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This document is about reading, focusing on the cognitive processes involved in understanding written text. It also explores the motivational and social aspects of reading, emphasizing the importance of reading comprehension and the role of reading in education and culture.
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LESEN Die Abbildung zeigt einen Textauszug, versehen mit Linien und hervorgehobenen Wörtern. Eine Hand markiert mit einem Bleistift ein Wort im Text, einige Wörter sind an den Rand geschrieben. Unter dem Text befinden sich Arbeitsaufgaben. Die Abbildung gibt einen guten Eindruck von der Arbeit mit...
LESEN Die Abbildung zeigt einen Textauszug, versehen mit Linien und hervorgehobenen Wörtern. Eine Hand markiert mit einem Bleistift ein Wort im Text, einige Wörter sind an den Rand geschrieben. Unter dem Text befinden sich Arbeitsaufgaben. Die Abbildung gibt einen guten Eindruck von der Arbeit mit Texten, wie sie im Unterricht erfolgen kann. Hier steht die methodisch geleitete Auseinandersetzung mit dem Text im Vordergrund. Diese Form der Textarbeit hat nicht viel zu tun mit dem genussvollen, unterhaltenden Lesen, mit dem wir uns in der Freizeit beschäftigen. Allerdings bildet sie oftmals die Voraussetzung für das Verstehen des Textes, sodass eine derartige Textarbeit uns dahin bringt, Texten Neues zu entnehmen, vorerst fremde und schwierige Zusammenhänge nachzuvollziehen, Ungewohntes zu erfassen. Die Fähigkeit, Texte zu verstehen, gilt in der Schule und in der Gesellschaft als eine Qualifikation, die über die Fähigkeit des genussvollen Lesens weit hinausgeht. Unser gesellschaftliches und kulturelles Wissen ist hauptsächlich in schriftlichen Texten fixiert; diese lesen und verstehen zu können, gilt als Schlüsselqualifikation, die entscheidend zum persönlichen und beruflichen Werdegang beiträgt. Lesen muss man können, zur Bewältigung des Alltags, zum fachlichen Lernen und zur Weiterqualifikation, zur kritischen Auseinandersetzung mit verschiedenen Wissensquellen und zur Teilhabe an schriftbezogener Kultur. Es ist zentrale Aufgabe der Schule, die Schüler zu verstehendem Lesen zu befähigen. Doch Lesenlernen ist harte Arbeit und verstehendes Lesen stellt sich nicht von selbst ein, sondern muss systematisch erlernt werden. Bis zum Lesenkönnen ist es ein langer Weg, auf den kognitive, personale und soziale Faktoren einwirken. Dass dem Deutschunterricht hier eine besondere Verantwortung zukommt, hat in eindrucksvoller Weise die PISA-Studie 2000 verdeutlicht, die Jugendlichen eklatante Mängel im Leseverstehen bescheinigte. Seitdem ist die Leseforschung intensiv mit der Frage beschäftigt, was Lesenkönnen und Leseverstehen heißt und welche Fähigkeitsdimensionen daran gebunden sind. Die Lesedidaktik hat die spannende Aufgabe, daraus Ziele für den Leseunterricht abzuleiten und methodische Konzepte für die Leseförderung zu entwickeln. 6.1 Lesen als Lerngegenstand 6.2 Ziele und Kompetenzen 6.3 Lesen anregen und fördern 84 LE S E N AL S L E RN GEGE NS TAN D 6.1 Lesen als Lerngegenstand Lesen ist ein komplexer geistiger Prozess, bei dem der Leser aus einer Folge von Schriftzeichen mithilfe von sprachlichem Wissen und Weltwissen Bedeutung konstruiert. Das Lesen ist eine universelle Kulturtechnik, die zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gesellschaft erforderlich ist. Das Lesen eröffnet den Zugang zu schriftlich Fixiertem, es dient dem Wissens- und Kenntniserwerb und damit auch der Meinungsbildung. Darüber hinaus erfüllt das Lesen in einer schriftkulturellen Gesellschaft weitere Funktionen. Es dient der Unterhaltung, beim Lesen kann man Genuss, Spannung, Freude oder Traurigkeit erfahren und seine Fantasie entwickeln. Lesen ermöglicht sinnliches Erleben und ästhetische Erfahrungen. Entlastet vom Handlungsdruck der realen Welt kann der Leser neue und fremde Lebenswelten erschließen. Das trägt zur Auseinandersetzung mit eigenen und fremden Lebensentwürfen – und damit letztlich auch zur Identitätsentwicklung – bei (vgl. Groeben 2004; > ASB LEUBNER / SAUPE / RICHTER). Damit Lesen diese Funktionen entfalten kann, muss der Leser in der Lage sein, einen Text rasch und ohne größere Mühe zu lesen. Das ist für den Leser immer wieder eine neue Herausforderung; Lesen ist eine Kompetenz, die oft mühevoll erarbeitet und in einem langwierigen Prozess entwickelt werden muss. Diese Schwierigkeiten sind verständlich, wenn man den komplexen Prozess des Lesens näher betrachtet. Das Lesen lässt sich in drei Dimensionen beschreiben, in denen Kompetenzen erworben werden müssen: · Die kognitive Dimension bezieht sich auf die Bedeutungskonstruktion, mittels derer in Texten dargestellte Sachverhalte und Ereignisse erfasst werden. · Mit der motivational-emotionalen Dimension sind Lesefreude, Interesse und die Bereitschaft zum Lesen eines Textes gemeint sowie die Regulierung der eigenen Emotionen und der Motivation beim Lesen. · Die sozial-interaktive Dimension umfasst die Auseinandersetzung über das Gelesene und die Aushandlung von Bedeutung im kommunikativen Austausch (vgl. Hurrelmann 2002; Rosebrock / Nix 2008). In kommunikativen Handlungssituationen in der Schule und mit Bezugspersonen (zunächst vor allem die Eltern, später die Peergroup) werden Leseeindrücke ausgetauscht, Verständnisschwierigkeiten geklärt, Zugänge zu ungewohnten Denkweisen und Realitätsdarstellungen ermöglicht und gemeinsame Bedeutungskonstruktionen angestrebt. Auf 85 Lesen als Kulturtechnik Lesen als Teilhabe an Schriftkultur Mehrdimensionalität von Lesen Sozial-interaktive Dimension LESEN Motivationalemotionale Dimension Kognitive Dimension Buchstaben- und Worterkennung diese Weise fördert der Austausch über das Gelesene das Verstehen von Texten. Der vorschulische und familiäre Umgang mit Texten, die an positive Erfahrungen geknüpften Vorlesesituationen und das Gespräch über Bilderbücher und Bücher wirken sich auf Leseinteresse und Lesemotivation aus und unterstützen den Prozess des Lesens. Als Lesemotivation wird der Wunsch oder das Interesse bezeichnet, einen Text zu lesen. Die emotionale Komponente bezieht sich dabei vor allem auf das Involviert-Sein beim Lesen, wie z. B. die emotionale Teilnahme am Schicksal von Figuren, den ästhetischen Genuss oder das Versinken in fantastische Welten (vgl. Hurrelmann 2007, S. 24). Die emotionale Beteiligung am Lesen und die Motivation, sich einem Text zu widmen, unterstützen die Bereitschaft, Lesen als anregende und genussvolle Aktivität zu erleben und einen mühevollen Leseprozess als lohnenswert anzusehen. Dabei spielt das Selbstkonzept eines Lesers eine große Rolle. Jeder Leser verfügt über Überzeugungen und Haltungen gegenüber dem eigenen Lesen und der eigenen Lesekompetenz. In einer konkreten Situation entscheidet das (lesebezogene) Selbstkonzept, ob und wie sich ein Leser einem Text nähert, wie er den Leseprozess aufrecht erhält und ihn gestaltet (vgl. Möller / Schiefele 2004, S. 111–118). Wer sich für einen guten Leser hält, gibt zum Beispiel auch bei einem schwierigen Text nicht gleich auf (Ich schaff das schon), wer von sich selbst glaubt, dass er nicht gut lesen kann, bricht seinen Leseprozess häufiger ab (Ich kann das eh nicht). Der kognitive Vorgang des Lesens wird in der Leseforschung in verschiedene Verarbeitungsebenen unterteilt. Sie differenzieren den Leseprozess von der basalen Fertigkeit der Buchstaben- und Worterkennung über die semantische und syntaktische Analyse von Sätzen bis hin zur Bildung einer inneren Vorstellung von längeren Textpassagen und vollständigen Texten. Das Ziel dieses Prozesses ist die Entwicklung einer mentalen Repräsentation, einer Art inneren Abbildung des Textes. Die Leseforschung unterscheidet fünf Ebenen (vgl. Rosebrock / Nix 2008; Christmann / Groeben 2001), die im Prozess des Lesens nicht nacheinander ablaufen, sondern interagieren. Dabei gibt es zunächst zwei hierarchieniedrige Ebenen, auf denen die Verarbeitung zunehmend automatisiert abläuft, und drei hierarchiehöhere Ebenen, auf denen die Verarbeitung verstärkt kognitiven Aufwand erfordert. 1. Buchstaben-, Wort- und Satzerkennung: Zum Erlesen eines Wortes gibt es zwei mögliche Zugangswege: Bei unbekannten oder längeren Wörtern werden die einzelnen Grapheme in Phoneme umgewandelt und synthetisiert. Diesen Wort(vor)formen weist der Leser mithilfe von Repräsentationen im Gedächtnis Bedeutung zu. 86 LE S E N AL S L E RN GEGE NS TAN D Die Repräsentationen sind als Einträge im mentalen Lexikon gespeichert. Neben diesem indirekten Zugang gibt es auch eine direkte Worterkennung. Bei bekannten Wörtern, die bereits oft synthetisiert wurden, setzt ein Automatisierungsprozess ein, sodass die Wörter und ihre Bedeutung auf einen Blick erfasst werden können (vgl. Scheerer-Neumann 2003, S. 511). Um einen Satz zu verstehen, baut der Leser aufgrund der Bedeutung der Wörter (Semantik) und mithilfe der Satzstruktur (Syntax) eine sinnvolle Einheit. Nach dem Propositionsmodell des Kognitionspsychologen Walter Kintsch wird dabei nur der wesentliche Gehalt an Informationen in Form von Bedeutungseinheiten (sogenannte Propositionen) erfasst (vgl. Kintsch 1974). Eine Proposition besteht aus einem Prädikat, meist durch ein Verb realisiert, und aus einem oder mehreren Argumenten, meist durch Nomina realisiert. So wird der Satz Janine fährt dieses Jahr nach Mallorca durch folgende Proposition abgebildet: ‚FAHREN JANINE MALLORCA‘. Dabei werden nicht nur isolierte Wörter aktiviert, sondern ganze Konzepte, die mit diesen Wörtern verbunden sind. 2. Lokale Kohärenzbildung: Während des Lesevorgangs des weiteren Textes werden vom Leser ständig neue Propositionen gebildet. Sie werden auf lokaler Ebene miteinander in Beziehung gebracht. Über den einzelnen Satz hinaus verknüpft der Leser Satzfolgen zu einer stimmigen Sinnkonstruktion (vgl. Christmann 2010, S. 163– 166; Holle 2009, S. 130f.). Auf diesen beiden hierarchieniedrigen Ebenen muss das Lesen zunehmend flüssig und automatisiert ablaufen, damit die kognitiven Kapazitäten für die anspruchsvolleren, hierarchiehöheren Prozesse des Lesens und für die zunehmende Komplexität von Texten genutzt werden können. 3. Globale Kohärenzbildung: Die Propositionen gelangen zunächst in einen Arbeitsspeicher, der allerdings nur begrenzte Aufnahmekapazitäten besitzt. Aus diesem Grund werden nicht alle Propositionen gespeichert, sondern sie werden wiederum nach bestimmten Regeln miteinander verbunden, ineinander eingebettet, zusammengefasst oder als übergeordnete Proposition neu konstruiert. Sprachliche Mittel auf der Oberflächenebene des Textes (die sogenannten Kohäsionsmittel) können für die Verknüpfungen dienlich sein: Sie bewirken, dass aufeinander folgende Sätze als zusammenhängender Text erscheinen (vgl. Kintsch / van Dijk 1983). Bietet der Text viele Verknüpfungsmöglichkeiten, wirkt sich dies positiv auf das Verstehen und Behalten der Textinformationen aus. 87 Lokale Kohärenzbildung Globale Kohärenzbildung LESEN Erkennen von Superstrukturen Erkennen von Darstellungsstrategien Inferenzen 4. Erkennen von Superstrukturen: Neben dieser inhaltlichen Gesamtvorstellung orientiert sich der Leser auch an den formalen Strukturen eines Textes. Im Laufe seiner Lesekarriere erwirbt er ein oft implizites (also unbewusst bleibendes) Wissen darüber, wie bestimmte Texte und Textsorten aufgebaut und strukturiert sind. Dieses Wissen dient dem Erkennen solcher Strukturen im aktuellen Text, der dadurch für den Leser leichter verständlich wird. 5. Erkennen von Darstellungsstrategien: Bei komplexen Texten kann der Leser „aus einer Metaperspektive heraus rhetorische, stilistische und argumentative Strategien“ (Rosebrock / Nix 2008, S. 20) des Textes erfassen und für sein Textverständnis nutzen. Diese kognitive Dimension des Leseprozesses ist bei weitem nicht so textseitig dominiert, wie die bisherigen Ausführungen nahelegen. Vielmehr ist der gesamte Leseprozess eine konstruktive Handlung, in der die sprachlichen Informationen des Textes und die Wissensbestände des Lesers interagieren. Textverstehen vollzieht sich in einer Wechselwirkung aus den bisher beschriebenen, textbasierten bzw. datengeleiteten Prozessen („bottom-up“) und aus wissensbasierten, konzeptoder erwartungsgeleiteten Prozessen („top-down“) (vgl. Christmann / Groeben 2001, S. 170–172). Damit ist gemeint, dass der Leser über sprachliches Wissen und über Weltwissen verfügt, das in jeder Phase des Leseprozesses eingesetzt wird. So muss er Leerstellen im Text ergänzen, man nennt dies Inferenzen bilden. Um Auslassungen zu ergänzen, Bezüge zwischen mehreren Textteilen herzustellen und Ordnungen (räumlich, zeitlich, logisch) zu bilden, benötigt der Leser zunächst außersprachliche Wissensbestände. Sie umfassen Alltagswissen, Fachwissen, Erfahrungswissen, Bildungswissen, Handlungswissen und konzeptuelles Wissen, das dem Leser ermöglicht, Tatbestände und Sachverhalte nachzuvollziehen und Ereignisfolgen zu konstruieren oder zu strukturieren (vgl. Linke u. a. 2004, S. 256–259). Darüber hinaus braucht der Leser aber auch sprachstrukturelles Wissen (z. B. über Flexionsmorpheme, Wortzusammensetzungen, grammatisches Wissen) sowie Wissen über Handlungs- und Geschichtenschemata (‚story grammar‘) (vgl. Christmann / Groeben 2001, S. 166–169). Auf dieser Grundlage konstruiert der Leser in seiner Vorstellung eine Repräsentation des schriftlich Dargestellten. Man nennt diese Repräsentationen „Situationsmodelle“ oder „Mentale Modelle“ (vgl. Christmann 2010, S. 169). Dazu bezieht der kompetente Leser auch die Kommunikationsabsicht des Autors mit ein, ebenso die Textsorte und die damit verbundene kommunikative Funktion (Berichten, Überzeugen, Unterhalten, Informieren)( vgl. Schnotz / Dutke 2004, S. 73). 88 ZI EL E UND KO MPETENZEN Mit der Bildung eines „Mentalen Modells“ hat der Leser im kognitionspsychologischen Sinne den eigentlichen Textverstehensprozess abgeschlossen. Zu einem kompetenten Lesen gehört jedoch auch die Fähigkeit zur Reflexion über das Gelesene (vgl. Groeben 2004, S. 11– 35). Zwar werden schon während des Leseprozesses Wissensbestände in überprüfender, erweiternder und reflektierender Form für den Verstehensprozess hinzugezogen, auch wird über den Gehalt und die Bedeutung des Textes nachgedacht, die Reflexion über den Textinhalt setzt sich aber hauptsächlich im Anschluss daran fort. Hier erfolgt die eigentliche Nutzung des Textes, wenn zum Beispiel Informationen aus dem Text auf die eigene Wirklichkeit bezogen werden können und möglicherweise zur Verhaltens- oder Einstellungsveränderung veranlassen. Für das gesamte Textverstehen nutzt der Leser bestimmte Verfahren, mit denen er das Erreichen seines Verstehensziels unterstützen kann. Diese Verfahren werden als Lesestrategien bezeichnet. Lesestrategien sind mentale Werkzeuge, die gezielt für das Leseverstehen auf den unterschiedlichen Verarbeitungsebenen eingesetzt werden. Sie werden vor, während und nach dem Leseprozess angewendet (> ABBILDUNG 18). Sie dienen dem Aufbau einer Leseabsicht, der Kontrolle der Verstehenstätigkeit und der Überprüfung des Verstehensprozesses. So beginnt beispielsweise der Leser mit dem Aufbau einer Leseerwartung, die er während des Lesens überprüft. Auch die Aktivierung des Vorwissens unterstützt den Leseprozess. Gibt es Verstehensschwierigkeiten, muss sich der Leser ihrer Qualität bewusst werden und gezielt Strategien anwenden, um die Verstehenstätigkeit voranzutreiben. Man unterscheidet dabei zwischen Lesestrategien im engeren Sinne, die sich auf das Textverstehen beziehen, und Strategien, die der Selbstregulation dienen und manchmal auch allgemein als Lernstrategien oder als metakognitive Strategien bezeichnet werden. Unter Strategien zur Selbstregulation versteht man Mechanismen, die Lernende aktivieren, um ihre Motivation und den Prozess des Wissenserwerbs zu beeinflussen und zu steuern (vgl. Mandl / Friedrich 2006, S. 1). 6.2 Ziele und Kompetenzen Aufgrund der hohen Bedeutung, die das Lesen für den Einzelnen und für die Teilhabe an der Gesellschaft hat, gehört die Vermittlung von Lesekompetenz zu den zentralen Aufgaben des Deutschunterrichts 89 Reflexion und Nutzung Lesestrategien LESEN Vor dem Lesen Ziele im Verstehensprozess Strategien des Textverstehens Strategien der Selbstregulation die Leseabsicht klären · sich einen Überblick über Textthema, Textbeschaffenheit machen, Vorwissen aktivieren · Lesestil auswählen (überfliegend, selektiv usw.) · sich das Lese-/Arbeitsziel vor Augen führen und Aufwand, Zeit und Nutzen auf Grundlage des ersten Eindrucks (z. B. Textlänge) einschätzen · entsprechende Textverstehensstrategien aufrufen, · ersten Handlungsplan entwerfen Ziele im Verstehensprozess Strategien des Textverstehens Strategien der Selbstregulation wesentliche Informationen, Begriffe und Aussagen ermitteln, dabei Informationen auf sprachlicher Ebene nutzen, mit Wissensbeständen und mit Informationen auf inhaltlicher Ebene verknüpfen · zentrale Begriffe, Referenzformen erkennen (Ober- und Unterbegriffe, Wiederholungen, Wortfelder) · wesentliche Satzelemente/Propositionen ermitteln, daraus mögliche Schlüsselwörter bilden · Überschrift wahrnehmen, mit eigenem Wissen und Erwartungen an den Inhalt anfüllen, Vermutungen äußern · inhalts- und verstehensbezogene Fragen an den Text stellen das Leseverstehen auf der Wort- und Satzebene überprüfen und sicherstellen: · unbekannte Begriffe klären · Verstehensschwierigkeiten formulieren · entsprechende Textpassagen kennzeichnen · genauer lesen · externe Hilfen hinzu ziehen Informationen miteinander in Beziehung bringen, verknüpfen und wesentliche Inhalte erfassen, sprachliche Strukturierungsmittel wahrnehmen, nutzen und inhaltliche Bezüge zwischen Textteilen herstellen · Textverknüpfungsmittel (Kohäsionsmittel) und Deiktika erfassen (z. B. jetzt, dort, dieser…) · Gliederungs- und Struktureinheiten erkennen (z. B. erstens, zweitens; einerseits – andererseits) · Sinnabschnitte markieren bzw. Informationseinheiten gliedern · Kerngedanken der einzelnen Abschnitte formulieren · jetzige Textkenntnis mit Anfangsfragen und -erwartungen in Beziehung setzen · Handlungsplan anpassen Während des Lesens 90 ZI EL E UND KO MPETENZEN Textinhalt erfassen: Wissen über Textsorten, Textstrukturmuster und Textfunktionen einbeziehen, zentrale Aussagen des Textes miteinander in Beziehung setzen · Wissen über Textfunktion und mögliche Strukturmuster aufrufen und mit vorhandenem Text in Beziehung bringen · je nach Textsorte Informationen strukturieren (argumentativer Text wie Kommentar oder Rede als Strukturbild darstellen nach den Kriterien: These – Argument – Beleg, Erläuterung; Lehrtext in Form eines Diagramms nach den Kriterien: Daten – Ort/Person – Ereignis) · Zusammenfassung über die wesentlichen Aspekte/Aussagen des Textes in eigenen Worten verfassen Darstellungsstrategien erkennen und für das Verstehen der Gesamtaussage nutzen · sprachliche und sprachstrukturelle Mittel (rhetorisch, stilistisch, argumentativ) hinsichtlich ihrer Funktion und Wirkung kennzeichnen · über die Wirkung und den Einsatz reflektieren · Gehalt, Nützlichkeit, Funktion der zusammengetragenen Informationen prüfen Nach dem Lesen Ziele im Verstehensprozess Strategien des Textverstehens Strategien der Selbstregulation Reflexion und Nutzung des Textgehalts · die Aussageabsicht des Textes mit der Wirkung auf den Leser in Beziehung setzen · Textgestaltung (sprachlich, strukturell, stilistisch) mit Aussageabsicht in Beziehung setzen und beurteilen · Textgehalt auf eigenen Erkenntniswert beziehen (Neues wahrnehmen, evtl. veranschaulichen, Erkenntnisse als Gewinn oder Nutzen reflektieren) Reflexion über den durchgeführten Einsatz von Lesestrategien und über den Verlauf des Leseverstehensprozesses Abbildung 18: Strategien im Leseverstehensprozess 91 LESEN Teilhabe an kultureller und gesellschaftlicher Praxis Leseflüssigkeit Lesestrategien und der Schule insgesamt. Anschaulich ist der Stellenwert von Lesekompetenz als Ziel des Unterrichts in den öffentlichen Debatten um das schlechte Abschneiden der deutschen Schüler in der ersten PISAStudie (Baumert u. a. 2001) geworden. Das zentrale Ziel im Leseunterricht ist die Ausbildung einer Lesekompetenz, die zur Teilhabe an kultureller und gesellschaftlicher Praxis befähigt (vgl. Hurrelmann 2002). Dazu muss die Lesekompetenz in allen drei Dimensionen (> KAPITEL 6.1) entwickelt und gefördert werden. Die fünf Ebenen der kognitiven Dimension bestimmen den Leseprozess zentral, deshalb steht die gezielte Förderung der entsprechenden Fähigkeiten im Mittelpunkt der Leseförderung im Sprachunterricht. So müssen Schüler als basale Leseleistung die Fähigkeit zum flüssigen Lesen erwerben. Leseflüssigkeit oder Lesegeläufigkeit bezeichnet die Fähigkeit, einen Text flüssig, in angemessenem Tempo und sinnvoll intonierend zu lesen. Dazu muss das Lesen auf den hierarchieniedrigen Ebenen der Wort- und Satzidentifikation automatisiert ablaufen. Diese Fähigkeit stellt eine Gelenkstelle zur nächsthöheren Verstehensebene dar (vgl. Holle 2009, S. 147), da nur so ausreichend Aufnahmekapazität für weiteres Verstehen auf hierarchiehöherer Ebene vorhanden ist. Unterschiede beim Textverstehen lassen sich in ganz entscheidendem Maße auf unterschiedliche Fähigkeiten im Bereich der Leseflüssigkeit zurückführen (vgl. Gold u. a. 2010, S. 68–70). Deshalb bildet der Erwerb der Leseflüssigkeit ein zentrales Ziel des Leseunterrichts – das auch über die Grundschulzeit hinaus verfolgt werden muss, bis alle Schüler in der Lage sind, angemessen und flüssig zu lesen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass auch sprachliches Wissen im Hinblick auf Wortschatz, Grammatik, Satzstruktur und -verknüpfungen und Textwissen für den Aufbau von Leseflüssigkeit bedeutsam ist (vgl. Peyer 2010, S. 253–257). Neben der Ausbildung von Leseflüssigkeit bildet der Erwerb von Lesestrategien den zweiten wichtigen Schwerpunkt in der kognitiven Dimension. In vielen empirischen Untersuchungen hat sich gezeigt, dass der Erwerb von Lesestrategien und von Strategien zur Selbstregulation das Leseverstehen der Schüler wesentlich verbessert (vgl. Streblow 2004). Der Erwerb von Strategien des Textverstehens und der Selbstregulation (> ABBILDUNG 18) beginnt bereits in der Grundschule und steht in der Sekundarstufe I und II im Zentrum des Unterrichts. Die Schüler sollen dabei ein Set an Lesestrategien, ein ‚Werkzeugset‘, erwerben, um zunehmend selbstständig damit arbeiten zu können. Weil für die Entwicklung eines Textverständnisses auf den hierarchiehöheren Ebenen Wissen über Texte bedeutsam ist, müssen die 92 ZI EL E UND KO MPETENZEN Schüler im Unterricht Wissen über grundlegende Typen der thematischen Entfaltung (beschreibend, erklärend, argumentierend, erzählend) und über grundlegende Textfunktionen (informierend, appellierend, regulierend, instruierend) erwerben. Dazu gehört auch Wissen über (zumeist wesentlich durch ihre Textfunktion ausgezeichnete) Textsorten: Schüler sollen den Umgang mit zentralen Textsorten lernen, die für ihr schulisches Lernen und gesellschaftliches Leben wichtig sind. Sie sollen unterschiedliche Textsorten (z. B. Gebrauchsanweisung, Vertrag, Kommentar usw.) kennen, ebenso kontinuierliche wie diskontinuierliche Texte (Schaubilder, Diagramme), und deren spezifische Leistungen nutzen können. Zusätzlich zu den drei genannten Wissenstypen ist ein weiterer Wissenstyp von Bedeutung: Schüler sollen Kenntnisse über stilistische und rhetorische Darstellungsmittel sowie über deren Funktion und Wirkung erwerben und diese Kenntnisse für das Textverstehen nutzen (vgl. KMK 2003, S. 14). Zudem soll ihre Sensibilität für ästhetische Funktionen von Texten gefördert werden. Die Fähigkeit zur Kommunikation über Texte auf der sozial-interaktiven Ebene des Leseprozesses ist zu fördern, weil sie das Textverstehen und die Reflexion über Texte unterstützt. In Gesprächssituationen im Anschluss an den Leseprozess können die Schüler sich über Inhalt, unterschiedliche Sichtweisen und Vorstellungsbilder austauschen. Die Anschlusskommunikation trägt dazu bei, die in Texten dargestellten fremden und neuen Perspektiven auf die eigene Wirklichkeit zu erörtern, zu verarbeiten und zu reflektieren, durch die Auseinandersetzung mit literarischen Figuren Empathie aufzubauen, über soziale und gesellschaftliche Realitätsentwürfe und Handlungsweisen in ihrer historischen Eingebundenheit nachzudenken und eigene Handlungsmöglichkeiten und Perspektiven zu entwickeln (> KAPITEL 2). Wegen der hohen Bedeutung der Lesemotivation für das Leseverstehen (vgl. Baumert u. a. 2001) ist in der motivational-emotionalen Dimension der Aufbau von Lesemotivation ein wichtiges Ziel. In diesem Zusammenhang sind insbesondere zwei Komponenten zu berücksichtigen: die Entwicklung von Leseinteresse und die Unterstützung eines positiven Selbstkonzepts. Leseinteresse wird durch die soziale Einbindung in kommunikative Situationen und durch eine anregende Leseumgebung gefördert (vgl. Groeben / Hurrelmann 2004, S. 451). Ein positives Selbstkonzept beeinflusst das Leseverhalten, indem der Schüler sich selbst Leseanreize schafft, sich Ziele und Motive für die Tätigkeit bewusst macht und die Lesetätigkeit bei Verstehensschwierigkeiten entsprechend gestaltet. Ein positives Selbstkonzept wird durch Strategien der Selbstregulation unterstützt. 93 Wissen über Textstrukturen, Textfunktionen, Textsorten Wissen über Darstellungsmittel Anschlusskommunikation Lesemotivation, Leseinteresse LESEN Lesekompetenzmodell „Literacy“ Drei Teilleistungen von Lesekompetenz nach PISA Zur Modellierung von Lesekompetenz liegen hauptsächlich Modelle vor, die im Rahmen der großen Schulleistungsstudien (PISA, IGLU, DESI) entstanden sind. Sie sind primär auf die Leistungsmessung ausgerichtet und nicht auf Erwerbsprozesse im Unterricht. Das PISALesekompetenzmodell stellt ein grundlegendes Modell dar. Das PISAModell orientiert sich am angloamerikanischen Verständnis von Lesekompetenz, im Sinne von „Literacy“ bzw. „Reading Literacy“: „Lesekompetenz (Reading Literacy) heißt, geschriebene Texte zu verstehen, zu nutzen und über sie zu reflektieren, um eigene Ziele zu erreichen, das eigene Wissen und Potential weiter zu entwickeln und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.“ (Baumert u. a. 2001, S. 80) Dieses Verständnis von Lesekompetenz betont den funktionalen Aspekt des Lesens. Mit „Literacy“ und auch „Reading Literacy“ ist die Auseinandersetzung mit allen Formen von schriftlichen Texten verbunden, die zur Informationsaufnahme, Fixierung und Weitergabe von Wissen dienen (vgl. dazu auch Kirsch u. a. 1998). Demzufolge werden verschiedene Aspekte von Lesekompetenz unterschieden, die in der PISA-Studie durch drei Teilleistungen zusammengefasst werden: 1. Informationen ermitteln: Informationen, die explizit im Text enthalten sind, werden erkannt; 2. Textbezogenes Interpretieren: Informationen, die im Text enthalten sind, werden miteinander in Beziehung gebracht und ein allgemeines Textverständnis wird entwickelt; 3. Reflektieren und Bewerten: der Text wird im Hinblick auf Inhalt und Form bewertet, der Textinhalt wird auf eigene Wissensbestände, Ideen und Erfahrungen angewendet (vgl. Baumert u. a. 2001, S. 83). Obwohl in der Sprachdidaktik inzwischen ein Konsens darüber besteht, dass beim Lesen Teilleistungen unterschieden werden können, sind die Unterscheidung, die im PISA-Modell genutzt wird, sowie die Konzentration auf die kognitive Dimension des Lesens fachdidaktisch nicht unumstritten. Dennoch sind sie in der schulischen Praxis, etwa in Abschlussarbeiten, präsent. Einigkeit besteht darüber, dass der Leser beim Textverstehen auf der Grundlage von sprachlichen Informationen seine Vorstellungen bildet und die kognitive Dimension eine zentrale Rolle im Textverstehensprozess spielt. 94 L ESE N A NR EGE N UN D F ÖRD ER N 6.3 Lesen anregen und fördern In der Debatte um geeignete Wege, Schüler beim Erreichen der Ziele des Leseunterrichts zu unterstützen, spielen drei Aspekte eine herausgehobene Rolle: Programme zum Erwerb von Lesestrategien zur Förderung des Textverstehens, Übungen zur Förderung von Leseflüssigkeit und Maßnahmen zur Förderung von Lesemotivation. Lesemotivation und Leseinteresse können durch den Aufbau einer schulischen Lesekultur gefördert werden. Motivationsfördernd sind Lesenächte, Autorenlesungen oder Buchvorstellungen, die ihren festen Platz im Schulalltag haben. Eine positive Haltung bzw. Bereitschaft des Schülers zum Lesen kann durch Leseanreize geschaffen werden. Dazu muss in der Klassen- oder Schulbibliothek ein vielfältiges Textangebot für unterschiedliche Leseinteressen zur Verfügung stehen. Neben Kinder- und Jugendliteratur im engeren Sinne gehören dazu auch Sachbücher, Zeitungen, Zeitschriften, Comics und nicht zuletzt neue Medien wie CD-Roms, z. B. mit Spielgeschichten. Eine solche Haltung wird durch eine kontinuierliche Nutzung von Sachund Fachliteratur oder durch ein Zeitschriften- oder Zeitungsabonnement in anderen Fächer als Deutsch, z. B. den Naturwissenschaften, unterstützt. Menschen, die gerne lesen, gelten auch als Vielleser und geübte Leser und zeigen eine höhere Leseverstehensfähigkeit. Dabei ist allerdings immer zu bedenken, dass das selbstständige Lesen längerer Texte voraussetzungsreich ist und von leseschwachen Schülern nicht ohne Weiteres realisiert werden kann (vgl. Rosebrock u. a. 2010, S. 50–52). Die Qualität der Leseflüssigkeit kann durch Maßnahmen verbessert werden, die sich am sogenannten „Fluency-Training“ orientieren (vgl. Rosebrock / Nix 2008). Dabei werden vier Teilfähigkeiten geschult: Dekodiergenauigkeit, Automatisierung, Lesegeschwindigkeit und angemessene Betonung (Prosodie). Bei diesen Trainings handelt es sich um sogenannte „Lautlese-Verfahren“, bei denen zwei Lesepartner sich gegenseitig einen ihnen angemessenen kurzen Text laut und sinnbetont vorlesen. In mehreren Durchgängen werden Lesetempo, Leserichtigkeit und Prosodie trainiert. Der Partner achtet jeweils auf ein oder zwei Merkmale wie Lautstärke, Lesetempo, richtiges / genaues Lesen, deutliche Aussprache, Lesefluss, Leseausdruck. Die Leseleistung und die Lesefortschritte werden ausgewertet (vgl. Rosebrock / Nix 2008; Bertschi-Kaufmann u. a. 2008). Lautlese-Verfahren können in systematischer Weise in den Unterricht eingebettet sein, fördern empirisch nachgewiesen neben der Leseflüssigkeit auch die 95 Lesekultur in der Schule Lautlese-Verfahren LESEN Einführen, Üben, Anwenden von Strategien Strategietrainingsprogramme Textdetektive Training in drei Bausteinen Fähigkeit zum Textverstehen (vgl. Rosebrock u. a. 2010) und motivieren zum Zuhören und zum Austausch über die Textinhalte (vgl. Holle 2009). Der Erwerb von Lesestrategien sollte in drei Schritten erfolgen: In einem ersten Schritt wird vom Lehrer oder Trainer eine begrenzte Anzahl von Strategien eingeführt, ihr Einsatz und Nutzen exemplarisch demonstriert. In einem zweiten Schritt wenden die Schüler die Strategien selbstständig an und üben sie an unterschiedlichen Texten und Aufgaben. In einem dritten Schritt reflektieren Lehrer und Schüler gemeinsam über den Nutzen von Strategien für ihre jeweilige Leseverstehenstätigkeit und für den Leseerfolg. Ein Set an geeigneten Strategien wird zusammengestellt und in eigens dafür vorgesehenen Heften, auf Karten oder als Lesezeichen in optisch ansprechender Form für das Lesen von Texten in allen Fächern verfügbar gemacht. Zum systematischen Erwerb von selbstregulativen Strategien und Lesestrategien liegen unterschiedliche, empirisch überprüfte Trainingsprogramme vor (vgl. Streblow 2004). Sie unterscheiden sich im Wesentlichen in der Auswahl der Strategien und in der Reihenfolge ihres Einsatzes. Lesestrategietrainings berücksichtigen dabei nicht nur Lesestrategien im engeren Sinne, sondern vielfach versuchen sie gleichzeitig, selbstregulative Strategien einzuführen, mit denen der Schüler lernt, sein eigenes Lesevermögen bewusst einzuschätzen, sich selbst realistische Ziele zu setzen und den Lern- und Leseerfolg zu reflektieren. Ein Beispiel für ein solches Programm sind die Textdetektive (Gold u. a. 2004). Zum einen gibt es Übungen zur motivationalen und zur kognitiven Selbstregulation (Mittel-Ziel-Überlegungen anstellen, Leseplan entwickeln), zum anderen werden mit den Schülern sieben Detektivmethoden erarbeitet (Überschrift beachten, Bildlich vorstellen, Umgang mit Textschwierigkeiten, Verstehen überprüfen, Wichtiges unterstreichen, Wichtiges zusammenfassen, Behalten überprüfen). Ein anderes Beispiel ist das Trainingsprogramm Lesen. Das Training (Bertschi-Kaufmann u. a. 2008). Es besteht aus drei Bausteinen: Lesefertigkeit, Leseflüssigkeit und Lesestrategien. Der Baustein Lesestrategien stellt eine Kombination von Lese- und Selbstregulationsstrategien dar. Die Abfolge ihres Einsatzes ist orientiert am Verstehensprozess. Insgesamt werden sechs Lesestrategien mit jeweils drei Verfahrensschritten bzw. Teilstrategien eingeführt, angewendet, reflektiert und ihr Einsatz an unterschiedlichen Texten trainiert: Vor dem Lesen kommen zwei Strategien zur Vorentlastung und zum über- 96 FRAGEN UND LEKTÜREEMPFEHLU NGEN fliegenden Lesen zur Anwendung (z. B. Überblick verschaffen, Vermutungen äußern, Vorwissen aktivieren), während des Lesens erfolgt eine schrittweise Erarbeitung des Textes (z. B. Unverstandenes klären, Sinnabschnitte einteilen, wichtige Stellen markieren, Kernaussagen formulieren), nach dem Lesen werden verschiedene Verfahren der Inhaltswiedergabe eingeübt (z. B. W-Fragen, Geschichtenschema, Schaubild, Tabelle, Grafik). Abschließend geht es darum, das Gelesene zu beurteilen und zu nutzen (Leseempfehlung geben, über weitere Verwendungsmöglichkeiten nachdenken). Ein drittes Beispiel ist das Reciprocal Teaching (Palincsar / Brown 1984), ein für die Schule entwickeltes Förderkonzept für schwache Leser. Das Training des Leseverstehens erfolgt in Kleingruppen, die zunehmend selbstständig vier Strategien anwenden: Fragenstellen, Zusammenfassen, Klären von Wortbedeutungen, Vorhersagen, wie der Text weitergeht. Der aus dem englischsprachigen Raum kommende Ansatz des Reciprocal Teaching wird derzeit in seiner Wirkung als Fördermaßnahme in Deutschland empirisch geprüft (vgl. Berkemeier u. a. 2009). Prinzipiell ist ein Strategietraining erfolgreich eingesetzt, wenn es kein isoliertes Methodentraining bleibt, sondern wenn die Strategien kontinuierlich in allen Fächern zum Erschließen von unterrichtsrelevanten Texten genutzt werden, d. h. dass sie immer wieder aufgerufen, eingesetzt und geübt werden, bis sie schließlich verinnerlicht sind und bei Verstehensproblemen bewusst gemacht und aufgerufen werden können. Fragen und Anregungen · Formulieren Sie Gründe bzw. Argumente dafür, dass die Lesefähigkeit als Schlüsselkompetenz für das Lernen innerhalb und außerhalb der Schule gesehen wird. · Welche kognitiven Leistungen sind nötig, um einen Text auf hierarchiehoher / hierarchieniedriger Ebene zu verstehen? · Informieren Sie sich in einem Lehrwerk für den Deutschunterricht über die Anleitungen und Aufgaben zum Verstehen von Texten: Werden Lesestrategien eingeführt? In welcher Form? Gibt es Aufgaben, die auf die Aktivierung des Vorwissens abzielen? Gibt es Aufgaben, die auf mögliche Verstehensschwierigkeiten eingehen und Vorschläge zu ihrer Lösung anbieten? 97 Reciprocal Teaching LESEN · Überlegen Sie, welche Strategien Sie selbst einsetzen bzw. als sinnvoll erachten, um das Verstehen eines (wissenschaftlichen) Textes zu sichern. Lektüreempfehlungen · Andrea Bertschi-Kaufmann (Hg.): Lesekompetenz – Leseleistung – Leseförderung, Seelze-Velber 2007. Basiswissen über Lesetheorien und didaktische Modelle; methodische Vorschläge zur Leseförderung. · Martin Leubner / Anja Saupe / Matthias Richter: Literaturdidaktik, Berlin 2010. Einführung. Entwicklung und Begründung eines literaturdidaktischen Modells zum Erwerb von literarischer Lesekompetenz. · Cornelia Rosebrock / Daniel Nix: Grundlagen der Lesedidaktik und der systematischen schulischen Leseförderung, Baltmannsweiler 2008, 4., korrigierte und erweiterte Auflage 2011. Darstellung eines mehrdimensionalen Modells zum Leseverstehen, didaktische und methodische Konkretisierung anhand einzelner Aspekte der Leseförderung. 98