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Sprachdidaktik_Budde_Riegler_Wiprächtiger-Geppert_Kapitel 7_Schreiben.pdf

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7 Texte schreiben Abbildung 19: Theodor Fontane: Unwiederbringlich (1891). Manuskriptseite, Erstes Kapitel, Abschrift Emilie Fontanes mit Überarbeitungen Fontanes 99 TE XTE SCHR EI BEN Diese Seite entstammt dem ersten Kapitel der Manuskriptfassung von Theodor Fontanes großem Roman „Unwiederbrin...

7 Texte schreiben Abbildung 19: Theodor Fontane: Unwiederbringlich (1891). Manuskriptseite, Erstes Kapitel, Abschrift Emilie Fontanes mit Überarbeitungen Fontanes 99 TE XTE SCHR EI BEN Diese Seite entstammt dem ersten Kapitel der Manuskriptfassung von Theodor Fontanes großem Roman „Unwiederbringlich“ (1891). Es handelt sich um eine Abschrift seiner Frau Emilie, auf der Fontane eigenhändig zahlreiche Streichungen, Neuformulierungen, Ergänzungen und Umstellungen vermerkt hat, die sich offenbar bei der kritischen Durchsicht des Manuskripts für ihn als notwendig erwiesen. Angesichts der Fülle an Überarbeitungen, die Fontane allein auf dieser einen Manuskriptseite vornahm, verwundert es nicht, dass es noch ganze drei Jahre dauern sollte, bis der Roman endgültig zu seiner Zufriedenheit fertiggestellt war und veröffentlicht werden konnte. Als Momentaufnahme aus dem Entstehungsprozess vermittelt die Manuskriptseite einen guten Eindruck davon, dass Schreiben auch für einen so erfahrenen und erfolgreichen Autor wie Fontane kein Kinderspiel war, sondern harte Arbeit bedeutete: Viele große und kleine Überarbeitungsschritte waren erforderlich, bis aus dem ersten Entwurf des Romans das Meisterwerk wurde, als das es in die Literaturgeschichte einging. Das Beispiel zeigt, dass das Texteschreiben selbst bei professionellen Schreibern weniger mit Talent und Begabung als vielmehr mit genauer und differenzierter Textarbeit zu tun hat – gleichwohl ist Schreiben im Alltagsverständnis bis heute stark mit dem Genie-Gedanken verknüpft. Auch vielen Schülern und Lehrpersonen gilt Schreiben immer noch als etwas, das man eigentlich gar nicht lernen könne: „Schreiben kann man, oder eben nicht!“ (Merz-Grötsch 2001, S. 163) In der aktuellen Schreibdidaktik steht demgegenüber der Gedanke der Lehr- und Lernbarkeit des Schreibens im Vordergrund. Es lässt sich zeigen, wie gerade der Prozess der Textproduktion unter Rückgriff auf Ergebnisse der Schreibforschung als Lerngegenstand modelliert werden kann. Daraus wiederum lassen sich – unter Berücksichtigung didaktisch-methodischer Aspekte des Schreibens – bestimmte Zielperspektiven für den Schreibunterricht ableiten. Mit dem Wissen um die Vielfalt möglicher Schreibanlässe und -aufgaben lassen sich spezifische Strukturierungs- und Methodenfragen einer konsequent prozessorientierten Gestaltung von Schreibunterricht fokussieren. 7.1 7.2 7.3 7.4 100 Schreiben als Lerngegenstand Ziele und Kompetenzen Schreibprozesse anstoßen: Schreibaufgaben Schreibprozesse anleiten und unterstützen S CH RE I B E N AL S L E RN G EGE NS TAN D 7.1 Schreiben als Lerngegenstand Bis in die späten 1960er-Jahre war der Schreibunterricht in der Schule als Aufsatzunterricht konzipiert. Schreiben lernen hieß, einige wenige standardisierte Darstellungsformen möglichst normgerecht beherrschen zu lernen: Die spezifischen formalen und stilistischen Merkmale der verschiedenen Aufsatzarten wurden zunächst an Mustertexten erarbeitet und dann in Übungsaufsätzen auf neue Themen angewendet – im Zentrum des traditionellen Aufsatzunterrichts stand das angestrebte Schreibprodukt, der Aufsatz, dessen Gestaltung durch enge normative Vorgaben weitgehend festgelegt war. Die traditionelle Aufsatzlehre unterschied sechs Grundformen des schulischen Schreibens, deren Einteilung auf einer strengen Systematik beruhte. So legte im Jahr 1962 Theodor Marthaler seiner Ordnung der Aufsatzarten (> ABBILDUNG 20) die Annahme zugrunde, dass der Schreiber der Welt, wie sie sich ihm im zeitlichen Nacheinander, im räumlichen Nebeneinander und der gedanklichen Durchdringung darstellt, entweder auf objektiv-sachliche oder auf subjektiv-persönliche Weise gegenübertreten könne. Die so unterschiedenen Schreibformen wurden dann im schulischen Curriculum bestimmten Schulbzw. Altersstufen zugeordnet: Am Beginn der Aufsatzerziehung stand die Erzählung, die curriculare Krönung bildete die argumentative Textform der Abhandlung oder Erörterung. Der ausgeprägten Orientierung auf Schreibprodukte in der tradierten Aufsatzdidaktik setzt die neuere Schreibdidaktik eine grundsätzlich andere, prozessorientierte Perspektive entgegen. Die entscheidenden Impulse für diese Neuorientierung kamen aus der neueren, kognitionswissenschaftlich fundierten Schreibforschung. Hatte sich die schreibdidaktische Grundlagenforschung bis in die Mitte der 1970er-Jahre hinein vor allem mit den Produkten des Schreibens befasst, so rückte nun, maßgeblich angestoßen durch die „kognitive Wende“ (> KAPITEL 1.2), verstärkt die Erkundung des Schreibprozesses Orientierung auf Schreibprodukte Traditionelle Aufsatzlehre Orientierung auf Schreibprozesse Zeitliches Nacheinander Räumliches Nebeneinander Gedankliche Durchdringung Sachliche Aufsätze Bericht wie ein Dokumentarfilm Beschreibung wie eine Fotografie Abhandlung wie eine Röntgenaufnahme Persönliche Aufsätze Erzählung wie ein Spielfilm Schilderung wie ein Gemälde Betrachtung wie eine Mikro- oder Teleskopaufnahme Abbildung 20: Aufsatzarten (Systematisierung nach Marthaler 1962) 101 TE XTE SCHR EI BEN Modellierungen des Schreibprozesses Konzeptionelle Prozesse in den Mittelpunkt: Mithilfe von sogenannten Thinking-aloud-Protokollen versuchten die Forscher, Einblick in die Köpfe von Schreibenden zu gewinnen und herauszufinden, welche kognitiven Aktivitäten während der Textproduktion auftreten. Auf der empirischen Grundlage dieser Denkprotokolle entstanden verschiedene Modellierungen des Schreibprozesses, von denen besonders das Modell der amerikanischen Schreibforscher John Hayes und Linda Flower aus dem Jahr 1980 breit rezipiert und diskutiert wurde. Ein früher Versuch aus dem deutschsprachigen Raum, dieses Urmodell zu ergänzen und weiter zu differenzieren, wurde 1983 von dem Schreibdidaktiker Otto Ludwig vorgelegt (> ABBILDUNG 21). Das Modell weist vier Teilprozesse aus, die im Prozess der Textproduktion ineinandergreifen: konzeptionelle, innersprachliche, motorische und redigierende Aktivitäten. Unter konzeptionellen Prozessen sind all diejenigen Tätigkeiten eines Schreibers zu verstehen, die der Planung und Vorstrukturierung der Schreibhandlung dienen. Der Schreiber entwickelt eine erste Vorstellung davon, wie der spätere Text inhaltlich und strukturell beschaffen sein soll, und setzt sich, je nach der Intention, die er mit Abbildung 21: Otto Ludwig: Ein Modell des Schreibprozesses (1983, Darstellung: Baurmann 1990) 102 S CH RE I B E N AL S L E RN G EGE NS TAN D seinem Text verbindet, ein vorläufiges (nicht unbedingt explizit formuliertes) Schreibziel, das ihm im weiteren Schreibprozess als Leitlinie dient. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Frage, für wen geschrieben wird: Je nachdem, wen der Schreiber als Adressaten bzw. möglichen Leser seines Textes im Auge hat, muss er bei der Bildung seines Schreibplans – in einem weiten Sinn verstanden als „die Idee von einem Text“ (Ludwig 1983, S. 58) – sehr unterschiedliche Lesererwartungen und -voraussetzungen antizipieren. Bei den innersprachlichen Prozessen handelt es sich um die sprachliche Umsetzung dieses gedanklichen Entwurfs, also um Formulierungshandlungen im engeren Sinn: Die Idee, die der Schreiber von seinem zu schreibenden Text entwickelt hat, wird in eine sprachliche Form gebracht, d. h. letztlich in die Form eines Textes überführt. Um deutlich zu machen, dass diese Versprachlichung noch keine Texte im strengen Wortsinn hervorbringt (die Texte also noch nicht in geschriebener Form, sondern vorerst nur im Kopf des Schreibers vorhanden sind), werden solch gedanklich repräsentierte Texte und Formulierungen in der Schreibforschung als Prätexte bezeichnet. Motorische Prozesse sind notwendig, um das Gedachte und sprachlich Geformte festzuhalten und mithilfe eines Schreibgeräts aufzuschreiben. Je weniger das dafür erforderliche Bewegungsprogramm automatisiert ist, umso mehr Aufmerksamkeit fordert die motorische Schreibhandlung vom Schreiber – dies gilt für das Handschreiben wie für das Schreiben mit dem Computer gleichermaßen. Eine Schlüsselrolle im gesamten Schreibprozess kommt den vielfältigen Formen des Überarbeitens zu, die im Modell als redigierende Tätigkeiten bezeichnet werden (vgl. französisch rédiger: einen Text druckfertig machen, in Ordnung bringen). Überarbeitungshandlungen verlangen zuallererst einen Wechsel von der Schreiber- zur Leserperspektive: Der Schreiber muss lesend den entstehenden Text immer wieder kritisch darauf überprüfen, ob er seiner eingangs entwickelten Vorstellung gerecht wird; hält das bislang Realisierte diesem Vergleich nicht stand, so wird er versuchen, die Diskrepanzen durch gezielte Eingriffe in den Text zu beseitigen. Die Revisionen reichen dabei von einfachen Korrekturen, die in aller Regel lokal begrenzt auf der Textoberfläche vorgenommen werden können (vor allem Beseitigung orthographischer oder grammatikalischer Normverstöße), bis hin zu stilistischen und textstrukturellen Überarbeitungen, die zunehmend tiefer in die Textsubstanz eingreifen (z. B. Wahl eines anderen Wortes oder einer anderen syntaktischen Konstruktion, Streichungen 103 Innersprachliche Prozesse Motorische Prozesse Redigierende Tätigkeiten TE XTE SCHR EI BEN Prätext- und Textüberarbeitungen Schreibmotivation Schreibsituation Schreiber und Ergänzungen von Textteilen, Veränderung der Gedankenführung / des Textaufbaus usw.) (vgl. Baurmann / Ludwig 1984, S. 259). Überarbeitungsprozesse setzen jedoch nicht erst dann ein, wenn ein ausgearbeiteter Text vorliegt, sondern begleiten den Schreibprozess als Ganzen. Vor allem sind Überarbeitungen nicht auf bereits aufgeschriebene Texte oder Textteile beschränkt, sondern finden zu einem wesentlichen Teil schon im Kopf des Schreibers statt. So werden zum Beispiel bei der Suche nach einer passenden Formulierung beständig Prätexte im Kopf überarbeitet – die Tätigkeiten des Formulierens und Redigierens sind eng miteinander verbunden. Beide Arten der Überarbeitung, Prätext- und Textrevisionen, unterscheiden sich erheblich in ihren Ausgangsbedingungen: An den nur mental gespeicherten Prätexten lassen sich weitaus leichter Veränderungen vornehmen als an schriftlich vorliegenden Texten; dies gilt selbst dann, wenn man Texte nicht auf dem Papier, sondern auf dem Bildschirm überarbeitet. Aufgeschriebene Texte haben hingegen den Vorzug der größeren Gegenständlichkeit; sie stehen dem Schreiber schwarz auf weiß vor Augen und können immer wieder aufs Neue gelesen und überprüft werden (vgl. Baurmann / Ludwig 1996, S. 15f.). Die beschriebenen Teilhandlungen sind in dem Modell von Ludwig (> ABBILDUNG 21) in einen komplexen Handlungsrahmen gesetzt. Darin sind die wesentlichen Rahmenbedingungen bzw. Einflussfaktoren aufgeführt, die auf die Prozesse der Textproduktion einwirken: · Motivationale Prozesse spielen nicht nur zu Beginn des Schreibens, sondern während des gesamten Schreibvorgangs eine wichtige Rolle. Das Verfassen eines Textes ist ein komplexer und schwieriger Prozess, der vom Schreiber einen langen Atem verlangt – besonders dann, wenn sich beim Schreiben Schwierigkeiten und Widerstände auftun (vgl. Baurmann / Müller 1998). · Zu den situativen Bedingungen zählen alle Aspekte der unmittelbaren Schreibsituation: Worin besteht der Schreibanlass bzw. die konkrete Schreibaufgabe? An wen richtet sich der Text, wer ist der (reale oder gedachte) Leser? Wo wird geschrieben und welcher zeitliche Rahmen steht zur Verfügung? Welches Schreibgerät wird genutzt? · Nicht zuletzt ist zu berücksichtigen, welches Wissen und Können der Schreiber selbst in den Schreibprozess einbringt. Zur Bewältigung einer konkreten Schreibaufgabe greifen Schreiber nicht nur auf vorhandenes Sprach- und Weltwissen zurück, sondern auch auf ein im praktischen Umgang mit Texten erworbenes Textmusterwissen. Gemeint ist damit ein Wissen über grundlegende schrift- 104 ZI EL E UND KO MPETENZEN sprachliche Handlungsmuster (z. B. das Erzählen, Berichten, Beschreiben, Argumentieren u. a. m.), die vom Schreiber als „Baupläne für das Schreiben“ (Fix 2006, S. 30) genutzt werden. Wie die grafische Darstellung gut sichtbar macht, folgen die Teilprozesse des Schreibens nicht linear aufeinander, sondern spielen im Prozess der Textproduktion vielfältig zusammen. Als zentrales Bindeglied fungiert der entstehende Text; er bildet den gemeinsamen Bezugspunkt der verschiedenen Aktivitäten, die im Schreibprozess teils sukzessiv, teils parallel verlaufen, vor allem aber beliebig wiederholt und auf je eigene Weise miteinander verknüpft werden können. Dieser letztgenannte Aspekt wird in der Schreibforschung auch als „Rekursivität“ der Teilprozesse bezeichnet (Hayes / Flower 1980, S. 29). Das hier vorgestellte Schreibprozessmodell versucht, den komplexen Vorgang der Textproduktion aufzuschlüsseln und schematisch abzubilden, was sich als „gemeinsamer Kern des Schreibens“ (Baurmann / Weingarten 1995, S. 21) aus der Vielzahl beobachtbarer Schreibprozesse herauslösen lässt. Im Ergebnis zeigt sich sehr deutlich, wie komplex die Anforderungen sind, die der Schreiber bei der Textproduktion zu bewältigen hat. In didaktischer Perspektive muss es folglich darum gehen, diese Komplexität für die Lernenden zu reduzieren und „die Anforderungen beim Schreiben in überschaubare Phasen zu zerlegen“ (Fix 2006, S. 120). Auf diese Weise können Teilaspekte des komplexen Prozesses isoliert und durch geeignete methodische Maßnahmen gezielt unterstützt und gefördert werden (> KAPITEL 7.4). Interaktion der Teilprozesse Schreibforschung und Schreibdidaktik 7.2 Ziele und Kompetenzen Das grundlegende Ziel des Schreibunterrichts besteht darin, Kinder und Jugendliche möglichst dauerhaft zum Schreiben zu motivieren, ihre Schreibfreude und Schreiblust zu wecken bzw. zu erhalten und die Entwicklung von Schreibgewohnheiten zu unterstützen. Dies allerdings setzt voraus, dass die Schüler das Schreiben in der Schule als für sie bedeutsame Tätigkeit erfahren können, mit der sich vielfältige Funktionen verfolgen lassen (vgl. Merz-Grötsch 2010, S. 12–17): · eine kommunikative Funktion: Schreiben als Möglichkeit für Austausch, Verständigung und Unterhaltung; · eine memorativ-konservierende Funktion: Schreiben als Möglichkeit, Dinge festzuhalten und zu speichern; 105 Schreibmotivation Funktionen des Schreibens in ihrer Vielfalt erfahren TE XTE SCHR EI BEN Das eigene Schreiben kritisch reflektieren Modellierung von Schreibkompetenz · eine erkenntnisfördernde, epistemische Funktion: Schreiben als kognitives Werkzeug des Denkens und Lernens; · eine (selbst-)reflexive Funktion: Schreiben als Unterstützung für Reflexion, Selbstausdruck und Identitätsentwicklung. Zugleich muss es im Schreibunterricht darum gehen, die Schüler mit der methodisch-handwerklichen Seite des Schreibens vertraut zu machen und ihnen ‚Werkzeuge‘ an die Hand zu geben, mit deren Hilfe sie den komplexen Prozess der Textproduktion zunehmend eigenverantwortlich gestalten und bewältigen können. Die Schüler sollen lernen, ihr schriftsprachliches Handeln in allen Phasen des Schreibprozesses mit Blick auf Schreibaufgabe, Adressaten usw. kritisch zu reflektieren und die Arbeit am Text bzw. Textentwurf nach und nach als selbstverständlichen Bestandteil in ihren Schreibprozess zu integrieren. Auch für das Schreiben wurden in den letzten Jahren verschiedene Kompetenzmodelle vorgelegt, die jeweils möglichst genau zu erfassen versuchen, welches Wissen und Können einen in der beschriebenen Weise kompetenten Schreiber im Einzelnen auszeichnet. Die von Martin Fix vorgeschlagene Modellierung (vgl. Fix 2006, S. 24–33) geht von einer Integration von vier Teilkompetenzen aus (> ABBILDUNG 22). Die von Fix unterschiedenen Teilkompetenzen lassen sich ohne Weiteres auf die oben ausgeführten Teilprozesse des Schreibens beziehen. Auch das bei Ludwig im Hintergrund verortete Wissen, das pragmatisches Wissen Inhaltliche Kompetenz Vorwissen aktivieren, neues Wissen bereitstellen, Ideen generieren Zielsetzungskompetenz Schreibfunktion analysieren, den Leser antizipieren, sich ein Schreibziel setzen Schreibkompetenz Textmusterwissen Strukturierungskompetenz einen Schreibplan entwickeln, ein Textmuster realisieren, ggf. Textsortennormen beachten inhaltliches Wissen Formulierungs- und Revisionskompetenz die „Idee vom Text“ versprachlichen und aufschreiben, Dissonanzen entdecken und beseitigen Sprachwissen Abbildung 22: Schreibkompetenz als „Wissen-Fähigkeiten-Kombination“ (nach Fix 2006) 106 SC HREIBPRO ZESSE ANSTOSSEN: SCHR EIBAUFGABEN der Schreiber für einen gelingenden Schreibprozess benötigt (> ABBILDUNG 21), taucht in dem Modell erneut auf. Schreibkompetenz erscheint hier als eine spezifische „Wissen-Fähigkeiten-Kombination“ (Fix 2006, S. 24), die zum Verfassen eines Textes erforderlich ist. Für die Vermittlung von Schreibkompetenz ergibt sich daraus zweierlei: Zum einen ist das schulische Schreiben konsequent prozessorientiert anzulegen, sodass die Ausführung einzelner Teilprozesse gezielt unterstützt und zugleich die Aneignung der entsprechenden Teilkompetenzen befördert werden kann. Zum anderen muss der Unterricht aber auch den Erwerb von inhaltlichem und vor allem von fachlichem Wissen unterstützen, das im Schreibprozess zur Anwendung kommt: Dazu gehören ganz zentral das Wissen über Textmuster (d. h. auch: über Textstruktur und sprachlich-stilistische Mittel, die ein bestimmtes Textmuster auszeichnen) sowie das im engeren Sinne sprachliche Wissen (z. B. über Wortbedeutungen, Satzstrukturen, Möglichkeiten der Textverknüpfung u. a. m.), das ein Schreiber für das Formulieren und Überarbeiten benötigt. In diesem Punkt ergeben sich zahlreiche Verknüpfungen zu den Gegenstandsfeldern „Richtig schreiben“ und „Sprache und Sprachgebrauch reflektieren“ (> KAPITEL 8, 9). Aneignung von Teilkompetenzen Inhaltliches und fachliches Wissen 7.3 Schreibprozesse anstoßen: Schreibaufgaben Schreibprozesse können grundsätzlich von sehr unterschiedlichen Schreibaufgaben aus ihren Anfang nehmen. Je nach schreibdidaktischer Konzeption, die in einer konkreten Schreibaufgabe ‚zu Wort kommt‘ (vgl. Baurmann / Ludwig 2001), lassen sich verschiedene Ausgangspunkte des schulischen Schreibens unterscheiden: Kommunikative Schreibaufgaben stellen die soziale Funktion des Schreibens in den Vordergrund. Schreiben wird hier in erster Linie als ein Schreiben für bzw. an andere begriffen, dem bestimmte Intentionen zugrunde liegen: Geschrieben wird, um anderen etwas zu erzählen, zu erklären oder zu beschreiben, um an andere zu appellieren u. v. m. Wesentliche Impulse erhielt das kommunikative Schreiben aus dem sogenannten „kommunikativen Aufsatz“ der frühen 1970er-Jahre, dessen Vertreter entschieden für die Ablösung der bisherigen Schulaufsätze durch „Texte für Leser“ (Boettcher u. a. 1973) eintraten. Die damals revolutionäre Forderung einer konsequenten Ausrichtung des Schreibens auf mögliche Zuhörer bzw. Leser ist für kommunikative Schreibaufgaben grundsätzlich von größter Bedeutung: Das Verfassen einer Spielanleitung etwa bleibt ohne Adressaten 107 Kommunikative Schreibaufgaben TE XTE SCHR EI BEN Kreative Schreibaufgaben Produktive Schreibaufgaben Funktionale Schreibaufgaben eine rein schulische Übung; hier bedarf es zwingend eines methodischen Arrangements, das den notwendigen Sinnzusammenhang herstellt (z. B. dadurch, dass die Schüler einer Partnerklasse als konkrete Adressaten – und als nachvollziehende Spieler! – fungieren). Bei sogenannten kreativen Schreibaufgaben geht es vorrangig darum, die Entfaltung von Fantasie und Imagination anzuregen und auch den Ausdruck persönlicher Gefühle und Gedanken zu ermöglichen. Die meisten Aufgaben, die sich dieser Richtung zuordnen lassen, entstammen ursprünglich der Arbeit in außerschulischen Schreibwerkstätten und Schreibkursen; erst seit den 1990er-Jahren hat – nicht zuletzt angestoßen durch die „kognitive Wende“ – das kreative Schreiben zunehmend Eingang in den Deutschunterricht gefunden. Kreative Aufgabenstellungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie von gezielt gesetzten Impulsen ausgehen: Typische Schreibanregungen sind Bilder, Gerüche, Musik oder auch Reizwörter, die dazu dienen, beim Schreiber Assoziationen und Einfälle zu evozieren und ihn (in der Regel ohne weitere Vorgaben) zum Verfassen eines Textes zu motivieren. Der Impuls kann jedoch ebenso in der Vorgabe einer bestimmten Schreibregel oder Textform bestehen (z. B. bei der Aufgabe, ein Elfchen, Haiku oder Rondell zu verfassen). Bildet eine literarische Textvorlage den Schreibimpuls, so spricht man von produktiven Schreibaufgaben. Das Schreiben zu literarischen Texten zielt darauf, die Lektüre literarischer Texte durch die eigene Produktion zu intensivieren, sei es durch Aufgaben, die zur Antizipation eines Textes oder einzelner Textteile auffordern (z. B. wenn es darum geht, den Fortgang einer Erzählung zunächst schreibend vorauszudenken), sei es durch Aufgaben, die ein Erweitern oder Umarbeiten des literarischen Textes vorsehen. Produktive Schreibaufgaben bilden somit eine Art Bindeglied zwischen Schreib- und Literaturunterricht. In vielen Fällen ergeben sich Schreibaufgaben aus dem Unterrichtskontext – und zwar keineswegs nur im Deutschunterricht, sondern auch in anderen Fächern, sodass sich hier zahlreiche Möglichkeiten für lernbereichs- und fächerübergreifendes Arbeiten ergeben. Funktionale Schreibaufgaben betonen zum einen die memorativ-konservierende Funktion des Schreibens: Geschrieben wird, um Wissen dauerhaft festzuhalten (z. B. in Form eines Mitschriebs, Hefteintrags oder Lernplakats), um es für sich oder andere aufzubereiten und darzustellen (z. B. in Form einer Zusammenfassung oder Inhaltsangabe) und auch um Beobachtetes festzuhalten (z. B. in Form einer Versuchsbeschreibung im naturwissenschaftlichen Unterricht). Zum an- 108 SCHR EI BPROZESSE A NLEI TEN UND UNTERST ÜTZEN deren fordern funktionale Schreibaufgaben dazu auf, „Schreiben als Mittel des Denkens einzusetzen“ (Fix 2008, S. 10) und somit durch das Schreiben Probleme zu lösen und neue Erkenntnisse zu gewinnen (z. B. wenn kontroverse Sichtweisen zu einem Sachproblem erörtert oder literarische Texte schriftlich interpretiert werden). Diese erkenntnisfördernde, epistemische Funktion des Schreibens spielte lange Zeit nur im Schreibunterricht der Sekundarstufe eine Rolle. Selbstverständlich aber sollten auch jüngere Kinder bereits an einfache Formen des „Schreibdenkens“ (Fix 2008, S. 7) herangeführt werden. Nicht unerwähnt bleiben darf schließlich ein schreibdidaktischer Ansatz, der sich von den bisher aufgeführten gerade dadurch unterscheidet, dass keine Schreibaufgaben gestellt werden: das freie Schreiben. Es wird zumeist in Form regelmäßiger freier Schreibzeiten, vor allem im Primarbereich praktiziert. Eine wichtige Rolle spielt dabei eine anregende, zum Schreiben verlockende Schreibumgebung, die die Schüler bei der nicht zu unterschätzenden Anforderung, sich selbst ein Schreibziel zu setzen, unterstützt (vgl. Fix 2006, S. 150). Freies Schreiben 7.4 Schreibprozesse anleiten und unterstützen Unabhängig davon, welche Schreibaufgabe im konkreten Fall den Schreibprozess initiiert, besteht die zentrale Herausforderung eines prozessorientiert konzipierten Schreibunterrichts darin, die durch Interaktion und Rekursivität der Teilprozesse bedingte Komplexität des Schreibprozesses (> KAPITEL 7.1) für die Lernenden zu entzerren und die Schreibsituation in bearbeitbare Teilaufgaben zu gliedern. Dies kann auf zweierlei Weise realisiert werden: „Einerseits geht es um die Entlastung des rekursiven Schreibprozesses durch Schwerpunktsetzung, Ausgliederung oder Herauslösen einzelner Teilaufgaben, andererseits um die Vereinfachung des zeitlichen Ablaufs durch Bearbeitung von überschaubaren, aber nacheinander zu leistenden Schritten.“ (Abraham / Kupfer-Schreiner 2007, S. 30) Zum einen also sollten regelmäßig einzelne Komponenten des Schreibprozesses (z. B. das Generieren von Ideen, das Planen und Strukturieren oder das Überarbeiten) als Übungsschwerpunkte isoliert und gezielt bearbeitet werden. In diesen Phasen geht es vorrangig darum, die Schüler systematisch mit dem ‚Handwerkszeug‘ vertraut zu machen, das sie für die zunehmend kompetente Bewältigung der verschiedenen Teilaufgaben benötigen. Wichtig ist allerdings, dass diese Übungspha- 109 Komplexität reduzieren Schwerpunkte setzen TE XTE SCHR EI BEN Schreibprozesse mehrphasig anlegen Vorbereitungsphase Entwurfsphase Überarbeitungsphase sen stets mit einer Reflexion des Schreibens verbunden werden, die den Stellenwert der jeweiligen Teilhandlung für den Gesamtprozess bewusst macht (vgl. Abraham / Kupfer-Schreiner 2007, S. 30 f.). Zum anderen muss der Unterricht versuchen, den komplexen Prozess der Bewältigung konkreter, auf den Gesamtvorgang gerichteter Schreibaufgaben durch ein methodisches Arrangement zu vereinfachen, das das Ineinander der Teilprozesse in ein schrittweise bearbeitbares Nacheinander überführt. Bei der Planung eines prozessorientierten Schreibunterrichts wird daher meist von einem Grundmuster ausgegangen, das den Unterrichtsablauf in drei aufeinanderfolgende Schreibphasen unterteilt: 1. Vorbereitung des Schreibens 2. erster Textentwurf 3. Überarbeitung und Endkorrektur Zur Vorbereitungsphase gehört es, die Schreibaufgabe zu erfassen, sich für die Beschäftigung mit dem Schreibvorhaben zu motivieren, mögliche Adressaten zu bedenken und sich ein Schreibziel zu setzen. Vor allem aber geht es in dieser Phase darum, Ideen zu generieren, das eigene Vorwissen zu aktivieren und ggf. durch gezielte Recherche zu erweitern. Je nach Schreibaufgabe kann es zudem sinnvoll sein, den zusammengetragenen Stoff bereits mit Blick auf ein bestimmtes Textmuster zu ordnen und zu strukturieren. In der Entwurfsphase wird ein erster Textentwurf realisiert. Dabei lassen sich durchgängig zwei unterschiedliche Vorgehensweisen beobachten: Manche Schreiber bringen schnell und ohne zu stocken eine vorläufige Textfassung aufs Papier, andere erwägen sorgfältig jede einzelne Formulierung und brauchen viel Zeit, bis ein Erstentwurf vorliegt. Wichtig ist daher, dass der Unterricht einen flexiblen Zeitrahmen für die Anfertigung des Textes vorsieht, der beiden Schreibertypen gleichermaßen die Realisierung ihrer Schreibstrategie ermöglicht. In der Überarbeitungsphase, die unbedingt eine deutliche zeitliche Distanz zur Entwurfsphase wahren sollte, wird der bisherige Text einer kritischen Überprüfung unterzogen. Es kommt darauf an, den eigenen Text mit den Augen des Lesers wahrzunehmen, Unstimmigkeiten zu entdecken und diese möglichst so zu bearbeiten, dass der Text optimiert wird. An letzter Stelle steht die Endkorrektur des Textes, die allein auf die Beseitigung formaler Fehler abhebt. Da sich die Endkorrektur durch diese Normorientierung grundsätzlich von den anderen Überarbeitungsaktivitäten unterscheidet, wird sie gelegentlich als eigene Phase aus der sonstigen Arbeit am Text herausgelöst (> KAPITEL 8.3). 110 SCHR EI BPROZESSE A NLEI TEN UND UNTERST ÜTZEN Selbstverständlich muss dieses Drei-Phasen-Modell für die konkrete Unterrichtsplanung methodisch noch weiter entfaltet werden. Im Folgenden werden daher einige ausgewählte Verfahren vorgestellt, die sich für die methodische Gestaltung der Vorbereitungs- und Überarbeitungsphase bewährt haben. Zur Unterstützung der Ideenfindung in der Vorbereitungsphase werden häufig assoziative Verfahren herangezogen. Vor allem das sogenannte Clustering, „ein nichtlineares Brainstorming-Verfahren“ (Rico 1984, S. 27), hat sich einen festen Platz im Schreibunterricht erobert: Das Stichwort, zu dem man Einfälle sucht, wird in die Mitte eines Blattes geschrieben und eingekreist. Um dieses Kernwort herum werden dann die Assoziationsketten notiert, die sich spontan im Kopf des Schreibers einstellen, sodass nach und nach auf dem Papier ein nur durch Umkreisungen, Linien und Pfeile geordnetes ‚Ideennetz‘ (englisch cluster: Büschel, Anhäufung) entsteht. Das Verfahren verlangt in einem zweiten Schritt eine Ordnung und Bewertung der gesammelten Einfälle: Nicht alles, was einem nach der ersten Phase des unzensierten, freien Assoziierens an Schreibideen vor Augen steht, kann und muss in einem Text verarbeitet werden. Ebenso wie das Clustering ist auch das sogenannte Mindmapping ein grafisches Verfahren, das von einem zentralen Begriff in der Mitte des Blattes ausgeht. Im Unterschied zum Cluster ist die Mindmap jedoch nicht assoziativ, sondern systematisch ordnend angelegt und daher besonders für die Strukturierung von Ideen geeignet. Die ‚Äste‘ und ‚Zweige‘, die sich in einer Mindmap von der Mitte aus strahlenförmig in alle Richtungen entfalten, repräsentieren auf verschiedenen Hierarchieebenen die für das zentrale Thema relevanten (Unter-)Begriffe. Im Idealfall lässt sich somit aus der Mindmap bereits die inhaltliche Gliederung für den zu schreibenden Text ableiten. Für die Gestaltung der Überarbeitungsphase wird häufig auf Verfahren zurückgegriffen, bei denen gezielt erste Leserrückmeldungen zum Textentwurf eingeholt werden. Das Feedback kann dabei entweder durch die Lehrperson erfolgen oder von den Mitschülern eingebracht werden (sogenanntes Peer-Feedback, von englisch peer: Gleichrangiger). In beiden Fällen sollte die Rückmeldung ausdrücklich auch Gelungenes würdigen und kritische Anmerkungen möglichst mit konkreten Vorschlägen zur Weiterarbeit verbinden. Vor allem beim Lehrer-Feedback ist entscheidend, dass die Nachfragen und Hinweise zum Text von der Lehrperson so formuliert und im Entwurf notiert werden, dass sich vom Schreiber daraus konkrete Überarbeitungsschritte ableiten lassen. In höheren Klassen bietet es sich 111 Verfahren zur Ideenfindung Clustering Mindmapping Verfahren zur Strukturierung Verfahren zur Textüberarbeitung Lehrer-Feedback TE XTE SCHR EI BEN Peer-Feedback Textlupe Aufbau von Handlungswissen Schreibkonferenz an, die Rückmeldungen zum Text ergänzend auf ein Kriterienraster zu beziehen, das gemeinsam mit den Schülern für die fragliche Schreibaufgabe entwickelt wurde (> KAPITEL 11.4). Formen des Peer-Feedbacks setzen darauf, dass nicht nur der Autor des Textes, sondern auch die beteiligten Schreibberater vom Sprechen und Nachdenken über Textentwürfe profitieren. Da der distanzierte Blick auf fremde Texte weitaus besser gelingt als die Distanzierung zum eigenen Text, bieten Peer-Verfahren gerade für die rückmeldenden Schüler die Chance, ihren Blick für Qualitäten und Mängel eines Textes zu schärfen und entsprechende Überarbeitungsvorschläge zu entwickeln. Bei der Textlupe handelt es sich um eine schriftliche Form des Peer-Feedbacks (> ABBILDUNG 23), bei der die Textentwürfe zusammen mit einem vorstrukturierten Kommentarbogen in der Kleingruppe reihum gereicht werden (vgl. Reuschling 2000, S. 11): Jeder Schüler ist aufgefordert, die Texte seiner Mitschüler genau ‚unter die Lupe zu nehmen‘ und in die Spalten seine Leseeindrücke, Anmerkungen und Fragen, aber auch konkrete Überarbeitungsvorschläge einzutragen. Der von den Gruppenmitgliedern ausgefüllte Kommentarzettel, mit dem der Schreiber schließlich seinen Textentwurf zurückerhält, bietet in der Regel wertvolle Ansatzpunkte für eine Optimierung des Textes – allerdings muss der Schreiber auch in der Lage sein, die Brauchbarkeit der gegebenen Hinweise zu bewerten und sinnvolle Vorschläge adäquat umzusetzen. Hierzu bedarf es eines Handlungswissens, das in eigens dafür vorgesehenen Unterrichtsphasen an fremden, ggf. auch in spezifischer Weise modellierten Texten sukzessive aufgebaut werden muss: Wie Texte und Formulierungen durch die grundlegenden Operationen des Umstellens, Ersetzens, Weglassens und Erweiterns (zu den sogenannten „Glinz’schen Proben“ > KAPITEL 9) überarbeitet werden können, sollte in der Klasse modellhaft an Beispieltexten entwickelt und immer wieder geübt werden. Dies gilt gleichermaßen für das Verfahren der Schreibkonferenz, das ebenfalls auf die Rückmeldung durch gleichaltrige Leser bzw. Das hat mir besonders gut gefallen! Hier habe ich noch Fragen! Hier fällt mir etwas auf! Meine Tipps, meine Vorschläge! … … … … Abbildung 23: Musterbogen für Textlupe 112 FRAGEN UND LEKTÜREEMPFEHLU NGEN Hörer baut. Anders als bei der Textlupe handelt es sich bei Schreibkonferenzen jedoch um eine mündliche, diskursive Form der Textbearbeitung: Der Schreiber liest zwei oder drei selbst ausgewählten Beratern seinen Textentwurf vor; im Anschluss wird der Text gemeinsam unter inhaltlichen, sprachlichen und rechtschreiblichen Aspekten besprochen und sodann vom Schreiber überarbeitet (vgl. Spitta 1992). Die Anforderungen, die Schreibkonferenzen an die beteiligten Schüler stellen, werden vielfach unterschätzt: Das gemeinsame Gespräch über Qualitäten und Mängel des eingebrachten Textentwurfs ist in der Schreibkonferenz maßgeblich dadurch erschwert, dass der Text den Beratern nicht schriftlich vorliegt; häufig bleibt die Diskussion daher stark auf die Inhaltsseite des Textes beschränkt. Auch erfordert die Gesprächssituation in der Kleingruppe gut ausgebildete sozial-kommunikative Kompetenzen (allen voran die Fähigkeit, Kritik anzunehmen bzw. konstruktiv zu formulieren und dabei Sach- und Beziehungsebene zu trennen). Keinesfalls allerdings darf erwartet werden, dass die von der Lehrperson oder von den Mitschülern angeregten Überarbeitungen stets zu einer spürbaren Verbesserung des vorgelegten Textentwurfs führen. Dennoch ist davon auszugehen, dass sich auch erfolglose Überarbeitungsversuche grundsätzlich positiv auf künftige Schreib- und Überarbeitungsprozesse auswirken (vgl. Baurmann / Ludwig 1996, S. 18). Umso wichtiger ist es, dem Überarbeiten im Unterricht konsequent den ihm gebührenden Raum zu verschaffen und die hier vorgestellten Methoden langfristig als selbstverständliche Elemente in der schulischen Schreibpraxis zu verankern. Fragen und Anregungen · Stellen Sie dar, welche Einflussfaktoren und Teilprozesse des Schreibens das Schreibprozessmodell von Ludwig ausweist und wie diese im Prozess der Textproduktion zusammenwirken. · Benennen und erläutern Sie die zentralen Ziele des Gegenstandsfeldes „Texte schreiben“. · Geben Sie je zwei konkrete Beispiele für eine kommunikative, kreative, produktive und funktionale Schreibaufgabe. Welche Schreibfunktion steht jeweils im Vordergrund? · Entwerfen Sie zu einer dieser Schreibaufgaben eine prozessorientierte Unterrichtsplanung: Auf welche Methoden würden Sie zur 113 Hohes Anforderungsprofil TE XTE SCHR EI BEN Unterstützung des Schreibprozesses in der Vorbereitungs- und Überarbeitungsphase zurückgreifen? Lektüreempfehlungen · Jürgen Baurmann / Otto Ludwig (Hg.): Schreiben: Konzepte und schulische Praxis, Praxis Deutsch Sonderheft, Seelze 1996. Dieses Sonderheft versammelt einschlägige Beiträge und Unterrichtsmodelle aus früheren Jahrgängen und gewährt interessante Einblicke in die Entwicklung der Schreibdidaktik seit den 1970erJahren. · Martin Fix: Texte schreiben. Schreibprozesse im Deutschunterricht, Paderborn 2006. Gut lesbare, von zahlreichen Arbeitsaufgaben begleitete Einführung in die Didaktik des Texteschreibens, die den schulischen Schreibprozess aus Subjekt-, Sachund institutioneller Perspektive beleuchtet. · Martin Fix: Lernen durch Schreiben, in: Praxis Deutsch 35, 2008, Heft 210, S. 6–15. Basisartikel des gleichnamigen Themenhefts, das vielfältige Möglichkeiten aufzeigt, wie Schreiben lernbereichsund fächerübergreifend als Medium des Lernens genutzt werden kann. · Jasmin Merz-Grötsch: Texte schreiben lernen. Grundlagen, Methoden, Unterrichtsvorschläge, Seelze 2010. Der Band entwickelt überzeugend die Konzeption eines schüler- und prozessorientierten, integrativen Schreibunterrichts und bietet eine Fülle von Anregungen und konkreten Vorschlägen für alle Schulstufen. 114

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