechen zur Emotionsregulation ein - Indem sie Emotionen verbalisieren, d. h. laut aussprechen, wie sie sich fühlen, und ihr Handeln durch gesprochene Anweisungen lenken, beruhigen sie sich selbst - Zum Beispiel: „Der Hund ist gar nicht so groß. Ich muss also keine Angst vor ihm haben.“ Mit welchen Spielen trainieren Kinder ihre Emotionsregulation? Durch Fantasiespiele, die in diesem Alter sehr beliebt sind, lernen Kinder mit negativen Emotionen umzugehen. Indem sie zum Beispiel „so tun, als ob“ sie von einem Monster bedroht werden oder der Boden aus Lava besteht, tasten sie sich an den Umgang mit Furcht heran - Mit zunehmendem Alter gewinnt die Peer-Gruppe an Bedeutung für die Emotionsregulation - Um von Gleichaltrigen akzeptiert zu werden, müssen Kinder vor allem intensive negative Gefühle regulieren können - Peergruppen zeigen Verhaltensstandards, die von allen Gruppenmitgliedern eingehalten werden müssen Entspricht das Verhalten eines Kindes nicht diesen Regeln, wird es abgelehnt Dies hat häufig zur Folge, dass die unangepassten Verhaltensweisen des Kindes verstärkt werden Das bedeutet: Das Kind zeigt noch mehr Wutausbrüche So entsteht ein Teufelskreis, dem das betroffene Kind kaum eigenständig entkommen kann - Ablehnung wirkt sich langfristig negativ auf die Entwicklung aus - Durch den Erwerb einer angemessenen Emotionsregulation kann dies verhindert werden - Mit rund 10 Jahren verfügen Kinder über diverse Strategien zur intrapersonalen Emotionsregulation - Hierzu zählen die Fähigkeiten ein Problem selbstständig zu lösen sich bei Belastungen soziale Unterstützung zu holen sich abzulenken - Hat sich die emotionale Selbstregulation des Kindes im Schulalter gut entwickelt, erlangt es das Gefühl der emotionalen Selbstwirksamkeit d. h. die Überzeugung, dass man seine Emotionen selbst beeinflussen bzw. kontrollieren kann - Emotional selbstwirksame Kinder sind positiv, empathisch und prosozial und deshalb bei Gleichaltrigen beliebt Strategien der Emotionsregulation - Interaktive Regulationsstrategien: Kinder suchen die Unterstützung von Eltern oder Gleichaltrigen, um Emotionen zu regulieren - Aufmerksamkeitslenkung: Kinder wenden ihre Aufmerksamkeit von der Erregungsquelle ab und richten ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes - Selbstberuhigungsstrategien: Kinder beruhigen sich selbst, indem sie Verhaltensrituale einsetzen (z. B. Kuscheltier in den Arm nehmen) oder beruhigende Selbstgespräche führen („Jetzt ist alles wieder gut“) - Rückzug aus der emotionsauslösenden Situation: Kinder krabbeln weg - Manipulation der emotionsauslösenden Situation: z. B. durch Spielen - Kognitive Regulationsstrategien: durch positive Selbstgespräche („Ich muss mich erst einmal beruhigen“) oder Neubewertung der Situation („Eigentlich ist das gar nicht so schlimm“) - Externale Regulationsstrategien: Gefühle körperlich ausagieren, z. B. indem das Kind auf den Boden stampft - Einhaltung von Darbietungsregeln beim Emotionsausdruck: dabei werden die eigentlichen Emotionen maskiert 32 Entwicklungspsychologie Emotionale Kompetenz - Emotionale Kompetenz bedeutet, mit seinen eigenen Gefühlen und den Gefühlen anderer kompetent umgehen zu können - Fertigkeiten emotionaler Kompetenz Bewusstheit über den eigenen emotionalen Zustand Fähigkeit, Emotionen anderer zu erkennen Die Anwendung des Vokabulars der Gefühle Die Fähigkeit, empathisch auf die Emotionen anderer einzugehen Das Wissen, dass ein nach außen gezeigtem Ausdruck nicht den „innerlich“ erlebten Emotionen entsprechen muss Die Fähigkeit, aversive oder belastende Emotionen zu bewältigen (Emotionsregulation) Die Bewusstheit, dass zwischenmenschliche Beziehungen dadurch bestimmt werden, wie Gefühle in ihnen kommuniziert werden Emotionale Selbstwirksamkeit Emotionale Kompetenz und soziale Kompetenz - Kinder, die über gute Fähigkeiten verfügen, Emotionen im mimischen und stimmlichen Ausdruck anderer zu erkennen, sind sozial kompetenter als Kinder, die in diesem Bereich Defizite aufweisen Kinder, die Schwierigkeiten haben von mimischen Ausdrücken auf Emotionen zu schließen, haben in der dritten Klasse weniger Kontakte zu ihren Mitschüler*innen - Soziale Kompetenz hängt des Weiteren mit der Fähigkeit zur Emotionsregulation, mit positiver Emotionalität und einem guten Emotionswissen zusammen Emotionale Kompetenz und psychische Gesundheit - Emotional kompetente Kinder weisen seltener psychische Erkrankungen auf - Vor allem oppositionell-aggressives und sozial unsicheres Verhalten resultiert aus einem Mangel an emotionaler Kompetenz und macht Präventions- und Interventionsmaßnahmen dringend erforderlich Förderung der emotionalen Kompetenz - Ein Mensch denkt pro Tag ca. 60.000 bis 80.000 Gedanken - Davon sind 3 % positiv, 24 % negativ und der Rest ist ohne besondere „affektive Aufladung“ - Wenn negative Gedanken auch mit negativen Emotionen verbunden sind, ergibt sich daraus im Alltag ein deutlicher Regulationsaufwand - Daraus ergibt sich aber auch, dass emotionale Kompetenz mit Kindern vor allem auch in ihrem Alltag trainiert werden muss - Gleichzeitig sind manchmal spezifische Interventionen notwendig, in denen z.B. an Regulationsstrategien gearbeitet wird 33