Einführung in die Politikwissenschaft: Parlamentarismus und Präsidentialismus (PDF)
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Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
2024
Dr. Christina-Marie Juen
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This document is a lecture or presentation on political science. It covers the topics of parliamentary and presidential systems of government, including their characteristics and functions. The presentation was held in November 2024 at Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
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EINFÜHRUNG IN DIE POLITIKWISSENSCHAFT Parlamentarismus und Präsidentialismus Dr. Christina-Marie Juen 05.11.2024 Aktuelles https://www.nytimes.com/ Seite 2 Ziele und Inhalt – Welche Regierungssysteme unterscheiden wir? – Wie funkti...
EINFÜHRUNG IN DIE POLITIKWISSENSCHAFT Parlamentarismus und Präsidentialismus Dr. Christina-Marie Juen 05.11.2024 Aktuelles https://www.nytimes.com/ Seite 2 Ziele und Inhalt – Welche Regierungssysteme unterscheiden wir? – Wie funktioniert Regierungsbildung in parlamentarischen Systemen? Seite 3 Welche Regierungssysteme unterscheiden wir? Regierungssysteme – Regierungssysteme = die Ausgestaltung und Funktionsweise eines politischen Systems – Demokratie können in präsidentielle, semi-präsidentielle und parlamentarische Regierungssysteme untergliedert werden – Worunter eine Demokratie fällt, hängt von der Beziehung zwischen – Regierung (Regierungschef und Ministerien), – Parlament, – und dem/der Präsident:in ab – Es geht daher vor allem um die Gewaltenteilung zwischen diesen Akteuren Seite 4 Gewaltenteilung Gewaltenteilung unterteilt sich in zwei Dimensionen: – Horizontale Gewaltenteilung: – Aufteilung der Staatsmacht zwischen Legislative, Exekutive und Judikative – Konkrete Aufteilung zwischen diesen 3 Gewalten unterscheidet sich in den verschiedenen Regierungssystemen – Vertikale Gewaltenteilung: – Aufteilung der Staatsmacht zwischen nationaler (bspw. Bund) und subnationalen (bspw. Länder, Kommunen) Ebenen – Zentralismus vs. Föderalismus Seite 5 Klassifizierung Abbildung aus Clark, Golder und Golder (2017, 455) Seite 6 Klassifizierung 2 Fragen: – Ist die Regierung gegenüber dem Parlament verantwortlich? – Ist das Staatsoberhaupt direkt vom Volk für eine bestimmte Dauer gewählt? Seite 7 Präsidentielle Demokratien Klassifizierung Seite 8 Präsidentielle Demokratien – Ursprünglich in den USA entstanden und später vor allem auch in Latein Amerika verbreitet – Klare Trennung der Gewalten – aber der/die Präsident:in ist sowohl Staatsoberhaupt als auch Oberhaupt der Regierung – Präsident:in ist nicht verantwortlich gegenüber dem Parlament – Präsident:in kann das Parlament nicht auflösen – Parlament kann wiederum Präsident:in nicht absetzen Seite 9 Präsident:in – Präsident:in und die Abgeordneten des Parlaments werden unabhängig voneinander in getrennten Wahlen direkt vom Volk gewählt – Legislative und Exekutive sind sehr stark voneinander getrennt – Umfassende Kompetenzen des Präsidentenamtes: – Zusammensetzung des Kabinetts – Gesetzgebende Macht – Veto im Gesetzgebungsverfahren – Amt des Präsidenten fasst sowohl symbolische als auch politische Funktion des Staatsoberhauptes in ein Amt zusammen Seite 10 Parteien – Rolle von Parteien ist schwächer – Parteidisziplin weniger stark – Abgeordnete fühlen sich gegenüber ihrem Wahlkreis verantwortlich – Erneute Nominierung für ein Amt erfolgt durch Unterstützung in Wahlkreisen – Präferenzen der Partei als weniger wichtig erachtet als jene der eigenen Wahlkreiswählerschaft Seite 11 Machtverteilung – Wahl von Exekutive und Legislative findet getrennt statt – Dadurch sehr hohe demokratische Legitimation von beiden Gewalten – Entscheidungsfindung kann dadurch erschwert werden – Exekutive und Legislative können sich nicht gegenseitig überstimmen und müssen gemeinsam Lösung finden – Oft auch schwierig innerhalb der Legislative → weniger Parteidisziplin – Entscheidungsfindung besonders schwierig, wenn Präsident:in und die Mehrheit des Parlaments einer anderen Partei angehören Seite 12 Präsidentialismus in den USA – Blockierung von politischen Entscheidungen häufig durch divided government – Beispiel: Präsident ist Demokrat, die Mehrheit im Repräsentantenhaus oder Senat halten jedoch die Republikaner – Der Kongress hat das alleinige Recht Gesetze zu verabschieden – diese können jedoch von einem Veto des Präsidenten blockiert werden – Präsident und Kongress müssen sich dann auf neuen Gesetzesentwurf einigen – Veto kann außerdem überstimmt werden, wenn beide Kammern des Kongresses (d.h. Repräsentantenhaus und Senat) dem Gesetz mit einer Zweidrittelmehrheit zustimmen Seite 13 Semi-präsidentielle Demokratien Klassifizierung Seite 14 Semi-präsidentielle Demokratien – Kombination aus direkt gewähltem:er Präsident:in und einem:r Premier, der die Regierung leitet – z.B: Österreich, Frankreich, Irland – Präsident:in ernennt das Kabinett – Die Regierung ist verantwortlich gegenüber dem Parlament – Häufig wird Premier auch von Präsident:in ernannt oder wird von Präsident:in formell bestimmt – Präsident und Premier teilen sich dadurch die Exekutivmacht im Staat – Starke Unterschiede in der Macht des:r Präsidenten:in – In Frankreich umfassende Entscheidungsmacht – In Österreich nur wenig Kompetenzen Seite 15 Semi-präsidentialismus in Österreich – Offiziell ist Präsident:in neutral, häufig aber klarer Bezug zu einer bestimmten Partei – Präsident:in bestimmt über die Ernennung des Kanzlers und setzt diesen und auch die Regierung ins Amt ein – Formell Präsident eher eine schwache Rolle – Aber: – Kann in manchen Situationen wichtig werden, bspw. Ernennung der Regierung – Präsident:in hat die Aufgabe die Demokratie zu schützen – Derzeitiger Präsident Van der Bellen hat Regierungsbildungsauftrag nach Wahl nicht an FPÖ übergeben (FAZ, 22.10.24) Seite 16 5 Minuten Pause Seite 17 Parlamentarische Demokratien Klassifizierung Seite 18 Parlamentarische Demokratien – Wähler:innen wählen nur die Mitglieder des Parlaments – Präsident wird nicht direkt vom Volk gewählt, sondern vom Parlament – Abgeordnete entscheiden auch wer Regierungschef wird und bestimmen somit über die Exekutive – Kanzler:in ist verantwortlich gegenüber dem Parlament, d.h. er/sie kann durch ein Misstrauensvotum des Amtes enthoben werden – Wohlwollen des Parlaments und oft eine Mehrheit ist daher zentral für die Regierung – Abhängigkeit der Regierung vom Parlament wird als “Verschmelzung der Gewalten” bezeichnet (Cheibub und Limongi, 2002) Seite 19 Parlamentarische Demokratien – Regierungen sind unterschiedlich mächtig in parlamentarischen Systemen – Verhältnis zwischen Kanzler:in/Premier und anderen Mitgliedern des Kabinetts unterscheidet sich stark – Beispiele: – UK: Premier formell und informell sehr mächtig, die Minister:innen haben hingegen weniger starke Positionen – Deutschland: Kanzler:in zentrale Position, jedoch haben auch die Minister:innen starke Positionen in der Regierung Seite 20 Parteien – Rolle von Parteien sehr stark ausgeprägt – Parteidisziplin ist essentiell für das Funktionieren des Systems und für Entscheidungsfindung – Für Entscheidungen relevant, da nur mit einer Mehrheit des Parlaments Entschlüsse gefasst werden können – Vor allem Koalitionsregierungen sind auf Parteidisziplin angewiesen – Auch Kandidierende sind von Parteien abhängig Seite 21 Regierungsbildung in parlamentarischen Systemen Rolle des Staatsoberhauptes – Staatsoberhaupt bestimmt Politiker:in (meist designierte Premier) als “Formateur” der Regierungsbildung (z.B. Italien) – Staatsoberhaupt bestimmt Politiker:in als “Informateur”, dann einen Formateur (z.B. Belgien) – die Regierungsbildung erfolgt durch “free-style bargaining” und Staatsoberhaupt ernennt nur an (z.B. Deutschland) – nach Konvention agiert dann die größte Partei als Formateur – Staatsoberhaupt ernennt Regierungschef Seite 22 Regierungsbildung – Bei Regierungsbildungen geht es häufig um einen Trade-Off zwischen office- und policy-seeking (Bräuninger et al., 2019) – Office-seeking bedeutet, die Parteien und Politiker:innen wollen auf jeden Fall das politische Amt – Policy-seeking bedeutet, dass Parteien ihre Inhalte und Policies durchsetzen wollen – Daraus folgend gibt es unterschiedliche Arten an Koalitionen die gebildet werden können Seite 23 Office-Seeking – Parteien wollen möglichst viele Ämter – Koalitionen angestrebt, in denen möglichst wenige Parteien beteiligt sind – wenn möglich wird eine Koalition mit nur einer anderen Partei gebildet, um möglichst viele Ämter zu erhalten – Koalition mit der kleinstmöglichen Anzahl an Parteien = minimal winning coalition – Koalition mit der kleinstmöglichen Anzahl an Parteien und mit dem kleinstmöglichen Stimmenanteil = least minimal winning coalition Seite 24 Office-Seeking – Wenn Parteien um Ministerien verhandeln: Wie viele Ministerien sollte jeder Koalitionspartner bekommen? – Möglichkeit 1: Jeder Koalitionspartner bekommt gleichviel – Da jeder Koalitionspartner für die Koalition notwendig ist – starke Verhandlungsposition für kleinere Parteien – Möglichkeit 2: Jeder Koalitionspartner bekommt Ministerien basierend auf den proportionalen Anteil den er zur Koalition beiträgt (gemessen anhand von Parlamentssitzen) – Gamsons Law als empirische Beobachtung für diese informelle Regelung Seite 25 Gamsons Law – Starker Zusammenhang zwischen Anzahl der Stimmen/Sitze und Ämter in einer Koalition – Empirisch zeigt sich aber auch, dass kleine Koalitionspartner mehr Ämter bekommen – Partei A = 90% und Partei B = 10% an Sitzanteilen, dann eher Ministerienverteilung mit Partei A < 90% und Partei B > 10% – Das hat verschiedene Gründe – Kleine Parteien können durch “Veto-Spieler”-Position mehr durchsetzen – Kleine Parteien bekommen zwar mehr Ministerien (oft damit es sich überhaupt lohnt Teil der Koalition zu sein), aber Prestige der Ministerien ist geringer Seite 26 Gamsons Law Seite 27 Eigene Replikation der Daten aus Golder und Thomas (2014) Policy-Seeking – Parteien wollen nicht nur möglichst viele Ämter, sondern vor allem ihre Policies umsetzen – Koalitionen angestrebt, in denen Parteien ihre Inhalte wirklich umsetzen können – Koalition mit Parteien, die ideologisch möglichst nahe stehend positioniert sind = connected coalition – Parteien wollen ihre Inhalte umsetzen um bei der nächsten Wahl Wähler:innen (wieder) zu gewinnen (vote seeking) Seite 28 Minderheitsregierungen – Regierungen ohne parlamentarische Mehrheit sind Minderheitsregierungen – Leben von wechselnden Mehrheiten im Parlament, die bei Gesetzgebungen organisiert werden müssen – Für stabile Minderheitsregierung braucht es eine starke Regierung mit Agenda-Setting Macht – Außerdem ist Einschluss der Median-Partei wichtig, um Positionen der Mitte zu vertreten – Minderheitsregierungen vor allem in Schweden, Dänemark, Norwegen, Spanien und Portugal Seite 29 Abschließend... Diskussionsfragen – Welche Auswirkungen könnten Minderheitsregierungen in Deutschland auf Wähler:innen, Parteien und möglicherweise die Zufriedenheit mit der Demokratie haben? Seite 30 Woche 5, 12.11.2024 Wahlsysteme – Verhältnis- vs. Mehrheitswahlsysteme – Konsequenzen von Wahlsystemen Seite 31 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Seite 32 Literatur Bräuninger, Thomas, Marc Debus, Jochen Müller und Christian Stecker. 2019. “Party competition and government formation in Germany: Business as usual or new patterns?” German Politics 28 (1): 80–100. Cheibub, José Antonio und Fernando Limongi. 2002. “Democratic institutions and regime survival: Parliamentary and presidential democracies reconsidered.” Annual review of political science 5 (1): 151–179. Clark, William Roberts, Matt Golder und Sona Nadenichek Golder. 2017. Principles of comparative politics. CQ Press. Golder, Sona N und Jacquelyn A Thomas. 2014. “Portfolio allocation and the vote of no confidence.” British Journal of Political Science 44 (1): 29–39. Seite 33