🎧 New: AI-Generated Podcasts Turn your study notes into engaging audio conversations. Learn more

6-Familienbericht-2009-2019_Familienbericht_BF (2).pdf

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

Full Transcript

6. Österreichischer ­Familienbericht 2009 – 2019 Neue Perspektiven – Familien als Fundament für ein lebenswertes Österreich 6. Österreichischer Familienbericht 2009–2019 Neue Perspektiven – Familien als Fundament für ein lebenswertes Österreich Wien, 2021 Impressum Medieninhaber, Verleger und He...

6. Österreichischer ­Familienbericht 2009 – 2019 Neue Perspektiven – Familien als Fundament für ein lebenswertes Österreich 6. Österreichischer Familienbericht 2009–2019 Neue Perspektiven – Familien als Fundament für ein lebenswertes Österreich Wien, 2021 Impressum Medieninhaber, Verleger und Herausgeber: Bundeskanzleramt / Frauen, Familie, Jugend und Integration (BKA / FFJI) Untere Donaustraße 13–15, 1020 Wien Projektleitung: BKA / FFJI, Abteilung VI/9, Familienpolitische Grundsatzabteilung Wissenschaftliche Koordination: Österreichisches Institut für Familienforschung (ÖIF) an der Universität Wien (Mag. Norbert Neuwirth) Lektorat: Ernst Böck Gestaltung: BKA Design & Grafik Druck: Gugler GmbH ISBN 978-3-200-07298-5 Die Kurzfassung des 6. Österreichischen Familienberichts mit dem Titel „6. Österreichischer Familienbericht 2009–2019 – Auf einen Blick“ wurde auf Grundlage der einzelnen Beiträge des vorliegenden Berichts erstellt. Wien, 2021 Copyright und Haftung: Auszugsweiser Abdruck ist nur mit Quellenangabe gestattet, alle sonstigen Rechte sind ohne schriftliche Zustimmung des Medieninhabers unzulässig. Es wird darauf verwiesen, dass alle Angaben in dieser Publikation trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr erfolgen und eine Haftung des Bundeskanzleramtes / Frauen, Familie, Jugend, Integration (BKA / FFJI) sowie der Autorinnen und Autoren ausgeschlossen ist. Der Inhalt dieses Berichts gibt die Meinungen der Autorinnen und Autoren wieder, welche die alleinige Verantwortung dafür tragen. Dies gilt auch für Rechtsausführungen, welche der Recht- sprechung der unabhängigen Gerichte damit keinesfalls vorgreifen können. Vorwort Die Veröffentlichung des 6. Österreichischen Familienberichts fällt in eine besondere Zeit. Die Corona-Pandemie zeigt einmal mehr, dass Familien Eckpfeiler der Gesellschaft sind, die Halt geben, Schutz und Zuversicht bieten und einander in schwierigen Lebens- lagen helfen. Familien als Orte der Liebe und Geborgenheit verdienen in jeder Konstel- lation Unterstützung und benötigen daher die bestmöglichen Rahmenbedingungen. Dafür setzt sich die österreichische Familienpolitik konsequent ein, wie der vorliegende 6. Österreichische Familienbericht zeigt. Österreich hat die im internationalen Vergleich bereits sehr umfangreichen finanziellen Unterstützungen für ­Familien weiterentwickelt und ausgebaut. Für erfolgreiche Familienpolitik sind nicht nur Werte wie Kindeswohl und Partnerschaft- lichkeit von großer Bedeutung, sondern es braucht auch eine fundierte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Familie. Der 6. Österreichische Familienbericht MMag. Dr. Susanne Raab leistet dafür mit seinen evidenzbasierten Beiträgen wichtige Grundlagenarbeit und fördert mit seinen realitätsnahen Befunden eine gesellschaftspolitische Auseinander- setzung mit familienpolitisch relevanten Fragestellungen. Der Bericht umfasst die Jahre 2009 bis 2019, zieht Bilanz über die Entwicklung familienpolitischer Maßnahmen und bietet aufschlussreiche Einblicke in die Familien. Die bestmögliche Unterstützung für Familien steht seit jeher im Fokus. Rund zehn Pro- zent des Bundesbudgets kommen Familien zugute. Allein im Jahr 2019 wurden mehr als 7 Milliarden Euro an Familienleistungen aus dem Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) ausbezahlt, davon rund 3,5 Milliarden Euro für Familienbeihilfe und rund 1,2 Milliarden Euro für Kinderbetreuungsgeld. Rund 1,1 Millionen Anspruchsberechtigte beziehen für rund 1,8 Millionen Kinder die Familienbeihilfe. Diese familien- und kinderbezogenen Leistungen mit ihrer hohen Treffgenauigkeit leis- ten einen wesentlichen Beitrag bei der Bekämpfung von Familien- und Kinderarmut in Österreich. Das wird auch vom Familienbericht bestätigt: Im Vergleich liegt Österreich hinsichtlich Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung deutlich unter dem EU-Schnitt und es konnte in den letzten Jahren ein Rückgang der Armutsgefährdung festgestellt werden. Ein Meilenstein der vergangenen Dekade war sicher die stufenweise Erhöhung der Familienbeihilfe, für die zwischen 2014 und 2018 rund 830 Millionen Euro aus Mitteln des FLAF bereitgestellt wurden. Auch der Familienbonus Plus ist eine weitere große Entlastung für Familien: Nach Schätzungen des Bundesministeriums für Finanzen kommt der Familienbonus 950.000 Familien mit rund 1,6 Millionen Kindern zugute, wobei die Steuerlast pro Kind um bis zu 1.500 Euro im Jahr sinkt. Die Weiterentwicklung des 2002 eingeführten Kinderbetreuungsgeldes zu einem Kinder- betreuungsgeldkonto erhöht seit 2017 die Flexibilität für junge Eltern und erleichtert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Um die Bindung zwischen Neugeborenen und ihren Vätern zu stärken, wurde 2017 der Familienzeitbonus eingeführt. Der ebenfalls neu geschaffene Partnerschaftsbonus ist ein finanzieller Anreiz für einen gleichteiligen Bezug des Kinderbetreuungsgeldes durch beide Eltern, der zugleich den beruflichen Wiedereinstieg von Frauen vereinfachen soll. Ein besonderer Schwerpunkt der Familienpolitik im Berichtszeitraum war der Ausbau der Kinderbetreuung, in den zwischen 2008 und 2018 insgesamt 442,5 Millionen Euro an Bundesmitteln geflossen sind. Seit Beginn der Ausbauoffensive hat sich die Zahl der betreuten unter 3-Jährigen mehr als verdoppelt. Bei den 3- bis 6-Jährigen wurde das Barcelona-Ziel, das eine Betreuungsquote von 90 % definiert, bereits übertroffen. Eine wichtige Maßnahme zur Stärkung der Kinderrechte war die Verankerung von Kindergrundrechten in der Bundesverfassung im Jahr 2011. Damit die Bedürfnisse von Kindern bei Trennungen und Scheidungen besser berücksichtigt werden, wurden im Berichtszeitraum die verpflichtende Beratung vor einvernehmlicher Scheidung und die Mediation als unterstützende Methode zur Konfliktlösung eingeführt. Um Familien in herausfordernden Situationen zu begleiten, wurden Unterstützungsan- gebote des Familienressorts, wie etwa die Elternbildung oder die Familienberatung, in den vergangenen Jahren aktuellen Erfordernissen angepasst und teilweise erweitert. Sonderförderungen ermöglichen nunmehr Familienberatung auch in barrierefreien Ein- richtungen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nach wie vor ein zentrales Anliegen der Gesell- schaft und damit auch der Familienpolitik. Partnerschaftlichkeit und Gleichberechtigung standen im Fokus der Vereinbarkeitspolitik der letzten Dekade. Zertifizierungsverfahren, Handbücher, Studien und Öffentlichkeitsarbeit haben die politischen Maßnahmen flan- kiert und die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit verbessert. Die wohl wichtigste Botschaft aus der aktuellen Forschung stimmt mich zuversichtlich: Die Bedeutung von Familie als wichtigster Lebensbereich nimmt für Jugendliche und junge Erwachsene weiter zu. Junge Menschen sehen neben den vielen positiven Seiten von Familie jedoch auch, dass Elternschaft mit Blick auf die finanziellen Notwendigkeiten und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hohe Anforderungen stellt. Das ist ein klarer Auftrag an die Familienpolitik, Maßnahmen zur Anerkennung von Familienleistungen und zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf konsequent fortzusetzen. Das ist aber auch ein Auftrag an die ganze Gesellschaft sowie die Wirtschafts- und Arbeitswelt. Denn unsere Familien haben die Zukunft, die wir ihnen gemeinsam geben. Ich danke allen beteiligten Wissenschafterinnen und Wissenschaftern für ihren Einsatz im Interesse unserer Familien und wünsche mit dem vorliegenden 6. Österreichischen Familienbericht eine interessante, zukunftsweisende Lektüre. MMag. Dr. Susanne Raab Bundesministerin für Frauen, Familie, Jugend und Integration Inhaltsverzeichnis Vorwort 3 I Einleitungsteil 9 1 Grundsätzliche Betrachtungen: Was kann, was soll Familienpolitik? 11 2 Demografische Entwicklung und ­derzeitiger Stand der Familienformen 65 II Familie aus der Lebenslaufperspektive 145 3 Familiäre ­Sozialisation und ­institutionalisierte Bildung 147 4 Erwachsen werden und erste Partnerschaften 199 5 Kinder: Wunsch und Wirklichkeit 243 6 Der Generationenzusammenhalt 281 III Normen, Rollenwandel und Vereinbarkeit 315 7 Geschlechts­­spezifische Rollen im Wandel 317 8 Das Spannungsfeld Arbeit und Familie 355 9 Arbeits­rechtliche Aspekte aus Familiensicht 407 IV Herausforderungen für Familien  449 10 Familiengerechte Wohn- und Lebenswelten  451 11 Familien und Medien  493 12 Familienleben mit beeinträchtigten, behinderten oder pflegebedürftigen Familienmitgliedern 533 13 Armutsgefährdung und soziale Ausgrenzung von Familien in Österreich 575 14 Gewalt in der Familie 621 15 Trennung, ­Scheidung und Auflösung von Partnerschaften 661 16 Migration und Integration 719 V Familienpolitische Maßnahmen  775 17 Familie und Recht 777 18 Familienpolitik in Europa 829 19 Verteilungs­wirkungen ­familienpolitischer ­Leistungen in ­Österreich 869 20 Kinderbildung und -betreuung 939 21 Familienpolitik für Österreich 991 22 Familienpolitische ­Maßnahmen der Länder 1045 23 Familienpolitik aus verhaltens­ökonomischer Sicht 1085 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1128 Appendix (Verweis auf den Online-Tabellenband) Fast alle Berichtsteile beinhalten zum besseren Verständnis und zur Veran- schaulichung von Inhalten Tabellen sowie Grafiken. Aus Kapazitätsgründen wurde die Anzahl der im Text dargestellten Tabellen und Grafiken begrenzt. Wenn es zu einzelnen Berichtsteilen Tabellen und Grafiken gibt, die nicht im Text dargestellt sind, können diese unter www.bundeskanzleramt.gv.at (6. Österreichischer Familienbericht) nachgelesen werden. Wir danken allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Österreichischen Instituts für Familienforschung (ÖIF) sowie den weiteren wissenschaftlichen Begutachterinnen und Begutachtern für ihre wertvollen Hinweise an die Auto- rinnen und Autoren. I Einleitungsteil 1 Grundsätzliche Betrachtungen: Was kann, was soll Familienpolitik? Michaela Gstrein 12 Abschnitt I Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung  15 2 Grundlegendes verstehen  16 3 Ziele der Familienpolitik  18 3.1 Zielsetzungen, Konflikte und Wandel  19 3.2 Wohlbefinden und der Zeit-Geld-Infrastruktur-Ansatz  21 3.3 Eine aktuelle Zielsystematik  24 3.4 Vereinbarkeit als life course approach  25 4 Österreichische Familienpolitik von 2009 bis 2019  27 4.1 Zielsetzungen im Familienbereich  27 4.2 Das Regierungsprogramm 2008 – 2013  30 4.3 Das Regierungsprogramm 2013 – 2018  33 4.4 Das Regierungsprogramm 2017 – 2022  35 5 FLAF als zentraler Koordinator bundesweiter Familienleistungen  37 5.1 Akteure, Zuständigkeiten und Grundsätze der österreichischen Familienpolitik  37 5.2 Entstehung und Zielsetzung des FLAF  41 5.3 Thematische Überschneidungen, Abgrenzung und Kernaufgaben des FLAF  44 5.4 Leistungen und Themen der Jahre 2009 – 2019  47 5.5 Familienleistungen in Österreich  52 6 Welche Ziele sind gut umgesetzt, wo besteht noch Handlungsbedarf?  54 7 Zusammenfassung  60 Abkürzungsverzeichnis  61 Literaturverzeichnis  61 Tabellenverzeichnis  63 Abbildungsverzeichnis  63 Beitrag 1 | Grundsätzliche Betrachtungen: Was kann, was soll Familienpolitik? 13 Autorin Michaela Gstrein WPZ – Wirtschaftspolitisches Zentrum, Wien Dr. Michaela Gstrein ist Wirtschafts- und Sozialwissenschafterin (Ökonomin) und er- fahrene Projektleiterin, aktuell bei WPZ Research in Wien. Als langjährige Mitarbeiterin angewandter Forschungsteams hat sie an vielen lokalen, internationalen und EU-For- schungsprojekten teilgenommen bzw. diese evaluiert. © Fotostudio Stefan Feiner 14 Abschnitt I 1 Einleitung Familienpolitik hat die Schaffung von adäquaten rechtlichen, sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen, Instrumenten und Maßnahmen zum Ziel, welche Familienentwick- lung nachhaltig fördern und ein annehmliches Familienleben ermöglichen. Dass soziale und ökonomische Entwicklungen, familiäre Trends und neue Bedürfnisse eine laufende Anpassung familienpolitischer Instrumente und Maßnahmen erfordern, ist unumstritten. Die ihnen übergeordneten Ziele spannen dabei einen großen Bogen, welcher längerfris- tig Gültigkeit behält und den Familien Orientierung bietet. Und nicht nur diesen, denn die Familienpolitik hat deutliche Überschneidungen mit vielen andere Politikbereichen, sodass sie einen nicht unwesentlichen Einfluss auf Gesellschaft und Alltagsleben – also uns alle – hat. Dieser Beitrag zum 6. Familienbericht liefert eine einleitende Übersicht und grundsätz- liche Betrachtung der österreichischen Familienpolitik. Details zu allen familienpolitischen Themen der betrachteten Periode finden sich dann in den Folgekapiteln des Berichts. Hier sollen die Grundsätze, Ziele und Möglichkeiten der Familienpolitik aufgezeigt werden. Basierend auf der Darstellung historischer Ziele, ihrer Entwicklung, familiärer Bedürfnisse und in Abgrenzung zu anderen Politikbereichen wird eine aktuelle Systematik der Familienpolitik eingeführt. Dann werden die im Betrachtungszeitraum 2009 bis 2019 in Österreich verfolgten Ziele dargestellt. Ihre Umsetzung erfolgt über verschiedene Träger, Instrumente und Maßnahmen, und den Familienlastenausgleichsfonds (FLAF), als bundesweit zentralen Fonds für die Familienpolitik. Nach einem kurzen Abriss der aktuellen Themen, Zielgruppen, Förderungen und Leistungen im Familienbereich erfolgt eine abschließende Diskussion und Bewertung der letzten Dekade (2009 – 2019): Was ist gut abgedeckt, und wo besteht mittelfristig noch Reformbedarf? Im Fokus des Beitrags stehen daher die folgenden vier Fragen: Welche Ziele verfolgt die heutige Familienpolitik? Welche Zielsetzung hatte die österreichische Familienpolitik im Zeitraum 2009 – 2019? Wie werden diese familienpolitischen Ziele in Österreich umgesetzt? Welche Bereiche sind aktuell gut abgedeckt und wo besteht noch ­Handlungsbedarf? Beitrag 1 | Grundsätzliche Betrachtungen: Was kann, was soll Familienpolitik? 15 2 Grundlegendes verstehen Als Einstieg in die Materie macht es Sinn, einige Begriffe und die Ausgangssituation in Österreich kurz zu erläutern, bevor die obigen vier Fragen detaillierter aufgegriffen werden. Deklarierte Zielsetzung der Familienpolitik in Österreich ist die Unterstützung und Förderung von Familien (BKA 2019a). Die aktuell gesetzten Maßnahmen und Aktivitäten sind vielfältig und versuchen familiäre Bedürfnisse und staatliche Zielsetzungen innerhalb der rechtlichen, sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen sowie vorhandener Budgets in Einklang zu bringen.1 Außerdem gilt es, Instrumente, Maßnahmen sowie den notwendigen Rechtsrahmen laufend an die sich ändernden Bedürfnisse der Familien anzupassen. Familienpolitik ist dabei eindeutig eine Querschnittsmaterie (BKA 2019a) und hat – weil Familien im Regelfall Personen aller Altersgruppen, mit unterschiedlichen Agenden und in verschiedenen Lebenssituationen umfassen – deutliche Berührungspunkte mit anderen Politikfeldern, u. a. mit der Sozialpolitik, Gesundheitspolitik, Bildungs- und Steuerpolitik, Bevölkerungspolitik, Gender-, Frauen-, Männer- und Kinderrechtepolitik und insbesondere auch Arbeitsmarktpolitik. Die österreichische Familienpolitik zielt seit jeher – vom Gedanken eines Wohlfahrts- staates geleitet – vorrangig auf die Verbesserung der Lebensumstände von Familien und Absicherung der Versorgung der Kinder ab. Die im Jahr 1955 erstmals mit einer Familien- beihilfe für alle eingeführten Familienleistungen wurden dabei im Laufe der Zeit an die erweiterte Zielsetzung der Familienpolitik angepasst. Auch wenn die familienpolitischen Ziele heute viel mehr umfassen als die ursprünglich zentrale Armutsvermeidung, ist die grundsätzliche Ausrichtung auf finanzielle Unterstützung und Entlastung von Familien aber ein wesentliches Kernelement der österreichischen Politik geblieben (Gstrein et al. 2011). Die Unterstützung von Familien wird heute sowohl durch finanzielle Leistungen (Geld- leistungen) als auch die Bereitstellung materieller Infrastruktur (Sachleistungen) umgesetzt. Zusätzlich geht es um die Schaffung relevanter rechtlicher und gesellschaft- licher Rahmenbedingungen, und in den letzten Jahren wurden auch die steuerlichen Förderungen im Familienbereich in Österreich mehr ausgebaut. 1 Vgl. Beitrag 21. 16 Abschnitt I Die Ziele der Familienpolitik sind heute vielfältig. Neben der anfänglich klar im Zentrum stehenden Absicherung der materiellen Lebensverhältnisse von Eltern und minderjährigen Kindern sowie der Beeinflussung der Kinderzahl (BMWFJ 2009, S. 821 f.) geht es heute vorrangig um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, eine höhere weibliche Erwerbs- beteiligung, die Gleichstellung der Geschlechter, partnerschaftliche Ansätze in der Familienarbeit, gute Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, den Schutz vor Gewalt und adäquate soziale Teilhabe und familiäres Wohlbefinden. Zuletzt ist das Kindeswohl deutlich ins Zentrum der Politik gerückt. Im Laufe der Zeit kamen also eine Vielzahl an familienrelevanten Zielen und Unterstützungen dazu, sodass sich das Feld der Familien- politik über die Jahre deutlich erweitert, aber auch schwerpunktmäßig gewandelt hat. Dabei trägt die Familienpolitik zunehmend auch der Erkenntnis Rechnung, dass Familien- formen und die Bedürfnisse von Familien in einer pluralistischen Gesellschaft heute genauso unterschiedlich sind wie ihre Lebensentwürfe, Anliegen und Alltagsprobleme. Daraus entstehen auch unterschiedlicher Bedarf und neue Erwartungen an Unter- stützung durch den Staat (BKA 2019a). Auch wenn viele übergeordnete Ziele nach wie vor unverändert Geltung haben, wird es heute als Aufgabe staatlicher Familienpolitik gesehen, die verschiedenen Instrumente und Maßnahmen ausreichend flexibel zu ge- stalten, sodass die vielfältigen Formen des Familienlebens ausreichend unterstützt und gefördert werden können. Familienleistungen werden in Österreich von Bund, Ländern und Gemeinden erbracht, sodass Familien neben den staatlichen Leistungen abhängig von ihrem Wohnsitz auch zusätzliche Geld- und Sachleistungen der Bundesländer und Gemeinden erhalten bzw. beantragen können.2 Zielsetzungen, Maßnahmen und Förderungen auf diesen drei Ebenen können dabei unterschiedlich ausfallen, gewünschte Effekte verstärken oder ergänzen, oder lokal erkannte Lücken füllen. Zentraler Fonds für die Familienpolitik und bundesweit für die Administration zuständige Verwaltungseinheit ist der Familienlastenausgleichs- fonds (FLAF), welcher als zentraler Finanzierungstopf die bundesstaatlichen Geld- und Leistungsflüsse an Familien umsetzt. Die landes- und gemeindeseitigen Förderungen werden von den relevanten Bereichen und Stellen in den Ämtern der Landesregierungen bzw. den Gemeindeämtern abgewickelt. Familienpolitik betrifft viele Lebensbereiche. In Abgrenzung zu anderen Politikbereichen aber auch innerhalb des Spektrums familienpolitischer Zielsetzungen kommt es daher häufig zu inhaltlichen Überschneidungen, welche Zielkonflikte auslösen. Im politischen Aushandlungsprozess ist es daher notwendig, Ziele klar und transparent zu formulieren und hierarchisch eindeutig zu verorten. So ist bei konfligierenden Zielsetzungen klar, was vorrangig angestrebt werden soll. Ist z. B. das Ziel Kindeswohl jenem der stärkeren Einbindung der Eltern in den Erwerbsprozess vorzuziehen? Soll die Flexibilisierung der 2 Vgl. Beitrag 22. Beitrag 1 | Grundsätzliche Betrachtungen: Was kann, was soll Familienpolitik? 17 Arbeitszeit einer besseren familiären Zeitgestaltung oder vorrangig dem unternehmeri- schen Produktionsprozess dienen? Auch den Vorstellungen der Familien soll Rechnung getragen werden. Die Familienpolitik ist daher bemüht, Instrumente und Maßnahmen innerhalb der vorgegebenen Ziele best- möglich an familiäre Bedürfnisse und individuelle Lebenssituationen anzupassen. Dabei spielt im Betrachtungszeitraum neben der verstärkten Einbeziehung der Väter und der besonderen Berücksichtigung des Kindeswohls auch die Gewährleistung von Wahlfrei- heit für Eltern in Zeitverteilung bzgl. Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit sowie eine mehr an individuellen Situationen orientierte Leistungsgestaltung eine wichtige Rolle (Gstrein et al. 2011, S. 7). 3 Ziele der Familienpolitik Grundsätzlich geht es in der heutigen Familienpolitik in Westeuropa darum, Familien bestmöglich in ihren Aktivitäten zu unterstützen und finanziell so weit abzusichern, dass sie gut leben können. Familienpolitik umfasst dabei ein ganzes Bündel an Zielen, Instrumenten und Maßnahmen, mit denen der Staat regelnd und gestaltend eingreift, um die Rahmenbedingungen für Familien zu verbessern oder diese in ihrem konkreten Tun zu unterstützen. All diese Aktivitäten erfolgen im Rahmen gesamtstaatlicher Ziel- setzungen. Auch nichtstaatliche Akteurinnen und Akteure können Maßnahmen im Bereich der Familienförderung (Familienpolitik im weiteren Sinn) setzen, z. B. Unternehmen, wenn sie flexiblere Arbeitszeitmodelle anbieten, Eltern unterstützen oder Kinderbetreuung bereitstellen. Vor dem Hintergrund der Vielfalt an Agenden, Zuständigkeiten und potenziellen Über- schneidungsmaterien stellen sich folgende Fragen: Was kann und soll Familienpolitik heute leisten? Was soll bzw. könnte ihr zentraler Fokus sein und wo soll bzw. muss eine Ab- und Eingrenzung zu privaten Agenden bzw. anderen Politikbereichen erfolgen? Weiters ist es ganz wesentlich zu klären, wie eine solche Kooperation mit anderen Politikbereichen erfolgen kann und soll. Dabei geht es darum, festzulegen, inwieweit Familienpolitik als koordinierender Politikbereich, der aufgrund seiner Querschnitts- kompetenz andere Politikbereiche aktiv verbindet, zentral verortet wird. Die 2018 durch- geführte Verlegung der Familienpolitik als Kanzleramtsministerium ins BKA bestätigte zwischenzeitlich die zweite Sichtweise, also die doch zentrale Bedeutung der Materie. 18 Abschnitt I 3.1 Zielsetzungen, Konflikte und Wandel Welche Ziele verfolgt Familienpolitik? Im Vergleich der Länder, Kontinente, Regime und Epochen zeigt sich, dass Familienpolitik unterschiedliche Ziele hat. So findet z. B. Kauf- mann (2002, in: Bujard 2016, S. 5) in einer historisch breit angelegten internationalen Analyse acht verschiedene Ziele der Familienpolitik. Einige davon adressieren die Bedürf- nisse von Eltern oder Kindern, während andere Familien vorrangig für gesellschaftliche oder wirtschaftliche Zwecke instrumentalisieren. Die wichtigsten Ziele sind dabei: die Erhöhung der Geburtenrate die Institution Familie als Wert schützen eugenische Ziele (also die Einflussnahme auf Erbanlagen) wirtschaftliche Ziele (Humankapital ausbilden, Arbeitskräfte bereitstellen) gesellschaftliche Ziele (Sicherung von Familie als Träger der Gesellschaft) sozialpolitische Ziele (Armutsreduzierung, Lastenausgleich) frauenpolitische Ziele (Gleichstellung, Absicherung, Teilhabe) kindliches Wohlbefinden. Die Ziele der Familienpolitik sind von der jeweiligen Ausgangslage und gesamtstaatlichen Ausrichtung abhängig und verändern sich im Laufe der Zeit. So wurden im politischen Diskurs der jüngeren Zeit viele zentrale Elemente bisheriger Familienpolitik in Frage ge- stellt (Ribhegge 1997). Die Zielgruppe der Familienpolitik hat sich von Kernfamilie und Ehe schrittweise zu vielfältigen Arten des Zusammenlebens verschoben und es gilt vielmehr ein auf Kinder zentriertes Konzept, z. B.: Familie ist, wo Kinder sind (BMFSFJ 2017, S. 13). Der Fokus auf Familie als rein reproduktive Einheit wurde um Bildung, Humankapital und Gleichstellung ergänzt. Mit der fortschreitenden Bevölkerungsalterung in Europa rückten sowohl die Geburtenraten (zur Stützung des Pensionssystems) als auch die weibliche Erwerbstätigkeit (Arbeitskräfte) wieder mehr ins Zentrum öffentlicher Auf- merksamkeit, wie auch die Frage nach passenden Instrumenten zur Erreichung dieser Ziele. Und letztlich bleibt auch zu entscheiden, inwieweit der Staat (paternalistisch) in familiale Entscheidungsprozesse eingreifen oder relativ autonome Familien durch ge- eignete Einrichtungen und ein passendes Umfeld in ihrem Alltag und der Erfüllung ihrer Funktionen unterstützen soll. Familienpolitik ist dabei eine zentrale staatliche Aufgabe und ein mächtiges Instrument, vielfältige Lebensbereiche der Gesellschaft und Menschen in umfassender Form anzu- sprechen. Über ihre Botschaften und Steuerungsinstrumente kann die Familienpolitik in die Gestaltung von Gesellschaft und Alltag eingreifen und Akzente setzen. Wie Mazal (2012, S. 161) treffend formuliert, läuft die Familienpolitik damit aber auch Gefahr, ideologisches Spielfeld unterschiedlicher Interessen zu werden. Als breitenwirksames Sprachrohr sollte sie inhaltlich gut strukturiert, kontrolliert und genützt werden. Es gilt nämlich Folgendes: Beitrag 1 | Grundsätzliche Betrachtungen: Was kann, was soll Familienpolitik? 19 „Familie eignet sich als Projektionsfläche politischer Kommunikation, weil der Begriff grundsätzlich positiv geprägt ist und die von ihm apostrophierte Lebensform omnipräsent und so vielfältig ist, dass im Familienbegriff die gesamte Gesellschaft adressiert werden kann. Dies erweckt den Eindruck, dass Familienpolitik allgegenwärtig ist, trägt aber auch die Gefahr in sich, dass hinter dem Oszillieren des Begriffs Familienpolitik als solche nicht transparent wird oder dass hinter dem Begriff Familienpolitik andere Zielsetzungen transportiert werden […], die ohne die sympathische Verpackung nicht oder mit der sympathischen Verpackung leichter transportabel sind. Gilt Familienpolitik vielleicht sogar deswegen als Schauplatz ideologischer Auseinandersetzungen, weil man mit diesem Topos andere Politikfelder gleichsam „über die Bande“ erreichen kann?“ Familienpolitik ist also ein politisch besetztes Feld mit vielen Akteurinnen und Akteuren sowie inhaltlichen Überschneidungen zu anderen Politikbereichen. Familien sind heute weit weniger homogen als früher und haben als oft nur temporäre Gruppen von Individuen unterschiedliche Bedürfnisse und Ziele. Die Familienpolitik sollte daher zielmäßig eine klare Linie vorgeben, in Umsetzung und Ausführung aber flexibel bleiben. Wie Bujard (2014, 2016) in die Zielsetzung der (deutschen) Familienpolitik analysierenden Beiträgen feststellt, fehlt aber häufig eine klare Zielstruktur und konsistente Ausrich- tung der Familienpolitik. Es gibt offensichtlich „keinen einheitlichen Zielkanon der Familienpolitik“ (Bujard 2016, S. 2). Dabei wären eine klare Systematik und Hierarchie familienpolitischer Zielsetzungen wichtige Voraussetzungen für die politische Durch- setzbarkeit von familienpolitischen Zielen und Reformen wie auch für eine transparente Diskussion und Kommunikation der angestrebten Zielsetzung selbst. Bujard nennt dabei vier strukturellen Gründe für das Fehlen eines einheitlichen Zielkanons, und zwar: den Wandel der Familienstrukturen, der Zielgruppen, Bedürfnisse und Ziele verändert. So wurden Ehe und Einverdienermodell (Mann verdient Geld, Frau ist für Haushalt und Kinder zuständig) von einer Vielfalt an Familienformen abgelöst, in denen es nur einen Elternteil gibt oder sich beide Eltern Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung teilen. Die Themen Gleichstellung und Vereinbarkeit haben damit mehr kernfamilienzentrierte Ziele abgelöst. Politische Interessen: Unterschiedliche Vorstellungen und Interessen resultieren in anderen Zielsetzungen, wie es bei Familien- und Arbeitgeberverbänden deut- lich wird. Zusätzlich haben neue Ziele die Familienpolitik deutlich aufgewertet. Es geht heute um Frauenerwerbstätigkeit, den Ausbau von Kinderbetreuung und Elementarbildung, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, geschlecht- liche Gleichstellung und einen Wohlfahrtsstaat, der Investitionen in Kinder in den Mittelpunkt stellt. Schnittmengen zu anderen Politikfeldern: Als Querschnittsmaterie hat die Familienpolitik Überschneidungen mit vielen anderen Politikfeldern, besteht also Zuständigkeit in mehreren Ressorts. Welche Ziele schlussendlich definiert und 20 Abschnitt I kommuniziert werden, hängt daher auch von der Zusammenarbeit dieser Stellen und der allgemeinen Ausrichtung der Politik zum relevanten Beschlusszeitpunkt ab. Allgemeine vs. konkrete Ziele: Unterschiedliche Abstraktionsniveaus bei Zielset- zungen erschweren oder verhindern konsistente Zieldefinitionen wie auch einheit- liche Messgrößen für die Zielerreichung. Damit fehlt ein gemeinsames Verständnis, was genau erreicht werden soll. Zusätzlich sind aufgrund der heute in der Familienpolitik angestrebten Zielvielfalt Inter- essens- und Zielkonflikte nicht unwahrscheinlich, und zwar nicht nur zwischen unter- schiedlichen Politikfeldern, sondern auch innerhalb der Familienpolitik selbst. Nicht alle Ziele der Familienpolitik sind kompatibel bzw. können immer zeitgleich erreicht werden, z. B. hohe Erwerbstätigkeit bei gleichzeitiger Übernahme aller Betreuungs- und Pflege- agenden. Häufig geht es also eher darum, mehrere konfligierende Ziele in definiertem Ausmaß zu erreichen, und es ist Aufgabe der Familienpolitik, einen für alle tragbaren Konsens herzustellen sowie passende Unterstützung bereitzustellen. Klare Zieldefinitionen und Zielhierarchien können da helfen: Soll vor allem die Erwerbs- tätigkeit von Müttern gefördert werden, oder geht es vorrangig um mehr Zeit für Familien? Ist eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf das zentrale Thema, oder geht es mehr um die Vermeidung von Armut oder die finanzielle Absicherung von Frauen? Sollen vorrangig Geburtenraten erhöht werden oder steht die Gleichberechtigung von Frauen und Männern im Vordergrund? Auch wenn sich Zielformulierungen auf den ersten Blick oft nur leicht unterscheiden, kann ihre Wirkung für Familien eine markant andere sein. 3.2 Wohlbefinden und der Zeit-Geld-Infrastruktur-Ansatz Auch in der Wissenschaft werden Ziele und Systematiken der Familienpolitik diskutiert. Dabei waren im Betrachtungszeitraum insbesondere das kindliche Wohlbefinden, der Zeit-Geld-Infrastruktur-Ansatz und ein auf Lebensqualität, aber auch wirtschaftliche und gesellschaftliche Interessen abstellender Ansatz im Fokus. Die am sozialwissenschaftlichen Modell des kindlichen Wohlbefindens (Bradshaw, 2006 in Bertram et al. 2012, S. 205) orientierten Ansätzen sehen die heutige Familienpolitik bestrebt, sowohl die Bedürfnisse von Kindern abzudecken als auch Familien in finanzieller, sozialer und integrativer Weise bestmöglich zu unterstützen (Bertram et al. 2012. S. 209 f.). Im Mittelpunkt der so systematisierten Familienpolitik stehen die folgenden sechs Dimensionen von Wohlbefinden, wobei der ursprünglich nur auf die Darstellung kind- lichen Wohlbefindens abstellende Ansatz von Bradshaw (2006) von Bertram und Spieß (2011) in analoger Weise um die Dimensionen elterlichen Wohlbefindens ergänzt wurde. Dabei besteht in vielen Feldern Deckung. Die spezifisch auf Kinder (K) oder Erwachsene Beitrag 1 | Grundsätzliche Betrachtungen: Was kann, was soll Familienpolitik? 21 (E) abstellenden Dimensionen sind in der hier kombinierten thematischen Liste gekenn- zeichnet. Es geht um materielle Absicherung / materielles Wohlbefinden Gesundheit und Sicherheit Bildung Beziehungen zu Gleichaltrigen (K), dem sozialen Umfeld (E) und zur Familie Verhalten und Risken (K) familienpolitische Entwicklungen und Erwerbstätigkeit (E) sowie das subjektive Wohlbefinden aller Familienmitglieder. Alle diese Dimensionen lassen sich auch gut im Zeit-Geld-Infrastruktur-Ansatz von Bertram und Bujard (2012) verorten. Die Familienpolitik versucht dabei, familiäres Wohlbefinden über das Ermöglichen von mehr Zeit für die Familien, über finanzielle Zu- wendungen oder Entlastungen und über die effiziente Bereitstellung familienrelevanter Infrastruktur zu erreichen. Dies sind drei wichtige Zielsetzungen im Familienbereich, denen zur Realisierung konkrete Subziele und Maßnahmen zugeordnet werden müssen. Diese umfassen typischerweise familiäre Zeitangebote rund um die Geburt, für Kinder- betreuung oder Pflege (z. B. Karenz, Elternteilzeit, Papamonat), finanzielle Förderungen und Leistungen (z. B. Kinderbetreuungsgeld, einkommensabhängige und steuerliche Förderungen) sowie Angebote und Sachleistungen für Familien (z. B. Kinderbetreuung, Spielgruppen, Wohnen, Bildung). Einer Mehrzahl an Maßnahmen im Bereich Geld stehen dabei im deutschsprachigen Raum vergleichsweise weniger Maßnahmen im Bereich Zeit und Infrastruktur gegenüber (Bertram et al. 2012, S. 252 f.). Der kombinierte Ansatz – der Übersichtlichkeit halber nur auf das kindliche Wohl- befinden bezogen – zeigt also den Handlungsspielraum der Familienpolitik auf. Je nach staatlicher Ausrichtung, politischem Willen und budgetärer Ausstattung können alle oder nur einige der Handlungsfelder bespielt werden. Dabei ist auch die Wirkung der so gesetzten Maßnahmen unterschiedlich: Manchmal wirkt eine Maßnahme gleichzeitig auf mehrere Dimensionen des kindlichen bzw. elterlichen Wohlbefindens, während andere hingegen auf nur eine spezifische Dimension abzielen. Oft wird auch erst mit einer Kombination aller drei Handlungsfelder die angestrebte Zielsetzung umfassend erreicht. Jedenfalls aber tragen alle der hier angeführten familienpolitischen Ansatzpunkte und Maßnahmen dazu bei, Familien zu ermächtigen, zu fördern und zu entlasten, Familien- leistungen anzuerkennen und Familien zu unterstützen. Hinsichtlich des elterlichen Wohlbefindens (Bertram et al. 2012, S. 210) ergeben sich der abgebildeten Systematik folgend analoge Handlungsfelder. Neben den die Eltern unterstützenden und entlastenden kinderzentrierten Angeboten, Leistungen und Trans- fers wird dabei insbesondere die Unterstützung bei Pflegeleistungen, Hilfe bei der Jobsuche, Teilzeit, Mitversicherung, Gesundheitsversorgung, Wohnen, Bildungsangebote, 22 Abschnitt I Versorgung und Absicherung angesprochen. Einige Angebote im Bereich Verhalten und Risiken, wie z. B. die Schuldnerberatung, bieten aus elterlicher Sicht noch weitreichendere Hilfe und Unterstützung. Gleichzeitig ist aber auch zu sehen, dass einige der Handlungsfelder bzw. Maßnah- men weit über das hinausgehen, was unter klassischer Familienpolitik (Kernaufgaben) verstanden wird und die Bereiche Gesundheit, Arbeitsmarkt, Verkehr, Wohnung oder Bildung betreffen. Tabelle 1: Familienpolitische Handlungsfelder und Maßnahmen zur Sicherstellung kind- lichen Wohlbefindens in der Zeit-Geld-Infrastruktur-Trias nach Bertram et al. (2012) Zeit Geld Infrastruktur materielles Karenz, Elternkarenz, Transfers für Kinder, sozialer Wohnbau Wohlbefinden Kündigungsschutz Unterhaltsvorschuss Gesundheit und Pflegefreistellung, kostenlose Hebammen, Impfungen, Sicherheit KV-Leistungen Mitversicherung Eltern-Kind-Zentren, KV-Leistungen, Mutter- Kind-Pass, Wohnumfeld, Verkehrsplanung Bildung Karenz, Elternkarenz, Zuschüsse, Freibe- Krippe, KG, Ganztags- Bildungskarenz träge, Bildungsleis- schule, Qualität tungen Beziehungen zu Karenz, Teilzeit, Transfers für Pflege Krippe, KG, Ganztags- Gleichaltrigen Urlaub schule, Familienzentren und Familie Verhalten und – – z. B. Nichtraucher- Risiken schutz, Aufklärung, Prävention; Schuldner- beratung subjektives allgemeine/bereichsspezifische Lebenszufriedenheit Wohlbefinden Quelle: vereinfachte Darstellung basierend auf Bertram et al. (2012, S. 209 f.), Tabelle 1 zu Matrix des kindlichen und elterlichen Wohlbefindens und familienpolitischer Maßnahmen, angepasst an den österreichischen Kontext. Abkürzungen: KG (Kindergarten), KV (Krankenversicherung). Die abgebildete Systematik ist jedenfalls als dynamisches Konzept zu verstehen, da sich im Zeitverlauf, insbesondere mit dem Alter des jüngsten Kindes, Veränderungen in den Wohlbefinden-Dimensionen und der relevanten Wirkung von Familienpolitik ergeben. In allen Lebensphasen sind jedenfalls auch Zeiträume für unterschiedliche Formen der Teilhabe an verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen zu schaffen (Bert- ram et al. 2012, S. 211), um die zunehmend erforderliche Flexibilität im Lebensverlauf sicherzustellen. Beitrag 1 | Grundsätzliche Betrachtungen: Was kann, was soll Familienpolitik? 23 3.3 Eine aktuelle Zielsystematik Die folgende Tabelle von Bujard (2014) greift die oben dargestellten Konzepte auf und bietet damit eine umfassende Systematik familienpolitischer Ziele. Sie gruppiert alle aktuell relevanten Ziele der Familienpolitik nach Abstraktionsniveau – in allgemeine Ziele, wichtige Prinzipien und konkrete Ziele – und ordnet sie bestimmten Adressatengruppen zu, also Personengruppen, die davon profitieren. Dabei manifestiert sich Lebensqualität als oberstes, allgemeines Ziel, das es zu sichern und zu fördern gilt. Lebensqualität bezieht sich dabei auf das Wohlbefinden von Eltern und Kindern und beruht (nach einem von Schneider et al. 2013 entworfenen Konzept) auf wirtschaft- licher Stabilität, Chancengleichheit und Wahlfreiheit. Diese drei Voraussetzungen sind durch politisches Handeln herzustellen, wenn Lebensqualität für Familien, aber auch die angestrebten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ziele erreicht werden sollen. Im Sinne der Chancengleichheit müssen alle Kinder gleiche Lebenschancen haben. Damit dies unabhängig von sozialer Herkunft, Abstammung, Geschlecht oder Lebensform gilt, sind für bestimmte Bevölkerungsgruppen spezifische Maßnahmen erforderlich. Wahl- freiheit für Eltern hingegen setzt die Beseitigung von Strukturen voraus, welche eine solche einschränken, bzw. müssen Strukturen und Einrichtungen bereitgestellt werden, die eine solche ermöglichen. Auch Fertilität spielt in dieser Systematik eine Rolle: Sie wird als eine die Lebensqualität bereichernde Option gesehen, welche ermöglicht und unterstützt werden sollte. Wichtige Prinzipien für Kinder sind dabei Chancengleichheit, Schutz und Förderung, welche über konkrete Teilziele und die ihnen zugeordneten Indikatoren messbar wer- den. Teilziele im Bereich Kindeswohl sind materielle Sicherung, gemeinsame Zeit in der Familie, Bildung, Gesundheit, weniger riskante Verhaltensmuster und ein kindgerechtes Wohnumfeld. Für Eltern finden sich ähnliche Ziele. Altersbedingt gibt es hier einen zusätzlichen Fokus auf Arbeitsmarkt, Kinderwunsch und Erziehungskompetenz sowie Prioritäten im Bereich Vereinbarkeit, Teilhabe, (der schon oben erwähnten) Wahlfreiheit und Lastenausgleich. Zielüberschneidungen mit Kindern ergeben sich aus gleichen Be- dürfnissen sowie der gegenseitigen Beeinflussung von Wohlbefinden. Im Bereich Wirtschaft und Gesellschaft werden die zuvor diskutierten allgemeinen staatlichen Ziele genannt. 24 Abschnitt I Tabelle 2: Ziele, Prinzipien und Adressatinnen und Adressaten von Familienpolitik Kinder Eltern Wirtschaft und Gesellschaft Allgemeine Wohlbefinden Kinder Wohlbefinden Eltern Humankapital Gleichstellung Ziele Wichtige Chancengleichheit Partnerschaftlichkeit Partnerschaftlichkeit Prinzipien Schutz Vereinbarkeit Beruf / Familie Nachhaltigkeit Förderung Wahlfreiheit Reproduktionsfunktion von Lastenausgleich Familie anerkennen Teilhabe Konkrete Ziele Materielle Sicherung (Haus- Materielle Sicherung (Haushalts- Geburten erhöhen (Geburten- (mit Beispiel­ haltseinkommen) einkommen) rate) indikatoren) Zeit mit Eltern und Geschwis- Zeit mit Kindern M / F; Netzwerk Müttererwerbstätigkeit tern (Zeitbudgetdaten) (Zeitbudgetdaten) erhöhen (Erwerbsquote und Bildung (Lesekompetenz) Inklusion Arbeitsmarkt M / F Arbeitsstunden) Gesundheit (Säuglingssterb- (Erwerbsquote) Bildung von Kindern lichkeit) Gesundheit (Lesekompetenz) Risikoaverses Verhalten (Burnout-Prävalenz) Familien stärken (Anteil Paare, (Anteil Rauchende) Erziehungskompetenz Alleinerziehende) Kindgerechtes Wohnumfeld (Vorlesezeit) Gleichstellung (Väterquote bei (Nähe Spielplatz) Kinderwunsch erfüllt Elternkarenz / KBG) (Anteil ungewollte Kinderlosigkeit) Quelle: Bujard (2014, Abb. 3). M / F steht für Männer / Frauen. Anmerkung: In Abweichung zu Bujard wurde „Ehe stärken“ auf „Familien stärken“ geändert und die relevanten Indikatoren (Beispiele) angepasst. 3.4 Vereinbarkeit als life course approach Hinsichtlich potenziell konfligierender Zielsetzungen im Familienbereich orientiert sich die Familienpolitik auch an einem Lebenslaufansatz (life course approach), welcher den Familien neben der bislang angestrebten Vereinbarkeit von Familie und Beruf3 eine abwechselnde Kombination von Phasen der Erwerbstätigkeit und reiner Familienarbeit ermöglichen soll. Der Ansatz richtet sich an beide Elternteile. Statt auf Gleichzeitigkeit wird vermehrt auf eine sequenzielle Abfolge von familienrelevanten Tätigkeiten abgestellt (Bertram et al. 2012, S. 208), eine Aufteilung, die möglichweise auch mehr den neuen Beschäftigungsverläufen und Erwerbskarrieren am Arbeitsmarkt entspricht. Die Familienpolitik stellt dabei passende Unterstützung im Lebensverlauf bereit, sodass eine Kombination der unterschiedlichen Tätigkeiten im Zeitverlauf gelingen kann. Damit sollen nicht nur neue Erwerbsverläufe, sondern auch zeitlich unterschiedlich gelagerte Präferenzen und Bedürfnisse von Familien besser abgedeckt werden. Der Life-Course- Argumentation folgend, soll hier auch noch auf die Umkehr der Pflegearbeit von Kindern 3 Vgl. Beitrag 8. Beitrag 1 | Grundsätzliche Betrachtungen: Was kann, was soll Familienpolitik? 25 zu Eltern bzw. pflegebedürftigen Familienangehörigen hingewiesen werden. Diese in den letzten Jahren in den Fokus der Politik gerückte Thematik gewinnt mit zunehmender Bevölkerungsalterung weiter an Gewicht und harrt einer passenden Regelung. Begründet wird die neue Lebenslaufpolitik nicht zuletzt mit einer fortschreitenden Destandardisierung von Lebensverläufen, die sowohl Frauen als auch Männer betrifft (Kirchner 2008). Denn obwohl sich die Lebensverläufe der Geschlechter immer noch grundlegend unterscheiden, werden die am typischen männlichen Lebensverlauf des 20. Jahrhunderts orientierten Vorstellungen von „Normalbiografie“ zunehmend obsolet: Das ursprünglich lineare Muster von Kindheit, Schule / Ausbildung, Erwerbsleben und folgender Pension scheint deutlich instabiler und Verläufe variabler. Dies hat Auswirkungen auf das Familienleben. Unterbrechungen des Erwerbslebens sowie zeitweilige Arbeitszeitreduktionen werden häufiger. Waren reproduktionsbedingt zuvor meist nur Frauen von solchen atypischen Verläufen betroffen, sind heute auch immer mehr Männer damit konfrontiert. Es bleibt abzuwarten, ob sich Lebensläufe generell ohne klare Muster ausdifferenzieren oder neue, flexiblere Normalarbeitsverhält- nisse entstehen, in welchen sich Zeiten der Erwerbstätigkeit mit sozial abgesicherten Phasen der Weiterbildung, Reproduktionsarbeit und Pflege abwechseln (Kirchner 2008). Ob dabei neoliberale Deregulierungstendenzen (also eine Rücknahme sozialstaatlicher Intervention) oder nach individuellen Präferenzen unterschiedliche Nutzungsmöglich- keiten institutioneller Angebote dominieren werden, wird sich ebenfalls erst zeigen. Die neue Politik soll den Familien also einerseits die gewünschte Flexibilität garantieren und andererseits Familienzeit ermöglichen, bei welcher sich Eltern auf Unterstützung verlassen können. Regionale und kulturelle Unterschiede und Vielfalt sowie geänderte und neue Risiken machen weiters eine grundlegende Differenziertheit, aber auch Passge- nauigkeit familienpolitischer Instrumente, Maßnahmen und Leistungen notwendig (Stock et al. 2012, S. 414 f.). Dies ist Aufgabe der Familienpolitik, welche auf allen Ebenen und in Zusammenarbeit mit anderen Ressorts und Gebietskörperschaften bewältigt werden muss. Weitere Informationen dazu finden sich in den untenstehenden Ausführungen zum FLAF sowie insbesondere in den Beiträgen 19, 21 und 22. 26 Abschnitt I 4 Österreichische Familien- politik von 2009 bis 2019 Welche Rolle spielen familienpolitische Ziele und wie sollen sie gestaltet sein? In einem Artikel mit dem Titel „Ziele, Strategien und Handlungsebenen einer nachhaltigen Fami- lienpolitik“ weisen Schneider et al. (2013) ungefähr zu Mitte der betrachteten Periode auf die Wichtigkeit klarer Zieldefinitionen und Zielhierarchien in der Familienpolitik hin. Betont wird dies vor dem Hintergrund des beobachteten Wandels der (deutschen) Familienpolitik und der Heterogenität ihrer Akteure, die Autoren plädieren für eine ein- deutige, klar kommunizierte Ausrichtung der Familienpolitik – eine sogenannte „große Erzählung“. Diese soll medial transportiert nicht nur die Handlungsziele der Politik transparent machen, sondern auch der Gesellschaft Orientierung bieten. Außerdem soll sie die verschiedenen politischen Ebenen sowie die Akteurinnen und Akteure zu Konsistenz und zielorientierter Zusammenarbeit anhalten, sodass die angestrebten Ziele bestmöglich erreicht werden. Familienpolitik soll dabei insgesamt noch besser an die (neue/n) Familienrealität/en angepasst werden. Auch in Österreich haben sich in den letzten Jahrzehnten die Anforderungen an die Fa- milienpolitik geändert und ist gleichzeitig die Familienpolitik immer wieder angepasst und weiterentwickelt worden. Dies trifft auch auf die betrachteten Jahre zu. Mit geänderten Herausforderungen wurden und werden auch weiterhin Neuausrichtungen und Reformen notwendig. Eine umfassende familienpolitische Strategie mit „einer klaren Definition von Zielen sowie einer Zielhierarchie, die Lebensqualität der Familien und Kindeswohl stärker als bisher in den Mittelpunkt stellt, aber auch die Geburtenentwicklung berücksichtigt“ (Schneider et al. 2013, S. 2) kann dabei die nachhaltige Entwicklung der österreichischen Familienpolitik unterstützen. Was war die „große Erzählung“ der österreichischen Familienpolitik, und welche über- und untergeordneten Ziele wurden im Betrachtungszeitraum 2009 – 2019 verfolgt? 4.1 Zielsetzungen im Familienbereich In Österreich ist die Kompetenz im Familienbereich zwischen Bund und Ländern geteilt, wobei die Artikel-15a-Vereinbarung Bund und Ländern unterschiedliche Handlungsberei- che und -ebenen zuweist. Ziele im Familienbereich werden dabei sowohl auf Bundes- als auch Landesebene formuliert und umgesetzt. Mehr Information zu den Länderaktivitäten finden sich in Beitrag 22. Hier soll vorwiegend auf die bundesstaatlichen Zielsetzungen im Bereich der Familienpolitik eingegangen werden. Beitrag 1 | Grundsätzliche Betrachtungen: Was kann, was soll Familienpolitik? 27 Die familienpolitischen Ziele der österreichischen Bundesregierung finden sich im Regierungsprogramm, welches seit 2008 für eine jeweils fünfjährige Legislaturperiode beschlossen wird. Im Betrachtungszeitraum 2009 – 2019 sind drei Regierungsprogramme relevant, und zwar: Regierungsprogramm 2008 – 2013 – Gemeinsam für Österreich. Regierungsprogramm 2013 – 2018 – Erfolgreich. Österreich. Regierungsprogramm 2017 – 2022 – Zusammen. Für Österreich. Aus den politischen Programmen sieht man, dass die in der Theorie diskutierten, auf das Wohlbefinden von Kindern abstellenden Zielsetzungen – also Lebensqualität der Familien, Chancengleichheit, Schutz und Förderung – in allen Jahren verfolgt werden. Elterliches Wohlbefinden wird über die Herstellung von Vereinbarkeit, Partnerschaft- lichkeit und Wahlfreiheit wie auch Lastenausgleich angestrebt. Es geht im betrachteten Zeitraum (der Trias Zeit-Geld-Infrastruktur folgend) um (mehr) Zeit für Familien, finanzielle Förderungen und Leistungen sowie die Bereitstellung von Sachleistungen und Angeboten (wie Bildung, Beratung) für Familien. Auch gesellschaftliche und wirtschaftliche Ziele (wie Humankapital, Arbeitskräfte) sowie sozialpolitische und frauenpolitische Agenden – sofern familienrelevant (wie z. B. Armutsreduzierung, Lastenausgleich, Gleichstellung, Absicherung, Teilhabe) – finden sich im Blickpunkt der Familienpolitik. Die Ziele der Familienpolitik wurden dabei für die betrachtete Periode wie folgt festgelegt und werden hier zusammen mit dem einleitenden Absatz zur allgemeinen Sichtweise auf Familien wiedergegeben, welcher in groben Zügen die „große Erzählung“ der Familien- politik im relevanten Zeitraum darstellt: 2008 – 2013: „Familien sind das feste Fundament unserer Gesellschaft und werden in all ihren vielfältigen Formen von uns respektiert und unterstützt. Familien erbringen mit ihren Erziehungs- und Betreuungsaufgaben für Kinder und pflegebedürftige Fami- lienmitglieder für den Zusammenhalt der Gesellschaft und der Generationen wichtige und wertvolle Leistungen. Daher hat gerade auch in einer sich rasch wandelnden Ge- sellschaft die Familienpolitik einen zentralen Stellenwert.“ (Republik Österreich 2008, S. 151). Die Ziele waren: Weiterentwicklung des Kinderbetreuungsgeldes Väterbeteiligung Kinderbetreuung Familien entlasten Familienrecht 2013 – 2018: „Österreich ist ein besonders familien- und kinderfreundliches Land. Alle Kinder sollen in Österreich unbeschwert aufwachsen können und die besten Zukunfts- 28 Abschnitt I chancen haben. Daher wollen wir die Eltern durch Bildungs- und Betreuungsangebote sowie durch finanzielle Zuwendungen bzw. steuerliche Erleichterungen unterstützen. Die elementarpädagogischen Bildungs- und Betreuungsangebote werden sowohl quantitativ als auch qualitativ ausgebaut, um jedem Kind, für das ein Betreuungsplatz gesucht wird, einen angemessenen Platz zur Verfügung zu stellen. Kinder werden so bestmöglich auf ihre weitere Bildungslaufbahn vorbereitet und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird erleichtert.“ (Republik Österreich 2013, S. 24). Die Ziele waren: Ausbau und Stärkung der elementarpädagogischen Einrichtungen als ­Bildungseinrichtungen Finanzielle Unterstützung von Familien und Kindern Weiterentwicklung des Schutzes und der Gesundheit von Kindern und ­Jugendlichen Familienfreundliche Gesellschaft und Wirtschaft 2017 – 2022: „Familien sind das Fundament unserer Gesellschaft. Die Familie, geprägt durch die gegenseitige Verantwortung der Generationen und der Partner zueinander, ist der wichtigste soziale Kern jeder Gesellschaft. Familie steht für Kinder, für soziale Sicherheit und für eine wertorientierte Erziehung unserer Jugend. Familien sind dort, wo Kinder leben.“ (Regierungsprogramm 2017, S. 101). Die Ziele waren: Finanzielle Leistungen für unsere Familien Qualitätsvolle Betreuung unserer Kinder Politik für unsere Jugend Nutzung von digitalen Medien Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen Hinsichtlich der für den gesamten Betrachtungszeitraum geltenden „großen Erzählung“ lässt sich feststellen, dass familienpolitische Ziele wie die finanzielle Unterstützung von Familien und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, eine stärkere Väterbeteiligung und egalitärere Aufteilung von Betreuungs- und Pflegearbeit als langjährige Schwerpunkte in allen Regierungsprogrammen zu finden sind. Was sich geändert hat, sind allerdings die diesen Zielen unterstellten Subziele und die zu ihrer Erreichung gesetzten Maßnahmen. Man kann also sagen, dass viele der langjährig im Familienbereich verfolgten Schwer- punkte im Laufe der Zeit nachgeschärft und an neue Situationen oder Bedürfnisse der Familien angepasst, aber grundsätzlich beibehalten wurden. Andererseits variiert die Wortwahl und das Bild, welches im Einleitungsabsatz zur Fami- lienpolitik gezeichnet wird, sodass die „große Erzählung“ im betrachteten Zeitraum von zehn Jahren mehrfach eine jeweils andere Färbung erhält. Zusätzlich wurden im Laufe der betrachteten Jahre durchaus auch neue Akzente gesetzt, z. B. die Väterbeteiligung durch einen Papamonat verstärkt, der Ausbau der Kinderbetreuung um eine (verbesserte) Beitrag 1 | Grundsätzliche Betrachtungen: Was kann, was soll Familienpolitik? 29 Qualität der Kinderbetreuung ergänzt, das Kindeswohl zunehmend ins Zentrum der Ziel- setzung gerückt, Gewaltvermeidung und Gleichstellung vermehrt forciert und auch der Ausbau von Beratungs- und Bildungsmöglichkeiten für Familien in die Ziele aufgenommen. Grundsätzlich ist aber auch anzumerken, dass die übergeordneten Ziele naturgemäß inhaltlich oft relativ vage ausfallen: Was genau bedeutet Unterstützung, Vereinbarkeit oder Väterbeteiligung im relevanten Programm? Häufig sind es erst die Subziele und konkret geplanten Maßnahmen, aus welchen sich Details und genaue Absicht der Ziel- setzung erschließen. Dies gilt insbesondere, wenn es sich um Materien handelt, die in die Zuständigkeit mehrerer Politikbereiche fallen. Hier werden neben möglichen Syn- ergien auch konfligierende Zielsetzungen sichtbar, z. B. wenn die Zielerreichung in einem Politikbereich sich negativ auf jene in einem anderen Bereich auswirkt. Zusätzlich wandeln sich im Laufe der Zeit auch die Vorstellungen, wie und welche familienpolitischen Ziele angestrebt werden sollen. Dies ist einerseits auf nationale Ent- wicklungen und andererseits auf EU-Richtlinien (z. B. Barcelona-Ziele), das heute übliche internationale Benchmarking (Wo steht Österreich im Vergleich zu anderen EU-Ländern?) und die Übernahme von Best-Practice-Beispielen zurückzuführen. Dabei geht der Trend in der Familienpolitik in Österreich im Betrachtungszeitraum generell in Richtung einer Stärkung von Sachleistungen und steuerlichen Vergünstigungen für Familien. In Österreich machen diese in Relation zu den auch im internationalen Vergleich großzügigen Geldleistungen aber auch weiterhin nur einen eher kleinen Teil der bundes- seitigen Förderung für Familien aus.4 Allerdings hat diese Entwicklung Auswirkungen auf die familienpolitischen Zielsetzungen, wie ganz klar am Beispiel des fortschreitenden Ausbaus der Kinderbetreuung ersichtlich ist. Andererseits werden Vereinbarkeit, Arbeits- marktzugang und ein mehr partnerschaftliches Teilen der Familienaufgaben unterstützt. Zum besseren Verständnis der konkreten inhaltlichen Zielsetzung soll nun ein detaillier- terer Blick auf die in den Regierungsprogrammen ausgeführte Familienpolitik geworfen werden. Verweise zu den für die genannte Thematik relevanten Beiträgen dieses Be- richts, wo auch die Umsetzung der einzelnen Punkte diskutiert wird, finden sich in den jeweiligen Fußnoten. 4.2 Das Regierungsprogramm 2008 – 2013 Zentrales Element und Ziel der Familienpolitik im Regierungsprogramm 2008 – 2013 waren die finanzielle Entlastung der Familien und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und 4 Vgl. Beitrag 18, Beitrag 19 und Beitrag 22. 30 Abschnitt I Beruf. Dazu wurden gleich zu Beginn in der Präambel zum Regierungsprogramm 2008 die folgenden Schritte prominent angekündigt: „Familien sollen durch ein neues einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld und die Stärkung der Väterbeteiligung nach der Geburt neue Möglichkeiten erhalten, Beruf und Familie besser zu vereinbaren. Die Regierungsparteien werden gemeinsam mit den Sozialpartnern einen nationalen Aktionsplan für Gleichstellung erarbeiten, um die Er- werbsbeteiligung und die Einkommensentwicklung von Frauen zu verbessern.“ (Republik Österreich 2008, S. 4) Im Teilabschnitt zur Familienpolitik (Republik Österreich 2008, S. 151 ff.) wird die Ins- titution Familie als Fundament der Gesellschaft und ihre für diese wichtigen Leistungen (Erziehung, Betreuung, Pflege) hervorgehoben. Unter Bezugnahme auf das neue Verständ- nis von Vaterschaft soll aktive Vaterschaft unterstützt und auf ein modernes partner- schaftliches Rollenverständnis zwischen Frauen und Männern hingearbeitet werden. Mit dem Kindeswohl im Fokus ergibt sich außerdem auch die Notwendigkeit, Vereinbarkeit zu fördern und zu unterstützen sowie das Ziel, ein familien- und arbeitsfreundliches Umfeld zu schaffen. Passende Geld- und Sachleistungen sollen den Familien dabei eine gewisse Wahlfreiheit und vor allem auch Familienzeit ermöglichen. Vereinbarkeit wird als wirtschafts- und gesellschaftspolitische Herausforderung und Aufgabe gesehen, die es gemeinsam zu lösen gilt. Ein Blick auf internationale Best-Practice-Beispiele soll dabei Anregung bieten und die teilweise Einbindung der Sozialpartner soziale Verträglichkeit und einen guten Interessensausgleich sicherstellen. Die Zielsetzungen im Familienbereich für die Jahre 2008 – 2013 waren dabei folgende: Weiterentwicklung des Kinderbetreuungsgeldes5 insb. hinsichtlich einkommensabhängiger Faktoren, flexiblerer Zuverdienst-Rege- lungen, vereinfachter Berechnung und eines verbesserten Zuschusses. Väterbeteiligung6 Modelle zum Einbezug der Väter unmittelbar nach der Geburt entwickeln, mit arbeits- und sozialrechtlicher sowie finanzieller Absicherung während dieser Zeit. Vereinbarkeit von Familie und Beruf7 insb. verstärkte Information für Eltern, Verbesserungen bei der Elternteilzeit, Lückenschließung bei der Pflegefreistellung, Unterstützung beim Wiedereinstieg für Eltern (AMS), Schaffung lokaler Bündnisse für Vereinbarkeit, gebündeltes Informationsangebot zu familienpolitischen und arbeitsrechtliche Bestimmungen zu Mutterschutz, Karenz, Elternteilzeit und Wiedereinstieg, Forcierung eines 5 Vgl. Beitrag 21. 6 Vgl. Beitrag 9. 7 Vgl. Beitrag 8. Beitrag 1 | Grundsätzliche Betrachtungen: Was kann, was soll Familienpolitik? 31 Paradigmenwechsels zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Wirtschaft (Plattformen und Vernetzung, Bewusstseinsbildung, Information und Weiterbildung während und nach der Karenz, qualifizierte Teilzeitarbeit für Frauen und Männer). Kinderbetreuung8 insb. größtmögliche Synergieeffekte zwischen Bund, Land und Gemeinden, koor- diniertes Vorgehen im Bereich Infrastruktur, bedarfsgerechter und kontinuierlicher Ausbau der Kinderbetreuung (insb. für Unter-3-Jährige, Tageseltern, flächende- ckend), weniger Schließtage und längere Betreuungszeiten, mehr Ganztagesbe- treuungsplätze, Qualität sichern durch grundlegende Standards (inklusive sozial- rechtliche Situation von Tageseltern), pädagogische Konzepte und Ausbildungser- fordernisse, verpflichtendes, kostenloses letztes Kindergartenjahr (vormittags). Familien entlasten durch9 Neuordnung der Finanzierung des Familienlastenausgleichsfonds (FLAF), verein- fachte Auszahlung der Familienbeihilfe, Erhöhung der Familienbeihilfe für erheb- lich behinderte Kinder, verbesserte Anrechenbarkeit von Kindererziehungszeiten für die Pension, Unterstützung für Alleinerziehende (mehr Beratungsangebote, besondere Berücksichtigung bei der Kinderbetreuung), Verbesserung und Ausbau der Elternbildung und Familienberatung, Unterstützung und Beratung von Pflege­ und Adoptiveltern, Prüfung der Anpassung des Schulbuchlimits aufgrund pädago- gischer Notwendigkeiten, Forcierung männlicher Kinderpädagogen. Familienrecht10 Verbesserungen im Unterhaltsrecht für Kinder, Maßnahmen zur Prävention, Abwehr und Bewusstseinsbildung hinsichtlich von Gewalt in Familien. Im Kapitel „Wirtschaft und Familie“ (Republik Österreich 2008, S. 28) werden die Beschäftigungschancen von Eltern, insbesondere Wiedereinsteigerinnen, sowie die Situation von pflegenden Angehörigen angesprochen. Ziele waren die Unterstützung von Wiedereinsteigenden, das Angebot an Kinderbetreuung zu verbessern sowie in Abstimmung mit den Sozialpartnern Lücken bei der Pflegefreistellung zu schließen und weitere Möglichkeiten der Familienhospizkarenz im Bereich der Pflege zu prüfen. Im Bereich Soziales soll bei der Anrechnung von Kindererziehungszeiten (Republik Öster- reich 2008, S. 177) die Doppelbelastung von Berufstätigkeit und Kindererziehung in den ersten sieben Lebensjahren des Kindes eine stärkere Berücksichtigung im Pensionsrecht erfahren. Die Reduktion von Erwerbsarbeit zum Zweck der Betreuung und / oder Pflege eines nahen Angehörigen soll künftig ebenfalls keine pensionsrechtlichen Nachteile 8 Vgl. Beitrag 20. 9 Vgl. v.a. Beitrag 19. 10 Vgl. Beitrag 17. 32 Abschnitt I haben, und für die Eltern behinderter Kinder gibt es (eine 10 Jahre rückwirkende) Mög- lichkeit der Selbstversicherung in der Pensionsversicherung. Auch im Bereich der Steuerentlastung wurden Familien mitgedacht und im Rahmen der angestrebten Mittelstandsentlastung des Regierungsprogramms 2008 – 2013 ihre steuer- liche Situation verbessert (Republik Österreich 2008, S. 276 ff.): Es wurde ein jährlicher Kinderfreibetrag in Höhe von 220 Euro / Kind eingeführt und der jährliche Kinderabsetz- betrag (KAB) von 610 Euro auf 700 Euro für alle Kinder erhöht. Der Kinderabsetzbetrag wird monatlich als direkter Transfer ausbezahlt, der Freibetrag reduziert die Steuerlast. Kinderbetreuungskosten (für Krippen, Tagesmütter, Kindermädchen, Kindergärten etc.) können bis zum 10. Lebensjahr des Kindes bis zu 2.300 Euro / Jahr / Kind abgesetzt werden und der Arbeitgeber kann einen Kinderbetreuungszuschuss von 500 Euro / Kind / Jahr leisten, ohne dass dieser bei der Dienstnehmerin / beim Dienstnehmer versteuert wird. Zusammen mit der Einführung der 13. Familienbeihilfe wurden rund 750 Mio. Euro an Steuer im Familienbereich entlastet. 4.3 Das Regierungsprogramm 2013 – 2018 Im Arbeitsprogramm der Regierung für 2013 – 2018 werden Familien in der Präambel nicht erwähnt. Stattdessen stellt der Text auf Individuen und unternehmerisches Handeln ab: „Wir wissen, dass es gut für unsere Gesellschaft und unser Land ist, Raum für Initiative und unternehmerisches Handeln zu schaffen. Wir wissen genauso, dass der soziale Aus- gleich entscheidend für den Wohlstand und das friedliche Zusammenleben in unserem Land ist. Jeder Mensch hat das Recht, sein Leben, seinen Erfolg, seine Zukunft nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten. Wir wollen jedem die Möglichkeiten bieten, seine Ideen und Lebensvorstellungen zu verwirklichen, gleichzeitig auch Sicherheit geben und für Chancengerechtigkeit sorgen. Die Menschen erwarten sich von der Politik und vom Staat zu Recht Verlässlichkeit, Stabilität, soziale Gerechtigkeit und Solidarität.“ (Republik Österreich 2013, S. 3) Im Kapitel Familienpolitik (Republik Österreich 2013, S. 24) werden vier familienpoli- tische Hauptziele für die Legislaturperiode von 2013 bis 2018 genannt und wie folgt (anhand der avisierten Maßnahmen) im Detail ausgeführt: Ausbau und Stärkung der elementarpädagogischen Einrichtungen als Bildungseinrichtungen:11 Ausbau der Betreuung von Kindern unter drei Jahren, Schaffung eines bundes- weiten Qualitätsrahmens für die elementarpädagogischen Einrichtungen bis 2016, 11 Vgl. Beitrag 20. Beitrag 1 | Grundsätzliche Betrachtungen: Was kann, was soll Familienpolitik? 33 Ausbau und qualitative Aufwertung der Tageselternbetreuung sowie der Sprach- förderung; zweites kostenfreies Kindergartenjahr für 4- bis 5-Jährige; Finanzielle Unterstützung von Familien und Kindern:12 Das pauschale Kinderbetreuungsgeld wird zu einem flexibel nutzbaren Kinderbe- treuungsgeld-Konto (KBG-Konto) weiterentwickelt; Reform und Weiterentwicklung der Familienleistungen, insbesondere der Familienbeihilfe, und der steuerlichen Berücksichtigung von Kindern; Reformoptionen des FLAF prüfen; Verhinderung von Armut bei Mehrkindfamilien und Alleinerziehenden. Weiterentwicklung des Schutzes und der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen: Beitrag zur biosozialen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen; Ausbau der Zusammenarbeit schulischer Tagesbetreuung und außerschulischer Jugendarbeit; Evaluierung Mutter-Kind-Pass und Kinder- und Jugendhilfe; Frühe Hilfen, Eltern- bildung und Familienberatung stärken. Familienfreundliche Gesellschaft und Wirtschaft:13 öffentlichkeitswirksame Maßnahmen zur Stärkung der Kinder- und Familienfreund- lichkeit, Bewusstseinsbildung zu Bedürfnissen von Kindern mit Beeinträchtigung; Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch Karenzmanagement und die Förderung betrieblicher Kinderbetreuung. Im Kapitel Arbeitsrecht (Republik Österreich 2013, S. 11 – 13) wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Text als erstes angesprochen. Übergeordnetes Ziel und zentrales Anliegen dieses Politikbereiches sind „Neue Ansätze und Instrumente im Arbeitsrecht, Vereinfachungen und Erleichterungen sowie Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie […], um das Ziel einer fairen, modernen und ausgleichenden Arbeitswelt zu erreichen.“ Unter dem Titel Maßnahmen, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ver- bessern und den Bedürfnissen der betrieblichen Praxis entgegenkommen sind folgende der Zielsetzungen dienende, für Familien relevante Aktivitäten gelistet: Prüfung der Verkürzung des Anspruches auf Elternteilzeit vom 7. auf das 5. Lebensjahr (bzw. bis zum verpflichtenden Eintritt in den Kindergarten); bzw. einer weiteren Absenkung der Grenze auf das 4. Lebensjahr parallel zum Ausbau der Kinderbetreuung bis 2017 sowie Prüfung der Einführung des Papamonats innerhalb der Schutzfrist nach Geburt (Anspruch auf Freistellung mit vorgezogenem Kinderbetreuungsgeldbezug), Vor- ankündigungsfristen Stufenweiser Ausbau der Kinderbetreuungsplätze Bandbreite für Arbeitszeitverkürzung und -veränderung: Mindestarbeitszeit 12 Stunden pro Woche und Reduktion / Verschiebung von 20 % der Wochenarbeits- 12 Vgl. Beitrag 21 sowie Beitrag 19. 13 Vgl. Beitrag 8. 34 Abschnitt I zeit; Beseitigung von Hindernissen für freiwillige Elternteilzeit-Vereinbarungen (z. B. Kündigungsschutz bei Bagatellveränderungen) Kündigungsschutz bei Fehlgeburten (4 Wochen) Einbeziehung der Pflegeeltern in MSchG / VKG bei unentgeltlicher Pflege auch ohne Adoptionsabsicht Beschäftigungsverbot gem. Mutterschutzgesetz (MSchG) für freie Dienstnehme- rinnen (DN) und für Teilnehmende in überbetrieblichen Ausbildungsstätten. Auch hier sind im steuerlichen Bereich wieder Entlastungen für Familien vorgesehen, und zwar wird im Rahmen der Steuerreform (Regierungsprogramm 2013, S. 110) eine besondere Berücksichtigung der Familien vorgesehen. 4.4 Das Regierungsprogramm 2017 – 2022 Dieses Regierungsprogramm trat erst gegen Ende der betrachteten Periode in Kraft und umfasst daher nur die letzten drei Jahre, gibt aber wichtige Hinweise auf neue Trends und Entwicklungen. Außerdem wurde mit dem Familienbonus Plus eine interessante steuerliche Maßnahme eingeführt, die Familien entlasten soll. Die Zieldefinition im Familienbereich des Regierungsprogramms 2017 – 2022 (Regierungsprogramm 2017, S. 101 ff.) umfasst dabei die folgenden Bereiche: Finanzielle Leistungen für unsere Familien:14 Administrieren durch FLAF, Ergebnisse der FLAF-Prüfung umsetzen, Weiterent- wicklung antragsloses Verfahren zum Erhalt der Familienleistungen, Koppelung von Geldleistung und erfüllter Bedingung, Mutter-Kind-Pass und Bildungskompass zusammenführen, Indexierung der Familienbeihilfe (lt. Europarecht), Familien- Steuerbonus (bis zu 1.500 Euro pro Kind und Jahr; nicht negativ wirksam), Anrech- nung Familienbeihilfe auf Pflegegeld bei erheblich beeinträchtigten Kindern überprüfen / streichen. Qualitätsvolle Betreuung unserer Kinder15 Kündigungsschutz und Versicherung bei Kinderbetreuungsgeld überprüfen, Schul- ferienregelung, Herbstferien, Ferienbetreuung. Qualitätsrahmen für Förderung von Kinderbetreuung entwickeln, Transparenz / Zusammenlegung bei Artikel-15a-Ver- einbarung, Evaluierung des Kinderbetreuungsgeld-Kontos. Politik für unsere Jugend16 Weiterentwicklung Jugendstrategie, Ausbau Kompetenzzentren, aktives Wahl- alter bei BR-Wahl auf 16 senken, Jugendschutz vereinheitlichen, Grundkompetenz Nachreifung, Schülerparlamente, Kontrollinstrument Kinder- und Jugendhilfe. 14 Vgl. Beitrag 19. 15 Vgl. Beitrag 20. 16 Vgl. Beitrag 4. Beitrag 1 | Grundsätzliche Betrachtungen: Was kann, was soll Familienpolitik? 35 Nutzung von digitalen Medien17 Schutzfilter Handy und Computer, Schutz vor Gewalt und Pornografie im Netz, Schutzfilter Hardware, Good-Practice-Beispiele und Empowerment Schutz, Online- Schulbücher prüfen. Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen18 Verbesserung im Schularztsystem, Frühe Hilfen, Nichtraucherschutz für Kinder und Jugendliche. Im Kapitel Finanzen und Steuern werden Ziele im Bereich familienseitiger Steuerent- lastungen dargestellt. Unter der Überschrift Entlastung der Bürger und Familien findet sich folgende Ankündigung: „Die Bundesregierung will Familien besonders fördern, aber nicht mit neuen staatlichen Geldleistungen, sondern indem sie ihnen weniger von ihrem hart verdienten Geld wegnimmt. Es ist geplant, dies durch einen Steuerabzugsposten für Kinder zu erreichen.“ (Regierungsprogramm 2017, S. 125 f.). Außerdem werden staatliche Gebühren und Steuern im Zusammenhang mit dem Eigentumserwerb wegfallen und der Arbeitslosenversicherungsbeitrag für niedrige Einkommen reduziert. Eine ganz neue, zu Ende des Betrachtungszeitraums (2019) eingeführte Leistung ist der Familienbonus Plus, ein Absetzbetrag pro Kind und Jahr, welcher bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gewährt wird, sofern Anspruch auf Familienbeihilfe besteht und das Kind in Österreich lebt. Der Absetzbetrag, welcher den Kinderfreibetrag und die Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten ersetzt, reduziert die Steuerlast um bis zu 1.500 Euro. Wenigverdienende werden durch die Reduktion des Arbeitslosenversiche- rungsbeitrags entlastet. Zusätzlich werden weiters die antragslosen Verfahren zum Erhalt von Familienleistungen ausgebaut und die Höhe der Familienbeihilfe an die Lebenshaltungskosten jener Staaten angepasst, in denen die begünstigten Kinder leben. (Regierungsprogramm 2017 – 2022, S. 100) 17 Vgl. Beitrag 11. 18 Vgl. BMFJ: 7. Jugendbericht (2016), Teil A, Kapitel 4. 36 Abschnitt I 5 FLAF als zentraler Koordinator bundesweiter Familienleistungen Als bundesweit zentraler Fonds für die Familienpolitik fungiert der Familienlastenaus- gleichsfonds (FLAF), welcher als zentraler Finanzierungstopf die Geld- und Leistungs- flüsse der staatlichen Familienpolitik abwickelt. Zum Verständnis der österreichischen Situation soll hier auch auf Akteurinnen bzw. Akteure, Zuständigkeiten und Grundsätze der österreichischen Familienpolitik eingegangen werden, bevor näher auf das FLAF-Leis- tungsspektrum und seine Aufgabe bei der Umsetzung familienpolitischer Zielsetzungen eingegangen wird.19 5.1 Akteure, Zuständigkeiten und Grundsätze der öster- reichischen Familienpolitik Die Akteure der Familienpolitik Familienpolitik bezeichnet alle gesetzlichen Akte und Maßnahmen, mit denen der Staat regelnd und gestaltend die Situation von und die Rahmenbedingungen für Familien be- einflusst. Die österreichische Familienpolitik wird dem föderalistischen Prinzip folgend sowohl von Seiten des Bundes als auch der Länder und Gemeinden getragen und ge- staltet. An der Umsetzung sind auch lokale Initiativen und überregionale Verbände mit familienpolitischer Zielsetzung beteiligt. Zusätzlich gilt es, neben innerstaatlichen Zielen auch europäische Zielsetzungen um- zusetzen. Sie bilden den generell anzustrebenden Rahmen, in dem sich Familienpolitik in Europa bewegen und entwickeln soll. Dabei gestalten sich Harmonisierungsprozesse im Bereich der Familienpolitik schwierig, da die EU-Staaten sehr unterschiedliche Defi- nitionen von „Familie“ verwenden (BKA 2020a). Rahmenvorgaben werden vom Europarat (der für Familien zuständigen Ministerinnen und Minister) geschaffen, welcher sich für die betrachteten Jahre auf Maßnahmen gegen den demografischen Wandel und niedrigen Geburtenraten, die Förderung von Elternschaft im besten Interesse des Kindes und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verständigt hat (Europäischer Rat, 2006). Auch die Erhöhung der Kinderbetreuungsquote für unter 3-Jährige (Barcelona-Ziele), eine höhere weibliche Erwerbstätigkeit (Lissabon-Strategie) und mehr Gleichstellung zwischen den Geschlechtern waren (und sind) wichtige europäische Zielsetzungen. 19 Vgl. auch die weitergehenden Ausführungen in Beitrag 19. Beitrag 1 | Grundsätzliche Betrachtungen: Was kann, was soll Familienpolitik? 37 Auf gesellschaftspolitischer Ebene vertritt der seit 1967 bestehende Familienpolitische Beirat (BKA 2020b) die besonderen Interessen der Familien und berät das mit den Familienagenden betraute Regierungsmitglied in Angelegenheiten des Familienlasten- ausgleichs und der allgemeinen Familienpolitik. Im Beirat sind die Familienverbände (Ka- tholischer Familienverband Österreichs, Österreichischer Familienbund, Österreichische Kinderfreunde, Freiheitlicher Familienverband Österreichs, Familienzukunft Österreich Miteinander der Generationen20, Österreichische Plattform für Alleinerziehende und FAmOs – Familien Andersrum Österreich) sowie die Sozialpartner (Wirtschaftskammer Österreich, Landwirtschaftskammer Österreich, Bundesarbeitskammer, Österreichischer Landarbeiterkammertag und Österreichischer Gewerkschaftsbund) vertreten. Während die Familienverbände in erster Linie als Interessenvertretung für Familien bzw. spezifische Familientypen agieren und deren wirtschaftliche, soziale, rechtliche sowie kulturelle Anliegen im Auge behalten, vertreten die Sozialpartner (insb. Arbeitnehmervertretung und Gewerkschaften) die Interessen der Arbeitnehmenden. Über ihre Einbindung in die Sozial-, Gesundheits-, Arbeitsmarkt-, Lohn- und Wirtschaftspolitik ­haben sie informellen, aber bundesweiten Einfluss und sind maßgeblich an vielen familienrelevanten Entschei- dungen beteiligt (Stock et al. 2012, S. 412). Familienpolitik hat also mehrere Quellen und Umsetzungsebenen, die es im Sinne einer er- folgreichen Zielerreichung zu berücksichtigen, zu koordinieren, aber auch abzugrenzen gilt. Abbildung 1: Struktur und Ebenen der österreichischen Familienpolitik Bundesebene Landesebene Gemeinde Sozialpartner österreichische europäische Familienpolitik Familienpolitik Quelle: eigene Grafik. Familienbegriff, Wohlfahrtsstaat und wechselnde Zuständigkeiten Zentrale Elemente der Familienpolitik, und damit Basis für die ihr zufallenden, aber auch von ihr wahrzunehmenden Aufgaben, sind die allgemeine wohlfahrtsstaatliche Ausrich- tung, das Verständnis bzw. die aktuelle Definition von Familie als relevante Zielgruppe sowie die für die Familienpolitik relevanten Strukturen und Zuständigkeiten. 20 Die Familienorganisation Familienzukunft Österreich Miteinander der Generationen ist Ende 2018 als Mitglied des Familienpolitischen Beirats ausgeschieden. 38 Abschnitt I Familienpolitik setzt am Begriff der Familie an. Die Definition des Familienbegriffs ist daher bestimmend für die Ausrichtung und inhaltliche Gestaltung der Familienpolitik. Ein bereits klassischer Artikel von Lüscher (2000, S. 49 f.) zeigt dabei auf, dass die Metapher der Familie als Zelle der Gesellschaft, also einer sich selbstverständlich in einer bestimmten Form manifestierenden und zum Erhalt des Staates beitragenden Grundeinheit, nicht mehr gilt. Normvorstellungen zu Familien haben sich nicht zuletzt vor dem Hintergrund zunehmender weiblicher Erwerbstätigkeit, vermehrter Scheidungen, wiederholter Folgepartnerschaften und insgesamt neuer Familienkonstellationen deut- lich verändert. Auch das schon oben angesprochene Konzept unterschiedlicher Lebens-, Erwerbs- und daher auch Familienphasen sowie die angestrebte stärkere Einbindung bzw. Beteiligung von Männern am Familienalltag brachte ein Umdenken und rückte institutionelle Querverbindungen zu anderen Politikbereichen mehr in den Vordergrund. Der Fokus der Familienpolitik verlagert sich von der Form der Familie zu den von ihr erbrachten Leistungen und von der Struktur der Familie zu den Prozessen im Lebens- verlauf. So kommt Lüscher (Lüscher 2000, S. 55) zum Schluss: „Familie ist kein sicherer Wert mehr, sondern ist zur permanenten und bisweilen riskanten Aufgabe geworden.“ Für die Familienpolitik geht es daher darum, „in der Gestaltung von familialen Beziehungen Verlässlichkeit zu institutionalisieren“ (Lüscher 2000, S. 54). Vor dem Hintergrund der zunehmenden Verzahnung von privater und öffentlicher Sphäre ist dies ein anspruchs- volles Unterfangen, dem die Länder mit unterschiedlichen Ansätzen und Maßnahmen gerecht werden wollen. Wo soll der Staat eingreifen bzw. in welchem Ausmaß kann und will er sich einbringen? Im internationalen Vergleich21 zeigt sich, dass die Familienpolitik wesentlich von der grundlegenden staatlichen Politikausrichtung eines Landes geprägt wird. Nach dem Wohlfahrtsstaatsmodell von Esping-Anderson (1990), das inzwischen zum Standard der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsanalyse geworden ist, liegen drei Grundausprä- gungen vor: Im liberal-angelsächsischen Typ dominieren Marktlogik und private Absicherung. Staatliche Leistungen, wie auch jene für Familien, unterliegen einer Bedürftigkeits- prüfung. Im konservativ-kontinentaleuropäischen Typ, zu dem auch Österreich zählt, gibt es neben einer sozialen Grundsicherung weitere, den Lebensstandard absichernde Leistungen, welche an Arbeit und vorhergehende Beitragszahlungen gebunden sind. Die Umverteilungswirkung in diesem Bereich bleibt also beschränkt. Private Absicherung fällt deutlich geringer aus, aber vor dem Hintergrund staatlicher Sub- sidiarität hat die Familie als primäres Sicherungsnetzwerk hohe Bedeutung. Der konservativ-kontinentaleuropäische Typ ist durch seinen Fokus auf traditionelle 21 Vgl. Beitrag 18. Beitrag 1 | Grundsätzliche Betrachtungen: Was kann, was soll Familienpolitik? 39 Familienformen sowie korporatistische, etatistische und paternalistische Struktu- ren geprägt. Im sozialdemokratisch-skandinavischen Modell gilt das Prinzip der Universalität, das von monetärer Absicherung, umfassenden sozialen Dienstleistungen, guter Kinderbetreuung und aktiver Arbeitsmarktpolitik geprägt ist. Es wird durch höhere Umverteilung und Unabhängigkeit von familiärer Unterstützung geprägt. In liberal orientierten Staaten bedeutet das mehr individuelle Eigenverantwortung, aber auch mehr private Entscheidungsspielräume, während der soziale Wohlfahrtsstaat mehr von zentraler Versorgung, aber auch umfassenderen Gemeinschaftsregelungen geprägt ist. Auch die Träger der Familienpolitik, also ihre Verortung, haben Einfluss auf ihre konkrete Ausgestaltung und Schwerpunktsetzung. So war die Familienpolitik auf Bundesebene 2018–19 im Bundeskanzleramt angesiedelt, wo die Bundesministerin für Frauen, Familien und Jugend familienpolitische Agenden verfolgte. Derartige Zuständigkeitswechsel haben Auswirkungen auf die inhaltliche Ausgestaltung der Politik, und zu Teilen erklärt sich das in Österreich recht umfassende Leistungsspektrum der Familienpolitik (und damit auch des FLAF) aus den häufigen Wechseln politischer Zuständigkeit im Familien- bereich (Gstrein et al. 2011). Insgesamt wurde die Familienpolitik in Österreich in der Vergangenheit in häufig wech- selnder Ressortzuständigkeit betrieben. Die im Zeitablauf wechselnde Verortung der Agenden in unterschiedlichen Ministerien hatte dabei durchaus Einfluss auf die Einführung neuer Leistungen, die Verwendung vorhandener Mittel und die temporäre Ausrichtung der Familienpolitik. Sie macht auch die wechselnde Relevanz, Bedeutung und sich verändernde Zielsetzung innerhalb der staatlichen Politik gut sichtbar: So war der Politikbereich Familie und Jugend nach jeweils einigen Jahren im Umweltministerium, im Sozialministerium und einem kurzen Zwischenspiel im Gesundheitsministerium, im Betrachtungszeitraum 2009 bis 2019 nacheinander in drei Ministerien angesiedelt, und zwar zuerst im Wirtschaftsministerium und ab 2014 in einem eigenen Ministerium (Bundesministerium für Familien und Jugend) verortet. Ab Jahresbeginn 2018 wurden die Agenden im Rahmen der Bundesministeriengesetz-Novelle wie schon vor 1983 wieder in die Zuständigkeit des Bundeskanzleramtes übernommen. Auf Landesebene werden Familienagenden im jeweiligen Amt der Landesregierung – ebenfalls in jeweils höchst unterschiedlicher wie wechselnder Zusammensetzung mit anderen Agenden – und auf kommunaler Ebene in den Gemeindeämtern betreut.22 22 Vgl. Beitrag 22. 40 Abschnitt I 5.2 Entstehung und Zielsetzung des FLAF Historisch gesehen war Familie in Österreich nicht immer Gegenstand expliziter Fami- lienpolitik (Mazal 2014, S. 9). Bis weit ins 20. Jahrhundert dominierten soziale Fragen, Volksgesundheit, Wohnbau, Probleme des Sozialsystems und des Arbeitsmarktes das politische Geschehen. Ohne Verankerung einer spezifischen Kompetenz „Familien- wesen“ in der Verfassung wurden die jeweiligen Schwerpunkte der Familienpolitik auf Bundesebene im Justizressort (Familienrecht), im Sozialressort (hinsichtlich sozialer Sicherheit und Arbeitsmarktpolitik) und Finanzressort (finanzielle Unterstützung von Familien) gesetzt. Vor Gründung einer zentral mit Familienagenden befassten Stelle, eines Familienminis- teriums, waren diese drei Ressorts also federführend. Der finanzielle Familienlasten- ausgleich wurde dabei vom Finanzressort übernommen, welches die Kinder- und später Familienbeihilfe abwickelte. Dort entstand der Familienlastenausgleichsfonds – kurz FLAF genannt, welcher aus Dienstgeber- und Dienstnehmerbeiträgen sowie staatlichen Zuschüssen finanziert wird. Mit steigendem Finanzvolumen gewann die für die Admi- nistration zuständige Verwaltungseinheit zunehmend familienpolitische Bedeutung und wurde zum Kern des Familienressorts (Mazal 2014, S. 12). Der Familienlastenausgleich erfuhr im Laufe der Zeit massive Veränderungen, behielt aber die grundlegend im Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG 1967) festgelegte Zielsetzung der „Herbeiführung eines Lastenausgleichs im Interesse der Familie“ bei. Aufgrund der nicht abschließenden Regelung des FLAF-Leistungsumfangs ist es letztlich aber eine Frage der politischen Prioritätensetzung, welche Leistungen in welchem Ausmaß gewährt werden. Bei obig beschriebener wechselnder Ressortzuständigkeit verwundert es daher nicht, dass „der FLAF heute eine innere Schlüssigkeit der Leistungen sowie Kohärenz mit anderen Leistungen, die einen Ausgleich von Familienlasten bewirken, vermissen lässt“ (Mazal 2014, S. 13). Ein Rückblick – Grundlegende familienpolitische Leistungen und Vorstellungen im Wandel der Zeit Die österreichische Familienpolitik zielt vorrangig auf die Verbesserung der Lebensum- stände von Familien und die Absicherung der Versorgung der Kinder ab. Diese ursprüng- lich aus der in den Nachkriegsjahren herrschenden, besonders Familien betreffenden Mangelsituation entstandene Ausrichtung wird klar vom Gedanken des Kinder und Familien unterstützenden Sozialstaates geleitet (Gstrein et al. 2011). Vor dem Hintergrund unerfüllter Kinderwünsche, der Nachfrage nach Arbeitskräften und der das Pensions- system gefährdenden Bevölkerungsalterung war auch die positive Beeinflussung der Kinderzahl immer wieder Thema der Familienpolitik (BMWFJ 2009, S. 821). Mit Einführung des Familienlastenausgleichsfonds 1968 wurde eine zentrale Umsetzungsstelle für diese Beitrag 1 | Grundsätzliche Betrachtungen: Was kann, was soll Familienpolitik? 41 auch noch heute grundlegende staatliche Zielsetzung geschaffen, welche die für Familien bereitgestellten Geld- und Leistungsflüsse auf Bundesebene koordiniert. Die im Jahr 1955 erstmals eingeführte und auch in ihrer heutigen Form noch zentrale Kinderbeihilfe / Familienbeihilfe wurde im Laufe der Zeit um weitere, auf spezifisch familiäre Bedürfnisse abzielende Leistungen ergänzt. Die staatlich koordinierten, für alle gleichen zentralen Familienleistungen werden dabei von den Förderungen und Leistungen der Länder und Gemeinden ergänzt, die je nach Bundesland und Wohnort unterschiedlich ausfallen können. Dies umfasst zusätzliche Geldleistungen und Beihilfen, besondere Förderungen und Angebote wie auch die Kinderbetreuung, welche von den Ländern und Gemeinden organisiert und bereitgestellt wird. Über eine Artikel-15a-Ver- einbarung leistet der Bund dabei Beiträge zur Finanzierung des Ausbaus der institu- tionellen Kinderbetreuung wie auch für Maßnahmen zur sprachlichen Frühförderung. Familienpolitische Verbände, Vereine und lokale Initiativen halten thematisch relevante Bildungs- und Beratungsangebote für Familien vor und bieten familienrelevante Services und Unterstützung an. Wie haben sich die Leistungen und ihre grundlegende Ausrichtung entwickelt? Über die Jahre kam es zu einer Leistungsausweitung und vielfältigeren Ansatzpunkten. Zum traditionell angestrebten Lastenausgleich über eine universelle Kinder- und später Geburtenbeihilfe kamen erste bildungsrelevante Förderungen (Fahrtenbeihilfe, Schul- bücher) und gesundheitsrelevante Leistungen, wie der Mutter-Kind-Pass. Mit dem 1974 eingeführten Karenzgeld, den Beiträgen zur Kranken- und Pensionsversicherung sowie der pensionsrechtlichen Anerkennung von Kindererziehungszeiten (Ersatzzeiten) wurden weitere Schritte zur finanziellen Absicherung für Mütter gesetzt. Das 2002 eingeführte Kinderbetreuungsgeld weitete den Kreis der Bezugsberechtigten deutlich aus, nicht zuletzt auch mit einem Fokus auf die stärkere Einbeziehung von Vätern. Es handelt sich dabei um einen klaren Paradigmenwechsel von einer Versicherungsleistung, dem Karenzgeld, das nur Erwerbstätige erhalten konnten, zu einer Familienleistung, dem Kinderbetreuungsgeld, das auch für Hausfrauen und Hausmänner, Studierende etc. gezahlt wurde. Auch die stärkere Ausrichtung auf eine als zunehmend mögliche, wenn auch noch nicht als Norm gesehene Väterbeteiligung ist neu. Statt um Lastenausgleich geht es schon ab 2002 / 03 mit der in den Regierungsprogram- men festgelegten grundlegenden Neuorientierung der Familienpolitik um eine (stärkere) Leistungsanerkennung (Gstrein et al. 2011, S. 5) sowie die damit verbundene Unter- stützung familiärer Wünsche und Bedürfnisse. Dies entspricht auch der geänderten öf- fentlichen Wahrnehmung von Familien, welche vor dem Hintergrund der fortschreitenden europäischen Bevölkerungsalterung als wichtige Ressourcenbereitsteller – also Quelle künftiger Beitragszahlerinnen und -zahler sowie produktiver Arbeitskräfte – gesehen werden und somit als Basis der Gesellschaft wieder an Bedeutung gewonnen haben. Familiäre Wahlfreiheit und die angestrebte Vereinbarkeit von Familie und Beruf waren wichtige Schlagworte politischen Handelns. 42 Abschnitt I Heute werden Familien nicht mehr ausschließlich als selbstverständlich funktionierende gesellschaftliche Basiseinheiten gesehen, sondern auch als Gruppe von Individuen (Wunderlich 2018; Gstrein et al. 2011), auf deren Wünsche, Bedürfnisse und individuellen Präferenzen und Lebensentwürfe im Rahmen unterstützender Familienpolitik Rücksicht genommen werden soll. Das unter dem Schlagwort individuelle Wahlfreiheit zusammen- gefasste, in vielen Belangen stärker flexibilisierte Leistungsangebot für in Familien ver- ortete Individuen zeigt, dass einerseits familiäre Herausforderungen aber auch das heute bestehende Spannungsfeld Familie – Individuum erkannt wurden und nun im Zentrum der angebotenen, heute vielfältigen Unterstützungsleistungen stehen. Leistungsanpassungen sollen die mit den „gesellschaftlichen Entwicklungen verbundenen Herausforderungen für die Familienmitglieder berücksichtigen (… und…) an den Engpassfaktoren im Lebenslauf der Familien(mitglieder)“ anknüpfen (Wunderlich 2018, S. 1). Es geht also nicht zuletzt auch darum, die Rahmenbedingungen für Familien so zu gestalten, dass die von ihnen für die Gesellschaft erbrachte Leistung – insbesondere die Bereitstellung von neuem Humankapital – möglichst ohne Einschränkung der individuellen Handlungsräume in anderen Lebensbereichen erfolgen kann. Zusammenfassend lässt sich die beschriebene Verschiebung der Ausrichtung in der österreichischen Familienpolitik vom ursprünglich zentralen Lastenausgleich über einen Leistungsausgleich zu Wahlfreiheit, Vereinbarkeit und schließlich stärker flexibilisierter Unterstützung für Zeiten familiärer Herausforderungen, aber auch der Umsetzung individueller Lebenskonzepte wie folgt darstellen. Dabei hat sich mit der familienpolitischen Ausrichtung auch ihre Zielgruppe geändert. So sind zu den ursprünglich im Fokus stehenden Kindern und Familien (Lastenausgleich, Armutsvermeidung) zuerst die Eltern (Leistung der Familien anerkennen) und später zusätzlich Frauen und Männer mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen (Vereinbarkeit, Wahlfreiheit) und schließlich die einzelnen Familienmitglieder als Individuen mit unter- schiedlicher Lebensplanung hinzugekommen, welche vielfältige Herausforderungen meistern müssen. Dazu zählen neben den genannten Gruppen auch Großeltern, pflegende Angehörige, Alleinerziehende, Personen mit unerfülltem Kinderwunsch, Personen in Patchworkfamilien, unterschiedlichen Familienformen etc. Weiters soll noch angemerkt werden, dass die neuen Ziele jeweils zu den alten hinzugekommen und die schon ge- währten Leistungen im Regelfall erhalten geblieben sind. Aus den additiven Zielsetzungen ist so ein immer breiteres Leistungsspektrum entstanden. Beitrag 1 | Grundsätzliche Betrachtungen: Was kann, was soll Familienpolitik? 43 Abbildung 2: Neuausrichtung der Familienpolitik im Zeitverlauf (additiv) individuelle Herausforderungen Wahfreiheit, Vereinbarkeit Leistungsausgleich Zielsetzung Lastenausgleich Familien, Familien, Familien / Eltern / Familien(mitglieder) Zielgruppe Kinder Eltern Frauen + Männer Quelle: eigene Grafik. 5.3 Thematische Überschneidungen, Abgrenzung und Kernaufgaben des FLAF Aus dem FLAF werden heute eine Vielzahl an Leistungen finanziert. Es sind dies neben der Familienbeihilfe und dem Kinderbetreuungsgeld (KBG) im Wesentlichen auch Schü- lerfreifahrten, Lehrlingsfreifahrten, Gratis-Schulbücher, große Teile des Wochengelds sowie der pensionsrechtlichen Kindererziehung. Bei einem vorrangig auf einen Lasten- ausgleich im Interesse der Familien ausgerichteten Fonds ist das legitim, doch stößt der FLAF immer wieder an die Grenzen seiner Finanzierungskraft. Dies, obwohl es bei vielen familienpolitischen Zielsetzungen Kooperationen der Ressorts gibt, welche abhängig von Zuständigkeiten finanziert werden. Vor diesem Hintergrund wurden sowohl wiederholt Überlegungen zur Finanzierung des FLAF hinsichtlich einer besseren Abgrenzung bei Überschneidung mit anderen Politikfeldern angestellt, als auch eine generelle Neuord- nung familienspezifischer und familienunspezifischer Leistungen – also eine Definition von Kernleistungen und Randleistungen des FLAF – gefordert (Mazal 2014; Gstrein et al. 2011; Schuh, 2016). Während die Familienbeihilfe von

Use Quizgecko on...
Browser
Browser