Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen PDF

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kindliche Gesundheit Jugendgesundheit Gesundheitspsychologie Entwicklungspsychologie

Summary

Dieser Text beschreibt die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Er beleuchtet wichtige Aspekte der Entwicklung, Gesundheit und Krankheit bei Kindern und Jugendlichen. Die Bedeutung verschiedener Einflussfaktoren, wie Familie und Schule, auf die Gesundheit wird ebenfalls thematisiert. Die Gesundheitspsychologie und die Entwicklungspsychologie sind die Hauptkeywords.

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B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 3, Kapitel 1 1 1 Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen/Setting Schule Lernziele Nach der Lektüre dieses Kapitels  können Sie erklären, warum die Kindheit und die Jugend für die Gesundheitspsychologie relevant...

B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 3, Kapitel 1 1 1 Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen/Setting Schule Lernziele Nach der Lektüre dieses Kapitels  können Sie erklären, warum die Kindheit und die Jugend für die Gesundheitspsychologie relevante Lebensabschnitte sind,  können Sie wichtige Entwicklungsaufgaben in der Kindheit und Jugend beschreiben und diese in Bezug zu Gesundheit und Krankheit setzen,  können Sie unterschiedliche Theorien zur Entwicklung von Krankheitskonzepten bei Kindern und Jugendlichen beschreiben und kritisch bewerten,  können Sie den ökologisch-systemischen Ansatz auf die Entwicklung von Gesundheit und gesundheitsrelevantem Verhalten bei Kindern und Jugendlichen anwenden,  kennen Sie die Rolle der Familie in der Entwicklung von Gesundheit und gesundheitsrelevantem Verhalten,  können Sie verschiedene Ansätze zur Gesundheitsförderung bei Kindern und Jugendlichen, insbesondere im Setting Schule, beschreiben und deren Effektivität beurteilen. Unter der Kindheit wird im Allgemeinen die Lebensphase von der Geburt bis circa 11 Jahren verstanden, wobei die Zeit von 0 bis etwa 5 Jahren als frühe Kindheit und die Zeit von etwa 6 bis 11 Jahren als mittlere Kindheit bezeichnet wird (Lohaus & Klein-Heßling, 2009). Die Jugend oder Adoleszenz beginnt mit dem Eintritt in die Pubertät mit etwa 12 bis 13 Jahren und endet mit dem Eintritt ins Erwachsenenalter mit etwa 18 Jahren (Grob, 2007). Häufig wird die Kindheit als der gesündeste Lebensabschnitt betrachtet. Aus diesem Grund wurde sie in der Gesundheitspsychologie lange Zeit vernachlässigt. Jedoch ist die Kindheit eine relevante Lebensphase, in der Verhalten erlernt und verfestigt wird. Gesundheitsverhalten, wie beispielsweise regelmäßige körperliche Betätigung (z. B. Hallal et al., 2006; Rauner et al., 2015), Essverhalten (z. B. Ashcroft et al., 2008) und Zahnhygiene (z. B. Tolvanen et al., 2010), werden in der Kindheit erlernt und bleiben über die folgenden Lebensabschnitte hinweg relativ stabil. Gewohnheiten, die sich so einmal etabliert haben, sind relativ schwer veränderlich (siehe auch Kurs 1, Kapitel 8 „Regulation gesundheitsbezogenen Verhaltens“). Damit ungesundes Verhalten gar nicht erst zur Gewohnheit wird, ist es besonders wichtig, gesundes Verhalten möglichst frühzeitig zu erlernen und zu etablieren und Risikoverhalten gar nicht erst entstehen zu lassen (Jerusalem et al., 2003). Das Jugendalter ist für die Gesundheitspsychologie relevant, da in dieser Lebensphase in besonderem Maße mit Risikoverhalten experimentiert wird. So werden in dieser Altersspanne häufig zum Beispiel Alkohol und Drogen ausprobiert und das Sexualverhalten exploriert, wobei nicht immer sichere Sexualpraktiken im Vordergrund stehen. Außerdem werden Jugendliche in ihrem Gesundheitsverhalten zunehmend unabhängig von ihren Eltern (Lohaus & Klein-Heßling, 2009). In der aktuellen Erhebung der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen (KIGGS) des Robert Koch-Instituts (RKI; Krug et al., 2018) ist positiv zu bemerken, dass in Deutschland 96.8 % der Kinder und Jugendlichen im Alter von 3 bis 17 Jahren täglich Obst und Gemüse essen. Allerdings konsumiert etwa die Hälfte der Kinder und Jugendlichen weniger als drei Portionen am Tag. Fünf oder mehr Portionen Obst und Gemüse essen nur 14.0 %. Durchschnittlich trinken Kinder und Jugendliche etwa einen halben Liter zuckerhaltige Erfrischungsgetränke täglich. Regelmäßig Sport treiben 70.9 % der Mädchen und 75.1 % der Jungen, wobei nur 31.4 % der B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 3, Kapitel 1 2 Mädchen und 45.0 % der Jungen mehr als 180 Minuten pro Woche Sport treiben. Ältere Kinder und Jugendliche und Kinder und Jugendliche mit höherem sozioökonomischem Status sind aktiver. Außerdem sind Kinder und Jugendliche aktiver, deren Eltern ebenfalls sportlich aktiv sind und die in der Nähe von Sportanlagen wohnen. Die Folgen eines ungesunden Lebensstils in der Kindheit werden häufig nicht unmittelbar sichtbar, sondern manifestieren sich erst im Erwachsenenalter in Gesundheitsproblemen, wie zum Beispiel koronaren Herzerkrankungen oder Diabetes mellitus (Jerusalem et al., 2003). Die gesundheitsbezogene Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen in Deutschland wird überwiegend gut bewertet. So schätzen 95.7 % der Eltern der 3- bis 17-Jährigen die gesundheitsbezogene Lebensqualität ihrer Kinder als gut oder sehr gut ein (Poethko-Müller et al., 2018). Das bedeutet jedoch nicht, dass die Kindheit oder Jugend eine Zeit der optimalen Gesundheit ist. So leiden 16.2 % der 2- bis 17-Jährigen an einer chronischen Erkrankung (Neuhauser & Poethko-Müller, 2014) und je nach zugrunde liegendem Referenzsystem sind 14.7- 15.9 % übergewichtig und 6.1-7.0 % adipös (Schienkiewitz, Brettschneider et al., 2018; Schinkewitz, Damerow et al., 2019). Die bisherigen Zahlen bezüglich psychischer Auffälligkeiten von rund 20.0 % bei 3- bis 17-Jährigen (Hölling et al., 2014; Klasen et al. 2017) sind im Verlauf der Jahre 2020/21 gestiegen und werden vom Forschungsteam um Ravens-Sieberer in der Studie zu den Auswirkungen von COVID-19 1 auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen (COPSY) fortlaufend untersucht (Ravens-Sieberer et al., 2021; vgl. https://www.uke.de/kliniken-institute/kliniken/kinder-und-jugendpsychiatrie-psychotherapie-und- psychosomatik/forschung/arbeitsgruppen/child-public-health/forschung/copsy-studie.html). Eine gesunde Kindheit ist nicht nur bezogen auf Gesundheitsoutcomes wichtig, sondern sagt auch eine positive Entwicklung (Lohaus & Klein-Heßling, 2009) und bessere Bildungsoutcomes vorher (Dadaczynski, 2012). 1.1 Entwicklung und Gesundheit In der Kindheit und Jugend finden grundlegende Entwicklungsprozesse statt. Diese hängen von unterschiedlichen individuellen und ökologischen Faktoren ab und legen den Grundstein für ein gesundes Leben. Im Folgenden wird die Entwicklung auf verschiedenen theoretischen Grundlagen beruhend betrachtet und in Zusammenhang mit Gesundheit gesetzt. 1.1.1 Entwicklungsaufgaben Im Laufe ihres Lebens müssen Personen bestimmte Aufgaben meistern, um ein glückliches, erfolgreiches und erfülltes Leben zu führen. Diese Aufgaben werden als Entwicklungsaufgaben bezeichnet (Havighurst, 1948). Sie entstehen durch ein Zusammenspiel von kulturellen Erwartungen, körperlicher Entwicklung und Persönlichkeitsentwicklung. Von Kindern in einem westlichen Kulturkreis wird zum Beispiel erwartet, dass sie mit ungefähr sieben Jahren Lesen und Schreiben können. Entwicklungsaufgaben sind von kritischen Lebensereignissen abzugrenzen (siehe Kurs 1, Kapitel 3 „Stress und Stressbewältigung“). Entwicklungsaufgaben stellen Anforderungen dar, mit denen jeder in einem bestimmten Alter konfrontiert wird. So steht in der frühen Kindheit (0-5 Jahre) die motorische und sensorische Entwicklung, Bedürfnisregulation sowie Bindung an die primäre Bezugsperson im Vordergrund, während in der mittleren Kindheit (6-11 Jahre) mit dem Eintritt in die Schule Kulturtechniken, wie Lesen und Schreiben, erlernt 1 COVID-19: Erkrankung an dem Erreger Severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2 (SARS-CoV-2) B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 3, Kapitel 1 3 werden. In der Jugend (12-18 Jahre) ist schließlich Autonomie von den Eltern zu erlangen sowie eine eigenständige Identität zu entwickeln (Lohaus & Klein-Heßling, 2009). Entwicklungsaufgaben und ihre gesundheitsbezogenen Korrelate Die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben birgt Chancen und Risiken für die Gesundheit. In der frühen Kindheit entwickeln sich die Bindung zu den primären Bezugspersonen und mit dem Eintritt in die Krippe oder den Kindergarten grundlegendes Sozialverhalten. Diese stellen wertvolle Ressourcen für die Gesundheit dar. Weiter spielt die Unterstützung der Bezugspersonen eine wichtige Rolle bei der Bildung von Gewohnheiten und Automatismen, wie regelmäßige Zahnhygiene. In der mittleren Kindheit können durch Erfolgserlebnisse in der Schule Selbstwirksamkeitserwartung und Selbstwertgefühl geprägt werden, die Grundlagen für gesundes Verhalten sind. Überwiegen jedoch Misserfolge, sinkt die Selbstwirksamkeitserwartung. In der Folge kann eine Abwärtsspirale mit zunehmendem Risikoverhalten entstehen. In der Jugend wird mehr und mehr Selbstverantwortung übernommen und neue Erfahrungen werden exploriert. Häufig werden in dieser Zeit verschiedene Risikoverhaltensweisen wie zum Beispiel Alkohol- oder Zigarettenkonsum ausprobiert (Lohaus & Klein-Heßling, 2009). Für eine Zusammenfassung von wichtigen Entwicklungsaufgaben sowie gesundheitsrelevanten Korrelaten siehe Tabelle 1.1. Tabelle 1.1 Wichtige Entwicklungsaufgaben der jeweiligen Lebensabschnitte mit deren gesundheitsbezogenen Korrelaten Lebensabschnitt Entwicklungsaufgabe Gesundheitsbezogene Korrelate Bindungsqualität Frühe Kindheit Erlernen von Bedürfnisregulation Sozialverhalten (0-5 Jahre) Eintritt in den Kindergarten Verhaltensroutinen Selbstwertgefühl Mittlere Kindheit Ausbau intellektueller Kompetenzen Selbstwirksamkeitserwartung (6-11 Jahre) Entwicklung der Selbstkontrolle Bedrohungswahrnehmung Selbstkonzept Unabhängigkeit von den Eltern Suche nach neuen Erfahrungen Jugend Anerkennung der Peer-Group Oppositionelles und Risikoverhalten (12-18 Jahre) Aufnahme intimer Beziehungen Selbstverantwortung Anmerkung. Nach Lohaus und Klein-Heßling, 2009, S. 169. Krankheit und die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben Eine Erkrankung stellt in jedem Fall eine zusätzliche Belastung dar. Daraus folgt, dass gesundheitliche Einschränkungen, insbesondere chronische Krankheiten, die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben erschweren. So können Erkrankungen, die mit körperlichen Einschränkungen verbunden sind, die motorische Entwicklung in der frühen Kindheit einschränken. Außerdem kann die Freizeitgestaltung bei kranken Kindern, zum Beispiel durch häufige Arztbesuche, beeinträchtigt werden. Auch kann überprotektives Elternverhalten die Autonomie eingrenzen und somit die altersgerechte Entwicklung erschweren (Pfeiffer & Pinquart, 2013). Empirische Belege gibt es beispielsweise dafür, dass die Entwicklung grobmotorischer Fähigkeiten bei blind geborenen Kindern verspätet eintritt (Brambring, 2005). Außerdem wurde gezeigt, dass häufig auftretende Kinder- und Erkältungskrankheiten und vergleichbare akute Erkrankungen bei Kindern unter vier Jahren die Entwicklung von Alltagsfähigkeiten (z. B. selbstständiges Ankleiden) einschränken können (Eckhardt & Egert, 2014). Eine weitere Studie B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 3, Kapitel 1 4 fand, dass Kinder mit Asthma signifikant weniger qualitative Freundschaften berichten, besonders wenn mit der Krankheit viele Fehltage in der Schule einhergehen (Baker et al., 2012). 1.1.2 Kindliche Krankheits- und Gesundheitskonzepte Das Verständnis von Krankheit und Gesundheit verändert sich im Laufe der Entwicklung eines Kindes (z. B. Bibace & Walsh, 1972; Schmidt & Fröhling, 2000). Subjektive Krankheitskonzepte sind mentale Repräsentationen von Krankheit (Ball & Lohaus, 2010, siehe Kurs 1, Kapitel 8 „Regulation gesundheitsbezogenen Verhaltens“). Das Verständnis von kindlichen Krankheitskonzepten hilft insbesondere bei der emotionalen Unterstützung und der Förderung von Compliance und Krankheitsmanagements chronisch kranker Kinder. Krankheitsinformationen können so altersgerecht aufbereitet werden (Rushforth, 1999). Beispiele für Krankheits- und Gesundheitskonzepte von Kindern veranschaulicht Video 1.1. Video 1.1. Was sagen Kinder zum Thema „Gesundheit“? Verfügbar unter https://youtu.be/6GOF1bR6xhw Der strukturgenetische Ansatz nach Piaget Traditionell wurde der strukturgenetische Ansatz nach Piaget (1971), der von einer phasenweisen Entwicklung kognitiver Fähigkeiten ausgeht, auf die Entwicklung von Krankheitskonzepten übertragen (Bibace & Walsh, 1980). Demnach entwickeln sich Krankheitskonzepte im Kindesalter stufenweise, parallel zur kognitiven Entwicklung (siehe Tabelle 1.2). Zur Auffrischung des strukturgenetischen Ansatzes siehe Video 1.2. Video 1.2. The growth of knowledge. Verfügbar unter https://www.youtube.com/watch?v=8nz2dtv--ok Davon ausgehend sind Kinder im Vorschulalter (präoperationale Phase; 2 bis 6 Jahre) häufig nicht in der Lage zwischen Ursache und Wirkung einer Krankheit zu unterscheiden und Erklärungen für Krankheiten sind zirkulär. Zum Beispiel könnte ein dreijähriges Kind auf die Frage was eine Erkältung auslöst antworten, dass eine laufende Nase der Grund für eine Erkältung ist. Andere typische Erklärungen in dieser Phase sind Magie oder höhere Mächte. So könnten Kinder in diesem Alter davon ausgehen, dass Krankheiten von Gott kommen. Beschreibungen von Krankheiten beschränken sich überwiegend auf sichtbare Merkmale, zum Beispiel, dass man im Bett liegen muss, wenn man krank ist. Allgemein sind Krankheitskonzepte in dieser Phase noch wenig differenziert. Im Grundschulalter (konkret operationale Phase; 7 bis 11 Jahre) stellen Kinder eine Verbindung zwischen externen Ursachen und internalen Krankheitswirkungen her. Das Konzept der Ansteckung wird verstanden. Kinder gehen zum Beispiel davon aus, dass eine Krankheit durch Kontakt mit einer kranken Person übertragen werden kann. Sie verstehen, dass das schädigende Ereignis zum Beispiel durch Schlucken oder Einatmen in den Körper eindringt (Internalisierung) und so eine Erkrankung auslösen kann. Außerdem werden bereits Annahmen über mögliche Vorsorgemaßnahmen gebildet; beispielsweise können Kinder auf dieser Entwicklungsstufe verstehen, dass man Erkältungen verhindern kann, indem man im Winter eine Jacke trägt. In dieser Phase können sichtbare und unsichtbare Symptome einer Krankheit beschrieben werden. Zum Beispiel kann eine Erkältung mit einer laufenden Nase und Husten, aber auch mit dem Gefühl von Erschöpfung beschrieben werden. B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 3, Kapitel 1 5 Im Jugendalter (formal operationale Phase; 12 bis 18 Jahre) können Krankheiten zunehmend differenzierter betrachtet werden. In der Beschreibung von Symptomen und Ursachen werden verschiedene psychologische und physiologische Faktoren einbezogen, die sowohl sichtbar als auch unsichtbar sein können. In dieser Phase könnte die Erklärung für eine Erkrankung beispielsweise sein, dass sie durch eine Fehlfunktion der Organe ausgelöst wurde und dass psychologische Faktoren eine Rolle in der Krankheitserhaltung spielen. Außerdem kann ein ungesunder Lebensstil als Krankheitserklärung herangezogen werden (Ball & Lohaus, 2010; Bibace & Walsh, 1980). Tabelle 1.2 enthält eine zusammenfassende Auflistung der zentralen Merkmale der Krankheitskonzepte auf den unterschiedlichen kognitiven Entwicklungsstufen. Tabelle 1.2 Phasen der Entwicklung subjektiver Krankheitskonzepte Entwicklungsphase Subjektives Krankheitskonzept Erklärungen sind zirkulär oder magisch 1. Präoperationale Phase Beschreibungen beschränken sich auf sichtbare Merkmale Erklärungen sind Ansteckung und Internalisierung 2. Konkret operationale Phase Sichtbare und unsichtbare Symptome können beschrieben werden Erklärungen und Beschreibungen beziehen multiple 3. Formal operationale Phase physiologische und psychologische Faktoren ein Anmerkung. Nach Bibace und Walsh, 1980, S. 35. Eine Stärke der strukturgenetischen Betrachtungsweise ist, dass sie Ansatzpunkte für altersgemäße Präventions- und Gesundheitsförderungsprojekte bietet. Der kognitive Stand der Kinder kann so in die Präsentation von gesundheitsrelevanten Informationen einbezogen werden. Hansdottir und Malcarne (1998) bestätigten empirisch, dass die Beschreibung von Krankheiten von Kindern ihrer kognitiven Entwicklungsphase nach Piaget (1971) entspricht. Jedoch wird dieser Ansatz häufig kritisiert. Zum Beispiel wird bemängelt, dass die Phasen nach Piaget die kognitiven Fähigkeiten von jüngeren Kindern unterschätzen. So haben möglicherweise bereits sehr junge Kinder ein intuitives Verständnis von grundlegen Prozessen, verfügen aber noch nicht über die sprachlichen Fähigkeiten, dieses auszudrücken (Schmidt & Fröhling, 2000). Ein weiterer grundlegender Kritikpunkt besteht darin, dass es unwahrscheinlich ist, dass sich Kinder in Phasen mit definierbaren Altersgrenzen entwickeln. Unklarheit besteht auch darüber, wodurch der Übergang von einer Phase in die nächste angestoßen wird (Eiser, 2007). Außerdem entwickeln sich Krankheitskonzepte über Krankheit im Allgemeinen deutlich früher als Krankheitskonzepte über spezifische Krankheiten. Des Weiteren entwickeln sich Krankheitskonzepte über verschiedene Krankheiten zu unterschiedlichen Zeitpunkten (Ball & Lohaus, 2010). So fand zum Beispiel eine Studie, dass sich Konzepte bestimmter Krankheiten, wie Erkältungen, früher und Konzepte anderer Krankheiten, wie HIV oder Krebs, später entwickeln (Schmidt & Fröhling, 2000). Wissens- oder schemabasierte Ansätze Ein wissens- oder schemabasierter Ansatz zur Erklärung der Entwicklung von Krankheitskonzepten bezieht persönliche Erfahrungen und Wissen ein. Video 1.3 demonstriert die Funktion kognitiver Schemata. Video 1.3. Schema Theory. Verfügbar unter https://youtu.be/o4HHCgFmkcI Bei einem schemabasierten Ansatz zur Entwicklung von Krankheitskonzepten wird davon ausgegangen, dass Kinder im Laufe ihres Lebens Gesundheitswissen erwerben und dieses in B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 3, Kapitel 1 6 differenzierten Schemata organisieren. Durch den Erwerb neuen Wissens sowie weiterer Erfahrung werden diese ausgebaut und erweitert. Je mehr bereichsspezifisches Wissen bereits vorhanden ist, desto leichter kann neues Wissen in das vorhandene Schema eingebaut werden. Im Gegensatz zum strukturgenetischen Ansatz wird hier nicht davon ausgegangen, dass Kinder in einer früheren Entwicklungsphase nicht in der Lage sind, krankheitsspezifische Information zu verstehen, sondern dass sie noch nicht über ausreichendes Wissen und Erfahrungen in diesem Bereich verfügen (Ball & Lohaus, 2010). Das würde zum Beispiel erklären, warum sich Krankheitskonzepte zu Krankheiten wie HIV erst in der Jugend entwickeln, wenn Sexualerziehung in den Vordergrund rückt (Eiser, 2007). Empirische Ergebnisse zu kindlichen Gesundheitskonzepten und dem Verständnis von präventivem Verhalten Neben den Konzepten zu Krankheit im Allgemeinen und zu spezifischen Erkrankungen wird auch die Entwicklung des Verständnisses von Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen untersucht. Hier fanden zum Beispiel Schmidt und Fröhling (2000), dass Gesundheit schon im Kindesalter nicht ausschließlich durch die Abwesenheit von Krankheit definiert wird, sondern mindestens eine weitere Dimension, zum Beispiel die Abwesenheit von negativem Affekt, einbezogen wird. Sie stellten außerdem fest, dass das Verständnis von Gesundheit mit zunehmendem Alter immer detaillierter und spezifischer wird und mehr Aspekte wie Energielevel, persönliche Bedeutung und Funktionalität im täglichen Leben beinhaltet. Jugendliche beziehen sich in der Beschreibung von Gesundheit zunehmend auf alltägliches Funktionieren. Andere Untersuchungen zeigten, dass jüngere Kinder Gesundheit und Krankheit als einander ausschließende Kategorien verstehen, während ältere Kinder sich vorstellen können, dass Gesundheit und Krankheit auch zeitgleich bestehen können (Bir & Podmore, 1989; Natapoff, 1978). Eiser et al. (1983) untersuchten in einer Interviewstudie das Verständnis von präventivem Verhalten von 6- bis 11-Jährigen. Fast alle Kinder konnten bereits präventive Verhaltensweisen schildern, wobei bei den jüngeren Kindern hier noch Unsicherheit bestand. Dies äußerte sich beispielsweise darin, dass 80 % der Sechsjährigen keine präventiven Maßnahmen anführen konnten. Bei den Achtjährigen kannten nur noch 10 % keine präventiven Maßnahmen. Ein Großteil der befragten Kinder nannte gesunde Ernährung als Präventionsmaßnahme. Jedoch zeigten erst ältere Kinder Verständnis dafür, was genau gesunde Ernährung ausmacht und konnten dementsprechend Konzepte wie Vitamine und Nährstoffe benennen. Kinder aller Altersklassen erwähnten auch häufig das Tragen wetterfester Kleidung und die Vermeidung von Kontakt mit Erkrankten als vorbeugende Maßnahmen. Auch jüngere Kinder in dieser Untersuchung wussten bereits, dass Zähneputzen wichtig ist. Ältere Kinder verstanden zunehmend auch die Relevanz von Vorsorgeuntersuchungen beim Zahnarzt. Eine weitere Untersuchung bestätigte, dass Vorschulkinder noch wenig Verständnis für die Notwendigkeit einer gesunden Ernährungsweise haben. Allerdings können sie bereits logische Erklärungen für die Notwendigkeit von physischer Aktivität und Zähneputzen geben (Lasky & Eichelberger, 1985). Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass sich das Wissen über unterschiedliche präventive Verhaltensweisen zu unterschiedlichen Zeitpunkten ausprägt. 1.1.3 Der ökologisch-systemische Ansatz Kinder entwickeln sich nicht losgelöst von ihrer Umgebung. Verschiedene Umwelteinflüsse wirken auf Kinder und ihre Entwicklung ein. Daher sollte in eine Betrachtung der Entwicklung im Bereich Gesundheit und Krankheit auch immer die Umwelt einbezogen werden, da diese das B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 3, Kapitel 1 7 Gesundheitsverhalten und die Gesundheit von Kindern zu einem großen Teil prägt. Zur Beschreibung des Zusammenspiels von Kind und Umwelt eignet sich der ökologisch-systemische Ansatz nach Bronfenbrenner (1977; siehe Abbildung 1.1). Dieser Ansatz gilt als genereller Zugang in der Gesundheitspsychologie (siehe Kurs 1, Kapitel 1 „Einführung in die Gesundheitspsychologie“), der konsequenterweise auch dem gesundheitspsychologischen Verständnis der gesundheits- und krankheitsbezogenen Entwicklung zugrunde liegt. Bronfenbrenner (1977) beschreibt die Entwicklung von Kindern als das Resultat von Interaktionen zwischen dem Individuum mit seinen Eigenschaften und Prädispositionen und verschiedenen Umweltkontexten. Diese Kontexte können auf vier Ebenen beschrieben werden. Als Mikrosystem wird die unmittelbare Umgebung des Kindes bezeichnet, mit dem ein Kind direkt interagiert. Hierzu gehören Familienmitglieder, Freund:innen, Lehrende und Erzieher:innen. Die Eltern beeinflussen zum Beispiel das Angebot an gesunden Nahrungsmitteln zu Hause und sind vor allem bei kleineren Kindern für die Gesundheitserziehung zuständig. Das Mesosystem betrifft Beziehungen und Interaktionen zwischen den verschiedenen Mikrosystemen. Zum Beispiel können Eltern durch Erzieher:innen dazu angeregt werden, auch zu Hause auf ausreichenden Sonnenschutz zu achten, oder Eltern können versuchen, auf das Nahrungsangebot in der Schule Einfluss zu nehmen. Als Exosystem werden die Interaktionen zwischen Agierenden des Mikrosystems und der Umwelt, zu der das Kind nicht unmittelbar gehört, bezeichnet. Beispielsweise können Eltern ihre arbeitsbedingte Stressbelastung auf ihre Kinder übertragen. Das weiteste Umfeld ist das Makrosystem. Innerhalb dieses Systems spielen sich alle Interaktionen und Beziehungen ab. So nehmen etwa gesellschaftliche Normen Einfluss darauf, welche Nahrungsmittel überwiegend zur Verfügung stehen, oder es wird durch gesetzliche Vorgaben geregelt, ob Werbung für Tabakprodukte erlaubt ist. Zuletzt geschieht Entwicklung innerhalb einer zeitlichen Dimension, dem Chronosystem. Das Kind entwickelt sich im Laufe der Zeit weiter, und ebenso können sich Einstellungen der Eltern ändern, oder gesetzliche Vorgaben, beispielsweise für die Abgabe von Tabakprodukten, können neu erlassen werden. Diese und weitere Determinanten können die Entwicklung des Kindes beeinflussen (Lohaus & Vierhaus, 2015). Abbildung 1.1 Das ökologisch-systemische Modell der Entwicklung von Kindern nach Bronfenbrenner, 1977. Aus Ahnert und Haßelbeck, 2014, S. 37 B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 3, Kapitel 1 8 Der Sozialisationskontext Familie Ein gerade in jungen Jahren besonders relevanter Sozialisationskontext ist die Familie. Besonders die Eltern spielen eine wichtige Rolle für das Gesundheitsverhalten ihrer Kinder und viele als effektiv bewertetet Programme, die zum Beispiel Kinderübergewicht anzielen, richten sich sogar ausschließlich an Eltern (de Vries et al., 2008). Eltern treffen medizinische Entscheidungen für ihre Kinder, zum Beispiel darüber, ob die Kinder geimpft werden, und Entscheidungen, die das Gesundheitsverhalten prägen, wie die Verfügbarkeit und Erreichbarkeit kalorienreicher Snacks im Haushalt (Tinsley & Burleson, 2011). Außerdem können Eltern das Gesundheitsverhalten ihrer Kinder direkt über Ermutigung und Unterstützung fördern, indem sie die Mitgliedschaft in einem Sportverein ermöglichen oder den Transport zu sportlichen Aktivitäten übernehmen (Beets et al., 2010). Im frühen Kindesalter sind Eltern für die Entwicklung von Gesundheitsroutinen und Automatismen, wie regelmäßiges Zähneputzen oder Verzicht auf das Auto bei kurzen Strecken, verantwortlich (Lohaus & Klein- Heßling, 2009). Nahrungsmittelpräferenzen können von Eltern beispielsweise durch wiederholtes Anbieten bestimmter Nahrungsmittel geprägt werden (Mura Paroche et al., 2017). Weiterhin übernehmen Eltern eine Vorbildfunktion, etwa in Bezug auf das Essverhalten (Mura Paroche et al., 2017) und bei sportlicher Aktivität sowie beim Medienkonsum (Drenowatz et al., 2014). Ein weiterer Einflussfaktor ist der Erziehungsstil der Eltern. Als besonders gesundheitsförderlich hat sich ein autoritativer Erziehungsstil, gekennzeichnet durch Unterstützung und Wärme, aber auch Kontrolle, erwiesen. Weniger positiv wirken sich ein autoritärer Erziehungsstil, der sich durch übermäßige Kontrolle auszeichnet, ein permissiver Erziehungsstil, der durch mangelnde Kontrolle gekennzeichnet ist, oder ein gleichgültiger Erziehungsstil, mit wenig Wärme und wenig Kontrolle, aus (Jackson & Dickinson, 2009; Lohaus & Klein-Heßling, 2009). Die Überlegenheit des autoritativen Erziehungsstils zeigte sich in empirischen Studien zum Beispiel für Ess- (Johannsen et al., 2006), Schlaf- und Bewegungsverhalten (Philips et al., 2014). 1.2 Gesundheitsförderung und Prävention bei Kindern in Deutschland Häufige Settings zur Gesundheitsförderung und Prävention bei Kindern in Deutschland sind Schulen sowie Kitas oder Kindergärten. Die meisten Programme sind universell ausgerichtet und richten sich an keine eingegrenzte Zielgruppe. Eine geringe Anzahl von Programmen ist auf Risikogruppen oder bereits betroffene Kinder zugeschnitten. Viele Programme haben die Förderung allgemeiner Lebenskompetenzen zum Ziel. Andere Beispiele für Programmziele sind Gewaltprävention, Prävention von Verhaltensstörungen, gesunde Ernährung und Vorbeugung von Essstörungen, sowie Suchtprävention. Die Programme werden überwiegend von Lehrpersonal oder Erzieher:innen, seltener von Gesundheitsfachkräften durchgeführt (Kaluza & Lohaus, 2006). Zusammengenommen zeigt eine Meta-Analyse, dass evaluierte Programme zur Gesundheitsförderung und Prävention bei Kindern in Deutschland überwiegend wirksam sind und kleine bis mittlere Effektstärken aufweisen. Besonders hohe Effekte werden bezüglich Wissen und sozialkognitiver Faktoren erzielt. Für tatsächliches Gesundheitsverhalten werden vor allem bei Programmen, die allgemeine Lebenskompetenzen fördern, jedoch nur kleine Effekte gefunden. Programme mit spezifischeren Zielen, wie Rauchprävention oder Stressbewältigung, sind diesbezüglich im Allgemeinen effektiver (Beelmann et al., 2014). Einige Autoren raten, dass Programme vermehrt so früh wie möglich ansetzen sollten, um gutes Gesundheitsverhalten zu etablieren und Risikoverhalten rechtzeitig vorzubeugen (Kaluza & Lohaus, 2006). Weiterhin wird der Einsatz multimodaler Präventionsprogramme und im Einklang mit dem ökologisch B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 3, Kapitel 1 9 systemischen Ansatz der Einbezug von zentralen Bezugspersonen empfohlen (Petermann & Petermann, 2011). 1.2.1 Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention im Setting Schule Im Schulalter nimmt die elterliche Kontrolle nach und nach ab und der Einfluss von Gleichaltrigen zu. Durch die herrschende Schulpflicht bietet die Schule einen guten Rahmen, um möglichst viele Kinder zu erreichen. Als Bildungsort, wo Kinder und Jugendliche einen Großteil ihrer Zeit verbringen und wo die kognitive und soziale Entwicklung vorangetrieben wird, eignet sich die Schule gut, um Krankheitspräventions- und Gesundheitsförderungsmaßnahmen in einem Gruppensetting durchzuführen (Dadaczynski et al., 2015). In Deutschland ist der Auftrag der Gesundheitsförderung für Schulen im Präventionsgesetz festgehalten. Die Schule wird hier als Lebenswelt charakterisiert und stellt ein wichtiges Setting zur Gesundheitsförderung dar (siehe Kurs 2, Kapitel 1 „Gesundheitsförderung“). In den meisten Bundesländern wird der Auftrag der Gesundheitsförderung im Schulgesetz weiter spezifiziert (Paulus et al., 2016). Ansätze der Gesundheitsförderung in Schulen Es werden drei Ansätze der Gesundheitsförderung in Schulen unterschieden (siehe Kurs 2, Kapitel 1 „Gesundheitsförderung“ und Kapitel 2 „Krankheitsprävention“): Verhaltensbezogene Gesundheitsförderung und Prävention in der Schule, gesundheitsfördernde Schule und gute gesunde Schule. Verhaltensbezogene Gesundheitsförderung und Prävention setzt bei individuellem Verhalten an, indem beispielsweise Stressbewältigung oder Umgang mit Suchtmitteln wie Alkohol thematisiert werden. Die gesundheitsfördernde Schule setzt auf Verhältnisprävention und zielt auf Prozesse und Strukturen in der Schule ab, die mit Gesundheit in Beziehung stehen. Das geschieht etwa durch die Schaffung von Möglichkeiten zur Bewegung oder die Verbesserung des Nahrungsmittelangebots in Schulen. Gute gesunde Schule ist ein ganzheitlicher Ansatz, der von wechselseitigen Beziehungen zwischen Bildung und Gesundheit ausgeht. Somit ist das Ziel nicht nur Gesundheitsförderung durch Bildung zu ermöglichen, sondern auch qualitativ bessere Bildung durch Gesundheitsförderung zu unterstützen. Hierbei wird nicht nur die Gesundheit der Schüler:innen, sondern die Gesundheit aller Akteur:innen in der Lebenswelt Schule einbezogen, das heißt auch die Gesundheit der Lehrenden (Dadaczynski et al., 2015). Die positive Wirkung des Ansatzes gute gesunde Schule wird von verschiedenen Studien gestützt, die belegen, dass die Beziehung von Bildung und Gesundheit wechselseitig ist. So besteht ein Zusammenhang zwischen Übergewicht und schlechterer schulischer Leistung (Dadaczynski, 2012). Mit der Umsetzung des Präventionsgesetzes (siehe hierzu Kurs 2, Kapitel 2 „Krankheitsprävention“) wird die gute gesunde Schule als ganzheitlicher Ansatz vorangetrieben (Paulus et al., 2016). Programmarten für Kinder und Jugendliche Die zwei bedeutsamsten Programmarten für Kinder und Jugendliche sind Lebenskompetenzprogramme und Standfestigkeitstrainings. Lebenskompetenzprogramme sind verhaltensunspezifisch und zielen auf die Förderung allgemeiner Fähigkeiten und Bewältigungskompetenzen ab. Die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization [WHO], 1994) definiert Lebenskompetenzen als Fähigkeiten für adaptives und positives Verhalten, die es Individuen ermöglichen die Anforderungen und Herausforderungen des täglichen Lebens zu meistern. Sie spezifiziert zehn zentrale lernbare Kompetenzen, die relevant für ein gesundes und erfülltes Leben sind (siehe Kasten 1.1). Bei diesem Ansatz wird Risikoverhalten als entwicklungsbedingt durch einen Mangel an B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 3, Kapitel 1 10 Bewältigungskompetenzen betrachtet. In Programmen, die diesen Ansatz verfolgen, wird daher die Persönlichkeit gestärkt, wodurch Risikoverhalten vorgebeugt werden soll (Jerusalem, 2003). Evaluationen von Lebenskompetenzprogrammen zeigen positive Kurz- und Langzeiteffekte auf den Tabak-, den Marihuana- und teilweise auf den Alkoholkonsum. Außerdem wurden vielversprechende Ergebnisse bezüglich Gewalt- und Aggressionsprävention gefunden (Botvin & Griffin, 2004). Eine Meta-Analyse deutscher Programme fand, dass Lebenskompetenzprogramme wirksam zur Vorbeugung von Tabakkonsum und zur Vorbeugung von Alkoholkonsum sind. Gefunden wurden differenzierte Ergebnisse je nachdem, zu welchem Zeitpunkt die Programme durchgeführt wurden. Wenn sie bereits in der Grundschule durchgeführt wurden, senkten sie die Lebenszeitprävalenz von Tabakkonsum. Nur eine der einbezogenen Studien untersuchte die Wirkung von Lebenskompetenzprogrammen in der Grundschule auf die Lebenszeitprävalenz von Alkohol und fand einen mittleren Effekt. Wenn Lebenskompetenzprogramme in der Sekundarstufe durchgeführt wurden, waren sie effektiv in der Senkung des aktuellen Konsums von Tabakprodukten und Alkohol sowie der Senkung der Lebenszeitprävalenz von Alkoholkonsum. Lebenskompetenzprogramme sind also wirksam zur Prävention von Substanzmittelkonsum. Es ist jedoch noch unklar, wie stabil diese Effekte sind (Bühler, 2016). 1. Entscheidungsfähigkeit ermöglicht einen konstruktiven Umgang mit Entscheidungen des täglichen Lebens und kann die Gesundheit beeinflussen, indem Personen aktiv Entscheidungen über ihre Gesundheit treffen und unterschiedliche Optionen in Betracht ziehen können. 2. Problemlösefähigkeit ermöglicht einen konstruktiven Umgang mit Problemen. Ungelöste Probleme können Stress und physische Anspannung verursachen. 3. Kreatives Denkvermögen ermöglicht es, unterschiedliche Konsequenzen von Handlungen oder Nicht-Handlungen auch ohne direkte Erfahrung zu berücksichtigen und erleichtert dadurch das Treffen von Entscheidungen sowie Problemlösen. 4. Kritisches Denkvermögen ermöglicht einen objektiven Umgang mit Informationen und Erfahrungen. Es kann Gesundheit beeinflussen, indem es ermöglicht, Faktoren, wie Einstellungen und Normen, die das Gesundheitsverhalten beeinflussen, zu erkennen und zu bewerten. 5. Effektive Kommunikation ermöglicht, dass Personen sich verbal und nonverbal angemessen ausdrücken können. 6. Fähigkeit zu zwischenmenschlichen Beziehungen ermöglicht es, positive Beziehungen zu Mitmenschen zu haben, aber auch Beziehungen konstruktiv zu beenden. Sie ist für die Gesundheit relevant, da andere Menschen eine Quelle für soziale Unterstützung darstellen und Freundschaften das mentale und soziale Wohlbefinden fördern. 7. Selbsterfahrung beinhaltet die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis und die Kenntnis unserer Stärken, Schwächen, Vorlieben und Abneigungen. Sie kann helfen Stress und Druck zu erkennen und ist besonders wichtig für effektive Kommunikation, zwischenmenschliche Beziehungen und Empathie. 8. Empathie ist die Fähigkeit sich in andere hineinzuversetzen. Sie kann die Bereitschaft zur Hilfestellung, Toleranz und das Überwinden von Stigmata unterstützen. 9. Emotionsbewältigung ermöglicht es, eigene Emotionen und die von anderen Menschen sowie deren Einfluss auf das Verhalten zu erkennen und angemessen auf diese zu reagieren. So kann verhindert werden, dass sich intensive Emotionen wie Wut oder Trauer negativ auf die Gesundheit auswirken. B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 3, Kapitel 1 11 10. Stressbewältigung ermöglicht es, Stressauslöser und Stressreaktionen zu erkennen und angemessen zu handeln. Kasten 1.1. Lebenskompetenzen laut dem Life Skills Ansatz der WHO (1994). Standfestigkeitstrainings finden insbesondere im Kontext von Rauch- und Alkoholprävention Anwendung. Es geht dabei hauptsächlich darum, sich dem Gruppendruck von Peers zu widersetzen (soziale Immunisierung) und eventuellen Argumenten begegnen zu können (Verhaltensimpfung). Außerdem wird mit Fehlvorstellungen über soziale Normen bezüglich des Verhaltens umgegangen. Weiter werden negative Konsequenzen des Risikoverhaltens thematisiert. Bezogen auf Standfestigkeitstrainings gestaltet es sich schwierig, umfassende Aussagen bezüglich der Wirksamkeit zu treffen, da die meisten Evaluationsstudien sich auf Programme beziehen, bei denen Standfestigkeitstraining nur eine Teilkomponente darstellt. Es konnte jedoch festgestellt werden, dass Standfestigkeitstrainings in der Lage sind, den Einstieg in den Tabak- und Alkoholkonsum hinauszuzögern. Nicht wirksam sind sie dahingegen bei Kindern und Jugendlichen die bereits gewohnheitsmäßig rauchen oder trinken. (Jerusalem, 2003). In sogenannten Mischprogrammen werden verschiedene Ansätze integriert. Verbreitet sind beispielsweise Programme, die Lebenskompetenzen und zusätzlich spezifisches Gesundheitswissen vermitteln und Programme, die zum einen Elemente aus Lebenskompetenzprogrammen und zum anderen substanzspezifische Elemente aus Standfestigkeitstrainings kombinieren (Jerusalem, 2003). 1.2.2 Suchtprävention, allgemeine Gesundheitsförderung und Gewaltprävention in Grundschulen am Beispiel des Programmes „Klasse2000“ Das Programm „Klasse2000“ ist das in Deutschland am weitesten verbreitete Präventionsprojekt in Grundschulen mit den Hauptzielen Förderung eines gesunden Lebensstiles, Prävention von Substanzmittelkonsum und Gewaltprävention. Das Programm ist ein Mischprogramm, bei dem die Vermittlung von Lebenskompetenzen sowie spezifischem Gesundheitswissen im Vordergrund stehen. Es wird seit 1991 in den Klassenstufen 1 bis 4 durchgeführt. Im Jahr 2017 nahmen deutschlandweit bereits 20,255 Klassen teil (Klasse2000, 2017). Durchgeführt wird das Programm von Lehrkräften mit Unterstützung von Gesundheitsexperten. In jedem Schuljahr werden zwölf bis fünfzehn Einheiten des Programms durchgeführt (siehe Video 1.4). Die Finanzierung des Programms erfolgt über Patenschaften (Hollederer & Bölcskei, 1998). Video 1.4. Klasse2000: Wie funktioniert das Programm? Verfügbar unter https://youtu.be/1RPl0NpyoVY Die theoretischen Grundlagen des Programms entstammen der sozialkognitiven Theorie und der Theorie des geplanten Verhaltens (siehe Kurs 1, Kapitel 9 „Gesundheitsverhaltensmodelle I“), dem Selbstmanagement-Ansatz und der Theorie der sozialen Informationsverarbeitung. Auf der Grundlage der sozialkognitiven Theorie wird Selbstwirksamkeit gestärkt. Dieses wird zum Beispiel durch Rollenspiele erreicht, anhand derer Gesundheitsverhalten erlebbar gemacht wird. Die Theorie des geplanten Verhaltens besagt, dass Intentionen für Gesundheitsverhalten das Resultat von Einstellungen, subjektiven Normen und Verhaltenskontrolle sind. Im Programm „Klasse2000“ werden daher korrekte Informationen über die Wirkung von Substanzen vermittelt, Normverzerrungen behandelt und kritische Bewertung von Verhaltensweisen geübt. Gemäß dem B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 3, Kapitel 1 12 Selbstmanagement-Ansatz wird Eigenverantwortlichkeit betont. So führen Kinder zum Beispiel selbstständig Aufgaben wie Experimente zur gesunden Ernährung durch und lernen somit ihr Gesundheitsverhalten eigenständig zu steuern. Die Theorie der sozialen Informationsverarbeitung geht davon aus, dass aggressivere Kinder Situationen tendenziell als bedrohlicher einschätzen und wenige Handlungsalternativen sowie wenige negative Konsequenzen wahrnehmen. Um dem vorzubeugen, werden Empathie und effektives Problemlösen trainiert. Zusätzlich werden im Programm Schutzfaktoren wie „Nein sagen“ und kritischer Medienkonsum gestärkt und Risikoverhalten wie Bullying geschwächt (Storck & Beer, 2013). Das Programm „Klasse2000“ wird fortwährend evaluiert. Hauptsächlich wurden die Auswirkungen auf das Rauch- und Trinkverhalten untersucht. So wurde zum Beispiel gefunden, dass das Programm einen späteren Einstieg in den Gebrauch von Alkohol und Tabak bewirkt. In einer Evaluationsstudie wurde der Einstieg in den Alkohol- und Zigarettenkonsum bei Kindern am Ende der dritten Klasse, die am Programm „Klasse2000“ und einer Kontrollgruppe, die nicht teilgenommen hatte, untersucht. Als Einstieg wurde das einmalige Probieren der Substanzen gewertet und es wurde untersucht, ob entweder nur Zigaretten oder nur Alkohol oder beides bereits probiert wurde. Es zeigte sich, dass signifikant weniger Kinder, die am Programm teilgenommen haben, am Ende der dritten Klasse Zigaretten und/oder Alkohol probiert haben. Außerdem wirkte sich das Programm positiv auf den späteren Einstieg in den Alkoholkonsum unabhängig vom Zigarettenkonsum und auf den späteren Einstieg in den Zigarettenkonsum unabhängig vom Alkoholkonsum aus (siehe Abbildung 1.2; Maruska et al., 2011). Abbildung 1.2 Einstiegsraten in den Substanzkonsum am Ende des dritten Schuljahres. Aus Maruska et al., 2011, S. 309 Auch auf lange Sicht wirkt sich das Programm positiv auf das Rauchverhalten aus. In einer Follow-Up Studie nach vier Jahren hatten in der Interventionsgruppe immer noch signifikant weniger Kinder das Rauchen probiert. Die Prävalenzrate von rauchenden Kindern war in der Interventionsgruppe ebenfalls niedriger. Bezogen auf den Alkoholkonsum sind die Ergebnisse weniger eindeutig (Isensee et al., 2015). Weiter wurden Effekte auf das Gesundheitsverhalten 16 Monate nach dem Programmende untersucht. Gefunden wurde, dass Kinder, die am Programm „Klasse2000“ teilnahmen, mehr B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 3, Kapitel 1 13 Möglichkeiten sehen, selbst etwas für ihre Gesundheit zu tun. Hierbei waren sie sich vor allem der Wichtigkeit von gesunder Ernährung bewusst (Maruska et al., 2010). Weiterhin zeigte eine andere Evaluationsstudie, dass „Klasse2000“ zumindest kurzfristig einer alterstypischen Verschlechterung des Ernährungs- und Bewegungsverhaltens vorbeugt (Kolip, 2017). 1.2.3 Förderung der seelischen Gesundheit und Prävention von Depressionen und Angststörungen am Beispiel des Programmes „GO!“ Ein Programm im Setting Schule, das sich an Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren richtet und die Förderung der seelischen Gesundheit sowie die Prävention von Depressionen und Angststörungen zum Ziel hat, ist „Gesundheit und Optimismus (GO!)“ (Junge et al., 2002). Das Programm ist ein universelles Präventionsprogramm. Es wird von qualifizierten Trainer:innen im Klassenverband durchgeführt und basiert auf kognitiv verhaltenstherapeutischen Grundlagen. Für Trainer:innen gibt es ein ausführliches Programmmanual und Arbeitsmaterialien wie Arbeitsblätter, Quizzes und Vorgaben zu Rollenspielen. Tabelle 1.3 Ablauf des Programms „GO!“ Sitzung Inhalt Gegenseitiges Kennenlernen Einführung in das Programm 1. Einführung „Let’s GO!“ Erfahrungen mit Stress Die vier Komponenten von Stress Stressexperiment 2. Denken, Fühlen, Handeln Das Zusammenspiel von Gedanken, Gefühlen, Körper und Verhalten Was ist Angst? Gesund oder krank? 3. Angst I „Angst unter der Lupe” Die Angstreaktion Angst vor der Angst Spezifische und soziale Ängste 4. Angst II „Sich in die Höhle des Aufrechterhaltung, Vorbeugung und Bewältigung von Angst Löwen wagen“ Strategien gegen Denkfehler und Vermeidungsverhalten Depressive Stimmung und Depression 5. Depression „Die schwarze Aufrechterhaltung, Vorbeugung und Bewältigung depressiver Brille“ Stimmung Denk- und Verhaltensstrategien Soziale Kompetenz 6. Selbstsicherheit „Sich Schritte zur Selbstsicherheit erfolgreich durchsetzen“ Übungen zur Selbstsicherheit Stressbewältigung 7. Stressbewältigung „Achtung Systematisches Problemlösen Hochspannung“ Entspannung Wiederholung und Anwendung der erlernten Techniken Richtig oder falsch? 8. Zusammenfassung „Das war’s“ Wie helfe ich anderen und wer hilft mir? Rückmeldung und Kursabschluss Anmerkung. Nach Junge et al., 2002, S. 47-48. Insgesamt besteht das Programm aus acht Einheiten (siehe Tabelle 1.3), die jeweils 90 Minuten dauern. Die Kernthemen des Programms sind Angst (zwei Einheiten) und Depression (eine Einheit), Stressbewältigung (zwei Einheiten) und soziale Kompetenzen (eine Einheit). Jede Einheit vereint kognitive, verhaltensorientierte und soziale Anteile; Wissensvermittlung, praktische B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 3, Kapitel 1 14 Übung und Selbsterfahrung wechseln einander in den Sitzungen ab. Der kognitive Teil des Programms basiert auf Komponenten zur Behandlung von Angststörungen und Depressionen. Die Schüler:innen werden umfassend über die Entstehung von depressiven Stimmungen und Angst sowie über das Zusammenspiel von Emotionen, Kognitionen und Verhalten aufgeklärt. Außerdem werden problematische Denkstile und Verhaltensweisen aufgezeigt. Der verhaltensorientierte Teil richtet sich auf angemessene Strategien zur Bewältigung und Vorbeugung von Angst (z. B. Konfrontation) und Depressionen (z. B. positive Aktivierung). Das Kernthema Stressbewältigung wird den Schüler:innen anhand von Entspannungsübungen und Problemlösetraining nahegebracht. Der soziale Teil des Programms beschäftigt sich mit Kontaktproblemen und interpersonellen Problemen (Junge et al, 2002). Quasi-experimentelle Evaluationsstudien zeigten, dass das Programm hauptsächlich positiv auf proximale Risikofaktoren (d. h. Risikofaktoren im engeren Sinne) wie Wissen über psychische Erkrankungen, dysfunktionale Einstellungen und externe Attribution von Angststimuli wirkt. Allerdings bleiben diese Effekte nur kurzzeitig erhalten. In Follow-Up Untersuchungen nach sechs Monaten zeigt sich der Effekt des Programms nicht mehr. Bezüglich distaler Variablen (d. h. Symptombelastung) war weder kurz- noch langfristig Verbesserung zu vermerken (Manz, Junge & Margraf, 2001; Manz, Junge, Neumer et al., 2001). Es ließen sich verschiedene Moderatoren identifizieren, die mit der Wirksamkeit des Programms zusammenhängen. Zum Beispiel zeigte sich, dass Jungen mehr als Mädchen und Gesunde eher als Risikogruppen profitieren (Manz, Junge & Margraf, 2001). Außerdem deutete eine Studie in der Schweiz an, dass störungsspezifisches Wissen bei Schülern des Gymnasiums längerfristiger erhalten bleibt als bei Schülern anderer Schulformen (Balmer et al., 2007). Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass das Programm eher eine gesundheitsförderliche als eine primärpräventive Wirkung zu haben scheint. Selektive Programme außerhalb des schulischen Rahmens könnten eine höhere primärpräventive Wirkung aufweisen, da hier eine Risikogruppe direkt adressiert werden kann. Einige Autor:innen empfehlen auch eine geschlechtergetrennte Durchführung gesundheitsfördernder Maßnahmen, wie es zum Beispiel im Programm „Lebenslust mit LARS & LISA“ (Pössel et al., 2004), einem Programm zur Förderung von Lebenskompetenzen und Emotionsregulation, geschieht, um das Programm an geschlechtsspezifische Risikofaktoren anpassen zu können (Manz, Junge & Margraf, 2001). Literaturverzeichnis Ahnert, L., & Haßelbeck, H. (2014). Entwicklung und Kultur. In L. Ahnert (Ed.), Theorien in der Entwicklungspsychologie (pp. 26-59). Springer. Ashcroft, J., Semmler, C., Carnell, S., van Jaarsveld, C. H., & Wardle, J. (2008). 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