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This document discusses the theoretical foundations of education, examining concepts such as Bildung, Erziehung, and Sozialisation. It explores the historical context and contemporary perspectives on these key educational ideas.
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# Bildung, Erziehung, Sozialisation: Die theoretischen Grundbegriffe ## 2 Bildung, Erziehung, Sozialisation ### Die theoretischen Grundbegriffe Sowohl in Schultheorien wie in Schulgesetzen ist fast immer davon die Rede, dass die Schule einen Bildungs- und Erziehungsauftrag habe. Damit wird ausgesa...
# Bildung, Erziehung, Sozialisation: Die theoretischen Grundbegriffe ## 2 Bildung, Erziehung, Sozialisation ### Die theoretischen Grundbegriffe Sowohl in Schultheorien wie in Schulgesetzen ist fast immer davon die Rede, dass die Schule einen Bildungs- und Erziehungsauftrag habe. Damit wird ausgesagt, dass „Bildung" und „Erziehung" von zentraler Bedeutung sind, dass sie aber nicht das Gleiche bezeichnen. Mit der Frage nach den Unterschieden aber auch nach den Berührungspunkten wird auf eine mehrere Jahrhunderte alte Begriffs- und Bedeutungsgeschichte verwiesen, auf die hier nur punktuell eingegangen werden kann. Wir knüpfen im Folgenden zwar an diesen Traditionen an, konzentrieren uns aber darauf, den jüngeren Diskussionsstand zu präsentieren. Dabei gehen wir auch - wie bereits angesprochen - auf einen dritten Grundbegriff ein: den der Sozialisation. ### 2.1 Bildung und Schulbildung Es gibt keinen erziehungswissenschaftlichen Begriff, der vieldeutiger, schillernder, umstrittener ist als der Begriff der „Bildung (vgl. Tenorth 1997); zugleich wird er aber in unterschiedlichen Wortzusammensetzungen von der „Allgemeinbildung“ bis zur „Bildungsbarriere" ständig benutzt. Vor diesem Hintergrund ist es eine nur schwer zu bewältigende Aufgabe, knapp und präzis herauszuarbeiten, was denn eigentlich mit dem „Bildungsauftrag" der Schule gemeint ist. Wir versuchen dies im Folgenden, indem wir zunächst auf die neuhumanistische Tradition zurückgreifen, um davon ausgehend ein erstes Verständnis zum Unterschied von Bildung und Erziehung zu gewinnen. Die Bedeutung von „Bildung“ und „Allgemeinbildung" für das Lernen in der Schule wollen wir dann mit Hilfe eines Theorieansatzes diskutieren, der bereits in den 1980er Jahren entstand, aber seitdem kontinuierlich weiterentwickelt wurde (vgl. Klafki 1985; Klafki/Braun 2007). #### 2.1.1 Begriffsbestimmung Definitionen und Reflexionen zum Bildungsbegriff finden sich in unendlicher Zahl. Dabei ist Adornos Formulierung, Bildung sei „Kultur nach der Seite ihrer subjektiven Zueignung“ (1978, 90), wohl die kompakteste. Sie macht darauf aufmerksam, dass es bei Bildung immer auch um die Aneignung gesellschaftlichen Wissens geht. Solche (und andere) Definitionen sind Teil einer Jahrhunderte alten Theoriegeschichte, in der die Phase des Neuhumanismus um 1800 (mit W. v. Humboldt und F. Schleiermacher) eine besonders prägende Kraft entfaltet hat. „Bildung stellt den Menschen auf das ihm als Menschen Eigene: auf seine Vernunft. Das bislang als unabänderbar Hingenommene wird in seiner Genese durchschaut und als prinzipiell Veränderbare erkannt... Bildung ist der Versuch, ... die seine Menschheit beeinträchtigenden Zwänge zu erfassen und durch Aufklärung über sie ihre Abschaffung einzuleiten. Sie erhält eine allem Einpassenden und Unterdrückenden gegenüber kritische Qualität" (Menze 1983, 351). Wenn man in dieser Weise von Bildung spricht, geht es also nicht so sehr um einen Kanon von zu lernenden Inhalten, sondern vor allem um die Fähigkeit des Einzelnen, durch eine selbst gewonnene Aufklärung Zwänge zu durchschauen und auf dieser Basis das eigene Leben selbst zu gestalten. Ein solcher Bildungsbegriff stellt in emphatischer Weise das aufgeklärte und kritisch - handlungsfähige Subjekt in den Mittelpunkt. Bildung ist dabei der individuelle Prozess der Auseinandersetzung mit der Welt und der Aneignung eines Bildes von der Welt. Welche Bedeutung kann ein solcher Begriff für die Schule haben? #### 2.1.2 Schule und Allgemeinbildung - oder: Wie aktuell ist Klafki? Als der angesprochene emphatische Bildungsbegriff Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelt wurde, konnte sich nur eine verschwindende Minderheit – nämlich der männliche Nachwuchs aus Adel und reichem Bürgertum – im eigenen Lebensentwurf daran orientieren. Doch diese privilegierte Minderheit brauchte keine öffentlichen Schulen, um den eigenen Bildungsprozess zu betreiben. Seitdem aber der gesellschaftliche Anspruch besteht, die Grundzüge der Kultur an alle Heranwach-senden heranzutragen, seitdem „Bildung“ (in welchen Abstufungen auch immer) als Anforderung und Chance für alle Heranwachsenden gilt, wird der systematische und kontinuierliche Unterricht für alle notwendig - es bedarf der Schule und der Schulpflicht. Darauf ist die Gesellschaft angewiesen, wenn sie ihr kulturelles Erbe und das für ihr Fortbestehen notwendige Wissen an die Jüngeren vermitteln will. Mit der endgültigen Durchsetzung der Schulpflicht für alle (etwa um 1880) wird der Diskurs um „Bildung" immer stärker zu einer Debatte um „Schulbildung" - um Unterricht und Lehrpläne. Denn indem die Schule ein wohldurchdachtes Programm an Fächern und Inhalten präsentiert, erschließt sie dem Heranwachsenden Zug um Zug die Welt. Dabei schreitet sie dem Alter der Schüler entsprechend fort und vermittelt auf diese Weise einen Wissens- und Kenntnisstand (eine „Allgemeinbildung"), über die abschließend ein Zertifikat (z. B. das Abitur) ausgestellt wird. Wie dieser Bildungsauftrag der allgemeinen Schule auszugestalten ist, welche Kompetenzen die Heranwachsenden an öffentlichen Schulen erwerben sollen, welche Fächer und Inhalte zu unterrichten sind, ist immer wieder neu zu diskutieren. Ein besonders einflussreiches Konzept dazu hat Wolfgang Klafki mit seinen „Konturen eines neuen Allgemeinbildungskonzepts" (1985) vorgelegt. Damit skizziert er die wünschenswerten Bildungsprozesse die von der „allgemeinen" Schule angestoßen werden sollen. #### Allgemeinbildung als Bildung für alle Allgemeinbildung wird hier als Möglichkeit und Anspruch aller Menschen verstanden - ein solches Konzept wendet sich gegen alle Versuche, Entwicklungschancen von Menschen durch soziale Ungleichheiten zu beschränken. Es geht also nicht um die elitäre Bildung einer Minderheit, es geht auch nicht um sozial abgestufte „Bildungsniveaus". Vielmehr zielt Allgemeinbildung darauf, „das Ausmaß der Gemeinsamkeiten in den Einstellungen, Erkenntnissen und Fähigkeiten aller soweit wie irgend möglich auszudehnen" (Klafki 1985, 19). Dieses Prinzip, das auch schon von vielen Denkern der deutschen Klassik (z.B. Humboldt, Pestalozzi, Diesterweg) vertreten wurde, „führt, schulorganisatorisch gesehen mit Notwendigkeit zur Forderung nach der Integrierten Gesamtschule, inhaltlich nach einem konsequenten Ausbau des Kernunterrichts" (ebd., 19). Dies alles ist zu verbinden mit „intensiven Bemühungen um den Ausgleich der in der familiären... Sozialisation begründeten unterschiedlichen Ausgangsbedingungen der Kinder und Jugendlichen" (ebd., 19). Der Anspruch aller auf eine umfassende Bildung wird hier stark gemacht. Und die öffentliche Schule wird aufgefordert, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, um Bildungsschranken innerhalb und außerhalb der Schule abzubauen. #### Allgemeinbildung als Reflexions- und Urteilsfähigkeit bei „Schlüsselproblemen Was sind die Inhalte der Kultur, deren Aneignung unverzichtbar ist? Anders formuliert: Was muss man können bzw. wissen, um als „gebildet" gelten zu können? Diese Frage wurde lange Zeit als „Kanonproblem" behandelt und beantwortet: Es wurde festgelegt (und in den Lehrplan aufgenommen), was als unverzichtbarer Lehrstoff galt. Auf diese Weise wurden z.B. alte Sprachen, ein bestimmter Literaturkanon und eine spezifische Sicht der nationalen Geschichte zum substanziellen Kern der Allgemeinbildung erhoben. Nach Klafki lässt sich diese Frage längst nicht mehr durch einen verbindlichen Katalog von Inhalten beantworten. Vielmehr gehe es darum, „ein geschichtlich vermitteltes Bewusstsein von zentralen Problemen der gemeinsamen Gegenwart und der voraussehbaren Zukunft" (ebd., 20) zu gewinnen. Diese Probleme, die er als „Schlüsselprobleme" bezeichnet, müssen im Unterricht kritisch und reflektiert behandelt werden, so dass jede/r Schüler/in dazu eine Urteilsfähigkeit erlangt. Klafki legt (auf dem Stand von 1985) einen Katalog solcher Schlüsselprobleme vor. Dazu gehören u.a.: - die Umweltfrage - das Nord-Süd-Gefälle - die Friedensfrage und das Ost-West-Verhältnis - soziale Ungleichheit und gesellschaftliche Machtpositionen - Arbeit und Arbeitslosigkeit - Deutsche und Ausländer ### Bildung und Schulbildung er die wünschenswerten Bildungsprozesse die von der „allgemeinen" Schule angestoßen werden sollen. #### Allgemeinbildung als Bildung für alle Allgemeinbildung wird hier als Möglichkeit und Anspruch aller Menschen verstanden - ein solches Konzept wendet sich gegen alle Versuche, Entwicklungschancen von Menschen durch soziale Ungleichheiten zu beschränken. Es geht also nicht um die elitäre Bildung einer Minderheit, es geht auch nicht um sozial abgestufte „Bildungsniveaus". Vielmehr zielt Allgemeinbildung darauf, „das Ausmaß der Gemeinsamkeiten in den Einstellungen, Erkenntnissen und Fähigkeiten aller soweit wie irgend möglich auszudehnen" (Klafki 1985, 19). Dieses Prinzip, das auch schon von vielen Denkern der deutschen Klassik (z.B. Humboldt, Pestalozzi, Diesterweg) vertreten wurde, „führt, schulorganisatorisch gesehen mit Notwendigkeit zur Forderung nach der Integrierten Gesamtschule, inhaltlich nach einem konsequenten Ausbau des Kernunterrichts" (ebd., 19). Dies alles ist zu verbinden mit „intensiven Bemühungen um den Ausgleich der in der familiären... Sozialisation begründeten unterschiedlichen Ausgangsbedingungen der Kinder und Jugendlichen" (ebd., 19). Der Anspruch aller auf eine umfassende Bildung wird hier stark gemacht. Und die öffentliche Schule wird aufgefordert, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, um Bildungsschranken innerhalb und außerhalb der Schule abzubauen.. #### Allgemeinbildung als Reflexions- und Urteilsfähigkeit bei „Schlüsselproblemen Was sind die Inhalte der Kultur, deren Aneignung unverzichtbar ist? Anders formuliert: Was muss man können bzw. wissen, um als „gebildet" gelten zu können? Diese Frage wurde lange Zeit als „Kanonproblem" behandelt und beantwortet: Es wurde festgelegt (und in den Lehrplan aufgenommen), was als unverzichtbarer Lehrstoff galt. Auf diese Weise wurden z.B. alte Sprachen, ein bestimmter Literaturkanon und eine spezifische Sicht der nationalen Geschichte zum substanziellen Kern der Allgemeinbildung erhoben. Nach Klafki lässt sich diese Frage längst nicht mehr durch einen verbindlichen Katalog von Inhalten beantworten. Vielmehr gehe es darum, „ein geschichtlich vermitteltes Bewusstsein von zentralen Problemen der gemeinsamen Gegenwart und der voraussehbaren Zukunft" (ebd., 20) zu gewinnen. Diese Probleme, die er als „Schlüsselprobleme" bezeichnet, müssen im Unterricht kritisch und reflektiert behandelt werden, so dass jede/r Schüler/in dazu eine Urteilsfähigkeit erlangt. Klafki legt (auf dem Stand von 1985) einen Katalog solcher Schlüsselprobleme vor. Dazu gehören u.a.: - die Umweltfrage - das Nord-Süd-Gefälle - die Friedensfrage und das Ost-West-Verhältnis - soziale Ungleichheit und gesellschaftliche Machtpositionen - Arbeit und Arbeitslosigkeit - Deutsche und Ausländer #### Bildung und Schulbildung er die wünschenswerten Bildungsprozesse die von der „allgemeinen" Schule angestoßen werden sollen. #### Allgemeinbildung als Bildung für alle Allgemeinbildung wird hier als Möglichkeit und Anspruch aller Menschen verstanden - ein solches Konzept wendet sich gegen alle Versuche, Entwicklungschancen von Menschen durch soziale Ungleichheiten zu beschränken. Es geht also nicht um die elitäre Bildung einer Minderheit, es geht auch nicht um sozial abgestufte „Bildungsniveaus". Vielmehr zielt Allgemeinbildung darauf, „das Ausmaß der Gemeinsamkeiten in den Einstellungen, Erkenntnissen und Fähigkeiten aller soweit wie irgend möglich auszudehnen" (Klafki 1985, 19). Dieses Prinzip, das auch schon von vielen Denkern der deutschen Klassik (z.B. Humboldt, Pestalozzi, Diesterweg) vertreten wurde, „führt, schulorganisatorisch gesehen mit Notwendigkeit zur Forderung nach der Integrierten Gesamtschule, inhaltlich nach einem konsequenten Ausbau des Kernunterrichts" (ebd., 19). Dies alles ist zu verbinden mit „intensiven Bemühungen um den Ausgleich der in der familiären... Sozialisation begründeten unterschiedlichen Ausgangsbedingungen der Kinder und Jugendlichen" (ebd., 19). Der Anspruch aller auf eine umfassende Bildung wird hier stark gemacht. Und die öffentliche Schule wird aufgefordert, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, um Bildungsschranken innerhalb und außerhalb der Schule abzubauen.. #### Allgemeinbildung als Reflexions- und Urteilsfähigkeit bei „Schlüsselproblemen Was sind die Inhalte der Kultur, deren Aneignung unverzichtbar ist? Anders formuliert: Was muss man können bzw. wissen, um als „gebildet" gelten zu können? Diese Frage wurde lange Zeit als „Kanonproblem" behandelt und beantwortet: Es wurde festgelegt (und in den Lehrplan aufgenommen), was als unverzichtbarer Lehrstoff galt. Auf diese Weise wurden z.B. alte Sprachen, ein bestimmter Literaturkanon und eine spezifische Sicht der nationalen Geschichte zum substanziellen Kern der Allgemeinbildung erhoben. Nach Klafki lässt sich diese Frage längst nicht mehr durch einen verbindlichen Katalog von Inhalten beantworten. Vielmehr gehe es darum, „ein geschichtlich vermitteltes Bewusstsein von zentralen Problemen der gemeinsamen Gegenwart und der voraussehbaren Zukunft" (ebd., 20) zu gewinnen. Diese Probleme, die er als „Schlüsselprobleme" bezeichnet, müssen im Unterricht kritisch und reflektiert behandelt werden, so dass jede/r Schüler/in dazu eine Urteilsfähigkeit erlangt. Klafki legt (auf dem Stand von 1985) einen Katalog solcher Schlüsselprobleme vor. Dazu gehören u.a.: - die Umweltfrage - das Nord-Süd-Gefälle - die Friedensfrage und das Ost-West-Verhältnis - soziale Ungleichheit und gesellschaftliche Machtpositionen - Arbeit und Arbeitslosigkeit - Deutsche und Ausländer #### Bildung und Schulbildung er die wünschenswerten Bildungsprozesse die von der „allgemeinen" Schule angestoßen werden sollen. #### Allgemeinbildung als Bildung für alle Allgemeinbildung wird hier als Möglichkeit und Anspruch aller Menschen verstanden - ein solches Konzept wendet sich gegen alle Versuche, Entwicklungschancen von Menschen durch soziale Ungleichheiten zu beschränken. Es geht also nicht um die elitäre Bildung einer Minderheit, es geht auch nicht um sozial abgestufte „Bildungsniveaus". Vielmehr zielt Allgemeinbildung darauf, „das Ausmaß der Gemeinsamkeiten in den Einstellungen, Erkenntnissen und Fähigkeiten aller soweit wie irgend möglich auszudehnen" (Klafki 1985, 19). Dieses Prinzip, das auch schon von vielen Denkern der deutschen Klassik (z.B. Humboldt, Pestalozzi, Diesterweg) vertreten wurde, „führt, schulorganisatorisch gesehen mit Notwendigkeit zur Forderung nach der Integrierten Gesamtschule, inhaltlich nach einem konsequenten Ausbau des Kernunterrichts" (ebd., 19). Dies alles ist zu verbinden mit „intensiven Bemühungen um den Ausgleich der in der familiären... Sozialisation begründeten unterschiedlichen Ausgangsbedingungen der Kinder und Jugendlichen" (ebd., 19). Der Anspruch aller auf eine umfassende Bildung wird hier stark gemacht. Und die öffentliche Schule wird aufgefordert, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, um Bildungsschranken innerhalb und außerhalb der Schule abzubauen.. #### Allgemeinbildung als Reflexions- und Urteilsfähigkeit bei „Schlüsselproblemen Was sind die Inhalte der Kultur, deren Aneignung unverzichtbar ist? Anders formuliert: Was muss man können bzw. wissen, um als „gebildet" gelten zu können? Diese Frage wurde lange Zeit als „Kanonproblem" behandelt und beantwortet: Es wurde festgelegt (und in den Lehrplan aufgenommen), was als unverzichtbarer Lehrstoff galt. Auf diese Weise wurden z.B. alte Sprachen, ein bestimmter Literaturkanon und eine spezifische Sicht der nationalen Geschichte zum substanziellen Kern der Allgemeinbildung erhoben. Nach Klafki lässt sich diese Frage längst nicht mehr durch einen verbindlichen Katalog von Inhalten beantworten. Vielmehr gehe es darum, „ein geschichtlich vermitteltes Bewusstsein von zentralen Problemen der gemeinsamen Gegenwart und der voraussehbaren Zukunft" (ebd., 20) zu gewinnen. Diese Probleme, die er als „Schlüsselprobleme" bezeichnet, müssen im Unterricht kritisch und reflektiert behandelt werden, so dass jede/r Schüler/in dazu eine Urteilsfähigkeit erlangt. Klafki legt (auf dem Stand von 1985) einen Katalog solcher Schlüsselprobleme vor. Dazu gehören u.a.: - die Umweltfrage - das Nord-Süd-Gefälle - die Friedensfrage und das Ost-West-Verhältnis - soziale Ungleichheit und gesellschaftliche Machtpositionen - Arbeit und Arbeitslosigkeit - Deutsche und Ausländer # 2.2 Erziehung in Schule und Unterricht Dass die Schule einen Bildungsauftrag hat, gilt **als** völlig unstrittig. Gelegentlich kontrovers diskutiert wird hingegen die Frage, in welchem Maße „Erziehung“ ebenfalls eine Aufgabe der Schule sei – oder ob dies nicht ausschließlich in die Zuständigkeit der Familie **und** der Eltern falle (vgl. z.B. Hendricks 2011). **Die** Position, Schülerinnen und Schüler sollten bereits „erzogen" **zur** Schule kommen, damit Unterricht stattfinden kann (vgl. Giesecke 1996), wird ebenso vertreten wie die Einschätzung, dass die Schule heute immer mehr Erziehungsaufgaben übernehmen müsse (vgl. Esslinger-Hinz 2012, 67). **Wenn** wir uns im Folgenden mit Erziehung als Aufgabe der Schule befassen, betreten wir somit ein umstrittenes Feld. Wir versuchen zunächst, durch eine Klärung von Begrifflichkeiten ein wenig Ordnung zu schaffen, um uns sodann mit unterschiedlichen Konzepten der Erziehung in der Schule zu befassen. ### 2.2.1 Begriffsbestimmung **Die** Fachliteratur ist voll von Definitionen, was denn mit „Erziehung" gemeint sei. Darunter finden sich funktionale Erläuterungen, die die Erziehung z.B. als die „Summe der Reaktionen einer Gesellschaft auf die Entwicklungstatsache" (Bernfeld 1925/1967, 51) bezeichnen. Wir finden aber auch Definitionen, die sehr stark personale und normative Aspekte betonen. Dann werden unter Erziehung solche sozialen Handlungen verstanden, „durch die Menschen versuchen, das Gefüge der psychischen Dispositionen anderer Menschen in irgendeiner Hinsicht dauerhaft zu verbessern oder seine als wertvoll beurteilten Komponenten zu erhalten" (Brezinka 1990, 95). Wir greifen diese Aspekte auf, wenn wir hier unter Erziehung all die pädagogischen Bemühungen der Schule (bzw. ihrer Lehrkräfte) verstehen, die über die Aneignung von Unterrichtsstoffen hinausgehen und sich auf die Ausbildung moralischer Standards und sozialer Verhaltensweisen beziehen. Während es bei Bildung vor allem um „die Auseinandersetzung des Menschen mit den Kulturinhalten und mit der Weltwirklichkeit (Wiater 2012, ebd. 21) geht, richtet sich Erziehung vor allem auf das Verhalten und die moralischen Orientierungen der Heranwachsenden. Dies beginnt bei der Unterstützung grundlegender Tugenden wie Fleiß, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit, schließt die Herausbildung kooperativer Kompetenzen (z.B. Hilfsbereitschaft) ein und führt bis zur reflektierten Identifizierung mit moralischen Standards (z.B. Egalität, Toleranz). Der Erziehungsauftrag der Schule besteht darin, bei den Heranwachsenden solche Lernprozesse zu unterstützen, und ihnen auf diese Weise zu helfen, soziale Kompetenzen zu entwickeln und sich mit moralischen Standards zu identifizieren. In den Schulgesetzen der Länder wird deutlich, dass dies ist keine „Nebenaufgabe" der Schule, sondern eine ihrer zentralen gesellschaftlichen Funktionen ist. So heißt es im nordrhein-westfälischen Schulgesetz: „Die Jugend soll erzogen werden im Geist der Menschlichkeit, der Demokratie und der Freiheit, zur Duldsamkeit und zur Achtung vor den Überzeugungen des anderen, zur Verantwortung für Tiere und für die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, in Liebe zu Volk und Heimat, zur Völkergemeinschaft und zur Friedensgesinnung." (SchulG NRW, §2). Das Schulgesetz in Mecklenburg-Vorpommern formuliert hier etwas knapper: „Ziel der schulischen Bildung und Erziehung ist die Entwicklung zur mündigen, vielseitig entwickelten Persönlichkeit, die im Geist der Geschlechtergerechtigkeit und Toleranz bereit ist, Verantwortung für die Gemeinschaft mit anderen Menschen und Völkern sowie gegenüber künftigen Generationen zu tragen" (SchulG M-V, §2). Gemeinsam ist all diesen Formulierungen, dass hier für die Schule ein Auftrag begründet wird, der weit über die Stoffvermittlung hinausgeht und der eindeutig normativ ausgerichtet ist. Es gibt bestimmte Werte, **die** in dieser Gesellschaft als konstitutiv für das Gemeinschaftsleben gelten, und **die** deshalb den Schülern nahezubringen sind. Dazu gehören Toleranz und Friedfertigkeit, demokratische Mitverantwortung und soziale Gerechtigkeit, aber auch Verantwortung gegenüber der Schöpfung. Als Legitimation für diese Wertsetzungen wird in den Schulgesetzen in der Regel auf das Grundgesetz und auf die dort formulierten Grundrechte verwiesen. Dahinter steht der abendländische Diskurs über die Menschenrechte, der in Europa verstärkt seit der Aufklärung geführt wird - und der das ethische Fundament für die heutigen demokratischen Gesellschaften gelegt hat (vgl. z.B. Bielefeldt 2005). Die Institution Schule kann diese Erziehungsaufgabe nur erfüllen, wenn diese von den Lehrerinnen und Lehrern angenommen **und** im schulischen Alltag praktiziert wird. So gesehen gehört nicht nur „Unterrichten", sondern auch „Erziehen“ zu den zentralen Aufgaben der Lehrerarbeit. Die KMK (2004) betont dabei die enge Verknüpfung von Unterricht und Erziehung: „Unterricht und Erziehen tragen gemeinsam zur Herausbildung und Förderung der kognitiv-instrumentellen, der sozial-moralischen und ästhetisch-expressiven Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler bei" (ebd.) Damit wird auf eine lang tradierte theoretische Figur verwiesen, die in der Schul-pädagogik bis heute einen großen Stellenwert besitzt: den erziehenden Unterricht. ### 2.2.2 Erziehender Unterricht – oder: Wie aktuell ist Herbart? Blickt man in die Geschichte der neuzeitlichen Pädagogik, so stößt man immer wieder auf Überlegungen, die sich mit dem Verhältnis von Unterricht und Erziehung befassen. Am bekanntesten sind hier wohl die Aussagen von Herbart aus dem Jahre 1806, mit denen der Begriff des „erziehenden Unterrichts" begründet wird: „Und ich gestehe gleich hier, keinen Begriff zu haben von Erziehung ohne Unterricht, so wie ich rückwärts, in dieser Schrift wenigstens, keinen Unterricht anerkenne, der nicht erzieht (zit. nach Herbart 1806, 120f). Dass mit dieser engen Bezugnahme keinesfalls die Differenz zwischen Unterricht und Erziehung geleugnet wird, macht Herbart wie folgt deutlich: „Der Unterricht will zunächst den Gedankenkreis, die Erziehung den Charakter bilden. Das Letzte ist nicht ohne das Erste; darin besteht die Hauptsumme meiner Pädagogik" (zit. nach Kehrbach 1887, 169). Dass diese Vorstellung vom „erziehenden Unterricht" auch nach 200 Jahren noch Bedeutung besitzt, zeigen die vielfältigen Veröffentlichungen, die hierzu in den letzten Jahren und Jahrzehnten erschienen sind (vgl. z.B. Ramseger 1991, Kahlert 2012). Vor dem Hintergrund dieser langen Theorietradition versuchen wir im Folgenden für die Gegenwart aufzuzeigen, in welcher Weise (durch welche Merkmale) aus einem Unterricht ein „erziehender Unterricht" wird. Zugleich soll damit aber auch gefragt werden, welche Grenzen mit diesem Konzept verbunden sind: Gibt es nicht auch Erziehungsprozesse, die sich viel besser außerhalb des Unterrichts realisieren lassen? Um das Konzept des „erziehenden Unterrichts" verständlich zu machen, muss man nicht auf spektakuläre Reformansätze verweisen; vielmehr genügt ein Blick auf den alltäglichen Unterricht. Hier gilt für alle Schulklassen, dass manche Schülerinnen und Schüler schneller als andere begreifen und dass das Interesse an der Vertiefung des Stoffes nicht bei allen gleich ausgeprägt ist. Bereits diese alltäglichen Unterschiede erfordern „einen Umgang miteinander, in dem Geduld, Hilfsbereitschaft, Rücksichtnahme und Frustrationstoleranz eine Rolle spielen" (Kahlert 2012, 224). Wenn Schülerinnen und Schüler solche Verhaltensweisen nicht von sich aus zeigen, müssen Lehrerinnen und Lehrer „absichtsvoll auf die Handlungen der Kinder und Jugendlichen einwirken - erziehen" (ebd.). Dass sich dabei die Erziehungsarbeit eng auf die fachlichen Lernprozesse beziehen kann, macht Kahlert (2012, 225) mit folgenden Beispielen deutlich: Lehrerinnen und Lehrer „werden daher Mut zusprechen, wenn das vorhandene Wissen noch nicht reicht, um ein Problem zu bearbeiten. Sie werden Klarheit einfordern, wenn Wissen unsauber kommuniziert wird, um Geduld bitten, wenn andere nicht so schnell mitkommen und Respekt vor den Ansichten und Lösungswegen anderer erwarten". In dem Maße, in dem Lehrerinnen und Lehrer ihre Aufmerksamkeit **nicht nur** auf die Fachinhalte, sondern auch auf die Verhaltensweisen der Schülerinnen und Schüler richten – und diese ggf. korrigieren – findet im Unterricht auch Erziehung statt. Eine zweite Stufe des „erziehenden Unterrichts" finden wir, wenn die Lehrerinnen und Lehrer einer Schulklasse sich darauf verständigen, einen ganz spezifischen Verhaltensaspekt in den Blick zu nehmen und genau an dieser Stelle auf die Heranwachsenden erzieherisch einwirken. Hierzu ein Beispiel (vgl. Gantzer 2011): In der 7. Klasse einer Realschule fiel den Lehrerinnen und Lehrern der zunehmend rúde, oft auch sexistische Umgangston zwischen den Jugendlichen auch während des Unterrichts auf. Wechselseitiger Respekt wurde vermisst und Schimpfwörter galten zunehmend als „normal". Der Klassenlehrer machte diese Situation zum Thema und stellte klar, dass er künftig solches Verhalten nicht mehr dulden werde. Dies entfachte eine kontroverse Diskussion, die in der Klasse zu handlungsbezogenen Überlegungen führte: Was können Lehrerinnen und Lehrer und Schülerinnen und Schüler gemeinsam tun, um zu einem respektvollerem Umgang untereinander zu kommen? Diese Diskussion führte zu einem Verhaltenskatalog, **der** von **der** Mehrheit der Schülerinnen und Schüler gebilligt wurde. (Beispiele: „Witze auf Kosten anderer unterbleiben.“ „Niemand wird angeschrien oder beschimpfte"). **Die** Klasse verabredete, täglich ihr Verhalten zu beobachten und einmal in der Woche (in der Verfügungsstunde) Zwischenbilanz zu ziehen. Alle Fachlehrerinnen und Fachlehrer der Klasse achteten darauf, dass diese Regeln eingehalten wurden. Sie bestärkten positives Verhalten und ahndeten Verstöße. Als dritte Stufe eines „erziehenden Unterrichts" kann man es verstehen, wenn (problematisches) Verhalten selbst zum Gegenstand von Unterricht **gemacht wird,** um daran anschließend veränderte Verhaltensweisen systematisch einzuüben. Solche Arbeitsformen finden sich besonders häufig im Bereich der Gewaltprävention. Hier wurden Programme entwickelt und erprobt, die dann bei Bedarf in einzelnen Lerngruppen eingesetzt werden können (vgl. Kap.3.3). Im Ergebnis sollen die Beteiligten befähigt werden, Konfliktsituationen innerhalb **und** außerhalb der Schule mit friedlichen Mitteln zu bewältigen. Allen drei Stufen ist gemeinsam, dass der schulische Unterricht der zentrale Ort ist, an dem sich Lehrerinnen und Lehrer bemühen, auch auf die moralischen Orientierungen und die Verhaltensweisen der Schülerinnen und Schüler Einfluss zu nehmen. Wie wir zu Beginn am Beispiel des Schülers Tim deutlich gemacht** haben,** bestehen damit zwar Einflusschancen, doch es gibt für Erziehung keine Erfolgsgarantien. Allerdings: Ein Unterricht, der von vornherein auf erzieherische Absichten verzichtet, kapituliert vor den zufälligen, häufig schädlichen gesellschaftlichen Einflüssen, die sich in den Sozialisationsprozessen niederschlagen (Kahlert 2012, 223). ### 2.2.3 Schulische Erziehung innerhalb **und** außerhalb des Unterrichts Nun ist Unterricht zwar das zentrale, aber längst **nicht** das einzige pädagogische Kommunikationsfeld in der Schule. Selbst in der „normalen" Halbtagsschule werden außerhalb des Unterrichts pädagogische Aktivitäten angeboten, mit denen häufig auch spezifische Erziehungsabsichten verbunden sind. Dies gilt z.B. für Klassenreisen und Schullandheim-Aufenthalte, aber auch für die Arbeit der Schülervertretung. Hinzu kommen all die Arbeitsformen, die unter dem Begriff des „Schullebens" zusammengefasst werden. Dazu gehören z.B. Theateraufführungen und Sport-AGs, aber auch Streitschlichter-Projekte und organisierte Lernpartnerschaften. In Ganztagsschulen ist dieses Feld der außerunterrichtlichen Angebote dann noch deutlich weiter ausgebaut. Hier finden sich z.B. Projekte zur Schulhofgestaltung, aber auch Formen des Service-Learning (z.B. Kooperation mit einem Altenheim, vgl. Kap.4.3) und sogar von Schülern betriebene Catering-Firmen. Typisch für all diese Aktivitäten ist, dass es nicht um das Erlernen eines „Stoffes", sondern um eine zielgerichtete Tätigkeit geht, die als sinnvoll erlebt wird und zu einem Erfolg gebracht werden soll. Hierzu gibt es vielfältige Beispiele aus der Praxis, die in Kapitel 4 („Demokratisch Handeln") ausführlich dargestellt werden. Der Blick ist hier auf die Erziehungspotenziale zu richten, die in solchen nicht-unterrichtlichen Projekten stecken. Die Initiatoren solcher Projekte verweisen darauf, dass Heranwachsende auf diese Weise Verantwortung für andere (für die jüngeren Mitschülerinnen und - Schüler, für den Stadtteil) übernehmen und in altersgemäßer Weise einen Beitrag für das Gemeinwesen leisten können. Solche Projekte sind zugleich ein Feld, um Ideen zu produzieren, Initiativen zu entwickeln and dabei organisatorische wie soziale Kompetenzen zu erwerben. Das Verhaltensspektrum und die Möglichkeiten zur individuellen Entfaltung sind hier deutlich größer als im (stets didaktisch gerahmten) Unterricht. Vielen Schülerinnen und Schülern - auch den nicht so leistungsstarken – wird hier ein Feld geboten, auf dem sie sich als erfolgreich erleben und dabei Anerkennung gewinnen und Selbstvertrauen entwickeln können. # 2.3 Sozialisation durch die Schule Während die Begriffe „Bildung" und „Erziehung" im Kontext der pädagogischen Theoriegeschichte entstanden sind und dort differenziert ausgearbeitet wurden, bezeichnet der Begriff der „Sozialisation" eine ursprünglich soziologische Sichtweise von Lern- und Qualifikationsprozessen. Er soll nun in seiner spezifischen Hinwendung zur Schule konkretisiert werden. ### 2.3.1 Begriffsbestimmung Im Unterschied zu „Bildung" und „Erziehung" wird mit dem Sozialisationsbegriff der Blick erweitert auf sämtliche Lern- und Erfahrungsprozesse, die zur Herausbildung der Persönlichkeit beitragen. Es geht somit um die Gesamtheit aller Umwelteinflüsse, mit denen sich ein Subjekt in seinem Entwicklungsprozess auserinandersetzen muss – nicht mehr nur um die pädagogisch gezielten Aktivitäten. Dementsprechend wird Sozialisation begrifflich gefasst als der Prozess „der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten sozialen und materiellen Umwelt. Vorrangig thematisch ist dabei wie sich der Mensch zu einem gesellschaftlich handlungsfähigen Subjekt bildet" (Geulen/ Hurrelmann 1980, 51). Diese Definition ist in der Folgezeit zwar von verschiedenen Autoren modifiziert und variiert worden (vgl. z.B. Hurrelmann/Grundmann/Walper 2008, 24f), im Grundsatz kann sie jedoch als weitgehend akzeptiert gelten. Danach werden zum Beispiel zu nennen die kindlichen Spielmöglichkeiten ebenso als Bedingungen des Sozialisationsprozesses gesehen wie die Wohnsituation, der Fernsehkonsum oder das elterliche Sprachverhalten. Der Begriff der „gesellschaftlich vermittelten sozialen und materiellen Umwelt" signalisiert dabei, dass sämtliche Umweltfaktoren gesellschaftlich durchdrungen bzw. beeinflusst sind – vom mütterlichen Stillverhalten bis zur Ausstattung der Kinderzimmer (vgl. Tillmann 2010, 14ff). Ein solcher Sozialisationsbegriff wendet sich gegen einen pädagogisch reduzierten Blick auf die Subjektentwicklung: Indem ausschließlich die intentionalen Prozesse der Bildung und Erziehung in der Schule betrachtet werden, wird implizit unterstellt, dass die Persönlichkeit vor allem durch den direkten Einfluss der Pädagogen/-innen entwickelt wird. Bei einer solchen Sichtweise bleiben alle anderen Einflussfelder – von den Strukturen der Institution Schule bis hin zu den Massenmedien am Rande der Erörterungen. Wer hingegen den Sozialisationsbegriff gebraucht, weigert sich, die Analyse auf bewusste pädagogische Akte zu reduzieren. Er betont vielmehr, dass die Gesamtheit aller Lebensumstände für die Subjektentwicklung von Bedeutung ist. Der Einfluss des erzieherischen Handelns wird damit nicht geleugnet, sondern systematisch eingeordnet: Erziehung und Bildung als bewusste und geplante Beeinflussungen der Heranwachsenden werden dann als Teile (als Unterkategorien) des Sozialisationsprozesses gesehen und gewürdigt. Dementsprechend bezcichnet Durkheim (1923) Erziehung als „methodische Sozialisation" ### 2.3.2 Schule als Sozialisationsinstanz – oder: Wie aktuell ist Parsons? Schule ist ein Ort der Bildung und der Erziehung - gewiss. Doch die Schule ist in einem umfassenden Sinne auch als Sozialisationsinstanz zu verstehen. Was damit gemeint ist, ist erstmals von dem amerikanischen Soziologen Talcott Parsons (1959/1968) dargestellt worden: Parsons versteht **die** Schule als Subsystem der Gesellschaft. Sein Interesse richtet sich auf den Beitrag, den die Schule (genauer: die Schulklasse) zur gesellschaftlichen Integration der Heranwachsenden und damit zur Stabilität des Gesamtsystems leistet. Seine Antwort: Zum einen werden in der Schule Fähigkeiten und Kompetenzen gelernt, **die** zur Erfüllung der Erwachsenenrolle notwendig sind. Zum anderen ist die Schule „eine Instanz zur Verteilung von Arbeitskraft" (1968, 163). Mit dieser Feststellung identifiziert Parsons zwei grundsätzliche Funktionen, die das Schulsystem in einer entwickelten Gesellschaft zu erfüllen hat - Sozialisation und Auslese. In der Schule sind zum einen die gesellschaftlichen Wertmaßstäbe (z. B. affektive Neutralität, Leistungsorientierung) zu vermitteln, die die Heranwachsenden zum Rollenhandeln in der arbeitsteiligen Gesellschaft befähigen. Dies ist die Sozialisationsfunktion. Zum anderen hat die Schule die Aufgabe, die Heranwachsenden auf unterschiedlich attraktive berufliche Positionen zu verteilen. Diese Aufgabe wird als Allokations- bzw. Selektionsfunktion bezeichnet. Positionszuordnung **und** Rollenverinnerlichung sind komplementäre Prozesse, die im schulischen Alltag eng miteinander verflochten sind. Denn im Unterschied zur Familie ist die Schule ein formalisiertes Rollensystem, in dem für **alle** die gleichen Anforderungen gelten. Damit ist die Schulklasse für den Sch