ZSMF wichtigste für QuizGecko - 3.1.4 Soziale Kombinationsansätze
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This document discusses social combination approaches to group decision-making, focusing on the social decision scheme theory (SDS) and the hidden profile paradigm. It analyzes factors influencing group decision quality, including biases in information processing and sharing, and the impact of initial preferences. The document reviews research on how well groups identify optimal solutions (like A or B).
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**3.1.4 Soziale Kombinationsansätze** Im Gegensatz zu den bisher dargestellten informationalen und normativen Ansätzen betrachten soziale Kombinationsansätze keine Prozesse, die während der Gruppeninteraktion ablaufen, sondern versuchen, das Gruppenergebnis aus einer geeigneten Zusammenführung der...
**3.1.4 Soziale Kombinationsansätze** Im Gegensatz zu den bisher dargestellten informationalen und normativen Ansätzen betrachten soziale Kombinationsansätze keine Prozesse, die während der Gruppeninteraktion ablaufen, sondern versuchen, das Gruppenergebnis aus einer geeigneten Zusammenführung der anfänglichen Einzelmeinungen der Gruppenmitglieder bestmöglich vorherzusagen. Die **Theorie der sozialen Entscheidungsregeln** (social decision scheme theory; SDS) von Davis (1973) ist vermutlich der bekannteste Ansatz dieser Art. Im Folgenden soll exemplarisch skizziert werden, wie dort bei der Vorhersage des Gruppenergebnisses vorgegangen wird. Die Überführung der Anfangsmeinungen der Gruppenmitglieder in eine Gruppenentscheidung erfolgt mittels zu identifizierender Entscheidungsregeln, z. B. einer Mehrheitsregel (d. h., mehr als 50 % stimmen für eine Alternative) oder Pluralitätsregel (d. h., eine Alternative bekommt mehr Stimmen als alle anderen). Um die am besten passende Entscheidungsregel zu bestimmen, wird in der SDS-Forschung zunächst eine Matrix erstellt, in der primäre und sekundäre Regeln dargestellt werden. Die Verwendung einer sekundären zusammen mit einer primären Entscheidungsregel kann nötig sein, wenn die primäre Regel nicht für alle Präferenzverteilungen konkrete Entscheidungen vorhersagt. So kann es sein, dass es in einer Gruppe keine absolute Mehrheit für eine Alternative gibt, so dass die Gruppe dann nachrangig auf die Pluralitätsregel zurückgreifen könnte (vgl. z. B. Kerr, MacCoun & Kramer, 1996). Anschließend werden die vorhergesagten mit den tatsächlichen Entscheidungen verglichen. Hastie und Kameda (2005) stellten die folgenden neun Gruppenentscheidungsregeln einander gegenüber mit dem Ziel, diese bezüglich ihrer Passung auf verschiedene Entscheidungssituationen zu evaluieren: ** Average winner (Mittelwert-Regel)**: Es wird die Alternative mit der höchsten Durchschnittsbewertung gewählt. ** Median winner (Median-Regel)**: Es wird die Alternative mit dem höchsten Median der Bewertungen gewählt. ** SJS weighted average winner (Gewichteter-Mittelwert-Regel)**: Es wird die Alternative mit der höchsten gewichteten Durchschnittsbewertung gewählt. ** Borda rank winner (Borda-Wahl)**: Der Borda-Rang-Wert jeder Alternative ergibt sich aus der Summe der individuellen Rankings. Die Alternative mit dem höchsten Ranking oder der geringsten Summe gewinnt. ** Condorcet majority rule (Condorcet-Methode)**: Es wird paarweise über alle Alternativen abgestimmt; diejenige Alternative, die alle Wahlen gewinnt, ist der Condorcet-Gewinner. ** Majority/Plurality rule (Mehrheitsregel/Pluralitätsregel)**: Es wird die Alternative mit den meisten Stimmen gewählt. ** Best member rule (das beste Mitglied „regiert")**: Es wird die erste Wahl desjenigen Mitglieds gewählt, das den Wert der Alternativen am genauesten eingeschätzt hat. ** Random member rule (ein zufälliges Mitglied „regiert")**: Die erste Wahl eines zufällig ausgewählten Mitglieds gewinnt. ** Group satisficing rule (Satisficing-Regel)**: Es wird die erste Alternative gewählt, für die die Schätzwerte aller Gruppenmitglieder einen bestimmten Schwellenwert überschritten haben. Es zeigte sich, dass die Mehrheits- und Pluralitätsregeln über eine Vielzahl von Aufgabentypen hinweg sehr robust sind, d. h. dass sogar bei Entscheidungsproblemen, die eine eindeutig und demonstrierbar richtige Lösung haben, oftmals die Mehrheit siegt, anstatt dass sich vorrangig Personen durchsetzen, die die richtige Lösung favorisieren. Während sich der SDS-Ansatz auf die Wahl zwischen diskreten Alternativen bezieht, fokussieren Weiterentwicklungen und Verallgemeinerungen des Modells auf quantitative Urteilsaufgaben, d. h. Aufgaben, für die Festlegungen auf einem Kontinuum erforderlich sind, wie es zum Beispiel bei Wahrscheinlichkeitsurteilen der Fall ist (z. B. Davis, 1996; Hinsz, 1999). **3.3.2 Suboptimale Nutzung des Informationsvorsprungs von Gruppen** Wie bereits erwähnt, werden Gruppen oft in Situationen zur Entscheidungsfindung eingesetzt, in denen man sich aufgrund ihrer größeren Informationsbasis einen Anstieg der Urteils- bzw. Entscheidungsqualität erhofft. Dies ist aber nur dann möglich, wenn nicht schon die Initialurteile der Gruppenmitglieder richtig sind -- dann kann eine Gruppe nur maximal so gut sein wie ihre Mitglieder (oder zumindest ihr bestes Mitglied). Zur Untersuchung der Qualität von Gruppenentscheidungen bieten sich daher solche Situationen an, in denen nur Gruppen in der Lage sind, eine optimale Entscheidung zu treffen. Einen prototypischen Fall einer solchen Situation stellt das sogenannte **Hidden-Profile-Paradigma** von Stasser und Titus (1985) dar. In einem Hidden Profile ermöglicht die initiale Informationsbasis keinem Gruppenmitglied die Identifikation der optimalen Entscheidungsalternative. Dies kann erst durch den Austausch von Informationen innerhalb der Gruppe erreicht werden. Ein einfaches Beispiel für ein Hidden Profile ist in Tabelle 5 dargestellt: Hier sollen drei Gruppenmitglieder X, Y und Z zwischen zwei Alternativen A und B entscheiden. Jedem Gruppenmitglied liegen also sechs Informationen zugunsten von Alternative A und acht zugunsten von Alternative B vor. Nahegelegt wird demnach individuell eine Entscheidung für Option B -- die jedoch objektiv falsch wäre, wenn man die Gesamtmenge der zur Verfügung stehenden Informationen berücksichtigt. Tauschen die Gruppenmitglieder nämlich in der Diskussion alle Informationen aus, ergibt sich eine Gesamtinformationsbasis von vierzehn Informationen für A und nur zwölf für B -- die korrekte Entscheidung der Gruppe wäre in diesem Fall also Option A. Die Diskrepanz zwischen individueller und kollektiver Entscheidungsimplikation ergibt sich, da die Informationen für A überwiegend ungeteilt, d. h. jeweils nur einem Gruppenmitglied zugänglich waren, während die Informationen für B häufiger geteilt waren, also allen Gruppenmitgliedern schon vorab individuell zur Verfügung standen. Sowohl die Originalstudie von Stasser und Titus (1985) als auch zahlreiche Studien seitdem zeigen jedoch, dass Gruppen diesen Vorteil nur selten umsetzen können, d. h. sie lösen das Hidden Profile in den meisten Fällen nicht (vgl. z. B. Lu, Yuan & McLeod, 2012, für einen Überblick). Für dieses Phänomen wurde seither eine Vielzahl von Ursachen identifiziert. Schulz- Hardt und Mojzisch (2012) systematisieren diese Ursachen entlang von zwei Dimensionen. Die eine unterscheidet, ob die Ursache auf Ebene der Gruppe, also im Diskussionsverhalten oder auf Ebene der individuellen Informationsverarbeitung lokalisiert ist. Die andere trennt zwischen Einflüssen der **Intensität** der Verarbeitung und des Austauschs einerseits und der **Verzerrtheit** (bzw. im Optimalfall: Unverzerrtheit) der Verarbeitung und des Austauschs andererseits (Schulz-Hardt & Mojzisch, 2012, vgl. Tab. 6). In ihrer ursprünglichen Arbeit identifizierten Stasser und Titus (1985) zwei Verzerrungen im Informationsaustausch der Gruppen als Ursache für die geringe Lösungsrate der Hidden Profiles: einen überproportionalen Einfluss geteilter Informationen sowie solcher Informationen, die der initialen Präferenz der Teilnehmer entsprachen. Sowohl geteilte als auch präferenzkonsistente Informationen werden häufiger in die Diskussion eingebracht und auch häufiger wiederholt.\[Ein inhärentes Merkmal von Hidden-Profile-Situationen ist es, dass in ihnen die Geteiltheit und Präferenzkonsistenz von Informationen zwangsläufig zumindest teilweise miteinander konfundiert sind. Mit anderen Paradigmen konnten die Effekte jedoch auch unabhängig voneinander gezeigt werden (Faulmüller, Mojzisch, Kerschreiter & Schulz-Hardt, 2012).\] Diese Asymmetrien wurden später auch empirisch wiederholt belegt (z. B. Larson, Foster-Fishman & Keys, 1994; Faulmüller, Mojzisch, Kerschreiter & Schulz-Hardt, 2012). Die Dominanz geteilter Informationen lässt sich dabei ohne psychologische Einflussfaktoren über ihren statistischen Nennungsvorteil erklären (vgl. CIS; Abschnitt 3.1.1). Der Diskussionsvorteil präferenzkonsistenter Informationen ist dagegen wohl auf psychologische Faktoren zurückzuführen: Zum einen zeigten Mojzisch, Grouneva und Schulz-Hardt (2010), dass präferenzkonsistente Informationen als qualitativ besser wahrgenommen werden als inkonsistente. Zum anderen wiesen Faulmüller und Kollegen (2012) nach, dass diese Diskussionsverzerrung auch auf dem Bestreben beruht, den anderen Gruppenmitgliedern die eigene Meinung zu erläutern. Da für eine korrekte Lösung eines Hidden Profiles gerade die ungeteilten und nicht der Präferenz der Gruppenmitglieder entsprechenden Informationen relevant sind, ist unmittelbar evident, dass die beschriebenen Verzerrungen einer Lösung des Hidden Profile entgegenwirken. Und tatsächlich gibt es empirische Belege für einen Zusammenhang zwischen der Ausprägung der Verzerrungen und einer Abnahme der Qualität der Gruppenentscheidung (z. B. Schulz-Hardt, Brodbeck, Mojzisch, Kerschreiter & Frey, 2006). Eine Abwesenheit solcher Verzerrungen alleine reicht jedoch noch nicht aus, um eine Diskussion so zu gestalten, dass Gruppen die Lösung eines Hidden Profile ermöglicht wird. Dafür ist auch eine hinreichend intensive Diskussion notwendig -- es müssen also ausreichend Informationen in die Diskussion eingebracht und in dieser wiederholt werden, und für diesen Prozess muss genügend Zeit zur Verfügung stehen. Dies ist nicht immer gegeben: In Gruppen, in denen alle Mitglieder zu Beginn der Diskussion dieselbe Präferenz haben (wie es oft in Hidden Profiles der Fall ist), ist die Intensität der Diskussions, und infolgedessen die Entscheidungsqualität, deutlich geringer als bei Uneinigkeit (Schulz-Hardt et al., 2006). Auch Zeitdruck bei der Diskussion senkt die Diskussionsintensität und damit die Wahrscheinlichkeit, dass eine Gruppe ein Hidden Profile löst (Campbell & Stasser, 2006). Eine zentrale Ursache für fehlende Diskussionsintensität ist ein normativer Gruppenprozess: Aufgrund ihres Strebens, einen Konsens zu erreichen, tauschen die meisten Gruppen direkt zu Beginn der Diskussion ihre Präferenzen aus (Gigone & Hastie, 1993; Schulz-Hardt et al., 2006). Nachfolgend wird oft mehr die Gruppenentscheidung auf Grundlage dieser Präferenzen ausgehandelt, als dass es zu einem offenen Informationsaustausch käme. Da die initialen Präferenzen der Gruppenmitglieder bei Hidden Profiles naturgemäß meist suboptimal sind, einigt man sich in diesen Fällen in der Regel vorschnell auf eine falsche Alternative -- ein Fehler, der im Folgenden aufgrund der oberflächlichen Diskussion in der Regel nicht mehr korrigiert wird. In einer Studie, bei der der Präferenzaustausch direkt manipuliert wurde, konnten Mojzisch und Schulz-Hardt (2010, Exp. 4) auch empirisch nachweisen, dass dieser tatsächlich den Informationsaustausch und nachfolgend die Lösungsrate von Hidden Profiles verringert. Neben den beschriebenen Effekten auf Gruppenebene gibt es jedoch auch Ursachen für die geringe Entscheidungsqualität in Hidden Profiles, die rein auf individuelle Prozesse der Gruppenmitglieder zurückzuführen sind. Greitemeyer und Schulz-Hardt (2003) belegten dies mit Hilfe von zwei Experimenten, in denen Probanden nach einer initialen Entscheidung, anstatt an einer realen Gruppendiskussion teilzunehmen, ein Gesprächsprotokoll mit vollständigem Informationsaustausch vorgelegt bekamen. Auch hier waren nur die wenigsten Teilnehmer in der Lage, den besten Bewerber zu identifizieren. Sogar wenn in einem solchen Paradigma statt eines Diskussionsprotokolls lediglich eine weitere Liste mit Informationen vorgelegt wird, also jeglicher Anschein eines sozialen Kontextes eliminiert wird, halten Versuchsteilnehmer übermäßig lange an ihrer initialen Präferenz fest (Faulmüller et al., 2010). Als Ursache für diesen Effekt konnten Verzerrungen der individuellen Informationsverarbeitung identifiziert werden: Präferenzkonsistente wie auch geteilte Informationen werden im Vergleich zu inkonsistenten und ungeteilten Informationen als besser bewertet, wodurch sie einen stärkeren Einfluss auf die finale Entscheidung haben (z. B. Mojzisch et al., 2010). Auch auf individueller Ebene ist jedoch nicht nur eine **unverzerrte**, sondern auch eine hinreichend **intensive** Informationsverarbeitung Voraussetzung für die Fähigkeit zur Lösung eines Hidden Profiles. Da die Gruppenmitglieder innerhalb kurzer Zeit mit vielen neuen Informationen konfrontiert werden, sollte eine oberflächliche Verarbeitung es hier kaum ermöglichen, alle Informationen in der endgültigen Entscheidung angemessen zu berücksichtigen. Im Einklang hiermit zeigten Mojzisch und Schulz-Hardt (2010), dass eine oberflächlichere Informationsverarbeitung mit niedrigen Lösungsraten bei Hidden Profiles einhergeht. Zudem wurde in dieser Studie deutlich, dass der anfängliche Austausch von Präferenzen in einer Gruppe, der ja bereits als eine Ursache für unzureichende Intensität der Diskussion genannt wurde, auch die Tiefe der Informationsverarbeitung negativ beeinflusst und dadurch die Chancen, ein Hidden Profile zu lösen, zusätzlich senkt. Um einen Qualitätsverlust durch diese Faktoren und die dahinter stehenden Prozesse in realen Gruppenentscheidungen zu verhindern, lassen sich aus der Literatur mehrere mögliche Interventionen ableiten. Eine vergleichsweise unproblematisch umzusetzende Möglichkeit zeigen Mojzisch und Schulz-Hardt (2010) auf: Schon eine Instruktion zu Beginn der Gruppendiskussion, auf einen Präferenzaustausch zu verzichten, erhöhte die Entscheidungsqualität in den entsprechenden Gruppen deutlich, indem sie einem vorschnellen Konsens der Gruppe entgegenwirkt und dadurch die Diskussionsintensität sowie die individuelle Verarbeitungstiefe erhöht. Auch die höhere Diskussionsintensität von Gruppen mit unterschiedlichen Initialpräferenzen lässt sich als Interventionsgrundlage nutzen: entweder, indem Gruppen gezielt nach diesem Gesichtspunkt zusammengestellt werden, oder durch die Einführung eines „**devil's advocate",** der unabhängig von seiner eigenen Meinung gegen den Konsens der Gruppe argumentiert (z. B. Schulz-Hardt, Jochims & Frey, 2002). Weitere positive Faktoren sind ein partizipativer Führungsstil sowie das Explizieren von Expertise der Gruppenmitglieder (vgl. Kerschreiter, Mojzisch, Schulz- Hardt, Brodbeck & Frey, 2003, für einen Überblick über Interventionen zur Steigerung der Entscheidungsqualität bei Hidden Profiles). **4.5 Intergruppenkontakt** Gordon Allport (1954) war einer der ersten, der die Hypothese entwickelte, dass sich Kontakte zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Gruppen positiv auf ihre Einstellungen zueinander auswirken könnten. Er formulierte vier Bedingungen, die gegeben sein sollten, damit Kontakt sich auch tatsächlich positiv auswirkt, die sogenannten optimal conditions: Zum einen sollten die Teilnehmer in der Kontaktsituation den gleichen Status haben, sie sollten gemeinsame Ziele haben, kooperieren und der Kontakt sollte von Autoritäten unterstützt werden. Pettigrew und Tropp (2006) fanden in ihrer großangelegten Metaanalyse auf der Basis von über 500 Studien mit 250 000 Teilnehmern einen grundsätzlich negativen und sehr robusten Zusammenhang zwischen Kontakt und Vorurteilen von r = --.21. Der Zusammenhang stieg mit der Güte der Untersuchungsdesigns und der verwendeten Messinstrumente an. Der Zusammenhang war ebenfalls enger, umso mehr der optimalen Bedingungen nach Allport gegeben waren. Die positiven Effekte waren aber auch dann noch vorhanden, wenn diese Bedingungen nicht realisiert waren. Pettigrew hat daher in seiner Reformulierung der Kontakthypothese (1998) die Bedingungen als unterstützend, aber nicht notwendig bezeichnet und die Variable friendship potencial hervorgehoben, die die Effekte von Kontakten verstärkt. Friendship potenzial haben Kontakte dann, wenn sie intensiver sind und wiederholt, idealerweise in verschiedenen sozialen Kontexten, stattfinden (Pettigrew & Tropp, 2011). **5.2.2.1 Kooperations/Kompetitionstheorie** Gemäß Deutschs (1973) Theorie über Kooperation und Kompetition ist die Strategie im Konflikt abhängig von der Wahrnehmung der Zielinterdependenz: (1) Nimmt man subjektiv eine positive Interdependenz wahr, sind die Interessen vereinbar und jeder kann nur dann sein Ziel erreichen, wenn der andere es ebenfalls erreicht („promotive interdependence"); in einem solchen Fall entscheidet man sich für kooperative Strategien wie das Problemlösen. (2) Wird eine negative Interdependenz wahrgenommen, sind die Interessen unvereinbar und die eigene Zielerreichung beeinträchtigt die Zielerreichung der anderen Partei („contrient interdependence"); dann erfolgen eher kompetitive Strategien wie Kämpfen. (3) Nimmt man keine Interdependenz wahr, sind die Ziele der Parteien nicht miteinander verbunden („noninterdependence"); hier werden meistens Abbruchstrategien gewählt (Deutsch, 1973; Tjosvold, 1998). Die wahrgenommene Zielstruktur beeinflusst somit Kommunikation, Wahrnehmung, Einstellung und Aufgabenorientierung. Auch wenn Deutschs Theorie nicht unkritisiert geblieben ist (ein Kritikpunkt ist z. B., dass Interdependenz von verschiedenen Parteien unterschiedlich wahrgenommen werden kann; vgl. Rognes, 1998), wurde sie in vielen ihrer Aussagen grundsätzlich empirisch bestätigt (z. B. De Dreu, Weingart & Kwon, 2000; Johnson, Maruyama, Johnson, Nelson & Skon, 1981; Stanne, Johnson & Johnson, 1999). **6.2.1.1 Kognitive Frames: Gewinn- und Verlustorientierung in Verhandlungen** Die Bedeutung heuristischer Informationsverarbeitungsprozesse in Verhandlungen zeigt sich beispielhaft anhand der Auswirkung sogenannter **Ergebnisframes**, die eine Einigungsoption in Abhängigkeit von alternativen Referenzergebnissen als Gewinn oder Verlust erscheinen lassen (Bottom, 1998; De Dreu, Carnevale, Emans & van de Vliert, 1995; Neale & Bazerman, 1985): Der Vergleich eines potenziellen Ergebnisses mit einem alternativ besseren Referenzergebnis löst bei der Partei eine Verlustorientierung aus, während der Vergleich mit einem schlechteren Referenzergebnis die Partei in eine Gewinnorientierung versetzt. Vergleichen die Arbeitgeber beispielsweise ein Angebot von 3 % mit dem Referenzergebnis eines Tarifabschlusses von 4 % in einer anderen Branche, so wird das Angebot als Verlust von 1 % wahrgenommen. Vergleichen die Arbeitnehmer hingegen dasselbe Angebot von 3 % mit dem Abschluss von 2 % aus dem vergangenen Jahr, so wird das identische Angebot als Gewinn erlebt. Experimentelle Studien zeigen, dass Parteien die ein potenzielle besseres Verhandlungsergebnis als das aktuell vorliegende Angebot vor Augen haben und folglich verlustorientiert sind, eine geringere Zugeständnisbereitschaft aufweisen (Bazerman, Magliozzi & Neale, 1985). Diese Unnachgiebigkeit in Verhandlungen wird von Kahneman (1992) in Analogie zur „Verlustaversion" in Entscheidungssituationen als „**Zugeständnisaversion**" bezeichnet. Verlustorientierte Parteien, die als Bezugsgröße ein besseres Referenzergebnis vor Augen haben, erzielen weniger integrative Lösungen (Bazerman et al., 1985), brechen Verhandlungen häufiger mit einer Nichteinigung ab (Trötschel & Gollwitzer, 2007) und zeigen generell weniger kooperative Verhaltensweisen (De Dreu, Carnevale, Emans & van de Vliert, 1994). Zudem wird in gemischten Dyaden (gewinnorientierte vs. verlustorientierte Partei) häufiger die negative Fokussierung der verlustorientierten Partei übernommen, als umgekehrt (De Dreu et al., 1994). **Desinformation durch mangelhafte Informationsqualität im Internet.** Da prinzipiell alle Internetnutzenden unkontrolliert Informationen im Internet veröffentlichen können, wird die Online-Informationsqualität oft kritisch beurteilt. Hier ist jedoch nach Art der Internetquellen zu differenzieren. Tatsächlich werden Falschinformationen verbreitet (teils aus Unwissenheit, teils gezielt), andererseits sind via Internet mehr qualitätsvolle Informationen denn je direkt zugänglich. Man denke an Open-Access-Initiativen, durch die wissenschaftliche Datenbanken und Fachzeitschriften heute kostenlos der breiten Öffentlichkeit rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Ob man durch Internetnutzung seinen Horizont und sein Wissen erweitert, oder eher durch belanglose und fehlerhafte Online-Inhalte desinformiert wird, hängt von der Informationskompetenz ab (also z. B. der Fähigkeit, gezielt nach bestimmten Informationen zu suchen, Suchergebnisse kritisch zu bewerten und angemessen zu interpretieren). Hier ist wiederum von einem **Matthäus-/Rich-get-richer-Effekt** (Zuckerman, 2010) bzw. von der **Knowledge-gap-Hypothese** (Tichenor, Donohue & Olien, 1979) auszugehen, dergemäß durch Bildung privilegierte Personen durch das Internet ihren Wissens- und Bildungsvorsprung weiter vergrößern können, weil sie die verfügbaren Informations- und Bildungsressourcen effizienter nutzen. Dass sich soziale Ungleichheit durch differenzielle Internetnutzung reproduziert oder sogar verstärkt, wird auch unter dem Schlagwort der **digital inequalities** behandelt (vgl. van Deursen & van Dijk, 2014). Die Frage, wie gut Online-Gemeinschaften kollektiv die Inforationsqualität prüfen und Fehler aufdecken können, ist differenziert zu beantworten: So können im Internet rasch alle möglichen Gerüchte und urbanen Legenden (hoax) zirkuliert werden, gleichzeitig werden diese auch immer wieder aufgedeckt. Hinsichtlich der Qualität von Wikipedia-Einträgen ist festzustellen, dass die Fehlerzahl generell mit der herkömmlicher Enzyklopädien vergleichbar ist (Giles, 2005). Gleichzeitig sind aber große Qualitätsunterschiede zwischen verschiedenen Lemmata festzustellen: Problematisch sind z. B. ideologisch umkämpfte Wikipedia-Einträge, aber auch wenig beachtete Spezialthemen, da hier die Wikipedia-internen Mechanismen der Qualitätskontrolle nicht so gut greifen. **Reflexionsaufgabe 3** Die Knowledge-gap-Hypothese geht davon aus, dass Personen, die durch Bildung privilegiert sind, durch das Internet ihren Wissens- und Bildungsvorsprung weiter vergrößern können, da sie die zur Verfügung stehenden Informationsressourcen effizienter nutzen. **4.3 Theorien der sozialpsychologischen** **Internetforschung** Eine einheitliche sozialpsychologische Theorie der Online- bzw. Mobilkommunikation liegt nicht vor, dazu sind die computervermittelten Kommunikationskontexte zu stark ausdifferenziert. Theoretische Modelle zu sozialpsychologischen Implikationen der Internetnutzung werden meist in der Weise konstruiert, dass auf etablierte sozialpsychologische Theorien zurückgegriffen wird, die dann auf die Besonderheiten der computervermittelten Kommunikation (CvK; computer mediated communication: CMC) angewendet bzw. dahingehend modifiziert werden. Dabei werden die Besonderheiten der CvK im Vergleich zur Face-to-face- Kommunikation teilweise als Merkmalsliste angegeben. Dementsprechend wird Online-Kommunikation beispielsweise als eine Kommunikationsform gekennzeichnet, die eher anonym, schriftlich, unidirektional, vor großen Publika sowie orts- und zeitunabhängig stattfindet (McKenna & Bargh, 2000; Berger, 2013). Derartige Listen sind nützlich, müssen aber immer auf ihre Passfähigkeit im Hinblick auf konkrete Nutzungskontexte hinterfragt werden. So sind eben große Teile der Internetkommunikation heute weder anonym (sondern finden unter Klarnamen bzw. zwischen einander bekannten Personen statt) noch rein textbasiert (wachsende Bedeutung von Fotos und Videos). Zu Besonderheiten der CvK liegen neben Eigenschaftslisten eine Reihe von einander teils widersprechenden, teils ergänzenden Theoriemodellen vor (theorievergleichende empirische Studien sind selten). Die verschiedenen CvK-Theorien konzentrieren sich auf einzelne Aspekte der Online- Kommunikation und bestehen oft nur aus wenigen Annahmen; ihr Status als „Theorien" ist teilweise fraglich. Sie beziehen sich zudem in erster Linie auf textbasierte Kommunikation über stationäre Endgeräte und schließen die an Bedeutung gewinnende multimediale sowie mobile Online-Kommunikation bislang nur bedingt ein. Die populären CvK-Theorien lassen sich grob in drei Blöcke gruppieren (Döring, 2003): (1) CvK-Theorien zur Medienwahl, (2) CvK-Theorien zu Medienmerkmalen und (3) CvK-Theorien zum medialen Kommunikationsverhalten. **4.3.1 CvK-Theorien zur Medienwahl** CvK-Theorien der Medienwahl machen deutlich, dass der Online-Kommunikation immer eine Entscheidung für das entsprechende Medium vorausgeht. Das Modell der rationalen Medienwahl geht davon aus, dass Menschen mit vielfältigen Kommunikationsaufgaben konfrontiert sind (z. B. Gehaltsverhandlung vs. Terminverschiebung), die sowohl auf sachlich-inhaltlicher als auch auf sozio-emotionaler Ebene unterschiedlich anspruchsvoll sind. Gleichzeitig stehen dafür diverse Kommunikationsmedien zur Verfügung, die sich in eine Rangreihe bringen lassen, wenn man betrachtet, wie hoch jeweils der Komplexitätsgrad der übermittelten Informationen, d. h. die mediale Reichhaltigkeit, ist (media richness theory; Daft & Lengel, 1984; Sheer & Chen, 2004) bzw. wie viel persönliche Nähe und Lebendigkeit, also soziale Präsenz, während der Kommunikation empfunden werden (social presence theory; Short, Williams & Christie, 1976, S. 64 ff.). Wird das Medium passend zur Aufgabe gewählt, resultiert gemäß der CvK-Theorie der rationalen Medienwahl effiziente Kommunikation. So kann eine Terminvereinbarung problemlos und effizient per E-Mail erfolgen (einfache Kommunikationsaufgabe), während die Lösung eines sozialen Konflikts (komplexe Kommunikationsaufgabe) eben nicht per E-Mail, sondern per Telefon oder noch besser Face-to-Face erfolgen sollte, um die Erfolgswahrscheinlichkeit zu erhöhen. Auf die Grenzen rationaler Nutzenkalkulationen weist das Modell der normativen Medienwahl hin (Fulk, Schmitz & Steinfield, 1990). Gerade im organisationalen Kontext sind Medienwahlen durch soziale Normen stark beeinflusst und können somit durchaus nicht rational ausfallen, z. B. wenn eine technikskeptische Haltung vorherrscht und deswegen auf effiziente Online-Kommunikation kollektiv verzichtet wird. Die unified theory of acceptance and use of technology (UTAUT) besagt, dass wir uns bei Medienwahlen im Arbeitskontext nicht nur an der Nützlichkeit (perceived usefulness/performance expectancy) und Benutzerfreundlichkeit (perceived ease of use/effort expectancy) eines Mediums orientieren, sondern auch an sozialen Normen (social influence) und erleichternden Bedingungen (facilitating conditions; Venkatesh, Morris, Davis & Davis, 2003). Die UTAUT (aktuelle Fassung: UTAUT2) ist heute das führende Theoriemodell zur Technikakzeptanz bzw. Medienwahl im Bereich der Online- und Mobilkommunikation (Venkatesh, Thong & Xu, 2012). Beispiel: Welche Akzeptanz finden vernetzte soziale Service- Roboter, die ältere Menschen in ihrem Alltag zu Hause unterstützen sollen, indem sie sie an die Medikamenteneinnahme erinnern, Videokonferenzen mit Angehörigen anbieten, Gymnastik anleiten oder bei Stürzen Hilfe holen? Soziale Roboter integrieren Komponenten der Online- und Mobilkommunikation und sind im Unterschied zu Computermedien verkörpert und bewegen sich eigenständig. Gemäß UTAUT ist die Akzeptanz des Roboters davon abhängig, wie nützlich die einzelnen Roboterfunktionen eingeschätzt werden (z. B. wie groß ist der Bedarf nach einer Videokonferenzfunktion auf einem mobilen Roboter) und wie intuitiv diese Roboter- Funktionen bedienbar sind (z. B. unkompliziertes Starten und Beenden der Videokonferenz). Zudem ist die Akzeptanz davon abhängig, welche Normen zur Roboter-Nutzung im sozialen Umfeld vorherrschen (z. B. erwarten Angehörige, dass Senioren sich der Technik öffnen) und welche Bedingungen die Aneignung der Technologie erleichtern (z. B. welche Infrastruktur besteht, um bei technischen Fragen und Problemen der Roboternutzung Unterstützung zu erhalten). **4.3.2 CvK-Theorien zu Medienmerkmalen** Ist die Medienwahl-Entscheidung zugunsten einer bestimmten Form von Online- oder Mobilkommunikation ausgefallen (z. B. E-Mail, Chat, Online- Videokonferenz, Social-Networking-Site, Smartphone-App), so stellt sich die Frage, von welchen spezifischen Medienmerkmalen der folgende Kommunikationsprozess dann in welcher Weise besonders beeinflusst wird. Im Alltag und in der Fachliteratur wird oft mit einem Kanalreduktions- Modell operiert (Döring, 2003), demgemäß Online-Kommunikation eine im Vergleich zur Face-to-face-Kommunikation generell defizitäre Kommunikationsform darstellt, die man zugunsten hoher Kommunikationsqualität besser meiden sollte. Diese Sichtweise idealisiert jedoch die Face-to-face- Kommunikation und übersieht deren Restriktionen (z. B. Ausschluss aller nicht ko-präsenten Personen; soziale Hierarchisierung und Stigmatisierung anhand von sichtbaren sozialen Hinweisreizen; Benachteiligung von sozial ängstlichen oder schüchternen Personen). Das Filter-Modell der CvK (reduced social cues (RSC) approach: Kiesler, Siegel & McGuire, 1984; cues filtered out approach: Culnan & Markus, 1987; vgl. zusammenfassend: Döring, 2008) konzentriert sich konkret darauf, welche Bedeutung die auf unterschiedlichen Sinneskanälen übermittelten sozialen Hinweisreize haben. Bei textbasierter medialer Kommunikation zwischen Unbekannten werden vor allem Hintergrundinformationen (social cues) bezüglich sozialer Kategorien wie Alter, Ethnizität, Geschlecht, sozialem Status etc. durch visuelle Anonymität herausgefiltert. Schutz vor Identifizierbarkeit und das Herausfiltern von markanten Gruppenzugehörigkeiten führt gemäß Filter-Modell zu medialer Enthemmung. Diese Enthemmung wiederum kann positive Wirkungen (verstärkte Egalisierung, Selbstoffenbarung, Intimität) sowie negative Wirkungen (verstärkter Egozentrismus, Feindseligkeit, Aggression) haben. Während das Kanalreduktions-Modell computervermittelte Kommunikation mangels körperlicher Kopräsenz als unpersönlich und ent-emotionalisiert kennzeichnet, kann das Filter-Modell über den Enthemmungseffekt erklären, warum Online-Kommunikation häufig besonders emotional abläuft, sich Menschen computervermittelt intime Geständnisse und Liebeserklärungen machen oder sich hasserfüllt beschimpfen und beleidigen (sog. Flaming, Trolling, Online-Hate). Oft sind bei der schriftlichen CvK trotz visueller Anonymität als Medienmerkmal auch nicht alle sozialen Hinweisreize herausgefiltert, sondern einzelne soziale Kategorien erkennbar (z. B. das Geschlecht anhand des selbst gewählten Pseudonyms/Nicknames). Die verstärkte Salienz einzelner sozialer Kategorien bei der CvK kann gemäß dem SIDE-Modell (social identity and deindividuation model; Reicher, Spears & Postmes, 1995; Spears, Postmes, Lea & Wolbert, 2002) zu verstärkter sozialer Identifikation mit der salienten Kategorie führen und Ingroup-Outgroup- sowie Meinungspolarisierungen fördern. Wird also beispielsweise ein Neuling in einem Online-Forum wegen einer vermeintlich „dummen" Frage harsch beleidigt, so würde das Filter-Modell dies auf mediale Enthemmung im Sinne mangelnder Orientierung an sozialen Normen (z. B. sozialen Normen der Höflichkeit und Hilfsbereitschaft) zurückführen. Das SIDE-Modell würde dagegen auf verstärkte Wirkung von sozialen Gruppennormen verweisen, die angestammte Forumsmitglieder (die sich z. B. über kollektive Kompetenz in einem Themenfeld identifizieren) dazu veranlassen, ihre Ingroup-Identität zu stärken und ein Mitglied der Outgroup (unwissender Neuling) gemeinsam abzuwerten. **4.3.3 CvK-Theorien zum medialen** **Kommunikationsverhalten** CvK-Theorien zum medialen Kommunikationsverhalten konzentrieren sich darauf, wie die Beteiligten während der CvK agieren: Wie verarbeiten sie die zur Verfügung stehenden Informationen, welche Fantasien und kreativen Selbstentwürfe kommen ins Spiel und inwieweit orientiert man sich an spezifischen Kommunikationsnormen der Netzkultur? Wie sind die mit Internetnutzung verbundenen Prozesse der Verkörperung (embodiment) zu verstehen (z. B. Körperwahrnehmungen während der Internetnutzung; computervermittelte Körperrepräsentationen; McCall, 2013)? Auch CvKModelle zum medialen Kommunikationsverhalten weisen teils auf positive, teils auf negative soziale Effekte hin (Döring, 2003). Das Modell der sozialen Informationsverarbeitung (social information processing theory. SIPT; Walther, 1992) betont, dass mediale Einschränkungen (z. B. fehlende nonverbale Signale) durch das Nutzungsverhalten kompensierbar sind. Dementsprechend sind bei textbasierter computervermittelter Kommunikation nicht etwa Emotionen und die nonverbale Kommunikationsebene ausgeblendet, Gruppenzugehörigkeiten herausgefiltert oder individuelle Besonderheiten eliminiert, vielmehr werden diese Informationen nur einfach anders dargestellt (z. B. Verwendung von Emotionssymbolen wie Emoticons bzw. Smileys oder emotionsbezogenen Emojis, häufigere verbale Explizierung von Gedanken und Gefühlen, Gestaltung umfangreicher öffentlicher Selbstdarstellungen auf persönlichen Homepages und Online-Profilen auf Social-Networking-Sites). Gleichzeitig ergeben sich auch neue Möglichkeiten, aktiv (z. B. per Google- Recherche) zusätzliche Hintergrundinformationen über eine Person einzuholen (social information seeking; Ramirez & Walther, 2009). Unter den Bedingungen der Internetkommunikation kann der von der social penetration theory (Altman & Taylor, 1973) beschriebene Prozess der Intimitätsentwicklung in sozialen Beziehungen über schrittweise Selbstoffenbarung gestört werden (z. B. wenn das Gegenüber sich eigenmächtig vorschnell private Informationen durch Online-Recherchen verschafft, was angesichts von sozio-technisch bedingten Grenzen der Sicherstellung der Online-Privatsphäre bzw. des Online-Reputations-Managements oft möglich ist). Dementsprechend wird z. B. berufsethisch inzwischen diskutiert, ob Psychotherapeuten ihre Patienten googeln dürfen oder nicht (DiLillo & Gale, 2011). Denn wenn dabei private Sachverhalte zutage treten, die vom Patienten bislang gar nicht oder anders im Rahmen der Therapie angesprochen wurden, können Probleme für die Therapeut- Patient-Beziehung erwachsen. Gemäß der identity warranting theory (Walther & Parks, 2002; Walther, Van Der Heide, Hamel & Shulman, 2009) sind solche Online-Informationen besonders glaubwürdig und wichtig für die soziale Informationsverarbeitung (z. B. interpersonale Eindrucksbildung), die nicht beliebig von der Person selbst lanciert, sondern von Dritten überprüft und bereitgestellt werden (z. B. wirkt eine Online-Berufsangabe glaubwürdiger, wenn sie der Website des Arbeitgebers zu entnehmen ist im Unterschied zum selbst kreierten Profil auf einer Social-Networking-Site). Die Theorie der hyperpersonalen Kommunikation (Walther, 1996; Nowak, Watt & Walther, 2005) betont, dass Informationslücken in der textbasierten Online-Kommunikation auch dazu führen können, dass man verstärkt positive Erwartungen auf das Gegenüber projizieren und aufrechterhalten kann, so dass man es besonders sympathisch und attraktiv wahrnimmt, während bei einer Face-to-face-Kommunikation durch irritierende Merkmale (z. B. Körpergeruch, Stimme, Kleidungsstil) eine positive Eindrucksbildung leichter beeinträchtigt werden kann. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass diverse CvK-Theorien zur Medienwahl, zu Medienmerkmalen und zur Mediennutzung vorliegen, die heranzuziehen sind, um sozialpsychologische Aspekte der Online-Kommunikation zu erklären. Diese Theorien beleuchten unterschiedliche Aspekte der Kommunikation, ergänzen sich teilweise, stehen teilweise aber auch mit konträren Vorhersagen in Konkurrenz zueinander. Hier geht es in der zukünftigen Forschung u. a. darum, die Anwendungskontexte der Theorien trennschärfer zu definieren und auch an integrierten Theoriemodellen zu arbeiten. **5.2.3.1 Konflikteskalation auf Individualebene** Diverse psychologische Prozesse heizen diesen Kreislauf weiter an. **Eskalierendes Commitment**. Durch eskalierendes Commitment bzw. „entrapment" werden Konfliktparteien immer stärker an ihr kompetitives Handeln gebunden (Teger, 1980), da sie das Gefühl haben, bereits zu viel investiert zu haben, um aufhören zu können. Der kritische Punkt des eskalierenden Commitments sind somit die sogenannten „sunk costs" (d. h. irreversible Kosten durch bereits getätigte Investitionen), die ein Bedürfnis nach Rechtfertigung früherer Handlungen und Entschädigung von Verlusten hervorrufen (z. B. Brockner & Rubin, 1985; Staw & Ross, 1989; Teger, 1980; vgl. auch „Theorie der kognitiven Dissonanz", Festinger, 1957). Ein Beispiel für den drastischen Effekt eines solchen psychologischen Prozesses auf Konflikteskalation demonstriert der „Krieg gegen den Terror" durch die USA, der insbesondere während der Regierungszeit von George W. Bush immer weitergeführt wurde, obwohl er nicht zum erwarteten Sieg führte. **Feindselige Attributionen**. Ein weiterer relevanter psychologischer Prozess sind feindselige Attributionen (Baron, 1997): Menschen neigen dazu, andere Personen (im Vergleich zu sich selbst) als tendenziell weniger moralisch und glaubwürdig sowie als gefährlicher und unvernünftiger einzuschätzen. In Extremfällen können sich diese Attributionen steigern bis hin zu einer dehumanisierten Wahrnehmung anderer, welche „gefährliche, minderwertige Kreaturen" darstellen, die es „nicht verdienen zu leben" (Yzerbyt & Demoulin, 2010). Alleine das normale Ausmaß an feindseligen Attributionen reicht aus, um die Schwelle für eine unverhältnismäßige Vergeltung zu verringern. Im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung (sog. „self-fulfilling prophecy"; z. B. Rosenthal & Jacobson, 1968) kann eine solche Vergeltung feindselige Attributionen und Handlungen im Gegenüber aktivieren und so eine Konfliktspirale in Gang setzen. **Naiver Realismus**. Der „naive Realismus" (z. B. Ross & Ward, 1996) ist ein weiterer psychologischer Risikofaktor in der Konflikteskalation: Menschen nehmen im Allgemeinen an, die soziale Welt objektiv wahrzunehmen; andere rationale Personen sollten daher ihre Reaktionen teilen (vgl. auch „false consensus bias", Ross, Greene & House, 1977). Wenn diese anderen Personen darin jedoch „versagen", muss es -- im Sinne der naiven Realisten -- an deren Unfähigkeit liegen, rational zu denken, oder daran, dass deren Weltbild durch Ideologien oder Eigeninteresse verzerrt wird. Diese Idee kann gleichzeitig zu einer „falschen Polarisierung" führen, dahingehend, dass Personen zu der extremen Vorstellung neigen, dass ein Konflikt unüberwindbar wäre und eine Kooperation keinen Sinn machen würde (Robinson, Keltner, Ward & Ross, 1995). Wie bei den feindseligen Attributionen kann „naiver Realismus" durch den Prozess selbsterfüllender Prophezeiungen schließlich zu einer Konfliktspirale und somit -eskalation führen (Kennedy & Pronin, 2008). Chambers und Melnyk (2006) stellten theoriekonsistent fest, dass weniger reale, sondern vor allem unterstellte Konflikte Ablehnung und negative Stereotype vorhersagen (vgl. auch die „Hypothesentheorie der sozialen Wahrnehmung"; Lilli & Frey, 1993). **Verlustaversion**. Ein weiterer psychologischer Prozess, der zu einer Verschärfung eines Konflikts beitragen kann, ist die Verlustaversion. Verluste beeinflussen Menschen generell mehr als Gewinne gleichen Ausmaßes (Kahneman & Tversky, 1979). Somit werden eigene Zugeständnisse auch als größerer Verlust interpretiert als mögliche Gewinne, die man durch Zugeständnisse einer Gegenpartei erhalten würde. Dieser Prozess kann die Wahrnehmung eines Konflikts unangemessen vergrößern. **Optimistic overconfidence**. Aber auch die Urteilsverzerrung der „optimistic overconfindence" kann zu einer unzutreffenden Wahrnehmung von Konflikt führen. Aufgrund der asymmetrischen Verfügbarkeit von Informationen -- oftmals weiß jede Konfliktpartei nur von ihren eigenen Bedürfnissen -- haben Menschen übermäßiges Vertrauen in das eigene Urteil. Dadurch werden beispielsweise Aussichten, ohne Verhandlung zu gewinnen, überschätzt (z. B. Kramer, Newton & Pommerenke, 1993). Die eigene irrige Auffassung, Recht zu haben und erhalten zu müssen, kann so einen Konflikt weiter anfeuern. **5.2.3.2 Konflikteskalation auf Gruppenebene** Konflikte zwischen Gruppen eskalieren im Regelfall früher als Konflikte zwischen Individuen (Mikolic, Parker & Pruitt, 1997). Ursachen hierfür sind verschiedene Inter- und Intragruppenprozesse. Neben der bereits erwähnten Loyalität gegenüber der Ingroup und dem schemabasierten Misstrauen gegenüber Outgroups (vgl. auch die „Theorie der sozialen Identität"; Tajfel & Turner, 1986) ist vor allem der Prozess der stellvertretenden Vergeltung ein Risikofaktor in der Konflikteskalation. **Stellvertretende Vergeltung**. Stellvertretende Vergeltung bedeutet, dass nach einer Provokation eines Ingroup-Mitglieds durch ein Mitglied der Outgroup aggressives Verhalten stattfinden kann und zwar durch nicht involvierte Ingroup-Mitglieder gegenüber involvierten aber auch gegenüber nicht involvierten Outgroup-Mitgliedern (Lickel, Miller, Stenstrom, Denson & Schmader, 2006). Ein Beispiel für diesen Prozess sind die Geschehnisse infolge der bereits erwähnten Mohammed- Karikaturen: Auch hier griffen nicht involvierte, aber zur Gruppe der Muslime gehörige Personen, nicht involvierte, aber aufgrund ihrer dänischen Nationalität scheinbar zur Gruppe des Karikaturisten gehörige Menschen, Produkte und Institutionen an. Stellvertretende Vergeltung verstärkt sich oft dann, wenn eine hohe Identifizierung mit der eigenen Gruppe zusammen mit der Wahrnehmung auftritt, dass die Outgroup in hohem Maße entitativ (d. h. einheitlich und kohärent) ist (Hamilton & Sherman, 1996; Lickel et al., 2006; Stenstrom, Lickel, Denson & Miller, 2008; Yzerbyt & Demoulin, 2010). **Öffentlicher Kontext**. Ein weiterer Risikofaktor in Gruppenkonflikten ist der öffentliche Kontext: Findet ein Konflikt im öffentlichen Raum statt, steigert sich die Salienz der sozialen Identität, aber auch die der Demütigung (Tedeschi & Felson, 1994). Auf der anderen Seite findet ein viel stärkerer normativer Druck statt (Lickel et al., 2006), infolgedessen ein Konflikt eskalieren kann. **Machtunterschiede**. Schließlich spielen Machtunterschiede eine Rolle. Findet eine Provokation durch eine Gruppe mit geringerer Macht statt, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für Vergeltung (Mackie, Devos & Smith, 2000; Yzerbyt & Demoulin, 2010), da nicht kooperatives Verhalten von Gruppen mit geringerem Status als illegitim angesehen wird (Jost, Banaji & Nosek, 2004). Insgesamt ist somit zu beobachten, dass Wahrnehmungen und Erwartungen feindseliges Verhalten unterfüttern und Wahrnehmungs- und Erwartungsveränderungen im Gegenüber hervorrufen können -- was zu einer Konfliktspirale und schließlich -eskalation führen kann (De Dreu, 2010). Neben den genannten psychologischen Prozessen, die für eine Konflikteskalation (mit) verantwortlich sind, gibt es zahlreiche weitere relevante Einflussfaktoren und Effekte (z. B. das Phänomen der Dissonanzreduktion (Festinger, 1957), wonach mögliche Lösungen, die in der Vergangenheit abgelehnt wurden, nur unter Inkaufnahme von Diskrepanz zwischen früheren und jetzigem Verhalten akzeptiert werden könnten); an dieser Stelle sollten lediglich einige der besonders einflussreichen beleuchtet werden. **6.2.3 Emotionale Prozesse** Emotionen sind ein wichtiger Einflussfaktor für den Erfolg oder Misserfolg in Verhandlungen (van Kleef & Sinaceur, 2013). Um affektive Einflüsse systematisch zu betrachten, hat sich die Unterscheidung zwischen **intrapersonellen** und **interpersonellen Effekten** etabliert (Morris & Keltner, 2000; van Kleef & Sinaceur, 2013; van Kleef, De Dreu & Manstead, 2004). Intrapersonelle Effekte beziehen sich auf den Einfluss der individuellen Stimmung auf die individuellen Kognitionen, Strategien, Wahrnehmungen und Verhaltensweisen. Interpersonelle Effekte wiederum bezeichnen den Einfluss von emotionalen Ausdrücken (verbal, mimisch oder gestisch) auf das Gegenüber. **6.2.3.1 Intrapersonelle Effekte von Emotionen** Betrachtet man die intrapersonellen Effekte von Emotionen, so existieren verschiedene Theorien, die erklären, inwiefern Stimmungen Verhandlungsparteien beeinflussen können. Van Kleef und Sinaceur (2013) nennen als einflussreichste Erklärungsansätze für intrapersonelle Einflüsse das Affektals- Information-Modell (Schwarz & Clore, 1983), affektive Priming-Ansätze (u. a. Bower, 1981; Isen, Shalker, Clark & Karp, 1978) und schließlich das Affekt-Infusions-Modell (Forgas, 1995). Alle genannten Theorien nehmen dabei einen valenzkongruenten Einfluss der Stimmungen auf das zu bewertende Objekt an, unterscheiden sich jedoch in den Annahmen über die vermittelnden Prozesse. So beinhaltet beispielsweise das Affekt-Infusions-Modell (Forgas, 1985) die Annahme, dass die (positive oder negative) Stimmung der Parteien als Bezugspunkte für deren Urteile, Entscheidungen und Strategien dient und somit wichtige Auswirkungen auf das Verhandlungsergebnis hat. Entsprechend dieser Annahme zeigte sich in mehreren Studien, dass negativ gestimmte Parteien häufiger einigungserschwerende Reaktionen wie eine mangelnde Zugeständnisbereitschaft oder kompetitive Strategien zeigen (Forgas, 1998). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Stimmung das Verhalten der Parteien valenzkonform verzerrt. Empirisch konnte in einer Reihe von Studien demonstriert werden, dass Parteien mit positiver Stimmung mehr kooperative Verhaltensweisen zeigen und mehr Problemlösestrategien nutzen (Baron, 1990; Carnevale & Isen, 1986; Forgas, 1998; Kramer, Newton & Pommerenke, 1993). Umgekehrt zeigen Parteien mit negativer Stimmung häufiger kompetitive bzw. egoistische Verhaltensweisen (Kassinove, Roth, Owens & Fuller, 2002; Knapp & Clark, 1991). Allerdings sind positive Emotionen nicht grundsätzlich als erleichternd und negative nicht grundsätzlich als erschwerend für den Verhandlungsverlauf zu sehen. So verarbeiten beispielsweise negativ gestimmte, traurige Parteien Informationen systematischer und treffen präzisere Entscheidungen als positiv gestimmte, glückliche Parteien (Hertel, Neuhof, Theuer & Kerr, 2000). 6.2.3.2 Interpersonelle Effekte von Emotionen Auf der Ebene der interpersonellen Effekte kann sich der Effekt des Emotionsausdrucks in vielfältigen Formen auf das soziale Verhandlungsgeflecht auswirken. So können emotionale Expressionen sich sowohl in den gewählten Worten, der Art, wie sie gesagt werden, oder den begleitenden Gesten und Mimiken zeigen (Ekman, 1993). Emotionen können unabsichtlich Informationen vermitteln oder taktisch eingesetzt werden, haben aber in jedem Fall Auswirkungen auf die Erlebniswelt der Gegenpartei (u. a. Ekman & O'Sullivan, 1991; Rimé, Mesquita, Boca & Philippot, 1991; Sinaceur & Tiedens, 2006; Van Kleef, Homan, Finkenauer, Gündemir & Stamkou, 2011). Die vorherrschende Annahme über den Einfluss von Emotionen besagt, dass der Emotionsausdruck als Informationsquelle für die Intentionen des Senders genutzt wird. Der Empfänger kann dann potenziell sein Verhalten im Verhandlungsprozess anpassen (Morris & Keltner, 2000). Der Informationsgewinn für die Empfängerpartei lässt sich empirisch sowohl für die Äußerung von positiven Emotionen (Freude; Pietroni, Van Kleef, De Dreu & Pagliaro, 2008) als auch von negativen Emotionen (Frustration; McGinn & Keros, 2002; Ärger; Pietroni et al., 2008) zeigen. Dieser Effekt ist jedoch an die Bedingung geknüpft, dass die zum Ausdruck gebrachten Emotionen Informationen über Ressourcenpräferenzen beinhalten (Steinel, Van Kleef & Harinck, 2008). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass kognitive, motivationale und affektive Prozesse das Ausmaß und die Qualität der erzielten Verhandlungsergebnisse maßgeblich beeinflussen (Gelfand et al., 2010). Der Einfluss dieser Prozesse auf die Qualität der resultierenden Einigung wird hierbei durch verhandlungsspezifische Verhaltensweisen während der sozialen Interaktion vermittelt. Die soziale Interaktion und die hiermit verbundenen Verhaltensweisen sollen im Folgenden dargestellt werden. **6.4.2.1 Verhandlungen zwischen Teams** Erste Studien, die sich mit Verhandlungen zwischen Teams beschäftigt haben, hatten zum Ziel, den in Sozialen-Dilemma-Studien gefundenen konfliktverstärkenden Effekt durch Gruppen zu replizieren. Obwohl sich in diesen Studien zeigte, dass sich Verhandlungsteams stärker misstrauen, eine geringere Bereitschaft zur Kooperation besitzen und höhere ultimative Forderungen stellen (vgl. Robert & Carnevale, 1997), wirkten sich diese verhandlungserschwerenden Prozesse nicht negativ auf das Verhandlungsergebnis aus. Im Gegensatz zur Dilemma-Forschung zeigte sich sogar ein positiver Effekt in intergruppalen Teamverhandlungen (Morgan & Tindale, 2002; Thompson, Peterson & Brodt, 1996): Teams erzielten integrativere Ergebnisse als Verhandlungspaare. Die Autoren erklären diesen positiven Teameffekt durch einen Vorteil bei der Informationsverarbeitung und durch eine effektive Aufgabenverteilung innerhalb der Verhandlungsteams: Da das Finden von integrativen Lösungen nur durch Verarbeitung vielfältiger und komplexer Informationen möglich ist, sind Teams Einzelpersonen bei der Problemlöseaufgabe „integrative Verhandlung" überlegen (Laughlin, Hatch, Silver & Boh, 2006). Zudem können Teams die vielfältigen Aufgaben in der Verhandlung besser innerhalb des Teams verteilen und ihre Handlungen besser untereinander koordinieren (z. B. eine Person fungiert als Gruppensprecher, während eine andere Person wichtige Informationen notiert). Schließlich können sich die Teammitglieder gegenseitig unterstützen, wenn Informationen nicht eindeutig übermittelt werden oder Missverständnisse entstehen. Betrachtet man diese Befunde aus der Perspektive existierender Forschungsarbeiten zu Gruppenentscheidungen (vgl. Bazerman & Moore, 2008), so lässt sich vermuten, dass der sich aus dem Interessenskonflikt ergebende Dissens zwischen den Gruppen positiv auf die systematische Informationsverarbeitung in integrativen Verhandlungen auswirkt. **6.3.2 Erweiterung der Verhandlungsmasse: Expanding the pie** Eine weitere wirksame Strategie zur Vergrößerung des Einigungsspielraums ist die Erweiterung bzw. der Ausbau der Verhandlungsmasse. Diese Strategie wird in der Verhandlungsliteratur als **expanding the pie** (Pruitt & Carnevale, 1993) bezeichnet. Bei dieser Strategie nehmen die Parteien zusätzliche Ressourcen in die Verhandlung auf, die bereits zuvor verhandelt wurden. Verhandeln Arbeitnehmer und Arbeitgeber beispielsweise über Lohnerhöhung zwischen 2.0 % (Angebot Arbeitgeber) und 2.5 % (Forderung Arbeitnehmer) sowie über die Erhöhung der Arbeitsstundenwoche zwischen 37.5 h (Angebot Arbeitnehmer) und 39.5 h (Forderung Arbeitgeber), so lässt sich die Verhandlungsmasse dadurch erweitern, dass das bisher diskutierte Ausmaß an Ressourcen vergrößert wird. So könnte eine Partei beispielsweise eine 40 h-Woche für eine Lohnerhöhung von 2.7 % vorschlagen. Auch anhand dieser Strategie wird deutlich, dass die Ressourcenmerkmale eine zentrale Rolle spielen. Beispielsweise wird der Erfolg dieser Strategie dadurch beeinflusst, ob die Parteien die Verhandlungsmasse durch eigene Ressourcen, durch Ressourcen der Gegenseite oder möglicherweise durch Ressourcen einer Drittpartei erweitern. Eine besonders effektive Form des Ausbaus der Verhandlungsmasse kann darin bestehen, Ressourcen aufzubauen, die in einen kollektiven Besitz (Gemeingut bzw. Allmende) überführt werden. In einer Tarifverhandlung kann beispielsweise ein Fonds für betriebliche Altersvorsorge, der aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteilen sowie staatlichen Zuschüssen finanziert wird, eine wirkungsvolle Strategie zur Erweiterung der Verhandlungsmasse darstellen. **6.4.2.2 Verhandlungen zwischen Gruppenrepräsentanten** Ein völlig anderes Bild zeigen Forschungsarbeiten, in denen die Parteien als (einzelne) Repräsentanten oder Interessensvertreter ihrer jeweiligen Gruppe agieren. In Übereinstimmung mit Forschungsarbeiten zu sozialen Dilemmata zeigen diese Studien, dass Gruppenrepräsentanten kompetitiver als Einzelpersonen ohne Gruppenmandat agieren (Ben-Yoav & Pruitt, 1984; Benton & Druckman, 1974; Druckman, Solomon & Zechmeister, 1972; Gruder, 1971; Kramer et al., 1993; O'Connor, 1997). Im Gegensatz zu intergruppalen Team-Verhandlungen wirkt sich dieses erhöhte Maß an Kompetition negativ auf die Qualität der erzielten Ergebnisse aus. Neuere Studien zeigen ferner, dass das erhöhte Ausmaß an Kompetition zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Gruppen nicht allein durch die Rolle als Interessensvertreter der Gruppe bedingt ist (Druckman et al., 1972), sondern auch durch soziale Identitätsprozesse (Tajfel & Turner, 1979; Turner et al., 1987) gefördert wird: So neigen Parteien, die sich als Mitglieder einer Gruppe auf kollektiver Ebene identifizieren („Wir gegen Euch"), eher zu kompetitiven Verhaltensweisen und erzielen geringwertigere Ergebnisse als Parteien, die sich als Einzelpersonen wahrnehmen („Ich gegen Dich") und folglich auf einer individuellen Ebene identifizieren (Trötschel et al., 2010; Loschelder & Trötschel, 2010). Analysen zu den zugrunde liegenden Prozessen für diesen verhandlungserschwerenden Effekt zeigen, dass Parteien in einem intergruppalen Kontext aufgrund eines Mangels an wechselseitigem Vertrauen zu minderwertigen Ergebnissen kommen (Axelrod 1984; Kramer & Carnevale, 2001; Naquin & Kurtzberg, 2009): So scheuen Parteien in einem intergruppalen Kontext davor zurück, der Gegenpartei hochwertige Angebote zu unterbreiten aus Furcht, von dem Mitglied der Gegenseite getäuscht und ausgebeutet zu werden (Trötschel, Hüffmeier & Loschelder, 2010). **2.2.2.2 Transaktive Wissenssysteme** Eine Möglichkeit, das Nennen von ungeteilten Informationen zu erhöhen, stellt das transaktive Gedächtnis bzw. transaktive Wissenssysteme (Moreland, 2000) dar. Hierbei handelt es sich um sogenanntes Metawissen, also Wissen über das Wissen bzw. die Informationen, über die jedes einzelne Gruppenmitglied verfügt. Voraussetzung ist das Objektwissen jeder einzelnen Person, also das individuelle Gedächtnissystem an sich (Wegner, Giuliano & Hertel, 1985). Darüber hinaus sind die Interaktionsprozesse, die zwischen den Individuen stattfinden, von großer Relevanz (Wegner, 1986). Über solche transaktiven, wissensbezogenen Prozesse zwischen den einzelnen Kooperationspartnern (Brauner, 2003) entsteht Wissen über das Wissen anderer. Dieses Metawissen über das Objektwissen kann sich einerseits auf das eigene Objektwissen, aber auch auf das Objektwissen anderer Personen beziehen. Somit haben die Individuen über dieses transaktive Wissenssystem in der Kooperation nicht nur Zugriff auf die eigenen Gedächtnisinhalte, sondern auch auf die Gedächtnisinhalte ihrer Gruppenmitglieder. Diese können damit als externe Speicher dienen. Transaktive Wissenssysteme entstehen u. a. durch soziale Wahrnehmung und soziale Interaktion: Informationen über eine andere Person werden in einer Situation verbal wie nonverbal aufgenommen, zu einer kognitiven Repräsentation enkodiert, im Gedächtnis gespeichert und bei Bedarf abgerufen. Einen zentralen Bezugspunkt stellt dabei die Kommunikation zwischen den Gruppenmitgliedern dar, die ihre gespeicherten Informationen austauschen und teilen (Hinsz, Tindale & Vollrath, 1997). Für die Entstehung transaktiver Wissenssysteme ist Zeit eine wesentliche Voraussetzung. Nur, wenn Gruppenmitglieder über einen länger anhaltenden Zeitraum miteinander interagieren und kooperieren, entsteht bei den Einzelnen Wissen über die Expertise der anderen. So verfügt jeder Facharzt eines interdisziplinären Ärzteteams, das bereits über einen längeren Zeitraum miteinander kooperiert und verschiedene medizinische Fälle diskutiert und gelöst hat, über Metawissen darüber, über welches inhaltliche Spezialwissen die einzelnen Fachärzte verfügen. Durch eine langjährige Kooperation weiß jeder genau, an wen er sich bei welchen Fragestellungen wenden muss, um die notwendigen Informationen und das nötige Wissen zu erhalten. Somit hat sich transaktives Wissen entwickelt. Das transaktive Wissen wirkt sich positiv auf die gemeinsame Wissenskonstruktion aus. Werden im individuellen Gedächtnis das Objektwissen über Informationen des eigenen Kompetenzbereichs sowie das Metawissen über das Wissen anderer gespeichert, können Gruppenmitglieder Informationen in einer Gruppe schnell lokalisieren und abrufen (vgl. Brauner, 2003; Hollingshead, 1998; Wegner, 1986). Auch zeigen Gruppen, die die Möglichkeit hatten, transaktives Wissen über die Fähigkeiten und Fertigkeiten anderer Gruppenmitglieder zu erwerben, eine stärkere Spezialisierung, eine schnellere Koordination und mehr Vertrauen in das Fachwissen ihrer Gruppenmitglieder als Gruppen, die kein transaktives Wissen besaßen (Liang, Moreland & Argote, 1995). Gruppenmitglieder, die Kenntnis davon besitzen, wer von ihnen über bestimmte Informationen verfügt, wenden dieses Wissen häufiger bewusst an, um zu einer optimaleren Lösung von Problemen zu gelangen. Außerdem zeigen Gruppen, die im transaktiven Gedächtnis trainiert wurden, bessere Leistungen wie Gruppen ohne dieses Wissen (Moreland, 2006). Somit werden mit Hilfe dieses Metawissens die negativen Effekte, die mit der Verteilung von Informationen bzw. Ressourcen verbunden sind, reduziert. Transaktive Wissenssysteme bergen jedoch auch Gefahren auf der sozioemotionalen Ebene. So kann es in Gruppen, die seit Langem miteinander kooperieren, zu starken Kohäsionskräften kommen. Das bedeutet, dass zugunsten des Gruppenzusammenhalts und der Einhelligkeit der gemeinsamen Meinung Informationen nicht berücksichtigt werden, die für die gemeinsame Lösung von Problemen oder zur Entscheidungsfindung von ausschlaggebender Relevanz sind. Janis (1972) spricht hier von Groupthink. Mit diesem Phänomen verbunden ist ein verzerrtes Entscheidungsverhalten, Für und Wider von Argumenten können dann in der Gruppe nicht mehr nach objektiven Vernunftkriterien gegeneinander abgewogen werden. Dies tritt nicht nur bei hoch kohäsiven Gruppen auf, sondern auch dann, wenn Gruppen beim Treffen von Entscheidungen bzw. beim Lösen von Aufgaben unter sehr hohem Zeitdruck stehen. Beide sozialpsychologischen Theorien zur gemeinsamen Wissenskonstruktion beziehen sich vor allem auf den Interaktionsaspekt beim Austausch von Informationen. Das Bereitstellen und gegenseitige Referenzieren auf unterschiedliche Informationen zur gemeinsamen Wissenskonstruktion steht hier im Mittelpunkt des Interesses. Eine weitere Sichtweise stellt die Pädagogische Psychologie zur Verfügung. **Zu Aufgabe 1** a\) Transaktive Wissenssysteme stellen sogenanntes Metawissen dar. Dieses Metawissen beinhaltet das Wissen über das Wissen eines jeden einzelnen Gruppenmitglieds. Somit haben die Individuen über dieses transaktive Wissenssystem in der Kooperation nicht nur Zugriff auf die eigenen Gedächtnisinhalte, sondern auch auf die Gedächtnisinhalte ihrer Gruppenmitglieder. Ein Beispiel aus dem Alltag lässt sich z.B. im Arbeitsteam einer Kanzlei finden. Kollegen und Kolleginnen, die schon sehr lange miteinander arbeiten, entwickeln Wissen darüber, welches Spezialwissen die anderen haben. So kennt sich eine Person möglicherweise besonders gut mit Arbeitszeitrecht aus, wohingegen eine andere Person umfassendes Wissen im Bereich betriebsbedingter Kündigungen hat. Sind solche Spezialkenntnisse bekannt, können die einzelnen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bei anstehenden Fällen auf das Wissen dieser Kollegen und Kolleginnen gezielt zurückgreifen. b\) Das transaktive Wissen wirkt sich positiv auf die gemeinsame Wissenskonstruktion aus. Beispiele: Werden im individuellen Gedächtnis das Objektwissen über Informationen des eigenen Kompetenzbereichs sowie das Metawissen über das Wissen anderer gespeichert, können Gruppenmitglieder Informationen in einer Gruppe schnell lokalisieren und abrufen. Auch zeigen Gruppen, die die Möglichkeit hatten, transaktives Wissen über die Fähigkeiten und Fertigkeiten anderer Gruppenmitglieder zu erwerben, eine stärkere Spezialisierung, eine schnellere Koordination und mehr Vertrauen in das Fachwissen ihrer Gruppenmitglieder als Gruppen, die kein transaktives Wissen besaßen. Gruppenmitglieder, die Kenntnis davon besitzen, wer von ihnen über bestimmte Informationen verfügt, wenden dieses Wissen häufiger bewusst an, um zu einer optimierten Lösung von Problemen zu gelangen. Außerdem zeigen Gruppen, die im transaktiven Gedächtnis trainiert wurden, bessere Leistungen im Vergleich zu Gruppen ohne dieses Wissen. Somit werden mit Hilfe dieses Metawissens die negativen Effekte, die mit der Verteilung von Informationen bzw. Ressourcen verbunden sind, reduziert. **3.3.1 Das Saying-is-believing-Paradigma** Wie Sie dem theoretischen Hintergrund entnehmen konnten, ist die Idee, dass die Welt, in der wir leben, sozial konstruiert ist, keinesfalls neu. Dementsprechend lang und vielfältig ist auch die Liste der relevanten Forschungsarbeiten, die diesen Punkt auf die ein oder andere Art und Weise empirisch untermauern. Trotz dieses reichhaltigen Hintergrunds wurde die Theorie der sozialen Realitätsbildung (Echterhoff et al., 2009; Hardin & Higgins, 1996) bisher vor allem innerhalb des klassischen Sayingis- believing-Paradigmas erforscht (Higgins & Rholes, 1978; Überblicke bieten Higgins, 1992, 1999, sowie Echterhoff, Higgins & Levine, 2009). Aus diesem Grund wird sich der Abschnitt zum empirischen Hintergrund vor allem auf diese Forschung konzentrieren. Das Saying-is-believing-Paradigma untersucht vordergründig ein alltägliches und natürliches Kommunikationsverhalten, die adressatenorientierte Kommunikation (engl.: audience tuning; Higgins, 1992, 1999): Wenn wir miteinander kommunizieren, berücksichtigen wir meist die Eigenschaften unserer Gesprächspartner und passen uns ihnen an: Fragt Sie zum Beispiel jemand nach einer Wegbeschreibung in Ihrer Heimatstadt, dann beschreiben Sie den Weg einer Ortsfremden anders als jemandem aus Ihrer Stadt (Kingsbury, 1968). Sie reden anders mit Ihrer Freundin, je nachdem, ob sie fröhlich oder traurig, nüchtern oder betrunken ist. Und Sie sprechen über die Arbeitsleistung des neuen Praktikanten, der zufällig der Neffe der Chefin ist, anders, je nachdem, ob Sie mit Ihrem Kollegen oder eben der Chefin sprechen. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass wir uns in der Kommunikation an das Wissen, den Gefühls- und Geisteszustand sowie an die Einstellung unserer Gesprächspartner anpassen. Diese Anpassung in der Kommunikation ist wichtig, da sie es uns ermöglicht, effektiver zu kommunizieren und Missverständnisse zu vermeiden. Das Saying-is-believing-Paradigma (Higgins & Rholes, 1978) macht sich dieses Phänomen der adressatenorientierten Kommunikation zunutze. In einer typischen Studie sollen die Versuchspersonen (Senderinnen und Sender) einem Adressaten eine Zielperson so beschreiben, dass der Adressat die Zielperson aus einer Gruppe von 20 Personen identifizieren kann (vgl. Abb. 1). Hierzu erfahren die Versuchpersonen zuerst, dass ihr Adressat die Zielperson entweder mag oder nicht mag. Dann lesen die Versuchpersonen eine Beschreibung der Zielperson (vorgeblich entstanden im Rahmen einer Langzeitstudie zu Freizeitverhalten, an der obengenannte 20 Personen teilnehmen). In dieser Beschreibung ist die Zielperson evaluativ uneindeutig beschrieben, das heißt, es wird ein Verhalten beschrieben, das man sowohl positiv als auch negativ interpretieren kann. Zum Beispiel wird die Zielperson in einer von meist sechs Passagen wie folgt beschrieben: „Michael versucht Geld zu sparen. Wenn er mal mit Freunden in ein Restaurant essen geht, wählt er immer das billigste Gericht auf der Speisenkarte aus. Er vermeidet unnötige Ausgaben und kauft Kleidung und größere Anschaffungen ausschließlich im Schlussverkauf." Schließlich werden die Versuchpersonen gebeten, ihrem Adressaten die Zielperson (ohne Namensnennung) so zu beschreiben, dass er sie identifizieren kann. Hier zeigt sich nun folgender Effekt: Wenn die Versuchspersonen ihrem Adressaten die Zielperson beschreiben, passen sie ihre Darstellung üblicherweise an dessen Einstellung an -- sie kommunizieren also adressatenorientiert. Die obige Beispielpassage wird also bei einem Adressaten, der Michael mag, als sparsam interpretiert und dargestellt und bei einem Adressaten, der Michael nicht mag, eher als geizig. Das Spannende am Saying-is-believing-Paradigma (Higgins & Rholes, 1978\) ist jedoch, was nach der adressatenorientierten Kommunikation passiert: Wie der Name des Paradigmas schon andeutet, erinnern Senderinnen bzw. Sender sich später in einem unangekündigten Gedächtnistest tendenziell eher so, wie sie kommuniziert haben. Sie „glauben", was sie gesagt haben. Je nach Adressateneinstellung erinnern sie sich also positiv oder negativ verzerrt an die Originalbeschreibung der Zielperson, die sie am Anfang der Studie gelesen haben. Dies passiert, obwohl sie explizit nach dem Originalwortlaut dieser Originalbeschreibung gefragt werden und darauf hingewiesen werden, dass es nicht um ihre eigene Beschreibung geht. Die kommunizierte, an den Adressaten angepasste (evaluativ verzerrte) Darstellung wird also sozusagen in der Erinnerung der Senderinnen bzw. Sender zu ihrer ursprünglichen Sicht der Zielperson (Higgins & Rholes, 1978). Anders ausgedrückt: Die Senderinnen bzw. Sender bauen sich in der adressatenorientierten Kommunikation eine sozial geteilte Sicht auf die Zielperson auf, es entsteht eine sozial geteilte Realität (Echterhoff et al., 2005; Echterhoff, Higgins & Levine, 2009). Der Saying-is-believing-Effekt ist äußerst robust (mit Effektstärken die zwischen mittleren \[d = 0.74\] und großen Effekten \[d = 1.76\] liegen) und wurde, seit er von Higgins und Rholes 1978 erstmals dokumentiert wurde, von verschiedenen Laboren in mehreren Sprachen (z. B. Englisch, Deutsch und Französisch) mit unterschiedlichen Materialien (Text und Video) immer wieder erfolgreich repliziert (Echterhoff, Higgins & Groll, 2005; Echterhoff et al., 2008; Higgins & McCann, 1984; Higgins, McCann & Fondacaro, 1982; Pierucci, Echterhoff, Marchal & Klein, 2014; Sedikides, 1990; Todorov, 2002; Überblicke bieten Higgins, 1992, 1999 sowie Echterhoff, Higgins & Levine, 2009). Das Auftreten des Saying-is-believing-Effekts (dass evaluativ verzerrte, an der Einstellung eines Adressaten orientierte Kommunikation zu einer konsistent verzerrten Erinnerungsrepräsentation des Kommunikationsgegenstandes führt) gilt allgemein als Index für das Vorhandensein einer sozial geteilten Realität. So kommt dem Saying-is-believing-Effekt und seinem gleichnamigen Paradigma eine zentrale Rolle in der empirischen Forschung zur sozialen Realitätsbildung zu. In der letzten Dekade wurde das Saying-is-believing-Paradigma vor allem genutzt, um Rahmenbedingungen der Bildung einer sozial geteilten Realität zu überprüfen. Im Folgenden geben wir einen Einblick in einige neuere, zentrale Befunde, die auf dem Saying-is-believing-Paradigma basieren (Higgins & Rholes, 1978). Die Begriffe „Effekt adressatenorientierter Kommunikation" und „Erinnerungsbias" werden hierbei Synonym zum Begriff Saying-is-believing- Effekt verwendet. Inhaltlich orientieren sich die dargestellten Befunde an den zentralen Motiven der sozialen Realitätsbildung. Soziale Realitätsbildung ist in ihrem Kern vor allem epistemisch und affiliativ motiviert: Menschen wollen gesichertes Wissen erlangen und funktionierende Beziehungen (Affiliationen) zu anderen Menschen unterhalten. Die nun folgenden Studien und Befunde sind grob nach diesen beiden Motiven geordnet. **Zu Aufgabe 3** a\) Das Saying-is-believing-Paradigma untersucht ein alltägliches und natürliches Kommunikationsverhalten, die adressatenorientierte Kommunikation. Dabei geht es darum, dass wir unsere Kommunikation an unsere Gesprächspartner anpassen. Beispielsweise erklärt man einer ortsfremden Person den Weg zum Bahnhof anders, als einer Person aus der gleichen Stadt. b\) Ja, das Paradigma ist zur Untersuchung sozial geteilter Realität geeignet. In einem Experiment, in dem Probanden beispielsweise die Beschreibungen über Zielpersonen an einen spezifischen Adressaten anpassen sollten (ihnen war bekannt, ob diese Adressaten die Zielperson mögen oder nicht), konnte gezeigt werden, dass die Erinnerungen der Probanden im Anschluss an die Beschreibungen in Richtung der an den Adressaten angepassten Darstellung verzerrt war. Die Probanden, die Nachrichten gesendet haben, bauen sich demnach in der adressatenorientierten Kommunikation eine sozial geteilte Sicht auf die zu beschreibende Zielperson. Es entsteht eine sozial geteilte Realität, die sich in der verzerrten Erinnerungsrepräsentation zeigt. c\) Adressatenorientierte Kommunikation führt zuverlässig zu einem Erinnerungsbias, wenn Versuchspersonen mit einem Mitglied ihrer Eigengruppe kommunizieren. Dies wird einem Vertrauensvorschuss gegenüber der eigenen Gruppe zugeschrieben. Demgegenüber bleibt die Erinnerung der Sprecherinnen oder Sprecher von der eigenen Kommunikation unbeeinflusst, wenn es sich beim Adressaten um ein Fremdgruppenmitglied handelt. Bei Mitgliedern einer Fremdgruppe kann jedoch durch das Herstellen einer Beziehung zwischen Sprecher bzw. Sprecherin und Adressat eine geteilte soziale Realität gefördert werden. **5.4.2.1 Das SIDE-Modell** Im Kontext des Einflusses von Gruppen auf ihre Mitglieder wird das Zusammenwirken von Medieneigenschaften und Personenmerkmalen besonders deutlich. Der kognitive Aspekt des SIDE-Modells (Postmes et al., 1998) besagt, dass Anonymität als Merkmal von CvK und die momentan dominierende Komponente des Selbstkonzepts -- die Salienz der personalen oder einer sozialen Identität -- einen starken Einfluss darauf ausüben, wie eine soziale Interaktion über das Internet verläuft. Nach dem Modell ist von zentraler Bedeutung, ob Personen sich in einer Interaktion im Wesentlichen als unterschiedliche Individuen wahrnehmen (eine saliente personale Identität haben) oder als Mitglieder einer Gruppe (eine saliente soziale Identität haben). Eine saliente geteilte soziale Identität in einer interagierenden Gruppe führt bei FTF-Kommunikation zu mehr gegenseitigem sozialen Einfluss als saliente personale Identitäten (Hogg & Turner, 1985). Anonymität verhindert dann, dass Information auf die interagierenden Personen übertragen wird und trägt damit dazu bei, dass sich die salienten Identitätskomponenten stark auswirken können. Genauer besagt das SIDE-Modell, dass sich der Effekt der salienten Identität bei anonymer Kommunikation verstärkt, da diese verhindert, dass soziale Hinweisreize über die Interaktionspartner die gemeinsame soziale Identität infrage stellen und so die wahrgenommene Homogenität der Gruppe und damit die Salienz der sozialen Identität reduzieren. Während bei FTF-Kommunikation die soziale Identität über die Zeit an Bedeutung verlieren kann -- aufgrund von Informationen über Kommunikationspartner, die nicht zur salienten sozialen Identität passen --, ist dies bei anonymer CvK weniger wahrscheinlich. Als Konsequenz ist der Einfluss von sozialen Identitäten bei anonymer CvK besonders stark, d. h. es sollte beispielsweise zu mehr sozialem Einfluss kommen. Eine saliente personale Identität sollte nicht nur bei FTF-Kommunikation zu weniger sozialem Einfluss führen. Dieser Effekt sollte sich bei anonymer CvK weiter verstärken, da auch diese saliente Identität durch die wenigen sozialen Hinweisreize bei Anonymität nicht infrage gestellt wird. **5.4.2.2 Empirische Befunde zum SIDE-Modell** Diese theoretischen Annahmen wurden durch eine Reihe von Studien bestätigt. Wegweisend war dabei eine Studie von Spears, Lea und Lee (1990), die vor einer Gruppendiskussion eine Salienz der personalen Identität der Untersuchungsteilnehmer oder der sozialen Identität als Studierende herstellten. Die Teilnehmer diskutierten Themen mit Relevanz für die soziale Identität in anonymer oder nicht anonymer CvK. In Übereinstimmung mit den Erwartungen auf der Basis des SIDE-Modells war der soziale Einfluss bei anonymer (verglichen mit nicht anonymer) CvK größer, wenn die soziale und geringer, wenn die personale Identität initial salient waren. Dieser stärkere Einfluss der sozialen Identität auf die Einstellung und das Verhalten bei anonymer CvK wurde in einer Reihe ähnlicher Studien repliziert (Postmes et al., 1998; Spears, Postmes, Lea & Watt, 2001; Spears, Postmes, Lea & Wolbert, 2002). Postmes, Spears, Sakhel und de Groot (2001) bestätigten auch die Annahmen des SIDE-Modells hinsichtlich des Prozesses, der diesem Effekt unterliegt: Anonyme CvK verstärkt die bestehende Salienz der sozialen Identität, was wiederum eine stärkere Orientierung an Gruppennormen auslöst. Weitere Studien haben gezeigt, dass die Existenz einer konsensual geteilten Gruppennorm hinsichtlich des Diskussionsthemas oder des Verhaltens eine Voraussetzung für die im SIDE-Modell beschriebenen Effekte ist (Sassenberg & Boos, 2003). In sozialen Gruppen, die vor allem durch eine gemeinsame Identität (z. B. ein Diskussionsthema oder ein Ziel) geprägt sind (sog. Common-identity- Gruppen) und weniger durch interpersonale Beziehungen und starke interpersonale Bindungen (z. B. Gruppen von Freunden, sog. Commonbond- Gruppen), bilden sich soziale Normen jedoch sehr schnell. So fand Sassenberg (2002), dass in Internet-Chats mit einem gemeinsamen Thema (d. h. Common-identity-Gruppen) eine stärkere Orientierung an Kommunikationsnormen auftrat als in Internet-Chats, die vor allem der Pflege von Freundschaften und Bekanntschaften dienten (d. h. Commonbond- Gruppen; vgl. auch Graham, 2003; Postmes, Spears & Lea, 2000). Auch der Frage, unter welchen Bedingungen und aus welchen Gründen interpersonaler Einfluss durch (anonyme) CvK behindert wird, wurde in weiteren Studien nachgegangen. Zentrale psychologische Variable scheint dabei die bei CvK erhöhte private Selbstaufmerksamkeit (d. h. die Bewertung des eigenen Verhaltens vor dem Hintergrund eigener Werte und Ziele) zu sein (Matheson & Zanna, 1988; Sassenberg et al., 2005; Spears & Lea, 1992). **5.4.2.3 Zusammenfassung und Implikationen** Insgesamt steigert anonyme CvK also den Einfluss sozialer Identitäten auf Kommunikationsinhalte, -verhalten und -ergebnisse (für eine Zusammenfassung vgl. Sassenberg & Jonas, 2007). Ähnliche Effekte treten auch für andere soziale Hinweisreize auf, die vor der Kommunikation übermittelt werden und Bezug zu deren Inhalten aufweisen. So hat Information über Expertise bei anonymer CvK einen größeren Einfluss (Sassenberg, Boos & Klapproth, 2001), und es findet eine stärkere Distanzierung von Fremdgruppenmitgliedern statt als bei direkter Kommunikation (Postmes, Spears & Lea, 2002). Gleichzeitig spielen irrelevante soziale Merkmale eine geringere Rolle. Statusunterschiede ohne Bezug zum Kommunikationsthema wirken sich online weniger auf den Verlauf der Kommunikation aus und Mitgliedschaft in einer stigmatisierten Gruppe hat in Preisverhandlungen anders als bei direktem Kontakt kaum einen Effekt bei Kontakt via Internet (z. B. Scott Morton, Zettelmeyer & Silva-Risso, 2003; Shohat & Musch, 2003). Die Tatsache, dass sich nur relevante Identitäten und diese besonders stark im Internet auswirken, hat jedoch nicht nur positive, sondern auch negative Effekte. So lässt sich beispielsweise auch die Tatsache verstehen, dass Extremisten das Internet sehr erfolgreich für ihre Propaganda nutzen (Guadagno, Lankford, Muscanell, Okdie & McCallum, 2010; McGarty, Lala & Douglas, 2011; Qin, Zhou, Reid, Lai & Chen, 2007). **Zu Aufgabe 7 -- Erfolgsfaktoren von Online-Selbsthilfegruppen** **Anonymität**: Da man in solchen Gruppen nicht mit dem eigenen Namen auftreten muss und in der Masse an Personen auch leichter untergeht, fällt es leichter, über unangenehme Inhalte zu sprechen. Räumliche **Distanz**: Für Personen solcher Gruppen ist es leichter, von zu Hause aus Leidensgenossen zu finden. **Textbasiert**: Dadurch, dass viele solcher Gruppen über schriftliche Kommunikation funktionieren, findet man in solchen Gruppen editierte und damit gut durchdachte Beiträge, die zwischen vielen Personen möglich und über längere Zeit verfügbar sind. Alle drei Eigenschaften leisten einen Beitrag zur Reflektion über die eigene Situation und zur Möglichkeit, Information zu sammeln und soziale Vergleiche anzustellen. **5.2.2.2 Dual-concern-Modell** Das Dual-concern-Modell („Modell der Interessenberücksichtigung"), das um den Konfliktforscher Pruitt (Carnevale & Pruitt, 1992; Pruitt, 1998; Pruitt & Rubin, 1986) entstanden ist, geht davon aus, dass die Ausprägungen zweier voneinander unabhängiger Motive die Auswahl der Strategien in Konfliktsituationen bedingen: das Eigeninteresse („self concern") und das Interesse am anderen („other concern"). Während das Eigeninteresse eigene Bedürfnisse, Interessen und Werte in den Vordergrund stellt, werden beim Interesse am anderen die Bedürfnisse, Interessen und Werte der anderen fokussiert -- sowohl aus instrumentellen als auch aus genuin empathischen Gründen. Die Kombination der Motive sagt nun das strategische Verhalten vorher: (1) Wird hohes Eigeninteresse mit hohem Interesse am anderen kombiniert, ist die dominante Strategie problemlösendes Verhalten. (2) Tritt hohes Eigeninteresse jedoch mit geringem Interesse am anderen auf, wird gekämpft oder sich durchgesetzt. (3) Ein geringes Eigeninteresse zusammen mit einem hohen Interesse am anderen sagt die Strategie des Nachgebens vorher. (4) Geringes Eigeninteresse, das zusammen mit geringem Interesse am anderen auftritt, bedingt Passivität oder Abbruch (vgl. Tab. 9). Im Unterschied zur Kooperations/Kompetitionstheorie implementiert das Dual-concern-Modell die Strategien Passivität und Abbruch sowie zwei verschiedene Formen von Kooperation (Pruitt & Lewis, 1975; Weingart, Brett, Olekalns & Smith, 2007) und erweitert somit das Strategienspektrum um wichtige Determinanten. Empirisch konnte das Modell zwar konsistent bestätigt werden (Carnevale & Pruitt, 1992; De Dreu et al., 2000), dennoch wurde auch Kritik geübt. Ein Kritikpunkt bezieht sich dabei auf die Möglichkeit eines Wechsels zwischen verschiedenen Strategien, was in realen Konfliktsituationen häufig stattfindet, durch das Modell aber nicht repräsentiert wird; es sagt lediglich die eigene Orientierung vorher, aber berücksichtigt nicht Situation oder Reaktionen der Gegenpartei (Thompson, 1990). Rhoades und Carnevale (1999) stellten daher fest, dass das Modell nur gilt, wenn beide Parteien dieselben Modellausprägungen haben -- sonst bestimmt eher die Strategie der anderen Partei das Verhalten im Konflikt. Interkulturell wurden überdies Unterschiede in der Strategienpräferenz gefunden: Während individualistische Kulturen wie Europa oder Nordamerika eher das Problemlösen präferieren, tendieren kollektivistische Kulturen wie Afrika oder Ostasien zu Vermeidungs- und Abbruchstrategien (Holt & DeVore, 2005). Westliche Kulturen erachten die letztgenannten Strategien als relativ negativ -- östliche Kulturen jedoch empfinden sie als positiv und interpretieren sie als Interesse am anderen (Brett & Gelfand, 2005; Gabrielidis, Stephan, Ybarra, Pearson & Villareal, 1997). **Zu Aufgabe 6** a\) Das Dual-concern-Modell („Modell der Interessenberücksichtigung"), das um den Konfliktforscher Pruitt entstanden ist, geht davon aus, dass die Ausprägungen zweier voneinander unabhängiger Motive die Auswahl der Strategien in Konfliktsituationen bedingen: das Eigeninteresse („self concern") und das Interesse am anderen („other concern"). Während das Eigeninteresse eigene Bedürfnisse, Interessen und Werte in den Vordergrund stellt, werden beim Interesse am anderen die Bedürfnisse, Interessen und Werte der anderen fokussiert -- sowohl aus instrumentellen als auch aus genuin empathischen Gründen. Die Kombination der Motive sagt nun das strategische Verhalten vorher: (1) Wird hohes Eigeninteresse mit hohem Interesse am anderen kombiniert, ist die dominante Strategie problemlösendes Verhalten. \(2) Tritt hohes Eigeninteresse jedoch mit geringem Interesse am anderen auf, wird gekämpft oder sich durchgesetzt. (3) Ein geringes Eigeninteresse zusammen mit einem hohen Interesse am anderen sagt die Strategie des Nachgebens vorher. (4) Geringes Eigeninteresse, das zusammen mit geringem Interesse am anderen auftritt, bedingt Passivität oder Abbruch. b\) Empirisch konnte das Modell konsistent bestätigt werden. Kritik wird jedoch beispielsweise dahingehend geäußert, dass das Modell keine Wechsel der Strategie repräsentiert, die in realen Konfliktsituationen jedoch möglich sind. Es ist daher anzunehmen, dass das Modell gerade dann gilt, wenn beide Parteien dieselben Modellausprägungen aufweisen -- sonst bestimmt eher die Strategie der anderen Partei das Verhalten im Konflikt. **6.2.1.2 Ankereffekte** Weitere Forschungsarbeiten zu kognitiven Heuristiken befassen sich mit Ankereffekten in Verhandlungen. So zeigt sich, dass sowohl Novizen als auch Experten durch die Höhe der ersten Forderung beeinflusst werden (Northcraft & Neale, 1987), indem diese als Anker wirkt und in der Folge einen bedeutsamen Einfluss auf die Limits, Ziele und das Verhandlungsergebnis hat (Galinsky & Mussweiler, 2001; Loschelder et al., 2013; Loschel der, Swaab, Trötschel & Galinsky, 2014; Loschelder, Trötschel, Swaab, Friese & Galinsky, 2016; Whyte & Sebenius, 1997). Gleichzeitig erhöht numerische Präzision die Ankerwirkung. So ist beispielsweise zu erwarten, dass Arbeitnehmer, die mit einer hohen und präzisen ersten Forderung in die Verhandlung einsteigen (z. B. Tariferhöhung von 6.23 %) am Ende der Verhandlung einen höheren Tarifabschluss erzielen als Arbeitnehmer, die mit einer niedrigen, gerundeten Forderung die Verhandlung eröffnen (z. B. Tariferhöhung von 5.00 %; Loschelder et al., 2013). **3.2.1 Ideengeschichtliche Grundlagen** Einen dritten zentralen Meilenstein in der Ideengeschichte der Theorie der sozialen Realitätsbildung bildet schließlich die Theorie des sozialen Vergleichs (Festinger, 1950, 1954). Ihr zufolge nutzen Menschen soziale Vergleiche mit anderen Personen, um ihre eigenen Fähigkeiten und Ansichten zu evaluieren und sich selbst und die umgebende Welt zu interpretieren. Dabei sind soziale Vergleiche insbesondere dann relevant, wenn es für unsere Handlungen wichtig ist, uns selbst und die gegebene Situation zutreffend einzuschätzen. Dies ist zum Beispiel der Fall bei der Auswahl von zu lösenden Aufgaben (Jones & Regan, 1974) und wenn uns andere, objektiv erscheinende Maßstäbe fehlen: „where the dependence upon physical reality is low the dependence upon social reality is correspondingly high" (Festinger, 1950, S. 272). Ein klassisches experimentelles Beispiel dafür, wie der Vergleich mit Ansichten anderer unsere Sicht der Welt formen, bieten Sherifs Studien zum autokinetischen Effekt (Sherif, 1935; Sherif, 1936): Betrachtet man einen statischen Lichtpunkt in einer ansonsten abgedunkelten Umgebung, so scheint er sich (infolge unwillkürlicher sakkadischer Augenbewegungen) zu bewegen. Bittet man nun Gruppen, die Bewegung dieses Lichtpunktes zu beschreiben, so zeigt sich, dass die Urteile der einzelnen Gruppenmitglieder schnell in Richtung einer einheitlichen Gruppennorm konvergieren (wobei die jeweilige Gruppennorm von Gruppe zu Gruppe stark variiert). Die Ansichten der anderen Gruppenmitglieder beeinflussen die individuelle Wahrnehmung von Bewegung unabhängig von deren tatsächlicher Natur -- soziale Geteiltheit schafft wahrgenommene Realität. Diese sozial geschaffene Sicht der Realität ist sogar so stark, dass Probandeninnen und Probanden in diesen Studien auch nach Aufklärung darüber, dass der Punkt sich nicht bewegte, fest davon überzeugt waren, dass er es tat. Ideengeschichtlich betrachtet findet hier erstmals auch der direkte soziale Vergleich mit den Ansichten anderer Eingang in die Beschreibung dessen, wie wir zu unserem Verständnis der Welt gelangen. Unsere Sicht der Wirklichkeit wird nicht mehr nur von Motiven und Erwartungen beeinflusst, sondern ist vielmehr das Ergebnis eines epistemisch, also von dem Streben nach Erkenntnis, motivierten Prozesses der Wirklichkeitskonstruktion unter Zuhilfenahme der Fähigkeiten und Ansichten anderer. **3.2.2 Was ist sozial geteilte Realität? Zentrale Begriffe** Seit Hardin und Higgins 1996 den Grundstein der Theorie der sozial geteilten Realität legten, hat die Frage, wie unsere Sicht der Wirklichkeit entsteht und aufrechterhalten wird, innerhalb der empirischen Sozialpsychologie stark an Beachtung gewonnen. Der Großteil aller experimentellen Studien zur sozialen Realitätsbildung wurde erst innerhalb der letzten Dekade publiziert. Mit diesem wachsenden empirischen Forschungsinteresse wuchs auch der Bedarf an einer weiteren Präzisierung des theoretischen Verständnisses sozialer Realitätsbildung. Gerald Echterhoff, Tory Higgins und John Levine haben im Jahre 2009 diesem Bedarf Rechnung getragen und die notwendigen Voraussetzungen, limitierenden Faktoren und zentralen Konzepte der Theorie der sozial geteilten Realität definiert. Diese sollen im Folgenden kurz dargestellt werden. Was also ist genau gemeint, wenn wir von sozial geteilter Realität sprechen? Hinsichtlich der Definition von Realität folgt sowohl das ursprüngliche als auch das heutige Verständnis sozialer Realitätsbildung einer konstruktivistischen Sicht von Wirklichkeit. Da Menschen keinen erkenntnisunabhängigen Zugang zur Realität haben, sind sie nicht in der Lage, zwischen den Bedingungen der Existenz von Realobjekten und den Bedingungen individueller Erkenntnis von Realität zu unterscheiden (Luhmann, 1996). Anders gesagt: Was wir als Wirklichkeit verstehen, ist immer subjektive Wahrnehmung und Interpretation. Hinsichtlich der Frage, was sozial geteilt bedeutet, sind verschiedene, potenziell relevante Arten von Geteiltheit zu unterscheiden (Cannon-Bowers & Salas, 2001; Thompson & Fine, 1999): die Geteiltheit im Sinne des Offenlegens (z. B. im Fall einer mitgeteilten Neuigkeit), im Sinne der Aufteilung (z. B. im Fall eines aufgeteilten Lottogewinns), im Sinne einer für andere erkennbaren, den betreffenden Personen aber nicht zwingend bewussten Gleichheit (z. B. im Fall einer allgemein bekannten Information) und im Sinne einer erlebten Entsprechung (z. B. im Fall einer gemeinsamen Vorliebe für George-Clooney-Filme). Für die Theorie sozialer Realitätsbildung ist vor allem die letztgenannte Form sozialer Geteiltheit relevant. Ein eigenes Erleben gilt dann als sozial geteilt, wenn man die Erfahrung macht, dass es im Erleben anderer eine Entsprechung findet (Echterhoff, Higgins & Levine, 2009). Aus dem dargestellten konstruktivistischen Verständnis von Realität und Geteiltheit ergibt sich auch die aktuelle Definition sozial geteilter Realität: Sozial geteilte Realität ist das Produkt eines motivierten Prozesses, in dessen Rahmen das Individuum die Erfahrung macht, dass der eigene innere Zustand (zum Beispiel Gefühle, Einstellungen, Urteile; Higgins & Pittman, 2008) bezüglich eines Aspekts der Welt im inneren Zustand mindestens einer anderen Person Entsprechung findet (Echterhoff, Higgins & Levine, 2009). Der dieser Erfahrung zugrunde liegende Prozess wird als soziale Realitätsbildung beschrieben. Den zentralen Ausgangspunkt der Entstehung einer sozial geteilten Realität bildet das spezifisch menschliche Bedürfnis nach sozialer Geteiltheit, also das Bedürfnis, die eigene Sicht der Welt als von anderen geteilt zu erleben. Aber warum ist es so wichtig für uns, unsere Sicht der Welt mit anderen zu teilen? **3.2.3 Warum streben wir nach sozialer Geteiltheit?** **Motivationale Grundlagen** Die Erfahrung sozial geteilter Realität erfüllt verschiedene soziale und epistemische Funktionen (Hardin & Higgins, 1996). Stellen Sie sich vor, Sie nehmen an einer Konferenz teil. In der Pause kommen Sie zufällig am Kaffeestand mit jemandem ins Gespräch und entdecken, dass Sie beide den Kaffee eigentlich gar nicht mögen, aber den Amarettini, die dazu gereicht werden, einfach nicht widerstehen können. Was ist wohl ihr erster Eindruck voneinander? Vermutlich werden Sie einander, so nichts anderes dagegen spricht, spontan sympathisch finden (Byrne, 1997; Heider, 1958). Wenn uns keine anderen Informationen zur Verfügung stehen, genügt es, dass andere einen einzelnen, zufällig ausgewählten Aspekt der Welt so sehen wie wir, damit wir sie als ein Mitglied der Eigengruppe ansehen und anderen gegenüber bevorzugen (Tajfel, 1970; Tajfel & Billig, 1971). Auf sozialer Ebene führt das Erleben sozialer Geteiltheit dazu, dass wir uns anderen näher und stärker verbunden fühlen, und befriedigt so das zentrale menschliche Bedürfnis nach Verbundenheit und Zugehörigkeit (Baumeister & Leary, 1995; Deci & Ryan, 2000; Maslow, 1968). Auf epistemischer Ebene formt das Erleben sozialer Geteiltheit die Entwicklung und Aufrechterhaltung unseres Verständnisses von Wirklichkeit (Hardin & Higgins, 1996). Was wir als Wirklichkeit beschreiben, ist immer nur unsere subjektive Repräsentation von Wirklichkeit und so variabel wie die ihrer Repräsentation zugrunde liegenden Wahrnehmungs- und Interpretationsprozesse. So halten wir beispielsweise gleichbleibend große Gegenstände für verschieden groß, je nachdem welchen Wert wir ihnen zuschreiben (Bruner & Goodman, 1947). Inhaltlich unveränderte Entscheidungsoptionen erscheinen uns unterschiedlich attraktiv, je nachdem, ob sie als Gewinn oder Verlust dargestellt sind (Tversky & Kahneman, 1981) oder welchen regulatorischen Fokus wir gerade haben (Idson, Liberman & Higgins, 2000). Wir finden den gleichen Comic mehr oder weniger lustig, je nachdem wie aktiv unsere Lachmuskeln gerade sind (Strack, Martin & Stepper, 1988). Sogar unser Leben als Ganzes erscheint uns mehr oder weniger gut, je nachdem in welcher Stimmung wir gerade sind (Schwarz & Clore, 1983). Die sozialpsychologische Forschung bietet zahlreiche Beispiele für die Variabilität des individuellen Verständnisses von Wirklichkeit; unser Verständnis der Wirklichkeit scheint also, auf sich allein gestellt, oft flüchtig und instabil. Wird die eigene Sicht der Welt hingegen von anderen geteilt, gewinnt sie subjektiv an Verlässlichkeit und Richtigkeit und wir fühlen uns sicherer darin, dass die Welt so ist, wie wir sie sehen: „in the absence of social verification, experience is transitory, random, and ephemeral, like the flicker of a firefly. But once recognized by others and shared... it achieves the phenomological status of objective reality" (Hardin & Higgins, 1996, S. 28). Dieser Einfluss aktueller sozialer Geteiltheit ist dann am deutlichsten, wenn der betreffende Aspekt der Welt besonders uneindeutig ist (Byrne & Clore, 1967; Deutsch & Gerard, 1955; Festinger, 1950; Sherif, 1935, 1936), oder, konstruktivistisch gedacht, wenn nicht auf bereits etablierte interund intraindividuell stabile Kategorien zurückgegriffen werden kann, um eine aktuelle Wahrnehmung zu interpretieren. In jedem Fall aber verleiht soziale Geteiltheit, ob aktuell oder im Vorfeld erfahren, der individuellen Sicht von Wirklichkeit Validität und Reliabilität und macht sie in unserer subjektiven Wahrnehmung zu einem verlässlichen Bestandteil scheinbar objektiver Realität (Hardin & Higgins, 1996). Damit bedient das Erleben sozialer Geteiltheit zwei zentrale menschliche Motive: das Erkenntnismotiv, uns selbst und die uns umgebende Welt zu verstehen (Bartlett, 1932; Higgins, 2011; Kagan, 1972; Loewenstein, 1994) und das Kontrollmotiv, die uns umgebende Welt wirksam beeinflussen zu können (Bandura, 1977; DeCharms, 1968; White, 1959). Zusammenfassend betrachtet befördert soziale Geteiltheit also auf sozialer Ebene das Erleben von sozialer Nähe. Auf epistemischer Ebene macht sie die individuelle Sicht der Wirklichkeit gleichsam zu einem Bestandteil verlässlicher, scheinbar objektiver Realität. Über diese beiden Wirkungen vermittelt, befriedigt sie zentrale menschliche Bedürfnisse bzw. Motive nach sozialer Verbundenheit, Erkenntnis und Kontrolle. Auf Metaebene tragen soziale Verbundenheit, Erkenntnis und Kontrolle dazu bei, dass wir die eigenen Interessen erfolgreich verfolgen können (für einen Überblick vgl. Higgins, 2011). Insgesamt scheint es also durchaus sinnvoll, dass wir danach streben, die eigene Sicht der Welt als von anderen geteilt zu erleben. Wie jedoch gelingt uns dies? **3.2.4 Wann entsteht sozial geteilte Realität?** **Notwendige Voraussetzungen** Soziale Realitätsbildung baut darauf auf, dass der eigene innere Zustand bezüglich eines Aspekts der Welt im inneren Zustand einer anderen Person eine Entsprechung findet. Allerdings entsteht nicht aus jeder Entsprechung auch eine sozial geteilte Realität. Hierfür müssen mehrere situationale und inhaltliche Voraussetzungen erfüllt sein, die im Folgenden kurz skizziert werden (für eine detaillierte Ausführung vgl. Echterhoff, Higgins & Levine, 2009). Auf situationaler Ebene besteht das minimale System, in dem eine sozial geteilte Realität entstehen kann, aus drei Elementen: einer Indexperson, die soziale Geteiltheit erlebt, einem Meinungsgegenstand, bezüglich dessen die Indexperson eine Repräsentation bildet, und einem Interaktionspartner, mit dem die Indexperson eine Entsprechung innerer Zustände bezüglich des Meinungsgegenstandes erlebt. Sind diese situationalen Voraussetzungen erfüllt, so ist die Entstehung einer sozial geteilten Realität an vier weitere inhaltliche Bedingungen geknüpft. Erstens muss die erlebte Entsprechung eine Entsprechung innerer Zustände sein (wie z. B. Gedanken und Gefühle; Higgins & Pittman, 2008); eine bloße Gleichheit beobachtbaren Verhaltens genügt nicht. Wenn ich beispielsweise sehe, wie jemand mit mir einen Vortrag verlässt, muss ich annehmen können, dass er das ebenso wie ich aus Verärgerung über den Vortrag tut. Sehe ich allerdings, dass er geht, um einen Anruf entgegenzunehmen, erlebe ich zwar ähnliches Verhalten, aber keine sozial geteilte Realität. Zweitens müssen die betreffenden inneren Zustände sich auf einen Aspekt der Realität, also auf einen spezifischen Meinungsgegenstand beziehen; eine bloße Gleichheit ungerichteten Affekts genügt nicht. Zu sehen, dass jemand anderes auch erfreut ist, führt nur dann zu sozialer Realitätsbildung, wenn ich annehmen kann, dass die andere Person über dasselbe erfreut ist wie ich. Drittens muss die erlebte Entsprechung aus dem epistemischen Erkenntnismotiv oder dem sozialen Verbundenheitsmotiv heraus entstanden sein. Basiert sie auf anderen Motiven, wie z. B. dem Motiv, den eigenen Gewinn zu maximieren, entsteht keine sozial geteilte Realität (für eine empirische Überprüfung dieser Voraussetzung vgl. Echterhoff, Higgins, Kopietz & Groll, 2008). Viertens muss die Entsprechung innerer Zustände von der Indexperson als Entsprechung wahrgenommen werden. Objektiv vorhandene (bzw. konstruktivistisch gedacht, für dritte Personen erkennbare) von der Indexperson aber nicht als solche erlebte Entsprechungen führen nicht zur sozialen Realitätsbildung. Umgekehrt können objektiv nicht vorhandene (bzw. für Dritte nicht erkennbare), subjektiv aber als vorhanden wahrgenommene Entsprechungen durchaus zum Erleben sozial geteilter Realität führen (Stukas, Bratanova, Peters, Kashima & Beatson, 2010). Es ist für die Bildung einer sozialen Realität also gar nicht nötig, dass beide Personen die gleiche Perspektive auf einen Gegenstand haben. Vielmehr ist es ausreichend, dass die Indexperson der Überzeugung ist, eine gemeinsame Perspektive sei vorhanden. **3.2.5 Wie entsteht sozial geteilte Realität?** **Mögliche Entstehungsverläufe** Sind die genannten situationalen und inhaltlichen Voraussetzungen erfüllt, so kann soziale Realitätsbildung auf verschiedenen Wegen stattfinden. Die empirische Forschung zu sozial geteilter Realität hat sich bisher stark auf soziale Realitätsbildung im Saying-is-believing-Paradigma konzentriert (Higgins & Rholes, 1978). In diesem Paradigma geschieht soziale Realitätsbildung durch adressatenorientierte Kommunikation (engl.: audience tuning) und eine hierüber vermittelte Anpassung der eigenen Sicht eines Meinungsgegenstandes an die Sichtweise der Adressaten (für weitere Details zum Paradigma und dem aktuellen Stand der Forschung vgl. Abschnitt 3.3.1). Sozial geteilte Realität kann aber beispielsweise auch entstehen, wenn Personen spontan entdecken, dass sie ähnliche Einstellungen und Werte teilen (Bar-Tal, 2000). Oder zum Beispiel auch, wenn wir einfach annehmen, dass andere die Welt ebenso sehen wie wir (Ross, Greene & House, 1977). Insgesamt können die verschiedenen möglichen Entstehungswege sozial geteilter Realität danach gegliedert werden, ob die beteiligten Personen schon zu Beginn der Interaktion über gefestigte Repräsentationen des betreffenden Meinungsgegenstandes verfügen und inwieweit diese Repräsentationen einander entsprechen (French, 2011). Stellen Sie sich vor, es ist dieses Jahr Ihnen zugefallen, gemeinsam mit einem anderen Teammitglied den jährlichen Ausflug Ihrer Arbeitsgruppe zu planen. Irgendwie kam die Idee auf, man könne doch gemeinsam in einen Hochseilgarten fahren. Möglicherweise entdecken Sie bei der Planung, dass Sie die Vorstellung, in 10 Metern Höhe an einem Seil über dem Boden zu schweben, beide ziemlich unattraktiv finden. Oder Sie haben beide noch keine klare Vorstellung vom Hochseilgarten und bilden sich im Austausch miteinander eine Meinung. Vielleicht sind Sie selbst aber auch noch unschlüssig, während Ihr Gesprächspartner den Hochseilgarten großartig findet und Sie überzeugt. Oder es ist umgekehrt, und Sie überzeugen Ihren Gesprächspartner. In jedem dieser Fälle entsteht soziale Geteiltheit; entweder durch die Entdeckung unabhängiger Gleichheit, durch Co-Konstruktion einer geteilten Sichtweise, durch Übernahme der Sicht eines anderen oder indem jemand anderes die eigene Sicht übernimmt (vgl. Tab. 1). Grundsätzlich besteht aber natürlich auch die Möglichkeit, dass beide Interaktionspartner mit bereits gefestigten divergierenden Sichtweisen in den Dialog eintreten. In diesem Fall kommt es leicht zu kognitiver Dissonanz, die durch Abwertung der anderen Partei und ihrer divergierenden Sichtweise reduziert wird (Festinger, 1957). Interessanterweise sind es jedoch gerade die Kontexte stab