ICD-11 – Die Neue Definition von Persönlichkeitsstörungen

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Pädagogische Hochschule Salzburg Stefan Zweig

Dr. Ulrike Kipman

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Persönlichkeitsstörungen ICD-11 Diagnostik Psychische Störungen

Summary

Diese Präsentation beschreibt die neuen Definitionen von Persönlichkeitsstörungen im ICD-11. Sie betont die Kodierungsänderungen und die multidimensionale Diagnostik. Die Änderungen im ICD-11 beinhalten neue Kapitel, neue Codes und eine grundlegende Reform der Klassifizierung von Persönlichkeitsstörungen.

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ICD-11 – Diagnostik DDDr. Ulrike Kipman Allgemeines Kodierungen: Die Kodierungen bestehen nun aus einem Buchstaben, gefolgt von Zahlen (z. B. 1A00, 6C40), was die Kodierung flexibler macht. Multidimensionale Kodierung: Möglichkeit, zusätz...

ICD-11 – Diagnostik DDDr. Ulrike Kipman Allgemeines Kodierungen: Die Kodierungen bestehen nun aus einem Buchstaben, gefolgt von Zahlen (z. B. 1A00, 6C40), was die Kodierung flexibler macht. Multidimensionale Kodierung: Möglichkeit, zusätzliche Informationen (z. B. Schweregrad, Verlauf oder spezifische Kontexte) direkt in den Codes anzugeben. Neue Kapitel: Die Anzahl der Kapitel wurde von 21 (ICD-10) auf 28 Kapitel erhöht. Beispiele für neue Was ist Kapitel, neue Kapitel sind z.B. "Krankheiten des Immunsystems„, „Sexuelle Gesundheit“ und "Schlaf- Wach-Störungen„. generell Webbasierte Nutzung: Die ICD-11 wurde primär für die digitale Nutzung entwickelt, was die Suche nach neu? Diagnosen und die Integration in elektronische Gesundheitssysteme erleichtern soll Trennung und Verlagerung von Diagnosen (Demenz, PTBS…) Entfernung von Diagnosen (Geschwisterrivalität…) Neue Diagnosen (Trennungsangst im Erwachsenenalter…) Psy-Diagnosen / Änderungen Codes (WHO, 2024) A 6A - Psychische Störungen: Hierzu gehören z. B.: 6A00: Schizophrenie. 6A80: Angststörungen. 6A40: Bipolare Störungen. 6A90: Depressive Störungen. B B - Entwicklungsstörungen: Diese Kategorie umfasst Entwicklungsverzögerungen und - störungen, wie: 6B00: Intellektuelle Entwicklungsstörungen (früher „geistige Behinderung“). 6B80: Autismus-Spektrum-Störungen. C 6C - Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen: Beispiele: 6C10: Borderline-Persönlichkeitsstörung. 6C40: Paranoide Persönlichkeitsstörung. D D - Neurokognitive Störungen: Umfasst z. B.: 6D80: Demenz bei Alzheimer-Krankheit. 6D84: Demenz bei vaskulären Erkrankungen. E 6E - Störungen durch Substanzkonsum: Beispiele: 6E10: Alkoholabhängigkeit. 6E50: Cannabiskonsumstörung. Neu Neu Neu! Die Persönlichkeitsstörungen wurden grundlegend reformiert Spielsucht wurde als eigene Störung (6C50) mitaufgenommen. Während in der ICD-10 pathologisches Spielen auf das Glücksspiel (F63.0) beschränkt war, wurde in der ICD-11 auch die Computerspielsucht (Gaming Disorder, 6C51) als Störung hinzugenommen. Auch zwanghaftes Sexualverhalten (6C72) ist erstmals als eigenständige Impulskontrollstörungen diagnostizierbar. Hierunter zählt eine schädigende über sechs Monate andauernde Sexsucht, Internetsexsucht oder Telefonsex (vgl. Hypersexualität). Trennungsangst, die in der ICD-10 nur auf Kinder beschränkt (F93.0: Emotionale Störung mit Trennungsangst des Kindesalters) war, wird in der ICD-11 bei den Angststörungen einsortiert (6B05), die auch Erwachsene miteinschließt. Ebenso kann der selektive Mutismus (6B06) als eigenständige Angstdiagnose altersgruppenübergreifend kodiert werden. … Andere neue Codes … Exkurs: Burnout Burnout (QD85) wird weiterhin nicht als Krankheit, sondern als berufsbedingte Symptomatik definiert. Im Unterschied zur ICD-10 sind die Kriterien in der ICD-11 deutlich genauer definiert. Ähnlich wie bei „Gender Dysphoria“ und „Persönlichkeitsproblematik“ eröffnet diese Codiermöglichkeit Zugang zum Versorgungssystem ohne Feststellung einer Krankheit im engeren Sinne. F 60 / F 61 Die größten Änderungen zuerst  Die neue Definition von Persönlichkeitsstörungen Persönlichkeitsstörungen, wie wir sie derzeit kennen… (Beschreibung aus dem IKP von Andresen (2006)) https://www.icd-code.de/suche/icd/code/ F60.-.html?sp=SF60 Noch mehr… (Beschreibung aus dem IKP von Andresen (2006)) Kriterien Sie werden diagnostiziert, wenn allgemeine Kriterien einer PS (merklich abweichendes, zeitlich überdauerndes Muster von Kognitionen, Affekten, zwischenmenschlichem Verhalten oder Impulsivität, das unflexibel und tiefgreifend ist und ihren Beginn in Adoleszenz oder jungem Erwachsenenalter hat) und eine ausreichende Anzahl aus einem Satz von acht bis zehn Kriterien für eine spezifische PS erfüllt sind. BOR: 5 von 10 verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu verhindern, emotionale Instabilität, intensive und instabile zwischenmenschliche Beziehungen mit Wechsel zwischen Idealisierung und Entwertung, Identitätsstörung, Suiziddrohungen, Selbstverletzungen, Schwierigkeiten Wut zu kontrollieren, Impulsivität in potentiell selbstschädigenden Bereichen, chronische Gefühle der Leere (Falkai und Wittchen et al. 2015; WHO 1992). Kritik Für die BPS ergeben sich beispielsweise 256 verschiedene Symptomkonstellationen im DSM und bei fünf von neun Kriterien können zwei Patienten u. U. nur ein einziges Symptom überlappend präsentieren. Für die zwanghafte PS mit vier von acht Kriterien ist es sogar möglich, überhaupt keine Überlappung mit einer anderen Person zu haben, und dennoch die gleiche Diagnose zu bekommen (Samuel und Griffin 2015). Stuart, 1998 Kipman, 2022 Andere Konzepte… 2-Dimensional… Leary 1957 Eysneck 1985 Horowitz 1988 DSM Alternativmodell Beziehung / Strukturdimension (entnommen aus Fiedler & Herpertz, 2023) Polaritätenmodell, Fiedler 2003 Stufenmodelle… Gunderson 1992 ICD 11 – Entwurf (F60) Domänenkonzept der ICD11 für Diagnostik und Behandlung von Persönlichkeitsstörungen Dimensionale Diagnostik statt kategorialer Einteilung. Beurteilung einer eventuell gestörten Persönlichkeit nach drei Schweregraden von Funktionsbeeinträchtigungen Trait-Domain-Konzept prominenter Persönlichkeitsmerkmale (Ziele und Behandlungskonzepte der Therapie persönlichkeitsgestörter Patienten (siehe sollen Fiedler & Herpertz, abgeleitet 2023) werden können) Basis – ICD 11 Für eine psychisch gesunde Person ist also eine gewisse Flexibilität im Umgang mit den zuvor dargestellten Bedürfnisaspekten kennzeichnend. Typisch ist, dass sie fähig ist, sich persönliche Urteile über die Realität erfahrungsoffen zu erschließen (Selbstaktualisierung) und diese klar und unabhängig auszudrücken (Autonomie), dass sie weiter weiß, woran sie glauben soll, und dass sie klar mitteilen kann, welche Grundüberzeugungen ihrem Handeln zugrunde liegen (Selbstkontrolle), und sie entscheiden kann, welche Grundüberzeugungen zugunsten sozialer Geborgenheit und damit zugunsten anderer Grundüberzeugungen (z. B. solidarisch) zurückgestellt werden sollten (Bindung). (siehe Fiedler & Herpertz, 2023) Trait-Domain-Konzept prominenter Persönlichkeitsmerkmale Zwei bipolare Hauptdimensionen: Strukturdimension mit den einander gegenüberliegenden Polen einer vernunftorientierten Selbstkontrolle sowie einer gefühlsorientierten Selbstaktualisierung vs. Beziehungsdimension mit den einander gegenüberliegenden Polen eines selbst orientierten Autonomiebedürfnisses sowie einer objektorientierten Bindungsneigung -> ICD-11-Persönlichkeitsdimensionen des Selbst (der Identität und Selbstkontrolle) sowie der interpersonellen Beziehungen (mit Empathie, Nähe und Distanzierung) (siehe Fiedler & Herpertz, 2023) (Fiedler, 2018) Sozial bezogene Autonomie (dies mit Blick auf die Beziehungsdimension) 2-Achsen Erfahrungsoffene Selbstsicherheit (dies mit Blick auf die Strukturdimension) (siehe Fiedler & Herpertz, 2023) Sozial bezogene Autonomie Unter bestimmten Bedingungen kann das Vertrauen in soziale Beziehungen so weit gehen, dass selbst Konformismus und Dependenz als Handlungsmuster aktiv gewählt werden, weil nur unter diesen Voraussetzungen die Durchsetzung von Zielen der sozialen Gruppierung, der man sein Vertrauen gibt, möglich wird. Unter anderen kontextuellen Bedingungen und gegenüber anderen Menschen jedoch könnte die psychisch gesunde Person genau das Gegenteil – nämlich Unabhängigkeit und zwischenmenschliche Distanz – bevorzugen. (siehe Fiedler & Herpertz, 2023) Erfahrungsoffene Selbstsicherheit Eine psychisch gesunde Person wird sich in Offenheit erfordernden Situationen gelegentlich als risikobereit erweisen, indem sie sich spontan auf ihre Gefühle verlässt und diesen intuitiv mehr vertraut als bestehenden Vorurteilen oder Regeln. Unter wieder anderen Anforderungen wird diese Person jedoch ganzheitlich einem Bedürfnis nach Selbstsicherheit folgen und Selbstkontrolle als persönlichen Stil wählen. Sie wird sich selbstbestimmt und normorientiert nicht von Gefühlen leiten lassen, dies vielleicht deshalb nicht, weil eigene grundlegende Wertvorstellungen tangiert sind. Schließlich wird diese Person gleichermaßen gern, wenn ihr danach ist, bewusst in Passivität verfallen, wie sie sich situationsabhängig nicht scheut, aktiv und gestaltend am alltäglichen Leben teilzuhaben. Und sie wird ihrem Wohlbefinden wie ihrem Schmerzerleben je nach spezifischer zwischenmenschlicher Konstellation (siehe Fiedler & Herpertz, 2023) den jeweils angemessenen Raum zu geben versuchen. Polaritätenmodell Sozial bezogene Autonomie bedeutet die Fähigkeit, klar zwischen sich selbst (und den eigenen Bedürfnissen) und anderen (und deren Bedürfnissen) zu unterscheiden. Erfahrungsoffene Selbstsicherheit bedeutet die gleichzeitig vorhandene Fähigkeit, auf elementare, intuitive Weise unterscheiden zu können, dass bestimmte Gedanken, Bedürfnisse, Lebensgrundsätze und Handlungsintentionen nur der Person selbst zu eigen sind und nicht von anderen stammen. (siehe Fiedler & Herpertz, 2023) Dimensionen Negative Affektivität (ICD-11: 6D11.0) Erleben eines breiten Spektrums negativer Emotionen mit einer Häufigkeit und Intensität, die in keinem Verhältnis zur Situation steht. Emotionale Labilität und schlechte Emotionsregulierung Negativistische Einstellungen Geringes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen Misstrauen -> Dependente, Ängstlich-vermeidende, Schizotypische und Borderline-Persönlichkeit mit Gleichzeitigkeitsdiagnosen: Zwangserkrankungen, Soziale Phobien, Dissoziative Störungen, Somatoforme Störungen und Posttraumatische Belastungsstörungen (siehe Fiedler & Herpertz, 2023) Ziele Empathie und Wertschätzung Kongruenz und Selbstwertschätzung Verbindlichkeit und das Ermöglichen von Widerspruch, Evaluation und Korrektur. (siehe Fiedler & Herpertz, 2023) (Grafik entnommen aus Fiedler & Herpertz, 2023) Enthemmung (ICD-11: 6D11.3) Impulsivität. Ablenkbarkeit Verantwortungslosigkeit Rücksichtslosigkeit Mangelnde Planung -> Histrionische, Dissoziale und Borderline-Persönlichkeit aber auch rollenverfangene histrionisch-expressive Charaktere mit Gleichzeitigkeitsdiagnosen Alkohol- und Drogenabhängigkeit und Hilflosigkeitsdepression (+ die aus der negativen Affektivität) (siehe Fiedler & Herpertz, 2023) Ziele Klare und eindeutige Zielvorgaben, die dem Aufbau einer stabilen psychischen Struktur dienen sollten. Aufbau von Selbstsicherheit und Selbstvertrauen Entwicklung tragfähiger Sinnperspektiven und Werthaltungen Selbsteinsetzbare Stabilisierungs-Skills Unterbrechung bzw. gar Unterbindung selbstdestruktiver wie fremddestruktiver Handlungen (siehe Fiedler & Herpertz, 2023) Dissozialität (ICD-11: 6D11.2) Egozentrik Mangel an Einfühlungsvermögen -> Dissoziale und Paranoide Persönlichkeitsstörungen, aber auch noch die histrionischen und narzisstischen Persönlichkeiten mit Gleichzeitigkeitsdiagnosen Alkohol- und Drogenabhängigkeit (als besonders für Gewaltanwendung und Sadismus verantwortliche Problematik) und jene aus dem Bereich der Enthemmung (auch Depressionen) (siehe Fiedler & Herpertz, 2023) (entnommen aus Fiedler & Herpertz, 2023) Anankasmus (ICD-11: 6D11.4) Perfektionismus Emotionale und Verhaltensbeschränkungen „ gewissenhaft, sorgfältig, loyal, anhänglich, selbstkritisch, zurückhaltend“ „Helfer unserer Gesellschaft“, die sich häufig zugleich in Sozialhilfevereinen wie Cari tas, Diakonisches Werk, Rotes Kreuz, Bahnhofsmission usw. engagieren. Zwanghafte Persönlichkeit, Narzisstische Persönlichkeit, dependente Persönlichkeit, vermeidende Persönlichkeit (siehe Fiedler & Herpertz, 2023) Ziele: Reflexion eigener Interessen und Bedürfnisse Sinnstiftende Selbstaktualisierung Verlust, Trauer, Rollenwechsel und Rollenübergänge reflektieren (entnommen aus Fiedler & Herpertz, 2023) Distanziertheit (ICD-11: 6D11.1) Soziale Distanziertheit Emotionale Distanziertheit „ selbstbewusst, einzelgängerisch, scharfsinnig, gewissenhaft, sorgfältig, von sich überzeugt“ ---selbstbewusste Einzelgänger, die Firmen leiten oder Politiker sind, deren Identität zugleich durch eine ausgeprägte Ideologie bestimmt wird--- Schizoide, paranoide, negativistische, zwanghafte, narzisstische Struktur (Workaholic, Typus Manicus) Depressionsrisiko ist erhöht! (siehe Fiedler & Herpertz, 2023) Ziele: Förderung von Bindungskompetenzen Vergrößerung des Vertrauens in soziale Beziehungen Interaktionell orientierter Grundansatz (siehe Fiedler & Herpertz, 2023) Ablauf Erster Schritt Im ersten Schritt des diagnostischen Prozesses geht es darum einzuschätzen, ob überhaupt eine Persönlichkeitsproblematik vorliegt. Ist die Fähigkeit zum gegenseitigen Verständnis anhaltend beeinträchtigt und führt dies zu negativen Konsequenzen? Zur Beantwortung dieser Frage wird eine dreistufige Skala von »nein«, »unsicher« bis »ja« empfohlen. Ergeben sich keine Hinweise auf persönliche Probleme (»nein«), kann der Versuch einer Diagnose der Persönlichkeitsstörung an dieser Stelle abgebrochen werden. Zur Entwicklung der Schweregrad-Beurteilung haben Mitglieder der Kommission eine eigene Ausarbeitung mit Bezügen zur empirischen Forschung vorgelegt (Crawford et al., 2011). Für die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung muss mindestens die Schweregradstufe 2 vorliegen! Crawford, M. J., Koldobsky, N., Mulder, R. T. & Tyrer, P. (2011). Classifying personality dis order according to severity. Journal of Perso nality Disorders, 25, 321–330. Zweiter Schritt - Schweregrad Dritter Schritt In einem dritten Schritt wird vorgeschlagen, die spezifische Erscheinungsform der Persönlichkeitsproblematik hinsichtlich der Vorgabe von fünf breiten maladaptiven Persönlichkeitsdomänen zu beurteilen, die u. a. der weiteren Behandlung als Orientierung dienen können die ungesellig-schizoide Domäne (Distanziertheit: schizoide, paranoide, negativistische, zwanghafte, narzisstische Struktur) die dissoziale Domäne (Dissozialität: antisoziale, paranoide, narzisstische Struktur) die ängstlich-abhängige Domäne (negative Affektivität: dependente, Ängstlich-vermeidende, schizotypische und Borderline-Persönlichkeit) die emotional-instabile Domäne (Enthemmung: Histrionische, Dissoziale und Borderline-Persönlichkeit aber auch rollenverfangene histrionisch-expressive Charaktere) die zwanghaft-anankastische Domäne (Anankasmus: Zwanghafte Persönlichkeit, Narzisstische Persönlichkeit, dependente Persönlichkeit, vermeidende Persönlichkeit) Der Diagnostiker kann zur Qualifizierung einer diagnostizierten Persönlichkeitsstörung eine oder mehrere dieser Domänen auswählen, wobei sich ängstlich-abhängige und die emotional-instabile Domäne nicht hinreichend voneinander trennen lassen! Wichtig! Ein bedeutsamer weiterer Unterschied im DSM-5 liegt allerdings darin, dass im DSM über die Merkmalsdomänen hinaus klinisch relevante Merkmalsfacetten differenziert werden, während die ICD 11 Klassifikation plant, sich auf die Bewertung übergeordneter Persönlichkeitsdomänen bzw. -faktoren zu beschränken. Ob die Beschreibung übergeordneter Persönlichkeitsdomänen für Kliniker, d. h. v. a. für Problembeschreibung und Behandlungsplanung ausreichend sind, bleibt abzuwarten. Cluster Vulnerabilität (Fiedler, 2018) Distanziertheit, Anankasmus, neg. Affektivität, Enthemmung, Dissozialität (WHO, 2024) Beispiel der Charakterisierun g Fallbeispiel Herr König, 42 Jahre alt, sucht psychotherapeutische Hilfe, da er zunehmend Schwierigkeiten in seinem beruflichen und sozialen Umfeld bemerkt. Er berichtet: Übermäßiges Bedürfnis nach Anerkennung: Herr König empfindet es als äußerst belastend, wenn seine Leistungen nicht ausreichend gewürdigt werden. Er erwartet, dass Kollegen und Freunde seine Erfolge bewundern. Gefühl von Großartigkeit: Er beschreibt sich als „besser als die meisten anderen“ und glaubt, dass er für außergewöhnliche Aufgaben bestimmt ist. Empfindlichkeit gegenüber Kritik: Selbst konstruktive Kritik durch Vorgesetzte oder Kollegen löst bei ihm Wut oder Kränkungsgefühle aus. Mangelnde Empathie: Herr König gibt zu, dass er Schwierigkeiten hat, sich in die Bedürfnisse oder Gefühle anderer Menschen hineinzuversetzen, da er oft zu sehr auf seine eigenen Ziele fokussiert ist. Zwischenmenschliche Probleme: Freundschaften enden häufig, da er das Gefühl hat, dass andere Menschen seine Erwartungen nicht erfüllen oder ihn ausnutzen. Herr König berichtet, dass er seit seiner Jugend Schwierigkeiten hat, langfristige Beziehungen aufrechtzuerhalten. Seine Ehe ist belastet, da er oft wütend reagiert, wenn er nicht im Mittelpunkt steht. (siehe Fiedler & Herpertz, 2023) Aber auch 6A, 6B und 6E… 6D10.Z Personality disorder, severity unspecified 6D10.2 Severe personality disorder 6B64 Dissociative identity disorder 6E68 Secondary personality change 6D10.0 Mild personality disorder 6D10.1 Moderate personality disorder 6A22 Schizotypal disorder 6A62 Cyclothymic disorder 6D11.4 Anankastia in personality disorder or personality difficulty (WHO, 2024) Beispielbeschreibungen aus dem ICD-11… Dissociative identity disorder is characterised by Schizotypal disorder is characterised by an disruption of identity in which there are two or more enduring pattern (i.e. characteristic of the distinct personality states (dissociative identities) associated with marked discontinuities in the sense of person’s functioning over a period of at least self and agency. Each personality state includes its own several years) of eccentricities in behaviour, pattern of experiencing, perceiving, conceiving, and appearance and speech, accompanied by relating to self, the body, and the environment. At least two distinct personality states recurrently take executive cognitive and perceptual distortions, unusual control of the individual’s consciousness and functioning beliefs, and discomfort with— and often in interacting with others or with the environment, such reduced capacity for— interpersonal as in the performance of specific aspects of daily life such as parenting, or work, or in response to specific relationships. Symptoms may include situations (e.g., those that are perceived as threatening). constricted or inappropriate affect and Changes in personality state are accompanied by related anhedonia. Paranoid ideas, ideas of reference, alterations in sensation, perception, affect, cognition, memory, motor control, and behaviour. There are or other psychotic symptoms, including typically episodes of amnesia, which may be severe. The hallucinations in any modality, may occur, but symptoms are not better explained by another mental, are not of sufficient intensity or duration to behavioural or neurodevelopmental disorder and are not meet the diagnostic requirements of due to the direct effects of a substance or medication on the central nervous system, including withdrawal effects, schizophrenia, schizoaffective disorder, or and are not due to a disease of the nervous system or a delusional disorder. The symptoms cause sleep-wake disorder. The symptoms result in significant distress or impairment in personal, family, impairment in personal, family, social, educational, occupational or other important areas of functioning. social, educational, occupational or other important areas of functioning. (WHO, 2024) Cyclothymic disorder is characterised by a The core feature of the Anankastia trait persistent instability of mood over a period of at domain is a narrow focus on one’s rigid least 2 years, involving numerous periods of standard of perfection and of right and wrong, hypomanic (e.g., euphoria, irritability, or and on controlling one’s own and others’ expansiveness, psychomotor activation) and depressive (e.g., feeling down, diminished behaviour and controlling situations to ensure interest in activities, fatigue) symptoms that are conformity to these standards. Common present during more of the time than not. The manifestations of Anankastia, not all of which hypomanic symptomatology may or may not be may be present in a given individual at a sufficiently severe or prolonged to meet the full given time, include: perfectionism (e.g., definitional requirements of a hypomanic concern with social rules, obligations, and episode (see Bipolar type II disorder), but there norms of right and wrong, scrupulous is no history of manic or mixed episodes (see Bipolar type I disorder). The depressive attention to detail, rigid, systematic, day-to- symptomatology has never been sufficiently day routines, hyper-scheduling and severe or prolonged to meet the diagnostic planfulness, emphasis on organisation, requirements for a depressive episode (see orderliness, and neatness); and emotional Bipolar type II disorder). The symptoms result in and behavioural constraint (e.g., rigid control significant distress or significant impairment in over emotional expression, stubbornness and personal, family, social, educational, inflexibility, risk-avoidance, perseveration, occupational or other important areas of and deliberativeness). functioning. (WHO, 2024) Diagnose-Vorschläge (Validierungen laufen) PDS - ICD-11 (Bach et al., 2021). 14 Items: Vier Items zur Beurteilung des Selbst und der interpersonellen Fähigkeiten und fünf Items zur Bewertung der emotionalen, kognitiven und Verhaltensmanifestationen sowie ein Item für die Bewertung der allgemeinen psychosozialen Beeinträchtigung. Die Fragen haben jeweils fünf Antwortmöglichkeiten, die die jeweilige Funktion zwischen zwei Polen operationalisieren. Scales for ICD11 Personality Disorder: Self and Interpersonal Dysfunction – Preliminary. 65 Items (Bach et al., 2021). Level of Personality Functioning Scale, short version; LPFS BF (Garnache et al., 2019). 12 Items (Spitzer et al., 2021). Aus dem DSM V und ICD -10… Strukturiertes Klinisches Interview für die DSMIV Persönlichkeitsstörungen (SKIDII) SIDP, DIPD und PDI International Personality Disorder Examination (IPDE) Personality Disorders Questionnaire4 (PDQ4) PersönlichkeitsStil und Störungs Inventar (PSSI) Fragebogen zu kognitiven Schemata (FKS) Millon Clinical Multiaxial InventoryIII (MCMI III) Inventar Klinischer Persönlichkeitsakzentuierungen (IKP) Wisconsin Personality Inventory (WISPI) Literatur Andresen (2006). Inventar klinischer Persönlichkeitsakzentuierungen. Dimensionale Diagnostik nach DSM-IV und ICD-10. Göttingen: Hogrefe. Fiedler & Herpertz (2023). Persönlichkeitsstörungen. Weinheim: Beltz. Fiedler (2018). Differentialdiagnostik von psychischen Störungen und Persönlichkeitsstörungen (Vortrag am 27.11.2018 beim Diagnostikkongress in Wien) WHO (2024). ICD-11. Abgerufen am 13.4.2024 von https://icd.who.int/browse/2024-01/mms/en#15166 23224 Results show that schizotypal, histrionic, dependent, and depressive persons are less likely to successfully solve problems, while persons having the additional behavioral characteristics of resilience, action orientation, and motivation for creation are more likely to successfully solve complex problems. Spontaneous Optimistic Anxious Conscientiou s Restrained Reflected Risktaking und Persönlichkeit A first important finding is that all types of risk-taking increased with higher levels of extraversion and neuroticism, openness to experience, self-assurance, and the ability to make decisions. Openness to problem solving and inner balance had a negative impact on risk taking. Tolerance of frustration increased social risk-taking but decreased physical and financial risk-taking. Neuroticism has a significant negative relationship with burnout risk, whereas extraversion has a significant positive relationship with burnout risk. Furthermore, distancing ability and openness to towards problem solving have a positive direct and mediating impact on the risk of developing burnout. High neuroticism and low extraversion as well as low agreeableness therefore increase the risk of burnout. Burnout patients show significantly higher scores of neuroticisms and significantly lower scores of extraversions than the controls. Personen, die erhöhte Werte im paranoiden Persönlichkeitsstil aufweisen, Dependente Personen begeben sich in neigen dazu, anderen Leuten, auch nahestehenden Menschen, zu misstrauen. sehr starke Abhängigkeit von bestimmten Sie begründen dies damit, dass sie in ihrem Leben sehr viele negative Erfahrungen mit anderen Menschen gemacht haben und nicht noch einmal so Menschen und legen gern ihr Schicksal enttäuscht werden wollen. Sie haben eine Tendenz, überwiegend an die und ihre Lebensentscheidungen in die negativen Seiten zwischenmenschlicher Beziehungen in der Partnerschaft, im Hände anderer. In einer Beziehung gut Beruf und unter Verwandten, Freundin/innen oder Bekannten zu denken. Wie durch ein Vergrößerungsglas nehmen sie problematische Verhaltensweisen aufgehoben zu sein, bedeutet solchen und Eigenschaften anderer wahr und verarbeiten negative Erfahrungen oft Menschen so viel, dass sie sich für den einseitig, indem sie anderen die Schuld geben. Sie werden von anderen als Erhalt dieser schützenden und haltenden nachtragend empfunden. Solche Personen haben ein ausgeprägtes Ehrgefühl. Wenn sie Handlungen und Äußerungen anderer Menschen als gegen sie Beziehung sogar erniedrigen würden. gerichtet interpretieren, neigen sie zu strafenden Aktionen gegenüber Ihre eigene Entscheidungskraft und denjenigen, die sie wirklich oder vermeintlich beleidigt, betrogen oder Initiative ist stark gelähmt, nach außen belogen haben. erscheinen sie hilflos und schwach. Sie halten sich auch selbst für eher unfähig und entscheidungsschwach. Personen mit Ausprägungen im Narzisstische Personen haben ein überzüchtetes Ich- schizoiden Persönlichkeitszug fällt es schwer, engen Gefühl, das zu arrogantem Verhalten und mitmenschlichen Kontakt zu überhöhtem Anspruchsdenken führt. Anderen ertragen, sie haben eine Aversion Menschen bringen sie mangelnde Wertschätzung und oder Gleichgültigkeit gegenüber Einfühlung entgegen. Sie schreiben sich selbst ganz Menschen entwickelt. Hinzu besonders positive Eigenschaften zu, auch wenn sie kommt eine durchdringende hierfür bisher keine überzeugenden Beweise oder Freudlosigkeit, vor allem bei herausragende Leistungen beibringen konnten. Ihre „Vergnügungsangeboten“, bei Fantasien und Visionen von eigener Schönheit, denen sie mit anderen Leuten umgehen müssen. Diesen Macht, Begabung, Prominenz sind fast grenzenlos. Personen scheint es oft selbst so, Ihre mitmenschlichen Beziehungen gestalten solche als hätten sie keine herzlichen Personen ausbeuterisch und manipulativ. Alles muss Gefühle mehr für die Menschen sich ihrer scheinbaren Größe und Bedeutung ihrer Umgebung und auch ihr unterordnen. Umfeld beklagt sich über ihre Abwesenheit und Reserviertheit. Weisen Personen im schizotypischen Persönlichkeitsstil einen Histrionische Personen sehnen sich in hohen Wert auf, sind dies Menschen, die sich in eine eigene übertriebener Weise nach Beachtung durch Welt „eingesponnen“ haben, die voller Illusionen ist, aber ihre Mitmenschen, wollen immer im auch durch bedrohliche Fantasien und wahnhafte Gedanken Mittelpunkt stehen und „ziehen gerne eine zu einem unheimlichen Ort geworden ist. Solche Personen Show ab“, um die Aufmerksamkeit beziehen die Dinge, die um sie herum sind, stark auf sich und anderer auf sich zu ziehen. Sie sehen Zeichen und Bedeutungen, wo es andere nicht tun. Sie schauspielern gern und zeigen eine meinen, dass sie rein gedanklich mit anderen kommunizieren Bereitschaft zu flüchtigen, schnell können und in ihrem Innersten fremden Einflüssen wechselnden Gefühlen. Solche Menschen sind emotional leicht beeinflussbar und unterliegen. In dem Versuch dieser Personen, mit anderen sehen gefühlsmäßige Nähe und erotische über wichtige Zusammenhänge und Vorgänge zu Anziehung auch dort, wo sie in kommunizieren, gibt es viele Verständigungsschwierigkeiten. Wirklichkeit gar nicht vorhanden ist. Sie Solche Personen haben Probleme, ihre Gefühle deutlich zu setzen gezielt verführerische Mittel ein, machen und mit dem, was ihnen wirklich wichtig ist, ernst um ihren Erlebnisbedürfnissen in genommen zu werden. übertriebener Weise Ausdruck zu geben. F00 Verteilung… Die Kategorie F00–F09 (organische psychische Störungen) aus der ICD-10 wurde in der ICD-11 auf verschiedene Kapitel verteilt, basierend auf den zugrunde liegenden Krankheitsursachen oder Symptomen. Demenz (F00) ist nun Teil der neurokognitiven Störungen: „Mental, behavioural or neurodevelopmental disorders". Es gibt dann eine präzisere Unterteilung nach Ursache, z. B.: 6D80: Alzheimer-Krankheit mit Früh- oder Spätbeginn. 6D81: Vaskuläre neurokognitive Störung. 6D82: Neurokognitive Störung mit Lewy-Körperchen. 6D83: Frontotemporale neurokognitive Störung. Neu ist die Möglichkeit, leichte, moderate oder schwere Formen neurokognitiver Störungen zu kodieren. In der ICD-10 wurde vor allem Demenz als Gesamtbild dargestellt. Neue Neue Diagnosen: Diagnosen / Mixed etiology neurocognitive Möglichkeiten disorder: Für Demenzen mit gemischten Ursachen (z. B. vaskulär und Alzheimer). Traumatisch bedingte neurokognitive Störung: Neurokognitive Folgen nach schweren Kopfverletzungen. Zusätzlich… Delir (ehemals F05 in der ICD-10) wird jetzt separat als Delirium (6A40) klassifiziert, unabhängig von neurokognitiven Störungen. Das erlaubt eine klarere Trennung von akut auftretenden und chronischen Zuständen. Begriffe wie senile Demenz oder präsenile Demenz wurden entfernt Mehr Betonung auf funktionale Auswirkungen, wie Einschränkungen in der Selbstständigkeit und Lebensqualität, anstatt nur auf kognitive Defizite. Zusammenfassung Neue Klassifikationen Demenz ist nun Teil ermöglichen der neurokognitiven genauere Störungen. Unterscheidungen nach Ursache und Schweregrad. Delirium wird Veraltete Begriffe separat behandelt. wurden entfernt Fallbeispiel Frau Müller, 75 Jahre alt, wird von ihrer Tochter zur Untersuchung gebracht, da sie in den letzten zwei Jahren zunehmende Gedächtnisprobleme zeigt. Sie vergisst häufig Namen von Familienmitgliedern, wiederholt Fragen und verlegt Alltagsgegenstände. Zudem hat sie Schwierigkeiten, alltägliche Aufgaben wie das Kochen zu planen. Ihre Persönlichkeit hat sich leicht verändert – sie wirkt gereizt und zieht sich aus sozialen Aktivitäten zurück. Die Tochter berichtet, dass Frau Müller sich zunehmend unsicher im Straßenverkehr verhält. Eine neurologische und psychiatrische Untersuchung zeigt: Kognitive Defizite: Insbesondere im Kurzzeitgedächtnis und in der Orientierung. Funktionelle Beeinträchtigungen: Sie benötigt zunehmend Unterstützung bei alltäglichen Aufgaben. Keine Hinweise auf andere Ursachen: Bildgebende Verfahren und Laboruntersuchungen schließen andere Erkrankungen wie Schlaganfall oder Infektionen aus. F10 Kodierung Diagnosen zu Alkoholgebrauchsstörungen sind in der ICD-11 im Kapitel "Disorders due to substance use and addictive behaviours" untergebracht. Die Diagnosen sind nicht mehr ausschließlich unter den psychischen Störungen zu finden, sondern umfassen eine multidimensionale Betrachtung, die sowohl psychische als auch physische Aspekte einbezieht. Harmful use of alcohol (schädlicher Gebrauch von Alkohol) ersetzt teilweise den Begriff des "Missbrauchs". Ein stärkerer Fokus liegt auf der Beeinträchtigung der Funktionalität und der Auswirkungen des Alkoholkonsums auf das Leben der Betroffenen. Feinkodierung Der Alkoholkonsum wird jetzt anhand von Schweregraden kodiert: Mild (leicht), Moderate (moderat), Severe (schwer). Die Schwere wird anhand der Anzahl der erfüllten diagnostischen Kriterien definiert Unterscheidungen Die ICD-11 unterscheidet klarer zwischen: Harmful alcohol use: Schädlicher Gebrauch ohne Abhängigkeitssymptome. Alcohol dependence: Alkoholabhängigkeit, definiert durch Kontrollverlust, körperliche Abhängigkeit und negative Auswirkungen auf das Leben. Subkategorien: Intoxication: Akute Alkoholvergiftung wird detaillierter beschrieben und an spezifische Symptome angepasst, Withdrawal: Alkoholentzug ist präzise kodiert, einschließlich potenzieller Komplikationen wie Delirium tremens und Alcohol-induced disorders: Umfassen psychische oder physische Störungen, die direkt durch Alkoholkonsum verursacht werden (z. B. alkoholbedingte Depression, alkoholinduzierte Psychose). Komorbiditäten Die ICD-11 erlaubt eine umfassendere Diagnostik, indem Komorbiditäten wie: Alkoholbedingte organische Schäden (z. B. Leberzirrhose, Kardiomyopathie), Psychische Störungen durch Alkohol (z. B. Depression, Angst), soziale und funktionale Beeinträchtigungen kodiert werden können. Störungen durch Substanzgebrauch und Verhaltenssüchte (wie z. B. Spielsucht) sind jetzt in einem gemeinsamen Kapitel zusammengefasst. Zusammenfassung Die Kategorie F10 wurde in die Disorders due to substance use integriert. Modernere Begriffe wie "Harmful use" und "Dependence" ersetzen veraltete Bezeichnungen. Präzisere Differenzierung von Schweregraden und Mustern des Alkoholkonsums. Erweiterung um Komorbiditäten und spezifische Störungen durch Alkoholkonsum. Fokus auf funktionale Beeinträchtigungen und moderne Behandlungsansätze. F11 m ICD-11 entspricht F11 dem Bereich 6C41 (Störungen durch Opioide). Die Struktur ist ähnlich wie im ICD-10, F12 Im ICD-11 entspricht F12 dem Bereich 6C42 (Störungen durch Cannabinoide). Die Klassifikation wurde aktualisiert, um funktionale Beeinträchtigungen und Schweregrade stärker zu berücksichtigen. Modernisierte Begriffe: Im ICD-11 wurde „schädlicher Gebrauch“ durch „episodischer oder gefährlicher Gebrauch“ ersetzt. F13 Im ICD-11 entspricht F13 dem Bereich 6C43 (Störungen durch Sedativa oder Hypnotika) Modernisierte Begriffe: Im ICD-11 wurde „schädlicher Gebrauch“ durch „episodischer oder gefährlicher Gebrauch“ ersetzt. F20 Die F20-Schizophrenie und verwandte Störungen wurden in der ICD-11 unter dem Kapitel "Schizophrenia or other primary psychotic disorders" (6A20 – 6A29) zusammengefasst. Subtypen wie paranoide Schizophrenie, hebephrene Schizophrenie oder katatone Schizophrenie wurden aus der ICD-11 entfernt. Stattdessen wird Schizophrenie nun anhand symptomatischer Dimensionen beschrieben, wie: Positivsymptome (Wahn, Halluzinationen), Negativsymptome (affektive Verflachung, Anhedonie), Kog Diese Änderung reflektiert den wissenschaftlichen Konsens, dass Subtypen in der Praxis häufig nicht stabil und diagnostisch wenig hilfreich waren.nitive Beeinträchtigungen und Desorganisation. Die Diagnose erfordert nun eine mindestens 6-monatige Dauer von Symptomen, wobei der Fokus stärker auf: Funktionseinschränkungen, chronischen Symptomen und Spezifischen Beeinträchtigungen liegt. Einführung neuer diagnostischer Kategorien - Schizoaffektive Störung (6A21): Bleibt eine eigenständige Diagnose, aber die Kriterien wurden präzisiert. Der zeitliche Zusammenhang zwischen affektiven und psychotischen Symptomen wird stärker betont. - Kurativer Platz für andere primäre psychotische Störungen: Kategorien wie kurze psychotische Episoden oder anhaltende wahnhafte Störungen wurden erweitert und neu kodiert. Einführung dimensionaler Beurteilungen Statt starrer Subtypen werden bei Schizophrenie jetzt dimensionale Merkmale beurteilt: - Art und Schweregrad von Symptomen (z. B. Positiv-, Negativ- oder kognitive Symptome). Neuorganisation verwandter Störungen Störungen, die in der ICD-10 unter F20-F29 zusammengefasst waren, wurden in der ICD-11 präziser organisiert: - 6A22: Anhaltende wahnhafte Störungen. - 6A23: Kurze psychotische Störung. - 6A24: Schizotypische Störung (jetzt deutlicher von Schizophrenie getrennt). Fokus auf Langzeitprognosen Schizophrenie wird nicht mehr als starre Diagnose betrachtet. Der Verlauf und die Behandlungsmöglichkeiten wurden stärker betont: - Unterscheidung zwischen episodischen und chronischen Verläufen. - Funktionale Erholung und soziale Integration stehen stärker im Fokus. F30 Präzisierung der manischen Episode Die Diagnose einer manischen Episode (6A60) erfordert eine mindestens einwöchige Dauer anhaltend erhöhter, reizbarer oder expansiver Stimmung, außer bei Krankenhausaufenthalten, wo eine kürzere Dauer ausreicht. Größerer Fokus auf begleitende Symptome wie gesteigerte Aktivität, überhöhtes Selbstwertgefühl und vermindertes Schlafbedürfnis. Einführung neuer diagnostischer Kategorien - Hypomanie (6A61): Wird nun klarer als eigenständige Diagnose abgegrenzt, mit geringerer Schwere als eine manische Episode und ohne erhebliche Funktionseinschränkungen. - Gemischte Episoden (6A62): Umfasst Zustände, bei denen Symptome von Manie und Depression gleichzeitig auftreten, mit präzisen Kriterien zur Abgrenzung.. Bipolare Störungen (F31 im ICD-10) Diese wurden in der ICD-11 differenzierter beschrieben, z. B. als Bipolare Störung Typ I (6A63) und Typ II (6A64). - Die Betonung liegt auf der episodischen Natur der Erkrankung und dem Wechsel zwischen manischen, hypomanischen und depressiven Phasen. Dimensionaler Ansatz für die Diagnose Die ICD-11 verwendet bei affektiven Störungen einen dimensionalen Ansatz: - Berücksichtigung von Schweregrad, Dauer und Auswirkungen der Symptome. - Dies ermöglicht eine individuellere Beschreibung und bessere Anpassung der Therapie. Fokus auf Komorbiditäten Bei der Kodierung wird stärker auf das Vorliegen komorbider Störungen (z. B. Angststörungen, Substanzmissbrauch) eingegangen. F40 Fallbeispiel… Frau Müller, 35 Jahre alt, stellt sich in einer psychologischen Praxis vor. Sie berichtet, dass sie starke Angst empfindet, wenn ihr Ehemann längere Zeit nicht bei ihr ist. Diese Ängste traten zum ersten Mal vor etwa fünf Jahren auf, als ihr Mann für eine längere Geschäftsreise verreisen musste. Seitdem entwickelt sie: Angst vor dem Alleinsein: Sie vermeidet es, alleine in der Wohnung zu sein, und schläft schlecht, wenn ihr Mann nicht da ist. Sorge um ihren Partner: Sie macht sich ständig Sorgen, dass ihm etwas zustoßen könnte, z. B. ein Unfall. Somatische Symptome: Während der Abwesenheit ihres Mannes klagt sie über Magenkrämpfe und Herzklopfen. Diese Symptome beeinträchtigen ihre Lebensqualität erheblich. Sie meidet berufliche Verpflichtungen, die es erfordern, dass sie allein ist, und drängt ihren Mann, Geschäftsreisen abzusagen. Strukturveränderungen im ICD- 11 Im ICD-11 werden phobische Störungen nicht mehr unter der separaten Kategorie F40 geführt, sondern in eine übergeordnete Kategorie integriert: 'Angst- oder verwandte Störungen (Anxiety or Fear-Related Disorders)'. Änderungen im Vergleich zur ICD-10 1. Agoraphobie Die Beschreibung der Agoraphobie wurde verfeinert. Im ICD-11 liegt ein stärkerer Fokus auf den Vermeidungsmerkmalen und dem funktionalen Einfluss der Angst auf das alltägliche Leben. Es werden spezifische Situationen hervorgehoben, die typischerweise Angst auslösen, wie z. B. öffentliche Verkehrsmittel, offene oder geschlossene Räume und Menschenmengen. 2. Soziale Angststörung (ehemals Soziale Phobie) Im ICD-11 wird der Begriff 'soziale Angststörung' bevorzugt, um die Bandbreite der Symptome besser abzudecken. Neben der Angst vor negativer Bewertung durch andere wurde die Bedeutung von Vermeidungsverhalten und körperlichen Symptomen wie Erröten oder Zittern stärker hervorgehoben. Die diagnostischen Kriterien wurden präzisiert, um die Abgrenzung zu anderen Angststörungen zu erleichtern. 3. Spezifische Phobien Die Kategorie der spezifischen Phobien wurde weitgehend beibehalten, jedoch im Detail präzisiert. Die ICD-11 bietet klarere Beschreibungen zu verschiedenen Typen spezifischer Phobien, wie z. B. Tierphobien, Umweltphobien (z. B. Höhen, Gewitter) oder situationsbezogene Phobien (z. B. Flugangst). Die Diagnosekriterien berücksichtigen nun stärker die Intensität der Angst und deren Auswirkungen auf das tägliche Leben. Allgemeine Änderungen Die Neuerungen im ICD-11 legen insgesamt größeren Wert auf die Auswirkungen der Angststörungen auf das individuelle Funktionieren. Zudem wurde die Komorbidität mit anderen Störungen wie Depressionen oder anderen Angststörungen explizit berücksichtigt. Dies unterstützt eine umfassendere klinische Einschätzung. Gemischte Angst/Depression ist jetzt bei den Depressionen angesiedelt Zwang Neue Klassifikation und Terminologie Im ICD-11 wird die Zwangsstörung (OCD) unter der Kategorie **6B20 – Obsessive-Compulsive Disorder (OCD)** geführt. Diese gehört zur übergeordneten Gruppe der **Zwangs- und verwandten Störungen (Obsessive-Compulsive and Related Disorders, OCRDs)**. Im Gegensatz zum ICD-10, das sich auf die Zwangsstörung isoliert konzentrierte, umfasst das ICD-11 einen breiteren Ansatz, der verwandte Störungen wie pathologisches Horten einbezieht. Fallbeispiel Frau Wagner, 53 Jahre alt, lebt allein in einer Zwei-Zimmer-Wohnung. Sie wurde von ihrem Vermieter angesprochen, da sich Beschwerden über unangenehme Gerüche aus ihrer Wohnung häufen. Nach einem Hausbesuch des Vermieters wird sichtbar, dass ihre Wohnung stark vermüllt ist: Akkumulation von Gegenständen: Frau Wagner sammelt unkontrolliert Zeitungen, Verpackungen und Kleidung, die sie als „wichtig“ empfindet. Unfähigkeit, Dinge wegzuwerfen: Sie hat große Schwierigkeiten, auch wertlose oder defekte Gegenstände zu entsorgen, da sie befürchtet, diese später noch zu benötigen. Beeinträchtigung der Lebensqualität: Durch die Ansammlung von Gegenständen sind Küche und Badezimmer nahezu unbenutzbar, und sie schläft auf einem Sessel, da das Bett zugestellt ist. Soziale Isolation: Frau Wagner vermeidet Besuche von Freunden oder Familienmitgliedern aus Angst, für ihre Lebensumstände verurteilt zu werden. Sie gibt an, dass das Sammeln nach einer Scheidung vor 15 Jahren begonnen hat und über die Zeit außer Kontrolle geraten ist. Sie fühlt sich von der Situation überwältigt, weiß aber nicht, wie sie ihr Verhalten ändern kann. Kriterien 1. Kernsymptome A. **Zwangsgedanken (Obsessions):**  - Wiederkehrende, unerwünschte Gedanken, Bilder oder Impulse, die Angst oder Unbehagen auslösen.  - Die Person versucht, diese Gedanken zu ignorieren, zu unterdrücken oder durch eine andere Handlung zu neutralisieren. B. **Zwangshandlungen (Compulsions):**  - Wiederholte Verhaltensweisen (z. B. Händewaschen, Kontrollieren) oder mentale Handlungen (z. B. Beten, Zählen), die als Reaktion auf Zwangsgedanken ausgeführt werden.  - Diese Handlungen sollen Angst reduzieren oder ein befürchtetes Ereignis verhindern, stehen jedoch in keinem realistischen Verhältnis zum Ziel. Kriterien II 2. Dauer und Funktionseinschränkung Die Symptome müssen übermäßige Zeit in Anspruch nehmen (mehr als eine Stunde pro Tag) und eine signifikante Beeinträchtigung des sozialen, beruflichen oder schulischen Lebens verursachen. 3. Einsicht Der ICD-11 berücksichtigt den Grad der Einsicht in die Zwangssymptome. Diese wird in drei Stufen eingeteilt:  - **Gute oder angemessene Einsicht:** Die Person erkennt, dass die Überzeugungen wahrscheinlich nicht wahr sind.  - **Geringe Einsicht:** Die Person glaubt, dass die Überzeugungen wahrscheinlich wahr sind.  - **Fehlende Einsicht/Wahnhafte Überzeugungen:** Die Person ist überzeugt, dass die Überzeugungen wahr sind. Erweiterung verwandter Störungen Im ICD-11 werden verwandte Störungen explizit in die gleiche diagnostische Gruppe aufgenommen, darunter:  - **Pathologisches Horten (Hoarding Disorder):** Schwierigkeiten beim Wegwerfen oder Trennen von Besitztümern.  - **Trichotillomanie (Haare-Ausreiß-Störung):** Wiederholtes Ausreißen von Haaren.  - **Hautzupfstörung (Excoriation Disorder):** Wiederholtes Zupfen an der Haut, das zu Läsionen führt.  - **Dysmorphophobie (Body Dysmorphic Disorder, BDD):** Übermäßige Beschäftigung mit eingebildeten oder geringfügigen körperlichen Mängeln. Trauma Während traumatische Erfahrungen in der ICD-10 als Ereignisse „mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß“ verstanden wurden, kommt nun ein wesentlicher neuer Gedanke hinzu: Hiernach können auch Menschen unter posttraumatischen Belastungen leiden, die nicht unmittelbar selbst von dem traumatisierenden Ereignis bedroht waren (wie z. B. Polizei- oder Rettungskräfte). Eine der wichtigsten Änderungen auf der Ebene der Diagnosen ist die Neueinführung der „Komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung“ (6B41), die es so bislang in der ICD-10 nicht gab. Bislang wurde bei Komplex-Traumatisierten eine Art Notbehelfs-Diagnose gestellt (F62.0: Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung), was nun nicht mehr nötig ist. Trauma/Belastung Die Kategorie F43 im ICD-10 umfasste Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen. Im ICD-11 wurden diese Diagnosen erweitert und differenziert, um eine genauere Klassifikation und bessere Anwendungsmöglichkeiten zu ermöglichen. Besonders Störungen wie die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und Anpassungsstörungen wurden präzisiert. Neue Klassifikation und Struktur Im ICD-11 wird die Kategorie unter **6B40 – Disorders Specifically Associated with Stress** geführt. Diese umfasst Störungen, die in direktem Zusammenhang mit schwerem Stress oder Anpassungsschwierigkeiten stehen. Diagnosen Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) Die PTBS wurde im ICD-11 präzisiert und auf drei Kernsymptome fokussiert:  - **Wiedererleben:** Intrusive Erinnerungen, Flashbacks oder Albträume, die das Trauma wieder lebendig werden lassen.  - **Vermeidung:** Aktives Vermeiden von Gedanken, Gefühlen oder Situationen, die an das Trauma erinnern.  - **Hyperarousal:** Übermäßige Wachsamkeit, Schlafprobleme oder Reizbarkeit. Im ICD-11 wird zudem die Diagnose der **Komplexen PTBS (Complex PTSD)** eingeführt, die zusätzlich emotionale Dysregulation, ein negatives Selbstbild und Probleme in Beziehungen umfasst. Akute Belastungsreaktion Die Akute Belastungsreaktion bleibt im ICD-11 als Diagnose bestehen, ist jedoch klarer abgegrenzt. Es wird betont, dass diese Reaktion auf ein außergewöhnlich belastendes Ereignis zeitlich begrenzt ist und sich innerhalb weniger Tage zurückbildet. Neue Diagnosen Im ICD-11 werden neue Diagnosen eingeführt, um klinisch relevante Stressreaktionen besser abzubilden:  - **Prolongierte Trauerstörung (Prolonged Grief Disorder):** Anhaltende Trauerreaktionen, die die normale Trauerzeit deutlich überschreiten.  - **Andere spezifizierte Störungen im Zusammenhang mit Stress:** Für Störungen, die durch Belastungen ausgelöst werden, aber nicht vollständig die Kriterien für PTBS, Anpassungsstörungen oder akute Belastungsreaktionen erfüllen. Dissoziative Störungen Neue Klassifikation und Struktur Im ICD-11 werden dissoziative Störungen unter der Kategorie **6B60 – Dissociative Disorders** geführt. Die Subkategorien wurden modernisiert und detaillierter beschrieben, um die diagnostische Zuverlässigkeit zu erhöhen. Wichtige Änderungen und neue Diagnosen 1. Erweiterte Definition von dissoziativen Störungen Dissoziative Störungen werden im ICD-11 als Bedingungen definiert, bei denen eine Störung der normalen Integration von Bewusstsein, Gedächtnis, Identität, Emotionen, Wahrnehmung, Körperrepräsentation oder Verhalten vorliegt. Überarbeitete Klassifikationen Einige Subtypen wurden überarbeitet oder neu definiert:  - **Dissoziative Amnesie:** Betont wird, dass der Gedächtnisverlust selektiv und psychogener Natur ist.  - **Dissoziative Fugue:** Wird als Subtyp der dissoziativen Amnesie betrachtet.  - **Dissoziative Bewegungsstörung:** Klare Unterscheidung zwischen motorischen und sensorischen Symptomen. Wichtige Änderungen im Vergleich zum ICD-10 1. **Dissoziative neurologische Symptomstörung:** Einführung einer neuen Diagnose für frühere Konversionsstörungen. 2. **Partielle dissoziative Identitätsstörung:** Neue Unterkategorie, um weniger ausgeprägte Identitätsstörungen zu erfassen. 3. **Klarere Subtypen:** Präzisere Definitionen für dissoziative Amnesie, Fugue und Bewegungsstörungen. Somatoforme Störungen Neue Klassifikation und Terminologie Im ICD-11 wird die Kategorie der somatoformen Störungen durch den Begriff **Bodily Distress Disorders (BDD)** ersetzt. Dieser Begriff hebt hervor, dass körperliche Symptome durch eine übermäßige Fokussierung, Besorgnis oder Stress im Zusammenhang mit den Beschwerden beeinflusst werden, unabhängig davon, ob eine medizinische Grunderkrankung vorliegt. Neue Diagnose 1. Einführung der Bodily Distress Disorders (BDD) Die Bodily Distress Disorders ersetzen die früheren somatoformen Störungen und umfassen eine breite Bandbreite von Symptomen, die durch eine anhaltende und übermäßige Beschäftigung mit körperlichen Beschwerden charakterisiert sind. 2. Schweregrad und Funktionseinschränkung Im ICD-11 wird zwischen milden, moderaten und schweren Formen der Bodily Distress Disorders unterschieden, basierend auf dem Grad der funktionellen Beeinträchtigungen und der psychischen Belastung. Dies ermöglicht eine bessere Anpassung der Behandlung an den individuellen Bedarf. Wichtige Änderungen im Vergleich zum ICD-10 1. **Umbenennung:** Die somatoformen Störungen wurden durch die Bodily Distress Disorders ersetzt. 2. **Fokus auf psychologische Faktoren:** Die neue Klassifikation betont die Rolle von Stress und übermäßiger Beschäftigung mit den Symptomen. 3. **Schweregradbewertung:** Einführung von milden, moderaten und schweren Formen zur besseren Differenzierung. 4. **Breitere Anwendbarkeit:** Berücksichtigung kultureller und individueller Unterschiede in der Symptomwahrnehmung. F50 Strukturveränderungen im ICD- 11 Im ICD-11 werden Essstörungen unter der Kategorie 'Störungen der Ernährung oder der Nahrungsaufnahme (Feeding and Eating Disorders)' zusammengefasst. Dieser Ansatz betont die Kontinuität zwischen Störungen, die früher als separate Kategorien behandelt wurden. 1. Anorexia nervosa Im ICD-11 wurden die diagnostischen Kriterien für Anorexia nervosa präzisiert, insbesondere im Hinblick auf den Schweregrad der Unterernährung. Ein wichtiger Unterschied ist, dass das Kriterium eines niedrigen Körpergewichts flexibler gestaltet wurde, um auch Fälle zu erfassen, bei denen der Gewichtsverlust noch nicht extrem ist, die Person aber erheblichen gesundheitlichen Schaden erleidet. Psychologische Merkmale wie eine verzerrte Körperwahrnehmung bleiben zentrale diagnostische Kriterien. 2. Bulimia nervosa Für Bulimia nervosa wurde die Häufigkeit der Essanfälle und der kompensatorischen Maßnahmen (z. B. Erbrechen) überarbeitet. Während die ICD-10 eine Mindesthäufigkeit von zwei Mal pro Woche vorschrieb, verlangt der ICD-11 nur noch einmal pro Woche, was eine bessere Abdeckung weniger schwerer, aber klinisch relevanter Fälle ermöglicht. Binge-Eating-Störung Die Binge-Eating-Störung (BES), die in der ICD-10 noch unter 'andere Essstörungen' fiel, ist im ICD-11 als eigenständige Diagnose anerkannt. Sie beschreibt wiederholte Episoden von Essanfällen ohne regelmäßige kompensatorische Maßnahmen. Die Anerkennung dieser Störung reflektiert ihre klinische Relevanz und unterstützt eine gezielte Behandlung. Erweiterung der Kategorie „Andere Essstörungen“ Die Kategorie für nicht näher bezeichnete Essstörungen wurde erweitert, um spezifische Störungen wie die vermeidende/restriktive Essstörung (Avoidant/Restrictive Food Intake Disorder, ARFID) zu erfassen. ARFID wurde im ICD-11 neu aufgenommen und beschreibt Patienten, die Nahrungsaufnahme aus anderen Gründen als der Gewichtsregulation vermeiden (z. B. sensorische Abneigungen oder Angst vor dem Schlucken). F51 / F52 Im ICD-11 wird der Begriff "nichtorganisch" entfernt, da er veraltet ist und Schlafstörungen unabhängig von ihrer Ursache betrachtet werden. Die Störungen werden jetzt allgemeiner als „Schlaf-Wach-Störungen“ (Sleep-Wake Disorders) bezeichnet. Die Kategorie „Sexual Dysfunctions“ (6C7) umfasst nun sexuelle Funktionsstörungen unabhängig von ihrer Ursache (psychisch, körperlich oder kombiniert). Einige spezifischere Kategorien wurden eingeführt, z. B. „Verzögerte Ejakulation“ (6C76). "Female sexual arousal dysfunction" für spezifische Erregungsprobleme bei Frauen. F 53 Im ICD-11 werden psychische Störungen im Zusammenhang mit dem Wochenbett nicht mehr als separate Gruppe aufgeführt. Stattdessen werden sie nach ihrer Hauptsymptomatik (z. B. Depression, Angst, Anpassungsstörung) eingeordnet und mit einem Zusatz „postpartum onset“ spezifiziert. Der ICD-11 erlaubt die Spezifikation des Zeitraums (z. B. "postpartum") für verschiedene psychische Störungen. F64 Geschlechtsidentität Im ICD-11 wurden die Kategorien der Geschlechtsidentitätsstörungen aus dem Kapitel der psychischen Störungen entfernt. Sie sind nun unter der neuen Kategorie 'Bedingungen im Zusammenhang mit der sexuellen Gesundheit (Conditions Related to Sexual Health)' zu finden. Dies spiegelt die Erkenntnis wider, dass eine Abweichung in der Geschlechtsidentität keine psychische Störung darstellt, sondern vielmehr Unterstützung und medizinische Versorgung erfordert. 1. Geschlechtsinkongruenz bei Jugendlichen und Erwachsenen Die Kategorie 'Transsexualismus' aus dem ICD-10 wurde durch 'Geschlechtsinkongruenz bei Jugendlichen und Erwachsenen' ersetzt. Diese neue Bezeichnung betont den Aspekt der Nicht- Übereinstimmung zwischen dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht und dem erlebten Geschlecht, ohne dies als psychische Krankheit zu pathologisieren. Geschlechtsinkongruenz bei Kindern Eine separate Kategorie für Kinder wurde eingeführt, um die spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen dieser Altersgruppe zu berücksichtigen. Auch hier wird die Geschlechtsinkongruenz nicht als Störung betrachtet, sondern als ein Zustand, der Unterstützung erfordert. Entfernung von Transvestitismus Die Diagnose 'Transvestitismus' aus dem ICD-10 wurde im ICD- 11 vollständig entfernt. Dies geschah in Anerkennung der Tatsache, dass Geschlechtsausdruck durch Kleidung oder Verhalten keine pathologische Bedeutung hat. Fallbeispiel Frau Becker, 28 Jahre alt, stellt sich in einer psychotherapeutischen Praxis vor. Sie berichtet, seit ihrer frühen Jugend ein starkes Gefühl der Unzufriedenheit mit ihrem weiblichen Körper zu verspüren. Sie fühlt sich als Mann und identifiziert sich im Alltag zunehmend mit einer männlichen Geschlechtsrolle. Frau Becker hat begonnen, Männerkleidung zu tragen und verlangt von ihrem Umfeld, mit einem männlichen Vornamen angesprochen zu werden. Trotz dieser Schritte fühlt sich Frau Becker stark belastet, insbesondere durch: Körperliche Diskrepanz: Sie empfindet ihren weiblichen Körper als falsch und unerträglich, insbesondere ihre Brust und Hüften. Soziale Schwierigkeiten: Familie und Freunde haben Schwierigkeiten, ihre Identität anzuerkennen, was zu Konflikten führt. Psychische Belastung: Sie leidet unter einer ausgeprägten Depression, verbunden mit sozialem Rückzug und Selbstzweifeln. F70 Wichtig In der ICD-11 werden die Diagnosen der ICD-10-Kategorie F70-F79 ('Intelligenzminderung') nun als 'Intellectual developmental disorders' (IDD) bezeichnet. - Die ICD-11 berücksichtigt neben kognitiven Defiziten auch die praktischen, sozialen und adaptiven Fähigkeiten der Betroffenen. Intellektuelle Entwicklungsstörungen werden als Störungen der neurokognitiven Entwicklung betrachtet, die früh in der Kindheit beginnen und das lebenslange Lernen und die Anpassungsfähigkeit beeinflussen. Begriffe wie 'Debilität', 'Imbezillität' oder 'Idiotie', die in älteren Klassifikationen vorkamen, wurden vollständig entfernt, um eine respektvolle und zeitgemäße Sprache zu gewährleisten. Die ICD-11 betont, dass diese Störungen nicht fortschreitend sind, sondern stabil bleiben. Einstufung nach Schweregrad Die ICD-11 stuft die intellektuellen Entwicklungsstörungen nach Schweregrad ein: - Mild (6A00.0), - Moderate (6A00.1), - Severe (6A00.2), - Profound (6A00.3). - Diese Schweregrade basieren auf der funktionalen Beeinträchtigung in verschiedenen Lebensbereichen anstatt nur auf IQ-Werten. F80 11 für das Kapitel F80 (Spezifische Entwicklungsstörungen des Sprechens undspezifische Das Kapitel F80 im ICD-10 umfasste der Sprache) Entwicklungsstörungen des Sprechens und der Sprache. Mit der Einführung des ICD-11 wurden diese Kategorien überarbeitet und präzisiert, um neue wissenschaftliche Erkenntnisse und eine bessere klinische Anwendbarkeit zu integrieren. Strukturveränderungen im ICD- 11 Im ICD-11 bleiben die Entwicklungsstörungen der Sprache und des Sprechens erhalten, werden jedoch in einer neu strukturierten Kategorie für 'Entwicklungsstörungen der neuronalen Funktionen (Neurodevelopmental Disorders)' zusammengefasst. Dadurch wird die Verbindung zu anderen neurodevelopmentalen Störungen wie Autismus-Spektrum- Störungen und Lernstörungen hervorgehoben. Sprachentwicklungsstörung (Developmental Language Disorder) Der Begriff 'Spezifische Sprachentwicklungsstörung' wurde im ICD-11 durch 'Sprachentwicklungsstörung' ersetzt, um die Vielfalt der Sprachprobleme abzudecken. Die Störung ist nicht mehr von anderen Bedingungen wie Hörstörungen oder Autismus ausgeschlossen, sofern die Sprachprobleme nicht ausschließlich darauf zurückzuführen sind. Artikulationsstörungen Die früheren Kategorien für Artikulationsstörungen wurden unter dem Begriff 'Sprechstörung' zusammengefasst. Dabei wird zwischen funktionellen und organischen Ursachen unterschieden, um klinische Interventionen besser zu unterstützen. Störungen der Sprechflüssigkeit (z. B. Stottern) Stottern und andere Störungen der Sprechflüssigkeit werden weiterhin als eigenständige Kategorien behandelt. Die diagnostischen Kriterien wurden erweitert, um die Variabilität dieser Störungen im Verlauf und ihre Auswirkungen auf das soziale und emotionale Leben zu berücksichtigen. Dyspraxie Im ICD-11 wird Dyspraxie nicht als eigenständige Diagnose geführt, sondern als Teil der Entwicklungsstörungen der motorischen Koordination (Developmental Coordination Disorder, DCD) klassifiziert. Dies spiegelt den aktuellen wissenschaftlichen Konsens wider, dass Dyspraxie und Entwicklungsstörungen der motorischen Koordination in denselben diagnostischen Bereich fallen. Kriterien Developmental Coordination Disorder (DCD) wird im ICD-11 durch folgende Hauptmerkmale definiert:  - **Koordinationsprobleme:** Deutliche Schwierigkeiten bei der Ausführung motorischer Aufgaben, die nicht durch eine andere medizinische oder neurologische Ursache erklärt werden können.  - **Beeinträchtigung der Alltagsfunktionen:** Die motorischen Schwierigkeiten führen zu erheblichen Beeinträchtigungen im Alltag, z. B. bei schulischen oder sportlichen Aktivitäten sowie in sozialen Situationen.  - **Frühes Auftreten:** Symptome treten typischerweise in der frühen Kindheit auf und sind nicht allein durch altersgemäße Entwicklungsunterschiede erklärbar. Legasthenie und Dyskalkulie Im ICD-11 sind Legasthenie (Lesestörung) und Dyskalkulie (Rechenstörung) unter dem Begriff der Entwicklungsbedingten Lernstörungen (6A03) eingeordnet. Diese Änderungen fördern eine präzisere Diagnose und bessere Fördermöglichkeiten, um betroffenen Kindern und Jugendlichen individuelle Unterstützung zu bieten. Einordnung im ICD-11 Legasthenie und Dyskalkulie gehören zur Kategorie der entwicklungsbedingten Lernstörungen und sind Teil der neurodevelopmentalen Störungen. ICD-11 Code: 6A03 – Entwicklungsbedingte Lernstörungen (Developmental Learning Disorders) Unterkategorien 1. Lesestörung (Legasthenie) Diese Kategorie umfasst Schwierigkeiten beim Lesen, wie langsames, ungenaues oder fehlerhaftes Dekodieren von Wörtern. Auch Probleme beim Verständnis von Texten sind ein typisches Merkmal. 6A03.0 2. Rechtschreibstörung Betroffene zeigen Probleme beim korrekten Schreiben von Wörtern (Orthografie). Diese Störung tritt häufig gemeinsam mit Lesestörungen auf, kann jedoch auch isoliert vorkommen. 6A03.1 Unterkategorien 3. Rechenstörung (Dyskalkulie) Dyskalkulie beschreibt Schwierigkeiten bei der Entwicklung und Anwendung grundlegender Rechenfertigkeiten wie Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division. Auch räumlich-visuelle Probleme können auftreten, z. B. bei der Anordnung von Zahlen. 6A03.2 4. Kombinierte Lernstörungen In einigen Fällen treten Lese-, Schreib- und Rechenstörungen kombiniert auf. Diese Fälle werden ebenfalls unter der Kategorie der Entwicklungsbedingten Lernstörungen zusammengefasst. Fallbeispiel Lukas, 12 Jahre alt, wird von seinen Eltern in die Praxis gebracht, da er seit der Grundschule Schwierigkeiten im Lesen und Schreiben hat. Während seine Leistungen in Mathematik und anderen Fächern durchschnittlich bis gut sind, hat er große Probleme mit: Lesegenauigkeit: Er liest sehr langsam, macht häufig Fehler beim Erkennen von Wörtern und vertauscht Buchstaben (z. B. „Brot“ wird als „Bot“ gelesen). Rechtschreibung: Er macht viele Rechtschreibfehler, auch bei häufig verwendeten Wörtern. Er schreibt oft so, wie er die Wörter hört (z. B. „Fata“ statt „Vater“). Lesefluss: Er liest stockend und hat Mühe, längere Texte zu verstehen. In der Schule hat Lukas große Mühe, schriftliche Aufgaben rechtzeitig zu erledigen. Seine Lehrer berichten, dass er leicht frustriert ist und sein Selbstwertgefühl unter den Problemen leidet. Ein Intelligenztest zeigte eine durchschnittliche Intelligenz, wodurch seine Schwierigkeiten nicht durch eine allgemeine Entwicklungsverzögerung erklärbar sind. Asperger Die Kategorie F84.5 im ICD-10 umfasste das Asperger-Syndrom als eine spezifische Form von tiefgreifenden Entwicklungsstörungen. Im ICD-11 wurde das Asperger-Syndrom nicht mehr als separate Diagnose geführt, sondern in die Kategorie **6A02 – Autism Spectrum Disorder (ASD)** integriert. Diese Änderungen reflektieren den aktuellen wissenschaftlichen Konsens, dass autistische Störungen als Spektrum betrachtet werden sollten. Neue Klassifikation und Struktur Im ICD-11 wurde das Asperger-Syndrom zusammen mit anderen Störungen aus dem Autismusspektrum (z. B. frühkindlicher Autismus) unter der übergreifenden Diagnose **Autism Spectrum Disorder (ASD)** zusammengeführt. Dabei wird der Schweregrad der Beeinträchtigungen individuell beschrieben, anstatt verschiedene Subtypen zu definieren. Was ist neu? 1. Integration in das Autismusspektrum Das Asperger-Syndrom wird nicht mehr als eigenständige Diagnose geführt. Stattdessen wird es im ICD-11 als Teil des Autismusspektrums betrachtet, was der breiten Variation in der klinischen Präsentation von autistischen Störungen Rechnung trägt. 2. Beschreibung der individuellen Schweregrade Im ICD-11 wird die Diagnose Autism Spectrum Disorder (ASD) durch spezifische Angaben zum Schweregrad der Beeinträchtigung ergänzt, z. B. hinsichtlich der sozialen Kommunikation oder der Notwendigkeit von Unterstützung im Alltag. Dies ersetzt die Subtypen des ICD-10. 3. Keine sprachlichen oder kognitiven Einschränkungen erforderlich Während im ICD-10 das Asperger-Syndrom durch das Fehlen signifikanter sprachlicher oder kognitiver Verzögerungen definiert war, werden im ICD-11 keine solchen Kriterien mehr zur Unterscheidung innerhalb des Autismusspektrums verwendet. Was ist neu II? 4. Fokus auf funktionale Beeinträchtigungen Der ICD-11 betont die funktionalen Auswirkungen der Symptome auf das tägliche Leben, einschließlich sozialer, schulischer oder beruflicher Bereiche, unabhängig von den kognitiven Fähigkeiten. Wichtige Diagnosekriterien für Autism Spectrum Disorder (ASD) 1. 1. **Beeinträchtigung der sozialen Kommunikation und Interaktion:** Schwierigkeiten in der sozialen Nutzung von Sprache und nonverbaler Kommunikation. 2. 2. **Repetitive Verhaltensweisen und eingeschränkte Interessen:** Z. B. stereotype Bewegungen, stark fokussierte Interessen oder sensorische Besonderheiten. 3. 3. **Frühes Auftreten der Symptome:** Symptome treten typischerweise in der frühen Kindheit auf, können jedoch erst in späteren Lebensjahren erkannt werden, wenn Anforderungen die individuellen Fähigkeiten übersteigen. 4. 4. **Funktionale Beeinträchtigungen:** Die Symptome beeinträchtigen das tägliche Leben in sozialen, schulischen oder beruflichen Bereichen. F90 ADHS/ADS Einordnung im ICD-11 Im ICD-11 bleibt ADHS erhalten, wird jedoch unter der Kategorie **6A05 – Attention Deficit Hyperactivity Disorder (ADHD)** geführt. Diese Änderung hebt die Störung in den Bereich der neurodevelopmentalen Störungen hervor, zusammen mit anderen Entwicklungsstörungen wie Autismus-Spektrum-Störungen. 1. Präzisierung der Subtypen Im ICD-10 wurden ADHS-Subtypen weniger spezifisch beschrieben. Der ICD-11 definiert nun drei Subtypen basierend auf den vorherrschenden Symptomen während der letzten sechs Monate:  - **Vorwiegend unaufmerksamer Typ**: Hauptsächlich Unaufmerksamkeitssymptome.  - **Vorwiegend hyperaktiv-impulsiver Typ**: Hauptsächlich Symptome von Hyperaktivität und Impulsivität.  - **Gemischter Typ**: Kombination von Unaufmerksamkeit sowie Hyperaktivität und Impulsivität. Was ist neu? 2. Erweiterung der Altersgrenzen Im ICD-11 wurde der Altersbereich für den Symptombeginn angepasst. Während der ICD-10 Symptome vor dem Alter von 7 Jahren forderte, akzeptiert der ICD-11 Symptome, die vor dem Alter von 12 Jahren auftreten. Dies berücksichtigt aktuelle Forschungsergebnisse, die zeigen, dass Symptome später erkannt werden können, ohne die Diagnose zu beeinträchtigen. 3. Differenzierte diagnostische Kriterien Die diagnostischen Kriterien im ICD-11 betonen stärker die funktionellen Beeinträchtigungen, die durch die Symptome verursacht werden. Es wird unterschieden, ob die Symptome das soziale, schulische oder berufliche Leben erheblich beeinträchtigen. Störung des Sozialverhaltens Im ICD-11 werden Störungen des Sozialverhaltens unter der neuen Kategorie **6C90 – Conduct-Disorder (Störung des Sozialverhaltens)** geführt. Diese Einordnung unter die **Störungen des Sozial- und Verhaltensspektrums (Disorders of Social and Emotional Development)** unterstreicht ihre neurodevelopmentale Komponente. Präzisierung 1. Präzisierung der Unterkategorien Im ICD-10 wurden Unterkategorien von Störungen des Sozialverhaltens weniger differenziert beschrieben. Im ICD-11 gibt es eine klarere Unterscheidung zwischen verschiedenen Erscheinungsformen der Störung:  - **Störung des Sozialverhaltens mit oppositionellem Verhalten:** Verhalten ist primär durch Trotz, Widerstand und Wut gekennzeichnet. 6C90.1  - **Störung des Sozialverhaltens mit aggressivem Verhalten:** Verhalten umfasst körperliche oder verbale Aggression, Schikanieren oder Drohen. 6C91.1  - **Störung des Sozialverhaltens mit nicht-aggressivem Verhalten:** Umfasst Regelverstöße wie Stehlen, Lügen oder Schulschwänzen. 6C91.2 Was ist sonst noch wichtig? 2. Berücksichtigung emotionaler Komponenten Der ICD-11 berücksichtigt emotionale Aspekte der Störung stärker, insbesondere das Vorhandensein von **eingeschränkten prosozialen Emotionen** (limited prosocial emotions). Diese Dimension umfasst fehlende Reue, geringes Mitgefühl oder mangelndes Interesse an sozialen Normen und Beziehungen. 3. Kontext und funktionelle Beeinträchtigungen Die diagnostischen Kriterien im ICD-11 legen mehr Wert auf den sozialen und kulturellen Kontext des Verhaltens. Es wird geprüft, ob die Verhaltensweisen in einem spezifischen Kontext oder über verschiedene Lebensbereiche hinweg auftreten. 4. Differenzierung nach Schweregrad Der ICD-11 erlaubt eine Differenzierung der Störung des Sozialverhaltens nach Schweregrad (leicht, moderat, schwer), basierend auf der Häufigkeit, Intensität und dem funktionellen Einfluss des Verhaltens. Störung der Emotionen F 93 ICD-11: Die F 93-Diagnosen wurden stärker in den Zusammenhang von Angst- und Angstverwandten Störungen (Anxiety or Fear- Related Disorders) sowie Störungen des emotionalen und sozialen Verhaltens eingeordnet: Trennungsangststörung wird explizit unter den Angststörungen gelistet und ist nicht mehr auf das Kindesalter beschränkt. Phobische Störungen des Kindesalters wurden in die allgemeinen phobischen Störungen integriert. Störung mit sozialer Ängstlichkeit wird nun als soziale Angststörung geführt und ist ebenfalls nicht mehr auf Kinder begrenzt. Die emotionale Störung mit Geschwisterrivalität wurde aus dem ICD-11 entfernt, da sie klinisch weniger relevant ist und oft in anderen Kontexten diagnostiziert wird. Tic-Störungen Tic-Störungen werden unter der Kategorie 6A05 – Tic Disorders eingeordnet, die Teil der neurodevelopmentalen Störungen (Neurodevelopmental Disorders) ist. Die Subtypen der Tic-Störungen wurden beibehalten Die Diagnose ist nicht mehr altersbeschränkt und kann auch bei Erwachsenen gestellt werden, wenn die Kriterien erfüllt sind. Dies berücksichtigt die Tatsache, dass Tics oft bis ins Erwachsenenalter bestehen bleiben können. Es gibt nun eine Schweregradbewertung (3-stufig) Sexuelle Gesundheit Eigenes Kapitel: Störungen der sexuellen Gesundheit wurden in ein eigenes Kapitel überführt, um der Interaktion zwischen physischen und psychischen Faktoren gerecht zu werden. Entpathologisierung: Bestimmte Verhaltensweisen, die in der ICD-10 als Störungen galten, werden in der ICD-11 nicht mehr als solche klassifiziert, sofern sie keine Beeinträchtigung verursachen. In aller Kürze… 1. Neues Kapitel für psychische und Verhaltensstörungen Psychische und Verhaltensstörungen sind jetzt im Kapitel 06 angesiedelt, mit einer neuen alphanumerischen Kodierung, die präziser ist als die alte "F"-Kodierung in der ICD-10. 2. Neue Diagnosen Zwanghafte Sexualverhaltensstörung Diese wurde als neue Diagnose eingeführt und beschreibt ein anhaltendes Muster von Kontrollverlust über sexuelle Impulse und Handlungen. Sie wird nicht als Suchterkrankung klassifiziert, sondern als Impulskontrollstörung. Computerspielsucht (Gaming Disorder) Nun als eigenständige Diagnose anerkannt. Umfasst anhaltendes oder wiederholtes Spielen (online oder offline), das zu einer erheblichen Beeinträchtigung oder Belastung führt. Prolongierte Trauerstörung (Prolonged Grief Disorder) Beschreibt eine langanhaltende Trauerreaktion, die über 6 Monate hinausgeht und die normale Lebensführung stark beeinträchtigt. Trennungsangststörung bei Erwachsenen Diese Diagnose wurde in die ICD-11 aufgenommen. In der ICD-10 war Trennungsangst nur bei Kindern diagnostizierbar. Jetzt können auch Erwachsene mit ähnlichen Symptomen diagnostiziert werden. 3. Überarbeitung der Persönlichkeitsstörungen Dimensionales Modell: Persönlichkeitsstörungen werden nicht mehr als starre Kategorien betrachtet (wie Borderline oder Narzissmus), sondern nach Schweregrad und vorherrschenden Persönlichkeitsmerkmalen beschrieben. Schweregrade: leicht, moderat, schwer. Beschreibungen umfassen spezifische Merkmale wie emotionale Instabilität, Zwanghaftigkeit oder Distanzierung. 4. Schizophrenie und andere psychotische Störungen Subtypen wie "paranoide Schizophrenie" oder "katatone Schizophrenie" wurden entfernt. Stattdessen wird Schizophrenie nun anhand von symptomatischen Dimensionen beschrieben (z. B. Wahn, Halluzinationen, Denkstörungen). 5. Diagnosen zu Geschlechtsinkongruenz Entpathologisierung: Geschlechtsdysphorie wird nicht mehr als psychische Störung klassifiziert. Sie ist jetzt im neuen Kapitel "Zustände sexueller Gesundheit" zu finden, um die Stigmatisierung zu verringern. 6. Störungen der Impulskontrolle Erweiterung der Diagnosen in diesem Bereich (z. B. zwanghaftes Sexualverhalten, pathologisches Zocken, Essattacken). 7. Störungen im Zusammenhang mit Stress Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) Bessere Differenzierung der PTBS von komplexer PTBS, die durch anhaltende, schwere Traumatisierungen (z. B. Missbrauch, Gewalt) entsteht. Burnout Bleibt weiterhin im Bereich der Arbeitsbelastung und wird nicht als psychische Störung klassifiziert. 8. Anpassungen bei neurokognitiven Störungen Demenzen und andere neurokognitive Störungen (z. B. durch Substanzmissbrauch) wurden präzisiert. 9. Essstörungen Binge-Eating-Störung ist jetzt eine eigenständige Diagnose. Präzisierungen bei anderen Essstörungen wie Anorexie und Bulimie. 10. Sucht und Abhängigkeiten Substanzgebrauchsstörungen umfassen detailliertere Diagnosen für verschiedene Substanzen. Neuer Fokus auf Verhaltenssüchte wie Computerspielsucht. 11. Neue Kategorisierung der Angststörungen In der ICD-10 waren Angststörungen Teil der Kategorie "Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen" (F40– F48). In der ICD-11 sind sie nun unter "Angst- oder furchtbezogene Störungen" zusammengefasst. Diese neue Kategorie hebt die Angststörungen als eigenständige Gruppe hervor und erleichtert eine klarere diagnostische Zuordnung. Quiz Fallbeispiele

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