Juristisches Repetitorium Klausur 2069 PDF

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Humboldt-Universität zu Berlin

2069

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german legal studies law exam criminal law legal studies

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This document is a past exam paper for legal studies, specifically covering criminal law. The document contains a detailed review of a legal case and discussion of the points of law related to the case. The summary includes keywords: Keywords: german legal studies, law exam, criminal law, legal studies.

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Juristisches Repetitorium Augsburg - Bayreuth - Berlin/Potsdam - Bielefeld - Bochum - Bonn - Bremen Düsseldorf - Erlangen - Frankfurt/M. - Frankfurt/O. - Freiburg - Göttingen - Greifswald/ emmer Rostock - Halle - Hamburg - Hannover - Heidelberg/Mannheim - Jena - Kiel Köln - Konstanz - Leipzig - Mainz - Marburg/Gießen - München - Münster - Nürnberg Osnabrück - Passau - Regensburg - Saarbrücken - Trier - Tübingen/Stuttgart - Würzburg Klausurenkurs Klausur 2069, Lösung Seite 1 B. Strafbarkeit des H Übersicht Klausur 2069 Teil I: I. § 30 I S. 1 Alt. 1 i.V.m. § 154 I StGB (+) 1. Tatkomplex: Die Ergänzung und Verwendung Versuchte Anstiftung und nicht Anstiftung zum des Schuldscheins Versuch Strafbarkeit des H II. §§ 153, 26 StGB (+) I. § 267 I Var. 1 StGB (+) 3. Tatkomplex: Britta im Pech Durch die Vervollständigung des Schuld- A. Strafbarkeit des H scheins hat H eine unechte Urkunde hergestellt II. § 267 I Var. 3 StGB (+) I. §§ 223 I, 224 I StGB (+) Das Einreichen stellt ein Gebrauchen i.S.d. § 224 I Nr. 2 und 5 StGB (+), hingegen § 224 I Norm dar Nr. 3 StGB (-) III. § 263 I StGB (+) II. §§ 223 I, 226 I, II, 22, 23 I StGB (+) (P) des Dreiecksbetruges in Form des Prozess- Keine Vollendung, Versuch strafbar betruges §§ 226 I Nr. 1 und 2, II, 22, 23 I StGB (-) Schaden auch bei nur für vorläufig vollstreck- §§ 226 I Nr. 3, II, 22, 23 I StGB (+) barem Urteil zu bejahen III. §§ 223 I, 227 StGB (+) 2. Tatkomplex: Die Aussage vor Gericht Tatbestandsspezifischer Gefahrzusammen- A. Strafbarkeit des F hang knüpft an Tathandlung an (P) Opferverhalten lässt Gefahrzusammen- I. § 263 I StGB (-) hang nicht entfallen Mangels Bereicherungsabsicht keine Mittäter- (P) Berücksichtigung des Verhaltens von J schaft möglich §§ 223 I, 224 I Nr. 2, 5 StGB treten zurück II. §§ 263 I, 27 StGB (+) Förderungshandlung durch Falschaussage (+); IV. § 222 StGB (+), aber verdrängt auch doppelter Gehilfenvorsatz (+) B. Strafbarkeit von J nach § 222 StGB (+) III. § 153 StGB (+) Obj. Pflichtverstoß (+), vgl. § 23 Ia S. 1 Nr. 1 StVO IV. §§ 154 I, 22, 23 I StGB (-) Gesamtergebnis Unmittelbares Ansetzen erst mit Beginn der Ei- desformel H: §§ 263 I; 267 I; 153, 26; 30 I S. 1 Alt. 1 i.V.m. 154; 52 StGB; hierzu stehen §§ 223 I, 226 I Nr. V. § 30 II Var. 1 i.V.m. § 154 I StGB (+) 3, II, 22, 23 I; 223 I, 227; 52 StGB in Tatmeh- rheit, § 53 StGB Bereiterklären i.S.d. § 30 II Var. 1 StGB gege- ben F: §§ 153; 263 I, 27; 52 StGB; hierzu stehen § 30 II Var. 1 i.V.m. § 154 I StGB aus Klarstel- VI. § 271 I StGB (-) lungsgründen in Tatmehrheit, § 53 StGB Keine Beweiskraft des Gerichtsprotokolls bzw. J: § 222 StGB des Urteils dahingehend, dass Zeugenaussage der Wahrheit entspreche Teil II Erfolgsaussichten der Revision VII. § 257 I StGB (-) Verstoß gegen § 257c V StPO (+) Vorteile sollen erst aus dem Prozessbetrug er- wachsen Auch Beruhen (+), da nicht ausgeschlossen werden kann, dass H bei erfolgter Belehrung die Tat nicht gestanden hätte, § 337 I StPO h/w/bb - 2024 Juristisches Repetitorium Augsburg - Bayreuth - Berlin/Potsdam - Bielefeld - Bochum - Bonn - Bremen Düsseldorf - Erlangen - Frankfurt/M. - Frankfurt/O. - Freiburg - Göttingen - Greifswald/ emmer Rostock - Halle - Hamburg - Hannover - Heidelberg/Mannheim - Jena - Kiel Köln - Konstanz - Leipzig - Mainz - Marburg/Gießen - München - Münster - Nürnberg Osnabrück - Passau - Regensburg - Saarbrücken - Trier - Tübingen/Stuttgart - Würzburg Klausurenkurs Klausur 2069, Lösung Seite 2 Lösung: Klausur Nr. 2069 bestimmten Termin entstanden sei, aber von H. Zwar kann nach der Geistigkeitstheorie auch Teil I eine Vertretung erfolgen. Jedoch lag vorliegend eine solche gerade nicht vor. Angegebener und tatsächlicher Aussteller sind also nicht iden- 1. Tatkomplex: Die Ergänzung und Verwendung tisch („Identitätstäuschung“). Die Urkunde ist des Schuldscheins unecht. Strafbarkeit des Hans (H) Indem H den Schuldschein ausfüllte, ohne hierzu befugt zu sein, hat er eine unechte Ur- hemmer-Methode: Vorliegend wurde aus Grün- kunde hergestellt. den der Übersichtlichkeit zwischen der Ergän- zung und Verwendung des Schuldscheins einer- 2. Subjektiver Tatbestand seits und der Aussage vor Gericht andererseits H wollte die Tatbestandsverwirklichung in im Aufbau differenziert. Aufgrund der inhaltli- Kenntnis aller Tatumstände. Vorsatz i.S.d. § 15 chen Zusammengehörigkeit kann genauso gut StGB liegt damit vor. auch nur ein einheitlicher Tatkomplex geprüft werden. Weiterhin müsste H in der Absicht gehandelt haben, im Rechtsverkehr zu täuschen. Erfor- I. Urkundenfälschung, § 267 I Var. 1 StGB derlich hierfür ist der zielgerichtete Wille des Täters (dolus directus 2. Grades) zum Zeit- H könnte sich durch das Ausfüllen des Schuld- punkt der Tathandlung, nämlich dass die Ur- scheins wegen einer Urkundenfälschung gem. kunde bei einem rechtserheblichen Verhalten § 267 I Var. 1 StGB strafbar gemacht haben. Verwendung findet.3 H füllte den Schuldschein aus, um ihn vor Gericht als Beweismittel zu ver- 1. Objektiver Tatbestand wenden und das Gericht über das Bestehen H müsste eine unechte Urkunde hergestellt ha- des Darlehens zu täuschen. Die erforderliche ben (§ 267 I Var. 1 StGB). Unter einer Urkunde Täuschungsabsicht ist gegeben. versteht man eine verkörperte Gedankenerklä- rung, die zum Beweis im Rechtsverkehr geeig- 3. Rechtswidrigkeit und Schuld net und bestimmt ist und einen Aussteller er- Die Tat ist rechtswidrig und H handelte schuld- kennen lässt.1 haft. Ein Schuldschein ist eine die Schuld begrün- dende oder bestätigende Urkunde, welche der 4. Zwischenergebnis Schuldner zum Beweis der Schuld ausgestellt H hat sich aufgrund seines Verhaltens gem. hat. Im konkreten Fall beinhaltet der Schuld- § 267 I Var. 1 StGB strafbar gemacht. schein nach den Ergänzungen des H die Ge- dankenerklärung, dass H der Britta (B) zu ei- II. Urkundenfälschung, § 267 I Var. 3 StGB nem bestimmten Zeitpunkt einen Darlehensbe- trag i.H.v. 5.000,- EURO bei einer Laufzeit von Weiterhin könnte sich H wegen einer Urkun- zwei Jahren ausgehändigt habe. Der Schuld- denfälschung nach § 267 I Var. 3 StGB strafbar schein lässt B als Ausstellerin erkennen und ist gemacht haben, indem er den ergänzten somit zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet Schuldschein der eingereichten Klageschrift und bestimmt. Es handelt sich vorliegend um beifügte. eine Urkunde nach § 267 I StGB. Dafür müsste er den Schuldschein, der eine Die Urkunde müsste darüber hinaus unecht unechte Urkunde darstellt, gebraucht haben. sein. Eine Urkunde ist dann unecht, wenn der Gebrauchen i.S.d. § 267 StGB bedeutet, die angegebene und der tatsächliche Aussteller Urkunde der sinnlichen Wahrnehmung zugäng- nicht identisch sind.2 lich zu machen, wobei tatsächliche Kenntnis- nahme nicht erforderlich ist.4 Aus dem Schuldschein geht B, welche die Ur- kunde vorab unterschrieben hatte, als Ausstel- lerin hervor. In Wirklichkeit stammt die Erklä- rung, dass die genannte Schuld zu einem 1 3 Vgl. Fischer, § 267 StGB, Rn. 2. Vgl. Fischer, § 267 StGB, Rn. 42. 2 4 Es ist also nicht entscheidend, ob die fixierte Gedankener- Vgl. Fischer, § 267 StGB, Rn. 36 m.w.N. klärung wahr ist, vgl. BGH, NStZ 1993, 491 = jurisbyhemmer. h/w/bb - 2024 Juristisches Repetitorium Augsburg - Bayreuth - Berlin/Potsdam - Bielefeld - Bochum - Bonn - Bremen Düsseldorf - Erlangen - Frankfurt/M. - Frankfurt/O. - Freiburg - Göttingen - Greifswald/ emmer Rostock - Halle - Hamburg - Hannover - Heidelberg/Mannheim - Jena - Kiel Köln - Konstanz - Leipzig - Mainz - Marburg/Gießen - München - Münster - Nürnberg Osnabrück - Passau - Regensburg - Saarbrücken - Trier - Tübingen/Stuttgart - Würzburg Klausurenkurs Klausur 2069, Lösung Seite 3 H hat den Schuldschein mit der Klageschrift Hier könnte H über die Echtheit der Urkunde eingereicht und so der Kenntnisnahme durch und damit über das Bestehen eines Anspruchs das Gericht zugänglich gemacht. getäuscht haben. H hat zwar nicht ausdrücklich auf die Echtheit des Schuldscheins hingewie- Ein Gebrauchen i.S.v. § 267 I Var. 3 StGB kann sen. Jedoch hat H bereits durch Einreichen folglich bejaht werden. der Urkunde dargetan, dass diese zum Beweis der in der Klageschrift vorgetragenen Tatsa- hemmer-Methode: Beachten Sie folgende Be- chen geeignet sei (vgl. auch § 138 I ZPO). Eine sonderheit: Von einer Urschrift kann auch in der Täuschungshandlung liegt folglich vor. Weise im Sinne des § 267 I Var. 3 StGB Ge- brauch gemacht werden, dass dem zu täu- Hierdurch müsste ein Irrtum des Gerichts be- schenden Rechtsverkehr eine Ablichtung zu- wirkt worden sein. Unter einem Irrtum versteht gänglich gemacht wird. Ein derartiges mittelba- man das Auseinanderfallen zwischen Vorstel- res Gebrauchmachen setzt jedoch gleichfalls lung und Wirklichkeit.9 Das Gericht ging von ei- eine unechte oder verfälschte Urkunde voraus, ner den Angaben des Schuldscheins entspre- von welcher die Ablichtung hergestellt wird. Nä- chenden Auszahlung des Darlehensbetrages her hierzu vgl. BGH, Beschluss vom 04.05.2023 aus. Eine solche Auszahlung fand in der Reali- – 5 StR 38/23 = Life&LAW 02/2024, 92 ff.5 tät nicht statt. Ein Irrtum ist somit gegeben. Für diesen Irrtum müsste die Vorlage des Die Tat ist rechtswidrig und H handelte schuld- Schuldscheins kausal gewesen sein. Vorlie- haft. gend wurde der Irrtum des Gerichts sowohl H hat sich aufgrund seines Verhaltens auch durch die Vorlage des Schuldscheins als auch wegen Urkundenfälschung nach § 267 I Var. 3 durch die Zeugenaussage von Farid (F) hervor- StGB strafbar gemacht. Da H von Anfang an gerufen. Dabei kann offen bleiben, ob bzw. in bei Herstellung der unechten Urkunde vorhatte, welcher Art F an der Betrugstat beteiligt war. diese durch Vorlage bei Gericht zu gebrau- Denn die Vorlage des Schuldscheins war je- chen, liegt insgesamt nur eine Urkundenfäl- denfalls mitursächlich für den Irrtum des Ge- schung vor (sog. tatbestandliche Handlungs- richts. Dies genügt für die erforderliche Kausa- einheit).6 litätsfeststellung.10 Weiterhin müsste das Gericht eine auf dem Irr- hemmer-Methode: Vorliegend könnten die Tat- tum beruhende Vermögensverfügung getroffen handlungsvarianten des § 267 I StGB auch in ei- haben. Unter einer Vermögensverfügung ver- ner Prüfung zusammengefasst werden. Zur steht man jedes tatsächliche Handeln, Dulden Möglichkeit der Verklammerung durch fortdau- oder Unterlassen des Getäuschten, welches erndes Gebrauchen einer unechten Urkunde beim Getäuschten oder einem Dritten unmittel- vgl. BGH, Beschluss vom 28.01.2014 – 4 StR bar zu einer Minderung des Vermögens im wirt- 528/13 = Life&LAW 10/2014, 585 ff.7 schaftlichen Sinn führt.11 III. Betrug, § 263 I StGB Das Vermögen der B wurde durch das Urteil betroffen. Der obigen Definition des Verfü- H könnte sich aufgrund seines Verhaltens we- gungsbegriffs zufolge ist auch ein sog. Drei- gen Betrugs gem. § 263 I StGB gegenüber dem ecksbetrug denkbar, bei welchem Verfügender Gericht und zu Lasten von B strafbar gemacht und der durch die Verfügung Betroffene nicht haben. identisch sind. Nach der sog. Lagertheorie12 kommt dabei als 1. Objektiver Tatbestand Verfügender derjenige in Betracht, der dem Ver- H müsste das Gericht getäuscht haben. Unter mögen des Geschädigten näher steht als der einer Täuschungshandlung versteht man die Täter, sich also „im Lager“ des Geschädigten Einwirkung auf das Vorstellungsbild eines an- befindet. Im Falle des Prozessbetruges vermag deren zur Erregung einer Fehlvorstellung über diese Theorie allerdings nicht zu überzeugen, da Tatsachen.8 das Gericht gerade zur Unparteilichkeit ver- pflichtet ist. 5 So auch BGH, Beschluss vom 28.10.2021 – 4 StR 163/21 = 8 Vgl. Sch/Sch, § 263 StGB, Rn. 6. jurisbyhemmer. 9 Näher hierzu vgl. Fischer, § 263 StGB, Rn. 14 ff. 6 Vgl. Fischer, § 267 StGB, Rn. 58. 10 Vgl. Fischer, § 263 StGB, Rn. 63. 7 So auch BGH, Beschluss vom 28.10.2021 – 4 StR 163/21 = 11 Vgl. BGHSt 14, 170 = jurisbyhemmer. jurisbyhemmer. 12 Vgl. BGHSt 18, 221 = jurisbyhemmer. h/w/bb - 2024 Juristisches Repetitorium Augsburg - Bayreuth - Berlin/Potsdam - Bielefeld - Bochum - Bonn - Bremen Düsseldorf - Erlangen - Frankfurt/M. - Frankfurt/O. - Freiburg - Göttingen - Greifswald/ emmer Rostock - Halle - Hamburg - Hannover - Heidelberg/Mannheim - Jena - Kiel Köln - Konstanz - Leipzig - Mainz - Marburg/Gießen - München - Münster - Nürnberg Osnabrück - Passau - Regensburg - Saarbrücken - Trier - Tübingen/Stuttgart - Würzburg Klausurenkurs Klausur 2069, Lösung Seite 4 Für den Fall des Prozessbetruges stellt eine an- Vermögenspostens so groß ist, dass dieser dere Ansicht daher auf ein Näheverhältnis des nach objektiver Bewertung praktisch nicht mehr Verfügenden (hier: des Richters) zu dem Ver- vorhanden ist. Dies muss aber verneint wer- mögen des von der Verfügung Betroffenen (hier: den, wenn noch weitere Handlungen zur Schä- der Beklagten) ab. Dieser Ansatz vermag je- digung vorzunehmen sind. Nach dieser Ansicht doch ebenfalls nicht zu überzeugen, da unklar wäre ein Schaden zu verneinen, da H zur bleibt, welche „besondere Nähe“ damit gemeint Durchsetzung des Titels noch das Vollstre- sein soll. ckungsverfahren einleiten muss. Sinnvoll erscheint es deshalb, sich in derarti- Gegen diese Ansicht lässt sich anführen, dass gen Fällen an der sog. Befugnis- oder Erfül- sie wirtschaftliche Aspekte nicht in einem be- lungstheorie zu orientieren,13 nach welcher es friedigenden Maße berücksichtigt. Tatsächli- nicht auf die Nähe des Verfügenden zum frem- che Wertminderungen werden durch diesen den Vermögen, sondern auf die rechtliche Be- engen Vermögensbegriff ausgeklammert. Die fugnis zur Verfügung über das fremde Vermö- h.M. erkennt deshalb bei der unterliegenden gen ankommt. Die rechtliche Verfügungsmacht Partei grundsätzlich eine schadensgleiche Ver- des Richters resultiert im Zivilprozess aus sei- mögensgefährdung an, auch wenn das Urteil ner gesetzlichen Aufgabe, eine Zuordnung von nur für vorläufig vollstreckbar erklärt wird.17 Vermögensteilen vorzunehmen. Durch Erlass Dies erscheint jedenfalls dann überzeugend, eines vorläufig vollstreckbaren Urteils wurde wenn bei wirtschaftlicher Betrachtung der Grad eine Vermögensverfügung getroffen, die auf ei- der Vermögensgefährdung so hoch ist, dass nem Irrtum des Gerichts basierte. bereits hierdurch ein messbarer Vermögens- schaden anzunehmen ist. Insoweit besteht zwi- hemmer-Methode: Merken Sie sich, dass beim schen der schadensgleichen Vermögensge- Prozessbetrug als ein Sonderfall eines Forde- fährdung und dem Eintritt eines endgültigen rungsbetrugs die Befugnistheorie (als einzig Schadens nur ein quantitativer Unterschied. sachgerecht) heranzuziehen ist, während in den Fällen eines Sachbetrugs (mit einer Sache als Um dem Bestimmtheitsgrundsatz hinreichend Bezugspunkt) die Lagertheorie vorherrschend Rechnung zu tragen, erscheint es jedoch erfor- ist. derlich, bei Annahme einer schadensgleichen Vermögensgefährdung einen Mindestschaden Aufgrund der Verfügung müsste ein Vermö- konkret zu beziffern. Dies dürfte vorliegend – gensschaden eingetreten sein. Ein solcher ist gegebenenfalls unter sachverständiger Hilfe – gegeben, wenn der Gesamtwert des Vermö- möglich sein. Ein Vermögensschaden liegt so- gens nach der Verfügung des Getäuschten ge- mit vor.18 ringer geworden ist.14 Nach der im Zivilprozess- recht herrschenden Rechtskraftlehre wird die hemmer-Methode: Zur Wahrung des Be- materielle Rechtslage weder durch ein Leis- stimmtheitsgrundsatzes vgl. BVerfG, Beschluss tungsurteil noch durch dessen Vollstreckung vom 07.12.2011 – 2 BvR 2500/09 u.a. = berührt. Vorliegend entstand somit kein An- Life&LAW 03/2012, 224 ff. sowie als examens- spruch des H gegen die B. relevantes Beispiel der sog. „Sportwettenbe- trug“, vgl. BGH, Urteil vom 20.12.2012 – 4 StR Jedoch genügt nach ganz h.M. bereits die im 55/12 = Life&LAW 08/2013, 588 ff. konkreten Fall naheliegende Möglichkeit des endgültigen Vermögensverlustes, also eine schadensgleiche Vermögensgefährdung, um 2. Subjektiver Tatbestand einen Schaden nach § 263 I StGB annehmen H handelte vorsätzlich hinsichtlich der Tatbe- zu können.15 Vorliegend hat H einen vorläufig vollstreckbaren Titel erstritten. Fraglich ist, ob standsverwirklichung (§ 15 StGB) und in der damit bereits ein Schaden i.d.S. eingetreten ist. Absicht, sich einen rechtswidrigen Vermögens- vorteil zu verschaffen. Nach einer Ansicht16 soll eine schadensgleiche Vermögensverfügung erst dann anzunehmen sein, wenn die Verlustgefahr des betreffenden 13 17 Vgl. hierzu Otto, ZStW 1979, 59, 84; Fahl, Jura 1996, 77. Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass eine vorläufige 14 Vgl. BGHSt 30, 388 = jurisbyhemmer. Vollstreckung – wie hier – nur gegen Sicherheitsleistung 15 Vgl. Fischer, § 263 StGB, Rn. 156 ff. möglich ist, § 709 ZPO. Ein Fall des § 708 Nr. 5 ZPO scheidet 16 Vgl. Meyer, MDR 1971, 718; Amelung, NJW 1975, 624 f. vorliegend aus, vgl. § 592 ZPO. 18 Andere Ansicht, etwa die Annahme eines vollendeten Pro- zessbetrugs erst mit Rechtskraft des Urteils, vertretbar. h/w/bb - 2024 Juristisches Repetitorium Augsburg - Bayreuth - Berlin/Potsdam - Bielefeld - Bochum - Bonn - Bremen Düsseldorf - Erlangen - Frankfurt/M. - Frankfurt/O. - Freiburg - Göttingen - Greifswald/ emmer Rostock - Halle - Hamburg - Hannover - Heidelberg/Mannheim - Jena - Kiel Köln - Konstanz - Leipzig - Mainz - Marburg/Gießen - München - Münster - Nürnberg Osnabrück - Passau - Regensburg - Saarbrücken - Trier - Tübingen/Stuttgart - Würzburg Klausurenkurs Klausur 2069, Lösung Seite 5 Die erstrebte Bereichung war rechtswidrig und Insoweit genügt es nach der ständigen Recht- stoffgleich. Auch insoweit handelte er vorsätz- sprechung des BGH, dass die Hilfeleistung die lich. Tathandlung des Haupttäters oder den Erfolgs- eintritt mindestens erleichert. 3. Rechtswidrigkeit und Schuld Vorliegend förderte F die Tat des H unmittelbar, Die Tat ist rechtswidrig und H handelte schuld- indem er für diesen vor Gericht falsche Anga- haft. ben machte. Damit wurde der Betrug des H maßgeblich erleichtert. Eine taugliche Beihilfe- 4. Zwischenergebnis handlung liegt mithin vor. F handelte auch vor- sätzlich hinsichtich der vorsätzlichen rechtswid- H hat sich aufgrund seines Verhaltens gem. rigen Haupttat sowie seiner Förderungshand- § 263 I StGB strafbar gemacht. Da H zum Zeit- lung. Die Tat ist rechtswidrig und F handelte punkt der Tat mit B nicht (mehr) in einer häus- schuldhaft. lichen Gemeinschaft lebte, besteht kein Straf- antragserfordernis gem. §§ 263 IV, 247 StGB. F hat sich durch sein Verhalten wegen Beihilfe zum Betrug gem. §§ 263 I, 27 StGB strafbar ge- IV. Ergebnis macht. Das Gebrauchen des Schuldscheins deckt sich hemmer-Methode: In anderen Fällen kann es mit der Täuschungshandlung des § 263 I StGB, schwierig sein, Mittäterschaft und Beihilfe vonei- weshalb die verwirklichten § 263 I StGB und nander abzugrenzen. Maßgebend sind dabei § 267 I StGB vorliegend in Tateinheit stehen, der Grad des Interesses an der Tat, der Umfang § 52 StGB.19 der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, sodass die Durch- 2. Tatkomplex: Die Aussage vor Gericht führung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen der Betroffenen abhängt.20 A. Strafbarkeit des F III. Falsche uneidliche Aussage, § 153 StGB I. Betrug, § 263 I StGB Darüber hinaus kommt eine Strafbarkeit gem. F könnte sich aufgrund seines Verhaltens we- § 153 StGB in Betracht. F hat vor Gericht als gen Betruges gem. § 263 I StGB gegenüber Zeuge falsch ausgesagt, weil seine Angaben dem Gericht und zu Lasten der B strafbar ge- nicht der Wahrheit entsprachen und er wusste macht haben. dabei auch, dass er seiner Wahrheitspflicht Die Zeugenaussage des F war mitursächlich nicht entspricht. Mithin ist nach allen Auffas- für den Irrtum des Gerichts. Jedoch ist zu be- sungen (objektive bzw. subjektive Theorie; achten, dass F nicht in der Absicht handelte, H Pflichttheorie) von einer falschen Aussage vor als Dritten oder sich zu bereichern. Eine mittä- Gericht auszugehen. terschaftliche Begehungsweise scheidet damit F handelte diesbezüglich vorsätzlich, § 15 aus. Denn als (Mit-)Täter müssen alle subjekti- StGB. Die Tat ist rechtswidrig und F handelte ven Merkmale in der eigenen Person verwirk- schuldhaft. F hat sich aufgrund seines Verhal- licht sein. Nur objektive Elemente können gem. tens gem. § 153 StGB strafbar gemacht. § 25 II StGB zugerechnet werden. Hiernach scheidet eine (mit-)täterschaftliche IV. Versuchter Meineid, §§ 154 I, 22, 23 I StGB Strafbarkeit des F gem. § 263 I StGB aus. Weiterhin könnte sich F wegen eines versuch- ten Meineids nach §§ 154 I, 22, 23 I StGB straf- II. Beihilfe zum Betrug, §§ 263 I, 27 StGB bar gemacht haben. F könnte sich aufgrund seines Verhaltens we- Die Tat wurde nicht vollendet. F hat nicht falsch gen Beihilfe zum Betrug des H strafbar ge- geschworen. Die Versuchsstrafbarkeit ergibt macht haben. Eine vorsätzlich begangene sich aus §§ 23 I Alt. 1, 12 I, 154 I StGB. rechtswidrige Tat liegt vor (s.o.). Insoweit müsste F dem H Hilfe geleistet haben. Anders F wollte nach seiner Vorstellung vor Gericht als ein Mittäter unterstützt ein Gehilfe die Tat falsch schwören, hatte also den erforderlichen einer anderen Person, indem er diese fördert. Tatentschluss. 19 20 Vgl. Fischer, Vor § 52 StGB, Rn. 3 ff. Instruktiv zur Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe vgl. BGH, Urteil vom 16.04.2019 – 5 StR 685/18 = Life&LAW 01/2020, 32 ff. = jurisbyhemmer. h/w/bb - 2024 Juristisches Repetitorium Augsburg - Bayreuth - Berlin/Potsdam - Bielefeld - Bochum - Bonn - Bremen Düsseldorf - Erlangen - Frankfurt/M. - Frankfurt/O. - Freiburg - Göttingen - Greifswald/ emmer Rostock - Halle - Hamburg - Hannover - Heidelberg/Mannheim - Jena - Kiel Köln - Konstanz - Leipzig - Mainz - Marburg/Gießen - München - Münster - Nürnberg Osnabrück - Passau - Regensburg - Saarbrücken - Trier - Tübingen/Stuttgart - Würzburg Klausurenkurs Klausur 2069, Lösung Seite 6 Fraglich ist allerdings, ob er auch zur Tatbe- Vorliegend sollen die Vorteile erst noch aus standsverwirklichung unmittelbar ansetzte, dem Prozessbetrug erwachsen. Eine Strafbar- § 22 StGB. Beim Nacheid beginnt der Versuch keit gem. § 257 I StGB scheidet deshalb aus. des Meineids erst mit dem Anfang der Eides- leistung.21 Hierzu kam es nicht. VIII. Ergebnis Eine Strafbarkeit gem. §§ 154 I, 22, 23 I StGB F hat sich aufgrund seines Verhaltens wegen scheidet aus. Beihilfe zum Betrug in Tateinheit mit uneidli- cher Falschaussage strafbar gemacht, V. § 30 II Var. 1 i.V.m. § 154 I StGB §§ 263 I, 27; 153; 52 StGB. Die zuvor verwirk- lichten § 30 II Var. 1 i.V.m. § 154 I StGB stehen F könnte sich aufgrund seines Verhaltens gem. hierzu aus Klarstellungsgründen in Tatmehr- § 30 II Var. 1 i.V.m. § 154 I StGB strafbar ge- heit, § 53 StGB.23 macht haben. F erklärte sich gegenüber H be- reit (§ 30 II Var. 1 StGB), die falsche Aussage B. Strafbarkeit des H notfalls zu beeiden, also ein Verbrechen nach § 154 I StGB zu begehen. I. Versuchte Anstiftung zum Meineid, § 30 I S. 1 Alt. 1 i.V.m. § 154 I StGB Vorsatz, Rechtswidrigkeit und Schuld sind zu bejahen. Für einen Rücktritt gem. § 31 StGB ist H könnte sich aufgrund seines Verhaltens we- nichts ersichtlich. gen versuchter Anstiftung zum Meineid strafbar gemacht haben. F hat sich hiernach aufgrund seines Verhaltens gem. § 30 II Var. 1 i.V.m. § 154 I StGB strafbar 1. Vorprüfung gemacht. Eine vollendete Anstiftung zum (versuchten) Meineid liegt nicht vor. Eine solche scheidet hemmer-Methode: § 30 II StGB hält verschie- von vornherein aus, da der geplante Meineid dene Varianten parat, die Sie auseinanderhalten des F nicht ins Versuchsstadium gelangte, es sollten. Etwa zu den Anforderungen für eine also an einer entsprechenden Haupttat fehlt. Strafbarkeit wegen einer Verabredung zur An- Bei § 154 I StGB handelt es sich um ein Ver- stiftung zu einem Verbrechen gem. § 30 II Var. 3 brechen i.S.v. § 12 I StGB. Mithin kommt eine Alt. 2 StGB vgl. BGH, Urteil vom 29.11.2023 – Strafbarkeit gem. § 30 I S. 1 Alt. 1 StGB in Be- 6 StR 179/23 = Life&LAW 03/2024, 174 ff. = tracht. jurisbyhemmer. 2. Tatentschluss VI. Mittelbare Falschbeurkundung, § 271 I StGB H wollte bei F den Tatentschluss hervorrufen, falsch auszusagen und diese Aussage zu be- Eine mittelbare Falschbeurkundung kommt schwören. nicht in Betracht. Weder das gerichtliche Proto- koll noch das Zivilurteil hat eine Beweiskraft da- 3. Unmittelbares Ansetzen hingehend, dass die Zeugenaussage keine Lüge enthält. Festgehalten wird nur, dass die Ein unmittelbares Ansetzen liegt vor. H hat in F Aussage als solche abgegeben wurde.22 Hier- einen entsprechenden Tatentschluss hervor- nach fehlt es bereits an einer inhaltlich falschen gerufen. Beurkundung. Eine Strafbarkeit gem. § 271 I StGB scheidet aus. 4. Rechtswidrigkeit und Schuld VII. Begünstigung, § 257 I StGB Die Tat ist rechtswidrig und H handelte schuld- haft. F könnte sich aufgrund seines Verhaltens we- gen einer Begünstigung strafbar gemacht ha- 5. Zwischenergebnis ben. Zwar wollte F dem H Hilfe leisten; doch H hat sich aufgrund seines Verhaltens gem. setzt § 257 I StGB als klassisches Anschluss- § 30 I S. 1 Alt. 1 i.V.m. § 154 I StGB strafbar delikt voraus, dass der Täter in der Absicht han- gemacht. Für einen Rücktritt gem. § 31 StGB delt, dem Vortäter die Vorteile der Tat zu si- ist nichts ersichtlich. chern. 21 Vgl. Fischer, § 154 StGB, Rn. 13. Umfang auf, so dass Sie die richtigen Schwerpunkte setzen 22 Fassen Sie sich an dieser Stelle kurz, § 271 I StGB scheidet müssen. 23 Andere Ansicht vertretbar. evident aus. Die Klausur weist einen nicht unerheblichen h/w/bb - 2024 Juristisches Repetitorium Augsburg - Bayreuth - Berlin/Potsdam - Bielefeld - Bochum - Bonn - Bremen Düsseldorf - Erlangen - Frankfurt/M. - Frankfurt/O. - Freiburg - Göttingen - Greifswald/ emmer Rostock - Halle - Hamburg - Hannover - Heidelberg/Mannheim - Jena - Kiel Köln - Konstanz - Leipzig - Mainz - Marburg/Gießen - München - Münster - Nürnberg Osnabrück - Passau - Regensburg - Saarbrücken - Trier - Tübingen/Stuttgart - Würzburg Klausurenkurs Klausur 2069, Lösung Seite 7 II. Anstiftung zur uneidlichen Falschaussage, Verwendung als Tatmittel im Einzelfall geeignet §§ 153, 26 StGB erscheint, dem Opfer erhebliche Verletzungen zuzufügen. Dies ist bei einem Messer, mit wel- Weiterhin kommt eine Strafbarkeit gem. chem dem Opfer Gesichtsverletzungen zuge- §§ 153, 26 StGB in Betracht. fügt werden, der Fall. Die vorsätzliche rechtswidrige Haupttat ist in Zudem könnte hier ein hinterlistiger Überfall der von F verwirklichten Falschaussage zu er- gem. § 224 I Nr. 3 StGB vorliegen. Unter einem blicken. H hat bei F einen entsprechenden Ta- Überfall versteht man jeden plötzlichen, uner- tentschluss hervorgerufen. warteten Angriff. Hinterlistig ist der Überfall, H handelte sowohl hinsichtlich der Haupttat als wenn der Täter ein Verhalten an den Tag legt, auch bezüglich seiner Anstiftungshandlung mit dem er unter Verschleierung seiner wahren vorsätzlich. Angriffsabsicht das Opfer besonders in Sicher- heit wiegt.25 Vorliegend lauerte H der B auf. Rechtswidrigkeit und Schuld liegen vor. H hat Dies allein genügt nicht, um Hinterlist bejahen sich aufgrund seines Verhaltens gem. §§ 153, zu können. Es ist nicht ersichtlich, dass H durch 26 StGB strafbar gemacht. sein Verhalten seine wahren Absichten verbor- gen hatte.26 § 224 I Nr. 3 StGB scheidet damit III. Ergebnis aus. Die versuchte Anstiftung gem. § 30 I S. 1 Alt. 1 Hingegen könnte § 224 I Nr. 5 StGB vorliegen. i.V.m. § 154 I StGB und die Anstiftung zur Erforderlich wäre eine das Leben gefährdende Falschaussage gem. §§ 153, 26 StGB stehen Behandlung. Nach h.M. bedarf es hierfür nicht vorliegend aus Klarstellungsgründen in Tatein- des Eintritts einer konkreten Lebensgefahr.27 heit nach § 52 StGB. Es genügt vielmehr, wenn die Behandlung bei abstrakt-genereller Betrachtungsweise geeig- hemmer-Methode: Eine Strafbarkeit gem. § 160 net erscheint, dem Opfer lebensgefährdende StGB scheidet hingegen aus, da ein Verleiten in Verletzungen zuzufügen. Dies vermag im sys- diesem Sinne eine unvorsätzliche Falschaus- tematischen Vergleich mit den anderen Num- sage voraussetzt.24 mern von § 224 I StGB zu überzeugen, welche ebenfalls an eine rein abstrakt erhöhte Gefähr- 3. Tatkomplex: Britta im Pech dungslage anknüpfen. Fügt der Täter dem Opfer mittels eines Mes- A. Strafbarkeit des H sers Gesichtsverletzungen zu, so besteht die I. Gefährliche Körperverletzung, §§ 223 I, Gefahr, dass das Opfer in einer Abwehr- oder 224 I Nr. 2, 3 und 5 StGB Fluchtreaktion weitere erhebliche Verletzungen (bspw. an der Halsschlagader) erleidet, die H müsste B durch sein Verhalten körperlich zum Tode führen können. § 224 I Nr. 5 StGB ist misshandelt bzw. an der Gesundheit geschä- demzufolge verwirklicht.28 digt haben (§ 223 I Alt. 1 und 2 StGB). Unter H handelte vorsätzlich hinsichtlich der Verwirk- einer körperlichen Misshandlung versteht man lichung von § 223 I StGB, § 15 StGB. Dabei jede üble unangemessene Behandlung, die schadet nicht, dass er vorhatte, B die Nase und das körperliche Wohlbefinden oder die körper- Ohren abzuschneiden, tatsächlich aber nur ei- liche Unversehrtheit nicht unerheblich beein- nen Nasenflügel aufschlitzte. Insoweit handelt trächtigt; unter einer Gesundheitsschädigung es sich um eine unwesentliche Abweichung das Hervorrufen bzw. Steigern eines pathologi- des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalver- schen Zustandes. Durch das Aufschlitzen des lauf. Auch bezüglich der Verwirklichung von Nasenflügels hat H die B sowohl körperlich § 224 I Nr. 2 Alt. 2, Nr. 5 StGB handelte H vor- misshandelt als auch an der Gesundheit ge- sätzlich. schädigt. Rechtswidrigkeit und Schuld sind gegeben. Darüber hinaus könnte H die Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs (§ 224 I H hat sich aufgrund seines Verhaltens gem. Nr. 2 Alt. 2 StGB) begangen haben. Hierunter §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2, Nr. 5 StGB strafbar versteht man jeden Gegenstand, der nach sei- gemacht. ner Beschaffenheit und der konkreten Art der 24 27 Vgl. Fischer, § 160 StGB, Rn. 3. Vgl. Fischer, § 224 StGB, Rn. 12. 25 28 Vgl. Fischer, § 224 StGB, Rn. 10. A.A. an dieser Stelle vertretbar, wenn man darauf abstellt, 26 dass das Aufschlitzen des Nasenflügels für sich genommen Eine andere Ansicht ist hier vertretbar. noch nicht ausreicht, um das Leben des Opfers zu gefährden. h/w/bb - 2024 Juristisches Repetitorium Augsburg - Bayreuth - Berlin/Potsdam - Bielefeld - Bochum - Bonn - Bremen Düsseldorf - Erlangen - Frankfurt/M. - Frankfurt/O. - Freiburg - Göttingen - Greifswald/ emmer Rostock - Halle - Hamburg - Hannover - Heidelberg/Mannheim - Jena - Kiel Köln - Konstanz - Leipzig - Mainz - Marburg/Gießen - München - Münster - Nürnberg Osnabrück - Passau - Regensburg - Saarbrücken - Trier - Tübingen/Stuttgart - Würzburg Klausurenkurs Klausur 2069, Lösung Seite 8 II. Versuchte schwere Körperverletzung, so wesentlich beeinträchtigt wird, dass sie §§ 223 I, 226 I, II, 22, 23 I StGB dadurch erhebliche psychische Nachteile im Verkehr mit anderen Menschen zu gewärtigen Eine Strafbarkeit wegen Vollendung liegt nicht hat. vor. Keine der in § 226 I StGB aufgezählten be- sonderen Folgen ist objektiv eingetreten. Die Entstellung muss einer der übrigen, in § 226 I StGB genannten Folgen an Gewicht zu- Der Versuch ist grundsätzlich strafbar. Sowohl mindest ungefähr gleichkommen. Dauernd ist bei § 226 I StGB als auch bei § 226 II StGB die Entstellung, wenn sie mit einer bleibenden handelt es sich um Verbrechen, §§ 23 I Alt. 1, oder unbestimmt langwierigen Beeinträchti- 12 I StGB. gung des Aussehens verbunden ist, die nicht durch zumutbare Maßnahmen in absehbarer hemmer-Methode: Bei § 226 I StGB handelt es Zeit mit Aussicht auf Erfolg behoben werden sich um ein erfolgsqualifiziertes Delikt. Auch der kann. Bei einem Verlust von Nase und Ohren Versuch der Erfolgsqualifikation ist grundsätz- ist von einer erheblichen Beeinträchtigung des lich strafbar. § 226 II StGB widerum erfasst die äußeren Erscheinungsbildes auszugehen. Fälle, in denen der Täter die in Abs. 1 bezeich- Zwar kann das Fehlen der Ohrmuscheln durch neten Folgen absichtlich oder wissentlich verur- lange Haare kaschiert werden. Es wird jedoch sacht hat. nicht verlangt, dass die Entstellung stets sicht- bar bleibt.33 Eine kosmetisch-chirurgische Re- H wollte B durch das Abschneiden von Nase konstruktion der Ohrmuscheln dürfte nicht und Ohren verstümmeln. Er könnte hiernach in möglich sein, die Wiederherstellung der Nase der Absicht gehandelt haben, § 226 I Nr. 1, zumindest nicht in dem Maße erfolgen können, Nr. 2 bzw. Nr. 3, II StGB zu verwirklichen. dass das vorherige Erscheinungsbild wieder Unter dem Verlust des Gehörs i.S.v. § 226 I hergestellt wird. H beabsichtigte folglich eine Nr. 1 StGB versteht man den Verlust der Fähig- dauernde Entstellung in erheblicher Weise un- keit, artikulierte Laute zu verstehen.29 H wollte mittelbar durch sein Handeln. B durch Abschneiden der Ohren verstümmeln. H setzte durch sein Verhalten unmittelbar zur Ob er die Ohren auch insoweit abschneiden Tat an, § 22 StGB. Die Tat ist auch rechtswidrig wollte, dass B keine artikulierten Laute wahr- und H handelte schuldhaft. Für einen Rücktritt nehmen kann, kann nicht mit hinreichender Si- gem. § 24 I StGB ist nichts ersichtlich. cherheit festgestellt werden. Eine diesbezügli- che Absicht ist demnach abzulehnen.30 H hat sich aufgrund seines Verhaltens wegen einer versuchten schweren Körperverletzung H könnte den Verlust von wichtigen Körpertei- gem. §§ 223 I, 226 I Nr. 3, II, 22, 23 I StGB len beabsichtigt haben (§ 226 I Nr. 2 StGB). strafbar gemacht. Dann müssten Ohren und Nase wichtige Glie- der des Körpers in diesem Sinne sein. Unter ei- III. Körperverletzung mit Todesfolge, §§ 223 I, nem Glied versteht man jedes nach außen in 227 StGB Erscheinung tretende Körperteil, welches mit dem Körper oder einem anderen Körperteil ver- Der Grundtatbestand des § 223 I StGB wurde bunden ist.31 Nach e.A. ist dabei nicht notwen- verwirklicht. Die schwere Folge, der Tod der B, dig, dass das „Glied des Körpers“ durch ein Ge- ist eingetreten. Fraglich ist, ob der tatbestands- lenk mit dem Körper verbunden ist. Nach a.A. spezifische Gefahrzusammenhang bejaht wer- wird durch eine solch weitgehende Auslegung den kann. Hieran könnte man zweifeln, da der eine Abgrenzung zwischen Körper-„Teilen“ und Tod nicht aus der von H tatsächlich zugefügten Körper-„Gliedern“ aufgegeben. Die besseren Körperverletzung resultierte. Gründe sprechen daher dafür, bei Nase und Die h.M. geht davon aus, dass mit „Körperver- Ohr § 226 I Nr. 2 StGB für nicht einschlägig zu letzung“ i.S.d. § 227 I StGB nicht nur der Kör- erachten.32 perverletzungserfolg gemeint ist, sondern die- Schließlich könnte H in der Absicht gehandelt ser Begriff vielmehr auch die Tathandlung er- haben, B in erheblicher Weise dauernd zu ent- fasst. Hierfür spricht insbesondere der Klam- stellen, § 226 I Nr. 3, II StGB. Erheblich entstellt merzusatz, wonach explizit auch auf die in ist eine Person, wenn ihr äußeres Erschei- §§ 223 II, 224 II, 225 II StGB normierte Ver- nungsbild durch eine körperliche Verunstaltung suchsstrafbarkeit verwiesen wird. 29 Vgl. Fischer, § 226 StGB, Rn. 3. 32 Vgl. Fischer, § 226 StGB, Rn. 6. Andere Auffassung vertret- 30 A.A. bei entsprechender Begründung vertretbar. bar. 31 33 Vgl. Fischer, § 226 StGB, Rn. 6 f. Vgl. Fischer, § 226 StGB, Rn. 9, 9a. h/w/bb - 2024 Juristisches Repetitorium Augsburg - Bayreuth - Berlin/Potsdam - Bielefeld - Bochum - Bonn - Bremen Düsseldorf - Erlangen - Frankfurt/M. - Frankfurt/O. - Freiburg - Göttingen - Greifswald/ emmer Rostock - Halle - Hamburg - Hannover - Heidelberg/Mannheim - Jena - Kiel Köln - Konstanz - Leipzig - Mainz - Marburg/Gießen - München - Münster - Nürnberg Osnabrück - Passau - Regensburg - Saarbrücken - Trier - Tübingen/Stuttgart - Würzburg Klausurenkurs Klausur 2069, Lösung Seite 9 Es reicht demzufolge aus, wenn ein tatbe- hemmer-Methode: Der BGH hat außerdem standsspezifischer Gefahrzusammenhang zwi- entschieden, dass der qualifikationsspezifische schen der Tathandlung und der schweren Risikozusammenhang im Sinne des § 251 Folge besteht. StGB nicht dadurch unterbrochen wird, dass die behandelnden Ärzte mit Blick auf eine wirk- Vorliegend war die Tathandlung für den Erfolg same Patientenverfügung in rechtmäßiger kausal. Hätte H die B nicht mit dem Messer an- Weise von einer Weiterbehandlung des mori- gegriffen, wäre diese nicht auf die Straße ge- bunden Raubopfers absehen.35 laufen und überfahren worden. Fraglich ist allerdings, ob der Gefahrzusam- Bei der gebotenen differenzierenden Betrach- menhang nicht infolge des eigenen Verhaltens tung kommt man vorliegend zu dem Ergebnis, des Opfers verneint werden muss. Der tatbe- dass der Gefahrzusammenhang nicht unter- standsspezifische Gefahrzusammenhang wird brochen wird. Es ist nicht ungewöhnlich, dass nach einer Ansicht lediglich dann für gegeben sich ein Kraftfahrer durch Benutzung eines Mo- erachtet, wenn das selbstschädigende Panik- biltelefons ablenken lässt, auch wenn dieses verhalten auf eine durch Misshandlungen ver- Verhalten nicht rechtmäßig ist (vgl. § 23 Ia ursachte Benommenheit zurückgeht.34 StVO). Wird durch ein solches Handeln die Auf- Dabei wird jedoch verkannt, dass Fluchtreakti- merksamkeit beeinträchtigt, kann es leicht pas- sieren, dass er in bestimmten Situationen nicht onen, welche dem elementaren Selbsterhal- tungstrieb des Menschen entspringen, zumin- so reagiert, wie man es von einem aufmerksa- dest bei gravierenden Misshandlungen nahe men Fahrer erwarten kann. Es handelt sich liegen. Für § 227 StGB muss es deshalb genü- hierbei um eine typische Gefahr des Straßen- gen, wenn der Tod unmittelbar durch einen verkehrs, deren Folgen der Täter mit zu verant- Fluchtversuch herbeigeführt wurde, den das worten hat.36 Opfer bei einem gegenwärtigen Angriff in nach- H handelte objektiv sorgfaltspflichtwidrig und vollziehbarer Weise aus Furcht vor schweren der Eintritt des qualifizierenden Erfolges war Verletzungen unternommen hat. B sah sich ei- auch objektiv vorhersehbar. nem gegenwärtigen Angriff mit einem Messer auf ihr Gesicht ausgesetzt. Bei der ergriffenen hemmer-Methode: Im Regelfall können Sie Flucht handelt es sich um eine nachvollzieh- die Prüfung hier kurz halten, da eine Sorgfalts- bare Reaktion. pflichtverletzung schon in der Verwirklichung Fraglich ist des Weiteren, wie sich das Verhal- des Grundtatbestandes liegt und diese zu- ten der Julia (J) auswirkt. Vorliegend kam es zu gleich die objektive Vorhersehbarkeit des qua- dem tödlichen Zusammenstoß, weil J durch ein lifizierenden Erfolges regelmäßig bedingt. Telefonat abgelenkt war. Hätte sie ihre volle Aufmerksamkeit der Fahrbahn gewidmet, hätte Die Tat ist rechtswidrig und H handelte schuld- sie noch rechtzeitig bremsen und den Zusam- haft. Er hat sich aufgrund seines Verhaltens menstoß vermeiden können. gem. §§ 223 I, 227 StGB strafbar gemacht. Die gefährliche Körperverletzung tritt dabei hinter Grundsätzlich kann bei einem Dazwischentre- § 227 StGB zurück, da die Gefahr für das Le- ten Dritter in den Geschehensablauf der tatbe- ben des Tatopfers gerade durch die Qualifikati- standsspezifische Gefahrzusammenhang ent- onsgründe des § 224 I StGB (hier: Nr. 2 und fallen. Hierbei ist jedoch eine differenzierende Nr. 5) geschaffen wurde.37 Betrachtungsweise angezeigt. So ist z.B. aner- kannt, dass der Zurechnungszusammenhang IV. Fahrlässige Tötung, § 222 StGB beispielsweise nicht schon deshalb entfällt, weil bei der medizinischen Behandlung des Darüber hinaus liegt eine Strafbarkeit nach Opfers einer Körperverletzung den Ärzten ein § 222 StGB vor. § 222 StGB tritt jedoch hinter „Kunstfehler“ unterläuft. § 227 StGB in Gesetzeskonkurrenz zurück. 34 Vgl. BGH, NJW 1992, 1708 = jurisbyhemmer. 36 Andere Ansicht vertretbar. 35 Vgl. BGH, Beschluss vom 17.03.2020 – 3 StR 574/19 = 37 Vgl. Fischer, § 227 StGB, Rn. 12. Life&LAW 03/2021, 179 ff. = jurisbyhemmer. h/w/bb - 2024 Juristisches Repetitorium Augsburg - Bayreuth - Berlin/Potsdam - Bielefeld - Bochum - Bonn - Bremen Düsseldorf - Erlangen - Frankfurt/M. - Frankfurt/O. - Freiburg - Göttingen - Greifswald/ emmer Rostock - Halle - Hamburg - Hannover - Heidelberg/Mannheim - Jena - Kiel Köln - Konstanz - Leipzig - Mainz - Marburg/Gießen - München - Münster - Nürnberg Osnabrück - Passau - Regensburg - Saarbrücken - Trier - Tübingen/Stuttgart - Würzburg Klausurenkurs Klausur 2069, Lösung Seite 10 V. Ergebnis F hat sich wegen uneidlicher Falschaussage in Tateinheit mit Beihilfe zum Betrug strafbar ge- H ist gem. §§ 223 I, 227 StGB zu bestrafen. macht. Hierzu stehen § 30 II Var. 1 i.V.m. Hierzu stehen die §§ 223 I, 226 I Nr. 3, II, 22, § 154 I StGB in Tatmehrheit, § 53 StGB. 23 I StGB aus Klarstellungsgründen in Tatein- heit, § 52 StGB.38 J ist aufgrund ihres Verhaltens strafbar gem. § 222 StGB. B. Strafbarkeit der J In Betracht kommt eine fahrlässige Tötung Teil II gem. § 222 StGB. Erfolgsaussichten der Revision Der tatbestandliche Erfolg ist eingetreten. Hier- für war das Verhalten der J auch kausal. Eine auf eine Verfahrensrüge gestützte Revi- sion des H hätte dann Aussicht auf Erfolg, Der Umstand, dass das Verhalten von H für wenn insoweit eine Gesetzesverletzung vor- den Tod der B mitursächlich war, schadet nicht. liegt und das Urteil auf der Verletzung des Ge- J müsste zudem eine Sorgfaltspflicht verletzt setzes beruht, § 337 I StPO. Von Amts wegen haben. Auf Grund des Telefonierens mit dem zu berücksichtigende Verfahrenshindernisse Handy in der rechten Hand war J abgelenkt und liegen nicht vor. Als möglicher Verfahrensfehler widmete ihre Aufmerksamkeit nicht in ausrei- kommt allein in Betracht, dass eine Belehrung chendem Maße dem Straßenverkehr. J ver- darüber, ob und unter welchen Voraussetzun- stieß damit gegen die ihr gem. § 23 Ia S. 1 Nr. 1 gen das Gericht von der Verständigung hätte StVO obliegende Pflicht. abweichen können, zu keinem Zeitpunkt er- Der eingetretene Erfolg war objektiv vorherseh- folgte. Gemäß § 257c V StPO ist der Ange- bar, da ein Kraftfahrer damit rechnen muss, klagte bei einer Verständigung zwingend über dass ein Fußgänger unvorhergesehen die die Voraussetzungen und Folgen einer Abwei- chung des Gerichts von dem in Aussicht ge- Fahrbahn betritt. Ebenso ist der Pflichtwidrig- keitszusammenhang zu bejahen. Der Erfolg stellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren. war auch objektiv vermeidbar. Ebenso liegen Diese gesetzlich normierte Belehrungspflicht wurde vorliegend verletzt. Ein entsprechender Rechtswidrigkeit und Schuld vor, insbesondere hätte auch J erkennen können, dass ihr Verhal- Verfahrensfehler liegt damit vor. ten tödliche Folgen im Straßenverkehr haben Das Urteil muss gemäß § 337 I StPO auch auf kann. der Verletzung des Gesetzes beruhen. Da es Mithin hat sich J aufgrund ihres Verhaltens sich beim vorliegenden Verfahrensfehler nicht gem. § 222 StGB strafbar gemacht. um einen absoluten Revisionsgrund gemäß § 338 StPO handelt, ist das Beruhen nicht ipso iure nach § 338 StPO gegeben. Ein Urteil be- hemmer-Methode: H und J sind insoweit beide ruht hiernach dann auf einer Rechtsverletzung, unabhängig voneinander für den Tod der B ver- wenn nicht auszuschließen ist, dass der Tenor antwortlich. Es handelt sich um einen Fall der des Urteils unter Einhaltung der rechtlichen An- gesetzlich nicht explizit geregelten sog. „Ne- forderungen anders ausgefallen wäre. Dieser bentäterschaft“. Kausalzusammenhang muss aber nicht erwie- sen sein. Es genügt die bloße Möglichkeit, dass Gesamtergebnis das Urteil in diesem Sinne auf den Fehler zu- rückgeht. H hat sich aufgrund seines Verhaltens wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Betrug, Ein Beruhen in diesem Sinne könnte unter Hin- versuchter Anstiftung zum Meineid und Anstif- weis darauf, dass die Regelung in § 257c V tung zur uneidlichen Falschaussage strafbar StPO eine reine Ordnungsvorschrift sei, zu ver- gemacht, § 52 StGB. Hierzu steht die Strafbar- neinen sein. Allein in dem Fall, dass das Ge- keit wegen Körperverletzung mit Todesfolge, richt tatsächlich von einer Absprache abweicht, die aus Klarstellungsgründen in Tateinheit mit soll nach dieser Auffassung ausnahmsweise der versuchten schweren Körperverletzung die notwendige Kausalität i.S.d. „Beruhens“ steht, in Tatmehrheit, § 53 StGB. des Urteils auf der fehlenden Belehrung in Be- tracht kommen. 38 Andere Ansicht vertretbar. h/w/bb - 2024 Juristisches Repetitorium Augsburg - Bayreuth - Berlin/Potsdam - Bielefeld - Bochum - Bonn - Bremen Düsseldorf - Erlangen - Frankfurt/M. - Frankfurt/O. - Freiburg - Göttingen - Greifswald/ emmer Rostock - Halle - Hamburg - Hannover - Heidelberg/Mannheim - Jena - Kiel Köln - Konstanz - Leipzig - Mainz - Marburg/Gießen - München - Münster - Nürnberg Osnabrück - Passau - Regensburg - Saarbrücken - Trier - Tübingen/Stuttgart - Würzburg Klausurenkurs Klausur 2069, Lösung Seite 11 Da das Gericht von der Absprache vorliegend hemmer-Methode: Ebenfalls klausurrelevant nicht abgewichen ist, beruht nach dieser An- im Kontext des § 257c StPO ist Folgendes: sicht das Urteil nicht auf der fehlerhaften Beleh- „Die Bindungswirkung einer Verständigung rung. nach § 257c StPO greift nur für das Gericht, das an der Verständigung beteiligt war. Das Jedoch ist zu berückichtigen, dass in Fällen der nach einer Zurückverweisung durch das Revi- Abweichung des Gerichts von einer getroffe- sionsgericht zuständige neue Tatgericht ist nen Absprache sich ein Beweisverwertungs- nicht an die Verständigung gebunden. Dies fin- verbot ohnehin aus § 257c IV S. 3 StPO ergibt. det seine Rechtfertigung darin, dass andern- Zudem ist in teleologischer Hinsicht zu beach- falls Richter, die an einer Verständigung nicht ten, dass die Belehrung gem. § 257c V StPO beteiligt waren und eine solche gegebenenfalls erheblichen Einfluss auf die verfahrensrechtli- gar nicht oder mit anderem Inhalt getroffen hät- che Stellung des Angeklagten hat. ten, bei ihrem Urteilsspruch gebunden wä- Die Erwartung der Bindung des Gerichts an die ren.“40 getroffene Absprache bildet Anlass und Grund- lage der Entscheidung des Angeklagten über sein prozessuales Mitwirken. Er wird sich (nur bzw. vor allem) aufgrund der in Aussicht ge- stellten Strafobergrenze auf die Absprache ein- lassen und damit die Freiheit zur Selbstbelas- tung (sog. nemo-tenetur-Prinzip) aufgeben. Die Möglichkeit der Absprache entfaltet so eine we- sentliche Anreizwirkung. Deshalb muss der An- geklagte wissen, dass die Bindung des Ge- richts keine absolute ist, sondern in bestimmten Fällen entfallen kann. Unterbleibt die Belehrung hierüber, ist es dem Angeklagten nicht möglich, Chancen und Risi- ken der Mitwirkung autonom einzuschätzen. § 257c V StPO ist hiernach unmittelbarer Aus- fluss des Grundsatzes des fairen Verfahrens (vgl. Art. 6 I EMRK) und der Selbstbelastungs- freiheit. Folglich handelt es sich bei § 257c V StPO nicht um eine reine Ordnungsvorschrift, sondern um eine zentrale rechtsstaatliche Si- cherung der verfassungsmäßigen Rechte des Angeklagten. Es ist daher gerade nicht auszuschließen, dass bei erfolgter Belehrung des H dieser die Tat nicht gestanden hätte und das Urteil daher an- ders ausgefallen wäre. Damit beruht das Urteil auf der Missachtung der Belehrungspflicht und somit auf dem Verfahrensfehler. Die auf eine entsprechende Verfahrensrüge gestützte Revi- sion des H hat Aussicht auf Erfolg.39 39 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.08.2014 – 2 BvR 2048/13 = 40 Näher hierzu vgl. BGH, Urteil vom 23.11.2022 – 5 StR 347/22 Life&LAW 01/2015, 25 ff. = jurisbyhemmer. = Life&LAW 07/2023, 460 ff. = jurisbyhemmer. h/w/bb - 2024

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