Gudjons' Erziehung und Bildung PDF

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This document is a chapter about the topic of education and development, and how anthropologic research shows that humans require education. It discusses the basis of human nature and the need for cultural cultivation. It explains the concept of education through the lenses of history and philosophy. It's based on notes from a book.

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# SCANAUFTRAG ## Ausleihzentrum Westflügel **2021 A 1029 Westflügel Galerie** Bestelldatum: 19.12.2023 ## Medieninformation: Pädagogisches Grundwissen Überblick - Kompendium - Studienbuch Gudjons, Herbert 3825255239 13., aktualisierte Auflage Bad Heilbrunn Verlag Julius Klinkhardt 2020 # D...

# SCANAUFTRAG ## Ausleihzentrum Westflügel **2021 A 1029 Westflügel Galerie** Bestelldatum: 19.12.2023 ## Medieninformation: Pädagogisches Grundwissen Überblick - Kompendium - Studienbuch Gudjons, Herbert 3825255239 13., aktualisierte Auflage Bad Heilbrunn Verlag Julius Klinkhardt 2020 # DETAILS SCANAUFTRAG Von Seite: 183 bis 218 Aufsatz Autor Gudjons, Herbert 1940- VerfasserIn Aufsatz Titel: 7 Karst, Karina ## ECUM: 0636673602 Kennung: kkarst Mailversand an: [email protected] - Nicht am Standort - Bubi - Online vorhanden - Angaben fehlerhaft - Umfang zu gross - Techn. Probleme # Kapitel 7: Erziehung und Bildung ## Worum es geht. Muss der Mensch erzogen werden? Aus anthropologischen Forschungen scheint sich die generelle Erziehungsbedürftigkeit des Menschen belegen zu lassen. Doch was ist eigentlich "Erziehung"? Klärungsversuche des Erziehungsbegriffes werden vorgestellt. Erziehung ist nicht ohne Ziele, Normen und Werte möglich. Welche Modellvorstellungen zum Erziehungsprozess gibt es? Oder sollte man den Erziehungsbegriff in einer immer komplexer werdenden Gesellschaft durch den der Bildung ersetzen? Der Begriff Bildung wird als Grundkategorie beschrieben, Umrisse eines modernen Bildungskonzeptes werden entwickelt. ## 7.1 Warum ist der Mensch auf Erziehung angewiesen? - Anthropologische Grundlagen Wer pädagogisch handelt, hat ein (mehr oder weniger bewusstes) "Menschenbild". Wer z.B. den Menschen für ein biologisches "Mängelwesen" hält, zudem triebhaft und instinktunsicher, das nur durch Kultur überleben kann, wird anders erziehen als .jemand, der den-Menschen für die Krone der Schöpfung hält, in dem alle Fähigkeiten und Anlagen schlummern und sich von selbst entfalten. Spätestens seit Beginn des "pädagogischen Jahrhunderts" (18. Jahrhundert) wird die pädagogische Anthropologie als Begründung und Rechtfertigung von Erziehung und Bildung verstanden (Oelkers 1994, 195). Die menschliche "Natur" bedürfe des "kulturellen Überbaues", damit der Mensch zum Menschen werde. Erziehung wird zur humanisierenden Kraft. Nur: Das seit Rousseau bekannte Basisproblem (vgl. Kap. 4: Geschichte) gerät aus dem Blick, "wonach nicht verzogen werden kann, was sich von Natur aus selbst entwickelt ..." (ebd. 195). Übersehen wird auch leicht, dass Lernbedürftigkeit nicht gleichbedeutend sein muss mit Erziehungsbedürftigkeit, denn mit "Erziehung ist untrennbar Normativität verbunden (versuchen Sie mal, ein Kind zu erziehen ohne Vorstellungen von "gut für das Kind/schädlich für das Kind"; s.u. Ziele, Normen, Werte)! Und ob Normen aus der "Natur" des Menschen(kindes) gültig ableitbar sind, ist äußerst umstritten. # 7.1.1 Biologische Aspekte ## Klassiker a) Zu den bedeutsamsten Befunden gehört die Auffassung des Aachener Kultursoziologen Arnold Gehlen: Der Mensch ist - im Vergleich zum Tier – ein "Mängelwesen". Ihm fehlt weitgehend die verhaltensleitende Instinktausstattung der Tiere, seine Organausstattung (keine Flucht- oder Schutzorgane oder natürlichen Waffen) ist ungenügend, die meisten Tiere verfügen über schärfere Sinnesorgane, ohne Haarkleid und ohne Schutz vor Witterung ist er weitgehend schutzlos usw. Er ist ... Er mit einem Wort Nietzsches – ein »nicht-festgestelltes Tier«. Trotzdem überlebt der Mensch, am Nordpol wie in der Sahara. Warum? Statt instinktgeleitet lebt der Mensch handelnd in der Welt; er schafft sich - gleichsam als zweite Natur - eine »künstlich bearbeitete und passend gemachte Ersatzwelt ... Er lebt gleichsam in einer entgifteten, handlich gemachten und von ihm ins Lebensdienliche veränderten Natur, die eben die Kultursphäre ist.<< (Gehlen 1961, 48) Er verfügt kompensatorisch über eine hochgradige Lernfähigkeit. Der Mensch lebt von den Resultaten seiner voraussehenden, geplanten und gemeinsamen Tätigkeit - er ist ein "Kulturwesen". Das zeigt sich besonders in der Bedeutung der Sprache. Die vom Menschen geschaffenen Institutionen (wie z.B. Eigentum, Familie, Recht, Staat) sind angesichts der hochgradigen Plastizität und Verhaltensunsicherheit des Menschen für Gehlen >>stabilisierende Gewalten< (ebd., 71), die den Menschen vom permanenten Druck, andauernd neue Entscheidungen treffen zu müssen (was er nicht aushalten würde), entlasten. Die immense pädagogische Bedeutung dieser Sachverhalte liegt auf der Hand: Der Mensch muss um des Überlebens willen zur Kultur erzogen werden. Ebenso deutlich ist aber auch der vielfach kritisierte konservative Grundzug dieser Anthropo- logie: Die Sprengung von kulturellen Traditionen ist sozusagen »überlebensgefährlich<< für den Menschen b) Von großer Bedeutung ist auch die These des Baseler Zoologen Adolf Portmann (1951) von der Sonderstellung des Menschen durch die Tatsache der »physiologischen Frühgeburt«. Verglichen mit andern Säugetieren braucht das Menschenkind rund ein Jahr nachgeburtlicher Entwicklung, um die bei Tieren vorhandenen Fähigkeiten zu erwerben (ein Kalb kann z.B. nach der Geburt gehen und stehen). Der Mensch wächst in einem »extra-uterinen Frühjahr<«< auf, in welchem er durch Umgang mit der menschlichen und kulturellen Umwelt die typisch menschlichen Merkmale (aufrechter Gang, Anfänge der Sprache, Handlungsfähigkeit) erst entwickelt. Auch das menschliche Gehirn weist ein Wachstum auf rund 400% bis zum Erwachsenenalter auf. Dies alles sind Hinweise auf die hochgradige Lernfähigkeit und zugleich Unabdingbarkeit der Förderung durch die Erwachsenen (die man vorläufig weitgefasst auch »Erziehung<< nennen kann). Der Mensch ist für Portmann im Gegensatz zum umweltgebundenen und instinktgesicherten Tier »weltoffen<« und »entscheidungsfrei«. c) Schließlich sind Tiere nach Jacob von Uexküll (1956) auf eine spezifische Umwelt hin ausgestattet. Uexküll veranschaulicht dies eindrücklich am Beispiel der Zecke (Holzbock). Sie reagiert, auf einem Baume (sozusagen "wartend"), auf den Duft von Säugetieren, um sich fallen zu lassen und deren Blut zu saugen. Ihre nur wenige Sinne umfassende Ausstattung ermöglicht ihr nur ein Leben in einer genau passenden Um-Welt. Der Mensch hingegen hat nicht Um-Welt, sondern »Welt«, er ist »umweltungebunden« und »weltoffen«. Der instinktarme und nicht-festgelegte Mensch bedarf daher der menschlich-kulturellen Einwirkung zur Ausbildung seines Menschseins, der Vermittlung derjenigen Verhaltensweisen und Normen, die ihm das Leben in seiner Gruppe erst ermöglichen. d) Ferner gibt die stammesgeschichtliche Entwicklung des Menschen (Phylogenese) wichtige Hinweise auf die gewachsene Lernfähigkeit des Menschen. Wir profitieren in unserer Ontogenese (Liedtke 1993, 2002) als Einzelne vom tradierten und selektierten Wissen aller vorigen Generationen, um zu überleben; uns bleibt aber auch nur die Chance, nicht allein den Genen zu vertrauen, sondern einem Lernen, das die Gene überschreitet. e) Ergebnisse der Verhaltensforschung, insbesondere der Humanethologie (ethos = Verhalten) (Neumann 1994, Eibl-Eibesfeldt 1999) legen nahe, den Menschen und sein Verhalten unter dem Aspekt eines Produktes der evolutionären Tierreihe zu sehen. Um die Eigenarten des Menschen zu verstehen, werden Mensch-Tier- Vergleiche angestellt und Verhalten von Tieren zum Verständnis menschlichen Verhaltens herangezogen, ja auf ihn übertragen. Die universelle Verbreitung menschlicher Verhaltensweisen (z.B. Mimik im Sexualkontakt, Begrüßungsrituale, Revierverteidigung u.a.m.), vor allem auch bei sog. Naturvölkern, soll die Verankerung menschlicher Reaktionen in der evolutiven Vergangenheit belegen. Eine dichotomische Sichtweise von Mensch und Tier (der Mensch sei nur verstehbar im Unterschied zum Tier) wird abgelehnt. # Neuere Tendenzen f) Evolution und Pädagogik: Neben der Humanethologie spielt in der neuesten Diskussion die Einbeziehung evolutionstheoretischer, neurophysiologischer und soziobiologischer Forschungen in die Erziehungswissenschaft eine Rolle (Evolutionäre Pädagogik 2002). So hat z.B. die Düsseldorfer Pädagogin Gisela Miller-Kipp (1992) die biologischen Grundlagen als materielle Basis von »Bildung<< herausgearbeitet. Wir wissen heute ferner, dass es hochsensible Phasen für die Ausprägung der synaptischen Verknüpfungen im Gehirn des werdenden Menschen gibt (Dichgans 1994). Das gilt z.B. für die sprachliche Entwicklung: Kommt ein Ausländerkind z.B. aus Japan oder China nach Abschluss der hochsensiblen plastischen Phase der Sprachentwicklung nach Deutschland, wird es zeitlebens »R« und »L« weder hörend noch sprechend unterscheiden können (Dichgans 1994, 233). Für die Pädagogik heißt das: Die Natur des Menschen ist das tragende Fundament jedes kulturellen Überbaues, also auch der Erziehung. Man sollte diese natürlichen Grundlagen kennen, um abschätzen zu können, wie effektiv pädagogische Idealvorstellungen überhaupt sind. Dennoch gibt es keine »präzise Antwort auf die Frage, wie weit die stammesgeschichtlichen Programmierungen im Einzelnen gehen und in welchem Ausmaß die kulturelle Entwicklung zu einer zweiten Natur des Menschen geführt hat, die die Wirkungen instinktiver Programme begrenzt oder verformt<< (Neumann 1994, 218). Gleichwohl lässt sich evolutionsbiologisch nachweisen, dass »Erziehung« eine Funktion der Überlebensoptimierung von höheren Lebewesen - Menschen – ist (Treml 2004): Ein Lebewesen, das in einem speziellen Prozess (»Erziehung<) seine angeborenen Begabungen (die phylogenetisch entwickelt wurden) entfaltet, den Erfahrungsschatz der Kultur »anzapft« und seine individuellen Kompetenzen in einem ontogenetischen Lernprozess erweitert, hat einen erheblichen Selektionsvorteil (Treml 2000, 11ff.). Treml entfaltet Erziehung damit von ihren Ergebnissen (= lebens- und bestandssichernde Funktion für die Menschen), nicht von den >>Absichten<« der Menschen. Zweck ist die Systemerhaltung, auch wenn einzelne Elemente untergehen. Schließlich brachte die Soziobiologie (Voland 2000) einen veränderten Blick z.B. für den >>Altruismus« bei Tieren und Menschen: Wir alle sind gar nicht so selbstlos, vielmehr dient die Sorge für andere dazu, unsere eigenen genetischen Grundlagen an möglichst viele Nachkommen weiterzugeben; wir folgen dem Gesetz, »das dem Individuum eine maximale Anzahl überlebender Nachkommen sichert<< (Neumann 1994, 209). So wird z. B. das Phänomen der Fremdenfeindlichkeit nach dieser Theorie damit erklärt, dass für die Artenerhaltung ein Abspaltungsprozess erforderlich sei. Kritisch wurde dagegen eingewendet, dass die moderne Soziobiologie die Ergebnisse der Verhaltensforschung im Sinne eines gefährlichen neuen Sozialdarwinismus deute: Auch Menschen (= Männer) hätten dann als Ziel, ihre Gene zum Zwecke einer optimalen Reproduktion der Gattung an möglichst viele attraktive Weibchen weiterzugeben, Konkurrenz, Dominanzverhalten, Aggression, Imponiergehabe etc. sicherten dabei den Vorteil zur Fortpflanzung der eigenen Gene. Kriege, Unterdrückung, Machtgefälle, Kontrolle von Frauen etc. seien dann evolutionär-biologisch bedingte Reproduktionsstrategien, die den Besten zur Fortpflanzung helfen würden. Seien Familien dann nur noch »Reproduktionsgemeinschaften aus kopulationsstrebenden Männchen, brutpflegenden Weibchen und abhängigen Genkopien<? (Schües/Ostbomk-Fischer 1993, 18, ferner Scheunpflug 2000). # Zwei Grundauffassungen vom Menschen Die anthropologische Diskussion zeigt also insgesamt zwei differierende Grundauffassungen: Der Mensch als Mängelwesen - Kultur ist Kompensation seiner Schwäche. Andererseits: Der Mensch als geistbegabtes<< Wesen - Kultur ist Ausdruck seines Reichtums. Doch: »Ob der Mangel oder der Reichtum des Menschen zum anthropologischen Ausgangspunkt genommen wird, was seine Mängel ausmacht, ist gleichzeitig sein Reichtum: die Kehrseite seiner Lern- und Erziehungsbedürftigkeit ist seine unendliche Lern- und Erziehungsfähigkeit<<< (Roth 1966, 149). # 7.1.2 Philosophische Aspekte Philosophisch formuliert haben wesentliche Aspekte vor der modernen Biologie bereits Herder (1744-1803) in der Formel vom Menschen als dem ersten Freigelassenen der Schöpfung und Kant (1724–1804) mit seiner Feststellung: »Der Mensch kann nur zum Menschen werden durch Erziehung. Er ist nichts, als was die Erziehung aus ihm macht ...« Die spätere philosophische Anthropologie hat z.T. die biologischen Fragen aufgegriffen, wenn z.B. der Philosoph und Soziologe Max Scheler (1928) den Menschen als >>Geistwesen<< auffasst, das »umweltfrei<<< und >>weltoffen<< ist und über >>Selbstbewusstsein« verfügt. Und der Anthropologe und Philosoph Helmuth Plessner (1975) begreift den Menschen als reflexives Wesen, das sich selbst betrachten und »Ich« sagen kann und damit eine >>exzentrische Stellung in der Naturordnung hat. - Im Übrigen hat die philosophische Anthropolo- gie ein ungemein breites Spektrum von Einsichten erarbeitet, das wir hier nicht annähernd darstellen können. Es reicht von der Ich-Haftigkeit und Reflexivität über die Sinnverwiesenheit, die Freiheit, die Interpersonalität, die Leiblichkeit, die Sinn-suche bis zur Geschichtlichkeit und grundsätzlich »offenen Frage« des Menschsein (Überblick bei Hamann 1998, Wulf 2001, 2007). # 7.1.3 Enkulturation: das grundlegende Lernen von Kultur Ohne Kultur - kein menschliches Überleben, so können wir zusammenfassen. Der grundlegende Prozess des Hineinwachsens in die Kultur, also das Erlernen der Teilnahme an Sprache, gefühlsmäßigen Ausdrucksformen, Rollen, Spielregeln, Arbeits- und Wirtschaftsformen, Künsten, Religion, Recht, Politik usw., wird nach Loch (1968) als Enkulturation bezeichnet. Wir verstehen den Begriff hier (mit Loch 1968 und Fend 1969) als einen der Sozialisation übergeordneten Begriff. Nach Fend bezieht sich Sozialisation »auf das Lernen einer besonderen Klasse kultureller Inhalte: das Lernen der moralischen Ordnung einer Gesellschaft«. (1969, 48) Kurz gefasst: In der Enkulturation lernt das Kind z.B. die deutsche Sprache, in der Sozialisation, dass es die Sprache nicht zum Fluchen benutzen soll. – Erziehung betont dabei den intentionalen Aspekt dieses Prozesses. Zusammengefasst: »Erziehung wird als Sozialmachung beschrieben, Sozialisation als ›Sozialwerdung‹, beide als Moment der >Enkulturation< ... < (Tenorth 1992, 17). Unter dem Aspekt der Individuation gewinnt der Mensch dabei seine singuläre, ja persönliche, einzigartige Individualität. = Erwerb kultureller Basisfähigkeiten) Enkulturation Sozialisation Erziehung Individuation = "sozial werden") "sozial machen") = einzigartiges Individuum werden) Aber: Wenn die unter anthropologischem Aspekt geschilderte hochgradige Abhängigkeit des Menschen zugleich die Bedingung (und Chance) für die Entwicklung des Menschen ist – dann deutet sich hier zugleich die prinzipielle Widersprüchlichkeit des erzieherischen Prozesses an: Wie kann aus Abhängigkeit Autonomie werden, aus einem Verhältnis von Hilflosigkeit und Angewiesensein Unabhängigkeit und Eigenständigkeit? (Zur Autonomieproblematik grundlegend: Schäfer 2005) # 7.1.4 Der pädagogische Grundgedanke (Benner) Der Mensch muss also aus seiner »Anlage<<< überhaupt erst etwas machen: An die Stelle des Begriffes der Anlagedetermination tritt in einer pädagogischen Argumentation der Begriff der »Bildsamkeit«. Der Mensch muss aber auch seine Umwelt gestalten: An die Stelle des Begriffs der Umweltdetermination tritt das Prinzip der Aufforderung zur Selbsttätigkeit. Folgt daraus bei aller Unterschiedlichkeit des Verständnisses von Erziehung so etwas wie eine Eigentümlichkeit pädagogischer Problemstellung, ein »pädagogischer Grundgedanke«? Dietrich Benner (1987, 1997, 2001, 2005, 2010, 2012) hat auf diesem Schnittpunkt von Anthropologie und Pädagogik einen solchen allgemeinen Entwurf der Grundstrukturen pädagogischen Denkens und Handelns entwickelt. Grund dafür ist, dass uns heute in der Vielzahl pädagogischer Einzeltätigkeiten sonst »kein gemeinsames Verständnis von den Aufgaben und Möglichkeiten pädagogischen Handelns verbindet<< (Benner 1997, 284). Aus der >>Imperfektheit<< (der Mensch wird nicht »perfekt<< geboren), also aus seiner Erziehungsbedürftigkeit, folgt die Notwendigkeit der Erziehung als >>Praxis<<> (wie Politik, Ethik, Arbeit, Religion und Kunst als weitere >> Praxen«). Insoweit wendet die >>Erziehungspraxis« die Not der Imperfektheit; der Mensch ist also zum Menschwerden der Erziehung bedürftig und fähig. Aber er gewinnt andererseits seine substantielle Bestimmung erst durch diese Praxis. »Zu erziehender und erzogener Mensch verhalten sich nicht zueinander wie Kaulquappe und Frosch ... vielmehr wird die Bestimmtheit, die der Mensch im Erziehungsprozess erst erlangt, durch die Erziehung selbst produziert.<< (Benner 1997, 291) Es ist also nicht möglich, aus der Tatsache der Erziehungsbedürftigkeit unmittelbar individuelle Bestimmungen abzuleiten. Benner entwirft daher vier allgemeine Prinzipien der >>Erziehungspraxis<< (Abb. 16, s.u., zur Kritik an Benners Begriff der Bildsamkeit: Giesinger 2011). Die ersten beiden bestimmen die individuelle Seite der Erziehungspraxis: 1. Bildsamkeit des Menschen zur Selbstbestimmung; 2. Aufforderung zur Selbständigkeit bzw. Selbsttätigkeit (denn das erste Prinzip entfaltet sich nur durch die Mitwirkung des Heranwachsenden). Die nächsten beiden beziehen sich auf die gesellschaftliche Seite: 3. Überführung gesellschaftlicher Determination (der Erziehungspraxis) in pädagogische Determination (d.h., die gesellschaftliche Einflussnahme muss pädagogisch geprüft, kontrolliert, korrigiert werden, z.B. in den Institutionen wie Schule, aber auch Straßenverkehr); 4. Zusammenhang aller menschlichen Praxen und gemeinsame Aufgabe der Höherentwicklung der Menschheit. Die Prinzipien 1 und 4 beziehen sich auf die Aufgabenbereiche und den Zweck der Erziehungspraxis im Rahmen der menschlichen Gesamtpraxis, die Prinzipien 2 und 3 auf die richtige Art und Weise der Erziehung im Zusammenhang von individueller und gesellschaftlicher Einwirkung auf die Erziehung (ebd., 298). A Theorie der Erziehung (2): (3) B Theorie der Bildung (1): (4) Die Prinzipien pädagogisschen Denken und Handelns Konstitutive Prinzipien der individuellen Seite Regulative Prinzipien der gesellschaftlichen Seite (2) Aufforderung zur Selbstän- (3) Überführung gesellschaft- digkeit (1) Bildsamkeit als Bestimmt- sein des Menschen zu Freiheit, Sprache und Geschichtlichkeit licher Determination in pädagogische Determination (4) Nichthierarchischer Ord- nungszusammenhang der menschlichen Gesamtpraxis C Theorie pädagogischer Institutionen und ihrer Reform (1)/(2): (3)/(4) Aber: Wenn die unter anthropologischem Aspekt geschilderte hochgradige Abhängigkeit des Menschen zugleich die Bedingung (und Chance) für die Entwicklung des Menschen ist – dann deutet sich hier zugleich die prinzipielle Widersprüchlichkeit des erzieherischen Prozesses an: Wie kann aus Abhängigkeit Autonomie werden, aus einem Verhältnis von Hilflosigkeit und Angewiesensein Unabhängigkeit und Eigenständigkeit? (Zur Autonomieproblematik grundlegend: Schäfer 2005) # 7.2 Was ist Erziehung? ## 7.2.1 Die »Auflösung des Erziehungsbegriffs und das »Kontingenzproblem<<< >Was man im Allgemeinen unter Erziehung versteht, ist als bekannt vorauszuset-zen«, so begann Schleiermacher (1768-1834) 1826 seine pädagogischen Vorlesungen. Das stimmt heute noch, wenn man an das alltägliche Erziehungsverständnis breiter Bevölkerungskreise denkt. Und es stimmt heute überhaupt nicht mehr, wenn man sich die Situation der Erziehungswissenschaft ansieht: Benner (s.o.) und Winkler (2010) sprechen von Auflösungserscheinungen, Tenorth (1992) von Begriffswirrwarr, Brezinka (1988) von Sprachverwilderung, Schwenk (2004) von Auflösung des Begriffs, Oelkers (1991) vom Zerfließen des »Gegenstands<< Erziehung, der paradox, dilemmatisch und selbstgefährdet sei (Oelkers 2001), Treml (1991) von Fiktion, Heid (2004) von Verworrenheit usw. Andererseits: Auch heute wird in Buchtiteln gefragt: >>Was ist Erziehung?<« (Menck 1997) oder es geht um ein »Plädoyer für Erziehung< (Prange 2000). Fend und Berger (2019) erfinden gar die Erziehung. Fazit: Es gibt weder in der Praxis noch in der Erziehungswissenschaft „eine einheitliche und allseits anerkannte Theorie der Erziehung". (Miller-Kipp/Oelkers 2007, 204) Dieses spiegeln auch neuere Diskurse zum Erziehungsbegriff (Marotzki/Wigger 2008). Die Gründe sind vielfältig: Erstens hat der Begriff >>Erziehung<< nicht selten den Geruch von Fremdbestimmung, des illegitimen Eingreifens in das Werden eines oder einer Heranwachsenden, Beschneidung der Freiheit etc., weshalb Andreas Flitner (1982, 61) in diesem Sinne mahnt, »das ganze Teufelszeug nicht Erziehung zu nennen, was sich hinter diesem Namen verbirgt: die Lohn- und Strafpraktiken, die Verbote, Drohungen und Beschimpfungen, auch die hinterlistigen Lenkungstechniken, die Verhaltenswissenschaftler entwickelt haben ...« Zweitens war Erziehung in der Geschichte keineswegs immer auf die Hervorbringung des sittlich autonomen Menschen gerichtet (wie es der Begriff der paideia bei Platon meinte, vgl. Kap. 4: Geschichte der Pädagogik), sondern oft auch Mittel der Unterwerfung des Menschen unter religiöse, politische oder weltanschauliche Herrschaftssysteme (Heid 2004). Drittens wird mit dem Begriff so Unterschiedliches und Vielfältiges gemeint, dass er seine Kontur verliert. Wenn Bernfeld (1927/1967, 51) Erziehung »die Summe der Reaktionen einer Gesellschaft auf die Entwicklungstatsache« nennt, dann müsste auch das Herstellen von Kinderschuhen (als eine solche Reaktion) Erziehung sein. Ferner wird kreuz und quer in der Literatur unter Erziehung verstanden: Ein Prozess wie dessen Ergebnis, eine Absicht wie ein Handeln, ein Zustand wie dessen Bedingungen, eine (deskriptive) Beschreibung und eine (präskriptive) Wertung, eine absichtsvolle Handlung (intentional) wie absichtslose gesellschaftliche Einflüsse (funktional), ein historisches Phänomen wie ein überzeitliches usw. Dies zeigt: >>Erziehung ist ein semantisches Konstrukt, nicht aber gleichsam ontisch vorgegeben (Wimmer 1996). Oelkers (1985) hat in einer Untersuchung des Erziehungsbegriffs aus der Sicht der analytischen Philosophie überzeugend herausgearbeitet: >>>Erziehung als Begriff bezieht sich auf kein einheitliches Sein, d.h., der Begriff hat keine eindeutige Referenz.<<< (Ebd., 75) Wegen dieser fehlenden Referenz muss man im Falle des Erziehungsbegriffs »zugleich auf die Umgangssprache reflektieren<< (ebd., 68). Erziehungstheorien sind in diesem Sinne »Mischtheorien<«. Ein instruktives Beispiel dafür ist Tremls (2000, 2004) pädagogisches Theoriekonzept, das die biologischen Aspekte von Erziehung auf die verschiedenen Handlungsfelder »durchbuchstabiert<«. Prinzipiell bezieht sich der Erziehungsbegriff nicht eindeutig auf einen »Gegenstand«, er ist vielmehr ein »marker« der Kommunikation, der sehr unterschiedlich theoretisiert werden kann. - Daraus folgt, dass Erziehung (wo sie organisiert erscheint), keinen Zugriff auf die Persönlichkeit des Kindes hat, sondern immer nur der Versuch der Verbesserung einzelner Qualitäten sein kann (Oelkers 1991, 238). Die klassische Formulierung in der Geschichte des pädagogischen Denkens lautet dafür: Unverfügbarkeit der Erziehung, die neuere Fachsprache nennt es »Kontingenzprinzip<< (es kann alles auch ganz anders sein - Treml 1991, 349). # 7.2.2 Bilder von Erziehung Tagtäglich wird erzogen. Ein erster Zugang zum Begriffsverständnis ist daher zunächst immer wieder über alltägliche Bilder, Analogien und Metaphern versucht worden. Scheuerl (1959, 211ff.) hat fünf Bilder vorgestellt: Erziehung als Wachsenlassen eines Samenkorns, als Prägung einer Wachstafel (tabula rasa), als Geburtshilfe, als Führen auf der rechten Bahn, als Erweckung oder Erleuchtung. – Kron (2001) stellt sechs Bilder vor: Ziehen, Führen, Regieren, Wachsenlassen, Anpassen, Helfen. In jedem Bild steckt als alltagssprachliche Erfahrungsbasis sicher ein Körnchen Wahrheit über das, was Erziehung ist und sein kann. Doch alle Bilder lassen sich letztlich auf zwei Grundverständnisse von Erziehung zurückführen (Treml 1991, 347; 2000, 177ff., ergänzt durch die Metapher des Führers und Begleiters): ## Zwei Grundverständnisse von Erziehung * Erziehung als ein »herstellendes Machen, analog zur handwerklichen Produktion eines Gegenstandes«, der Erzieher gleicht dem Handwerker, der einen angestrebten Zweck mit Hilfe bestimmter Mittel und Methoden handelnd anstrebt<<. (Technizismus) * Das Kind entfaltet sich auf eine mehr oder weniger natürliche Art selbst, >>analog zum organischen Wachstum<«, wie eine Pflanze, »Erziehen heißt hier begleitendes Wachsenlassen.« Der Erzieher gleicht dem Gärtner (oder Bauern), »der pflegend und schützend bei einem Entwicklungsprozess hilft, der - als ein natürlicher von selbst geschieht«. (Naturalismus) Diese beiden Grundverständnisse haben als Paradigmen hauptsächlich die Geschichte des Erziehungsbegriffs bestimmt, natürlich nicht ausschließlich, aber doch als »mainstream« (Oelkers 1991b): Die eine Linie führt von Lockes >>Essay Concerning Human Understanding« (1693) mit seinem Sensualismus (alles dringt von außen über die Sinne in den Menschen) über die utilitaristische Pädagogik des 18. Jahrhunderts bis Montessori und die lernpsychologischen Konzepte von Erziehung im 20. Jahrhundert. Die andere Linie geht von Rousseaus Emile mit seinem Konzept der natürlichen Entwicklung über die Romantik und Reformpädagogik bis auf heutige Konzepte von Entschulung und Nicht-Erziehung (Oelkers 1991b). Eine Chance zur Verbindung beider Konzepte liegt in der berühmten Arbeit von Theodor Litt über >>Führen oder Wachsenlassen<« (1927). Es wäre sicher klug, Litts dialektischer Verschränkung dieses Gegensatzpaares zu folgen: Erziehung allein als Wachsenlassen hebt sich selbst auf, Erziehung allein als Führen schafft keine Mündigkeit und wird totalitär. # 7.2.3 Die Verwendung des Erziehungsbegriffs in der Fachsprache Eine Auflistung der in pädagogischen Werken gebrauchten Erziehungsbegriffe würde ein eigenes Buch füllen (z.B. Weber 1976, Masschelein/Ruhloff/Schäfer 2000). Eine Übersicht über die unterschiedlichen Begriffsverwendungen in der wissenschaftlichen Diskussion der letzten Jahrzehnte findet sich bei Brezinka (1999, 2007). Danach sind acht Bedeutungen zu unterscheiden, die in Gegensatzpaaren dargestellt werden: a) Prozessbedeutung versus Produktbedeutung. Im Prozess ist Erziehung ein Vorgang, als Produkt aber ein Resultat. Der Einwand gegen den Produktbegriff lautet nach Brezinka, dass niemals sicher ist, ob ein Resultat tatsächlich Ergebnis einer bestimmten Einwirkung ist oder ob es nicht auch ohne diese, u. U. sogar trotz dieser, zustande gekommen ist. b) Deskriptiver versus programmatisch-präskriptiver Begriffsgebrauch. Ein deskriptiver Gebrauch gibt (lediglich) die Merkmale an, mit denen Erziehung als Tatsache des gesellschaftlichen Lebens von anderen Bereichen der Wirklichkeit abgegrenzt werden kann. Er enthält keine Wertungen. Programmatisch-präskriptive Erziehungsbegriffe enthalten Vorschriften darüber, was durch die Erziehung erreicht werden soll. c) Absichts-Begriffe versus Wirkungs-Begriffe. Für Erstere wird die Intention, die Absicht, als wesentlich angesehen. Ob eine entsprechende Handlung auch den gewünschten Erfolg hat, ist für die Definition belanglos. Der Wirkungsbegriff hingegen hat das Merkmal, dass der Erfolg als wesentlich angesehen wird. Ausschließlich die Wirkung ist Prüfstein dafür, ob etwas Erziehung genannt wird. Eine Zuordnung von Determinanten zu eingetretenen Wirkungen ist nahezu unmöglich. d) Handlungs-Begriffe versus Geschehens-Begriffe. Die häufigste Bedeutung des Wortes Erziehung ist die, mit ihm eine bestimmte Klasse von Handlungen zu meinen, die das Merkmal der Förderungsabsicht haben (je nachdem, was man für fördernswert hält). In dieser Intention werden sie ausgeführt. Der Geschehensbegriff hingegen meint, dass die erzieherischen Handlungen innerhalb der Gesamtmenge der menschenformenden Einflüsse nur eine kleine Teilmenge bilden. Man kann in der erziehungswissenschaftlichen Diskussion ferner idealtypisch folgende Begriffsverständnisse unterscheiden (Lenzen 2002, 166ff.). 1. Prinzipienwissenschaftliches Verständnis: Erziehung ist Hilfe bei der Menschwerdung des Menschen und dem Erreichen von Mündigkeit. Der Mensch hat als mündiges Wesen prinzipiell die Verpflichtung zum sittlichen und selbstverantwortlichen Handeln. 2. Geisteswissenschaftliches Verständnis: Idealtypisch festgemacht an der Beziehung eines Erwachsenen zu einem Heranwachsenden wird wertfrei die Funktion dieses Förderungsprozesses für die Kultur und Gesellschaft als Erziehung verstanden. 3. Empirisches Verständnis: Erziehung ist die absichtsvolle Veränderung der psychischen Dispositionen von Menschen. Damit wird der Charakter von Handlungen empirisch so beschreibbar, dass sie als erzieherische erkennbar sind (Brezinka, s.u.). 4. Erziehung aus der Sicht kritischer Erziehungswissenschaft: Erziehung wird als Repression verstanden, die in dem Maße (als ideologisch) kritisiert werden muss, wie sie unnötige Repression ist. 5. Erziehung aus strukturalistischer Sicht: Die strukturale Tätigkeit, durch die Menschen Weltstrukturen so »transformieren«, dass lernende Menschen einen Aufbau ihrer kognitiven Strukturen (selbst) in optimaler Weise vornehmen können, wird Erziehung genannt. 6. Systemtheoretische Sicht: Erziehung ist die Funktion von gesellschaftlichen Teilsystemen, dabei aber auf Intention zurechenbares Handeln. 7. Reflexive Erziehungswissenschaft: Lernenden Individuen wird in ihrem Selbstorganisationsprozess die Möglichkeit verschafft, sich dort selbst zu begrenzen, wo die Aura (bzw. das Leiden) des Anderen beginnt. Eine Integration dieser teils benachbarten, teils sich widersprechenden Begriffsverständnisse von Erziehung in eine umfassende Erziehungstheorie erscheint m.E. heute aber eher als Utopie, wenn nicht als Illusion. # 7.2.4 Eine deskriptive Begriffsdefinition (Brezinka) Wolfgang Brezinka hat in seinem grundlegenden Erziehungsbegriff versucht, aus einem weiten Spektrum diejenigen Begriffsmerkmale auszuwählen, die eine wissenschaftliche Präzisierung des Begriffes >> Erziehung« ermöglichen. ## Ein deskriptiver Erziehungsbegriff Brezinkas Definition des Erziehungsbegriffs lautet: »Unter Erziehung werden soziale Handlungen verstanden, durch die Menschen versuchen, das Gefüge der psychischen Dispositionen anderer Menschen in irgendeiner Hinsicht dauerhaft zu verbessern oder seine als wertvoll beurteilten Komponenten zu erhalten.« (Brezinka 1999) Oder in kürzester Formulierung: »Als Erziehung werden Handlungen bezeichnet, durch die Menschen versuchen, die Persönlichkeit anderer Menschen in irgendeiner Hinsicht zu fördern.« (Ebd.) zu verbessern versuchen Erziehende) ③ mit sozialen Handlungen psychische Dispositionen zu erhalten zu beseitigen Dieser Begriff enthält also mindestens fünf Bestimmungsmerkmale: 1. Erziehende sind Menschen (nicht Sachen oder Landschaften oder soziale Gegebenheiten). 2. Sie versuchen das bedeutet: Erzieherische Handlungen können eben auch misslingen, denn die Leistung des Lernens (= Veränderung der psychischen Dispositionen) kann nur der/die Lernende selbst vollbringen, erzieherische Handlungen können nur dazu beitragen. 3. Soziale Handlungen setzen ein zielgerichtetes, zweckbestimmtes Verhalten voraus, dessen man sich subjektiv bewusst ist, wobei sozial meint, dass diese Handlungen auf andere bezogen sind (»Selbsterziehung« wäre Lernen). 4. Mit psychischen Dispositionen sind nicht flüchtiges Erleben und Verhalten gemeint, sondern relativ dauerhafte Bereitschaften zum Erleben und Verhalten (das können Kenntnisse, Haltungen, Einstellungen, Interessen etc. sein). 5. Verbessern oder erhalten (oder neue schaffen oder als schädlich gewertete beseitigen) meint, dass einem vorgestellten Soll-Zustand vom erzieherisch Handelnden Wert zugeschrieben wird (den die Wissenschaft allerdings nicht bestimmen kann = wissenschaftlicher Wertrelativismus). ## Zur Kritik Brezinkas Brezinka weist selbst auf den hohen Allgemeinheitsgrad und die hohe Generalisierungstufe dieses Erziehungsbegriffes hin. Danach kann auch die Förderung der Fähigkeit zum Taschendiebstahl in einer Subkultur, wie bei Charles Dickens in >>Oliver Twist<< geschildert, ein Fall von Erziehung sein (ebd. 91). Ferner werden »psychische Dispositionen<< auch von Fernsehmoderatoren, Werbestrategen und diktatorischen Gehirnwäschern verändert. Mit diesem Allgemeinheitsgrad ist schon der offensichtliche Vorteil, nämlich formal Erziehung mit dieser Definition präziser bestimmen zu können, von begrenztem Wert. Es fragt sich, ob man nicht besser beraten wäre, den Begriff Erziehung zu streichen und stattdessen gleich von psychologischer »Dispositionsmodifikation<« zu sprechen. Außerdem: Wenn laut Begriffsdefinition Erziehung (nur) als Versuch (ohne das Merkmal des Erfolges) gelten kann, dann ist fraglich, wie das Aufdecken von Kausalbeziehungen (nomologisches Wissen im Sinne der Gesetzmäßigkeit von Einwirkung und Erfolg, siehe Kapitel 2: Richtungen der EW) als wissenschaftliche Aufgabe möglich ist. (Zur Kritik vor allem Herzog 1988, 104.) Auch suggeriert diese Begriffsbestimmung einen geschichtslosen Wesenskern von Erziehung« (Hierdeis/Hug 1992, 108). Sie erfasst weder alles, womit sich die >>Erziehungswissenschaft beschäftigt, noch nimmt sie die vielen voneinander abhängigen Themenbereiche im Zusammenhang mit dem Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in den Blick. Insofern kann man sagen, dass der Vorteil der Präzision mit dem Nachteil einer erheblichen Reduktion erkauft wird. Ferner ist der >>Adressat« pädagogischer Einwirkungen cher ein Objekt fremden Wollens: Er wird als aktiv Wirkender gleichsam »herausgekürzt« (Heid 2004). Auch die absichtsvolle Einflussnahme von Erwachsenen auf Erwachsene ist nach Brezinka Erziehung (ebd., 92), was von manchen Autoren geteilt (z. B. Dietrich 1992, 46), von andern abgelehnt wird (z. B. Giesecke 1991, 70). # 7.2.5 Ein handlungstheoretischer Erziehungsbegriff (Heid) Zwischen einseitigem Absichtsbegriff und einseitigem Wirkungsbegriff hat der Regensburger Pädagoge Helmut Heid als »Idealtypus<< des Erziehungsbegriffes formuliert, dass von Erziehung nur dann gesprochen werden kann, wenn (zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit zufallsfrei) Absicht und Erfolg übereinstimmen, d.h., wenn

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