Harter Stil - Henrike Naumann und das DDR-Gemälde (PDF)

Summary

In Chemnitz zeigt die Künstlerin Henrike Naumann eine Performance. Sie bringt ein monumentales DDR-Gemälde ihres Großvaters wieder zum Vorschein. Die Performance ist Teil einer Biennale und befasst sich mit Kunst und DDR-Geschichte.

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KU LT U R ßend – und nun zur Techno-Variante Hard- style – drei Jumper. Sie bewegen sich in Hoch- geschwindigkeit. Alle wirken, wie schon bei den Proben am Vorabend, hoch konzentriert. Harter Stil Die Darbietung ist Teil einer Biennale, im Publikum befinden sich Kulturleute aus der Hauptstadt, Freunde der Tanzenden aus Sachsen, man klatscht mit. Wann geschieht das sonst bei einer Kunstperformance? Wann KUNST Henrike Naumann baute einst das Jugendzimmer der geschieht das bei Hardstyle-Techno? Naumann wirkt begeistert. Verständlich- Rechtsterroristin Beate Zschäpe nach, nun lässt sie ein keit ist ihr wichtig, und diese Tanzshow hat monumentales DDR-Gemälde ihres Großvaters wiederauferstehen. sicher jeder begriffen. Sie handelt auch davon, dass der Osten des Landes (inklusive seines Kunsterbes) überraschender und vielfältiger C hemnitz, ein Morgen im späten Septem- figen Foyer der Stadthalle, die sich an den ist, als es die Klischees unterstellen. ber. Die Künstlerin Henrike Naumann Hotelturm anschließt und ebenso ein Erbe Die Tanzenden sind gekleidet wie die sitzt mit Mini-Pancakes im Frühstücks- der DDR ist. Eine perfekte Kulisse. Arbeiter und Bauern auf dem Wandgemälde, lokal in Etage 26 des früheren DDR-Inter­ Naumann ist eine der gefragtesten deut- von dem im Foyer Poster ausliegen. Es heißt hotels Kongress, direkt am Fenster. In einem schen Künstlerinnen ihrer Generation. In der »Die Mechanisierung der Landwirtschaft« Gebäude da unten, es steht in der Straße der Stadthalle wird die 39-Jährige als »It-Girl der und zeigt das Humankapital des einst jungen Nationen, gibt es ein monumental großes ostdeutschen Kunstszene« angekündigt. Das Staates: Frauen mit Kopftüchern und mit Äh- Wandgemälde, 11 Meter breit, 3,80 hoch, fand sie lustig, sagt sie anschließend, weil es ren in den Händen, Männer mit Mützen, zwei ­geschaffen in der Zeit des Mauerbaus. »leicht trashig« klinge. in Unterhemden, einer mit dicker Schürze, Nur kann man es nicht sehen. 2002 wurde Kurz nach 17 Uhr geht es los. Zuerst schallt mittendrin ein Herr mit Zeichenblock, wohl eine Wand davorgesetzt. Und die will Nau- aus Boxen sogenannter Death Country. Ein der Künstler unter den Werkschaffenden, der mann, vorerst noch im übertragenen Sinn, Lied, mit sanfter Stimme gesungen, handelt malende Arbeiter, auch er gehört zum sozia- einreißen. von einer waffenvernarrten Frau und heißt listischen Traum. Wegen des verborgenen Bildes – das Opfer »Mood for Hate«, Hassgefühl. Ortsansässige »Mein Lebensziel ist es, es eines Tages eines eigenen Mauerbaus wurde – ist sie in Hobbytänzerinnen und -tänzer treten vor. Zu- wieder freizulegen«, sagte Naumann über das der Stadt. Später am Tag will sie das Gemäl- erst nicht mehr ganz junge Frauen und Män- Bild, als sie die Gäste begrüßte. Das so zu de sichtbar machen. Sozusagen. Geschehen ner, die ihre akkuraten Schrittfolgen sonst zu äußern, ist fast mutig. Denn mehr als Archi- wird das mit einer Performance im weitläu­ gängigen Countrysongs ausführen. Anschlie- tektur oder andere kulturelle Hinterlassen- Künstlerin Naumann (l.), Teilnehmerin bei Performance in Chemnitz: Dem Wandbild des einstigen Arbeiterstaats neues Leben einhauchen 120 DER SPIEGEL Nr. 41 / 5.10.2024 KU LT U R schaften des Landes ist die Kunst der DDR in der Nähe Zwickaus aufwuchs und im Ost- lassen sich ihre Anfänge als bildende Künst- wegen ihrer damaligen Staatsnähe nach wie teil Berlins lebt, in erster Linie als die kriti- lerin datieren. vor ein Tabu. sche, künstlerische Stimme aus dem Osten Damals flogen in der Nachbarschaft ihrer Das Werk stammt vom Großvater der und zum Osten. Dabei geht es ihr genauso Großmutter in Zwickau, in der Frühlingsstra- Künstlerin, dem 1997 verstorbenen und um die Haltung des Westens zu den neuen ße, große Teile eines Hauses in die Luft. Eine ­nahezu vergessenen Maler Karl Heinz Jakob. Bundesländern. Wohnung darin hatte als Unterschlupf für die Dagegen ist seine Enkelin, 1984 geboren, aus Denn die Wiedervereinigung hat ja funk- drei Haupttäter des rassistischen NSU ge- der Kunstgeschichte nicht wegzudenken. tioniert, nur nicht wie erhofft, auch darauf dient, des »Nationalsozialistischen Unter- Bekannt wurde Naumann mit statischer wollte Naumann stoßen. Rechtsradikale aus grunds«, der für zehn Morde verantwortlich Kunst, mit Zusammenstellungen von eher Sachsen, Thüringen und Franken waren sich ist. Naumann holte sich ein Stück verkohlte geschmacklosen Möbeln, die für sie wichtige bald nicht nur geografisch nah. Der Westen Tapete und einen Teppichrest aus der Ruine. Dokumente sind. Für viele ist die Künstlerin überschwemmte den Osten nach 1989 mit Was sie trieb? Neugier und der Wunsch, ihre seitdem die Frau mit der Schrankwand. Nun vielem, mit Konsumgütern, Drogen, Ideo- Sicht auf das Terrorphänomen NSU in ihrem will sie gesellschaftlichen Stereotypen offen- logien. Abschlussprojekt für die Filmhochschule zu bar auf andere Weise begegnen, sie experi- Ihre eigene Heimatgegend sei, so sagt sie verarbeiten. mentiert mit Performances wie dieser in nun, zur »Negativ-Avantgarde für das gewor- Sie sagt, ihr sei klar geworden, dass sie Chemnitz und mit »Lectures«, so nennt sie den, was in Deutschland alles möglich ist«. nicht – wie es ihre Ausbildung nahegelegt ihre bebilderten Vorträge. Sie hielt gerade Zugleich würden die guten Entwicklungen hätte – Szenenbildnerin werden wollte. Statt- einen in Harvard bei Boston. ignoriert und im Osten gerade jene Leute dessen wollte sie mit ihren Mitteln daran er- Übrigens wirkt sie selbst wie ein Kunst- übersehen, die sehr wohl die Fahne der De- innern, dass niemand aus dem Nichts kommt, werk. Das schwarze glatte Haar trägt sie mokratie hochhielten und sich nicht so leicht dass junge Rechtsextreme ein Umfeld haben. streng gescheitelt. Dazu eine randlose Brille, unterkriegen ließen. Dass aus ganz normalen Wohnungen Terro- gern einen grauen Anzug, auffällige Finger- Bisher war die Nachwendezeit das Haupt- ristenquartiere werden können. nägel, metallisch glänzend. Sie nennt es »mei- thema der Künstlerin. Naumann wurde 1990 Für ihre Diplomarbeit baute sie Versatz- ne Arbeitskleidung«. Ihr scharf konturiertes eingeschult, im Laufe des Jahrzehnts zum stücke eines Raums auf, stellte so das Teen- Äußeres ist ein Widerspruch zu ihrer zuge- Teenager – und einige andere Jugendliche, agerzimmer der späteren NSU-Terroristin wandten Art, sie ist schlagfertig. Die Frage, mit denen sie früher gespielt hatte, wuchsen Beate Zschäpe nach oder zeigte, wie sie es wie sie ihr hohes Arbeitspensum bewältigt, zu Neonazis in Bomberjacken heran. »Ich sich vorstellte. Inspiriert hatten sie öffentlich beantwortet sie etwa mit einem Zitat von Kim dachte, wir kennen uns doch, woher kommt gewordene Jugendfotos. Kardashian, »die hat einmal gesagt: Ich mag das?«, so habe sie sich damals gewundert. Naumann arrangierte Schreibtisch- und es einfach, die Dinge zu erledigen«. Sie wollte weg, studierte in Dresden Büh- Klappstuhl, CD-Ständer, Micky-Maus-Figur, Trotz aller Anerkennung ist Naumann nen- und Kostümbild, in Potsdam an der Film- eine Reichskriegsflagge. Auf zwei Fernseh- auch ein Missverständnis. Vielen gilt sie, die hochschule Szenografie. In diese Zeit, 2011, geräten ließ sie Filme in VHS-Qualität lau- Sven Döring / DER SPIEGEL (3) Laiendarsteller bei Naumann-Show: Gegen die ostdeutschen Klischees antanzen Nr. 41 / 5.10.2024 DER SPIEGEL 121 KU LT U R fen. Der Raum wirkte, als hätte sich der Hass, gangenen Jahr fuhr sie selbst in das geschun- die Bereitschaft zum Töten in diese Banalität dene Land, choreografierte dort für eine geschlichen. Und: Als wäre das Banale auch Biennale ihre erste Performance. Tarnung. In Chemnitz beschreitet sie mit ihren In ihr Konzept für die Arbeit schrieb Nau- Laientänzern nun den Weg weiter zurück, in mann, sie habe das Gefühl gehabt, nicht nur die Vorwendezeit. Während der Proben sei Staat, Polizei und Verfassungsschutz hätten viel über die DDR geredet worden, so erzählt zu lange weggeschaut, wie der NSU mordete, sie es – auch über die Kunst von damals, die »sondern auch ich«. Diese Organisation sei heute kaum noch präsent sei. So wie »Die nicht »von Außerirdischen in Jena oder Mechanisierung der Landwirtschaft«, das Bild ­Zwickau abgesetzt« worden, sagt sie heute des Großvaters. noch. »Um der Radikalisierung auf den Jakob hatte es für den Rat der Stadt – die Grund zu gehen, musste ich erst einmal in die damals Karl-Marx-Stadt hieß – gemalt. Spä- Olesia Saiienko Neunzigerjahre zurück.« So wurde dies ihr ter wurde es von der Industrie- und Handels- Jahrzehnt. Und Möbel wurden ihre Sprache. kammer überbaut, man wollte den Raum für Mit beidem wusste sie auch zu provozieren, Tagungszwecke nutzen und moderner gestal- etwa, wenn sie ihre Settings »Anschluss ’90« Naumann-Performance in der Ukraine 2023 ten. Jegliche Auftragskunst aus den DDR- nannte. Jahren stand außerdem im Verdacht, belastet Fortan ging sie in Sozialkaufhäuser, durch- zu sein, fast so sehr wie Werke der NS-Zeit. forstete Ebay. Sie besorgte Schrankwände, Naumanns Großvater war in der Diktatur vor allem solche mit wellenförmigen Griffen der DDR ein durchaus geschätzter Künstler, oder Aufsätzen, die an Pyramiden erinnern. was das Projekt der Enkelin in gewisser Wei- Im Osten tauchten die Möbelhaus-Variatio- se heikel erscheinen lässt. Ihr Zugang zum nen des Postmodernismus nach der Wende Staatstragenden wirkt persönlich, sie nimmt massenweise auf, im Westen war dieser Trend den Großvater in Schutz, er sei kein Staats- schon wieder aus der Mode. Die offenen künstler gewesen. Das zeige gerade das ­Fächer ihrer Schränke schmückte sie aus, Wandbild. Zwar habe er sich offenbar an den mit Fellen und TV-Geräten, Zinntellern zur verordneten Stil des sozialistischen Realismus deutschen Einheit, auch mit Waffen. gehalten. Aber die Gesichter der Figuren habe Wenn sich das Publikum in ihre schwarzen er nicht so zuversichtlich gemalt wie ge- Kunstledersofas sinken ließ, dann zugleich in wünscht. Die lokale Presse habe ihn sogar mit die Welt der Prepper, der Reichsbürger, der einem – wie sie es nennt – Shitstorm bestraft. Neonazis. Die Räume waren so durchkonzi- Ihrer Performance gab sie den Titel »Hard piert wie bei Ikea, eine gespenstische Möbel- Style«, nach der Musik, nach dem Malstil ausstellung. Naumann nannte sie »Das Reich« ihres Großvaters, vielleicht auch wegen der Sebastian Eg gler oder »DDR Noir«. harten Kritik an seinem Bild. Vom österreichischen »Standard« wurde Doch sie wolle nichts beschönigen, das sie mal gefragt, weshalb ein Sandmännchen wolle sie nie, sondern einen Diskurs anstoßen. aus Plüsch in einem ihrer Räume ein Cape Vor Kurzem eröffnete das auf deutsche Naumann-Arbeit im Berliner Mauer-Mahnmal mit der Aufschrift »Böhse Ossis« trage, ein Kunst spezialisierte Museum der Universität Verweis auf die berüchtigte Westgruppe Sounds aus dem Archiv, die sie in Koopera- Harvard die Ausstellung »Made in Germa- ­Böhse Onkelz. Sie antwortete, ihr gehe es tion mit einem Musiker auch schon ausgrub, ny?«. Enthalten ist Naumanns Installation »um ein Spiel mit dem Image, dass der Ossi brachte sie das Publikum auf einer Biennale »Ostalgie«, ein um 90 Grad gekippter Raum. vielleicht härter und brutaler sei … Mich be- in Haiti und der Documenta in Kassel zum Man bat sie anlässlich der Vernissage um schäftigt, dass vieles, woran ich schöne Er- Tanzen. einen ihrer Vorträge. Sie sprach über KI-Ex- innerungen habe, auch eine dunkle Seite hat«. Innerhalb weniger Jahre wurde sie zur perten im Umfeld der AfD, in deren Memes So konfrontiert sie den Betrachter mit Künstlerin, an der man kaum mehr vorbei- sehr blonde, sehr selbstzufriedene Bauern grundsätzlichen Fragen: Worauf blicken wir, kommt. Der Kunstbeirat des Bundestags bat auftauchen. Die bäuerlichen Gestalten auf wenn wir uns Geschichte und Gesellschaft sie für dieses Jahr – in dem das Grundgesetz dem Chemnitzer Auftragsbild, von dem sie ansehen? Warum schauen wir nicht auf das 75 Jahre alt wurde – um eine Ausstellung im ebenfalls eine Reproduktion zeigte, wirkten Naheliegende, das Alltägliche? Lassen wir Mauer-Mahnmal des Parlaments und wies im Vergleich sofort noch weniger utopieselig. Ambivalenzen zu? beeindruckt auf die »verstörende Aktualität« Darüber hinaus machte sie deutlich: Das Bäu- Als Naumann 2021 fürs Germanische Na- der gezeigten Arbeiten hin. Die handeln von erliche ist, in extremen Systemen und Kreisen, tionalmuseum in Nürnberg eine Installation den Reichsbürgern und anderen Demokratie- ein beliebtes Motiv. schuf, fiel ihr auf: Das renommierte Museum feinden, die sich den Sturz des Systems wün- In diesen Tagen veröffentlicht sie im Bier- besitzt zwar Objekte aus der Steinzeit, aber schen. Von Leuten aus Ost und West. ke Verlag ein Werkverzeichnis in einem Edel- kaum welche aus den Jahren nach 1980. Doch Längst wächst sie aber über Deutschland stahlordner, so schließt sie ihr Frühwerk ab. da beginne die obere Fundamentschicht der und seine Probleme hinaus. 2022 eröffnete Enthalten ist auch ein bis heute unbeantwor- Gegenwart, der sich Naumann bisher so in- sie in New York eine Ausstellung, in der sie – teter Brief an Angela Merkel mit dem Vor- tensiv widmete. Kunstwissenschaftler nennen auch mit Mobiliar, das dem in der einstigen schlag, ihr Porträt zu erschaffen, das in der ihre Arbeitsweise passenderweise eine »zeit- Kollektion »Trump Home« ähnelte – dem Galerie im Kanzleramt immer noch fehlt. geschichtliche Archäologie«. Sturm aufs Kapitol in Washington ein nega- Für Merkel wäre es ein Risiko, sie zu be- Zugleich hat Naumann das für die Kunst tives Denkmal setzte. auftragen. Üblich sind in der Kanzlergalerie des 20. Jahrhunderts so wichtige »Ready- Bereits Ende 2021 war einer ihrer Räume schmeichelhaft gemalte Bildnisse. Naumann made« ins 21. Jahrhundert gerettet, also die in Moskau zu sehen. Zufälligerweise stand ist weder Malerin noch eine Künstlerin, die Methode, aus Alltagsgegenständen Kunst zu zeitgleich eine weitere Installation aus Mö- schmeichelt. Sicher wäre: Ihre Originalität machen. »Ich will alles finden und mir nichts beln in Kiew, dann marschierten die russi- würde alles andere in den Schatten stellen. ausdenken«, so formuliert sie es. Mit Trance- schen Soldaten in die Ukraine ein. Im ver- Ulrike Knöfel  n 122 DER SPIEGEL Nr. 41 / 5.10.2024

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