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Wehrrecht für die Offizierausbildung PDF (Juli 2024)

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Document Details

WellPositionedAqua

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Marineschule Mürwik

2024

Sascha A. Lueftner

Tags

military law wehrrecht officer training german law

Summary

This is a script for military law for officer training at the Marineschule Mürwik. It covers constitutional, criminal, and disciplinary law. The 4th edition covers the practical aspects of military law and the officer's role.

Full Transcript

Wehrrecht für die Offizierausbildung an der Marineschule Mürwik Skript ORR Sascha A. Lueftner 4., komplett überarbeitete und ergänzte Auflage...

Wehrrecht für die Offizierausbildung an der Marineschule Mürwik Skript ORR Sascha A. Lueftner 4., komplett überarbeitete und ergänzte Auflage (Stand: 15. Juli 2024) Seite i Wehrrecht für die Offizierausbildung MSM - Kommandeur Marine Vorwort des Kommandeurs der Marineschule Mürwik Flensburg, Juli 2024 - (im Original handschriftlich) Sehr geehrte Kameradinnen und Kameraden - es ist mir eine große Freude, Ihnen das neue Skript für das Fach Wehrrecht an der Marineschule Mürwik vorzustellen. Dieses Werk ist nicht nur ein Leitfaden für rechtliche Fragestellungen im militärischen Kontext, sondern auch ein zentraler Baustein in der Ausbildung zukünftiger Offiziere unserer Marine. Wehrrecht ist von grundlegender Bedeutung für die Offizierausbildung. Es vermittelt nicht nur Kenntnisse über Rechte und Pflichten der Soldaten, sondern stellt sicher, dass unsere Streitkräfte im Einklang mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland agieren. In Zeiten des gesellschaftlichen Wandels und internationaler Herausforderungen ist es unerlässlich, dass unsere Offiziere ein tiefes Verständnis der rechtlichen Rahmenbedingungen besitzen, die ihren Dienst leiten. Die freiheitlich demokratische Grundordnung bildet das Fundament, auf dem unsere Bundeswehr steht. Sie garantiert die Rechte und Freiheiten, die wir schützen und verteidigen. Die Achtung dieser Grundwerte und die Einhaltung der Gesetze sind unverzichtbar für das Vertrauen der Gesellschaft in unsere Streitkräfte. Unser Ziel ist es, Offiziere auszubilden, die nicht nur militärische Führungsqualitäten besitzen, sondern auch als Vorbilder in der Wahrung von Recht und Ethik dienen. Ich danke allen, die zur Erstellung dieses Skripts beigetragen haben, und wünsche Ihnen eine lehrreiche und inspirierende Lektüre. Ihr - im Original gezeichnet - Jens Nemeyer Flottillenadmiral Seite iii Skript Wehrrecht für die Offizierausbildung MSM - Kommandeur Marine Vorwort des Verfassers Das vorliegende Werk dient der Rechtsausbildung der Offizieranwärter und Offiziere an der Marineschule Mürwik. Es verfolgt die Zielsetzung, das Wehrrecht einerseits in der Breite darzustellen, in der es die praktische Tätigkeit des Offiziers im Truppenalltag betrifft sowie Grundlage seines besonderen Status, insbesondere als Vorgesetzter, ist, andererseits in einer Gedrängtheit, die in der in den hiesigen Lehrgängen zur Verfügung stehenden Zeit noch bewältigbar ist. Zu diesem Zweck ist es das Kernanliegen des Verfassers gewesen, Struktur, Regelungstechnik, Verknüpfungen und Zusammenhänge sowie Zwecke sowohl innerhalb der einzelnen Fachgebiete als auch zwischen diesen darzustellen und zu erläutern. Nicht ersetzen kann das Skript die Lektüre der Primärtexte, d.h. der Verfassung, der Gesetze und Dienstvorschriften selbst, auch nicht das kritische und überlegte Anlegen der dort gesetzten Maßstäbe auf die immer neuen Sachverhalte der Realität; schließlich auch nicht die Beschäftigung, wo veranlasst oder interessiert, in der Tiefe mithilfe von Spezialliteratur, Rechtsprechung und Wissenschaft sowie den Dialog mit erfahrenen Vorgesetzten und Rechtsberatern. Zur Vereinfachung des Zugangs zur wichtigsten dieser Primärquellen, dem Gesetz, sind in der elektronischen Fassung dieses Skripts in weiten Teilen die im Text zitierten Normen und sonstigen Rechts- und Rechtserkenntnisquellen dort, wo authentische elektronische Versionen im Internet verfügbar sind, verlinkt, um so unproblematisch aus dem Lesefluss heraus aufgerufen werden zu können. Obwohl bei der Verlinkung größtmögliche Sorgfalt aufgewandt wurde, kann für Inhalt und Aktualität der Verlinkungen über den Zeitpunkt der Erstellung der Verlinkung hinaus keine Verantwortung übernommen werden. Der Leser ist insoweit bei Nutzung zur eigenverantwortlichen Prüfung aufgerufen. Bedingt durch den „Grundlagenansatz“ ist dieses Skript als Lehr- und Lernunterlage, nicht als „Handbuch“ oder „Leitfaden“ für die Rechtsanwendung im Einzelfall konzipiert und dazu auch nur bedingt geeignet. 1 Der Dank des Verfassers für kritische Durchsichten, Anregungen und Verbesserungsvorschläge aller Art gilt, neben zahlreichen Einzelhinweisen aus dem Kreis der Leserschaft, namentlich 2 Regierungsdirektor Jörg Richter-Path, Erster Rechtslehrer, Marineschule Mürwik, Oberregierungsrat Christian Bahr, Rechtslehrer, Marineschule Mürwik, Oberregierungsrätin Marianne Schläbitz, Rechtslehrerin, Marineunteroffizierschule, und Oberregierungsrätin Nadira Helms, Rechtslehrerin, Marineschule Mürwik (insb. für die Durchsicht der 2. Auflage) Frau Bettina Pohl, B.Sc., Marinekommando, Dez. Operatives Recht (insb. für die Durchsicht Luft- und Weltraumrecht) Alle Auslassungen, Verkürzungen, Unrichtigkeiten, Fehler und sonstige Unzulänglichkeiten verbleiben in der alleinigen Verantwortung des Verfassers. Auf dieses Skript sind entsprechend § 5 UrhG nur die § 62 Abs. 1-3 und § 63 Abs. 1 und 2 UrhG entsprechend anzuwenden. Die Übersichten und Schemata sowie Abbildungen sind © des Verfassers; die nicht-kommerzielle Wiedergabe, Vervielfältigung und Zugänglichmachung für dienstliche Zwecke einschließlich der persönlichen Aus- und Weiterbildung ist allgemein gestattet. Für Hinweise, Anregungen, Verbesserungsvorschläge und Kritik aller Art steht der Verfasser unter [email protected] zur Verfügung. 1 Für diese Zwecke sei stattdessen anstelle vieler anderer nur auf einige wenige „Standardwerke“ verwiesen: Bölsing, Handbuch Disziplinar- und Beschwerderecht, Regensburg 2018; Heinen/Bajumi, Rechtsgrundlagen Feldjägerdienst, Regensburg 2018; Fleck, Handbuch des Humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, München 1994; Graf Vitzthum, Handbuch des Seerechts, München 2006. 2 Amtsbezeichnungen und Dienststellen im Zeitpunkt der Mitwirkung. Seite iv MSM - Rechtslehrer Bundeswehr Inhaltsübersicht Inhaltsverzeichnis.......................................................................................................................................... vi I. Verfassungsrecht......................................................................................................................................... 1 1. Menschenwürde und Grundrechte..................................................................................................................................... 2 2. Staatsaufbau und Staatsstrukturprinzipien....................................................................................................................... 4 3. Verfassungsrechtliche Stellung der Streitkräfte.............................................................................................................. 8 II. Strafrecht.................................................................................................................................................. 15 1. Strafrechtlicher Deliktsaufbau.......................................................................................................................................... 19 2. Ausgewählte Straftatbestände des allgemeinen Strafrechts..................................................................................... 25 3. Wehrstrafrecht...................................................................................................................................................................... 26 III. Soldatische Pflichten.............................................................................................................................. 29 1. Grundrechte und Soldatische Pflichten.......................................................................................................................... 30 2. Grundpflicht (§ 7 SG)........................................................................................................................................................... 31 3. Einzelpflichten....................................................................................................................................................................... 33 4. Vorgesetztenpflichten......................................................................................................................................................... 42 IV. Befehlsrecht............................................................................................................................................ 45 1. Vorgesetztenstellung........................................................................................................................................................... 47 2. Befehlsbefugnis..................................................................................................................................................................... 53 3. Weisungsrecht....................................................................................................................................................................... 62 V. Disziplinarrecht......................................................................................................................................... 65 1. Wesen und Struktur............................................................................................................................................................. 66 2. Disziplinarvorgesetzte......................................................................................................................................................... 67 3. Disziplinarverfahren und Dienstvergehen...................................................................................................................... 69 VI. Beschwerderecht..................................................................................................................................... 83 1. Wesen und Abgrenzung...................................................................................................................................................... 84 2. Beschwerdeformen.............................................................................................................................................................. 87 Beschwerdearten...................................................................................................................................................................... 87 3. Beschwerdeverfahren.......................................................................................................................................................... 89 4. Rechtsmittel gegen Beschwerdeentscheidungen........................................................................................................ 98 VII. UZwGBw............................................................................................................................................. 101 1. Grundlagen und Begriffe.................................................................................................................................................. 103 2. Besondere Befugnisse....................................................................................................................................................... 107 3. Unmittelbarer Zwang........................................................................................................................................................ 111 VIII. Einsatzvölkerrecht............................................................................................................................. 117 1. Friedenssicherungsrecht................................................................................................................................................... 119 2. Humanitäres Völkerrecht................................................................................................................................................. 127 3. Menschenrechte................................................................................................................................................................. 145 IX. Seevölkerrecht...................................................................................................................................... 149 1. Friedensseevölkerrecht nach dem SRÜ........................................................................................................................ 151 2. Seekriegsrecht..................................................................................................................................................................... 159 X. Luft- und Weltraumrecht...................................................................................................................... 167 1. Luftrecht............................................................................................................................................................................... 169 2. Weltraumrecht.................................................................................................................................................................... 176 Lernkontrollfragen - Lösungen................................................................................................................. 181 Übersichten und Schemata........................................................................................................................ 219 MSM - Rechtslehrer Seite v Bundeswehr Inhaltsverzeichnis Vorwort des Kommandeurs der Marineschule Mürwik (zur 1. Auflage vom 2. Dezember 2019).................. iii Vorwort des Verfassers............................................................................................................................................... iv Inhaltsübersicht............................................................................................................................................................. v Inhaltsverzeichnis........................................................................................................................................................ vi I. Verfassungsrecht....................................................................................................................................................... 1 1. Menschenwürde und Grundrechte.................................................................................................................... 2 a. Verfassungshistorie und Einordnung............................................................................................................................. 2 b. Menschenwürde als Verfassungskern........................................................................................................................... 2 c. Einheitlicher Grundrechtskatalog................................................................................................................................... 3 2. Staatsaufbau und Staatsstrukturprinzipien...................................................................................................... 4 a. Rechtsstaat und Gesetzesbindung.................................................................................................................................. 4 b. Weitere Strukturprinzipien...............................................................................................................................................5 (1) Demokratieprinzip und Republik.............................................................................................................................. 5 (2) Sozialstaatsprinzip........................................................................................................................................................5 (3) Bundesstaat....................................................................................................................................................................5 c. Sicherungsmechanismen des Verfassungskerns......................................................................................................... 6 d. Freiheitliche Demokratische Grundordnung............................................................................................................... 6 e. Staatsaufbau und öffentlicher Dienst............................................................................................................................ 6 3. Verfassungsrechtliche Stellung der Streitkräfte............................................................................................. 8 a. Verfassungsrechtliche Gliederung.................................................................................................................................. 8 b. Bindungen und Kontrolle.................................................................................................................................................8 c. Verfassungsrechtliche Aufgaben und Einsatzmöglichkeiten................................................................................... 9 (1) Einsatzbegriff.................................................................................................................................................................9 (2) Einsatzformen............................................................................................................................................................. 10 (3) Parlamentsvorbehalt................................................................................................................................................. 13 Lernkontrollfragen................................................................................................................................................. 14 II. Strafrecht................................................................................................................................................................ 15 1. Funktion und Grundzüge des Strafrechts...................................................................................................... 16 a. Verfassungsrechtliche Bezüge...................................................................................................................................... 16 b. Kern- und Nebenstrafrecht........................................................................................................................................... 17 c. Prozessuale Regelungen und Zuständigkeiten im Strafverfahren....................................................................... 17 2. Strafrechtlicher Deliktsaufbau........................................................................................................................ 19 a. Tatbestand und Erlaubnis.............................................................................................................................................. 19 b. Erlaubnistatbestände (Überblick)................................................................................................................................ 21 c. Schuld.................................................................................................................................................................................. 23 d. Versuch............................................................................................................................................................................... 24 3. Ausgewählte Straftatbestände des allgemeinen Strafrechts..................................................................... 25 4. Wehrstrafrecht................................................................................................................................................... 26 a. Allgemeine Bestimmungen........................................................................................................................................... 26 b. Ausgewählte militärische Straftatbestände.............................................................................................................. 27 Lernkontrollfragen................................................................................................................................................. 28 III. Soldatische Pflichten.......................................................................................................................................... 29 1. Grundrechte und Soldatische Pflichten......................................................................................................... 30 2. Grundpflicht (§ 7 SG)......................................................................................................................................... 31 3. Einzelpflichten.................................................................................................................................................... 33 § 8 SG – Eintreten für die Freiheitliche Demokratische Grundordnung................................................................ 33 Seite vi MSM - Rechtslehrer Bundeswehr Inhaltsverzeichnis § 9 SG – Eidesleistung......................................................................................................................................................... 33 § 11 SG – Gehorsamspflicht.............................................................................................................................................. 33 (1) Klärung und Gegenvorstellung.............................................................................................................................. 34 (2) Unverbindlichkeit...................................................................................................................................................... 34 (3) Strafrechtliche Bedeutung....................................................................................................................................... 34 (4) Pflicht zur Befolgung dienstlicher Anordnungen, die keine Befehle sind................................................... 34 § 12 SG – Kameradschaftspflicht..................................................................................................................................... 34 § 13 SG – Wahrheitspflicht................................................................................................................................................ 35 § 14 SG – Verschwiegenheitspflicht................................................................................................................................ 35 § 15 SG – Politische Betätigung....................................................................................................................................... 36 § 16 SG – Verhalten im Ausland....................................................................................................................................... 36 § 17 SG – Wohlverhaltenspflicht..................................................................................................................................... 37 § 17a SG – Gesunderhaltungspflicht............................................................................................................................... 38 (1) Allgemeine Lebensführung..................................................................................................................................... 38 (2) Befohlene Gesunderhaltungsmaßnahmen.......................................................................................................... 38 § 18 SG – Gemeinschaftsunterkunft und –verpflegung............................................................................................. 39 § 19 SG – Verbot der Annahme von Belohnungen und Geschenken...................................................................... 39 Genehmigung und Anzeigepflicht............................................................................................................................... 40 §§ 20, 21 SG – Nebentätigkeit und Ehrenämter........................................................................................................... 40 (1) Genehmigungspflicht und -fähigkeit.................................................................................................................... 40 (2) Genehmigungsfreiheit und Anzeigepflicht......................................................................................................... 41 § 7 Abs. 2 SoldGG – Diskriminierungs- und Belästigungsverbot............................................................................. 41 4. Vorgesetztenpflichten....................................................................................................................................... 42 Abs. 1 Vorbild und Beispielsfunktion.............................................................................................................................. 42 Abs. 2 Pflicht zur Dienstaufsicht...................................................................................................................................... 42 Abs. 4 Pflicht zur rechtmäßigen Befehlsgebung.......................................................................................................... 42 Abs. 5 Verantwortung für eigene Befehle und Pflicht zur Durchsetzung von Befehlen.................................... 42 Exkurs: Gewaltsame Durchsetzung von Befehlen....................................................................................................... 43 Lernkontrollfragen................................................................................................................................................. 44 IV. Befehlsrecht.......................................................................................................................................................... 45 1. Vorgesetztenstellung........................................................................................................................................ 47 a. Vorgesetztenstellung aus der Verfassung................................................................................................................. 47 b. Regelung der Vorgesetztenstellung auf der einfachgesetzlichen Ebene.......................................................... 47 c. Vorgesetztenverhältnisse der VorgV........................................................................................................................... 48 § 1 VorgV: Unmittelbarer Vorgesetzter..................................................................................................................... 48 § 2 VorgV: Fachvorgesetzter......................................................................................................................................... 49 § 3 VorgV: Vorgesetzter mit besonderem Aufgabenbereich................................................................................ 49 § 4 VorgV: Vorgesetzter aufgrund des Dienstgrades.............................................................................................. 50 § 5 VorgV: Vorgesetzter aufgrund besonderer Anweisung................................................................................... 51 § 6 VorgV: Vorgesetzter aufgrund eigener Erklärung............................................................................................ 51 d. Rangfolge der Vorgesetztenverhältnisse der VorgV............................................................................................... 51 e. Vorgesetztenverhältnisse im internationalen Kontext........................................................................................... 51 2. Befehlsbefugnis.................................................................................................................................................. 53 a. Befehlsbegriff.................................................................................................................................................................... 53 (1) Vorgesetztenverhältnis............................................................................................................................................. 53 (2) Anweisung zu einem bestimmten Verhalten...................................................................................................... 53 (3) Form des Befehls: schriftlich, mündlich oder auf andere Weise................................................................... 53 (4) Einzel- und Dauerbefehl.......................................................................................................................................... 53 (5) Gehorsamsverlangen................................................................................................................................................ 54 b. Rechtmäßigkeit von Befehlen...................................................................................................................................... 55 (1) Dienstlicher Zweck.................................................................................................................................................... 55 (2) Gesetze......................................................................................................................................................................... 55 (3) Dienstvorschriften..................................................................................................................................................... 56 (4) Regeln des Völkerrechts.......................................................................................................................................... 57 c. Verbindlichkeit von Befehlen........................................................................................................................................ 58 MSM - Rechtslehrer Skript Wehrrecht für die Offizierausbildung Seite vii Bundeswehr Inhaltsverzeichnis (1) Fakultative Unverbindlichkeitsgründe („muss nicht“):..................................................................................... 58 (2) Zwingende Unverbindlichkeitsgründe („darf nicht“):....................................................................................... 60 d. Folgen von Rechtswidrigkeit und Unverbindlichkeit............................................................................................. 61 3. Weisungsrecht.................................................................................................................................................... 62 Nicht-militärischer Vorgesetzter...................................................................................................................................... 62 Begriff der dienstlichen Anordnung und Verantwortlichkeit.................................................................................... 62 Remonstration...................................................................................................................................................................... 62 Weisungsrecht gegenüber Arbeitnehmern.................................................................................................................... 63 Lernkontrollfragen................................................................................................................................................. 64 V. Disziplinarrecht...................................................................................................................................................... 65 1. Wesen und Struktur........................................................................................................................................... 66 2. Disziplinarvorgesetzte....................................................................................................................................... 67 a. Stellung als Disziplinarvorgesetzter............................................................................................................................ 67 b. Zuständigkeit der Disziplinarvorgesetzten................................................................................................................ 68 3. Disziplinarverfahren und Dienstvergehen..................................................................................................... 69 a. Dienstvergehen................................................................................................................................................................. 69 b. Disziplinarmaßnahmen.................................................................................................................................................. 69 c. Einfaches Disziplinarverfahren..................................................................................................................................... 70 (1) Sofortmaßnahmen..................................................................................................................................................... 70 (2) Sachverhaltsaufklärung............................................................................................................................................ 71 (3) Rechtliche Bewertung und Entscheidung........................................................................................................... 73 (4) Vollstreckung.............................................................................................................................................................. 75 (5) Dienstaufsicht und Rechtsschutz.......................................................................................................................... 77 Exkurs: Erzieherische Maßnahmen..................................................................................................................... 79 Exkurs: Gerichtliches Disziplinarverfahren........................................................................................................ 80 Lernkontrollfragen................................................................................................................................................. 81 VI. Beschwerderecht.................................................................................................................................................. 83 1. Wesen und Abgrenzung.................................................................................................................................... 84 2. Beschwerdeformen............................................................................................................................................ 87 a. Beschwerdegegenstand.................................................................................................................................................. 87 b. Beschwerdearten............................................................................................................................................................. 87 3. Beschwerdeverfahren........................................................................................................................................ 89 a. Zuständigkeit..................................................................................................................................................................... 89 b. Ermittlungsverfahren...................................................................................................................................................... 90 c. Rechtliche Bewertung..................................................................................................................................................... 91 (1) Zulässigkeit der Beschwerde................................................................................................................................... 91 (2) Begründetheit der Beschwerde.............................................................................................................................. 95 d. Beschwerdebescheid...................................................................................................................................................... 96 4. Rechtsmittel gegen Beschwerdeentscheidungen........................................................................................ 98 Lernkontrollfragen................................................................................................................................................. 99 VII. UZwGBw............................................................................................................................................................ 101 Exkurs: Anwendung............................................................................................................................................. 102 1. Grundlagen und Begriffe................................................................................................................................ 103 Berechtigte Person............................................................................................................................................................. 103 Militärischer Bereich und Sicherheitsbereich.............................................................................................................. 104 Straftat gegen die Bundeswehr...................................................................................................................................... 106 2. Besondere Befugnisse..................................................................................................................................... 107 a. Allgemeine Anordnungen............................................................................................................................................ 107 Seite viii MSM - Rechtslehrer Bundeswehr Inhaltsverzeichnis b. Personenüberprüfung................................................................................................................................................... 107 c. Weitere Personenüberprüfung................................................................................................................................... 107 d. Vorläufige Festnahme................................................................................................................................................... 108 e. Durchsuchung................................................................................................................................................................. 109 f. Allgemeine Anordnung von Durchsuchungen........................................................................................................ 109 3. Unmittelbarer Zwang...................................................................................................................................... 111 a. Allgemeine Maßnahmen.............................................................................................................................................. 111 b. Fesselung......................................................................................................................................................................... 112 c. Schusswaffengebrauch gegen Personen und Einsatz von Sprengmitteln....................................................... 113 Lernkontrollfragen............................................................................................................................................... 115 VIII. Einsatzvölkerrecht.......................................................................................................................................... 117 1. Friedenssicherungsrecht................................................................................................................................. 119 Das universelle Gewaltverbot der Vereinten Nationen............................................................................................ 119 Die Ausnahmen vom Gewaltverbot............................................................................................................................... 120 Kollektive Zwangsmaßnahmen zur Friedenssicherung....................................................................................... 121 Selbstverteidigung......................................................................................................................................................... 122 Rettung und Evakuierung eigener Staatsangehöriger im Ausland.................................................................... 123 Humanitäre Intervention............................................................................................................................................. 123 Regionale Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit.......................................................................................... 125 Nordatlantikvertragsorganisation (North Atlantic Treaty Organisation - NATO)........................................ 125 Europäische Union (EU)............................................................................................................................................... 125 2. Humanitäres Völkerrecht............................................................................................................................... 127 Anwendungsbereich: Bewaffneter Konflikt................................................................................................................ 129 Internationaler bewaffneter Konflikt....................................................................................................................... 129 Nicht-internationaler bewaffneter Konflikt............................................................................................................ 129 Grundprinzipien.................................................................................................................................................................. 130 Kampfführungsrecht......................................................................................................................................................... 130 Unterscheidungsgebot................................................................................................................................................ 130 Militärische Notwendigkeit......................................................................................................................................... 133 Verhältnismäßigkeit...................................................................................................................................................... 139 Opferschutzrecht............................................................................................................................................................... 140 Zivilbevölkerung............................................................................................................................................................ 140 Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige und Sanitätspersonal............................................................................... 141 Sich Ergebende und Kriegsgefangene...................................................................................................................... 142 Schutzzeichen................................................................................................................................................................. 144 3. Menschenrechte............................................................................................................................................... 145 Exkurs: Rules of Engagement, Einsatzregeln und Taschenkarte................................................................. 146 Lernkontrollfragen............................................................................................................................................... 148 IX. Seevölkerrecht.................................................................................................................................................... 149 1. Friedensseevölkerrecht nach dem SRÜ....................................................................................................... 151 a. Zonen und Transit- und Nutzungsregime............................................................................................................... 151 (1) Basislinie (Art. 5 ff. SRÜ)........................................................................................................................................ 151 (2) Innere Gewässer (Art. 2 (1) SRÜ).......................................................................................................................... 152 (3) Archipelgewässer (Art. 46 ff. SRÜ)...................................................................................................................... 152 (4) Küstenmeer und Friedliche Durchfahrt (Art. 2 ff. SRÜ)................................................................................. 153 (5) Die „Mischgebiete“.................................................................................................................................................. 154 (6) Die Hohe See und „das Gebiet“ (Art. 86 ff. SRÜ)............................................................................................. 155 b. Flaggenstaatsprinzip..................................................................................................................................................... 156 Immunität von Kriegs- und anderen Staatsschiffen............................................................................................. 156 c. Besondere Befugnisse und Pflichten......................................................................................................................... 157 (1) Zustimmung des Flaggenstaates......................................................................................................................... 157 (2) Piraterie...................................................................................................................................................................... 157 MSM - Rechtslehrer Skript Wehrrecht für die Offizierausbildung Seite ix Bundeswehr Inhaltsverzeichnis (3) Flaggenüberprüfung............................................................................................................................................... 157 (4) Staatenlose Schiffe.................................................................................................................................................. 158 (5) Nacheile...................................................................................................................................................................... 158 (6) Hilfeleistungspflicht................................................................................................................................................ 158 d. Seevölkerrechtliche Streitbeilegung......................................................................................................................... 158 2. Seekriegsrecht.................................................................................................................................................. 159 a. Operationsraum.............................................................................................................................................................. 159 b. Unterscheidungsgebot: Personen und Objekte im Seekrieg.............................................................................. 160 (1) Kombattantenstatus............................................................................................................................................... 160 (2) Besatzungen von Handelsschiffen...................................................................................................................... 161 (3) Schiffbrüchige........................................................................................................................................................... 161 c. Handelskrieg, Prisen- und Seebeuterecht............................................................................................................... 162 d. Mittel und Methoden der Kampfführung................................................................................................................ 163 (1) Minenkrieg................................................................................................................................................................. 163 (2) Torpedos und Flugkörper...................................................................................................................................... 164 (3) Heimtücke; Kriegslisten; Kennzeichen, Embleme und Flaggen.................................................................. 164 Lernkontrollfragen............................................................................................................................................... 165 X. Luft- und Weltraumrecht................................................................................................................................... 167 1. Luftrecht............................................................................................................................................................ 169 a. Friedensluftvölkerrecht................................................................................................................................................ 169 (1) Luftraumordnung.................................................................................................................................................... 169 (2) Transitregime............................................................................................................................................................ 170 (3) Nationalität von Luftfahrzeugen.......................................................................................................................... 171 (4) Immunität von Staatsluftfahrzeugen................................................................................................................. 171 (5) Operative Zonen im Luftrecht.............................................................................................................................. 171 b. Luftkriegsrecht............................................................................................................................................................... 172 (1) Anwendungsbereich............................................................................................................................................... 172 (2) Operationsraum....................................................................................................................................................... 172 (3) Unterscheidungsgebot und Kombattantenstatus........................................................................................... 173 (4) Mittel und Methoden der Kampfführung.......................................................................................................... 174 2. Weltraumrecht................................................................................................................................................. 176 a. Friedensrecht.................................................................................................................................................................. 176 b. Militärische Nutzung und Humanitäres Völkerrecht im Weltraum.................................................................. 178 Lernkontrollfragen............................................................................................................................................... 180 Lernkontrollfragen - Lösungen.............................................................................................................................. 181 Verfassungsrecht..................................................................................................................................................................... 182 Strafrecht.................................................................................................................................................................................. 185 Soldatische Pflichten............................................................................................................................................................. 189 Befehlsrecht............................................................................................................................................................................. 191 Disziplinarrecht....................................................................................................................................................................... 196 Beschwerderecht.................................................................................................................................................................... 200 UZwGBw................................................................................................................................................................................... 203 Einsatzvölkerrecht.................................................................................................................................................................. 207 Seevölkerrecht......................................................................................................................................................................... 212 Luft- und Weltraumrecht..................................................................................................................................................... 215 Übersichten und Schemata..................................................................................................................................... 219 Übersicht: Rechtslandschaft und Rechtsgebiete des Wehrrechts.............................................................................. 220 Übersichten: Verfassungsrecht........................................................................................................................................... 221 Übersicht: Normenpyramide........................................................................................................................................... 221 Übersicht: Menschenwürde und Grundrechte........................................................................................................... 221 Übersicht: Staatsstrukturprinzipien............................................................................................................................... 221 Übersicht: Einsatzbegriff.................................................................................................................................................. 222 Seite x MSM - Rechtslehrer Bundeswehr Inhaltsverzeichnis Übersicht: Einsatzarten der Bundeswehr..................................................................................................................... 222 Übersicht: Parlamentsbeteiligungsgesetz (ParlBG)................................................................................................... 222 Übersichten: Strafrecht......................................................................................................................................................... 223 Übersicht: Deliktsaufbau.................................................................................................................................................. 223 Übersicht: Instanzenzug im Strafrecht......................................................................................................................... 224 Übersicht: Militärische Vorgesetztenverhältnisse und Befehlsrecht......................................................................... 225 Übersicht: Der Ablauf des einfachen Disziplinarverfahrens......................................................................................... 226 Übersicht: Rechtschutzmöglichkeiten für Soldaten (Abgrenzung)............................................................................ 227 Übersicht: Arten der Beschwerde und Rechtsmittel..................................................................................................... 227 Übersicht: Bearbeitung der Beschwerde........................................................................................................................... 228 Übersicht: Die Vereinten Nationen.................................................................................................................................... 229 Übersicht: Das Gewaltverbot und seine Ausnahmen.................................................................................................... 229 Übersicht: Struktur der NATO............................................................................................................................................. 229 Übersicht: Tätigkeitsfelder der Europäischen Union..................................................................................................... 229 Übersichten: Humanitäres Völkerrecht............................................................................................................................. 230 Übersicht Abkommen des humanitären Völkerrechts............................................................................................. 230 Allgemeines Prüfungsschema......................................................................................................................................... 230 Anwendungsbereich.......................................................................................................................................................... 231 Kampfführungsrecht („Haager Recht“)......................................................................................................................... 231 Opferschutz („Genfer Recht“)......................................................................................................................................... 232 Übersichten: UZwGBw.......................................................................................................................................................... 233 Übersicht: Seezonen nach dem SRÜ.................................................................................................................................. 235 MSM - Rechtslehrer Skript Wehrrecht für die Offizierausbildung Seite xi Bundeswehr I. Verfassungsrecht MSM – Rechtslehrer Seite 1 Bundeswehr I. Verfassungsrecht Als Verfassungsrecht werden die höchstrangigen Rechtsnormen einer Rechtsordnung, hier der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland, bezeichnet. Sie regeln die Grundprinzipien der Rechts- und Gesellschaftsordnung des Staates. Alle anderen Rechtsnormen müssen den Vorgaben der Verfassung ent- und dürfen ihr nicht widersprechen. Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland ist das Grundgesetz. Grundkenntnisse im Verfassungsrecht wie der Staatsaufbau, das System politischer Willensbildung und die in den Grundrechten verkörperten Grundwerte gehören unumstößlich zur Allgemeinbildung des Offiziers als Staatsdiener in Führungsverantwortung und Staatsbürger in Uniform. Zugleich sind insbesondere die Wertentscheidungen, die sich aus den Grundrechten und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ergeben, ein Herzstück der Entscheidungsmechanik im Befehls-, Disziplinar- und Beschwerderecht und somit für deren Verständnis von unschätzbarem Wert. 1. Menschenwürde und Grundrechte Die Grundrechte, an deren Spitze die Menschenwürde steht, regeln als ein Hauptbereich des Grundgesetzes das Verhältnis des einzelnen Bürgers und Privaten zum Staat und seinen Organen. Dabei stellen die Grundrechte rechtliche Einschränkungen der faktisch grundsätzlich unbeschränkten Eingriffsmöglichkeiten der staatlichen Behörden dar. a. Verfassungshistorie und Einordnung Das Grundgesetz ist historisch als Gegenentwurf zum Staats- und Menschenbild des Nationalsozialismus und seiner Reduzierung des Werts des Einzelnen auf seine „Nützlichkeit“ für die „Volksgemeinschaft“ und aller daraus abgeleiteten Willkür- und Gräueltaten entstanden. Dabei stellt es trotz der Rahmenbedingungen des Besatzungsregimes der Alliierten nach der Kapitulation des Dritten Reiches und der daraus resultierenden Kontroll- und Genehmigungsvorbehalte ein Werk deutscher Volksvertreter 3 dar. Mit der vollständigen Wiedererlangung der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland im 2+4- Vertrag von 1990 wurde das Grundgesetz zum alleinigen höchsten rechtlichen Maßstab der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Als Verfassung sind im Grundgesetz die die Identität der Bundesrepublik Deutschland prägenden Grundsätze niedergelegt, die im Folgenden näher dargestellt werden sollen: Die Menschenwürde, die aus ihr abgeleiteten Grundrechte und die Kernaussagen zur Staatsstruktur und –aufbau, insbesondere die Strukturprinzipien und die Kernaussagen zum Streitkräfteeinsatz. b. Menschenwürde als Verfassungskern Menschenwürde ist der Wert, der dem Menschen allein aufgrund seines Mensch-Seins zukommt. Sie umfasst im Kern, jedem einzelnen Individuum seine freibestimmte Selbstverwirklichung in der Gesellschaft zu ermöglichen. Jegliches menschliche Leben ist daher stets respektvoll zu behandeln. Auch verbietet es die Menschenwürde, menschliches Leben zum bloßen, fremdbestimmten Objekt staatlichen Handelns, insbesondere zur verbrauch- oder quantifizierbaren Größe, zu machen. 4 Eingriffe in die Menschenwürde sind dem Staat stets und unter allen Umständen untersagt. Anders als Eingriffe in andere Grundrechte können Eingriffe in die Menschenwürde auch nicht gerechtfertigt werden, da die Menschenwürde unter keinerlei Vorbehalte gestellt ist. Als oberster Verfassungswert 3 In Form der Delegierten des „Herrenchiemseer Konvents“ und der bereits wieder konstituierten Landtage der (west-) deutschen Länder. 4 Beispiele für Verstöße: Absprechen der Lebensberechtigung; Einstufung als „un-“ oder „minderwertiges“ Leben; Menschen- handel; Folter; Verwendung von „Wahrheitsseren“ und Lügendetektoren an Personen als „Auskunftsobjekten“; Versagung von Äußerungs- und anderen Beteiligungsrechten; schwerwiegende Demütigung, Erniedrigung oder Lächerlich-machen. Seite 2 MSM - Rechtslehrer Bundeswehr I. Verfassungsrecht genießt sie auch Vorrang vor anderen verfassungsrechtlichen Positionen und ist somit keiner Abwägung mit anderen Belangen zugänglich. Der Staat ist nicht nur verpflichtet, die Menschenwürde seiner Bürger zu achten, d.h. nicht selbst zu verletzen, sondern darüber hinaus auch gegen Verletzungen durch Dritte, also v.a. durch andere Private, zu schützen (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG). Der einzelne Mensch kann auf seine Würde weder verzichten noch kann sie durch eigenes Verhalten verwirkt werden. Die Verletzung der eigenen Menschenwürde, also durch den Inhaber selbst, wird jedoch regelmäßig nicht sanktioniert (vgl. unten, S. 58). c. Einheitlicher Grundrechtskatalog Neben der Menschenwürde als Kern der verfassungsrechtlichen Rechte des einzelnen Individuums gegenüber dem Staat gewährt das Grundgesetz in den Art. 2-19 weitere Grundrechte, die der persönlichen und staatsbürgerlichen Freiheit und Selbstverwirklichung des Einzelnen dienen. In ihrer Struktur folgen diese Grundrechte weitgehend einem dreigliedrigen Aufbau: Zunächst wird im Verfassungstext beschrieben, welches Verhalten grundsätzlich von staatlicher Seite nicht beschränkt werden darf (sog. Schutzbereich). Schutzbereiche von Grundrechten sind beispielsweise das Recht, Werturteile frei zu äußern (Art. 5 Abs. 1 GG, Meinungsfreiheit), sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln (Art. 8 GG, Versammlungsfreiheit), Ausbildung und ausgeübte Tätigkeit zum Erwerb des Lebensunterhalts frei zu wählen (Art. 12 Abs. 1 GG, Berufsfreiheit) oder Eigentum zu halten (Art. 14 Abs. 1 GG, Eigentumsgarantie). Als weitesten Schutzbereich spannt Art. 2 Abs. 1 GG die sog. allgemeine Handlungsfreiheit auf, das Recht, als einzelner Mensch zu tun und zu lassen, was immer man will und seine Persönlichkeit im Grundsatz so zu verwirklichen, wie es dem eigenen, individuellen Lebensentwurf entspricht. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob eine staatliche Maßnahme, sei sie ein Gesetz, sei sie eine rechtsförmliche Entscheidung der Exekutive oder auch schlicht tatsächliches Handeln von Behörden oder anderen Staatsorganen, dieses beschriebene Verhalten im jeweiligen Einzelfall tatsächlich beeinträchtigt (sog. Eingriff). Ist dies der Fall, ist zuletzt zu betrachten, ob die Maßnahme im konkreten Fall nicht doch gerechtfertigt ist. Der Verfassungstext selbst legt fest, inwieweit Grundrechte wieder eingeschränkt werden können:  Im Falle des sog. Gesetzesvorbehalts („Dieses Grundrecht darf durch oder aufgrund Gesetzes eingeschränkt werden“) darf der Gesetzgeber selbst in Grundrechte eingreifen oder der Exekutive solche Eingriffe unter bestimmten Voraussetzungen erlauben. So legt etwa Art. 5 Abs. 1 GG fest, dass die Meinungsfreiheit ihre Grenzen im Ehrschutz findet – Gesetze, die Beleidigungen abstrakt unter Strafe stellen, sind damit ebenso erlaubt wie ein Urteil, das ein solches Gesetz anwendet und wegen einer konkreten Beleidigung eine Geldstrafe verhängt.  Grundrechte, die dagegen vorbehaltlos gewährt werden, können nur durch den Grundrechten gleichrangiges, also anderes Verfassungs-Recht eingeschränkt werden. In diesem Fall ist ein Ausgleich zwischen beiden Rechtspositionen zu finden, der möglichst schonend für den Grundrechtsträger ist, zugleich aber beiden Verfassungspositionen zur maximalen Wirksamkeit verhilft. So ist etwa die Religionsfreiheit (Art. 4 GG) insoweit einschränkbar, als Bekleidungsvorschriften der Religion mit der Einsatzbereitschaft der Streitkräfte (Art. 87a GG) zwingend unvereinbar sind (etwa Tragen eines Turbans statt des Gefechtshelms während der infanteristischen Ausbildung). Allein die gesetzliche Anordnung des § 4 Abs. 3 Soldatengesetz (SG) wäre für sich nicht ausreichend, da das Soldatengesetz „nur“ einfaches Parlamentsgesetz, ist, kein Verfassungsrecht. Es schafft vielmehr den beschriebenen Ausgleich zwischen den beiden (Verfassungs-) Interessen „Religionsfreiheit“ und „Einsatzbereitschaft der Streitkräfte“. MSM - Rechtslehrer Skript Wehrrecht für die Offizierausbildung Seite 3 Bundeswehr I. Verfassungsrecht 2. Staatsaufbau und Staatsstrukturprinzipien Als echte Verfassung enthält das Grundgesetz neben den Grundrechten Regelungen zum Aufbau und Verhältnis der Staatsorgane untereinander. Neben konkreten Regelungen, insbesondere zu den obersten Verfassungsorganen, werden auch sog. Staatsstrukturprinzipien aufgestellt, die Grundsätze für die konkrete Ausgestaltung der staatlichen Strukturen und Verfahren dem Gesetzgeber überlassen. a. Rechtsstaat und Gesetzesbindung Prägendes Element des Staatsaufbaus der Bundesrepublik Deutschland ist der Rechtsstaat. Dabei findet sich die Bezeichnung nicht im Wortlaut des Grundgesetzes wieder, sondern stellt einen Sammelbegriff für eine Reihe von Einzelregelungen dar. Das wichtigste Element des Rechtsstaats ist die strikte Gesetzesbindung der staatlichen Gewalt, die aus zwei Elementen besteht: Nach Art. 20 Abs. 3 GG sind die vollziehende (Exekutive) und die rechtsprechende Gewalt (Judikative) an Gesetz und Recht gebunden, dürfen also nur im Einklang mit dem und nicht gegen das Gesetz handeln (sog. Vorrang des Gesetzes). Die gesetzgebende Gewalt (Legislative) ist demgegenüber „nur“ an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden, da sie Gesetze erst schafft und auch ändern oder aufheben kann, somit aber nicht an sie gebunden ist. Diese Bindung gilt also nur dort, wo auch gesetzliche Regelungen bestehen. Da Art. 2 Abs. 1 GG als allgemeine Handlungsfreiheit jedes beliebige Verhalten erfasst und diese Freiheit nur im Rahmen der „verfassungsmäßigen Ordnung“ im Sinne der gesamten Rechtsordnung beschränkt werden darf, darf der Staat private Individuen nur zu einer konkreten Handlung oder Unterlassung verpflichten, wenn ein Gesetz ihm dies erlaubt. In die Rechte von Dritten darf der Staat also nicht ohne Gesetz eingreifen (sog. Vorbehalt des Gesetzes). Weitere wichtige Elemente des Rechtsstaats sind: die Verteilung von Zuständigkeiten und Befugnissen auf verschiedene Zweige und Ebenen der staatlichen Organe und Institutionen (Gewaltenteilung), die sicherstellt, dass kein Staatsorgan ohne die anderen und damit unkontrolliert regieren kann; die Existenz der unabhängigen Gerichte (Art. 97 GG), d.h. deren Richter nicht durch andere staatliche Stellen sanktioniert werden können und dadurch neutral und nur nach dem Gesetz die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns, insbesondere gegenüber Privaten, kontrollieren; die Garantie des Zugangs zu diesen Gerichten (Rechtsweggarantie, Art. 19 Abs. 4 GG); die Garantie eines im Vorhinein festgelegten gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG), um Manipulation zu vermeiden (zusammen sog. „Justizgrundrechte“); das Rückwirkungsverbot, wonach Gesetze grundsätzlich nicht rückwirkend zum Nachteil des Bürgers geändert werden dürfen. das Verhältnismäßigkeitsprinzip, wonach mit allem staatlichen Handeln nur o legitime, d.h. im Gesetz genannte oder angelegte Zwecke, und nur o mit geeigneten, d.h. zweckförderlichen, o erforderlichen, d.h. dem mildesten unter den gleich effektiven Mitteln, und o angemessenen, d.h. unter allen Umständen des Einzelfalles, und bei Abwägung der Wichtigkeit des Zwecks mit der Schwere des Eingriffs vertretbaren Mitteln verfolgt werden dürfen. Seite 4 MSM - Rechtslehrer Bundeswehr I. Verfassungsrecht b. Weitere Strukturprinzipien (1) Demokratieprinzip und Republik Neben dem Rechtsstaatsprinzip ist prägendes Merkmal die demokratische Struktur der Staatsgewalt. Nach Art. 20 Abs. 2 GG geht alle Staatsgewalt auf das Volk zurück. Über diese Grundforderung hinaus lässt das Demokratieprinzip jedoch offen, ob es durch direkte Formen, repräsentative Ausgestaltung oder eine Kombination hieraus verwirklicht werden muss. Eine Sachentscheidung durch das Staatsvolk (sog. Volksentscheid) ist auf Bundesebene derzeit nur für den Fall des „Neuzuschnitts“ des Bundesgebiets in Bundesländer vorgesehen. Vorherrschend ist das Repräsentationsprinzip, d.h. die entscheidenden Institutionen leiten ihre Entscheidungsbefugnis ab. Diese Ableitung liegt zunächst in der Wahl des jeweiligen Organs, entweder direkt durch das Staatsvolk selbst oder durch ihrerseits gewählte Repräsentanten. Auf Bundesebene ist der Bundestag als einziges unmittelbar gewähltes Organ Dreh- und Angelpunkt dieser Legitimationskette. Daneben findet Legitimation auch durch die Bindung an die vom (unmittelbar legitimierten) Gesetzgeber erlassenen Regeln, die Gesetze, statt: die Person des ausführenden Staatsdieners tritt in den Hintergrund, wenn die wesentlichen Grenzen seines Handelns vorgegeben sind und die Ausführung der Kontrolle durch weisungsberechtigte Vorgesetzte unterliegt, die ihrerseits (zuletzt in Form der politisch vom Vertrauen des Bundestags abhängigen Regierung) demokratisch verantwortlich sind. Letztlich muss jeder staatliche Hoheitsakt, also insbesondere Zwangsbefugnisse (wie z.B. die Vorgesetzteneigenschaft und damit die Befehlsbefugnis) und deren Anwendung, aus dem Volkswillen ableitbar sein muss. Mit dem Demokratieprinzip verwandt, aber nicht identisch, ist die Entscheidung zur Republik. Als Staatsform stellt sie in der modernen Staatslehre das Gegenstück zur Monarchie dar und verpflichtet zu einer Abkehr von dynastischen, auf Erbfolge und Lebenszeitprinzip beruhenden Staatsoberhäuptern. Dagegen trifft sie keine Aussage darüber, wo im Kern die Grundentscheidungen der Gesellschaft getroffen werden, so dass sowohl demokratische Monarchien 5 als auch autoritäre Republiken 6 vorstellbar sind. (2) Sozialstaatsprinzip Die Grundentscheidung der Verfassung zur Sozialstaatlichkeit verpflichtet den Staat zu einem Grundmaß an Wohlfahrt und Ausgleich unterschiedlicher Lebensbedingungen. Aus der Wechselwirkung zwischen Sozialstaatsverpflichtung und Menschenwürde leitet sich eine Pflicht jedenfalls zur Sicherstellung des Existenzminimums aller Bürger ab, zu dem auch ein Mindestmaß an sozialer Teilhabe, also die Mittel zur Teilnahme an elementaren Grundformen des gesellschaftlichen Lebens in der Bundesrepublik, gehört. Weitergehend verpflichtet das Sozialstaatsprinzip auch zur sozialen Vorsorge, d.h. der Absicherung der Bürger gegen Schicksalsschläge und Wechselfälle des Lebens (darunter zählen z.B. die sozialen Pflichtversicherungen: Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung) und zum sozialen Ausgleich. Der Umfang und die Form dieser Vorsorge und des Ausgleichs ist jedoch nicht in der Verfassung festgeschrieben und damit Objekt des politischen Meinungskampfes. (3) Bundesstaat Aus verschiedenen historischen Gründen verpflichtend festgeschrieben ist zuletzt der Föderalismus. Darin liegt die Verteilung staatlicher Befugnisse und Aufgaben zwischen der Bundesebene und der Landesebene, auch als „vertikale Gewaltenteilung“ beschrieben, und die Aufteilung zwischen verschiedenen Ländern. Dabei handelt es sich um eine strukturelle Entscheidung, nicht um eine Bestandsgarantie: vom Bundesstaatsprinzip ist nur gefordert, dass es verschiedene Länder gibt; die historisch gewachsene konkrete heutige Zahl oder Form der Bundesländer ist davon nicht geschützt. 5 Beispiele: das Vereinigte Königreich, die Königreiche Dänemark, Schweden, Norwegen und der Niederlande. 6 Beispiele: die Einparteiensysteme der sozialistischen Volksrepubliken der Vergangenheit und Gegenwart. MSM - Rechtslehrer Skript Wehrrecht für die Offizierausbildung Seite 5 Bundeswehr I. Verfassungsrecht c. Sicherungsmechanismen des Verfassungskerns Gesichert werden die wegweisenden Grundfestlegungen, des sog. Verfassungskerns, durch ihre Festschreibung in der Ewigkeitsklausel (Art. 79 Abs. 3 GG), welche eine inhaltliche Änderung der Menschenwürdegarantie in Art. 1 GG sowie der in Art. 20 GG geregelten Staatsstrukturprinzipien auch durch größte demokratische Mehrheiten im Parlament unmöglich macht, solange das Grundgesetz besteht. 7 Ebenfalls der Sicherung der Zielvorgaben des Grundgesetzes dient die Verpflichtung der Bundesländer, die Grundsätze des Demokratie-, Sozialstaats-, Rechtsstaats- und Republikprinzips auch in ihren eigenen Rechtsordnungen umzusetzen (sog. Homogenitätsgebot, Art. 28 Abs. 1 GG; das Bundesstaatsprinzip ist nicht erwähnt, weil sich das Homogenitätsgebot an die Länder richtet, die aus dem Föderalismusprinzip gerade ihre Existenz ableiten und kein Interesse an dessen Abschaffung hätten). Schließlich besteht ein Widerstandsrecht aller Deutschen gegen jeden Versuch, diese Ordnung zu beseitigen (Art. 20 Abs. 4 GG). Es ist jedoch eher symbolischer Natur, da es erst anwendbar wäre, wenn „andere Abhilfe nicht [mehr] möglich“, also der Staat des Grundgesetzes bereits von verfassungs- feindlichen Akteuren, die dieses Recht nicht mehr berücksichtigen werden, weitestgehend beseitigt ist. d. Freiheitliche Demokratische Grundordnung Ein Schlüsselbegriff, der als Sammelbegriff die wichtigsten, unverzichtbaren und identitätsstiftenden Inhalte des Grundgesetzes zusammenfasst, ist die Freiheitliche Demokratische Grundordnung (FDGO). Im Grundgesetz selbst findet sich der Begriff im Art. 21 Abs. 2 GG, wo er als Mindestanforderung an demokratische Parteien, und damit für die Teilnahme am politischen Wettbewerb gestellt wird. Daneben taucht der Begriff auch in den Gesetzen über die Sonderstatusverhältnisse des öffentlichen Dienstes auf, wo er die Mindestanforderungen an die im Staatsdienst stehenden Personen, also die Beamten und Richter des Bundes und der Länder und die Soldaten beschreibt (sog. „politische Treuepflicht“). Die Freiheitliche Demokratische Grundordnung in diesem Sinne umfasst 8: die Menschenwürde als Kern der grundrechtlichen Garantien und oberster Staats- zielbestimmung, das Rechtsstaats- und das Demokratieprinzip als tragende Prinzipien des Staatsaufbaus. e. Staatsaufbau und öffentlicher Dienst Der Staatsapparat, d.s. die Organe und Behörden, der Bundesrepublik Deutschland ist geprägt von den Prinzipien der Gewaltenteilung und der repräsentativen Demokratie (vgl. o., S. 4). Ausgangspunkt aller Repräsentation des Volkes als Träger der originären Staatsgewalt (Souverän) ist der vom Volk gewählte Bundestag auf Bundesebene und die Landtage in den Ländern sowie der Bundesrat als Vertreter der Länderinteressen im Bund. 7 Neben den geschriebenen Aspekten ist nach herrschender Meinung notwendig auch die Klausel selbst unabänderlich, da ihr Schutz sonst leicht umgangen werden könnte, indem man die Schutzbestimmung aufheben könnte. 8 § 7 Abs. 1 Nr. 2 und § 60 Abs. 1 Satz 3 BBG für die Bundesbeamten; § 7 Abs. 1 Nr. 2 und § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG für die Landesbeamten; § 9 Nr. 2, § 46 und § 71 DRiG für die Bundes- und Landesrichter; § 8 und § 37 Abs. 1 Nr. 2 SG für die Soldaten [vgl. auch III. 3. § 8]; Ein erweiterter FDGO-Begriff findet sich in § 4 Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz, der z.B. auch die „im Grundgesetz [in den Grundrechten] konkretisierten Menschenrechte“ umfasst. Dieser gilt als Voraussetzung für die in diesem Gesetz genannten Eingriffsbefugnisse; durch BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2020, 2 WD 17/19 Rn. 37 f. ist aber entschieden, dass im Rahmen der persönlichen Pflichten der Angehörigen des öffentlichen Dienstes die o.g. Begriffsdefinition, die aus BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017, - 2 BvB 1/13 - („2. NPD-Verbotsantrag“), Leitsatz 3 = Rn 529 ff. stammt, gilt. Seite 6 MSM - Rechtslehrer Bundeswehr I. Verfassungsrecht Diese Gesetzgebungsorgane, deren Hauptaufgabe der Erlass von allgemeinverbindlichen Regeln (Gesetze) ist, wählen weiterhin den Bundeskanzler bzw. die Ministerpräsidenten als Regierungschefs, die ihrerseits mit den Ministern die Spitzen der jeweiligen Fachverwaltungen (Geschäftsbereiche) ernennen. Durch deren jederzeitige Abwählbarkeit ist ihre parlamentarische Verantwortlichkeit verwirklicht. Außer in den obersten Gerichtshöfen des Bundes (deren Mitglieder durch das Parlament gewählt werden) nicht personell, sondern materiell über die strikte Gesetzesbindung von den Parlamenten (und den Instanzenzug durch die Obergerichte) kontrolliert sind die Gerichte, denen die Kontrolle über die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns und die Entscheidung in Streitigkeiten der Bürger obliegt. Das Personal der Exekutive und der Gerichte rekrutiert sich aus der Mitte der Bevölkerung. Zur Wahrung der Grundrechte soll die Ausübung von Hoheitsbefugnis, also jegliche Ausübung von Zwangsbefugnissen, regelmäßig Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die in einem besonderen Dienst- und Treueverhältnis zum Staat stehen, übertragen werden, Art. 33 Abs. 4 GG. Ein solches Verhältnis stellt neben dem Beamten- und dem Richterverhältnis auch das Soldatenverhältnis dar (sog. Sonderstatusverhältnisse). Obwohl auch die Inhaber eines solchen Status grundsätzlich natürlich Grundrechtsträger bleiben, bringen diese Statusverhältnisse besondere Grundrechtseinschränkungen für ihre Träger mit sich, die insbesondere der Sicherstellung der Aufgabenerfüllung (z.B. die Möglichkeit zur Kasernierung von Soldaten; die Weisungsgebundenheit der Soldaten und Beamten) und der Neutralität und Sachlichkeit (z.B. das Verbot politischer Betätigung im Dienst) dienen. Im Gegenzug wird der Dienstherr zum Ausgleich zur besonderen Fürsorge 9, nicht nur zur Entlohnung, verpflichtet. Der Zugang zu diesen Sonderstatusverhältnissen und damit die Mitwirkung an staatlichen Aufgaben steht allen Staatsangehörigen offen; eine Auswahl unter ihnen darf nur nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung getroffen werden, Art. 33 Abs. 2 und Abs. 3 GG; darunter fällt auch die Auswahl bei Förderung und Aufstieg. Andere Kriterien, wie (historisch) der Vorbehalt für bestimmte Stände (z.B. Offizierstand ist dem Adel vorbehalten), Dienstalter („Ancienität“), politische Ausrichtung oder persönliche Beziehungen (nach „Parteienproporz“ oder in Form der „Ämterpatronage“) sind unzulässig; zulässig ist jedoch bei gleicher Eignung, Befähigung und Leistung die Heranziehung von Hilfskriterien, z.B. die Erhöhung des Anteils von Amtsträgern des Geschlechts, dass im jeweiligen Bereich statistisch unterrepräsentiert ist („weiche Quote“). Damit besteht ein grundrechtsgleiches Gleichheitsrecht zur Verhinderung von Willkür oder Günstlingswirtschaft. Die Grundform der Sonderstatusverhältnisse sind die Beamten, die allgemeine, insbesondere die hoheitlichen und sonst besonders staatsnahe Verwaltungsaufgaben, aber auch die innere Sicherheit (Polizeibeamte!) wahrnehmen. Soldaten ist das (äußere) Gewaltmonopol zugewiesen, indem sie mit besonders wirksamen Mitteln und Methoden zur Landesverteidigung ausgestattet sind und ihnen in besonderem Maße durch die Tapferkeitspflicht auch die Gefährdung von Leib und Leben abverlangt wird, § 7 SG (für Beamte existiert eine „kleine Tapferkeitspflicht“ im Verteidigungsfall, § 139 Abs. 3 BBG). Den Richtern ist die Rechtsprechung anvertraut, zu deren unabhängiger Wahrnehmung sie in besonderem Maße unabhängig von anderen Staatsorganen gestellt werden, insbesondere sie keinerlei Weisungen, sondern nur dem Gesetz (und ggf. ihrerseits richterlicher Kontrolle) unterliegen, Art. 97 GG. Dagegen sollen Arbeitnehmern (=Tarifbeschäftigte) regelmäßig keine hoheitlichen, sondern nur unterstützende oder Aufgaben im Innenverhältnis übertragen werden; ihr Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach privatrechtlichen (arbeits- und tarifvertraglichen) Regeln, die Bundesrepublik Deutschland tritt insoweit wie eine private Gesellschaft („Firma“ oder „Unternehmen“) als Arbeitgeber auf. 9 Z.B. Heilfürsorge, Lebenszeitprinzip bei Beamten und Berufssoldaten, Versorgungsansprüche, Familienbeihilfeberechtigung. MSM - Rechtslehrer Skript Wehrrecht für die Offizierausbildung Seite 7 Bundeswehr I. Verfassungsrecht 3. Verfassungsrechtliche Stellung der Streitkräfte a. Verfassungsrechtliche Gliederung Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist „die Bundeswehr“ ein Teil der (Bundes-)Verwaltung im Sinne von Exekutive. Sie vollzieht die ihr in der Verfassung übertragenen und von der politischen Führung (Exekutive/Gubernative 10) konkretisierten Aufgaben. Als Teil der vollziehenden Gewalt ist sie an die vom Gesetzgeber (Legislative) festgelegten Grenzen gebunden, Art. 20 Abs. 3 GG, und unterliegt insoweit der Kontrolle durch die Gerichte (Judikative). Verfassungsrechtlich ist zwischen folgenden Bestandteilen zu unterscheiden: der Bundesminister der (GG: „für“, Art. 65a GG) Verteidigung mit seiner Ministerialverwaltung („das Ministerium“, BMVg) hat die politische Leitungs-, Planungs- und Kontrollaufgaben inne; die Streitkräfte (Art. 87a GG) sind die „militärische Komponente“, bestehend aus den Einheiten und Verbänden („Truppe“) sowie weiteren militärischen Dienststellen, denen im Einsatz/ Verteidigungsfall Kampf und „unmittelbare“ Kampfunterstützung obliegt; Streitkräfte im Verfassungssinne sind die militärischen Organisationsbereiche: die Teilstreitkräfte Heer, Marine und Luftwaffe und die weiteren Organisationsbereiche Streitkräftebasis, Zentraler Sanitätsdienst und Cyber- und Informationsraum; hinzu kommen weitere unmittelbar dem BMVg unterstellte Dienststellen wie das Einsatz- und das Territoriale Führungskommando; die Wehrverwaltung (Art. 87b GG) als zivile („kampffernere“) Unterstützung der Streitkräfte in Verwaltungsangelegenheiten (Personalwesen, Beschaffung, Haushalt, etc.); Wehrverwaltung sind die zivilen Organisationsbereiche Personal (P), Ausrüstung, Informationstechnologie und Nutzungen (AIN) sowie Infrastruktur, Umwelt und Dienstleistungen (IUD), jeweils mit einem Bundesamt (BA) an der Spitze; die Militärseelsorge, die in Kooperation mit den Religionsgemeinschaften (derzeit den beiden christlichen Konfessionen sowie seit 2019 dem Zentralrat der Juden in Deutschland für die jüdische Religion; muslimische Seelsorgeangebote werden derzeit geprüft) gebildet wird, die Rechtspflege, welche als Organisationsbereich 11 aus den Truppendienstgerichten und dem Bundeswehrdisziplinaranwalt besteht, und weitere Einzeldienststellen (z.B. das Bundesamt für den militärischen Abschirmdienst). Gemeinsam bilden diese Bestandteile den Geschäftsbereich BMVg. „Bundeswehr“ bezeichnet im offiziellen Sprachgebrach dagegen nur den der Ministerialebene nachgeordneten Bereich, also die Streitkräfte, die Wehrverwaltung und die weiteren Bestandteile. Weder der Geschäftsbereich noch Teile desselben haben Rechtspersönlichkeit (= juristische Person). Vielmehr handelt es sich um eine unselbstständige, organisatorische Zusammenfassung von Behörden und Dienststellen der juristischen Person „Bundesrepublik Deutschland“ („der Bund“). b. Bindungen und Kontrolle Als Teil der vollziehenden Gewalt unterliegt die Bundeswehr der Bindung an Recht und Gesetz, Art. 20 Abs. 3 GG. Von allen Stellen und Angehörigen der Bundeswehr sind daher alle in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Normen, von der Verfassung über (Parlaments-)Gesetze bis zu Verordnungen und Satzungen einzuhalten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich diese Gesetze ausdrücklich an die Von lat. gubernator, „Steuermann“: der staatsleitende Teil der Exekutive = die Regierung, in Abgrenzung zur Verwaltung. 10 11 Davon zu unterscheiden die Rechtspflege im funktionalen Sinne, zu der neben den hier genannten Organen auch die Gesamtheit der Rechtsberater und Rechtslehrer, die organisatorisch Teil ihrer jeweiligen Organisationsbereiche sind, gehören. Seite 8 MSM - Rechtslehrer Bundeswehr I. Verfassungsrecht Bundeswehr richten oder allgemein gefasst sind. Das Recht und nicht das tatsächlich Mögliche bildet damit die Grenze der Handlungsoptionen (Primat des Rechts). Diese Bindungen werden durch Kontrollmechanismen und -instanzen aller drei Gewalten überwacht: Als oberster Vorgesetzter aller Angehöriger der Bundeswehr entscheidet der Verteidigungsminister (im Verteidigungsfall der Bundeskanzler) über ein Tätigwerden innerhalb der Bundeswehr (Primat der Politik vor militärischer Fachlichkeit). Innerhalb des Geschäftsbereichs obliegt jedem Vorgesetzten im Rahmen der Dienstaufsicht (§ 10 Abs. 2 SG) die Überwachung der Einhaltung von Recht und Gesetz. Als Teil der Bundesverwaltung unterliegt der Geschäftsbereich über die Verantwortlichkeit des Verteidigungsministers gegenüber dem Bundestag der parlamentarischen Kontrolle. Der Bundestag entscheidet im Haushaltsgesetz nicht nur – wie für jeden Geschäftsbereich – über den Umfang der finanziellen Mittel, sondern auch, wofür diese eingesetzt werden und welche Grundstruktur die Streitkräfte besitzen (Budgetrecht und grundsätzliche Gliederung). Einsätzen der Bundeswehr (s.u.) muss der Bundestag teilweise im Voraus zustimmen (Verteidigungsfall, Einsatz im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit gem. ParlBG) oder kann jedenfalls die Beendigung des Einsatzes verlangen (Innerer Notstand, jederzeitige Aufhebbarkeit des Verteidigungsfalles; Bundesrat im überregionalen Katastrophennotstand, da hier ein Eingriff in die Länderkompetenzen liegt). V.a. diese Kontrollbefugnisse stehen hinter der Beschreibung der Bundeswehr als Parlamentsarmee. Im Verteidigungsausschuss werden Beratungen und Entscheidungen des Plenums (der Vollversammlung des Bundestages) in Bezug auf die Bundeswehr durch die verteidigungspolitischen Experten der Fraktionen vorbereitet und die Detailarbeit der parlamentarischen Kontrolle geleistet. Um der besonderen Sensibilität Rechnung zu tragen, kann in Gegenständen der Verteidigungspolitik kein gesonderter Untersuchungsausschuss eingesetzt werden; vielmehr kann der Verteidigungsausschuss als einziger Ausschuss selbst die Rechte eines Untersuchungsausschusses (Vernehmung von Zeugen und andere Ermittlungshandlungen nach der Strafprozessordnung) wahrnehmen. Mit dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages steht dem Bundestag ein besonderes Hilfsorgan zur Verfügung, das fortwährend die Lage in der Bundeswehr beobachtet, Vorfällen jeglicher Art nachgehen und das Parlament hierüber in Kenntnis setzen kann. Im Rahmen der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) kann jeder (auch Soldaten), der sich durch Maßnahmen der Bundeswehr oder ihrer Angehöriger in eigenen Rechten verletzt sieht, die Entscheidung der unabhängigen Gerichte herbeiführen, Soldaten namentlich über das Beschwerdeverfahren nach der Wehrbeschwerdeordnung. c. Verfassungsrechtliche Aufgaben und Einsatzmöglichkeiten Um Streitkräfte als wirksamstes Macht- und Zwangsmittel des Staates zu beschränken und eine Instrumentalisierung der Bundeswehr als (innen-)politisches Machtmittel unmöglich zu machen, beschränkt die Verfassung den Einsatz der Streitkräfte auf die ausdrücklich gestatteten Einsatzszenarien im Grundgesetz (Verfassungsvorbehalt des Einsatzes der Bundeswehr, Art. 87a Abs. 2 GG). (1) Einsatzbegriff Als Einsatz im verfassungsr

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