Sprachen lehren: Zielsetzungen und Methoden (PDF)

Summary

This document discusses the teaching of languages, focusing on the objectives and methods for teaching German as a foreign language. The author explores the various dimensions of the teaching process, including the role of institutions, guidelines, and personnel. It compares the language perspective with the teaching perspective and the teaching perspective to the learning perspective. It also examines the impact of the learning perspective on educational policy and practical application.

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X. Sprachen lehren: Zielsetzungen und Methoden 101. Der Faktor Lehren im Bedingungsgeüge des Deutsch als Fremdsprache-Unterrichts 1. Einleitung 2. Der Stellenwert des Faktors „Lehren“ im Selbstverständnis des Faches 3. Modellierung des Lehrprozesses 4. Die Erforschung des Faktors...

X. Sprachen lehren: Zielsetzungen und Methoden 101. Der Faktor Lehren im Bedingungsgeüge des Deutsch als Fremdsprache-Unterrichts 1. Einleitung 2. Der Stellenwert des Faktors „Lehren“ im Selbstverständnis des Faches 3. Modellierung des Lehrprozesses 4. Die Erforschung des Faktors „Lehren“ 5. Die Sicherung der Lehrqualität 6. Ausblick 7. Literatur in Auswahl 1. Einleitung Lehren ist ein Sammelbegriff, unter dem all das gefasst werden kann, was die gezielte Steuerung von Lernprozessen betrifft. Dazu gehören die gesellschaftlichen Bedingungen und Institutionen, die Lehren veranlassen, vorschreiben und veranstalten, also Schul- und Unterrichtsgesetze, Schulen, Hochschulen, Volkshochschulen usw. (vgl. Art. 11⫺16), dazu gehören die das Lehren steuernden Richtlinien, Curricula und Lehrpläne (vgl. Art. 102), dazu gehören dann insbesondere die für das Lehren zuständigen Personen, außer den Lehrenden selbst (vgl. Art. 148) die Schulleiter, (Schul-)Inspektoren, eventuell auch die Eltern. Mit Lehren ist also nicht nur ein Faktor im Rahmen der unterrichtlichen Faktorenkomplexion gemeint, es ist vielmehr ein Bündel aus institutionellen, fachlichen und personalen Faktoren angesprochen. Gleichzeitig wird die Bezeichnung „Lehren“ (im engeren Sinne) benutzt, wenn gezielt der Prozess des Unterrichtens gemeint ist, wobei dann insbesondere die Lehrperspektive, also das, was der oder die Lehrende veranlasst, steuert etc., in den Blick kommt (vgl. Bausch et al. 1986). In diesem Sinne steht Lehren für Instruktion und Unterricht, wobei dann wiederum die Lehrpersonen, die Unterrichts- oder Lehrmethoden (Art. 104) und die Lehrmaterialien (Art. 136; 137) als konkrete Steu- erungsfaktoren ins Zentrum rücken. Dieser Beitrag konzentriert sich auf das Lehren im Bereich des Deutschen als Fremd- sprache, während Art. 119 den Faktor Lehren im Bedingungsgefüge des Deutschen als Zweitsprache behandelt ⫺ dabei ist klar, dass sich die Bereiche überlappen und viele Lehrkräfte und Institutionen in beiden Praxisfeldern aktiv sind (vgl. auch Art. 1 und 13⫺16). Wenn vom Lehren des Deutschen als Fremdsprache die Rede ist, schwingt die Vielfalt dieser Dimensionen und Faktoren immer mit, auch wenn durchweg „Lehren im engeren Sinne“ (der Unterrichtsprozess) im Zentrum der jeweiligen Überlegungen und Untersu- chungen steht. Die von Mackey (1965) vorgelegte Analyse stellt einen frühen Versuch dar, systematisch alle relevanten Faktoren des Unterrichtsprozesses einzubeziehen, wobei 908 X. Sprachen lehren: Zielsetzungen und Methoden er sie zu Faktorenbündeln (Sprache, Methode, Lehrprozess) zusammenfasst. Stern (1983) knüpft daran an, ordnet die einzelnen Faktorenbündel zentralen zu Grunde liegenden theoretischen Prämissen zu und versucht eine Bestandsaufnahme vorliegender For- schung; er unterscheidet concepts of language, concepts of society, concepts of language learning und concepts of language teaching als den Lehrprozess strukturierende Dimen- sionen. Mit dem Analyse- und Planungsmodell der „Berliner Schule“ (Heimann, Otto und Schulz 1965) liegt für den deutschen Sprachraum ein einflussreiches pädagogisches Modell für die Analyse der Einflussfaktoren des Lehrens vor, das Achtenhagen (1969) für den Fremdsprachenunterricht adaptiert hat (vgl. Abschnitt 3). Unter Forschungs- aspekten setzt sich Königs (1983) mit der Vielfalt der Faktoren des fremdsprachlichen Lehr- und Lernprozesses auseinander, wobei er darauf hinweist, dass der Stand der For- schung eine detaillierte Kenntnis aller relevanten Faktoren nicht erlaube, daher je nach Forschungsperspektive unterschiedliche Faktoren in den Blick zu nehmen, aber auch immer wieder an das Problemfeld „in seiner Gesamtheit“ rückzubinden seien (Königs 1983: 3). Die Kapitel X⫺XV des vorliegenden Bandes entfalten die Vielschichtigkeit der Lehrperspektive im Einzelnen. Einleitend wird an dieser Stelle eine Ortsbestimmung der Lehrperspektive im Kontext der anderen zentralen Faktorenbereiche des Lehrens und Lernens von Deutsch als fremder Sprache versucht. 2. Der Stellenwert des Faktors Lehren im Selbstverständnis des Faches In der Kontroverse um die Struktur des Faches Deutsch als Fremdsprache (vgl. Art. 1 und 2) werden im Zusammenhang mit dem Lehren immer wieder die folgenden Akzente als alternative Orientierungen des Faches hervorgehoben: Sprache vs. Lehren/Lernen und Lehren vs. Lernen. 2.1. Sprach- vs. Lehrperspektive Der Faktor „Sprache“ und der Faktor „Lehren“ werden insbesondere aus fachwissen- schaftlicher Sicht als alternative strukturbildende Momente gesehen. Da es im Unterricht um die Vermittlung der deutschen Sprache gehe, sei diese ⫺ so die Position z. B. bei Glück (1998) ⫺ der Kern des Faches. Das Lehren, die didaktische Perspektive, ergibt sich aus der Sicht der Fachwissenschaften im Anschluss an eine fachliche Durchdringung des Gegenstandsbereiches quasi von selbst: „Kein seriöser Sprachwissenschaftler kann annehmen,“ schreibt Glück, „daß beispielsweise die Tempusmorphologie des deutschen (…) Verbs von der Frage berührt ist, wie (und ob) das Deutsche (…) von Sprechern anderer Sprachen erworben wird.“ (1998: 5). Aus einer Lehrperspektive spielen Auswahl und Anordnung der sprachlichen Mittel je nach Lerngruppe, Lernziel und Lernort durchaus eine Rolle: Was von der Tempusmorphologie in einer didaktischen Grammatik, in einem Lehrbuch auftaucht, wie die Erläuterungen und Übungen aussehen, ob dabei kontrastiv oder metasprachlich gearbeitet werden kann, das sind zentrale Fragestellun- gen unter dem Aspekt des Lehrens. Die Sprachlehrforschung hat daher stets die Gleich- gewichtigkeit der Faktoren „Lehren“ und „Sprache“ in der Untersuchung des unterricht- 101. „Lehren“ im Bedingungsgefüge des Deutsch als Fremdsprache-Unterrichts 909 lich gesteuerten Lehrens und Lernens von Fremdsprachen betont (vgl. Bausch und Krumm 1995). Die Entwicklung des Faches Deutsch als Fremdsprache hat ihre Ursprünge in der Unterrichtspraxis, in der Suche nach für das Unterrichten der deutschen Sprache optima- len Lehrverfahren, qualifizierten Lehrkräften und geeigneten Lehrmaterialien. Die Lehr- perspektive gehört zu den konstitutiven Merkmalen des Faches ⫺ aus ihr richten sich Fragestellungen an die Sprache als Lehr- und Lernobjekt. Viele Entwicklungen in der modernen Sprachwissenschaft verdanken sich Fragen aus dieser Lehrperspektive: die kontrastive und die Fehlerlinguistik zum Beispiel (vgl. Art. 52 und 118). Lehren stellt daher für das Fach Deutsch als Fremdsprache eines der zentralen Forschungs- und Aus- bildungsfelder dar, wird gelegentlich sogar als das dominante Strukturprinzip des Faches betrachtet, was natürlich auch eine einseitige Perspektive ist. Lehren von Sprache unter- scheidet sich grundsätzlich vom Lehren in sog. Sachfächern, ist doch im Sprachunterricht die Sprache in spezifischer Weise grundlegend: als Lerngegenstand und als Unterrichts- sprache zugleich. Im Fach Deutsch als Fremdsprache kommen, was den Faktor Sprache betrifft, zwei spezifische Merkmale hinzu: Viele der Lehrenden sind selbst keine Mutter- sprachler des Deutschen, sondern unterrichten eine auch für sie fremde Sprache oder aber, im Falle der Muttersprachler, sie unterrichten ihre Muttersprache als eine Fremd- sprache, ohne diesen Beruf gelernt zu haben, so als ob allein die Tatsache des Sprachkön- nens auch für das Sprachlehren qualifiziere. Das zweite betrifft die Lernsituation: sie ist dadurch charakterisiert, dass der Deutschunterricht, von Grenznachbarschaften zum deutschen Sprachraum abgesehen, nicht auf einen nennenswerten außerunterrichtlichen Sprachgebrauch zurückgreifen kann und Lehrende deshalb sehr gezielt und teilweise. aufwendig direkte Sprachkontakte herstellen müssen (zu den Chancen, die das Internet hier eröffnet, vgl. Art. 138). 2.2. Lehrperspektive vs. Lernperspektive Der Lehrperspektive wird häufig die Lernperspektive gegenübergestellt. Insbesondere die Zweitsprachenerwerbsforschung (vgl. 85 und 86) ging ⫺ gestützt auf Krashens Unter- scheidung von learning (Lernen) und acquisition (Erwerben) ⫺ zunächst davon aus, dass unterrichtliches Sprachenlernen für den Erwerb fremdsprachlicher Kommunikationsfä- higkeit nicht viel beitragen könne und daher dem ,ungesteuerten Spracherwerb‘ nachbil- den müsse (vgl. Krashen 1981, Krashen und Terrell 1988); Clahsen, Meisel und Piene- mann (1983) betonen ⫺ allerdings mit besonderer Berücksichtigung des Spracherwerbs von Arbeitsmigranten, also einer Zweitspracherwerbssituation ⫺ „die sehr begrenzten Möglichkeiten“ unterrichtlicher Sprachvermittlung (Clahsen, Meisel und Pienemann 1983: 3). Insbesondere kognitionspsychologische Erkenntnisse bestärken seit Beginn der 1990er Jahre die Position, nach der integrierte Wissens- und Könnens-Modelle, die ein In- und Miteinander von gesteuertem Lehren und möglichst authentischem Input erfor- dern, Sprachfähigkeit in einer Fremdsprache angemessen beschreiben und modellieren können (vgl. Tönshoff 1992, Kap.4 und 8). Wenn seit den 1990er Jahren von einem Paradigmenwechsel vom Lehren zum Lernen die Rede ist, so ist damit nicht eine psycholinguistische, sondern eine sprachdidaktische Wende gemeint, die Lehren als eine „Dienstleistung“ für Lernen sieht: Es geht darum, die Lernenden mit ihren Lernerfahrungen, insbesondere auch den schon vorhandenen 910 X. Sprachen lehren: Zielsetzungen und Methoden Sprachlernerfahrungen, zum Ausgangspunkt der Vermittlung zu machen und den Unter- richt nicht nur am Bedarf (der Gesellschaft an Fremdsprachenkenntnissen), sondern auch an den Bedürfnissen der Lernenden zu orientieren. Angesichts zunehmender Hete- rogenität der Lerngruppen zielt diese Erkenntnis sowohl auf eine stärkere Diversifizie- rung des Sprachenangebots als auch auf eine innere Differenzierung im Unterricht (vgl. Krumm 2003). Auch die Bildungspolitik hat eine solche Wende weg vom Lehren und hin zum Lernen vollzogen, indem das, was Lernende können sollen, strukturierendes Prinzip des Unter- richts und der Leistungsmessung wird, nicht mehr das, was Lehrer lehren. Der Gemein- same europäische Referenzrahmen für Sprachen (Europarat 2001) liefert hierzu mit den Kann-Beschreibungen die Grundlagen, die Umsetzung erfolgt in der Regel in sog. Bil- dungsstandards, die die (Mindest)Anforderungen für das formulieren, was die Lernenden am Ende des Lernprozesses beherrschen sollen. Allerdings ist in der praktischen Umset- zung deutlich geworden, dass das, was der Referenzrahmen als offenes Instrument zur Orientierung des Lernens und Lehrens entwickelt hat, zunehmend auf Abprüfbares redu- ziert und lediglich als Messlatte für Prüfungen genutzt wird, so dass eine Standardisie- rung einsetzt, die Erkenntnisse über Heterogenität, Diversifizierung und Differenzierung negiert (vgl. Krumm 2005). Wenn alle Lernenden in der gleichen Lernzeit die gleichen Standards erreichen sollen, wenn das Können (der Outcome) die einzige Orientierungs- größe für die Organisation von Lernprozessen wird, dann werden die Chancen des Sprachunterrichts, auch nicht standardisierbare Ziele zu verfolgen, insbesondere die per- sönlichkeitsbildenden, interkulturellen und ästhetischen Dimensionen des Sprachunter- richts in Frage gestellt und Lehren ausschließlich auf die Erreichung vorgegebener Ziele verkürzt (vgl. Bausch u. a. 2005). Hinzu kommt, dass in den Bildungsstandards zwar in der Regel formuliert wird, was die Lernenden können sollen, nicht formuliert werden dagegen Standards für die Bedingungen (z. B. die Lehrqualifikationen), unter denen das gefordert werden kann. 2.3. Die Notwendigkeit eines interdisziplinären Ansatzes Die Isolierung einzelner Elemente wie z. B. des Lehrens gegenüber dem Lernen oder des Faktors Sprache ist aus forschungsmethodischer Hinsicht oder, um gezielt einzelne Elemente in der Ausbildung zu vermitteln, gelegentlich notwendig, verkürzt jedoch gleichzeitig die Komplexität des unterrichtlichen Geschehens und bedarf der Rückbezie- hung auf den „Gesamtvorgang Unterricht“ (vgl. Königs 1983: 17⫺19). Je nach Betrach- tungsweise kommen dabei unterschiedliche Disziplinen und forschungsmethodische Zu- griffe ins Spiel: die Erziehungswissenschaft betrachtet Lehren zum Beispiel unter instituti- onellen Gesichtspunkten und rückt damit die Bildungseinrichtungen, die gesellschaftliche Legitimation von Unterricht und die institutionell festgelegten Rollen der Lehrenden (im Kontrast zu denen der Lernenden, der Eltern, der Bildungsverwaltung etc.) in den Mittelpunkt, sie akzentuiert den Lehrprozess, die Lehrziele, Lehrmethoden und Resul- tate. Bei der Entwicklung von Curricula und Lehrmaterialien, bei der Frage der Sozial- formen des Unterrichts u. ä. sind daher erziehungswissenschaftliche Erkenntnisse mit zu berücksichtigen (vgl. Meyer 1995). Die Sprach- und Lernpsychologie betrachten den Lehrprozess unter dem Aspekt des Ermöglichens oder Verhinderns von Kommunikati- onschancen. Die Kommunikationswissenschaft analysiert Lehren und Lernen als For- 101. „Lehren“ im Bedingungsgefüge des Deutsch als Fremdsprache-Unterrichts 911 men institutioneller Kommunikation, in der die Kommunikationsrollen und -chancen durch die Lehr-Lernsituation vorgeprägt sind. Die Sprachwissenschaft schließlich trägt unter der Lehrperspektive zu einer Analyse der sprachlichen Gegenstände im Hinblick auf Lehren und Lernen bei: etwa unter dem Aspekt der didaktischen Grammatik (vgl. Art. 17 und 112), der Lehr- und Lernschwierigkeiten der deutschen Sprache im Kontrast zu den Erstsprachen der Lernenden (Art. 52). Damit ist nicht gesagt, dass für das Lehren von Deutsch als Fremdsprache Erkenntnisse anderer Disziplinen einfach übernommen werden können. Unter den Bedingungen des fremdsprachlichen Lehr-Lernprozesses sind sie vielmehr auf ihre Gültigkeit zu überprüfen. Das heißt aber auch: Die Lehrperspektive erfordert durchweg eine interdisziplinäre Ausrichtung des Faches Deutsch als Fremd- sprache. 3. Modellierung des Lehrprozesses Im Mittelpunkt des Faches Deutsch als Fremdsprache steht das Lehren vor allem dann, wenn es um die Planung von Unterricht, die Entwicklung von Curricula und Lehrmate- rialien und die Ausbildung von Lehrenden geht (vgl. Art. 102; 103; 136; 148⫺150). Sprachdidaktik hat sich lange als „Planungswissenschaft“ verstanden und Modelle der Unterrichtsplanung entwickelt, die eine zielgerichtete Durchführung und Evaluation des Unterrichts erlauben. In diesem Sinne wurden ⫺ in Anlehnung an frühe geisteswissen- schaftliche Überlegungen zur Denkentwicklung etwa bei Comenius oder Herbart (vgl. hierzu im einzelnen Meyer 1987, Bd. I, Lektion 4) ⫺ sogenannte Stufen- oder Phasen- schemata entwickelt, mit denen der Unterrichtsgang strukturiert werden kann. In dieser Tradition steht Zimmermann, wenn er ein „Lehrphasenmodell“ für den fremdsprachli- chen Grammatikunterricht entwirft und damit begründet, es solle Antworten geben „auf die Frage, wie im Fremdsprachenunterricht gelehrt werden sollte, damit Schüler mög- lichst effektiv lernen“ (Zimmermann 1988: 160). Sein Modell strukturiert Unterricht in fünf Phasen: 1. Präsentation 2. Einübung 3. Kognitivierung 4. Transfer 5. Anwendung. Dabei plädiert Zimmermann im Gegensatz zu früheren Phasenmodellen für eine flexible, frühe Kognitivierungsphase, je nach Lerngegenstand auch schon im Rahmen der Präsen- tation. Mit dem Analyse- und Planungsmodell der „Berliner Schule“ (Heimann, Otto und Schulz 1965) wurde ein Planungsinstrument entwickelt, das insbesondere die Lehreraus- bildung in den 1960er und 1970er Jahren geprägt hat: Ausgehend von einer didaktischen Theorie des Unterrichts sieht dieses Modell zwei unterrichtliche Bedingungsfelder vor, auf die Lehren Bedacht zu nehmen hat: 1. die anthropogenen Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden (Alter, Geschlecht etc.), 2. die sozial-kulturellen Voraussetzungen (zu denen auch Lern- und Texterfahrungen zu rechnen sind), 912 X. Sprachen lehren: Zielsetzungen und Methoden sodann vier Entscheidungsfelder, mit denen Unterricht ⫺ unter Berücksichtigung der Bedingungsfelder ⫺ geplant werden kann: 1. Intentionalität (Lernziele, aber auch Dimensionen wie Interkulturalität), 2. Thematik (hierher gehören grammatische ebenso wie landeskundliche und literari- sche Inhalte), 3. Methodik (die Entscheidung für kommunikative, kognitivierende o. a. Unterrichtsver- fahren), 4. Medienwahl (Lehr- und Lernmittel). Die Verfasser gehen von einer Interdependenz dieser sechs Strukturmomente aus, so dass Unterrichtsplanung und auch eine Unterrichtsanalyse sie jeweils in ihrer Wechselwirkung berücksichtigen muss (vgl. zur Anwendung auf den Fremdsprachenunterricht Achtenha- gen 1969). Die stärkere Orientierung des Unterrichts an den Bedürfnissen der Lernenden und die Entwicklung schülerzentrierter und autonomiefördernder Unterrichtskonzepte haben dazu geführt, dass solche Planungs- und Stufenmodelle als zu starr und lehrerzentriert kritisiert wurden und offeneren Planungsmodellen Platz gemacht haben, in denen eine dynamische Entwicklung der Lehrer-Schüler-Interaktion im Mittelpunkt steht. Projekt- und Gruppenunterricht, offene Methodenkonzeptionen und ein erfahrungsbezogener Unterricht stehen im Zentrum der sprachdidaktischen Diskussion (vgl. Bausch, Christ und Krumm 1993); die sog. reflexive Didaktik sieht den Unterrichtsprozess als eine zykli- sche Abfolge von Planung ⫺ Durchführung ⫺ Evaluation ⫺ Reflexion ⫺ Planung usf., d. h. setzt eine grundsätzliche Reflexivität bei Lehrenden und Lernenden voraus, so dass Unterricht nicht von einer festgelegten Methode bestimmt, sondern als Ort gemeinsamer Wissensproduktion entwickelt wird (vgl. Hornung 2003; Wildmann und Fritz 2003). Ansätze der reflexiven Didaktik sowie die im „Gemeinsamen europäischen Referenz- rahmen für Sprachen“ (Europarat 2001) formulierte Einsicht, dass Sprachenlehren sich an der Zielsetzung der Mehrsprachigkeit und der Vermittlung einer interkulturellen Kompetenz orientieren müsse, bilden die Grundlage des Europäischen Profils für die Aus- und Weiterbildung von Sprachenlehrkräften (Kelly und Grenfell o. J.). Dieser „Referenz- rahmen“ präzisiert die Wissensbereiche und die Handlungskompetenzen, über die Sprachlehrkräfte verfügen müssen, wollen sie einen Unterricht erteilen, der sich an den Bildungskontexten und Bedürfnissen der Lernenden orientiert und Sprachenlernen als Weg zur interkulturellen Verständigung versteht. Auch das Europäische Portfolio für Sprachlehrende in Ausbildung (EPOSA) ist ein Instrument, das eine solche reflexive Ein- stellung gegenüber dem eigenen Unterricht fördern soll: Das Portfolio enthält Kann- Beschreibungen in sieben Tätigkeitsfeldern, die die für das Lehren wichtigen Faktoren des Unterrichtsprozesses abbilden: 1. Kontext (Lehrplan, Lernziele, Lehrerrolle, institutionelle Aspekte) 2. Methodik 3. Ressourcen 4. Unterrichtsplanung 5. Unterrichtsdurchführung (Inhalte, Interaktion mit den Lernenden, Klassenführung u. a.) 6. Selbständiges Lernen (Stärkung der Autonomie der Lernenden) 7. Beurteilung des Lernens. 101. „Lehren“ im Bedingungsgefüge des Deutsch als Fremdsprache-Unterrichts 913 Die angehenden Lehrkräfte werden angeleitet, zu den jeweiligen Kann-Beschreibungen Selbsteinschätzungen vorzunehmen sowie die Bedingungen des Unterrichts und der eige- nen Maßstäbe zu reflektieren. Die Annahme allerdings, die diesem Portfolio zugrunde liegt, dass nämlich das Lehr- verhalten so modellierbar sei, dass quasi über Checklisten geprüft werden könne, wie autonomiefördernd es einzuschätzen sei, wird von der Forschung zum Lehrverhalten (vgl. Abschnitt 4) nicht gestützt. Im Gegensatz zu EPOSA betont das Profil zur Aus- und Weiterbildung daher die Notwendigkeit, Unterricht in verschiedenen kulturellen Kontexten zu beobachten, durch ein Mentorensystem eine Reflexion fest zu etablieren und die (angehenden) Lehrenden selbst in intensive sprachliche und interkulturelle Lern- situationen zu bringen, also Reflexivität bereits in die Ausbildung zu integrieren. 4. Die Erorschung des Faktors Lehren Aus der Vielzahl von für das Lehren relevanten Faktoren hat die Forschung je nach aktuellen Fragestellungen zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Aspekte ins Zentrum gerückt. Lange hat unter dem Praxisdruck der Lehrerausbildung in der Erforschung des Lehrens die Frage nach den guten/besten Lehrmethoden und Lehrverhaltensweisen dominiert, der Versuch also, unterrichtliches Handeln theoretisch und empirisch zu be- gründen und damit wegzukommen von einer präskriptiven Sprachdidaktik, die unbe- gründet Lehrverfahren setzt. In den 1960er Jahren standen bei der Erforschung des Leh- rens die Unterrichtsmethoden im Mittelpunkt des Interesses: Der Vergleich der Effekte unterschiedlicher Lehrmethoden und die Suche nach einer „besten“ Methode bestimmten die großen Methodenexperimente im Bereich des Fremdsprachenunterrichts ⫺ Flechsig kommt in seiner Bestandsaufnahme empirischer Fremdsprachenforschung 1971 lapidar zu dem Ergebnis, dass sie nicht mehr als „die ziemlich banale Schlußfolgerung stützen, daß Schüler im großen und ganzen (wenn überhaupt etwas) dasjenige lernen, was ihnen beigebracht wird …“ (Flechsig 1971: 3184). Der Aktualisierungsspielraum der Lehrenden bei der Umsetzung eines methodischen Ansatzes sowie die Komplexität situations- und lerngruppenspezifischer Faktoren haben eine überzeugende empirische Absicherung von Methoden bisher verhindert; das hat sich in den 1990er Jahren erneut bei den Versuchen gezeigt, die Überlegenheit der sog. alternativen Methoden empirisch nachzuweisen (vgl. die Kritik an der empirischen bzw. theoretischen Begründung dieser Methoden bei Ort- ner 1998). Inzwischen hat sich das Forschungsinteresse zunehmend wegbewegt sowohl von der Konzentration auf Unterrichtsmethoden als auch von dem Anspruch, Aussagen über „guten Unterricht“ machen zu können. Sprachlehrforschung versteht sich zuneh- mend als „klinische Wissenschaft“, die zur Aufhellung unterrichtlicher Wirklichkeit und als Handlungsforschung auch zur begründeten Veränderung von Praxis beitragen will. Dabei herrscht durchaus Skepsis in der Einschätzung, mit Hilfe von Forschung das Leh- ren des Deutschen als Fremdsprache über Teilbereiche hinaus nachhaltig und direkt prä- gen zu können (vgl. Krumm 1996a). Mit der Lernerorientierung haben sich auch die Schwerpunkte der Erforschung verän- dert: die Lernenden und ihre unterrichtlichen Interaktionen sind in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses gerückt, so dass inzwischen eine Fülle von Erkenntnissen über Sprachlern- und Sprachverarbeitungsprozesse vorliegt (vgl. Kap. VIII und IX). Für die 914 X. Sprachen lehren: Zielsetzungen und Methoden Lehrperspektive bleibt hier ein Forschungsdefizit zu konstatieren. Das umfangreiche Projekt zur Ermittlung von Lehrschwierigkeiten für Deutsch als Fremdsprache, das das Goethe-Institut in den 1970er Jahren durchgeführt hat (vgl. Götze u. a. 1979), ist nicht aufgegriffen und weitergeführt worden. Kontrastive Analysen, die für Deutsch als Fremdsprache relativ zahlreich vorliegen (vgl. Kap. VII), beziehen nur im Ausnahmefall die Lehrperspektive ein, sie liefern in der Regel die Analyse von Sprachkontrasten, ohne die Spezifika der Lehr-Lern-Situation mitzubedenken (vgl. Bausch und Raabe 1978). Während sich also insgesamt für Deutsch als Fremdsprache ein Forschungsdefizit in Bezug auf die Lehrperspektive feststellen lässt, so zeichnet sich eine Intensivierung lehrbezogener Forschung in folgenden Forschungsfeldern ab: a) Lehrmaterial war bislang zwar vielfach Gegenstand von theoriegeleiteten Analysen, doch fehlten Untersuchungen zur Wirksamkeit von Materialien. Der Beirat Deutsch als Fremdsprache des Goethe-Instituts fordert daher in seinen Thesen (Beirat 1997, These 17) eine „empirisch begründete Erforschung der Wirkungen von Lehrmateria- lien und -medien“ (vgl. auch Art. 137). b) Bezogen auf die Grammatikvermittlung hat sich am ehesten ein kontinuierlicher For- schungsprozess entwickelt, wobei vielfach Fragen nach dem Instruktionsdesign (Ver- hältnis Beispiel-Regeln, Gebrauch von Metasprache u. ä.) nicht nur bezogen auf Deutsch als Fremdsprache, sondern im Unterricht verschiedener Fremdsprachen im Zentrum des Forschungsinteresses stehen, so z. B. bei Zimmermann 1990 (vgl. auch Art. 112). c) Die Fehlerkorrektur gehört gleichfalls zu den intensiver untersuchten Bereichen (vgl. Art. 118). d) Erst seit den 1990er Jahren hat sich die Forschung den Spezifika des Lehrens und Lernens von Deutsch als zweiter oder dritter Fremdsprache zugewandt; insbesondere die Konstellation „Deutsch nach Englisch“ findet sich immer häufiger, wobei einer- seits untersucht wird, wie weit Lernende Gebrauch von vorhandenen Sprachlerner- fahrungen machen, andererseits geprüft wird, wie weit der Deutschunterricht diese vorhergehende Sprachlernerfahrung mit dem Erlernen des Englischen im Sinne eines zeit- und lernökonomischen Vorgehens nutzen kann (vgl. Art. 91). e) Prüfungen und das Notengeben machen einen zentralen Teil der Lehrfunktionen aus: Während zu den unterrichtsunabhängigen Zertifikaten und Tests eine Reihe von Stu- dien vorliegt (vgl. Kap. XIV), stellt der Bereich der Notengebung im Rahmen des Deutschunterrichts einen in Forschung wie Lehrerausbildung vernachlässigten Be- reich dar (vgl. Altmeyer und Domisch 1998). f) Ein Stiefkind der Forschung waren und sind weiterhin die Lehrenden und ihr Lehr- verhalten: In der Vergangenheit hat sich die Einschätzung der Effizienz und Qualität von Lehrenden vielfach am Schulerfolg der Lernenden orientiert. In Studien zum „guten Fremdsprachenlehrer“ (vgl. Krumm 1995) geht es dann auch um die konkrete unterrichtliche Interaktion und die Frage, wie Lehren erlernbar sei. Nach wie vor stehen aber Untersuchungen darüber aus, welcher Fähigkeiten Lehrende bedürfen, um erfolgreich zu unterrichten (vgl. Abschnitt 5). Insgesamt gilt bis heute, dass im Bereich des Lehrens von Deutsch als Fremdsprache ⫺ wie auch anderer Unterrichtsfächer ⫺ Forschungsergebnisse relativ wenig zur Verände- rung der Unterrichtspraxis beitragen. Diese „misslingende Ankunft“ der Forschung in der Praxis (Krumm 1996a) liegt auch am Beharrungsvermögen der Institutionen wie 101. „Lehren“ im Bedingungsgefüge des Deutsch als Fremdsprache-Unterrichts 915 z. B. dem vorgegebenen Zeitschema, den juristischen Bestimmungen und Bedingungen (Aufsichtspflicht, Lehren als Verwaltungsakt, Notengebung), ist aber auch darin begrün- det, dass bei der Erforschung des Lehrens bislang organisationssoziologische Aspekte zu wenig berücksichtigt wurden. Insgesamt kann die Forschung die Frage, was „guter Unterricht“ und wann Unterricht gut sei, auf Grund der Vielfalt von Einflussfaktoren bis heute nicht beantworten. Gage (1979) beantwortet die Frage, ob Unterrichten „Kunst oder Wissenschaft“ sei, damit, dass es für Unterricht ein wissenschaftliches Fundament gebe, dessen Umsetzung in kon- kretes unterrichtliches Handeln aber ⫺ neben der Kenntnis der wissenschaftlichen Grundlagen ⫺ auch eine gewisse Kunstfertigkeit der Lehrenden erfordere: „Das wissen- schaftliche Fundament für die Kunst zu lehren besteht in der Regel aus Aussagen über den Zusammenhang zwischen zwei Variablen, der Interaktionseinflüssen niederer Ord- nung ausgesetzt ist. Interaktionen höherer Ordnung zwischen vier und mehr Variablen fordern die Kunstfertigkeit des Lehrers auf den Plan“ (Gage 1979: 10). An dieser Stelle setzen Verfahren der Praxis- oder Handlungsforschung ein, die darauf zielen, die Hand- lungsfähigkeit der Lehrenden durch ihre Mitwirkung in Unterrichtsforschung und Un- terrichtsreflexion zu erhöhen (vgl. Altrichter und Posch 1990; vgl. auch Art. 153). 5. Die Sicherung der Lehrqualität Unter dem Aspekt der Qualitätssicherung von Unterricht ist die Lehrperspektive seit ca. 1990 wieder ins Zentrum des wissenschaftlichen Interesses gerückt. Mit der Übertragung von Verfahren der Qualitätssicherung und des Qualitätsmanagements aus der Wirtschaft auf Unterricht wird ein neuer Begriff von „gutem Unterricht“ etabliert. Zunächst in der Produktion von Waren entwickelte Verfahren der Festsetzung und Überprüfung von Produktqualität werden auch auf Dienstleistungsprozesse wie Kundendienst und War- tung übertragen und haben seit Beginn der 1990er Jahre Eingang in den Bildungsbereich gefunden ⫺ auch Lehren lässt sich als „Dienstleistung“ interpretieren. Dabei wurde zu- nächst versucht, die in der Wirtschaft entwickelten Verfahren der Qualitätsmessung zu adaptieren, so vor allem die Norm DIN/ISO 9000 ff. (vgl. Gnahs 1996: 40 ff.). Es hat sich jedoch rasch gezeigt, dass die Qualität von Bildungsprozessen mit solchen Maßstä- ben nicht adäquat erfasst werden kann, so dass für einzelne Bildungsbereiche wie den Fremdsprachenunterricht eigene Verfahren der Qualitätsmessung und -sicherung entwi- ckelt wurden, die der Komplexität fremdsprachlicher Lehr- und Lernvorgänge besser gerecht werden. Um dem „Kunden“ die Gewähr zu geben, dass die versprochenen Qualitätsstandards nicht nur auf dem Papier stehen, haben die anbietenden Institutionen und Sprachenschu- len Agenturen gegründet, die regelmäßige Qualitätsüberprüfungen (Inspektionen) durch- führen und entsprechende Gütesiegel verleihen. Als wichtigste europäische Organisation hat sich im Kontext der Sprachenprojekte des Europarats die European Association for Quality Language Services (EAQUALS) etabliert. EAQUALS entwickelt Standards, nach denen geschulte Inspektoren Sprachkursanbieter überprüfen und zertifizieren. Zu den Grundsätzen, zu denen sich die bei EAQUALS zusammengeschlossenen Sprachan- bieter verpflichten, gehören etwa: ein strukturiertes und gestuftes Kursangebot, regelmä- ßige Leistungsmessung und Leistungsfeedbacks für die Teilnehmer, angemessene Räum- lichkeiten, Einstufungstests, aber z. B. auch: 916 X. Sprachen lehren: Zielsetzungen und Methoden 2. 6. Unterricht und Lehre: die verwendeten Unterrichts- und Trainingsmethoden bzw. Techniken sind effizient und auf die Kursteilnehmer abgestimmt; 2. 7. Qualitätskontrolle: der Kursanbieter führt regelmäßige Hospitationen des Unterrichts bzw. Trainings durch; 2. 8. Unterstützung und Beratung: Kursteilnehmer haben die Möglichkeit, ihre in- dividuellen Fragen und Probleme zu besprechen sowie Information und Rat zu bekommen; … (European Association for Quality Language Services, Auszug aus der Charta für Teilnehmer). Nationale und sprachenspezifische Agenturen zur Qualitätssicherung wie z. B. die 1996 gegründete Interessengemeinschaft Qualität Deutsch als Fremdsprache e.V. (IQ Deutsch), die sich die Erarbeitung von Qualitätsmaßstäben sowie die Förderung und Sicherung der Qualität speziell des Deutsch als Fremdsprache-Unterrichts bei Sprachanbietern im deutschsprachigen Raum zum Ziel gesetzt hatte, haben auf dem Sprachenmarkt keinen Fuß fassen können (zu den Gründen für die Auflösung von IQ Deutsch im Jahr 2001 vgl. Birzniece 2006: 175 ff.), auch wenn der enge Bezug auf eine konkrete Sprache und deren Lehr- und Lerntraditionen es erlaubt hat, spezifische Qualitätskriterien zu entwi- ckeln. Für die Sicherung der Qualität von Sprachtests existiert eine eigene Dachorganisation, die Association of language testers in Europe (ALTE). Bei ALTE handelt es sich um einen Zusammenschluss von Testanbietern, die für die Durchführung von Sprachtests Leitlinien entwickelt haben. Auch die Qualifikation der Lehrenden (bzw. bei ALTE: ausreichend ausgebildeter Prüfer) bildet einen Schwerpunkt von Verfahren der Qualitätssicherung. Dabei werden Ausbildung und regelmäßige Fortbildung als Indikatoren einer hinreichenden Lehrquali- tät angesehen, Inspektionen schließen aber auch Hospitationen ein. Mit einem Europäischen Siegel für innovative Spracheninitiativen (ESIS) zeichnen die EU-Staaten seit 1998 Projekte aus, die der Förderung der Sprachlernmotivation dienen, wobei hier Kriterien wie innovative Methodenkonzepte, Berücksichtigung der Mehrspra- chigkeit und der Lernmotivation, aber auch Fragen nach der quantitativen Verbesserung (Zahl der Lernenden, der einbezogenen Sprachen u. ä.) berücksichtigt werden. Qualität der Lehre wird in all diesen Verfahren der Qualitätssicherung durch externe Inspektoren beurteilt, um ein objektives Urteil und eine gewisse Einheitlichkeit der Stan- dards zu erreichen. Im Zuge der Diskussion um Qualität haben aber auch die Bemühun- gen um eine interne Qualitätssicherung zugenommen. Zu ihr gehört vor allem die Orien- tierung des Unterrichts an den Wünschen der Lernenden. Das führt dazu, dass Befragun- gen der Kursteilnehmer über ihre Lernerwartungen und ihre Zufriedenheit mit dem Unterricht zum festen Bestandteil der Lehrpläne werden ⫺ so etwa in den Sprachkursen der Goethe-Institute in Deutschland. Der Deutsche Volkshochschulverband hat für seine Sprachkurse „Leitlinien zur Sicherung und Weiterentwicklung von Qualität“ erarbeitet, in denen die Teilnehmerorientierung eine zentrale Rolle spielt. Weiter heißt es dort: Volkshochschul-KursleiterInnen werten ihren Unterricht regelmäßig aus. Sie sind an der Qualitätssicherung durch die Volkshochschule unmittelbar beteiligt und unterstützen alle angemessenen Evaluationsverfahren ⫺ z. B. Hospitationen, ge- genseitige Unterrichtsbesuche, Auswertungsgespräche im Fachbereich und schrift- liche Befragungen der TeilnehmerInnen. (Arbeitskreis 1997: 71) 101. „Lehren“ im Bedingungsgefüge des Deutsch als Fremdsprache-Unterrichts 917 Diese interne Form der Qualitätssicherung basiert auf der Reflexion des Unterrichtsge- schehens durch die Lehrenden und auf Rückmeldungen der Teilnehmer (vgl. auch Art. 152). Daneben wurden auch Tests entwickelt, die zumindest das Lehrerwissen abtes- ten und ⫺ meist in Form von Multiple Choice-Fragen ⫺ Wissen über Unterrichtspla- nung, aber auch Sprachwissen abfragen wie z. B. der für Englisch als Fremdsprache ent- wickelte Teaching Knowledge-Test (TKT) aus Cambridge, der inzwischen um ein Modul zum sprach- und fachintegrierten Unterricht (vgl. Art. 116) erweitert wurde. Ausgangsba- sis eines solchen Konzepts ist die Vorstellung von einem linearen Zusammenhang zwi- schen Lehrerhandeln und dem Unterrichtsprozess, so als ob das, was ein Lehrer wisse oder tue, direkt das Unterrichtsgeschehen steuere, während andere Faktoren ausgeblen- det werden (Lehren im engeren Sinne). Hinzu kommt, das Lehrerwissen und Lehrerhan- deln keineswegs identisch sind; d. h. Tests wie der TKT sagen etwas über den Fleiß des getesteten Lehrers beim Lernen, nichts jedoch über sein oder ihr konkretes Lehrerhan- deln und erst recht nichts über das, was im Unterrichtsprozess dadurch (mit)bewirkt wird. Generell werden sich Ansätze der reflexiven Didaktik (vgl. Abschnitt 3) stärker durchsetzen. Indem Qualitätssicherung nicht nur auf Lehrverhalten und unterrichtsinterne Fakto- ren, sondern auch auf organisatorische und rechtliche Fragen ebenso wie die Lehrpläne und Prüfungen, die Lernberatung, die Raumausstattung u. ä. bezogen wird, wird „Leh- ren im weiteren Sinne“, in der Wechselwirkung institutioneller, organisatorischer und didaktischer Aspekte, wieder zu einem zentralen Thema für das Fach Deutsch als Fremd- sprache. 6. Ausblick Aus der Vielfalt von Entwicklungen, die das Lehren von Deutsch als Fremdsprache ver- ändern, seien herausgegriffen (vgl. auch Beirat 1997): a) die Tatsache, dass sich Deutsch insbesondere im Schulbereich des nichtdeutschspra- chigen Raumes als zweite oder dritte Fremdsprache, vielfach nach Englisch als erster Fremdsprache, etabliert. Das hat unterrichtsmethodische Konsequenzen, die seit den 1990er Jahren Gegenstand sowohl der Erforschung als auch der didaktischen Diskus- sion geworden sind (vgl. Art. 91); b) die zunehmende Nutzung elektronischer Medien, die neue Anforderungen sowohl an die technische Ausrüstung der Unterrichtsräume als auch an die Fähigkeiten der Leh- renden stellt, den Lernenden Zugang zu authentischen Dokumenten zu eröffnen, sie zu eigenen Recherchen im Internet zu befähigen, die aber auch neue Möglichkeiten der Klassenkorrespondenz und der direkten Kontakte mit der Zielsprache bietet; Leh- ren bedeutet nicht mehr, vor allem Informationen zu präsentieren, sondern den Um- gang mit der Informationsflut bewältigen helfen (vgl. Art. 138). c) In diesem Zusammenhang erhalten Forderungen nach Lernerautonomie eine kon- krete Grundlage. Die Vermittlung von Lerntechniken (vgl. Art. 93) gewinnt an Bedeu- tung. d) Mit der Globalisierung und der europäischen Vereinigung verändern sich auch die Ziele und Inhalte von Sprachunterricht: Die Forderung nach Mehrsprachigkeit führt zu verstärkter Nachfrage nach frühem Fremdsprachenunterricht; der direkte Berufs- 918 X. Sprachen lehren: Zielsetzungen und Methoden bezug fordert neue Formen der Sprachanwendung bereits während des Sprachunter- richts: die Verwendung von Deutsch als Unterrichtssprache in anderen Fächern (Deutsch als Arbeitssprache, vgl. Art. 116). Auch die neuen Medien verlangen neue Fähigkeiten und Fertigkeiten wie das Recherchieren, den Umgang mit Mehrsprachig- keit im Internet u. ä. e) In Zeiten der Globalisierung steigen außerdem die Anforderungen an die Fähigkeit zu interkultureller Kommunikation. Hier müssen Wege gesucht werden, die verschie- denen Lehr- und Lerntraditionen unterschiedlicher Kulturen im Deutschunterricht fruchtbar zu machen (vgl. Art. 105). f) Für das Lehren von Deutsch als Fremdsprache haben sich mit dem Fall des ,Eisernen Vorhangs‘ wichtige Parameter geändert: Die deutsche Vereinigung und die Osterwei- terung der Europäischen Union haben landeskundliche und sprachenpolitische As- pekte in den Vordergrund gerückt sowie in großem Umfang Lehreraus- und Lehrer- fortbildung nötig gemacht. Hier ist ein Potential an Erfahrungen und Unterrichtsmo- dellen entstanden bzw. zugänglich geworden, das es zu nutzen gilt (vgl. Krumm 1996b). Wenn „Lehren“ als gewichtiges Faktorenbündel bei der Gestaltung von Lernprozessen gesehen wird, so kommt der Qualifikation der Lehrenden eine zentrale Rolle zu. Sie verfügen gegenüber den institutionellen und curricularen Vorgaben (Richtlinien, Lehr- pläne, Lehrmaterialien, Methoden) über einen großen Aktualisierungsspielraum; auch die Schaffung von Bedingungen für autonomes Lernen hängt zum Teil von den Lehren- den ab. Die Lehreraus- und Lehrerfortbildung steht daher seit Beginn der 1990er Jahre im Fach Deutsch als Fremdsprache erneut im Zentrum der Bemühungen, den Deutsch- unterricht weiterzuentwickeln; auch hier spielen europäische Entwicklungen wie die Ein- führung der Bachelor-/Masterstudiengänge eine entscheidende Rolle (vgl. Art. 149). 7. Literatur in Auswahl Achtenhagen, Frank 1969 Didaktik des fremdsprachlichen Unterrichts. Weinheim: Beltz. Altmeyer, Axel und Rainer Domisch 1998 Benoten und Bewerten im Unterricht. Fremdsprache Deutsch 19(2): 5⫺9. Altrichter, Herbert und Peter Posch 1990 Lehrer erforschen ihren Unterricht: eine Einführung in die Methoden der Aktionsforschung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Arbeitskreis der Sprachenreferentinnen und -referenten der VHS-Landesverbände 1997 Leitlinien zur Sicherung und Weiterentwicklung von Qualität in der sprachlichen Weiter- bildung an Volkshochschulen. Deutsch lernen 22(1): 65⫺72. Bausch, Karl-Richard, Eva Burwitz-Melzer, Frank G. Königs und Hans-Jürgen Krumm (Hg.) 2005 Bildungsstandards für den Fremdsprachenunterricht auf dem Prüfungstand. Tübingen: Narr. Bausch, Karl-Richard, Herbert Christ, Werner Hüllen und Hans-Jürgen Krumm (Hg.) 1986 Lehrperspektive, Methodik und Methoden. Tübingen: Narr. Bausch, Karl-Richard und Hans-Jürgen Krumm 1995 Sprachlehrforschung. In: Karl-Richard Bausch, Herbert Christ und Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Handbuch Fremdsprachenunterricht, 7⫺13. 3. Aufl. Tübingen/Basel: Francke. 940 X. Sprachen lehren: Zielsetzungen und Methoden der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK, Deutschland) (Hg.) 2007 Heterogenität, Gerechtigkeit und Exzellenz. Lebenslanges Lernen in der Wissensgesell- schaft. Innsbruck. Wicke, Rainer E. 2000 Grenzüberschreitungen. Der Einsatz von Musik, Fotos und Kunstbildern im Deutsch-als- Fremdsprache-Unterricht in Schule und Fortbildung. München: iudicium Wicke, Rainer E. 1993 Aktive Schüler lernen besser. Stuttgart: Klett. Ziebell, Barbara 2002 Unterrichtsbeobachtung und Lehrerverhalten. (Fernstudieneinheit 32). Fernstudienprojekt zur Fort- und Weiterbildung im Bereich Germanistik und Deutsch als Fremdsprache München: Langenscheidt. Rainer E. Wicke, Köln (Deutschland) 104. Methodische Konzepte ür den Deutsch als Fremdsprache  Unterricht 1. Fachgeschichtliche Anmerkungen: Das Ende der „großen“ Methodenkonzepte 2. Die Ebene der methodischen Modelle 3. Die Ebene der Modelle und Unterrichtsszenarien 4. Literatur in Auswahl Wie viel Theorie braucht der Sprachunterricht? Die Tatsache, dass einerseits alle Men- schen ohne theoretische Hilfe eine erste Sprache gelernt und viele Menschen mit wenig oder keiner theoretischen Ausbildung eine fremde Sprache lehren, dass andererseits Vor- schläge aus der Wissenschaft im konkreten Unterricht nicht immer praktikabel erschie- nen, hat bei vielen Lehrkräften eine grundsätzliche Skepsis gegenüber Theorien zum Spracherwerb hinterlassen. So hat David Little beobachtet: Sprachlehrende sind notorisch feindselig gegenüber theoretischen Diskussionen, offensichtlich in der Annahme, dass diese Praktikern in der Klasse nichts zu bieten haben. Viele (englischsprachige, H. F.) Handbücher für den Sprachunterricht ver- stärken dieses Vorurteil, indem sie Sammlungen praktischer Tipps ohne jeden theo- retischen Rahmen anbieten. Aber wenn wir keine Theorie haben, haben wir keine Möglichkeit, von der Ebene des Einzelbeispiels auf die Ebene des generellen Prin- zips zu kommen. Das heißt nicht, dass Sprachlehrende Theoretiker werden sollen. Es heißt aber, dass sie Prinzipien erkennen sollten, auf denen ihr Handeln beruht. Ansonsten kommt jede Diskussion über Erfolge und Misserfolge im Sprachunter- richt nicht über die Ebene von Anekdoten, Zustimmung und Gegenrede hinaus. (Little 1994: 118, Übersetzg. H. F.). Um diese Prinzipien soll es im folgenden Beitrag gehen. 104. Methodische Konzepte für den Deutsch als Fremdsprache ⫺ Unterricht 941 1. Fachgeschichtliche Anmerkungen: Das Ende der großen Methodenkonzepte Setzt man den Beginn der wissenschaftlichen Erforschung des Fremdsprachenunterrichts mit dem Beginn der 1960er Jahre an, so waren die ersten 30 Jahre der universitären Fremdsprachendidaktik von einer chronologischen Abfolge der „großen“ Methodenkon- zeptionen geprägt (Neuner 2003): Grammatik-gestützte Konzepte, die aus der Gramma- tik-Übersetzungsmethode hervorgingen, audiolinguale bzw. audiovisuelle Methodenkon- zepte, die vor allem in den USA und in Frankreich entwickelt wurden, und der kommu- nikative Ansatz mit seinen verschiedenen Ausprägungen ⫺ in Großbritannien zunächst vor allem funktional-national, in Deutschland eher mit pädagogisch-emanzipativem An- spruch ⫺ folgten aufeinander bzw. standen nebeneinander. Richards (2002) differenziert weiter in Werte-basierte, Theorie-basierte und Handwerks-orientierte Ansätze. Die Ab- grenzung voneinander und die Ausdifferenzierung bzw. Überprüfung der jeweiligen Pra- xiskonzepte bestimmte die didaktisch-methodische Forschung. Die methodischen Kon- zeptionen von Lehrwerken reflektierten die Ansätze zwar selten in „Reinkultur“, waren aber auf der Grundlage ihrer Übungstypen meist klar zuzuordnen. Hinzu kamen vor allem seit den 1970er Jahren eine Reihe sog. „alternativer“ Methoden, die sich vor allem selbst als solche und im Gegensatz zu den großen Methodenkonzeptionen definierten, sich oft empirischer Überprüfung entzogen und sich in der Regel auf spezielle Aspekte des Fremdsprachenunterrichts konzentrierten (Gedächtnis, Bewegung, Wortschatz, Mu- sik, usw.). Da sie oft von Einzelpersonen und „Schulen“ dominiert wurden, nennt David Nunan sie „Designer-Methoden“ (zit. nach Brown 2007: 33). Als Ergebnis einer immer umfangreicheren und vielfältigeren empirischen Forschung wurde in den 1980er Jahren zunehmend deutlich, dass die sog. „großen Hypothesen“ zum Zweitsprachenerwerb (vgl. Art. 83⫺84 und 87⫺90), jene Ansätze also, die für sich in Anspruch nahmen, ein Modell für den Spracherwerbsprozess insgesamt zu bieten, die vielfältigen Prozesse, die mit ihm verbunden sind, nicht mehr schlüssig im Sinne eines Gesamtkonzeptes erklären konnten (Edmondson und House 2006). Die 1990er Jahre brachten damit in der Spracherwerbsforschung das Ende dieser Hypothesen (vgl. bereits Bausch und Kasper 1979). Zu differenziert, methodisch unterschiedlich und teilweise widersprüchlich erschienen die Forschungsergebnisse, um noch in ein einzelnes Gesamt- konzept zu passen. Statt konzeptueller Einheitlichkeit folgte eine weitere Ausweitung der Bezugswissenschaften des Fremd- und Zweitsprachenerwerbs, zunächst auf die Kogniti- ons- und dann auf die Neurowissenschaften. (Wolff 2002; Arnold 2002). Zeitgleich zu dieser Entwicklung und ihre Vielfalt reflektierend ist im Bereich der Fremdsprachendidaktik ebenfalls das Ende der „großen“ makro-methodischen Gesamt- konzepte zu beobachten. So spricht zuerst Piepho von der post-kommunikativen Epoche (Piepho 1990) und Brown (2007: 40 ff.) in diesem Sinne von der Post-Methoden-Ära. Andere Fremdsprachendidaktiker (Meißner und Reinfried 2001) sprechen von einer neo- kommunikativen Phase oder gar von „neokommunikativem Grammatikunterricht“, wo- runter Gnutzmann eine Phase des entdeckenden und problemlösenden Lernens versteht (Gnutzmann 2005:176). Der nicht nur in Europa einflussreiche „Gemeinsame europä- ische Referenzrahmen für Sprachen“ (Europarat 2001) setzte zwar vieldiskutierte Stan- dards in Bezug auf Lernziele, behauptet aber von sich selbst, fremdsprachenmethodisch neutral zu sein (Europarat 2001: 10). Dieser Behauptung liegt die Einsicht zu Grunde, dass es derzeit weder belegbar ist, dass bestimmte Ziele ausschließlich mit bestimmten 942 X. Sprachen lehren: Zielsetzungen und Methoden Methodenkonzepten erreichbar wären, noch, dass bestimmte methodische Ansätze bei unterschiedlichen Lernenden die gleichen Resultate zeitigen. Die Auflösungserscheinun- gen der didaktisch-methodischen Gesamtkonzeptionen sind sowohl „von unten“ als auch von oben zu beobachten: Eine sich in den letzten 10 Jahren verstärkende Praxisforschung belegt, dass zu allen Zeiten praktische Konzepte und subjektive Überzeugungen von Lehrenden meist nicht einer bestimmten Schule folgten, sondern sich ihrer Vorgaben oft eklektisch bedienten (Kallenbach 1996), dass Unterrichtsroutinen sich oft eher aus eige- nen langjährigen, meist unreflektierten Handlungsmustern zusammensetzten als aus the- oriebasierten Planungen. Erfolge und Misserfolge einzelner Lehrwerke erklären sich zum Teil aus dieser Tatsache heraus: Diejenigen Lehrwerke, die einer bestimmten theoreti- schen Schule engmaschig folgten und damit Lehrkräften am wenigsten Projektionsflä- chen für subjektive Theorien und Routinen boten, stießen auf geringe Marktakzeptanz. So wie die Praxis der methodisch-didaktischen „Stromlinie“ widerstand, ließen sich auch fachdidaktische Theorienentwicklungen spätestens seit der Entwicklung des interkultu- rellen Ansatzes nicht mehr eindeutig den bestehenden Makro-Methodenkonzeptionen zuordnen. Der interkulturelle Ansatz geht etwa weiterhin von den Grundsätzen der kom- munikativen Didaktik in Bezug auf die Lernerorientierung und weitgehend auch in Be- zug auf das Übungsgeschehen aus, verlässt aber die enge pragmatische Dichotomie von Sprachfunktion und deren Realisierung zu Gunsten eines hermeneutischen Ansatzes von vergleichendem Fremdverstehen, so dass man ihn als eine Weiterentwicklung und Kon- kretisierung des kommunikativen Ansatzes, nicht aber als neue Methodenkonzeption be- zeichnen kann. Dies gilt für andere Ansätze wie den aufgabenbasierten Unterricht (Mül- ler-Hartmann und Schocker-von Dithfurt 2005) in gleicher Weise. Folgt man dieser Ar- gumentation, werden viele Fragestellungen der fachdidaktischen Literatur der letzten 20 Jahre, die auf diesen Makro- Konzepten aufbauten, irrelevant: Ob man nun von vier oder fünf Lehrwerkgenerationen sprechen kann, ob der kommunikative Ansatz in ande- ren Kulturräumen anwendbar wäre, das Verhältnis des interkulturellen zum kommunika- tiven Ansatz ⫺ aus all dem sind keine Erkenntnisse für die Wirksamkeit einer bestimm- ten Form des Fremdsprachenunterrichts abzuleiten. Zusammenfassend sind drei Merk- male für die „Post-Methoden-Ära“ charakteristisch: 1. Einzelne methodische Ansätze wie der interkulturelle oder der Aufgaben-basierte sind durchaus in verschiedene Methodenkonzepte integrierbar. 2. Viele Curricula und internationale sowie regionale DaF-Lehrwerke sind nicht eindeu- tig einer Einzelmethode zuzuordnen, sondern methodisch offen. 3. Die Vielfalt lernkulturgeprägter Lehr-/Lernszenarien und Übungsformen wäre auf der Grundlage einer Gesamt-Methodenkonzeption nicht mehr beschreibbar: Es wäre we- nig sinnvoll, z. B. Einzelübungen nach ihrer Form als „audiolingual“, „grammatikori- entiert“ oder „kommunikativ“ zu klassifizieren, ohne den Gesamtkontext und die Ziele einer konkreten Unterrichtssequenz zu berücksichtigen. 2. Die Ebene der methodischen Modelle Aus Sicht der aktuellen fremdsprachenmethodischen Forschung erscheint derzeit eine andere topologische Sortierung sinnvoll: Eine Unterscheidung von theoretischen Grund- lagen, didaktisch-methodischen Prinzipien und Standards und methodischen Konzepten und -szenarien. Die drei Ebenen sollen im Folgenden näher beschrieben werden. 104. Methodische Konzepte für den Deutsch als Fremdsprache ⫺ Unterricht 943 2.1. Die Grundlagenebene: Tab. 104.1: Grundlagenebene Theorien des Lernens und der Konstruktion Zweitsprachenerwerbstheorien bzw. ⫺ von Wissen, z. B. hypothesen, z. B. Behaviorismus Kontrastivhypothesen Kognitivismus Interlanguage-Hypothese Konstruktivismus Universalgrammatische Ansätze Konnektionismus Input und Output-Hyothesen Grundlegende Theorien bieten einen Rahmen für Hypothesen und die Einordnung von Daten und eigenen Erfahrungen. Sie machen deutlich, dass fremdsprachliches Ler- nen nur interdisziplinär erforscht und interpretiert werden kann. Sie sind damit die Grundlage von Erkenntnissen und die Voraussetzung der Gewinnung von Prinzipien für die Ebene methodischer Entscheidungen in Unterrichtsvorbereitung und Unterricht. Gegenwärtig lassen sich aus den vielfältigen Forschungsansätzen der Spracherwerbsfor- schung und ihrer Bezugswissenschaften eine Reihe von Grundprinzipien ableiten, die für sich in Anspruch nehmen können, unter der Prämisse eines auf Sprachverwendung angelegten Unterrichts zwar kein Gesamtkonzept, wohl aber eine konsistente und kohä- rente Orientierung methodischer Entscheidungen zu bieten und forschungsbasierte Stan- dards zu setzen. 2.2. Die Ebene der didaktisch- methodischen Prinzipien: Tab. 104.2: Methodische Prinzipien Handlungsorientierung: ⫺ rezeptive und produktive Sprachverwendung als primäres Lernziel ⫺ Fertigkeitsintegration: Vom Verstehen zum Äußern Inhaltsorientierung: ⫺ bedeutungsvoller (aus Lernersicht authentischer Input) ⫺ Inhaltsverarbeitung vor Form-Fokussierung Aufgabenorientierung: ⫺ Aufgaben mit „Sitz im Leben“ ⫺ fertigkeitsbasierte Übungen mit Bezug zu den Aufgaben Individualisierung und ⫺ differenzierende und lernerorientierte Personalisierung: Verarbeitungsangebote ⫺ mit Sprache handeln: Lerner sprechen und schreiben als sie selbst Autonomieförderung: ⫺ Vermittlung von Lernstrategien, ⫺ offene Unterrichtsphasen mit Projektcharakter Interaktionsorientierung: ⫺ Kommunikationsförderung, ⫺ kollaboratives Lernen, ⫺ Lernen als kognitiver Prozess in einem sozialen Kontext Reflexionsförderung: ⫺ Einsicht in Strukturen ⫺ problemlösendes Lernen Automatisierung: ⫺ Einüben produktiver Routinen sowohl als Ergebnis als auch als Voraussetzung kognitiver Prozesse 944 X. Sprachen lehren: Zielsetzungen und Methoden Transparenz & Partizipation: ⫺ Zieltransparenz und Beteiligung der Lerner an pädagogischen Entscheidungen Evaluationskultur: ⫺ summative und formative Evaluation von Lernprozessen ⫺ Evaluation von Lehre, Rechenschaftspflicht Mehrsprachigkeit: ⫺ … als Voraussetzung für Entscheidungen in Bezug auf Unterrichtsmaterial, Motivation und Übungsgestaltung Lehr-/ Lernkultursensibiliät: ⫺ Berücksichtigung kulturspezifischer Verarbeitungsformen von Lernstoff Die Aufzählung dieser 12 Standards folgt keiner Reihenfolge und beschreibt keine Prioritätensetzung für unterrichtliches Handeln. Sie nennt keine konkurrierende, son- dern komplementäre methodische Planungs- und Handlungsbereiche. Sie sind in der fremdsprachenmethodischen Literatur weitgehend beschrieben und können für sich in Anspruch nehmen, forschungsbasiert zu sein. Sie bieten eine prinzipielle Leitlinie für individuelle Entscheidungen und Standortbestimmungen sowohl für Unterrichtspraxis als auch für die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften. Sie sind als Werkbankmarkie- rungen (benchmarks) für Lehrmaterialentwicklung, Unterrichtsvorbereitung und Übungs- geschehen zu verstehen. Die Standards sollten damit auf allen Ebenen der Kompetenz- Soll-Beschreibungen des fremdsprachenpädagogischen Handels erkennbar sein. Sie er- möglichen ein ergebnisorientiertes Unterrichtsdesign, das Lernkulturen und das Ziel der individuellen Förderung berücksichtigt und, Lerner-aktivierende, sozial-integrative und reflexive Arbeitsformen anzubietet. 2.3. Die Ebene der methodischen Konzepte und Szenarien Die beschriebenen Prinzipien bzw. Standards erlauben die Formulierung von Organisati- onsprinzipien, Verfahrensweisen, methodischen Einzelprinzipien und Gewichtungen von Unterrichtsfeldern für alle Lernzielbereiche (z. B. die Fertigkeiten) und Komponenten des Unterrichts (Grammatik, Wortschatz, Texte). Methodische Modelle sind in diesem Kontext schlüssige Abfolgen von Einzelschritten und Unterrichtsszenarien auf dem Weg zu einem Lernziel, die in der Regel mehrere der 12 Prinzipien beinhalten. Sie beschreiben beispielsweise Wege zum Verstehen von Hör- und Lesetexten wie u. a. Weskamps PQ4R- Modell (Weskamp 2001: 133 f.) ebenso wie den Prozess der Textarbeit und der selbständi- ger Erarbeitung grammatischer Strukturen wie u. a. das S-O-S Modell (Funk und Koenig 1991) oder Automatisierungsverläufe wie John R. Andersons ACT-Modell (Segalowitz 2003: 395). Dort, wo Fremdsprachenunterricht eine in Bezug auf die Fertigkeiten eine ausgewo- gene Lernzielverteilung hat, in deren Mittelpunkt die rezeptive und produktive Verwen- dung der Sprache steht, ist davon auszugehen, dass eine ebenso ausgeglichene Verteilung von vier Lernfeldern am ehesten geeignet ist, eine entsprechend verteilte Kompetenzent- wicklung zu gewährleisten, nicht zu verwechseln mit einer Liste der vier Fertigkeiten die in vielen Lehrmaterialien und Unterrichtsverläufen eher zu einem isolierten Training von Einzelfertigkeiten geführt hat (vgl. auch Art. 106). Die Fertigkeitenübersicht (Tab. 104.3) ermöglicht lediglich die topologische Sortie- rung von Texten und Lernzielen, Die Matrix (Abb. 104.1) gliedert Unterrichtsaktivitäten 104. Methodische Konzepte für den Deutsch als Fremdsprache ⫺ Unterricht 945 Abb. 104.1: Lernfeldmatrix zur Verteilung von Unterrichtsaktivitäten Tab. 104.3: Traditionelle Liste der Fertigkeiten (vgl. Nation 2001, Nation und Newton 2009) mündlich schriftlich rezeptiv Hören Lesen produktiv Sprechen Schreiben und ordnet sie im Sinne der zuvor genannten Prinzipien Kompetenzfeldern zu. Die über- zeugendste Begründung eines solchen integrativen, gleichmäßig verteilten Modells liegt im Time-on-Task-Prinzip, das vielfach empirisch belegt ist (Nation und Newton 2009). Lesen lernt man durch lesen, Sprechen durch sprechen und Flüssigkeit kann im Unter- richt nur erreicht werden, wenn man sie auch trainiert. In allen Lernfeldern sind jeweils mehrere der oben genannten 12 Prinzipien wirksam. Lernfeld 1: Bedeutungsvolle Inhalte ⫺ die Verarbeitung von sprachlichen und themati- schen Informationen „Bedeutungsvoll“ kann nicht als objektive Kategorie definiert werden. Geht man vom Grundprinzip eines personalisierten und individualisierten Unterrichts aus, so sind dieje- nigen Inhalte bedeutungsvoll, denen Lernende intrinsische Verarbeitungsaufmerksamkeit schenken. Hierin folgen sie unbewusst und unvermeidbar lernbiographischen Prägungen und Motivationen und nicht notwendigerweise didaktisch zugewiesener Gewichtung. Die Chance auf eine Verarbeitung von Inhalten wächst in dem Maße, in dem die Lernenden an der Auswahl von Zielen und Erarbeitung von Materialien beteiligt werden. 946 X. Sprachen lehren: Zielsetzungen und Methoden Eine zweite zentrale Kategorie neben der Verarbeitungsbereitschaft auf der Seite der Lerner ist die Plausibilität des angebotenen Sprachmaterials. Nick Ellis beschreibt Spra- chenlernen als „Hochrechnung auf der Grundlage von Sprachdaten“ (Ellis 2009: 139) und beschreibt damit die Abhängigkeit des Transfers von der Qualität der Eingangsda- ten. Die Wahrscheinlichkeit von Verarbeitung und Transfer steigt durch das Angebot an sprachlich und medial reichhaltigen, gleichwohl verständlichen Textangeboten. Dabei ist besonders auf der Wortebene auf „dichte Nachbarschaften“ (Ellis 2009:140) zu achten, d. h. auf alle Formen von häufig gemeinsam verwendeten Wörtern. Lernfeld 2: Sprachform-bezogenes Lernen Die Relevanz der im Lernprozess thematisierten Inhalte, Wörter und Strukturen er- gibt sich zum einen aus der vermuteten Verarbeitungsbereitschaft der Lerner, zum ande- ren aus der Häufigkeit des Auftretens in lernerrelevanten Sprachkontexten und aus dem Transferpotenzial im Sinne der Leistungsbreite von Wörtern und Strukturen. So hat das Perfekt im Deutschen eine hohe kommunikative Leistungsbreite, da es praktisch den gesamten Vergangenheitsbereich abdecken kann. Dabei kann grundsätzlich zwischen einem Form-geleiteten Fremdsprachenunterricht (focus on forms) und einem Form-fokussierten (focus on form) unterschieden werden. Letzterer meint eine zeitweise Konzentration auf sprachliche Strukturen auf der Wort-, Satz- und Textebene im Rahmen eines inhalts- und handlungsorientieren Fremdspra- chenunterrichts deren Zeitpunkt, Gegenstand und Dauer von den Bedürfnissen der Ler- nenden nach Systematisierung bestimmt wird. Grammatische Regeln werden also dann thematisiert, wenn sich Bedürfnis und Bereitschaft dazu auf Seiten der Lernenden im Rahmen einer inhaltlichen Aufgabenstellung ergeben, da andernfalls die Lernenden den Strukturen keine nachhaltige Verarbeitungsaufmerksamkeit widmen. Damit ergibt sich eine Unterrichtsphasierung, in der an Anfang und Ende einer Sequenz inhaltliche Aufga- ben stehen und zu einem nach Möglichkeit von den Lernern zu bestimmenden Zeitpunkt eine Kognitivierungsphase stattfindet. In der Praxis findet dieses Prinzip in der notwendi- gen Vorbereitung von Kognitivierungsphasen und in den Vorgaben der verwendeten Lehrwerke seine Grenzen und macht es sinnvoll, von einer „schwachen Version“ von „Fokus-auf-Form“ zu sprechen: Grammatische Regeln können dort aufgegriffen werden, wo der Gebrauch einer Struktur ein inhaltliches Lernziel erfüllt und wo sie zu diesem Zweck verwendet werden. Beispiele: Eine Systematisierung von Vergangenheitsformen kann dort angebracht sein, wo Kursteilnehmer über eigene Erlebnisse und Erfahrungen berichten, eine teilweise Syste- matisierung des Gebrauchs von Präpositionen mit dem Dativ dort, wo sie eigene Wohn- umwelten schildern. Dieses Verfahren unterscheidet sich vom Verfahren einer vorgegebe- nen Kontextualisierung von Dativpräpositionen in Wohnungsbeschreibungen, wie es in der Regel in Lehrwerken geschieht, da im Rahmen eines Fokus-auf-Form-Modells die Lernenden selbst über Umfang und Zeitpunkt der Systematisierung entscheiden. Die Konsequenz ist ein inhaltsbezogener Zuschnitt von grammatischen Lernangeboten (z. B.: Richtungen beschreiben) statt einem strukturbezogenen (z. B. „Die Wechselpräpositionen) Die folgende Gegenüberstellung prototypischer Übungsanweisungen in DaF-Lehr- werken verdeutlicht den Unterschied im Übungsgeschehen zwischen einem inhaltlosen Grammatikfokus und einer formfokussierten Übung im inhaltlichen Kontext: 104. Methodische Konzepte für den Deutsch als Fremdsprache ⫺ Unterricht 947 Tab. 104.4: Arbeitsanweisungen in Lehrwerken Grammatikfokussierung (inhaltslos) Formfokussierung (bedeutungs- bzw. handlungsorientiert) ⫺ Sätze mit Dativ: Ergänzt die ⫺ Letzte Woche ⫺ Was war gut, was war Personalpronomen schlecht? Erzählt in der Klasse. ⫺ Verbinde Sätze mit wenn … dann ⫺ Widersprechen / sich entschuldigen ⫺ sammelt ⫺ Modalverben können, müssen, dürfen, Ausdrücke im Text und verwendet sie in wollen, sollen ⫺ Ergänze im Präsens oder einem Dialog. Präteritum. ⫺ Adjektive machen Geschichten interessanter. ⫺ Artikel und Possessivpronomen im Baut die Adjektive ein und lest eure Akkusativ und Dativ ⫺ Ergänze bitte. Geschichte vor. ⫺ Thema Essen ⫺ was isst du wann am liebsten? Liegt der Fokus wie in der linken Spalte auf der Einübung einer grammatischen Re- gel, zu der dann Beispielsätze gesucht werden, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Lernenden mit isolierten „Sinn-losen“ Beispielsätzen konfrontiert werden, denen sie in der realen Sprachverwendung nie begegnen würden. „Sinn-los“ heißt hier, dass die Sätze lediglich eine Struktur präsentieren bzw. fordern, die aber losgelöst wird von ihrem in- haltlichen Sinn. Lernfeld 3: Aktives, „Sinn-volles“ Sprachhandeln der Lernenden ⫺ Bedeutungs-fokus- sierte Sprachverwendung Im Gegensatz dazu meint „Sinn-volles“ Sprachhandeln die Verwendung der Fremd- sprache, um damit eigene Aussagen zu Sachverhalten, zu Texten, zu sich selbst oder anderen Personen zu machen. Damit sind vor allem die Prinzipien einer Handlungsorien- tierung, Individualisierung und Personalisierung des Lernprozesse verbunden. Dies kann in simulierter Unterrichtskommunikation vorbereitet (etwa in Information-gap-Übungen, bei denen jeweils ein Partner die richtige Lösung hat und der andere sie abwechselnd erfragt) und in der realen Interaktion im Unterricht und darüber hinaus (Projekte und Praxiserkundungen) eingeübt werden. Die Lernfeldmatrix geht davon aus, dass etwa ein Viertel der Unterrichtszeit der Verwendung der gelernten Wörter und Strukturen zu kommunikativen Zwecken gewidmet werden sollte, einem Bereich also, der der notori- schen Zeitnot im Unterricht besonders oft zum Opfer fällt. Lernfeld 4: Automatisierung ⫺ das Training sprachlicher Flüssigkeit Während konstruktivistische Modellierungen den bewussten Aufnahme- und Verar- beitungsprozess sprachlichen Materials in den Mittelpunkt gestellt haben, richten kon- nektionistische Modelle (Arnold 2002; Pospeschill 2004) den Blick auf das Übungsge- schehen und auf die neurologischen Grundlagen des Lernens, das Herstellen von Verbin- dungen zwischen Gehirnzellen (vgl. Art. 89). Sie verweisen darauf, dass eine solche „Bahnung“ das Ergebnis unterschiedlicher Ursachen sein kann, in jedem Fall aber auch mit den Faktoren „Zeit“ und „Wiederholung“ zu tun hat. Kognitions- und neurowissen- schaftliche Forschungsbeiträge haben in jüngster Zeit darauf aufmerksam gemacht, wie stark unbewusst-implizites, zufälliges (inzidentelles) und ganzheitliches Lernen sowohl die Grundlage von Kognitionsprozessen als auch von flüssiger Sprachverwendung sind. „Zusammengefasst beschreiben konnektionistische Modelle die Konsolidierung von Gedächtnis im Zuge einer Enkodierung, Engrammbildung und rekonstruier- 948 X. Sprachen lehren: Zielsetzungen und Methoden enden Transformation von Informationen. Gedächtnis wird somit als ein adapti- ves, assoziatives und distribuiertes System betrachtet. Der starke erfahrungsabhän- gige Bezug beim Aufbau von Gedächtnis favorisiert vor allem episodische Ge- dächtnismodelle mit auto-, hetero-assoziativer, zumeist inhaltsadressierter, aber auch sequenziell arbeitender Architektur.“ (Pospeschill 2004: 193) Der Weg vom bewussten zum unbewusst-automatisierten Fremdsprachengebrauch ist ein möglicher aber nicht der einzig mögliche Weg sprachlichen Lernens. Die vielfältigen menschlichen Lernpotenziale und -wege werden auf diese Weise nicht erfasst. Wenn man eine Fremdsprache flüssig spricht, reproduziert man fertige „Redeteile“ einschließlich der phonologisch gespeicherten grammatisch richtigen Formen. Man baut in der gesproche- nen Sprache nicht Sätze nach grammatischen Regeln auf. Für eine Konzentration auf die Form und die bewusste Wahl von grammatischen Markierungen wäre gar keine Zeit (vgl. List 2002: 128; Ellis 1996: 2009). Flüssigkeit entsteht demnach durch Verwendung von in zusammenhängenden Einheiten gespeicherten Wörtern mitsamt ihrer grammati- schen Endungen und Ableitungen. Für die Übungsgestaltung hat das zur Folge, dass Routineformeln auch als Basis der Kognitivierung Gegenstand von Übungen sein müs- sen, die vorwiegend den mündlichen Gebrauch trainieren, automatisches und schnelles Reagieren in Mustern ohne große Varianz, d. h. ohne bewusstes Auswählen zwischen Variablen mit hoher Wiederholungsrate einüben. Dazu sind besonders Sprachspiele und Minidialoge mit frequent gebrauchten Routineformeln geeignet. Je mehr das Umfeld der Entstehung fremdsprachlicher mentaler Netze (Inhalte, Rah- menbedingungen und Verfahren des Lernens fremder Sprachen) dem Umfeld der späte- ren Verwendung der Sprache gleicht, desto höher ist die Chance der Aktivierung und Verfestigung der Netze ⫺ reichhaltige und realitätsnahe Lernumgebungen führen zu bes- seren Lernergebnissen (vgl. Segalowitz 2003: 402). Fremdsprachliche Übungen und Auf- gaben sind insgesamt an den drei grundlegenden Paradigmen konnektionistischen Ler- nens auszurichten, Sprachliches Lernen ist demnach entweder a) der Erwerb muster-assoziativer Verbindungen durch imitativ-reproduktives Üben, b) klassifizierendes Lernen auf der Grundlage u. a. lehrgesteuerter Verarbeitungsange- bote oder … c) ungesteuertes Lernen von Regularitäten durch Entdeckung und Experiment (inziden- tell, implizit). Die drei Wege beschreiben keine theoretisches Gesamtkonzept, wohl aber eine auch neu- rowissenschaftlich plausible Verteilung der Lernaktivitäten. Geht man von den genannten Prinzipien und einer balancierten Verteilung der Unter- richtsaktivitäten in den Lernfeldern aus, dann ergeben sich Konsequenzen in Bezug auf Übungsgestaltung und -sequenzen in Lehrwerk und Unterricht. 3. Die Ebene der Modelle und Unterrichtsszenarien Eine Reihe von Modellen kann derzeit am ehesten für sich in Anspruch nehmen, sowohl plausible Progressionsverläufe in den einzelnen Lernfeldern als auch übergreifende Un- terrichtsszenarien mit einer progressional gestuften, lernfördernden Distribution von Un- terrichtsaktivitäten im Sinne der genannten Lernwege zu gewährleisten. 104. Methodische Konzepte für den Deutsch als Fremdsprache ⫺ Unterricht 949 Beispiele für lernfeldinterne Progressions- und Sequenzmodelle ⫺ Das „S-O-S“-Modell, das Sammeln von Beispielen auf der Grundlage formaler Ähn- lichkeiten, das Ordnen von sprachlichen Formen und das Systematisieren von Be- obachtungen, d. h. die Formulierung von Regeln (Funk und Koenig 1991: 124 f.), beschreibt eine Vorgehensweise, bei der den Lernenden auf der Grundlage eines Text- und Beispielangebots Gelegenheit, Unterstützung und Zeit zu entdeckendem Lernen und Hypothesenbildung gegeben wird. Unterrichtsangebote unterstützen auf diese Weise einen natürlichen kognitiven Prozess und machen ihn bewusst. Damit ist auf der metakognitiven Ebene die Ausbildung lernstrategischer Routinen verbunden. Das Modell hat als Voraussetzung eine Input-Optimierung, bei der die Häufigkeit der Repräsentanz von Mustern (Ellis 2009: 144) die Grundbedingung für die Ausbildung einer kognitiven Landkarte in der Form einer neuronalen Bahnung ist. ⫺ Das „traditionelle“ Automatisierungsmodell Andersons, das von drei Phasen ausging, einer „kognitive Phase“, in der die Regeln explizit gelehrt und gelernt werden, einer anschließenden „assoziative Phase“ in der die Regeln wiederholt angewendet werden und einer autonomen Phase“, in der die Regeln nicht mehr explizit sondern implizit angewendet werden (vgl. Segalowitz 2003: 395). Obwohl dieses Modell nur einen en- gen Ausschnitt kognitiver Modellbildung erfasst, den des direkt-expliziten, deduktiven Zugangs zur Sprache über die Regel, und mit ihm die Prinzipien der Autonomieförde- rung, der Handlungsorientierung und des inhaltsbasierten Lernens schwer verbindbar sind und fertigkeitsbezogene Transferprobleme entstehen, sind in entsprechenden lernkulturellen Kontexten nachhaltige Lernergebnisse erzielbar Weitere lernfeldinterne Progressions- und Sequenzvorschläge gelten der Entwicklung der fremdsprachlichen Schreibfertigkeit sowie dem Hör- und Leseverstehen (vgl. Kap. X). Beispiele für lernfeldübergreifende Progressions- und Sequenzmodelle ⫺ Dem Modell des aufgabenbasiertes Lernen sind in den letzten Jahren eine Vielzahl von Monographien und Einzelbeiträgen gewidmet worden (Willis und Willis 2007; Müller-Hartmann und Schocker-von Dithfurt 2005). Die Aufmerksamkeit der For- schung galt dabei der Struktur und Sequenzabfolge von Aufgaben, der Rolle und Bedeutung der Wiederholungen, dem Verhältnis von Korrektheit und Flüssigkeit in aufgabenbasierten Unterrichtsdesigns (Robinson 2001), der Input-Optimierung und der Aufgabenauthentizität aus der Sicht der Lernenden (Waters 2009: 316). ⫺ Swains „Outputmodell“ verweist darauf, dass wir nicht allein durch Verarbeitung von sprachlichem Input lernen, sondern auch durch aufgabengesteuerten Output (Mura- noi 2007). Aus diesem Modell ergibt sich die folgende (vereinfachte) Abfolge von Unterrichtsschritten: 1. Die Lernenden werden zur Sprachproduktion animiert. Sie reagieren auf Bilder, Texte, Äußerungen mit motivierendem Aufforderungscharakter. 2. Die Lernenden entdecken, dabei, dass ihnen ein Wort / eine Formulierung fehlt („noticing the gap“). Aus dem Äußerungsbedürfnis entsteht Lernmotivation. 3. Zielgerichtete Verarbeitungsaufmerksamkeit führt zur Wahrnehmung der fehlen- den Elemente. 4. Die neuen sprachlichen Elemente, Formen und Formulierungen werden gelernt und verwendet, um eine Aussage zu machen. ⫺ Das ACCESS-Modell: Gatbonton und Segalowitz (2005: 329) verbinden am Beispiel des Themenfeldes „Familie“ einen Kommunikations- und Aufgaben-orientierten An- 950 X. Sprachen lehren: Zielsetzungen und Methoden satz mit Automatisierungsanforderungen. Das Modell geht von einer Drei-Phasen Sequenz mit jeweils unterschiedlichen Lernabschnitten aus, in der einer „kreative Au- tomatisierungsphase“ eine „sprachliche Konsolidierungsphase“ und schließlich eine „freie Kommunikationsphase“ folgt. Die drei übergreifenden Sequenzmodelle lassen sie sich in Form eins Vier-Phasen-Mo- dells auf einen gemeinsamen Nenner bringen: Unterrichtssequenz: Gebrauchsbasiertes Lernen und Erwerben 1. Inhaltsbezogene Einführung von Wortschatz und Strukturen (rezeptiv) 2. Gebrauchsbasiertes Einüben von Wortschatz und sprachlichen Mustern (Automatisierung 1) (imitativ-reproduktiv) 3. Bewusstmachung durch Systematisierung und gelenkte Übungen (kognitiv-reproduktiv) 4. Sprachverwendung in sinnvollen Kontexten, Transfer Automatisierung (2) (reproduktiv-produktiv) Im Mittelpunkt der fachdidaktischen Debatten im Fach Deutsch als Fremdsprache stand in den vergangenen Jahren die Rezeption des Gemeinsamen Europäischen Referenzrah- mens und der sich aus ihm ergebenden positiven und problematischen Konsequenzen in Bezug auf die pragmatische Ausrichtung, Lernerautonomie, Evaluationskultur, Interkul- turalität und Mehrsprachigkeitsorentierung des Unterrichts. Diese Fachdebatte war im Sinne der Differenzierung von Richards (2002) überwiegend Werte-basiert. Eine stärker Handwerks-basierte Fachdiskussion auf der Grundlage der in diesem Beitrag dargestell- ten Theorie-basierten Prinzipien und unterrichtlichen Handlungsfelder eröffnet die Chance einer besseren Praxisakzeptanz von methodischen Prinzipien und Modellen und öffnet zugleich neue Felder einer praxisgestützten Unterrichtsforschung. 4. Literatur in Auswahl Arnold, Margret 2002 Aspekte einer modernen Neurodidaktik. Emotionen und Kognitionen im Lernprozess. Mün- chen: Ernst Vögel. Barkowski, Hans und Hans-Jürgen Krumm (Hg.) 2009 Fachlexikon Deutsch als Fremdsprache. Tübingen: Narr. Bausch, Karl-Richard und Gabriele Kasper 1979 Der Zweitsprachenerwerb: Möglichkeiten und Grenzen der ,großen‘ Hypothesen. Lin- guistische Berichte 64: 3⫺35. Brown, Douglas H. 2007 Teaching by Principles. An Interactive Approach to Language Pedagogy. White Plains, NY: Pearson Longman. Edmondson, Willis und Juliane House 2006 Einführung in die Sprachlehrforschung. Stuttgart: UTB/Francke. [1. Aufl. 1993] Ellis, Nick C. 1996 Sequencing in SLA. Phonological Memory, Chunking, and Points of Order. Studies in Second Language Acquisition 18: 91⫺126. 1060 X. Sprachen lehren: Zielsetzungen und Methoden 118. Fehleranalyse und Fehlerkorrektur 1. Forschungsgeschichtliche Positionen im Überblick 2. Beschreibung und Analyse von Fehlern 3. Die Erklärung von Fehlern 4. Die Fehlerkorrektur 5. Ein Blick auf die Fehlerbewertung 6. Literatur in Auswahl 1. Forschungsgeschichtliche Positionen im Überblick Bis in die 1960er Jahre hinein wurde der Fehler als die „Sünde“ des Fremdsprachenler- ners gesehen, mit der man zwar stetig rechnen müsse, die es aber auszumerzen gelte. Die Einsicht, dass Fehler nicht nur beim Erstspracherwerb natürliche Etappen und Zwischen- schritte auf dem Weg des Erwerbsprozesses darstellen, sondern darüber hinaus wichtige Erkenntnisse über diesen liefern, geht vor allem auf Arbeiten von Corder (1967) und Selinker (1972) zurück. Im Kontext dieses Einschätzungswandels veränderten auch die zahlreichen (empirischen) Forschungsarbeiten zum Fehler ihr Erkenntnisinteresse: Zu- nächst standen linguistisch orientierte Arbeiten im Vordergrund, in denen versucht wurde, Fehlertaxonomien zu erarbeiten, Fehler nach vorwiegend linguistischen Kriterien zu klassifizieren und Auftretenshäufigkeiten zu dokumentieren (vgl. u. a. Débyser, Houis und Rojas 1967; Kielhöfer 1975), Forschungsarbeiten zur genaueren Ursachenerklärung von Fehlern stellten sprachbedingte Gründe in den Vordergrund. Im Zusammenhang mit kontrastiven Sprachanalysen erhoffte man sich Aufschluss über Problembereiche des Lerners. Diese Analysen sollten zu einer begründeten Fehlertherapie und Fehlerprophy- laxe führen (vgl. hierzu den Sammelband von Nickel 1972). Bei unterschiedlichen Ele- menten und Regeln in Ausgangs- und Zielsprache wurden Lernschwierigkeiten und häu- fig auftretende Fehler (Interferenzfehler) erwartet, die man ⫺ noch ganz in der Tradition der audio-lingualen Methode ⫺ durch eine starke Steuerung des Lerners über bestimmte Übungsanordnungen, über deren unmittelbare Korrektur und durch mehrmalige Wie- derholung der korrekten Form zu therapieren gedachte. Als Reaktion auf die einseitige Beschäftigung mit Interferenzfehlern und Fehlererklä- rungen nach der Kontrastivhypothese, die eine systematische Beeinflussung der Grund- sprache auf den Erwerb der Zielsprache annahm, wurden verstärkt Analysen zu intralin- gualen Fehlerursachen (Übergeneralisierungen, Regularisierungen, Simplifizierungen) betrieben (vgl. z. B. Richards 1974; Wode 1978), die dann zur sogenannten Identitätshy- pothese führten (zur Darstellung einiger Erwerbshypothesen vgl. Kap. VIII in diesem Band). Hierbei ging man davon aus, dass prinzipiell gleiche Fehler beim Erst- und Zweit- spracherwerb auftreten, da gleiche Entwicklungsverläufe und -stufen auf allen sprach- lichen Ebenen anzunehmen seien. Die Ausschließlichkeitspositionen, die für den einen (Interferenzfehler) oder anderen (intralinguale Fehler) sprachlich orientierten Erklä- rungsmodus angenommen wurden, wurden abgelöst durch multikausale Erklärungen, die der Faktorenkomplexion beim fremdsprachlichen Lernen Rechnung tragen wollten. Mit der Annahme, dass Lerner in einem interaktiven Prozess (innerhalb und außerhalb 118. Fehleranalyse und Fehlerkorrektur 1061 des Unterrichts, mit Personen und/oder Texten) kreativ eine eigene Lernersprache auf- bauen, die keinesfalls nur linguistischen Kriterien folgt, wurden Fehler als nützliche Hin- weise für die Analyse eben dieser Lernersprache gesehen, als Indikatoren für Lernfort-, aber auch Lernstill- und Lernrückschritte (vgl. z. B. Bausch und Raabe 1978; Raabe 1980). In diesem Zusammenhang gerieten auch vermittlungsmethodische Konsequenzen und damit die Fehlerkorrektur stärker in das Blickfeld der Forschungsaktivitäten (vgl. z. B. Chaudron 1977; Hendrickson 1978). Parallel zu diesen Forschungsaktivitäten und in Reaktion auf die nunmehr positive Sichtweise des Fehlers kristallisierte sich in den ⫺ zu dieser Zeit häufig eingesetzten ⫺ kommunikativen Vermittlungsverfahren ein äußerst toleranter Umgang mit Fehlern heraus. Vorrangiges Ziel war die Befähigung zur Kom- munikation, sprachliche Korrektheit war nachgeordnet. Im Kontext dieser Verfahren ging man davon aus, dass Fehler, die die Kommunikation nicht beeinflussten, weitge- hend ignoriert werden könnten. In den 1980er Jahren waren daher Forschungsarbeiten zum fremdsprachlichen Korrigieren eher selten. Abgesehen von einigen praxisorientier- ten Arbeiten (vgl. z. B. Bleyl 1984; Koutiva und Storch 1989) fällt forschungsmethodisch die Arbeit von Henrici und Herlemann (1986) heraus, die Korrekturhandlungen klassifi- zieren und analysieren. In den 1990er Jahren stieg das Interesse vor allem auch an empi- rischen Forschungsaktivitäten im Bereich Fehler und Fehlerkorrektur wieder zunächst stark an; einige Arbeiten schlossen sich nach der Jahrhundertwende an (Edmondson 1993; Havranek 2002; Kleppin und Königs 1991; Lochtmann 2002). Von Bedeutung für die Forschung wurde vor allem der Versuch, das Phänomen Fehler und Fehlerkorrektur in der Unterrichtsrealität zu erforschen und begründete Handlungskonsequenzen aufzu- zeigen. In der Lernersprachenforschung zu DaF begrenzt man sich nicht auf die auftre- tenden Fehler; vielmehr sollen Lernschwierigkeiten identifiziert werden, die sich in Feh- lern äußern können, aber nicht müssen (Kordes 1993; Serra Borneto 2000). 2. Beschreibung und Analyse von Fehlern Im Folgenden wird zunächst noch nicht zwischen schriftlichem und mündlichem Fehler unterschieden. Untersuchungen zum Fehler beziehen sich jedoch bisher weitgehend auf die schriftliche Repräsentation. 2.1. Die Identiizierung von Fehlern Die Frage, was als Fehler zu gelten habe, beschäftigt ⫺ wenn auch zum Teil auf dem Hintergrund unterschiedlicher Erkenntnisinteressen ⫺ Fremdsprachenlerner und -lehrer, Linguisten, Sprachlehrforscher und Fremdsprachendidaktiker. Es gilt, Kriterien festzule- gen, anhand derer eine begründete Entscheidung darüber gefällt werden kann, ob ein Fehler vorliegt. Die Auswahl der Kriterien orientiert sich dabei an dem jeweiligen Be- schreibungsinteresse und ist beeinflusst vom Stellenwert, der dem Fehler im Erwerbspro- zess beigemessen wird. Darüber hinaus ist entscheidend, ob und wie Fehler in die Bewer- tung von Lernerproduktionen eingehen. 1062 X. Sprachen lehren: Zielsetzungen und Methoden 2.1.1. Sprachliche Korrektheit als Kriterium Als Fehler gilt hierbei eine Abweichung vom Sprachsystem, d. h. ein Verstoß gegen das Regelsystem einer Sprache (Beispiel 1: Ich *arbeitet in Deutschland) sowie gegen eine sprachliche Norm, wie sie in Grammatiken, Wörterbüchern oder Institutionen „festge- legt“ wurde. Die von Coseriu eingeführte Unterscheidung von Norm- und Systemverstoß hat vor allem in den 1970er Jahren eine rege Diskussion über den Begriff des Fehlers nach sich gezogen (vgl. z. B. Nickel 1972; Cherubim 1980). Kritisiert wurde bei dem Begriffspaar Sprachsystem/Sprachnorm vor allem die sich dahinter verbergende An- nahme, es gäbe so etwas wie ein formales, vom Individuum unabhängiges Regelsystem und eine allseits akzeptierte linguistische Norm einer Sprache. Ebenso problematisch für die Fehleridentifizierung ist die Bezugsgröße des Sprachge- brauchs, der Sprachwirklichkeit, so wie „man“ in deutschsprachigen Ländern spricht. Eine vollständige und „wertneutrale“ Beschreibung von Sprache in unterschiedlichen Regionen und unterschiedlichen sozialen Schichten, anhand derer Lerneräußerungen zu überprüfen sind, ist für den Unterricht Deutsch als Fremd- und Zweitsprache weder handhabbar noch wünschenswert. 2.1.2. Verständlichkeit als Kriterium Hierbei steht die Frage im Mittelpunkt, ob ein Fehler die Kommunikation behindert oder nicht. Im Extremfall hieße dies: Alles, was von einem möglichen Kommunikations- partner verstanden wird, gilt nicht als Fehler, selbst wenn Abweichungen von einer ge- lernten grammatischen Regel feststellbar sind. 2.1.3. (Kulturelle) Situationsangemessenheit als Kriterium Thematisiert wird hierbei der verbale und nonverbale Verstoß gegen eine (sozio-kulturell) angenommene pragmatische Norm, der Verstoß gegen Verhaltenserwartungen in einer bestimmten Situation, z. B. gegen Regeln der Höflichkeit. 2.1.4. Unterrichtsabhängige Kriterien Im Fremdsprachenunterricht kommt meist eine präskriptive Norm zur Geltung, wie sie z. B. dem Lehrwerk, der benutzten Grammatik zu Grunde liegt oder wie ein Lehrer sie vorschreibt. Ein Fehler ist demnach dann existent, wenn gegen diese Norm verstoßen wird und der Lehrer dies bemerkt. 2.1.5. Flexible (lernerbezogene) Kriterien Je nach Situation wird entschieden, ob, bei wem und unter welchen Umständen ein Fehler zu ignorieren, zu tolerieren oder zu korrigieren, wie er zu gewichten und zu bewer- 118. Fehleranalyse und Fehlerkorrektur 1063 ten ist. Es soll hierbei z. B. dem Lernstand entsprechend oder auch mit Blick auf indivi- duelle Lernfortschritte korrigiert und/oder bewertet werden. Der Lerner und seine mögli- chen Lernschwierigkeiten werden in den Mittelpunkt gestellt. Es interessiert demnach nicht mehr allein, ob ein Fehler objektiv feststellbar ist. 2.2. Die Klassiikation und Typisierung von Fehlern Meist spricht man von Fehlertypen, wenn von typischen Fehlermanifestationen die Rede ist. In fast allen Beiträgen zum Fehler bleibt die Aufteilung in Performanz- und Kompe- tenzfehler (vgl. u. a. Nickel 1972; Rattunde 1977) nicht unerwähnt, die auf Corder (1967) zurückgeht, wobei mit Kompetenzfehlern (errors) Verstöße bezeichnet werden, die außer- halb der Beurteilungskompetenz eines Lerners liegen, sei es, dass er z. B. die betreffende Struktur noch nicht gelernt hat, sie falsch verstanden hat o. Ä. Unter Performanzfehler (mistakes) hingegen werden neben reinen Flüchtigkeitsfehlern (slips of the tongue oder auch lapses) Verstöße gerechnet, die durch noch unvollkommene Automatisierung von z. B. Regeln und Strukturen bedingt sind. Sie können vom Lerner erkannt und eventuell sogar selbst korrigiert werden. Eine Abwandlung der Aufteilung in Kompetenz- und Performanzfehler findet sich z. B. bei Edge (1989). Er unterteilt Fehler nach ihrem Ort im Lern- und Unterrichtsprozess in: ⫺ Ausrutscher (slips), d. h. Fehler, die ein Lerner selbst korrigieren kann, wenn darauf aufmerksam gemacht wird, dass er einen (schriftlichen oder mündlichen) Fehler be- gangen hat. ⫺ Irrtümer (errors), d. h. Fehler, die ein Lerner (nach Meinung des Lehrers) eigentlich nicht machen sollte, da das entsprechende sprachliche Phänomen im Unterricht schon behandelt wurde. Der Lerner hat es z. B. nicht verstanden oder vergessen. Diese Feh- ler kann der Lerner nicht selbst korrigieren, auch wenn er darauf hingewiesen wird. ⫺ Versuche (attempts), d. h. Fehler in Bereichen, die der Lerner eigentlich noch nicht kennt und die deshalb auch kaum zu vermeiden sind. Solche zunächst rein analytischen Unterteilungen beruhen meist auf Interpretationen von Lernerprodukten; sie sollten möglichst über den Einbezug der Lerner (z. B. Lerner- befragungen) abgesichert werden. In anderen Typisierungen wie z. B. den Begrifflichkeiten manifester versus latentem Feh- ler, sichtbarer versus unsichtbarem oder verdecktem Fehler, produktiver versus rezept- ivem Fehler (vgl. zu unterschiedlichen Typisierungen z. B. Raabe 1980) wird der Tatsache Rechnung getragen, dass Fehler nicht immer unmittelbar und offen in der (isoliert be- trachteten) Lerneräußerung zu Tage treten müssen, dass z. B. die Kommunikationsab- sicht des Lerners eine andere war als die in der betreffenden Äußerung realisierte, dass er etwas falsch verstanden hat etc. Ein Beispiel für einen rezeptiven Fehler: Beispiel 2: Lehrer: Wie lange bist du schon in Deutschland? Lerner: *Ich bin hier bis Juni. 1064 X. Sprachen lehren: Zielsetzungen und Methoden Wenn Fehler bestimmten sprachlichen Ebenen zuzuordnen sind, wie z. B. phonetisch- phonologischer, morpho-syntaktischer, lexiko-semantischer Fehler, dann wird meist von Fehlerklassifikation gesprochen. Für die Unterrichtspraxis hatten solche Fehlerklassifi- kationen ihren besonderen Stellenwert bei der Korrektur und Bewertung schriftlicher Arbeiten. Es existierte zum Teil je nach institutionellem Kontext eine Reihe von Klassifi- kationsvorschlägen (vgl. für den wissenschaftlichen Kontext z. B. Débyser, Houis und Rojas 1967; für schulische Unterrichtskontexte (z. B. Ständige Konferenz der Kultusmi- nister der Länder 2004). Wenn es um Klassifikationen geht, die für die Bewertung von Lernerproduktionen gedacht waren, so hat sich hier die in standardisierten Tests übliche kriteriale Bewertung spätestens seit dem Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GeR) (Europarat 2001) durchgesetzt, nach der Fehler nicht mehr klassifi- ziert, gewichtet und (über einen Fehlerquotienten) quantifiziert werden (s. unter 5.) Feh- lerklassifikationen haben also kaum noch einen Stellenwert für die Bewertung; für diag- nostische Zwecke und als Rückmeldungsinstrument für Lernende können sie allerdings ihren Nutzen bewahren, solange sie für Lernende nachvollziehbar sind. Im Rahmen wis- senschaftlicher Untersuchungen zur Lernersprache sind sie bedingt zu verwenden, da es sich bei der Einordnung in Klassifikationssysteme immer auch um Interpretationen von Lernerprodukten handelt. 3. Die Erklärung von Fehlern Fehlererklärungen unterlagen eine Zeit lang theoretischen Konstrukten im Bereich des Fremd- und Zweitspracherwerbs (s. unter 1.). Erst mit der Diskussion der Interlanguage- Hypothese (vgl. zu einer theoretischen Verortung von Fehlerursachen Raabe 1980) wur- den monokausale von multikausalen Erklärungen abgelöst. Eine mögliche Zusammenstellung von Ursachen: ⫺ Einfluss durch die Muttersprache oder durch andere Sprachen: Interferenz Beispiel 3 (eines französischen oder auch spanischen Muttersprachlers): Ich *habe *zwanzig und zwei Jahre. ⫺ Einfluss durch Teile der Fremdsprache selbst: intralingualer Transfer wie Übergenera- lisierung, Regularisierung, Simplifizierung Beispiel 4: Er *möchtet wie ein Erwachsener behandelt werden. Schüler sind *gefühlsam. Frauen machen viele *Problemen. ⫺ Einfluss durch Strategien der Kommunikation Beispiel 5: Der Lerner übernimmt bewusst aus einer anderen Sprache einen Ausdruck, von dem er annimmt, dass sein Kommunikationspartner ihn verstehen kann. Es geht ihm vor allem darum, die Kommunikation aufrechtzuerhalten. ⫺ Einfluss durch Lernstrategien Beispiel 6: Der Lerner versucht, in der Kommunikation eine Lücke in seiner ziel- sprachlichen Kompetenz dadurch zu schließen, dass er ein Wort neu zusammensetzt, wie z. B.*Zusammenraum für Gemeinschaftsraum. Er kann dabei außerdem seinen Kommunikationspartner ⫺ verbal oder nonverbal ⫺ bitten, ihm den korrekten Aus- druck zu nennen. Er möchte also etwas dazulernen. ⫺ Einfluss durch Elemente des Fremdsprachenunterrichts, z. B. Übungstransfer Beispiel 7: Ein gerade häufig geübtes grammatisches Phänomen (z. B. der Konjunktiv) wird auch dort verwendet, wo seine Verwendung falsch ist. 118. Fehleranalyse und Fehlerkorrektur 1065 ⫺ Einfluss durch persönliche Störfaktoren Beispiel 8: Fehler aufgrund von Müdigkeit, Stress, Vergessen ⫺ Einfluss durch sozio-kulturelle Faktoren Beispiel 9: pragmatische Fehler, die dadurch entstehen, dass ein verbales oder nonver- bales Verhalten auf die zielsprachliche Situation übertragen wird, in der dieses Verhal- ten als unhöflich und/oder ⫺ wie im folgenden konkreten Beispiel ⫺ als anmaßend betrachtet wird. *Ich habe in Internet gelesen, dass Sie der Professor des DaF Instituts sind. Ich helfen viele Studenten aus China nach Deutschland zu studieren. Ich habe ein Ideen, dass wir zusammen arbeiten koennten!! 4. Die Fehlerkorrektur 4.1. Die schritliche Fehlerkorrektur In der deutschsprachigen Fachliteratur zur schriftlichen Fehlerkorrektur galt das Inte- resse bis zur Umorientierung der Bewertung, die durch den GeR und durch die Bewer- tungspraxis in standardisierten Tests (vgl. z. B. Grotjahn und Kleppin 2008) angestoßen wurde, meist der Klassifikation und Quantifizierung von Fehlern, die auch in die Leis- tungsbewertung einging (vgl. u. a. Weller 1991). Zwar wird eine Bewertung nicht mehr allein auf der Fehleranzahl basieren können, dennoch werden Fehler auch weiterhin ge- kennzeichnet werden (vgl. zur Bewertung unter 5.); denn Lerner sollten nach einer Kor- rektur erkennen können, wo und welche Fehler in ihrer Produktion auftreten. Folgende schriftliche Korrekturverfahren werden ⫺ kombiniert oder auch unabhän- gig voneinander ⫺ eingesetzt: ⫺ die einfache Fehlermarkierung, d. h. das Anstreichen oder Unterstreichen des Fehlers, ⫺ die Fehlermarkierung mit Korrekturzeichen, d. h. das Anstreichen des Fehlers mit der Angabe, um welchen Fehler es sich handelt, je nach Adressatengruppe z. B. auch unter durchdachter und adaptierter Zuhilfenahme von Klassifikationsversuchen (für den Unterricht Deutsch als Fremdsprache vgl. z. B. die Raster bei Schmidt 1994: 343; Kleppin 1998), ⫺ die Berichtigung durch den Lehrer, d. h. der Versuch des Lehrers, die Äußerungsab- sicht des Lerners sprachlich korrekt zu rekonstruieren. Da (empirische) Befunde darauf hinweisen, dass ein bewusstes Umgehen mit Fehlern das Weiterlernen fördert und außerdem von Lernenden gewünscht wird (vgl. z. B. Gnutz- mann 1992; Kleppin und Königs 1991: 292; Kordes 1993), muss auch der Besprechung der aufgetretenen Fehler erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt werden. Dabei sollten Ler- nende dazu angeregt werden, selbstreflexiv und bewusst mit ihren Fehlern umzugehen, Korrekturen und auf Fehler ausgerichtete Aufgaben als Anlass zum Lernen aufzufassen (s. unter 4.3.). 4.2. Die mündliche Fehlerkorrektur Untersuchungen zur Fehlerkorrektur und Ratschläge für das Lehrverhalten liegen insbe- sondere seit den 1990er Jahren vermehrt für den mündlichen Bereich vor (vgl. u. a. Hen- 1066 X. Sprachen lehren: Zielsetzungen und Methoden rici und Herlemann 1986; Kleppin und Königs 1991; Krumm 1990; Lochtmann 2002; zu einem Überblick s. Tönshoff 2005), was nicht verwundert, da beim mündlichen Fehler die sich anschließenden Lehrer- und Lernerreaktionen den Unterrichtsverlauf entscheidend beeinflussen können und deren Beobachtung somit nicht nur für die Unterrichtsfor- schung von Interesse ist, sondern daraus auch begründet didaktische Hinweise abgeleitet werden können. Zum Teil werden in der Fachliteratur unterschiedliche Begrifflichkeiten verwendet; so wird z. B. Korrektur gegen Reparatur abgegrenzt (vgl. z. B. Rehbein 1984), wobei die Korrektur als eine Handlung gekennzeichnet wird, in deren Verlauf der Lernende seine Äußerungsabsicht aufgrund der Lehrerintervention aufgibt und dadurch in seiner Lern- tätigkeit eher behindert wird. Hingegen passt sich bei der Reparatur der Lehrende dem Handlungsfokus des Lernenden an. Ein Beispiel, in dem dieser Terminologie gemäß zu- nächst eine Korrektur und im Anschluss daran eine Reparatur auftritt, soll den Unter- schied verdeutlichen. Bei der Beobachtung und Analyse von Unterricht ist der Hand- lungsfokus des Lernenden allerdings nur in

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