Einführung in die Entwicklungspsychologie PDF
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Universität Siegen
Prof. Dr. Simon Forstmeier
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This document is a handout for a lecture on development psychology, specifically focusing on self-concept development in childhood and adolescence. It covers various theories and models related to the topic, including older and newer theoretical approaches. The handout also briefly touches on gender differences.
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Einführung in die Entwicklungspsychologie 6. Kindheit und Jugend: Selbst-/Persönlichkeitsentwicklung und Geschlechtstypisierung Prof. Dr. Simon Forstmeier WS 2024/25 uni-siegen.de www.uni-siegen.de Fragen stellen über Particify https://crs.zimt.uni-siege...
Einführung in die Entwicklungspsychologie 6. Kindheit und Jugend: Selbst-/Persönlichkeitsentwicklung und Geschlechtstypisierung Prof. Dr. Simon Forstmeier WS 2024/25 uni-siegen.de www.uni-siegen.de Fragen stellen über Particify https://crs.zimt.uni-siegen.de/p/61399211 Vorlesung 6 2 Selbst-/Persönlichkeitsentwicklung und Geschlechtstypisierung Entwicklung des Selbstkonzepts Ältere theoretische Ansätze Neuere theoretische Ansätze Entwicklung des Selbstkonzepts in Kindheit und Jugend Geschlechtstypisierung Geschlechtsunterschiede in der Entwicklung Theorien zu Erklärung von Geschlechtsunterschieden 3 Entwicklung des Selbstkonzepts "Dieses Foto" von Unbekannter Autor ist lizenziert gemäß CC BY-ND Zwei Komponenten des Selbst Selbstkonzept Kognitive Komponente des Selbst Wissen um das, was die eigene Person ausmacht Selbstwert Affektive Komponente des Selbst Bewertungen der eigenen Person oder von Aspekten, die die eigene Person ausmachen "Dieses Foto" von Unbekannter Autor ist lizenziert gemäß CC5BY-NC Ältere theoretische Ansätze: William James (1842-1910) Selbst als duales Phänomen Selbst als Subjekt: das unmittelbare Selbsterleben Selbst als Objekt: das Wissen um die eigene Person (das Selbstkonzept) Materielles Selbst: Wissen um den eigenen Körper Spirituelles Selbst: Wissen um die eigenen Eigenschaften (Persönlichkeit, Einstellungen) Soziales Selbst: Wissen um die Sicht anderer auf sich selbst 6 Ältere theoretische Ansätze: Erik Erikson Diese Folie wird nachgereicht 7 Frage: Welche psychosozialen Krisen nimmt Erikson für die verschiedene Altersabschnitte an? Bitte in die richtige Reihenfolge bringen. 1. Säuglingsalter (1. Lebensjahr) 2. Frühes Kindesalter (1-3 Jahre) 3. Mittleres Kindesalter (3-5 Jahre) 4. Spätes Kindesalter (bis Pubertät) 5. Adoleszent (ab Pubertät) 6. Frühes Erwachsenenalter (ab 20 Jahren) 7. Mittleres Erwachsenenalter (ab 40 Jahren) 8. Höheres Erwachsenenalter (ab 60 Jahren) https://crs.zimt.uni-siegen.de/p/61399211 Vorlesung 6 8 Ältere theoretische Ansätze: Erik Erikson 9 Neuere theoretische Ansätze Hierarchische Modelle des Selbstkonzepts (Shavelson, Marsh) Informationstheoretische Ansätze (Filipp) 10 Neuere theoretische Modelle: Hierarchisches Selbstkonzeptmodell von Shavelson et al. (1976 ) 11 Neuere theoretische Modelle: Hierarchisches Selbstkonzeptmodell Erfassung z.B. mit Hilfe des Personal and Academic Self-Concept Inventory (PASCI; Fleming & Whalen, 1990) Beispielitems: Hältst du dich oft für einen herausragenden Schüler? Glaubst du jemals, dass du in Mathematik begabter bist als die meisten deiner Klassenkameraden? Hast du jemals gedacht, dass du Artikel und Lehrbücher besser lesen und aufnehmen kannst als die meisten Menschen? praktisch niemals __ __ __ __ __ __ __ sehr oft (https://stelar.edc.org/sites/default/files/Fleming%202007.pdf) 12 Neuere theoretische Modelle: Hierarchisches Selbstkonzeptmodell Eigenschaften des Selbstkonzepts nach Shavelson et al. (1976) strukturiertes Gefüge mehrdimensionaler Aufbau hierarchische Organisation Stabilität Zunehmende Ausdifferenzierung im Laufe der Entwicklung Bedeutsame Bezüge zu Drittvariablen Empirische Bestätigung für die meisten Modellannahmen (z.B. Marsh & Shavelson, 1985) Hinweise auf Trennung des schulischen Selbstkonzept in mathematisches und sprachliches Selbstkonzept. 13 Neuere theoretische Modelle: Hierarchisches Selbstkonzeptmodell Modell des externalen und internalen Bezugsrahmens („external / internal frame of reference“, Marsh, 1986) Positive Zusammenhänge zwischen mathematischen und sprachlichen Leistungen Aber: Nullzusammenhänge zwischen den mathematischen und sprachlichen Selbstkonzepten (Marsh & Yeung, 1998) negative Zusammenhänge zwischen Leistungen in einem Bereich und jeweils anderem Selbstkonzept Erklärung: Externaler Bezugsrahmen: Interindividuelle Vergleiche Internaler Bezugsrahmen: Intraindividuelle Vergleiche 14 Neuere theoretische Modelle: Hierarchisches Selbstkonzeptmodell Geschlechtsunterschiede: Keine Unterschiede beim globalen Selbstkonzept Aber: Positiveres Selbstkonzept der Mädchen bei sprachlichen Leistungen sowie der Jungen beim mathematischen Selbstkonzept (z.B. Schilling, Sparfeldt & Rost, 2006) Letzteres selbst dann, wenn Mädchen gleich gute Leistungen wie Jungen Geschlechtsrollenvorstellungen 15 Neuere theoretische Modelle: Informationsverarbeitungsansatz Informationsverarbeitungstheoretischer Ansatz: Das Selbst als momentanes Ergebnis der Verarbeitung selbstbezogener Information. Modell der selbstbezogenen Informationsverarbeitung (Filipp, 1984) Fünf Quellen selbstbezogenen Wissens: Direkte Prädikatenzuweisungen durch andere Personen Indirekte Prädikatenzuweisungen durch andere Personen Komparative Prädikatenselbstzuweisungen Reflexive Prädikatenselbstzuweisungen Ideationale Prädikatenselbstzuweisung 16 Neuere theoretische Modelle: Informationsverarbeitungsansatz Modell der selbstbezogenen Informationsverarbeitung (Filipp, 1984) 17 Der Rouge-Test https://lehrbuch-psychologie.springer.com/videos/437 Entwicklung des Selbstkonzepts: Frühe Kindheit Ab etwa Mitte des 2. Lebensjahres: Fähigkeit zur visuellen Selbsterkenntnis mittels des „Rouge-Tests“ (Amsterdam, 1972) Verwendung des eigenen Namens Beginn der Nutzung von Personalpronomina Ab etwa 4 Jahren: Existenz eines autobiografischen Gedächtnisses und Erleben des Selbst als zeitlich invariante Entität (z.B. Lemmon & Moore, 2001) 19 Entwicklung des Selbstkonzepts: Vorschulalter Fähigkeit, sich selbst aus einer fremden Perspektive zu betrachten und Diskrepanzen zwischen Real-Selbst und Soll-Selbst zu erkennen Folge: bei Diskrepanz Auftreten negativer selbstbezogener Emotionen (Scham, Schuld), evtl. Selbstwerteinbußen Selbstkonzept eher unstrukturiert, inkohärent Basiert auf sehr konkreten und beobachtbaren Selbstaspekten (z. B. „Ich habe blaue Augen“, „…kann schon bis 10 zählen“) „Alles-oder-Nichts“-Denken (z. B. entweder nett oder gemein) Häufig unrealistisch positive Selbstbeschreibungen 20 Entwicklung des Selbstkonzepts: Schulalter Zunehmend höhere Relevanz sozialer Vergleiche komparative Prädikatenselbstzuweisung Big-fish-little-pond-Effekt (Marsh & Hau, 2003) Kulturübergreifend empirisch belegt (Marsh & Hau, 2003) Zunehmend Lehrer als Quelle selbstbezogenen Wissens Zunehmende Strukturierung und Kohärenz des Selbstkonzepts Zunehmend realistischere Selbsteinschätzung 21 Entwicklung des Selbstkonzepts: Jugendalter Erhöhte Selbstaufmerksamkeit und Selbstreflexion Zunehmende Bedeutung von reflexiven und ideationalen Prädikatenselbstzuweisungen Ergänzung des Selbstkonzepts durch vergangene und antizipierte, d.h. zukünftig erwartete Selbsterfahrungen Ausbildung eines Persönlichkeitskonzeptes (Allik, Laidra, Realo & Pullmann, 2004) soziale Rollen Suche nach dem „wahren Ich“ Ablösung vom Elternhaus und Erfahrung von Autonomie begünstigt Selbstkonzeptentwicklung 22 Entwicklung des Selbstkonzepts: Jugendalter https://lehrbuch-psychologie.springer.com/videos/437 Entwicklung des Selbstkonzepts: Jugendalter Zunehmende Bedeutung des Körperselbstkonzepts durch pubertätsbedingte, körperliche Veränderungen Facetten des Körperselbstkonzepts: Sportliche Kompetenz Physische Attraktivität Körperliche Fitness Physische Kraft Jungen in allen Bereichen positivere Werte als Mädchen (Hagger, Biddle & Wang, 2005) Erklärung: Unrealistische und überhöhte weibliche Schönheitsideale 24 Entwicklung des Selbstwerts: Jugendalter Kein klarer Zusammenhang zwischen ausdifferenziertem Selbstkonzept und Selbstwert (s. Campbell, 1990) Durchschnittlicher Entwicklungsverlauf des Selbstwerts (Robins et al., 2002): im Vorschulalter: unrealistisch positiver Selbstwert, mittlere Kindheit bis Jugend: kontinuierliches Absinken Jugendalter: Tiefpunkt Geschlechtsunterschiede Ursachen: Zunehmend realistische Selbstbeurteilung durch soziale Vergleiche Zunehmende Bedeutung des Körperselbstkonzepts Einbezug von stabilen Persönlichkeitseigenschaften Zukunftsperspektiven Interventionsmöglichkeiten 25 Entwicklung des Selbstwerts: Jugendalter 4 Verlaufsgruppen (Zimmerman et al., 1997) Frage: Gibt es Geschlechtsunterschiede hinsichtlich dem Selbstwertverlauf? https://crs.zimt.uni-siegen.de/p/61399211 Vorlesung 6 27 Geschlechtstypisierung "Dieses Foto" von Unbekannter Autor ist lizenziert gemäß CC BY-SA Geschlechtsunterschiede in der Entwicklung Motorik: Jungen > Mädchen: Aktivitätsniveau Entwicklungsverlauf motorischer Leistungen Mädchen > Jungen: Feinmotorik, Geschicklichkeit Erklärung durch Unterschiede in anthropometrischen Maßen ( Fettanteil am Körpergewicht und Körpergröße) Intellektuelle Fähigkeiten: Mädchen > Jungen: Biowissenschaften, sprachliche Kompetenzen (Sprachentwicklung früher) Jungen > Mädchen: mathematisch-naturwissenschaftliche Fächer (besonders Physik, Chemie), Problemlösen bessere räumliche Fähigkeiten (z. B. mentale Rotation) 29 Geschlechtsunterschiede in der Entwicklung Geschlechtsunterschiede in der Entwicklung Mittelwerts- oder Variabilitätsunterschiede? Studien zu Geschlechtsunterschieden = Mittelwertunterschiede Variabilitätsunterschiede? 31 mathematisch-naturwissenschaftlicher Bereich: 1b Geschlechtsunterschiede in der Entwicklung Sozialverhalten: Hilfsbereitschaft kontextabhängig (bei Männern > Frauen) Voraussetzung für Hilfehandeln: Sensitivität für das Ausdrucksverhalten eines Gegenübers (Mädchen > Jungen) Mögliche Erklärungen: Geschlechtstypische Erwartungen Geschlechtsspezifische neurologische Reifung Höhere Empathie 32 Geschlechtsunterschiede in der Entwicklung Aggression Jungen > Mädchen: physische Aggression Mädchen > Jungen: Soziale / indirekte Aggression Ausmaß geschlechtsuntypischer Aggressionsformen Anpassungsprobleme 33 Erklärung von Geschlechtsunterschieden Biologische Faktoren: Chromosomale Einflüsse Hormonelle Einflüsse Unterschiede in Gehirnstrukturen Reifungstempo Zentrale Erklärungsmechanismen für Geschlechtsunterschiede aus der sozialen Lerntheorie: Operantes Konditionieren Modelllernen Kognitive Ansätze: Geschlechtskonstanz Geschlechtsschemata Freepik/talkinapa 34 Geschlechtskonstanz https://lehrbuch-psychologie.springer.com/videos/437 Entwicklungstheorie der Geschlechtskonstanz nach Kohlberg (1966) Nachahmung gleichgeschlechtlicher Modelle ist Folge eines kognitiven Entwicklungsprozesses Geschlechtsidentität (ab Mitte des 3. Lebensjahres): Bestimmung des eigenen Geschlechts und Differenzierung vom fremden Geschlecht Geschlechtsstabilität (ab 3. bis 4. Lebensjahr): Wissen über die zeitliche Unveränderbarkeit des Geschlechts Geschlechtskonstanz (ab Mitte des 5. Lebensjahrs): Wissen über die Unabhängigkeit des Geschlechts von äußeren Einflussgrößen 36 Geschlechtsschematheorien zur Erklärung von Geschlechtsunterschieden Schema: kognitive Struktur, die Wahrnehmung, Speicherung und Abruf von Informationen lenkt und sich in bedeutsamer Weise auf das beobachtbare Verhalten auswirkt. Theorien: Schemaverarbeitungsmodell (Martin & Halverson, 1981) Geschlechtsschematheorie (Bem, 1981) 37 Schemaverarbeitungsmodell (Martin & Halverson, 1981) Allgemeines Geschlechtsschema („overall ingroup-outgroup-schema“): Unterscheidung von männlich und weiblich Differenzierung zwischen Merkmalen der Geschlechter Eigengeschlechtliches Schema („own-sex-schema“): zur Selbsteinordnung auf der Dimension männlich-weiblich Elaboration einer differenzierten Wahrnehmung des eigenen Geschlechts und seiner Merkmale Geschlechtsangemessenheit Schemaentwicklung zu Beginn des 4. Lebensjahres mit der korrekten Geschlechtszuordnung 38 Geschlechts-Schema-Theorie (Bem, 1981) Annahme eines Zusammenhangs zwischen Geschlechtstypisierung und Verarbeitung geschlechtsbezogener Informationen Ausmaß der Femininität und Maskulinität als Indikator für Grad der Geschlechtstypisierung Erhebung des Ausmaßes der Femininität und Maskulinität typischerweise durch Fragebogenitems unabhängige Dimensionen Niedrige Maskulinität Hohe Maskulinität Hohe Femininität Feminin Androgyn Niedrige Femininität Undifferenziert Maskulin 39 Ergebnisse zur Geschlechts-Schema-Theorie (Bem, 1981) Grad der Maskulinität steht im Zusammenhang mit: Höherem globalem Selbstwert Höheren schulischen Kompetenzerwartungen (vor allem bei Mädchen) Höherer, selbstberichteter sozialer Akzeptanz Hohem körperlichem Selbstkonzept Grad der Femininität steht im Zusammenhang mit: Selbstberichteter Folgsamkeit gegenüber Erziehungsinstanzen 40 Gender Self-Socialization Model (GSSM) (Tobin, … & Perry, 2010) 5 Dimensionen der Geschlechtsidentität Geschlechts-Selbstkategorisierung: das Bewusstsein über die eigene Zugehörigkeit zu einer Geschlechtskategorie Geschlechtszufriedenheit: Zufriedenheit mit dem eigenen Geschlecht Empfundener Druck zur Geschlechtskonformität: wahrgenommener Druck von sich selbst und anderen, Geschlechtsstereotypen zu entsprechen Geschlechtstypizität: wahrgenommene Ähnlichkeit mit anderen der gleichen Geschlechtsgruppe Geschlechtszentralität: die Bedeutung des Geschlechts im Verhältnis zu anderen Identitäten, z. B. ethnischer Identität 41 Gender Self-Socialization Model (GSSM) (Tobin, … & Perry, 2010) 42 Tobin et al. (2010). Psychological Review, 117(2) // Perry et al. (2019). Int J Behavioral Development, 43(4)