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ALLGEMEINE PSYCHOLOGIE: LERNEN, EMOTION, MOTIVATION UND AUFMERKSAMKEIT DLBPSAPLEMA01 ALLGEMEINE PSYCHOLOGIE: LERNEN, EMOTION, MOTIVATION UND AUFMERKSAMKEIT IMPRESSUM Herausgeber: IU Internationale Hochschule GmbH IU International University of Applied Sciences Juri-Gagarin-Ring 152 D-99084 Erfurt Po...

ALLGEMEINE PSYCHOLOGIE: LERNEN, EMOTION, MOTIVATION UND AUFMERKSAMKEIT DLBPSAPLEMA01 ALLGEMEINE PSYCHOLOGIE: LERNEN, EMOTION, MOTIVATION UND AUFMERKSAMKEIT IMPRESSUM Herausgeber: IU Internationale Hochschule GmbH IU International University of Applied Sciences Juri-Gagarin-Ring 152 D-99084 Erfurt Postanschrift: Albert-Proeller-Straße 15-19 D-86675 Buchdorf [email protected] www.iu.de DLBPSAPLEMA01 Versionsnr.:001-2023-1108 Carola Ortlepp-Appl ©2023 IU Internationale Hochschule GmbH Dieses Lernskript ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Lernskript darf in jeglicher Form ohne vorherige schriftliche Genehmigung der IU Internationale Hochschule GmbH (im Folgenden „IU“) nicht reproduziert und/oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Die Autor:innen/Herausgeber:innen haben sich nach bestem Wissen und Gewissen bemüht, die Urheber:innen und Quellen der verwendeten Abbildungen zu bestimmen. Sollte es dennoch zu irrtümlichen Angaben gekommen sein, bitten wir um eine dementsprechende Nachricht. 2 INHALTSVERZEICHNIS ALLGEMEINE PSYCHOLOGIE: LERNEN, EMOTION, MOTIVATION UND AUFMERKSAMKEIT Einleitung Wegweiser durch das Studienskript................................................. 6 Basisliteratur..................................................................... 7 Weiterführende Literatur.......................................................... 8 Ãœbergeordnete Lernziele......................................................... 10 Lektion 1 Lernen 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 Einführung in die Lernpsychologie............................................. 12 Klassisches Konditionieren................................................... 14 Instrumentelles Lernen und operantes Konditionieren.......................... 27 Spiegelneuronen............................................................ 35 Anwendungsbeispiel......................................................... 38 Lektion 2 Emotionen 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8 43 Einführung in die Emotionspsychologie........................................ 44 Emotionen und Gehirn....................................................... 50 Auswirkungen von Emotionen................................................ 69 Kognitive Effekte............................................................. 76 Gesundheitseffekte.......................................................... 79 Entwicklung von Emotionen.................................................. 83 Erklärungsansätze........................................................... 86 Anwendungsbeispiel......................................................... 88 Lektion 3 Motivation 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 11 91 Einführung in die Motivationspsychologie...................................... 92 Motivation als Kraft.......................................................... 93 Motivation als bewusste Kalkulation........................................... 98 Inhaltstheorien der Motivation............................................... 104 Ziele und Identitätsziele..................................................... 111 Anwendungsbeispiel........................................................ 119 3 Lektion 4 Aufmerksamkeit und Bewusstsein 123 4.1 Einführung in die Aufmerksamkeitspsychologie............................... 124 4.2 Funktionale Ebene der Aufmerksamkeit....................................... 127 4.3 Dichotisches Hören und Shadowing Task...................................... 134 4.4 Theorien der Aufmerksamkeit................................................ 136 4.5 Visuelle Aufmerksamkeit.................................................... 137 4.6 Das Neglect-Syndrom....................................................... 143 4.7 Limitationen der Aufmerksamkeit............................................ 143 4.8 Einführung in die Bewusstseinspsychologie................................... 148 4.9 Theoretische Ansätze zur Erklärung von Bewusstsein........................... 150 4.10 Anwendungsbeispiel....................................................... 161 Verzeichnisse Literaturverzeichnis............................................................. 166 Abbildungsverzeichnis.......................................................... 181 4 EINLEITUNG HERZLICH WILLKOMMEN WEGWEISER DURCH DAS STUDIENSKRIPT Dieses Studienskript bildet die Grundlage Ihres Kurses. Ergänzend zum Studienskript stehen Ihnen weitere Medien aus unserer Online-Bibliothek sowie Videos zur Verfügung, mit deren Hilfe Sie sich Ihren individuellen Lern-Mix zusammenstellen können. Auf diese Weise können Sie sich den Stoff in Ihrem eigenen Tempo aneignen und dabei auf lerntypspezifische Anforderungen Rücksicht nehmen. Die Inhalte sind nach didaktischen Kriterien in Lektionen aufgeteilt, wobei jede Lektion aus mehreren Lernzyklen besteht. Jeder Lernzyklus enthält jeweils nur einen neuen inhaltlichen Schwerpunkt. So können Sie neuen Lernstoff schnell und effektiv zu Ihrem bereits vorhandenen Wissen hinzufügen. In der IU Learn App befinden sich am Ende eines jeden Lernzyklus die Interactive Quizzes. Mithilfe dieser Fragen können Sie eigenständig und ohne jeden Druck überprüfen, ob Sie die neuen Inhalte schon verinnerlicht haben. Sobald Sie eine Lektion komplett bearbeitet haben, können Sie Ihr Wissen auf der Lernplattform unter Beweis stellen. Ãœber automatisch auswertbare Fragen erhalten Sie ein direktes Feedback zu Ihren Lernfortschritten. Die Wissenskontrolle gilt als bestanden, wenn Sie mindestens 80 % der Fragen richtig beantwortet haben. Sollte das einmal nicht auf Anhieb klappen, können Sie die Tests beliebig oft wiederholen. Wenn Sie die Wissenskontrolle für sämtliche Lektionen gemeistert haben, führen Sie bitte die abschließende Evaluierung des Kurses durch. Die IU Internationale Hochschule ist bestrebt, in ihren Skripten eine gendersensible und inklusive Sprache zu verwenden. Wir möchten jedoch hervorheben, dass auch in den Skripten, in denen das generische Maskulinum verwendet wird, immer Frauen und Männer, Inter- und Trans-Personen gemeint sind sowie auch jene, die sich keinem Geschlecht zuordnen wollen oder können. 6 BASISLITERATUR Bodenmann, G./Perrez, M./Schär, M. (2011): Klassische Lerntheorien. Grundlagen und Anwendungen in Erziehung und Psychotherapie. 2. Auflage, Verlag Hans Huber, Bern. Brandstätter, V. et al. (2018): Motivation und Emotion. 2. Auflage, Springer Verlag, Berlin. Gerrig, J./Zimbardo, P. G. (2008): Psychologie. 18. Auflage, Pearson Studium, München. Myers, D. G. (2014): Psychologie. 3. Auflage, Springer Verlag, Berlin. Schandry, R. (2006): Biologische Psychologie. Ein Lehrbuch. 2. Auflage, Beltz, Weinheim. 7 WEITERFÃœHRENDE LITERATUR LEKTION 1 Ferchmin, P. A. et al. (1980): Genetic learning deficiency does not hinder environmentdependent brain growth. In: Physiology & Behavior, 24. Jg., Heft 1, S. 45–50. Persson, G. E. B. (2005): Developmental perspectives on prosocial and aggressive motives in preschoolers’ peer interactions. In: International Journal of Behavioral Development, 29. Jg., Heft 1, S. 80–91. Seligman, M. E. P. (1971): Phobias and preparedness. In: Behavior Therapy, 2. Jg., S. 307– 320. LEKTION 2 Entringer, S./Heim, C. (2015): Auswirkungen lebensgeschichtlich früher Stresserfahrung auf Gesundheit und Krankheitsrisiko. (Im Internet verfügbar). Hapke, U. (2013): Chronischer Stress bei Erwachsenen in Deutschland (DEGS1). (Im Internet verfügbar). LEKTION 3 Bandura, A. (1990): Perceived self-efficacy in the exercise of personal agency. In: Espanola de Pedagogia, 48. Jg., Heft 187, S. 397–427. Nakamura, J./Csikszentmihalyi, M. (2014): The concept of flow. In: Csikszentmihalyi, M. (Hrsg.): Flow and the foundations of positive psychology. Springer Science + Business Media, Dordrecht, S. 239–263. Schüler, J. et al. (2019): Paved, graveled, and stony paths to high performance: Theoretical considerations on self-control demands of achievement goals based on implicit and explicit motives. In: Performance Enhancement & Health, 7. Jg., Heft 1–2. LEKTION 4 McClure, M. J. et al. (2010): A signal detection analysis of chronic attachment anxiety at speed dating: Being unpopular is only the first part of the problem. In: Personality and Social Psychology Bulletin, 36. Jg., Heft 8, S. 1024–1036. 8 Simons, D. J./Chabris, C. F. (1999): Gorillas in our midst: sustained inattentional blindness for dynamic events. In: Perception, 28. Jg., S. 1059–1074. Wetter, T. C. (2004): Neurobiologische Schlafforschung. Forschungsbericht (importiert) 2004 – Max-Planck-Institut für Psychiatrie. (Im Internet verfügbar). 9 ÃœBERGEORDNETE LERNZIELE Der Kurs Allgemeine Psychologie: Lernen, Emotion, Motivation und Aufmerksamkeit gehört zu den Grundlagenfächern der Psychologie und beschäftigt sich mit den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten, die menschliches Erleben und Verhalten beschreiben, erklären und vorhersagen können. Allen Themenbereichen der „Allgemeinen Psychologie“ ist neben ihren allgemeinen Gesetzmäßigkeiten gemeinsam, dass sie auf die Aufnahme, Verarbeitung, Speicherung und das Abrufen von Informationen fokussieren. Die Allgemeine Psychologie wird deswegen auch oft als kognitive Psychologie bezeichnet. Sie stellt die Basis für viele psychologische, aber auch human- und sozialwissenschaftliche Fachgebiete dar. In Ihrem Bachelor-Studium „Psychologie“ werden Sie die Inhalte der „Allgemeinen Psychologie“ sowie der anderen Grundlagenfächer in den Anwendungsfächern (ABO, klinische, pädagogische sowie biologische Psychologie) wiederfinden und zu deren Verständnis benötigen. 10 LEKTION 1 LERNEN LERNZIELE Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie wissen,... – wie Lernen definiert wird und worin die grundlegenden Prinzipien und Unterschiede der klassischen Lerntheorien bestehen. – was den Prozess des klassischen Konditionierens auszeichnet. – wie nach Thorndike und Skinner Verhalten verstärkt und geformt wird. – wie sich positive und negative Verstärkung und Bestrafung differenzieren lassen und welche Folgen Bestrafung in der Erziehung haben kann. – wie sich primäre und sekundäre Verstärker voneinander unterscheiden und welche unterschiedlichen Verstärkerpläne es gibt. – welche Auswirkungen biologische Einschränkungen auf das klassische und operante Konditionieren haben. – welche Bedeutung kognitive Lernformen haben. 1. LERNEN Einführung Kennen Sie das auch, wie schwer es oft fällt, eine alte und lästige Gewohnheit abzulegen und stattdessen eine neue und passender erscheinende in das persönliche Verhaltensrepertoire aufzunehmen? Warum das oftmals so schwierig ist und wie Verhaltensänderungen theoretisch begründet werden können, steht in dieser Lektion ebenso im Fokus des Interesses wie lernpsychologische Modelle, die erklären, wie und wozu wir lernen. Zunächst sollen jedoch zentrale Begriffe des Lernens erläutert und definiert werden. 1.1 Einführung in die Lernpsychologie Lernen Der Prozess des Lernens bewirkt eine relativ dauerhafte, erfahrungsbasierte Verhaltensänderung. In der folgenden Definition nach Gerrig und Zimbardo (2008, S. 192) sind die drei wesentlichen Merkmale des Lernens enthalten: „Lernen ist ein Prozess, der in einer relativ konsistenten Änderung des Verhaltens oder des Verhaltenspotenzials resultiert, und basiert auf Erfahrung.“ Nachfolgend sollen die von Gerrig und Zimbardo (2008) genannten drei Kernmerkmale des Lernens näher beleuchtet werden. Definitionsgemäß erkennt man Lernen daran, dass … EXKURS 1. … es eine Änderung des Verhaltens oder des Verhaltensrepertoires bewirkt, die sich nach außen sichtbar, in Form einer erbrachten Leistung zeigen kann, jedoch nicht mit dieser identisch ist. Auch eine veränderte Haltung zu einem bestimmten Gegenstand oder dessen erweitertes Verständnis führt zu einer Änderung des Verhaltenspotenzials und kann sich dann unmittelbar oder zu einem späteren Zeitpunkt in einem veränderten Verhalten zeigen (vgl. Koch/Stahl 2017, S. 320f.; Gerrig/Zimbardo 2008, S. 192). 2. … die Verhaltensänderung relativ konsistent und nachhaltig sein muss, um als erlernt zu gelten (vgl. Gerrig/Zimbardo 2008, S. 192). Hat jemand beispielsweise Fahrrad fahren gelernt, verlernt er dies vermutlich auch nach einer längeren Pause nicht. Zumindest sollte es ihm leichtfallen, dieses spezifische Verhalten nach etwas Ãœbung erneut zu zeigen. 3. … Lernen ein Prozess ist, der auf Erfahrung basiert, indem wir Informationen aufnehmen, bewerten sowie transformieren und auf diese reagieren, mit dem Ziel, unsere Umwelt zu beeinflussen oder uns an diese anzupassen (vgl. ebd., S. 192ff.; Myers 2014, S. 290ff.). 12 Ergänzend und für das Verständnis bedeutsam, betonen Bodenmann/Perrez/Schär den Unterschied zwischen erworbenem Verhalten durch das Aneignen von Wissen einerseits, und dem Auf- bzw. Abbau von Verhaltensdispositionen andererseits (Bodenmann/Perrez/ Schär 2011, S. 15f.). Unter einer Verhaltensdisposition ist die Bereitschaft zu verstehen, „sich unter mehr oder weniger spezifischen […] Bedingungen in einer bestimmten Weise zu verhalten; also z. B. Gedächtnisinhalte abrufen bzw. bestimmte Probleme lösen zu können oder mit Angst zu reagieren“ (Patry/Perrez 1981, S. 231). Ferner besteht ein breiter wissenschaftlicher Konsens darüber, dass gelerntes Verhalten nicht auf natürliche Reifungs- bzw. Alterungsprozesse, Schädigungen und Erkrankungen des Gehirns, Ermüdung oder den Einfluss von psychoaktiven Substanzen zurückzuführen sein darf (vgl. Gerrig/Zimbardo 2008, S. 192f.; Bodenmann/Perrez/Schär 2011, S. 14; Sokolowski 2013, S. 124f.). So kann man bei dem Aufbau von Verhaltensdispositionen zwischen erlernten und erfahrungsbasierten vs. genetischen und biologischen Verhaltensdispositionen unterscheiden (s. Grundkonzepte der Psychologie: Anlage-Umwelt-Debatte), die allerdings oftmals eng miteinander verbunden und voneinander abhängig sind (Bodenmann/Perrez/Schär 2011, S. 16ff.). Beispielsweise können wir nicht fliegen lernen, da uns hierfür die genetischen und körperlichen Voraussetzungen fehlen. Genetische und biologische Verhaltensdispositionen wie Reflexe (z. B. Lidschlussreflex), Instinkte (z. B. Nestbau bei Vögeln), Prägung (z. B. Bindungsverhalten bei Menschen) und Reifung (biologische Wachstumsprozesse) sind charakteristisch für bestimmte Arten und werden nicht erlernt, sondern vererbt. Darüber hinaus kann zwischen implizitem und inzidentellem Lernen vs. explizitem und hypothesengeleitetem Lernen unterschieden werden (Koch/Stahl 2017; S. 322). Implizites Lernen erfolgt eher beiläufig (inzidentell) und ohne eine besondere geistige Anstrengung automatisch und schnell (vgl. ebd.). So ist es beispielsweise schwierig, wenn nicht unmöglich, Kindern zu erklären, wie man Fahrrad fährt. Kinder lernen es meist am Vorbild, durch Unterstützung der Eltern und mit Ãœbung. Explizites und hypothesengeleitetes Lernen erfordert demgegenüber eine Lernbereitschaft, ist geplant, vergleichsweise mühsam und mit kognitiver Anstrengung verbunden, wie z. B. schulisches Lernen (vgl. ebd., S. 322f.). Habituation Habituation bzw. Gewöhnung ist eine basale Form des Lernens, bei der durch die wiederholte Darbietung eines Reizes die Verhaltensreaktion nachlässt (Gerrig/Zimbardo 2008, S. 193). Beispielsweise bewirkt die wiederholte Darbietung eines visuellen Reizes bei Säuglingen eine zunehmende Vertrautheit, die mit einem wachsenden Desinteresse einhergeht, sodass sie den Stimulus immer weniger ansehen und schließlich den Blick frühzeitig abwenden (Myers 2014, S. 182). Somit führt Habituation zu einer Verhaltensänderung, wobei diese allerdings entgegen der obigen Definition nicht dauerhaft ist, da das Verhalten durch andere Umgebungsreize erneut verändert wird (Gerrig/Zimbardo 2008, S. 193). Alltagsbeispiele hierfür sind das Laufgeräusch unseres Computers oder der Geruch unseres gewohnten Parfums, den wir nicht mehr bewusst wahrnehmen. Psychoaktive Substanzen Als Bewusstsein verändernde Mittel, z. B. Drogen oder Alkohol, werden sie genau aufgrund dieser Wirkursache konsumiert. Reflexe Dies sind unwillkürliche Reaktionen auf Reize, die wir mit unseren Sinnen wahrnehmen. Instinkte Dies sind angeborene Muster von Verhaltensweisen, die dazu dienen sollen, die Ãœberlebenschancen von Mitgliedern einer Gattung zu erhöhen. Sie müssen nicht gelernt werden. Reifung Diese wird als ein von innen gesteuerter, überwiegend genetisch bedingter Wachstumsprozess verstanden, der über die Lebensspanne hinweg kontinuierlich zu altersbezogenen Veränderungen des Körpers und des Verhaltens führt. 13 1.2 Klassisches Konditionieren Im Folgenden stehen in Abgrenzung zu schulischem Lernen sowie zu den genetischen und biologischen Verhaltensdispositionen die grundlegenden Formen der erfahrungsbasierten Verhaltensänderung im Mittelpunkt des Interesses. Grundlegende Begriffe Paradigma Ein wissenschaftliches Denkmuster bzw. eine Lehrmeinung, die breite Anerkennung in einer Forschergemeinschaft findet. Reiz Jedes Ereignis und jede Situation, die eine Reaktion auslöst, wird als Reiz oder Stimulus bezeichnet. Bevor im nächsten Abschnitt das Paradigma des klassischen Konditionierens vorgestellt wird, erfolgt zunächst eine Klärung bedeutsamer Begriffe. Als neutraler Stimulus (NS) wird ein Reiz bezeichnet, der unerwartet ist, jedoch keine starke Abneigung hervorruft (Bodenmann/Perrez/Schär 2011, S. 47). Da der Reiz keine besondere Bedeutung hat, ist die durch den Reiz hervorgerufene Orientierungsreaktion (OR) individuell sehr unterschiedlich. Allgemein reagiert der Organismus mit einer erhöhten Aufmerksamkeit und Aktivierung, um im Falle einer Bedrohung Kampf oder Flucht zu ermöglichen (ebd., S. 49f.). Unkonditionierte Stimuli (UCS) sind solche Reize, bei deren Wahrnehmung unmittelbar eine spezifische, angeborene unkonditionierte Reaktion (UCR) erfolgt, z. B. das Zurückziehen der Hand nach dem Berühren einer heißen Herdplatte (ebd., S. 46ff.). Die folgende Tabelle, angelehnt an Bodenmann/Perrez/Schär (2011, S. 48), zeigt, welche Arten von unkonditionierten Stimuli unterschieden werden können. Tabelle 1: Arten von unkonditionierten Stimuli Schmerzreize Physiologische Reize olfaktorische, z. B. Salmiak taktile, z. B. Hitze visuelle, z. B. grelles Licht auditive, z. B. Knall starkes Herzrazen Ohnmachtsgefühl Erstickungsgefühl Schwindel Schreckreize Positive Reize Lautes Geräusch, unerwarteter Knall Dunkelheit Süßigkeiten ansprechendes Lächeln sexuelle Attraktivität Quelle: Carola Ortlepp-Appl, 2020 in Anlehnung an Bodenmann/Perrez/Schär 2011, S. 48. Wie aus einem zunächst neutralen Stimulus ein konditionierter Stimulus wird und eine konditionierte Reaktion auslöst, soll im nachfolgenden Abschnitt erörtert werden. Das Paradigma des klassischen Konditionierens Das klassische Konditionieren geht auf den russischen Forscher Iwan P. Pawlow (russisch Pavlov) zurück und gilt als bewährte Methode zur Erforschung grundlegender assoziativer Lernprozesse (vgl. Bodenmann/Perrez/Schär 2011, S. 42ff.). Pawlow war als Reflexologe der damals zeitgemäßen Auffassung, dass das gesamte Verhaltensspektrum von 14 Organismen auf Reflexen basiert (Sokolowski 2013, S. 126f.). Ursprünglich wollte er die Verdauungstätigkeit von Hunden erforschen und bemerkte hierbei, dass die Hunde nach einigen Versuchen nicht nur auf die Fütterung von Fleischpulver mit Speichelfluss reagierten, sondern bereits im Vorfeld, wenn der Versuchsleiter lediglich das Labor betreten hatte (Koch/Stahl 2017, S. 323). Diese vorwegnehmende (antizipatorische) Reaktion der Hunde bezeichnete Pawlow als konditionierten Reflex. Pawlows Forschung war von grundlegender Bedeutung für den damals in Amerika erstarkenden Behaviorismus, der die psychologische Forschung ausschließlich auf objektive Reize, Reaktionen sowie deren Verbindungen reduzierte (Sokolowski 2013, S. 126). Die nachfolgende Abbildung von Danet (2014) zeigt Pawlows grundlegende Versuchsanordnung, die im Anschluss ausführlich erläutert wird. Abbildung 1: Klassische Konditionierung Klassisches Konditionieren Das ist eine Lernform, bei der zwei Reize miteinander verbunden (assoziiert) werden, um ein Ereignis vorwegzunehmen. Reize können Ereignisse oder Situationen sein, die in der Lage sind, eine Reaktion hervorzurufen. Assoziative Lernprozesse Dieser Begriff meint das Lernen von Menschen und Tieren, durch das bestimmte Ereignisse gemeinsam auftreten. Quelle: Carola Ortlepp-Appl, 2020 in Anlehnung an Danet 2014. Wie auf der Abbildung zu sehen ist, (1) löst das Futter als unkonditionierter Reiz bzw. Stimulus (US) beim Hund automatisch Speichelfluss als eine natürliche und unkonditionierte Reaktion (Response, UR) aus. (2) Eine Glocke dient als neutraler Stimulus (NS), welcher vor der Konditionierung keine besondere Reaktion verursacht. (3) Während der Konditionierung wird der neutrale Stimulus wiederholt mit dem Futter dargeboten. (4) Auf diese Weise wird infolge dieses Lernprozesses aus der Glocke als ursprünglich neutralem Stimulus ein konditionierter Stimulus (CS). Dieser führt als Ergebnis des Lernprozesses zu einer konditionierten Reaktion (CR), indem der Ton der Glocke (CS) ebenfalls in der Lage ist, beim Hund Speichelfluss zu erzeugen, auch wenn dieser ohne Futter dargeboten wird (vgl. Gerrig/Zimbardo 2008, S. 195ff.; Myers 2014, S. 292ff.; Koch/Stahl 2017, S. 323f.). Bei einer Konditionierung höherer Ordnung wird ein weiterer neutraler Stimulus, z. B. ein Lichtsignal, mit einem zuvor konditionierten Reiz (z. B. einem Glockenton) verbunden, der zumeist etwas schwächer ausfällt als die Konditionierung erster Ordnung, aber durchaus in der Lage ist, den Speichelfluss des Hundes auszulösen. 15 Konditionierung höherer Ordnung Hierbei wird der zuerst konditionierte Reiz, z. B. eine Glocke, was einer Konditionierung erster Ordnung entspricht, durch einen weiteren Reiz vorhergesagt, z. B. durch Licht, sodass dieser in der Lage ist, die konditionierte Reaktion ebenfalls auszulösen. Abbildung 2: Reflexkette des klassischen Pawlowschen Hundeexperiments Quelle: Carola Ortlepp-Appl, 2020. Die Abbildung veranschaulicht nochmals den Ablauf des Erwerbs der konditionierten Reaktion in dem zuvor beschriebenen Pawlowschen Experiment. Prinzipien der klassischen Konditionierung Nach Myers ermittelten Pawlow und seine Kollegen in ihrer weiteren Forschung insgesamt fünf wesentliche Konditionierungsprozesse, die im Folgenden im Mittelpunkt des Interesses stehen (Myers 2014, S. 294ff.). Erwerb, Löschung und Spontanerholung Kontiguität Dies ist die räumlich, zeitliche Nachbarschaft von Reizen und Reaktionen. Im Konditionierungsprozess spielt nach Koch und Stahl (2017) beim Erwerb der konditionierten Reaktion die Kontiguität eine entscheidende Rolle. Hiermit ist die räumlich-zeitliche Nähe zwischen der Präsentation eines konditionierten Reizes und des unkonditionierten Reizes gemeint. Am effektivsten ist es, wenn der konditionierte Stimulus in einem zeitlichen Intervall von 250 bis 2.500 ms vor dem US dargeboten wird, während die simultane Darbietung nicht so effektiv ist. Die Wahrscheinlichkeit für eine konditionierte Reaktion steigt zudem mit der Anzahl der CS-US-Paarungen sowie der Intensität des unkonditionierten Stimulus. Hierbei gilt der Grundsatz, je stärker der Stimulus, desto schneller erfolgt die konditionierte Reaktion (Koch/Stahl 2017, S. 320ff.). Die Wahrscheinlichkeit der konditionierten Reaktion nimmt ab, wenn der unkonditionierte Stimulus über einen längeren Zeitraum nicht mehr dem konditionierten Stimulus folgt, was als Löschung oder Extinktion bezeichnet wird (ebd., S. 328f.). Allerdings gibt es auch Hinweise dafür, dass die konditionierte Reaktion nicht wirklich verlernt wurde, sondern eine Spontanerholung der gelöschten Reaktion dazu führt, dass diese nach einem gewissen Zeitraum wieder auftritt (vgl. Pavlov 1927, S. 48ff. [pdf-Version]). Dies kann als Hinweis darauf gedeutet werden, dass sie möglicherweise nicht wirklich verlernt, sondern nur 16 abgeschwächt wurde oder im Zeitraum der Löschung eine andere Reaktion erlernt wurde, die sie überlagerte und ihren Abruf verhinderte. Wird Letztere nach einer längeren Zeit vergessen, kann es geschehen, dass die ursprüngliche CR wieder auftritt (Koch/Stahl 2017, S. 329). Ein Umgebungswechsel kann ebenfalls dazu führen, dass sie wiederhergestellt wird (vgl. Bouton 1993, S. 88f.). Laut Koch und Stahl werden bei der konditionierten Inhibition (Hemmung) zwei konditionierte Stimuli dargeboten, bei welchen der erste positiv und der zweite negativ mit dem unkonditionierten Stimulus assoziiert ist. Versuchsdurchgänge, bei denen der CS1 (z. B. Ton) den US (z. B. Stromschlag) ankündigt, wechseln sich hierbei mit solchen ab, in denen der Ton (CS1) mit Licht (CS2) gemeinsam dargeboten wird, ohne von dem Stromschlag (US) gefolgt zu werden (Koch/Stahl 2017, S. 335f.). Die Durchgänge mit den zu befürchtenden aversiven Konsequenzen führten in einem Experiment von Zimmer-Hart und Rescorla anfangs zwar zu einer konditionierten Reaktion, allerdings lernten die Tiere sehr schnell, dass die Kombination der beiden Reize zu einem Ausbleiben des Stromschlags führte, sodass die Reaktion im Laufe der Zeit völlig verschwand (Zimmer-Hart/Rescorla 1974, zit. n. Koch/Stahl 2017, S. 335). Eine Spontanremission unterscheidet sich laut Bodenmann/Perrez/Schär von der spontanen Erholung darin, dass es bei vielen psychischen Erkrankungen zu einer Besserung kommt, ohne dass eine therapeutische Intervention erfolgt wäre. Die Autoren nennen beispielhaft die Erfahrung einer Person, die von einem Hund gebissen wurde, aber durch ihren weiteren Kontakt zu Hunden die Erfahrung macht, dass diese sie nicht beißen. Hierdurch wird die ursprüngliche Lernerfahrung der Person gelöscht und sie kann wieder angstfrei mit Hunden umgehen (Bodenmann/Perrez/Schär 2011, S. 68f.). Die nachfolgende Abbildung ist angelehnt an Myers (2014, S. 296) und dient zur Veranschaulichung des Gesagten. 17 Abbildung 3: Erwerb, Löschung und Spontanerholung beim klassischen Konditionieren Quelle: Carola Ortlepp-Appl, 2020 in Anlehnung an Myers 2014, S. 296. Die Abbildung zeigt die Prozesse des Erwerbs, der Löschung und der Spontanerholung beim klassischen Konditionieren. Beim Erwerb weist der steile Anstieg der Kurve auf die schneller stärker werdende CR hin, bei der wiederholten gemeinsamen Darbietung von US und NS, wobei sich Letzterer zu einem CS entwickelt (vgl. ebd., S. 294ff.). In der anschließenden Löschungsphase schwächt sich die CR ab, sobald der CS alleine angeboten wird, um schließlich auf null zu fallen (vgl. Gerrig/Zimbardo 2008, S. 198f.). Nach einer Pause kann es zu einer Spontanerholung kommen, bei der die CR jedoch nicht so stark ausgeprägt ist wie in der Phase des Erwerbs, wodurch sie dann ebenfalls in der Löschung enden kann (Myers 2014, S. 296). Kontingenz Neben der Kontiguität spielt laut Kiesel und Koch insbesondere die Kontingenz eine zentrale Rolle in einem erfolgreichen Lernprozess. Hiermit ist die Qualität gemeint, mit der ein CS den US vorhersagen kann – je zuverlässiger dessen Vorhersage, desto größer ist die Stärke des Lernens (vgl. Kiesel/Koch 2012, S. 43). Deren Bedeutung soll am Beispiel eines Experiments von Robert Rescorla veranschaulicht werden. In diesem Experiment wurden die Hunde in drei Gruppen eingeteilt, die jeweils unterschiedliche Arten Pawlowscher Angstkonditionierung erhielten. Eine Gruppe (R) erhielt den CS (Ton) und US (elektrischer Schock) zufällig und unabhängig voneinander, während bei der zweiten Gruppe (P) der CS das Auftreten des US vorhersagte und bei der dritten Gruppe (N) sagte der CS dessen Abwesenheit voraus. Die Hunde waren während des Experiments in einer sogenannten Shuttlebox untergebracht, die mittels einer Barriere in zwei Hälften geteilt war. Die eine Hälfte enthielt ein metallenes Bodengitter, mit dem der elektrische Schock verabreicht wurde, der durch das Ãœberspringen der Barriere in die zweite Hälfte der Box von den Hunden vermieden werden konnte. Das Ergebnis dieses Experiments bestand laut Rescorla darin, dass in den beiden Gruppen (P und N), bei denen die An- bzw. Abwesenheit des US 18 durch den CS zuverlässig vorhergesagt wurde, das Vermeidungsverhalten der Hunde erhöht bzw. vermindert wurde, während bei der Gruppe (R), bei der CS und US unabhängig voneinander während der Konditionierungsphase auftraten, kein Effekt feststellbar war, trotz gleicher Anzahl an CS-US-Paarungen wie in Gruppe (P). Rescorla konnte somit belegen, dass die Stärke der Kontingenz zwischen CS und US einen maßgeblichen Einfluss auf die Angstreaktion hatte, indem diese gefördert oder unterdrückt wurde (Rescorla 1966, S. 383f.). Die nachfolgende Abbildung von Gerrig/Zimbardo (2008, S. 201) zeigt eine Gegenüberstellung der Reaktionen von Hunden der Gruppe (P) mit den Reaktionen der Gruppe (R) des oben geschilderten Experiments von Rescorla (1966). Abbildung 4: Die Rolle der Kontingenz beim klassischen Konditionieren Quelle: Carola Ortlepp-Appl, 2020 in Anlehnung an Gerrig/Zimbardo 2008, S. 201. Die Abbildung zeigt, wie sich beide Gruppen voneinander unterscheiden. So ist deutlich zu erkennen, dass Hunde der Gruppe (P), die unter der Kontingenzbedingung konditioniert wurden, im Durchschnitt häufiger über die Barriere sprangen, was an dem sprunghaften Anstieg der roten Kurve bei einem einsetzenden und konditionierten Stimulus zu erkennen ist. Ebenso zeigt die Abbildung, dass die meisten Hunde dieser Gruppe kurz vor (präCS) oder innerhalb der ersten fünf Sekunden reagierten. Danach sinkt die Kurve stetig mit einem erneuten Anstieg in der Zeit nach der letzten Tondarbietung (post-CS). Bei Hunden der Gruppe (R), bei der CS und US in der Konditionierungsphase zwar mit zeitlicher Konti- prä und post Sowohl prä als auch post sind lateinische Vorsilben und gleichbedeutend mit vorher und nachher. 19 guität, aber zufällig und somit nicht kontingent dargeboten wurden, hatte der Ton eine vergleichsweise nur geringe Wirkung, erkennbar an der blauen, flachen Kurve (vgl. Rescorla 1966, S. 383f.; Gerrig/Zimbardo 2008, S. 200f.). Reizgeneralisierung und -diskrimination Unter Reizgeneralisierung wird die Tendenz verstanden, nach der Konditionierung einer Reaktion auf Reize, die dem konditionierten Stimulus ähneln, mit einer ähnlichen Reaktion zu antworten (Myers 2014, S. 296f.). Dies hat im Alltag durchaus wünschenswerte Effekte. Wenn Kinder es nicht nur vermeiden, heiße Herdplatten zu berühren, sondern auch heiße Bügeleisen, führt diese Generalisierung zu einem angemessenen Verhalten. Phobie „Eine beständige und irrationale Angst vor bestimmten Objekten, Aktivitäten oder Situationen, die angesichts der tatsächlichen Bedrohung stark übertrieben und unbegründet ist“ (Gerrig/ Zimbardo 2008, S. 740). 20 Eine Einzelfallstudie von Watson und Rayner mit einem neun Monate alten Kind, die als Fall des kleinen Albert bekannt wurde, ist ein weiteres Beispiel für die Reizgeneralisierung. Das Ziel der beiden Forscher war es, zu untersuchen, ob es möglich ist, Angst vor einem Tier zu konditionieren und diese auf andere Tiere und Objekte zu generalisieren. Zu Beginn der Studie wurde Albert mit unterschiedlichen Tieren, z. B. Hasen und Hunden, sowie mit Gegenständen, z. B. mit Masken oder Baumwolle, konfrontiert, ohne hierbei Angst zu zeigen. Während der Konditionierung präsentierten die Forscher in mehreren Durchgängen eine Ratte als NS und schlugen in dem Moment, in dem Albert die Ratte berühren wollte, hinter seinem Kopf mit einem Hammer auf eine Stahlstange, was den US symbolisiert. Das laute Geräusch führte zu einer zunächst unkonditionierten Schreckreaktion (UR) des Kindes. Das aus heutiger Sicht ethisch bedenkliche Experiment sorgte dafür, dass der kleine Albert zuletzt Angst vor allem hatte, das pelzig war. Dies betraf die präsentierten Tiere (Hase, Ratte und Hund) ebenso wie den Pelzmantel und die Nikolausmaske, auf die er zuletzt mit Abwenden, Schreien und Wimmern reagierte. Watson und Rayner kamen zu dem Schluss, dass emotionale Probleme – wie beispielsweise Phobien – auf solche frühkindlichen Lernerfahrungen zurückzuführen sein können (Watson/Rayner 1920, S. 1ff.). Die nachfolgende Abbildung zeigt den Ablauf des Konditionierungsprozesses des zuvor beschriebenen Experiments. Abbildung 5: Reizgeneralisierung am Fallbeispiel des kleinen Albert Quelle: Carola Ortlepp-Appl, 2020. Ein gegenläufiger Prozess hierzu ist die Reizdiskrimination, die wie folgt definiert ist: „Reizdiskrimination ist die erlernte Fähigkeit, zwischen einem konditionierten Reiz (der auf den bevorstehenden US hinweist) und anderen, irrelevanten Reizen zu unterscheiden“ (Myers 2014, S. 298). Würden wir permanent auf alle möglichen Reize reagieren, unabhängig von ihrer Relevanz, wäre das für uns sehr zeit- und energieaufwändig und würde auf Kosten unserer Handlungsfähigkeit gehen. Gerrig und Zimbardo (2008) betonen daher die zentrale Bedeutung, die das Gleichgewicht von Reizgeneralisierung und -diskrimination für die Funktions- und Anpassungsfähigkeit eines Organismus hat. Durch diverse Lernerfahrungen ist dieser immer besser in der Lage, zwischen Reizen sowohl zu differenzieren als auch auf ähnliche Reize zu generalisieren, wodurch seine Fähigkeit, bestimmte Ereignisse zutreffend vorherzusagen, um darauf angemessen reagieren zu können, optimiert wird (Gerrig/Zimbardo 2008, S. 200). Äquipotenzialität vs. Preparedness Die Annahme von Äquipotenzialität geht davon aus, dass alle Reize gleichermaßen konditionierbar sind (vgl. Ehlers 2003, S. 75). Gemeinsam mit der Annahme, dass durch die Kontiguität von neutralem und unkonditioniertem Reiz der neutrale Reiz die Fähigkeit eines konditionierten Reizes (CS) erwirbt, eine konditionierte Reaktion (CR) auszulösen, bildet sie das ursprüngliche Erklärungsmodell, durch das die Effekte der klassischen Konditionierung erklärt wurden (ebd.; vgl. Pauli/Rau/Birbaumer 2003, S. 97f.). 21 Spezies Eine Spezies ist eine bestimmte Art oder Sorte einer Gattung. Prepotency Bestimmte Reize sind für bestimmte Spezies phylogenetisch bedeutsamer als andere Reize, verfügen damit über eine höhere Prepotency und sind für die klassische Konditionierung besser geeignet. Phobisches Vermeidungsverhalten Dieser Begriff beschreibt die Vermeidung bestimmter Objekte, Aktivitäten oder Situationen, aufgrund einer beständigen und irrationalen Angst, die im Hinblick auf die tatsächliche „Bedrohung stark übertrieben und unbegründet ist“ (Gerrig/ Zimbardo 2008, S. 740). 22 Anders als ursprünglich angenommen, zeigt die aktuelle Forschung zum klassischen Konditionieren laut Koch und Stahl jedoch auf, dass bestimmte Stimuli leichter mit einem unkonditionierten Reiz assoziiert werden können als andere. Dies kann als Beleg dafür gewertet werden, dass wir nicht ausschließlich aufgrund unserer Erfahrung lernen, sondern dass die unterschiedliche Assoziierbarkeit von Stimuli auf der Grundlage von biologischen Prädispositionen erfolgt (Koch/Stahl 2017, S. 346). Hierbei werden solche Assoziationen priorisiert, die eine höhere biologische Relevanz besitzen, da sie eine bessere Anpassung der jeweiligen Spezies ermöglichen (vgl. Domjan 2005, S. 179). Ein Beispiel hierfür ist die Konditionierung in nur einem einzigen Lerndurchgang, bei dem Ratten in einem Experiment von Garcia und Koelling ein aromatisiertes Futter verabreicht wurde, das sie besonders gerne fraßen. Im Anschluss wurden sie Röntgenstrahlen ausgesetzt, was bei ihnen Ãœbelkeit und Magenbeschwerden verursachte und dazu führte, dass sie von da an das Futter mieden. Die beiden Forscher vermuteten, dass die natürliche Selektion solche Mechanismen bevorzugt, die gustatorische und olfaktorische Schlüsselreize mit innerem Unwohlsein assoziieren oder aus Sicht der Ratte: „It must have been something I ate“ (Garcia/Koelling 1966, S. 124). Sokolowski (2013) weist zudem darauf hin, dass solche Lernerfahrungen sehr löschungsresistent sind und Geschmacksaversionen auch bei einem Zeitabstand von mehreren Stunden, die zwischen Reiz und Reaktion liegen, erworben werden können. Aus evolutionsbiologischer Sicht sind eine ähnliche Sensibilität und Reaktionsbereitschaft auch für bestimmte angstauslösende Reize überlebensnotwendig, wie z. B. die Angst vor Spinnen, Schlangen oder Ratten, aber auch vor Abgründen oder hohen und engen Räumen (vgl. Sokolowski 2013, S. 134f.). Solche Reize verfügen über eine hohe Prepotency, da sie relativ einfach zu konditionieren sind und im Vergleich zu alltäglichen Gegenständen, als Reize mit einer sehr geringen Prepotency, wie z. B. ein Staubsauger, deutlich weniger Lerndurchgänge oder sogar nur einen Lerndurchgang benötigen (Bodenmann/Perrez/Schär 2011, S. 57). Unsere größere Bereitschaft, spezifische Reize (CS) mit phylogenetisch bedeutsamen Stimuli (UCS) bevorzugt zu verknüpfen, wird als Preparedness bezeichnet (ebd., S. 55) — ein Begriff, der von Seligman (1970) geprägt wurde. Dieser ging in seiner PreparednessTheorie davon aus, dass phobisches Vermeidungsverhalten einen hohen Grad an Preparedness aufweist, da es über ein limitiertes Set möglicher Objekte verfügt, zumeist in lediglich einem Durchgang erworben wird, nicht auf kognitiven Lernprozessen basiert und hoch resistent gegenüber Löschung ist. Ängste, die im Kontrast hierzu unter Laborbedingungen konditioniert werden, können demgegenüber durch eine nahezu unlimitierte Anzahl neutraler Stimuli und – abhängig von ihrer jeweiligen Prepotency – in mehreren Lerndurchgängen erworben und vergleichsweise schnell wieder gelöscht werden (vgl. Seligman 1971, S. 307). Der Unterschied zwischen Preparedness und Prepotency besteht darin, dass z. B. Schlangen zwar eine sehr hohe Prepotency aufweisen und bei sehr vielen Menschen Angst auslösen, sich Menschen allerdings in Bezug auf ihre Preparedness unterscheiden können. In Gegenden, in welchen Schlangen natürlicherweise vorkommen, zeigen Menschen, die auf dem Land wohnen und mehr Kontakt zu Schlangen haben, deutlich weniger Ängstlichkeit gegenüber ungefährlichen Schlangen als Stadtbewohner (Bodenmann/Perrez/Schär 2011, S. 56). Das Rescorla-Wagner-Modell Das Rescorla-Wagner-Modell wurde von den beiden Psychologen Robert A. Rescorla und Allan R. Wagner entwickelt und erstmals 1972 vorgestellt. Als mathematisches Modell, das mit lediglich einer Formel auskommt, ist es dennoch in der Lage, zahlreiche Phänomene zu erklären, die beim Konditionieren zu beobachten sind. Das Modell basiert auf der grundlegenden Annahme, dass klassisches Konditionieren nur bei einem unerwarteten Reiz möglich ist und hierbei die Stärke der Konditionierung davon abhängt, wie ausgeprägt die Ãœberraschung war, als der Reiz eintrat (vgl. Kiesel/Koch 2012, S. 43ff.). Ferner wird angenommen, dass beim klassischen Konditionieren Assoziationen zwischen den mentalen Repräsentationen von CS und US gebildet werden (vgl. Koch/Stahl 2017, S. 340f.). Wie weiter oben berichtet, geht die Annahme mentaler Repräsentationen über eine behavioristische Perspektive von Lernprozessen weit hinaus, da diese sich ausschließlich auf messbare Reize, Reaktionen und deren Verbindungen konzentrierte und innere Vorgänge unbeachtet ließ (vgl. Sokolowski 2013, S. 126ff.). Rescorla und Wagner (1972) gehen demgegenüber entsprechend der zu ihrer Zeit gegebenen wissenschaftlichen Erkenntnisse davon aus, dass die Stärke der CS-US-Assoziation bestimmt, inwieweit es dem CS möglich ist, die Repräsentation des unkonditionierten Reizes zu aktivieren und damit eine konditionierte Reaktion auszulösen (vgl. Koch/Stahl 2017, S. 340). Gemäß dem RescorlaWagner-Modell lässt sich die Veränderung der assoziativen Stärke pro Lerndurchgang mit folgender Formel berechnen: ∆V = α λ−V Mentale Repräsentation Hierunter wird eine geistige Abbildung verstanden, die wichtige Eigenschaften von Objekten und Erfahrungen enthält. Assoziative Stärke Hiermit ist das neuronale Ausmaß der Verbindung zwischen zwei Ereignissen gemeint. Laut Horstmann und Dreisbach (2017) … steht ∆ V für die Veränderung der Assoziationsstärke nach einem Lerndurchgang; α für die Lernrate des CS. Diese wird zwischen 0 und 1 angenommen; λ für die maximale Assoziationsstärke zwischen einem CS und einem US. In der Regel wird hierfür 1.0 angenommen und V für die aktuelle Assoziationsstärke zwischen einem CS und einem US. Wenn noch keine Assoziation besteht, liegt sie bei 0. Die Assoziationsstärke wächst durch jeden Lerndurchgang. Am Anfang ist der Zuwachs an assoziativer Stärke besonders groß, da der US besonders überraschend ist bzw. V noch bei 0 liegt oder niedrig ist. Im Laufe der Lerndurchgänge nimmt die Ãœberraschung und damit auch der Lernzuwachs ab. Eine weitere Besonderheit des Modells besteht darin, dass der US durch die Kombination von mehreren CS und der Summe ihrer gemeinsamen Assoziationsstärken vorhergesagt werden kann. Die CS konkurrieren hierbei allerdings miteinander, wodurch sich beispielsweise das Phänomen der Blockierung erklären lässt. Bei der Blockierung wird ein neuer Stimulus nicht mehr erlernt, wenn er gleichzeitig mit einem früheren Stimulus (CS1) dargeboten wird, der den US bereits effektiv vorhersagt. Hierdurch bleibt für den zweiten Reiz nur wenig assoziative Stärke übrig und das Lernen der redundanten neuen Assoziation zwischen CS2 und US wird blockiert (vgl. Horstmann/ Dreisbach 2017, S. 37). Nach der Erörterung der theoretischen Hintergründe des klassischen Konditionierens steht in den folgenden beiden Abschnitten die Bedeutung assoziativer Lernvorgänge für die Praxis im Vordergrund. 23 Konditionierte physiologische Reaktionen bei Drogenkonsum Aus lerntheoretischer Sicht spielen in der Suchtentwicklung auf Basis des klassischen Konditionierens Lernprozesse eine Rolle, bei denen neutrale Reize (NS), wie z. B. die persönliche Umgebung des Drogenkonsumenten als äußerer Reiz, sowie innere Reize, wie beispielsweise Gefühle oder Erinnerungen an Konflikte, mit der Einnahme und Wirkung von Drogen (UCR) assoziiert werden und dann als konditionierte Reize (CS) das Drogenverlangen als CR auslösen (vgl. Berking/Rief 2002, S. 178f.). Etwas mysteriös erscheint der folgende Fall eines Drogentoten, der auf der Grundlage eines medizinischen Reports sowie den ergänzenden Informationen seiner ebenfalls drogenabhängigen Freunde von Gerevich et al. wie folgt rekonstruiert wurde: BEISPIEL Entgegen seiner ursprünglichen Absicht und dem Versprechen an seine Frau, an diesem Tag auf Drogen zu verzichten, ging der junge Mann, der K. J. genannt wurde, auf dem Weg zur Arbeit zu einem Dealer und kaufte eine Dosis Heroin. Seine Freunde, die er im Anschluss traf, hatten am gleichen Tag bei demselben Dealer Heroin gekauft. Diese berichteten später, dass sich das Heroin in seiner Qualität nicht von dem Gewohnten unterschied. Statt wie sonst üblich nach Hause zu gehen, um das Heroin zu konsumieren, ging er auf eine öffentliche Toilette, wo er sich die gleiche Menge injizierte, wie auch am vorangegangenen Tag am vertrauten Ort zu Hause bei seiner Frau. Der laut seinem Arzt ansonsten gesunde junge Mann verstarb. Die anschließende Autopsie ergab, dass die Konzentration von Heroin im Blut des Verstorbenen seiner üblichen Dosis entsprach. Weitere Substanzen, wie z. B. Alkohol oder andere Drogen, konnten ebenfalls nicht gefunden werden. Als Todesursache wurde dennoch eine Ãœberdosis Heroin angegeben (eigene Ãœbersetzung von Gerevich et al. 2005, S. 2). Betrachtet man die berichteten Fakten, erscheint eine Ãœberdosis Heroin als Todesursache zweifelhaft zu sein, sodass sich die Frage stellt, was stattdessen zum Tod des jungen Mannes geführt haben könnte. Der kanadische Psychologe Shepard Siegel verweist in diesem Zusammenhang auf ein Modell, das auf Pawlows Annahme beruht, dass Drogenkonsum zu einem Konditionierungsprozess führt (Siegel 1984, S. 428ff.; Pavlov 1927, S. 36f. [pdf-Version]). Bei diesem Lernprozess besteht der konditionierte Reiz aus Schlüsselreizen der Umwelt, die zum Zeitpunkt des Konsums präsent sind, und aus einem unkonditionierten Stimulus, der auf den physiologischen Effekten der Droge basiert. Laut Siegel führt der wiederholte Drogenkonsum in einer gewohnten Umgebung dazu, dass sich eine Assoziation zwischen den dort gegebenen Schlüsselreizen und den physiologischen Effekten der Droge entwickelt und diese analog zu der Glocke in Pawlows Experiment die drogenbasierte Stimulation zuverlässig vorhersagen (Siegel 1984, S. 428ff.). Da der Körper stets bestrebt ist, ein inneres Gleichgewicht (Homöostase) zu erhalten, reagiert dieser mit Gegenmaßnahmen, indem er 24 in der vertrauten Umgebung die Wirkung der Droge kompensiert (Gerrig/Zimbardo 2008, S. 204). Diese Anpassung der Botenstoffe im Gehirn wird auch als „Neuroadaptation“ (Myers 2014, S. 119) bezeichnet. In dem Maß, in dem sich auf diese Weise eine zunehmende Toleranz gegenüber der Droge entwickelt, muss der Drogenkonsum stetig erhöht werden, um auch weiterhin in der vertrauten Umwelt den gewünschten Effekt zu erzielen (Siegel 1984, S. 429; Gerrig/Zimbardo 2008, S. 204). Auf Basis dieses Modells lässt sich nach Siegel erklären, dass in einer fremden Umgebung, die nicht mit der Droge assoziiert ist, die Toleranz vermindert ist. Aufgrund der fehlenden Vorhersage der drogenbasierten Stimulation durch die Schlüsselreize ist es möglich, dass die in der vertrauten Umgebung gewohnheitsmäßig konsumierte Menge der Droge zu einer Ãœberdosierung in der ungewohnten Umgebung führt (vgl. Siegel 2005, S. 296ff.). Die Annahme, dass Toleranz situationsspezifisch ist, konnte sowohl durch Tierversuche als auch durch Interviews mit Drogensüchtigen, die beinahe an einer Ãœberdosis gestorben wären, bestätigt werden (vgl. Siegel 2005; 2016). Die Konditionierung von Immunreaktionen Toleranz In der Pharmakologie bezeichnet Toleranz die Gewöhnung an einen Wirkstoff, sodass die Wirkung im Organismus nachlässt. Wie bereits beschrieben, reagieren Organismen sehr empfindlich, wenn sie die Erfahrung machen, ihr Essen sei ungenießbar (vgl. Garcia/Koelling 1966, S. 334f.). So ist die Konditionierung einer Geschmacksaversion auch noch nach Stunden, die zwischen Reiz und Reaktion liegen, möglich (Sokolowski 2013, S. 134). Die Annahme, dass es ebenfalls möglich sein könnte, eine Immunsuppression zu konditionieren, entstand in einer Versuchsreihe von Ader und Cohen, in der Ratten in nur einem Durchgang eine Geschmacksaversion gegenüber einer Trinklösung entwickelten, die zu vorübergehendem Unwohlsein führte. Hierbei wurde bei den Ratten eine Geschmacksaversion gegen eine süß schmeckende Saccharin-Lösung durch deren Kombination mit einer einmaligen Injektion von Cyclophosphamid (CY), einer Substanz mit immunsuppressiver Wirkung, konditioniert (vgl. Ader/Cohen 1975, S. 334f.). Abhängig von der konsumierten Menge der Saccharin-Lösung am Tag der Konditionierung, war diese Aversion mehr oder weniger ausgeprägt und entsprechend resistent gegen Löschung. Zudem schien es einen direkten Zusammenhang zwischen der konsumierten Lösungsmenge und der Sterblichkeitsrate der Ratten zu geben, woraufhin Ader und Cohen annahmen, dass die Paarung von Saccharin mit dem immunsuppressiv wirkendem Cyclophosphamid (CY) zu einer konditionierten Unterdrückung der Immunreaktion geführt hatte. Hierdurch wurden die Ratten krankheitsanfälliger und einige verstarben sogar. In einem Experiment belegten Ader und Cohen diese Annahme, indem sie Ratten drei Tage nach ihrer Konditionierung mit CY ein Fremdeiweiß (Antigen) injizierten, wodurch im Allgemeinen der Körper im Rahmen der Immunreaktion zur Bildung von Antikörpern angeregt wird, deren Anstieg im Blut nachgewiesen werden kann. Erfolgt kein Anstieg des Antikörperspiegels im Blut, weist dies auf eine Immunsuppression hin. Abhängig von der im Anschluss an die Konditionierung folgenden Versuchsbedingung, erbrachte die abschließende Blutuntersuchung laut Ader und Cohen folgende Ergebnisse: Bei Ratten, die nach der Injektion des Antigens statt einer Saccharin-Lösung Wasser erhalten hatten, sowie bei Ratten, die im Vorfeld der Injektion nicht konditioniert waren, wurde ein hoher Antikörperspiegel nachgewiesen. Am höchsten war der Antikörperspiegel bei der Placebogruppe, der während der Konditionierungsphase im Vorfeld der Injektion des Antigens statt CY eine neutrale Kochsalzlösung injiziert wurde. In dem Blut von Ratten, die zum Zeitpunkt der Injektion des Antigens oder kurz danach eine Immunsuppression Hierunter wird die Unterdrückung der körpereigenen Abwehr verstanden. Antikörper Dies sind große Eiweißkörper, die als Teil der körpereigenen Immunabwehr spezifische Antigene erkennen. 25 Placebo Ein Placebo ist kein Arzneimittel im eigentlichen Sinne, weil es keinen Wirkstoff enthält, aber es sieht wie ein Medikament aus. Saccharin-Lösung erhalten hatten, waren hingegen keine Antikörper nachweisbar. Die Konditionierung mit CY hatte bei ihnen zu einer kompletten Immunsuppression geführt (vgl. ebd., S. 333ff.). Diese Studie regte weitere Forschung an und führte zur Entwicklung der Psychoneuroimmunologie, ein Begriff, der von Robert Ader 1980 geprägt wurde (vgl. Gerrig/Zimbardo 2008, S. 494; Tewes 2019). Dieses interdisziplinäre und mittlerweile etablierte Forschungsgebiet beschäftigt sich mit der Fragestellung, inwieweit die Regulation unseres Immunsystems autonom ist oder ob es, über unser Nerven- und Hormonsystem vermittelt, durch unser Erleben und Verhalten beeinflusst wird. Ein Team des Universitätsklinikums in Essen konnte beispielsweise belegen, dass eine Immunsuppression auch bei Menschen konditionierbar ist. Aktuelle Forschungsvorhaben untersuchen z. B., welche Rolle der konditionierte Placeboeffekt und kognitive Faktoren bei Reaktionen des Immunsystems von gesunden Personen sowie Patienten mit einer Nierentransplantation spielen (vgl. Universitätsklinikum Essen 2019). Abschließend zu diesem Lernzyklus soll eine Studie von Vits et al. (2013) vorgestellt werden, die untersuchte, inwieweit neuropsychologische Mechanismen Placeboeffekte erklären können, die im Zusammenhang mit Allergien beobachtet wurden. In dieser Studie wurden Patienten mit einem chronischen Schnupfen aufgrund ihrer Allergie gegen Hausstaubmilben in folgende drei Gruppen aufgeteilt: Experimentalgruppe In einem Experiment wird bei dieser Gruppe die Behandlung tatsächlich durchgeführt, im Gegensatz zur Kontrollgruppe, die nicht behandelt wird. Antihistaminikum Dies ist ein Medikament, das allergische Reaktionen vermindert. Prick-Test Ein Hauttest, der bei allergischen Reaktionen zu Rötungen und zur Bildung von Quaddeln am Unterarm führt. 26 Die Experimentalgruppe bekam während der Konditionierungsphase ein neuartig schmeckendes Getränk sowie ein Antihistaminikum über einen Zeitraum von fünf Tagen. Die Placebogruppe erhielt das Getränk und ein Placebopräparat. Die Kontrollgruppe bekam keinerlei Stimuli. Sowohl Experimental- als auch Placebogruppe erhielten die Information, dass sie in dieser Studie eine 50-prozentige Chance haben, entweder das Medikament oder ein Placebo zu bekommen. Der Kontrollgruppe wurde gesagt, dass es das Ziel der Studie sei, die Stabilität der allergischen Reaktion im Zeitverlauf zu beobachten. Bei allen drei Gruppen sollte der sogenannte Prick-Test (vgl. Helmholtz-Zentrum München 2019) Aufschluss über das Ausmaß der allergischen Reaktion geben. Nach neun Tagen ohne Behandlung wurde sowohl den Patienten der Experimental- als auch der Placebogruppe das aromatisierte Getränk und ein Placebo verabreicht, während die Kontrollgruppe keine Stimuli bekam. Das Ergebnis der Studie zeigte, dass infolge der Konditionierung sowohl in der Experimental- als auch in der Placebogruppe die Größe der Quaddeln signifikant vermindert war sowie ein deutlicher Rückgang der Symptome bei beiden Gruppen verzeichnet werden konnte, im Vergleich zur Kontrollgruppe. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass sowohl die Konditionierung als auch die kognitive Erwartung der Patienten zu diesem Ergebnis geführt hatten. Die Studie kann somit als Basis für die zukünftige systematische Erforschung von Placeboeffekten in Kombination mit einer medikamentösen Therapie dienen und damit zu einem gesteigerten Wohlbefinden von Patienten beitragen (vgl. Vits et al. 2013). Im nachfolgenden Lernzyklus wird eine weitere Form assoziativen Lernens vorgestellt. 1.3 Instrumentelles Lernen und operantes Konditionieren Wir wollen unsere Jacke ausziehen, aber der Reißverschluss hat sich verhakt. Zuerst ziehen wir ihn nach oben, dann nach unten und sehen schließlich nach, ob vielleicht der Stoff der Jacke eingeklemmt ist. Das Herausziehen des Futters führt zum Erfolg und der Reißverschluss lässt sich wieder bewegen. Das merken wir uns für das nächste Mal, wenn der Reißverschluss mal wieder klemmt. Auf diese Weise wird unser zukünftiges Verhalten von dem Erfolg oder Misserfolg unseres aktuellen Tuns bestimmt und geformt. Thorndike Edward Lee Thorndike (1874–1949) war ein wichtiger Vertreter des amerikanischen Behaviorismus (Sokolowski 2013, S. 135). Sein Interesse galt weniger den einfachen Reiz-Reaktions-Zusammenhängen des klassischen Konditionierens, er war stattdessen an komplexeren Verhaltensweisen interessiert (vgl. ebd., S. 99f.). Das aus seiner Forschung hervorgegangene theoretische Modell steht in diesem Abschnitt ebenso im Fokus des Interesses wie auch hierauf basierende, weitere Forschungsarbeiten. Lernen durch Versuch und Irrtum Bereits 1911 führte Thorndike experimentelle Studien mit Katzen durch (vgl. Kiesel/Koch 2012, S. 13). Hierzu hatte er einen sogenannten Problemkäfig (Puzzle-Box) entwickelt, in dem die Katzen eingesperrt waren (Myers 2014, S. 300). Anfangs öffnete sich die Tür bei den impulsiven Versuchen der Katzen, dem Käfig zu entkommen, rein zufällig. Je öfter in den Versuchsdurchgängen ein bestimmtes Verhalten zum Öffnen der Käfigtür führte, desto häufiger wurde dieses Verhalten gezeigt (Gerrig/Zimbardo 2008, S. 206). Die folgende Abbildung von Jacob Sussman (2010) zeigt, wie die Reaktionszeit, welche die Katze braucht, um die Tür der Puzzle-Box durch das Drücken eines Hebels zu öffnen, mit der Anzahl der Lerndurchgänge abnimmt. 27 Abbildung 6: Thorndike’s Puzzle-Box Quelle: Carola Ortlepp-Appl, 2020 in Anlehnung an Sussman 2010. Die Katzen hatten also schrittweise auf der Basis von Versuch und Irrtum gelernt, welche Reaktion (Hebel drücken) dazu führte, der unerwünschten Umgebung (Stimulus) zu entkommen, um zu dem gewünschten Ergebnis (Freiheit) zu gelangen. Das Gesetz des Effekts Thorndike bezeichnete den beschriebenen Zusammenhang von Verhalten und Konsequenzen als Gesetz des Effekts (Law of Effect), welcher darin besteht, dass Verhalten, das zu gewünschten Konsequenzen führt, öfter gezeigt und im Zeitverlauf zu dominierendem Verhalten wird. Den Lernprozess bezeichnete Thorndike als „stamping in“ (Skinner 1953, S. 61), was etwa so viel wie einstanzen bedeutet. Unerwünschte Konsequenzen führen hingegen dazu, dass die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines bestimmten Verhaltens abnimmt (Gerrig/Zimbardo 2008, S. 209). Methoden zum operanten Konditionieren B. F. Skinner griff Thorndikes Ansatz in einem eigenen Forschungsprogramm auf. Das Ziel bestand darin, die zugrundeliegenden Prinzipien der Verhaltenssteuerung zu erforschen, wobei Skinner jedoch bezweifelte, dass Lernkurven hierzu in der Lage sein würden (vgl. Skinner 1953, S. 59f.). Er differenzierte zwischen dem durch klassische Konditionierung erworbenen respondenten Verhalten als Reaktion auf einen Reiz und dem operanten Verhalten, infolge einer operanten Konditionierung (Koch/Stahl 2017, S. 324f.). Skinner (1953) definierte operantes Verhalten wie folgt: „The term emphasizes the fact that the 28 behavior operates upon the environment to generate consequences“ (S. 65). Als operant gilt ein Verhalten also dann, wenn die Handlung einen operativen Eingriff in die Umwelt darstellt, um damit die gewünschten Konsequenzen herbeizuführen (vgl. ebd.). Auf diese Weise werden bei der operanten bzw. instrumentellen Konditionierung Assoziationen zwischen dem persönlichen Verhalten und den nachfolgenden Konsequenzen gebildet (Myers 2014, S. 301). Wird beispielsweise das rücksichtsvolle Verhalten eines Kindes von seinen Eltern mit der erhofften Bestätigung und Zuwendung beantwortet und auf diese Weise verstärkt, wird es dieses Verhalten künftig vermutlich öfter zeigen. „Operantes Konditionieren verändert somit die Wahrscheinlichkeit unterschiedlicher Arten operanten Verhaltens als Funktion der Umweltkonsequenzen, die das jeweilige Verhalten produziert“ (Gerrig/Zimbardo 2008, S. 208). Respondentes Verhalten Skinner verstand darunter die Reaktion als Antwortverhalten auf einen klassisch konditionierten Reiz (lat. respondere = antworten). Operantes Verhalten Dieser Begriff bezeichnet ein Verhalten, das auf Assoziationen zwischen persönlichem Verhalten und den hieraus resultierenden Konsequenzen basiert. Abbildung 7: Skinner-Box Quelle: Carola Ortlepp-Appl, 2020 in Anlehnung an Wikimedia Commons 2015a. Die obige Grafik zeigt die sogenannte Skinner-Box, die Skinner speziell für sein Forschungsvorhaben entwickelte (Skinner 1953, S. 57). Diese wurde in zahlreichen, unterschiedlichen Versuchsanordnungen genutzt, z. B. wurden Ratten, die sich in der Box befanden, bei Drücken eines Hebels mit Futter oder Wasser belohnt. Die Häufigkeit, mit der dies geschah, wurde durch ein Messinstrument aufgezeichnet, welches sich außerhalb des Käfigs befand (Myers 2014, S. 300f.). Wie beim klassischen Konditionieren ist auch bei der operanten Konditionierung die Kontingenz der Verstärkung von großer Bedeutung, da zwischen der Reaktion (z. B. Betätigen des Hebels durch die Ratte) und den hieraus resultierenden Konsequenzen (z. B. Futtergabe) eine zuverlässige Beziehung bestehen muss, nicht aber bei einer anderen Reaktion des Tiers. Im assoziativen Lernprozess dienen spezi- 29 Diskriminative Hinweisreize Das sind Stimuli, die zuverlässig vorhersagen, wann ein bestimmtes Verhalten positiv verstärkt wird. Dreifachkontingen Diese ist die Lernerfahrung, dass das Verhalten bei einem spezifischen, aber nicht bei einem anderen Reiz mit hoher Wahrscheinlichkeit einen bestimmten Effekt auf die Umwelt hat. fische Reize in einer bestimmten Situation als diskriminative Hinweisreize, wie beispielsweise eine grüne Ampel das Verhalten verstärkt, gehen zu dürfen, während eine rote Fußgängerampel darauf hinweist, stehen zu bleiben, um nicht überfahren zu werden. Skinner bezeichnete die Beziehung zwischen einem diskriminativen Hinweisreiz, dem Verhalten und der Konsequenz als Dreifachkontingenz und war davon überzeugt, dass hierdurch menschliches Verhalten größtenteils erklärt werden kann (Gerrig/Zimbardo 2008, S. 208ff.). Verschiedene Arten von Verstärkung In diesem Abschnitt stehen die Merkmale und Wirkungen von Verstärkern, positive und negative Arten der Verstärkung sowie unterschiedliche Verstärkerpläne im Zentrum des Interesses. Merkmale und Wirkung von Verstärkern Primäre Verstärker Sie befriedigen unsere Grundbedürfnisse und müssen nicht erlernt werden. Sekundäre Verstärker Sie wirken durch ihre Verbindung mit primären Verstärkern und sind erlernt. Zunächst lassen sich laut Myers (2014) primäre und sekundäre oder auch konditionierte Verstärker unterscheiden. Primäre Verstärker sind solche, die ungelernt sind und unsere biologischen Bedürfnisse befriedigen, wie z. B. etwas zu trinken zu bekommen, wenn man Durst hat. Sekundäre Verstärker sind konditioniert und wirken durch ihre Kopplung mit einem primären Verstärker, wie z. B. Geld, Lob oder Anerkennung, wenn wir diese mit Belohnung assoziieren. Grundsätzlich sind Menschen (anders als Ratten) auch dazu in der Lage, unmittelbare Belohnungen zugunsten zeitverzögerter Belohnungen aufzuschieben, wie z. B. den Kinobesuch für die Zeit nach der Prüfung aufzuheben, dies wird als Belohnungs- bzw. Gratifikationsaufschub (engl. Delay of Gratificaton) bezeichnet, ein Begriff der von Walter Mischel et al. (1989) geprägt wurde (Myers 2014, S. 303f.). Aufgrund dessen wird eine vorausgehende Reaktion häufiger gezeigt. Was somit als Verstärker dienen kann, ist abhängig von dem jeweiligen Organismus und den Umweltbedingungen (vgl. Myers 2014, S. 304). Als Verstärker kann jeder Reiz fungieren, der die Wahrscheinlichkeit des Verhaltens durch seine kontingente Darbietung erhöht. Zum Beispiel kann die Aussicht auf ein Bad im See an einem heißen Sommertag eine willkommene Abkühlung versprechen, während die gleiche Aktion im Winter durchaus verzichtbar ist. Für jemanden, der Schwimmen grundsätzlich nicht mag, würde die gleiche Situation, unabhängig von der Jahreszeit, möglicherweise kein positiver Verstärker sein. Wie das Beispiel zeigt, können Reize daher abhängig vom jeweiligen Individuum und der Situation als positiv, negativ oder neutral bewertet werden (Gerrig/Zimbardo 2008, S. 208f.). Positive und negative Verstärker Die bisherigen Beispiele zum operanten Konditionieren zeichneten sich dadurch aus, dass bei ihnen überwiegend positive Verstärker eingesetzt wurden. Bei der positiven Verstärkung wird das Verhalten durch einen angenehmen Reiz bekräftigt (vgl. Myers 2014, S. 302). Demgegenüber ist die negative Verstärkung dadurch gekennzeichnet, dass ein unangenehmer Reiz vermindert oder entfernt wird. Hierzu ein Beispiel aus der Forschung: In Skinners Versuchsreihe konnte das Bodengitter unter Strom gesetzt werden, was von der Ratte durch Drücken des Hebels aktiv beendet werden konnte (vgl. Koch/Stahl 2017, S. 325). Ein Alltagsbeispiel hierzu wäre das Schließen des Fensters bei lauten Bauarbeiten vor dem 30 Haus. Da dies vermutlich zu einer deutlichen Reduktion des Baulärms führen wird, ist es sehr wahrscheinlich, dass dieses Verhalten zukünftig in ähnlichen Situationen erneut angewandt wird. Negative Verstärkung vs. Bestrafung Von der negativen Verstärkung deutlich unterschieden werden, muss die Bestrafung, deren Ziel es ist, Verhalten zu vermindern oder zu unterbinden, statt es zu verstärken (vgl. Myers 2014, S. 306f.; Koch/Stahl 2017, S. 325). Laut Gerrig und Zimbardo (2008) ist ein Bestrafungsreiz „jeder Stimulus, der – wird er kontingent zu einer Reaktion dargeboten – die Wahrscheinlichkeit dieser Reaktion im Laufe der Zeit senkt“ (S. 209). Bei der Bestrafung kann wie bei der Verstärkung zwischen positiver und negativer Bestrafung unterschieden werden. Bei der positiven Bestrafung wird ein unangenehmer Reiz als Folge eines Verhaltens verabreicht. Ein Alltagsbeispiel ist der Schmerz, der beim Anfassen eines heißen Bügeleisens dazu führt, dieses kein weiteres Mal zu berühren. Möglicherweise ist der Ausdruck „positiv“ in diesem Zusammenhang verwirrend, da er vermutlich nicht der Sicht des Bestraften entspricht. Hiermit ist jedoch gemeint, dass in der Situation etwas von außen hinzukommt, das vorher nicht gegeben war. Bei der negativen Bestrafung wird ein angenehmer Reiz im Anschluss an ein Verhalten weggenommen (Gerrig/ Zimbardo 2008, S. 209f.). Ein Alltagsbeispiel hierfür ist ein Fernsehverbot nach der schlechten Note in der Matheklausur. Positive Bestrafung Auf ein Verhalten hin wird ein unangenehmer Reiz zugefügt. Negative Bestrafung Auf ein Verhalten hin wird ein angenehmer Reiz weggenommen. Die nachfolgende Tabelle soll das Gesagte verdeutlichen. Sie ist angelehnt an eine Abbildung von Myers (2014, S. 307). Tabelle 2: Positive und negative Verstärkung und Bestrafung in der Ãœbersicht Merkmale des Reizes Reiz hinzufügen Reiz entfernen angenehm/erwünscht positive Verstärkung negative Bestrafung unangenehm/unerwünscht positive Bestrafung negative Verstärkung Quelle: Carola Ortlepp-Appl, 2020 in Anlehnung an Myers 2014, S. 307. Die Tabelle stellt die Unterschiede zwischen positiver und negativer Verstärkung und Bestrafung in der Ãœbersicht dar. Um diese voneinander unterscheiden zu können, ist es wichtig, sich zu merken, dass positive und negative Verstärkung die Wahrscheinlichkeit einer Reaktion erhöhen, während Bestrafung das Gegenteil bewirkt, da sie die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Verhaltens senkt (vgl. Gerrig/Zimbardo 2008, S. 210). Folgen von Bestrafung in der Kindererziehung Seit dem Jahre 2000 haben in Deutschland nach § 1631, Abs. 2 BGB „Kinder ein gesetzlich verbrieftes Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig“ (Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz 2019). 31 Repräsentativ In repräsentativen Studien wird mittels Zufallsauswahl eine Stichprobe von Personen untersucht, die in Bezug auf wesentliche Merkmale möglichst genau mit der Population übereinstimmt. Ungeachtet dessen ergab eine repräsentative Befragung von 1.003 Erwachsenen, in deren Haushalt mindestens ein Kind lebte, dass 40 % von ihnen ihre Kinder in den letzten zwölf Monaten mit einem Klaps auf den Po bestraft hatten, 10 % der Kinder erhielten eine Ohrfeige und 4 % bekamen als Strafe Schläge auf den Po (vgl. Forsa 2011). Aus psychologischer Sicht spricht einiges gegen diese Form der Bestrafung, die von einer doch recht großen Anzahl von Eltern immer noch befürwortet wird. Laut Myers (2014, S. 306) konnte durch zahlreiche Studien belegt werden, dass Bestrafung dazu führt, dass … Reizdiskrimination Das ist eine während der Konditionierung erlernte Fähigkeit, zwischen dem konditionierten und anderen Reizen zu unterscheiden und darauf unterschiedlich zu reagieren. … das unerwünschte Verhalten nur unterdrückt, statt verändert wird. Die Eltern erhalten hierdurch allerdings den Eindruck, dass ihre Bestrafung erfolgreich war, womit wiederum ihr Bestrafungsverhalten negativ verstärkt wird. … das Kind Aggressivität als eine Möglichkeit zur Problemlösung erlernt und nach dem Vorbild der Eltern selbst aggressiv handelt. … das Kind durch die Reizdiskrimination in der Lage ist, zwischen Situationen zu unterscheiden und z. B. nicht mehr flucht, wenn der strafende Erwachsene in der Nähe ist, es aber tut, sobald es sich unbeobachtet fühlt. … das Kind sich vor dem strafenden Elternteil fürchtet. Durch Reizgeneralisierung kann es bei der operanten Konditionierung dazu kommen, dass das Kind die Bestrafung nicht nur mit dem unerwünschten Verhalten, sondern auch mit der Person und der Situation in Verbindung bringt. … beim Kind die Entstehung von Depressionen und von Gefühlen der Hilflosigkeit gefördert werden kann. Da durch Bestrafung Depressionen und Gefühle von Hilflosigkeit beim Kind begünstigt werden können, soll an dieser Stelle kurz auf das von Seligman (1972) während seiner Forschung an Hunden entwickelte Konzept der erlernten Hilflosigkeit eingegangen werden. Die wiederholte Erfahrung, unangenehmen bzw. traumatisierenden Ereignissen nicht ausweichen zu können, führte bei den Tieren in Seligmans Studien zu Passivität und Resignation, sodass sie zu einem späteren Zeitpunkt, als sie der Situation entgehen konnten, dies nicht taten. Sie hatten gelernt, dass sie nicht die Kontrolle über die Situation hatten und ergaben sich resigniert ihrem Schicksal. Seligman erkannte Parallelen zwischen erlernter Hilflosigkeit und depressiven Symptomen. Ebenso wie bei einer Depression führt auch erlernte Hilflosigkeit zu Gefühlen von Hoffnungslosigkeit und Wertlosigkeit (Seligman 1972, S. 407f., S. 407; Myers 2014, S. 581). Betroffene haben zudem den Glauben daran verloren, jemals Erfolg haben zu können, selbst wenn sie erfolgreich sind (vgl. Seligman 1972, S. 411). Um den Abschnitt abzuschließen, soll noch einmal Skinner zu Wort kommen, der zum Thema Bestrafung die Auffassung vertrat, dass die direkte positive Verstärkung zu bevorzugen sei, da sie weniger objektive Nebenwirkungen zu haben scheint oder mit seinen Worten: „Direct positive reinforcement is to be preferred because it appears to have fewer objectionable by-products“ (Skinner 1953, S. 195). Im Folgenden stehen, Skinners Empfehlung folgend, die unterschiedlichen Möglichkeiten der positiven Verstärkung im Fokus des Interesses. 32 Shaping Laut Myers wird das Verhalten mittels Shaping (Verhaltensformung) durch Verstärkung schrittweise an das erwünschte Verhalten herangetragen. Shaping wird bei komplexem Verhalten, wie beispielsweise in der Tierdressur, eingesetzt, indem Reaktionen, die in die gewünschte Richtung gehen, belohnt und alle anderen ignoriert werden (Myers 2014, S. 301f.). Löschung Die Reaktion nimmt ab, wenn die Verstärkung aufhört, kann aber, wie auch beim klassischen Konditionieren, nach einer Pause erneut auftreten (Spontanerholung) (ebd., S. 296). Verstärkungspläne Bei der positiven Verstärkung (engl. positive reinforcement) wird laut Myers ein erwünschtes Verhalten jedes Mal, wenn es gezeigt wurde, durch einen angenehmen Reiz bekräftigt. Die kontinuierliche Verstärkung hat jedoch den entscheidenden Nachteil, dass das erwünschte Verhalten zwar sehr schnell erlernt, aber ebenso schnell wieder gelöscht wird, sobald es nicht mehr verstärkt wird. Eine weitere Möglichkeit ist die partielle oder intermittierende Verstärkung, bei der Reaktionen diskontinuierlich verstärkt werden. Diese Form der Verstärkung verlangsamt zwar das Lernen, führt aber zu einer – im Vergleich zur kontinuierlichen Verstärkung – größeren Resistenz dagegen, gelöscht zu werden (Myers 2014, S. 304). Diese Erkenntnis führte dazu, dass Skinner bei seinen Versuchen mit Tieren unterschiedliche Verstärkerpläne auf ihre Wirksamkeit hin überprüfte, die nachfolgend vorgestellt werden. Variable Quotenpläne Hierbei erfolgt die Verstärkung nach einer nicht vorhersehbaren und variablen Anzahl von Reaktionen, wie es z. B. bei Spielautomaten der Fall ist (Myers 2014, S. 305). Da unbekannt ist, wann die Belohnung erteilt wird und die Verstärker im gleichen Maß wie die Reaktionen zunehmen, führt diese Art der Verstärkung zu hohen Reaktionsraten und zu einer großen Resistenz, gelöscht zu werden (Gerrig/Zimbardo 2008, S. 216f.; Myers 2014, S. 305). Partielle oder intermittierende Verstärkung Hierbei wird das Verhalten teilweise oder in unregelmäßigen Abständen verstärkt. Resistenz Hiermit wird allgemein die Widerstandsfähigkeit bezeichnet; in diesem Fall gegenüber der Löschung des konditionierten Verhaltens. Feste Quotenpläne Nach Gerrig und Zimbardo erfolgt die Verstärkung hierbei nach einer bestimmten Anzahl von Reaktionen, z. B. nach jedem zweiten oder zehnten Mal. Da ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Reaktionen und Verstärkung gegeben ist, wird eine hohe Wahrscheinlichkeit einer Reaktion erzeugt. Auf jeden Verstärker folgt eine Pause, die umso länger ausfällt, je höher der Quotient ist. Ein Beispiel hierfür ist die Anzahl an Vertragsabschlüssen, die ein Versicherungsvertreter erbringen muss, bevor er bezahlt wird. Ist das Verhältnis der Verstärkung hingegen zu gering, kann es sein, dass dies zur Löschung des Verhaltens führt (vgl. Gerrig/Zimbardo 2008, S. 216). 33 Feste Intervallpläne Diese verstärken die erste Reaktion nach einem festgelegten Zeitintervall, bei der die Ausdauer des Verhaltens belohnt wird und langsame, aber stetige Reaktionen erzeugt werden, wie z. B. Werbeaktionen eines Discounters an jedem Montag (vgl. Myers 2014, S. 305). Variable Intervallpläne Hierbei wird das Zeitintervall, das angibt, wann die Wartezeit vorbei ist, willkürlich festgelegt, wodurch langsame, aber stetige Reaktionen ausgelöst werden. Es bleibt allgemein festzuhalten, dass (Quoten-)Pläne, bei denen Reaktion und Verstärkung miteinander verknüpft sind, zu höheren Reaktionsraten führen als die Kopplung von Zeit und Verstärkung der Intervallpläne. Außerdem führen unvorhersehbare und damit variable Pläne zu dauerhafteren Reaktionen als vorhersehbare und festgelegte Pläne. Die nachfolgende Abbildung von Myers veranschaulicht die vorgestellten Verstärkungspläne, bei der die kurzen, schwarzen Striche Verstärker darstellen (vgl. Myers, S. 305ff.). Abbildung 8: Intermittierende Verstärkungspläne Quelle: Carola Ortlepp-Appl, 2020 in Anlehnung an Myers 2014, S. 305. 34 Ebenso wie das klassische Konditionieren unterliegt nach Myers auch das operante Konditionieren biologischen Einschränkungen, da Tiere und Menschen besonders gut Assoziationen lernen können, die natürlicherweise miteinander verknüpft und dazu bestimmt sind, das Ãœberleben zu sichern. Belohnt man z. B. einen Hamster mit Nahrung und konditioniert im Anschluss daran ein Verhalten, das er natürlicherweise mit Futtersuche verbindet (z. B. graben), ist dies recht einfach zu erreichen. Soll er hingegen ein Verhalten zeigen, das nicht seinen natürlichen Veranlagungen entspricht, wird er dies relativ schnell wieder verlernen und zu seinen instinktiven Verhaltenstendenzen zurückkehren (vgl. ebd., S. 314f.). Im nachfolgenden Abschnitt stehen Lernprozesse im Mittelpunkt, die eine kognitive Verarbeitung erforderlich machen. Skinner weigerte sich bis zu seinem Tod kognitive Prozesse wie Erwartungen und Gedanken als wesentlich für die psychologische Forschung anzuerkennen (vgl. ebd., S. 316). Dass kognitive Prozesse jedoch auch beim operanten Konditionieren eine Rolle spielen, zeigen laut Myers beispielsweise Studien an Ratten, die zunächst ohne Belohnung durch ein Labyrinth geschickt werden und bei ihrer Erkundungstour eine geistige Abbildung des Labyrinths (kognitive Landkarte) entwickeln. Sobald der Versuchsleiter ein Stück Käse als Belohnung in den Ausgang legte, waren sie in der Lage, das Gelernte zu zeigen und sich den Käse zu holen, ein Vorgang der auch als latentes Lernen bezeichnet wird (vgl. ebd., S. 317). 1.4 Spiegelneuronen In diesem Abschnitt stehen zunächst Spiegelneuronen im Mittelpunkt des Interesses, anschließend wird die sozial-kognitive Lerntheorie Banduras vorgestellt. Spiegelneuronen wurden erstmals von einer Forschergruppe der Universität in Parma in den 1990er-Jahren entdeckt (vgl. di Pellegrino et al. 1992). Bei Experimenten mit Makaken war ihnen aufgefallen, dass bestimmte Nervenzellen im Stirn- bzw. Frontallappen (engl. frontal lobe; motorischer Kortex) im Gehirn der Affen nicht nur dann aktiv waren, wenn sie selbst handelten, sondern auch dann, wenn sie lediglich die Forscher bei einer Handlung beobachteten (vgl. di Pellegrino et al. 1992, S. 176). Aufgrund des Effekts, das Handeln eines anderen zu spiegeln, wurden sie als Spiegelneuronen bezeichnet (Myers 2014, S. 319f.). Kognitive Verarbeitung Hierbei sind höhere geistige Prozesse beteiligt, wie z. B. abstraktes Denken oder Gedächtnis. Latentes Lernen Das ist eine Art des Lernens, bei der das Gelernte zwar vorhanden, aber noch nicht sichtbar ist und erst gezeigt wird, wenn ein Anreiz hierfür besteht. Spiegelneuronen Dies sind Nervenzellen im Stirnlappen der Hirnrinde, die reagieren, wenn die Handlung eines anderen beobachtet wird oder bestimmte Handlungen selbst ausgeführt werden. Frontallappen So werden die vorderen Lappen der beiden Hälften des Großhirns bezeichnet, auch motorischer Kortex genannt. Er kontrolliert und steuert unsere Bewegung. 35 Abbildung 9: Gliederung der Großhirnrinde mit Funktionsbereichen Quelle: Carola Ortlepp-Appl, 2020 in Anlehnung an Jkwchui 2013. Vier Lappen der Hirnrinde Diese sind folgende: Frontallappen (frontal lobe), Temporallappen (temporal lobe), Parietallappen (parietal lobe) und Okzipitallappen (occipital lobe). Theory of Mind Das ist die persönliche Theorie von Menschen, mit der sie sich mentale (geistige) Zustände anderer erklären. 36 Diese Grafik ist eine grobanatomische Darstellung der vier Lappen der Hirnrinde und veranschaulicht u. a. den Frontallappen des Gehirns. Rizzolatti und Craighero betonen die immense Bedeutung, die Spiegelneuronen für Menschen haben. Spiegelneuronen führen dazu, dass wir die Handlungen anderer verstehen und sie stellen zudem die Grundlage für das Beobachtungslernen dar (vgl. Rizzolatti/Craighero 2004, S. 169). Empathie wird in dem Maß gefördert, in dem es uns gelingt, uns in einen anderen Menschen hineinzuversetzen (vgl. Myers 2014, S. 320). Diese Fähigkeit wird auch als Theory of Mind bezeichnet, welche umschreibt, dass Kinder zwischen dem dritten und fünften Lebensjahr eine Theorie darüber entwickeln, wie der Verstand funktioniert und wie er das Verhalten beeinflusst. Kinder verstehen zunehmend die Bedeutung und die Auswirkung von inneren Zuständen (Gefühle, Gedanken, Wünsche, Absichten und Ãœberzeugungen) anderer Personen auf deren Verhalten (vgl. Lohaus et al. 2010, S. 121f.). Kindern, die von einer autistischen Störung betroffen sind, wird oft eine fehlende Theory of Mind zugeschrieben, da aufgrund struktureller Veränderungen des Gehirns bei ihnen Hirnareale ungenügend zusammenarbeiten, die es Personen ohne diese Störung ermöglichen, eine fremde Sichtweise einnehmen zu können (vgl. ebd., S. 284; Myers 2014, S. 194). Im nachfolgenden Abschnitt wird zunächst die soziale Lerntheorie Albert Banduras vorgestellt und im Anschluss daran eine Studie, die eine Verbindung zwischen Banduras Theorie und einer fehlenden Theory of Mind bei Autismus herstellt. Autistische Störung Betroffene sind im Hinblick auf Kommunikation und soziale Interaktion ebenso beeinträchtigt wie durch eingeschränkte Aktivitäten und Interessen. Lernen am Modell Wie bereits im Zusammenhang mit Bestrafung angesprochen wurde, können Kinder das aggressive Verhalten der Eltern als Vorbild nehmen und hierdurch lernen, Konflikte ebenfalls gewaltsam zu lösen. Albert Bandura beschreibt diese Beobachtung in folgendem Zitat: „People are not born with preformed repertoires of aggressive behavior; they must learn them“ (Bandura 1978, S. 14). In seiner sozial-kognitiven Lerntheorie ging er davon aus, dass prosoziales wie auch aggressives Verhalten sozial vermittelt ist. Kinder lernen durch die Beobachtung von Menschen ihrer näheren, sozialen Umgebung sowie durch Medien (TV, Internet, Filme etc.) und nehmen das vermittelte Verhalten als Modell für ihr eigenes Verhalten (vgl. ebd., S. 14f.). Seine Theorie über das Beobachtungslernen basiert auf einem berühmten Experiment, bei dem Vorschulkinder einen Erwachsenen dabei beobachteten, wie er eine Puppe (Bobo-Puppe) misshandelte und beschimpfte. Als die Kinder mit der Bobo-Puppe alleine waren, imitierten sie das aggressive Verhalten des erwachsenen Modells und verwendeten auch die gleichen Schimpfwörter (vgl. Bandura/Ross/Ross 1961, S. 577ff.). Prosozial konstruktives und hilfsbereites Verhalten Nach Bandura hängt das Modelllernen von den folgenden vier Prozessen ab: 1. Aufmerksamkeit, die der Beobachter dem Modell und dessen Verhalten zuwendet. 2. Speicherung des Modellverhaltens im Gedächtnis. 3. Reproduktionskompetenz, die voraussetzt, dass es dem Beobachter möglich ist, das Verhalten nachzuahmen. 4. Verstärkung und Motivation, die in dem Beobachter das Bedürfnis wecken, das beobachtete Verhalten umsetzen zu wollen (vgl. Bandura 1971, S. 6ff.). Reproduktionskompetenz Das ist die Fähigkeit, ein Verhalten zu kopieren und auszuführen. Während die ersten beiden Punkte für das Erlernen des Verhaltens notwendig sind, beziehen sich die letzten beiden auf dessen Ausführung (vgl. Lohaus et al. 2010, S. 19). Die Aufmerksamkeit, die ein Beobachter einem Modell zuwendet, geht laut Bandura mit der Bereitschaft einher, ein bestimmtes Verhalten bevorzugt zu imitieren. Basis hierfür kann u. a. die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe sein, der das Modell und der Beobachter angehören. So ist die Imitation aggressiven Verhaltens in bestimmten Gruppen wahrscheinlicher als in anderen. Damit das Verhaltensmuster das zukünftige Handeln des Beobachters leiten kann, wird es in symbolischer Form im Gedächtnis bildlich und sprachlich repräsentiert (vgl. Bandura 1971, S. 6f.). 37 Bei der bildlichen Repräsentation wird laut Bauer ein Abbild des Verhaltensmusters erzeugt, während die sprachliche Repräsentation in Form von Begriffen erfolgt. Der Behaltensprozess wird besonders dann deutlich, wenn – wie bereits beim latenten Lernen erörtert – das Verhalten erst zu einem späteren Zeitpunkt gezeigt wird. Durch Wiederholung und Ãœbung wird das Modellverhalten zunehmend stabilisiert und damit Teil des eigenen Verhaltensrepertoires (vgl. Bauer 1979, S. 28ff.). Die Reproduktionskompetenz verweist darauf, dass zuerst die körperlichen Voraussetzungen gegeben sein müssen, um bestimmte Bewegungsabläufe nachahmen zu können (vgl. Lohaus et al. 2010, S. 19). Für die Handlungsmotivation, das Verhalten auszuführen oder es zu unterlassen, ist neben äußerer Verstärkung – durch die beobachtete Belohnung oder Bestrafung des Verhaltens – außerdem die Selbstverstärkung bei persönlich wahrgenommenen Fortschritten entscheidend (vgl. ebd., S. 18). Wie oben erwähnt, imitieren wir bevorzugt Menschen, die uns ähnlich sind, aber auch solche, die wir für erfolgreich und bewundernswert halten. Beispielsweise zeigen fMRT-Aufnahmen von Menschen, die andere Personen dabei beobachteten, wie sie belohnt wurden, eine Aktivierung des Belohnungssystems im Gehirn, als wären sie selbst belohnt worden, wenn sie diese als ähnlich wahrnahmen oder sympathisch fanden (vgl. Myers 2014, S. 319). Dieses Imitationsverhalten sowie dessen besondere Bedeutung zeigen sich laut Lohaus bei Kindern bereits sehr früh, da bereits wenige Tage alte Säuglinge die Zunge herausstrecken, wenn ihre Eltern dies tun. Diese frühkindliche Imitationsleistung werten diese als Kontaktaufnahme, wodurch ihr Fürsorgeverhalten und die Bindung an das Kind verstärkt werden (Lohaus et al. 2010, S. 107f.). 1.5 Anwendungsbeispiel Die im Folgenden vorgestellte Studie stellt eine Verbindung zwischen Banduras sozialer Lerntheorie und der im ersten Abschnitt erläuterten Theory of Mind her und zeigt, wie Forschung praktisches Handeln anleiten kann. Aus der Forschung Ãœberimitation Drei- bis fünfjährige Kinder neigen dazu, das Verhalten eines Modells detailgenau zu kopieren, inklusive Verhaltensweisen, die überflüssig sind. Das Phänomen der Ãœberimitation führt bei Kindern im Kleinkind- und Vorschulalter dazu, dass sie auch unnötige und unsinnige Handlungen Erwachsener imitieren (Myers 2014, S. 321). Ein Experiment von Lyons/Young/Keil mit drei- bis fünfjährigen Kindern belegte, dass Kinder dieser Altersgruppe auch dann zu Ãœberimitation neigten, wenn transparent gemacht wurde, dass die Handlung des erwachsenen Modells unsinnig war, wie z. B. eine durchsichtige Plastikbox zuerst mit einer Feder zu berühren, bevor der darin enthaltene Dinosaurier durch Aufschrauben des Deckels der Box entnommen wurde (vgl. Lyons/ Young/Keil 2007, S. 19752). In einer aktuellen Studie von Foti et al. (2019) hingegen führte die Neigung zur Ãœberimitation bei Kindern mit einer autistischen Störung (engl. Autism Spectrum Disorder; ASD) zu einer Verbesserung ihrer Leistungen bei einer Beobachtungs- und experimentellen Lernaufgabe. Im Verlauf der drei Versuchsdurchgänge wurden ihre Leistungen kontinuierlich besser und näherten sich den Leistungen von Kindern ohne eine solche Störung stetig an. Hierbei beobachteten die Kinder beider Gruppen zunächst eine Person in einem Video, wie sie ein Haus aus Plastiksteinen baute und hierbei einige Fehler machte. Sie schlug bei- 38 spielsweise eingesetzte Steine gegen das Haus, um sie einzufügen oder machte überflüssige Bewegungen (sie präsentierte z. B. jeden Stein einzeln) und bewertete die Richtigkeit oder Fehlerhaftigkeit ihrer Handlungen jeweils mit einem Kopfnicken oder -schütteln. Danach waren die Kinder aufgefordert, das Haus mit eigenen Steinen nachzubilden. Hierbei imitierten die Kinder mit ASD auch die überflüssigen Bewegungen und falschen Versuche des Modells, im Gegensatz zur Vergleichsgruppe von Kindern ohne eine solche Störung. Während die Vergleichsgruppe in den ersten beiden Versuchsdurchgängen deutlich besser abschnitt, konnten die Kinder mit ASD im dritten Durchgang aufholen und lagen auf demselben Level wie die Vergleichsgruppe. Laut Foti et al. können Kinder mit ASD Ãœberimitation als Lernstrategie in ihrem täglichen Leben nutzen und hiermit ihre Defizite im Beobachtungslernen ausgleichen. Die Berücksichtigung dieser Erkenntnisse in Erziehung und Schule durch entsprechende Lernangebote kann gemäß den Autoren den Kindern den Erwerb neuer kognitiver und motorischer Fähigkeiten erleichtern und hierdurch ihre soziale Integration und ihr Selbstvertrauen stärken. Für weitere Einzelheiten der Studie siehe Foti et al. 2019. Aus der Praxis Durch Beobachtung erhalten wir von Kindesbeinen an zahlreiche Informationen über unsere soziale Umwelt und können, ohne es persönlich erlebt zu haben, allein indem wir zuschauen, unsere Fertigkeiten und Kenntnisse erweitern und etwaige Konsequenzen vorhersagen (vgl. Gerrig/Zimbardo 2008, S. 225). Dass auch Menschenaffen durch Beobachtung lernen, macht das Verhalten einer Gruppe Makaken, die in Thailand lebt, sichtbar. Diese benutzt Haare ebenso wie Kokosfasern als Zahnseide und gibt diese Art der Mundhygiene – durch ihr Vorbild – an ihre Nachkommen weiter (vgl. Paschek 2016). Das nachfolgende Foto zeigt das „Selfie“ eines weiblichen Makaken, das entstand, als sie die Kamera des Fotografen auf sich richtete und auf den Auslöser drückte. Auch dies ist ein Beispiel für das Beobachtungslernen. 39 Abbildung 10: Affen-Selfie Quelle: Wikimedia 2015b. Influencer Dies sind Personen, die andere meist zu Werbezwecken beeinflussen (engl. to influence = beeinflussen). Soziales Lernen im Alltag, bei dem uns andere als mentale Lernmodelle für unser eigenes Verhalten dienen, ist allgegenwärtig und nicht auf die Erziehung von Kindern beschränkt. In Workshops und Yogakursen wird es ebenso sichtbar, wie auch durch unsere Ernährungsweise, Bräuche, Tänze und Redensarten etc., die zudem vom jeweiligen Zeitgeist geprägt sind (vgl. Myers 2014, S. 320). Ein aktuelles Beispiel der Nachahmung anderer ist die wachsende Anzahl von Influencern, die von der Markt- und Werbeindustrie genutzt werden, um mittels digitaler Medien Produkte zu vermarkten. Deren Lebensstil wird insbesondere von Kindern und Jugendlichen nachgeahmt. ZUSAMMENFASSUNG Lernen wurde als Prozess definiert, der eine relativ dauerhafte, erfahrungsbasierte Veränderung des Verhaltens oder des Verhaltenspotenzials bewirkt. 40 Die Bedeutung des Zusammenhangs zwischen erfahrungsbasierten und erlernten sowie genetischen und biologischen Verhaltensdispositionen wurde unterstrichen. Dass bestimmte Arten von Stimuli angeboren und deswegen leichter zu konditionieren sind, wird als Preparedness bezeichnet und entspricht der in der aktuellen Forschung präferierten Position. Das Paradigma des klassischen Konditionierens als eine bewährte Methode, grundlegende assoziative Lernprozesse zu erforschen, wurde ebenso vorgestellt wie dessen fünf wesentliche Prinzipien. Ebenso wurde die besondere Rolle betont, die Kontiguität und Kontingenz zwischen Reiz und konditionierter Reaktion bei deren Erwerb spielen. Wie diese Erkenntnisse weitere Forschung anregten und zur Entwicklung der Psychoneuroimmunologie beitrugen, wurde ebenso erörtert, wie auch am Bespiel einer aktuellen medizinischen Studie dargestellt. Das Rescorla-Wagner-Modell wurde als ein mathematisches Modell vorgestellt, das aus einer einzigen Formel besteht und dennoch in der Lage ist, zahlreiche Phänomene des Konditionierens zu erklären. Thorndikes Gesetz des Effekts, mit dem er beschrieb, wie Verhalten in Abhängigkeit von Konsequenzen verstärkt oder vermindert wird, war ebenso von Interesse wie die hierdurch angeregte Forschung Skinners zum operanten Konditionieren, der in zahlreichen Forschungsreihen die Bedingungen hierfür genauer untersuchte. Zusammenhänge zwischen Verstärkern und der Wahrscheinlichkeit einer Reaktion standen in diesem Lernzyklus genauso im Fokus des Interesses wie die verschiedenen Arten von Verstärkern und Verstärkerplänen. Ein besonderes Augenmerk lag hierbei auf dem Unterschied zwischen Verstärkung und Bestrafung und den hieraus resultierenden Folgen am Beispiel der Kindererziehung. Latentes Lernen wurde als Beispiel dafür vorgestellt, dass kognitive Prozesse auch beim operanten Konditionieren beteiligt sein können. Abschließend standen mit Banduras sozialer Lerntheorie kognitive Lernprozesse im Mittelpunkt. Hierzu wurde das Lernen durch Beobachtung anderer, die dann als Modell für eigenes Verhalten dienen, präsentiert. Neben den Auswirkungen von Imitation auf das Bindungsverhalten von Eltern, wurden auch die für das Lernen am Modell notwendigen Bedingungen erörtert. Spiegelneuronen wurden als bedeutsame Grundlage für das Beobachtungslernen, die Fähigkeit einfühlsamen Verstehens und die Entwicklung der Theory of Mind dargestellt. Abschließend wurden Beispiele aus der Forschung und dem Alltag für das Imitationslernen gegeben. Um zu zeigen, wie Theorie und Forschung helfen können, alltägliche Probleme 41 zu lösen, wurde eine aktuelle Studie herangezogen, bei der Kinder mit einer autistischen Störung ihre Lernleistung durch Ãœberimitation verbessern konnten. 42 LEKTION 2 EMOTIONEN LERNZIELE Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie wissen,... – welche fünf Hauptkomponenten von Emotionen es gibt und wie evolutionspsychologische Ansätze die Ursachen und Funktionen emotionalen Verhaltens erklären. – wie emotionales Ausdrucksverhalten und Kultur miteinander in Verbindung stehen und wie behavioristische und lerntheoretische Ansätze die Entstehung von Emotionen erklären. – wie Emotionsverarbeitung aus neurowissenschaftlicher Sicht erfolgt und welche Bedeutung das vegetative Nervensystem für unser inneres Gleichgewicht hat. – wie Personenmerkmale und Umweltfaktoren das Erleben und den Ausdruck von Emotionen beeinflussen und welche Strategien der Emotionsregulation es gibt. – welche zentrale Bedeutung die frühkindliche Bindung für unsere körperliche und psychologische Gesundheit sowie für unsere sozialen Beziehungen hat. 2. EMOTIONEN Einführung In dem Bestreben, das Verhalten der Menschen zu verstehen, wurde vielfach versucht, die Emotionen außen vor zu lassen, aber vergeblich. Verhalten und Geist, ob bewusst oder nicht, aber auch das Gehirn, das sie hervorbringt, geben ihre Geheimnisse nicht preis, wenn wir die Emotionen (und die vielen Phänomene, die sich hinter diesem Namen verbergen) nicht berücksichtigen und gebührend würdigen (Damasio 2011, S. 121). Das Eingangszitat von Antonio Damasio betont die zentrale Bedeutung von Emotionen für die psychologische Forschung, indem es auf zwei wesentliche Punkte verweist. Zum einen hebt Damasio hervor, dass die Psychologie unter dem Einfluss des Behaviorismus nur solche Prozesse untersuchte, die von außen unmittelbar beobachtbar waren, und das innere Erleben, das nur der Selbstbeobachtung zugänglich ist, ausschloss. Zum anderen verweist er auf die Bedeutsamkeit gerade dieser inneren Prozesse für die psychologische Forschung, die das Erleben und Verhalten von Menschen nicht wirklich verstehen kann, wenn sie diese außer Acht lässt. 2.1 Einführung in die Emotionspsychologie Kennen Sie das auch? Sie kommen spät von einer Party nach Hause, es ist dunkel und kalt, die Straßen sind wie leergefegt. Ein bisschen unheimlich ist das schon – stand da nicht neulich in der Zeitung, dass ganz in der Nähe jemand überfallen und ausgeraubt wurde? Hinter sich hören Sie Schritte, die schnell näherkommen. Ein mulmiges Gefühl taucht in Ihnen auf. Als Ihnen plötzlich jemand von hinten auf die Schulter tippt, stockt Ihnen der Atem und Ihr Herz rast, bis Sie eine vertraute Stimme sagen hören: „Auch noch so spät unterwegs?“ Sie drehen sich langsam um und blicken in das Gesicht Ihrer Nachbarin. Erleichterung macht sich breit, während die Spannung ganz allmählich aus Ihren Gliedern weicht. Falls Ihnen eine solche oder ähnliche Situation bekannt vorkommt, haben Sie sich vielleicht auch schon einmal gefragt, wie solche Körperempfindungen mit unserem emotionalen Erleben zusammenhängen und was dabei in unserem Körper passiert. Wir alle kennen eine Vielzahl unterschiedlicher Emotionen, aber wie beschreibt und erklärt die wissenschaftliche Psychologie, wie Emotionen entstehen und welchen Einfluss sie auf unser Erleben und Verhalten haben? Welche Effekte haben Emotionen darauf, wie wir uns selbst und unsere Umwelt wahrnehmen? Diese sowie weitere Fragen sollen im Folgenden geklärt werden. Zunächst werden jedoch zentrale Begriffe der Emotionspsychologie erläutert und definiert. 44 Grundlegende Begriffe Eine allgemeingültige Definition dafür zu finden, was unter dem Begriff Emotion zu verstehen ist, scheint ebenso schwierig zu sein, wie die Anzahl von Emotionen sowie deren Komponenten zu bestimmen (vgl. Sokolowski 2013, S. 221). Definition und Hauptkomponenten von Emotionen Zimbardo et al. definieren Emotionen wie folgt: „Emotionen sind eine spezielle Klasse von Motiven, die uns dabei helfen, unsere Aufmerksamkeit auf wichtige (gewöhnlich äußere) Situationen zu richten und darauf zu reagieren sowie anderen unsere Absichten mitzuteilen“ (Zimbardo et al. 2016, S. 528). Die Autoren betrachten Emotion als eine spezielle Art von Motivation, die nach außen gerichtet ist. Wie die Motivation führe sie zu einer Steigerung der Erregung, versehe persönlich bedeutsame Menschen, Objekte und Ereignisse mit Werten bzw. Gefühlen und habe eine Annäherungs- oder Vermeidungsreaktion zur Folge (vgl. ebd., S. 528f.). Motivation Hierbei handelt es sich um Anreize, die einen Menschen zu zielgerichtetem Verhalten antreiben. Obwohl sich die Anzahl der Hauptkomponenten von Emotionen unterscheidet, je nachdem wie eng oder weit die einzelnen Komponenten gefasst sind, herrscht unter den Autoren ein breiter Konsens über den inhaltlichen Aspekt von Emotionen. Beispielhaft sei daher Sokolowski (2013, S. 223) vorgestellt, der fünf Emotionskomponenten benennt und diese am Beispiel der Prüfungsangst beschreibt: 1. Kognitive Komponente, z. B. Befürchtung des Versagens und möglicher Konsequenzen; 2. Physiologische Komponente, z. B. trockener Mund, Herzklopfen; 3. Behaviorale Komponente; das Verhalten wirkt insgesamt angespannt und schreckhaft, was sich z. B. durch Zittern oder Stottern zeigen kann; 4. Expressive Komponente, z. B. gepresste Stimme, weit geöffnete Augen; 5. Subjektive Komponente, z. B. hohe Erregung und Anspannung, Mischung von Lustund Unlustempfinden. Sokolowski geht davon aus, dass diese nicht immer alle gleichzeitig und außerdem in unterschiedlicher Ausprägung auftreten können, jedoch der Selbst- und Fremdbeobachtung zugänglich sowie messbar sind (z. B. Pulsschlag, Atmung, etc.) (vgl. ebd., S. 224f.). Die nachfolgende Abbildung stellt die fünf Emotionskomponenten bildlich dar und ist angelehnt an die Darstellung von Sokolowski (ebd., S. 224). 45 Abbildung 11: Fünf Komponenten von Emotionen Quelle: Carola Ortlepp-Appl, 2020 in Anlehnung an Sokolowski 2013, S. 224. Circumplex-Modell Kreisförmige und zweidimensional angeordnete Diagramme. Skalen In der Psychologie werden darunter Messinstrumente verstanden, mit welchen Studienteilnehmende befragt werden. Beispielsweise wurden in der Studie von Feldman Barrett und Russell (1998) die Teilnehmenden danach befragt, wie sehr sie der Aussage „Ich bin glücklich“ auf einer fünfstufigen Skala von „stimme stark“ zu bis „stimme überhaupt nicht zu“ zustimmen können. 46 Das nachfolgende von Feldman Barrett und Russell entwickelte Strukturmodell des Affekts beschreibt affektive Zustände auf den folgenden beiden Dimensionen: Die Valenz (Wertigkeit) einer emotionalen Erfahrung als angenehm vs. unangenehm und die Ausprägung des Aktivierungszustandes zwischen aktiviert vs. deaktiviert (vgl. Feldmann Barrett/ Russell 1998, S. 967). Aufgrund seiner Struktur wird es auch als Circumplex-Modell bezeichnet (vgl. Rothermund/Eder 2011, S. 169). In drei Studien von Feldman Barrett und Russell wurden die Teilnehmenden dazu aufgefordert, mittels verschiedener Skalen ihre aktuelle emotionale Gefühlslage einzuschätzen. Die Ergebnisse dieser Studien zeigten, dass Valenz unabhängig von Aktivierung ist und dass positiver Affekt und negativer Affekt sowie Aktivierung und Deaktivierung jeweils die Endpunkte zweier entgegengesetzter Pole darstellen (vgl. Feldman Barrett/Russell 1998, S. 970ff.). Abbildung 12: Zweidimensionales Strukturmodell affektiver Zustände Quelle: Carola Ortlepp-Appl, 2020 in Anlehnung an Feldman Barrett/Russell 1998, S. 970, S. 980. Die obige Abbildung ist in eigener Ãœbersetzung und angelehnt an die beiden Darstellungen von Feldman Barrett und Russell (1998, S. 970; S. 980). Sie bildet unterschiedliche emotionale Zustände ab, die sich im Hinblick auf ihre jeweilige Valenz und den Aktivierungsgrad unterscheiden. Als Beispiel sei der Schlaf genannt, der sich als ein Zustand absoluter Deaktivierung am unteren Pol der Aktivierungsskala befindet und eine neutrale Valenz aufweist (vgl. Rothermund/Eder 2011, S. 170). Gemeinsamkeiten und Unterschiede verschiedener emotionaler Zustände Wie lassen sich unterschiedliche emotionale Zustände voneinander abgrenzen und worin gleichen sie sich? Auch im Hinblick auf Emotion und Affekt besteht nach Schmidt-Atzert et al. keine allgemeingültige wissenschaftliche Definition, da diese beiden Begriffe, insbesondere im englischen Sprachraum, oftmals synonym gebraucht werden (Schmidt-Atzert et al. 2014, S. 30). Ungeachtet dessen lassen sich Affekte, Stimmungen und Emotionen im Hinblick auf eine erkennbare Ursache, mögliche Kognitionen, die Intensität und Dauer des emotionalen Zustands und die Notwendigkeit einer Verhaltensantwort unterscheiden (Sokolowski 2013, S. 221). 47 Affekte Hierunter wird laut Sokolowski ein emotionaler Zustand verstanden, der von allen drei Zuständen der intensivste ist, sich am schlechtesten kontrollieren lässt sowie die kürzeste Dauer aufweist. Auf eine auslösende Ursache folgt, oftmals ohne nachzudenken, eine unmittelbare und heftige Reaktion, die von außen beobachtbar ist, deren Ablauf häufig von der handelnden Person als automatisch wahrgenommen und im Anschluss nur schlecht erinnert wird. Daher hat der Gesetzgeber für nachgewiesene Handlungen im Affekt eine verminderte Schuldfähigkeit vorgesehen (Sokolowski 2013, S. 222). In der aktuellen Emotionsforschung spielt der deutsche Begriff allerdings keine bedeutende Rolle (vgl. Schmidt-Atzert et al. 2014, S. 30). Stimmung Vergleicht man diese mit dem Affekt, liegt sie bezüglich der genannten Kriterien auf dem Gegenpol, indem sie – oftmals ohne erkennbare Ursache – von geringer Intensität sowie vergleichsweise langer Dauer ist und zumeist kein Verhalten erfordert (vgl. Sokolowski 2013, S. 222). Lediglich im Hinblick darauf, dass Kognitionen nicht zwingend notwendig sind, gleichen beide einander. Nach Schmidt-Atzert et al. (2014) stellen Stimmungen so etwas wie eine „Dauertönung des Erlebens dar“ (S. 29). Besetzt jemand den Parkplatz, den man selbst anvisiert hatte, kann dies spontan Ärger als Emotion auslösen – summieren sich viele solcher Einzelereignisse, kann dies zu einer ärgerlichen Stimmung führen, ohne dass man sagen könnte, wodurch diese genau verursacht wurde (vgl. ebd., S. 29). Emotion Emotionen liegen im Hinblick auf die genannte

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