Dilthey und die geisteswissenschaftliche Pädagogik PDF

Summary

Diese PDF-Datei fasst eine Vorlesung über die geisteswissenschaftliche Pädagogik zusammen, insbesondere im Kontext von Wilhelm Dilthey. Es werden verschiedene Konzepte wie Hermeneutik, Phänomenologie und Dialektik behandelt, und die Bedeutung dieser Methoden für die pädagogische Praxis wird beleuchtet. Die Datei enthält eine umfassende Übersicht und ist für Studenten der Pädagogik relevant.

Full Transcript

PROF. DR. RUPRECHT MATTIG VORLESUNG: EINFÜHRUNG IN DIE ERZIEHUNGSWISSENSCHAFT UND IHRE THEORIEGESCHICHTE PÄDAGOGIK ALS GEISTESWISSENSCHAFT AM BEISPIEL VON WILHELM DILTHEYS ÜBERLEGUNGEN ZUR HERMENEUTIK UND BILDUNG Pädagogik als Geisteswissenschaft 2 Vertreter*...

PROF. DR. RUPRECHT MATTIG VORLESUNG: EINFÜHRUNG IN DIE ERZIEHUNGSWISSENSCHAFT UND IHRE THEORIEGESCHICHTE PÄDAGOGIK ALS GEISTESWISSENSCHAFT AM BEISPIEL VON WILHELM DILTHEYS ÜBERLEGUNGEN ZUR HERMENEUTIK UND BILDUNG Pädagogik als Geisteswissenschaft 2 Vertreter*innen der geisteswissenschaftlichen Pädagogik „Geisteswissenschaftliche Pädagogik“ als dominierender Ansatz in der ersten Hälfte des 20. Jh.; Wichtige Vertreter der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik: Wilhelm Dilthey (1833-1911), Herman Nohl (1879-1960), Wilhelm Flitner (1889-1990), Theodor Litt (1880-1962), Eduard Spranger (1882-1963), Elisabeth Blochmann (1892-1972), Otto Friedrich Bollnow (1903-1991). Pädagogik als Geisteswissenschaft 3 Grundlegende Annahmen der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik Geschichtlichkeit des Menschen; Ganzheitlichkeit des Menschen (Mensch als denkendes, fühlendes und handelndes Wesen); Zusammenhang von Bildung/Erziehung und Menschenbildern; Erkenntnis ist immer historisch bedingt. Geisteswissenschaftliche Pädagogik zielt auf qualitatives Wissen ab (Gegensatz: quantitatives Wissen) Pädagogik als Geisteswissenschaft 4 2) Grundlegende Annahmen der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik Wissenschaft und Weltanschauung (nach Danner 2006) Wissenschaftliches Forschen ist aus Sicht der geisteswissenschaftlichen Pädagogik immer abhängig von Weltanschauungen, Menschen- und Weltbildern: Wissenschaft Wissenschafts- theorie Weltanschauung, Menschen- und Weltbild Pädagogik als Geisteswissenschaft 5 Geisteswissenschaftliche Methoden Hermeneutik (z.B. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Wilhelm Dilthey, Hans-Georg Gadamer, Wolfang Klafki, Christian Rittelmeyer) Phänomenologie (z.B. Edmund Husserl, Maurice Merleau-Ponty, Martinus Langeveld, Käte Meyer-Drawe, Malte Brinkmann) Dialektik (z.B. Schleiermacher, Georg Wilhelm Friedrich Hegel) Pädagogik als Geisteswissenschaft 6 Hermeneutik im Anschluss an Wilhelm Dilthey Wilhelm Dilthey (1833-1911): Philosoph; Theologe; Pädagoge; Begründer der „Geisteswissenschaft“. „Die Natur erklären wir, das Seelenleben verstehen wir“ (Dilthey 1894). Naturwissenschaften: „Erklärung“ von (Natur-) Gesetzmäßigkeiten Geisteswissenschaften: „Verstehen“ von menschlichen Äußerungen (angelsächsischer Sprachraum: humanities); Da es in der Pädagogik um Menschen geht, ist sie (nach Dilthey) eine Geisteswissenschaft. Pädagogik als Geisteswissenschaft 7 Hermeneutik als wissenschaftliche Methode „Wir nennen den Vorgang, in welchem wir aus Zeichen, die von außen sinnlich gegeben sind, ein Inneres erkennen: Verstehen“ (Dilthey 1900). Unterscheidung zwischen: Alltäglichem Verstehen Wissenschaftlichem Verstehen Wissenschaftliches Verstehen nennt Dilthey „Auslegung“ oder „Interpretation“. Es geht um geistige Inhalte bzw. den „Geist“ eines Werkes. „Hermeneutik“: Kunst der Auslegung (vom Griechischen „hermeneuein“ = „aussagen“, „auslegen“, „übersetzen“). Pädagogik als Geisteswissenschaft 8 Die hermeneutische Spirale 1: Vorverständnis und Verständnis (Abbildung aus Danner 2006) Der Prozess des Verstehens kann nie als abgeschlossen gelten. Pädagogik als Geisteswissenschaft 9 Die hermeneutische Spirale 2: Das Ganze und die Teile Abbildung aus Danner (2006) Auch hier: der Prozess des Verstehens kann nie als abgeschlossen gelten. Pädagogik als Geisteswissenschaft 10 Hermeneutik und Erziehungswissenschaft Aufgaben der Hermeneutik in der Pädagogik (in Anlehnung an Danner 2006) 1. Auslegung von pädagogischen Texten;  Jedes Lesen erziehungswissenschaftlicher Texte bedarf einer hermeneutischen Herangehensweise. 2. Verstehen des Historischen;  Historische Bildungsforschung, Geschichte der Pädagogik etc. 3. Hypothesenbildung in der empirischen Bildungsforschung; 4. Verstehen von Erziehungswirklichkeit.  Pädagog*innen sollten ihre Zöglinge verstehen;  sie müssen sich selbst gegenüber den Zöglingen verständlich machen;  sie sollen ihre Zöglinge zum Verstehen führen. Pädagogik als Geisteswissenschaft 11 Hermeneutik und Erziehungswissenschaft Zur Bedeutung des hermeneutischen Zugangs zum Studium der Erziehungswissenschaft (nach Otto Friedrich Bollnow) „Pädagogik ist (…) die wissenschaftliche Durchleuchtung eines Phäno- menbereichs, nämlich der Erziehung. Und wenn sie letztlich auch nicht um ihrer selbst willen, sondern um der praktischen Erziehung willen geschieht, so ist der Gewinn, den der Praktiker von der Wissenschaft hat, doch anderer Art. Er besteht nicht im konkreten Ratschlag, nicht im fertigen Rezept, sondern in der Bewusstmachung seines Tuns und der Weitung seines Blicks, (…) im tieferen Verständnis der erzieherischen Zusammenhänge im ganzen, durch das er sein Tun besser verstehen und im einzelnen Fall auch besser einzurichten lernt“ (Bollnow 1969). Pädagogik als Geisteswissenschaft 12 Zum Begriff „Humanistische Bildung“ aus geisteswissenschaftlicher Sicht: Dominantes Bildungsverständnis des 19. Jh., reicht weit ins 20. Jh. Bildung als „Geistesbildung“ „Stoff“ der Bildung: vor allem große geistige Werke aus Literatur, Kunst und Musik Die alten Griechen gelten oft als Inbegriff der Humanität Dilthey als ein Vertreter dieses Bildungsverständnisses – er entwickelt eine Theorie der Bildung Pädagogik als Geisteswissenschaft 13 Zum Bildungsprozess nach Dilthey allgemein Bildungsprozesse umfassen nach Dilthey: 1. Das Denken (Begriffe, Hypothesen…) 2. Das Wollen (innere und äußere Willenshandlungen) 3. Das Fühlen (Freude, Schwermut, Ehrgefühl, Scham, Mitleid, Liebe, Sinn für Harmonie, Gerechtigkeit, Moral, Humanität…)  Bildung richtet sich auf den Menschen als Ganzen  Bedeutung von Sprache, Wissen(schaft), Fertigkeiten, Ethik und Ästhetik Pädagogik als Geisteswissenschaft 14 Ästhetische Bildung bei Dilthey (Natur-)Wissenschaft: erklärt Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge; kann das Leben selbst aber nicht deuten; Erst über Kunst gewinnt der Mensch ein humanes Welt- und Selbstverhältnis: Die Kunst „allein kann das Leben in konkreter (bildhafter) Form deuten, sich an Jedermann wenden, neue höhere Möglichkeiten des Lebens erschließen und neue ‚Ideale‘ schaffen und damit der Humanität dienen“ (Groothoff 1981).  (Natur-)wissenschaftliche und praktische Ausbildung ist wichtig; das Höchste aber ist nach Dilthey die ästhetische – und damit die moralische – Bildung („Kunst“: Von Märchen über Theater und Musik bis hin zur Kunstdichtung) Pädagogik als Geisteswissenschaft 15 „Humanität“ als Ziel der Bildung „Humanität ist der Charakter, der den Menschen als Menschen auszeichnet, den er aber immer erst eigens erwerben muß. Gemeinhin ist Jedermann in seinen Kampf um seine Interessen verwickelt. So kämpfend unterscheiden wir uns voneinander und stehen wir auch gegeneinander. Es ist aber möglich, sich aus dieser Verwicklung zu befreien – zur Besonnenheit und dem wahren, allen Menschen gemeinsamen Interesse, dem Interesse nämlich am freien Umgang miteinander, an gegenseitigem Verständnis und gegenseitiger Achtung, ohne die kein Selbstverständnis und keine Konsensbildung möglich ist“ (Groothoff 1981). Pädagogik als Geisteswissenschaft 16 Erziehung und Bildung bei Dilthey „Bildung“ ist nicht notwendig an das Generationenverhältnis gebunden; „Erziehung“ = Verhältnis zwischen der älteren und der jüngeren Generation; Erziehung ist jene „planmäßige Tätigkeit, durch welche Erwachsene das Seelenleben von Heranwachsenden zu bilden suchen.“ (Dilthey)  Humanisierung der Gesellschaft durch bildende Erziehung  Bildung als normativer Begriff  Kritik an diesem Bildungsverständnis: es ist unpolitisch gedacht Pädagogik als Geisteswissenschaft 17 Literatur: Koller, Hans-Christoph (2012) Grundbegriffe, Theorien und Methoden der Erziehungswissenschaft. Eine Einführung. 6. Aufl., Stuttgart: Kohlhammer, S. 179-183 und 200-222. Groothoff, Hans-Hermann (1981) Wilhelm Dilthey – Zur Erneuerung der Theorie der Bildung und des Bildungswesens. Hannover: Hermann Schroedel Verlag, v.a. S. 133-153. Weiterführende Literatur: Danner, Helmut (2006) Methoden geisteswissenschaftlicher Pädagogik. Einführung in Hermeneutik, Phänomenologie und Dialektik. 5. Aufl., München & Basel: Ernst Reinhard Verlag, S. 13-124. Dilthey, Wilhelm (1886) Dichterische Einbildungskraft und Wahnsinn. Leipzig: Verlag von Duncker und Humblot. Ecarius, Jutta (2008) Generation, Erziehung und Bildung: Eine Einführung. Stuttgart: Kohlhammer, S. 29-38.

Use Quizgecko on...
Browser
Browser