Verfassungsgeschichte - Einführung PDF

Summary

This document provides an introduction to German constitutional history, covering themes from the ancient era to the 20th century. It includes a thematic overview and discusses key historical aspects of the German constitution's development, offering analyses on the legitimacy of the constitution and the role of various actors during its formation. The document also touches on concepts such as the German people's sovereignty and the process of constitutional creation.

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Verfassungsgeschichte - Einführung Mittelalter Themenüberblick (Griechische-römische) „Antike“ Mittelalter Frühe Neuzeit (16 - 18. Jahrhundert) 19. Jahrhundert Jahrhundert (erste Jahrhunderthälfte) 20. Jahrhundert (zweite Jahrhunderthälfte) —> Steffen S...

Verfassungsgeschichte - Einführung Mittelalter Themenüberblick (Griechische-römische) „Antike“ Mittelalter Frühe Neuzeit (16 - 18. Jahrhundert) 19. Jahrhundert Jahrhundert (erste Jahrhunderthälfte) 20. Jahrhundert (zweite Jahrhunderthälfte) —> Steffen Schlinker, Rechtsgeschichte, 2. Au age 2023 —> Tutor.AI fl Hinweise zur Abschlussklausur Idie könnten Entkräftung von drei Argumenten : gegen eine wirksame Legitimierung des GG sprechen 1. 66 beruht auf Diktat der Besatzungsmächte beruht auf. 6G 2 einer bloßen Vereinbarung der Länder Welcher Teil des deutschen Frage : Volles hat die Verfassungsgebende Gewalt ausgeübt ? Wis ist der Begriff das deutschen Volks als Urheber (Schöpfen) der Verfassung zu bestimmen ? Gegenposition : 66 beruht auf Initiative der Wistmächte übten Einfluss auf Beratungen des Parlamentarischen lates ; hielten sich Genehmigung · vor voll Handlungsfreiheit nicht gegeben · war Verfassungsgebung seit jeher nicht frei außenpolitischen Vorgaben · von / Kernthese. 1 Argument Entstehungsgeschichte entstehungsgeschichtlich kann das G nicht als bloßes Diktat der Besatzungsmächte geschen werden · allgemeins Vorgaben ( westliche Demokratie", Bundesstaatlichkeit) entsprachen eigenen Vorstellungen des · ohnehin den Parlamentarischen Rates Einheiten beruht bilden Föderalismus : Ordnungsprinzip das auf weitgehender Unabhängigkeit einzelner die zusammen aber ein Ganess · , , Eingreifen lat · Parlamentarischer Sigurierte nicht als passiver Befehlsempfänger - Aushandlungsprozesse und Kompromissbildungen kennzeichneten das Verfahren der Entstehung · weder Parlamentarischer Rat , noch die Allisten vertraten in sich Positionen homogene der Länder 66 beruht nicht auf einer Vereinbarung - -Rekrutierung der Mitglieder des Parlamentarischen Rats aus den Landtagen Parlamentarischer der westlichen lat war Repräsentationsorgan des deutschen Volles Besatzungszonen · · Mitglieder gruppischen sich nach Partei- , nicht nach Länderzugehörigkeit Zustimmungsbedürftigkeit nichts Ungewöhnliches · Souveränität des Vollies deutsches Volli als Subjekt der Verfassungsgebung (demokratische Legitimationstheoris · Träger der Verfassungsgebenden Gewaltshandlungsfähig durch Verleihung des Wahlrechts · , kann Begriff des Volles im Verfahren der Verfassungsgebung selbst bestimmt werden · - Anknüpfungspunkt Staatsangehörigkeit : (formales rechtlich konstruiertes , Kriterium westlichen Verfassungsgehung beteiligt · Teil dir drei Besatzungszonen warin an der die Deutschen Saarland und konnten im in Berlin , in der damaligen SBZ jenseits der Oder-Neips-Linie an dem Akt · , nicht mitwirken der Verfassungsgebung westlichen · Verfassungsgebende Gewalt wurde im Jahre 1949 durch das Teilvoll , der drei Besatzungszonen ausgeübt Parlamentarischer Dat reklamierte die Gewalt für deutsche Volls (Präambel · Verfassungsgebende das gesamte - nur ein Teil konnte davon Gebrauch machen Verantwortungsgefühl für das gesamte besetzte Deutschland · - nichts Separatistisches im Vorgehen der westlichen Besatzungszonen politische Interessenvertretung · für den Fall der Wiedervereinigung Möglichkeit einer Verfassungsgebung · : neuen keine rechtliche für den Rost Vertretung Deutschlands · Präambel ist nicht dutsche · so zu verstehen als hätte das , Voll in den westlichen Besatzungszonen die Verfassungsgebunde Gewalt für das gesamte deutsche Volk übt ausg keine Aussage trifft die Präambel schließlich über das Recht der Staatsangehörigkeit in der durch · das Grundgesetz begründeten Rechtsordnung Entität : existierende reals Sache , Souvranität : höchste Gewalt idealtypisches Verfahren der Verfassungsgebung : Einsetzung einer Verfassungsgebinden Versammlung im Wege einer Wahl · erarbeiteten · Volksabstimmung über den dieser in Versammlung Verfassungsentwurf · Wirklichkeit weist eine deutlich höhere Variationsbreits auf · meisten der vorgrundgesetzlichen Landesverfassungen folgten idealtypischen Verfahren (Bsp ). · Weimarer Reichsverfassung als auch Paulskirchenverfassung (nis in Kraft getreten unmittelbar wurden zwar von einer gewählten Verfassungsgebenden Versammlung arbeitet dieser aber Plebiszit oder · , von ohne ein die Einbindung anderer Akteurs beschlossen Plbiszit : Vollisbsschluss ; Volksabstimmung ; Vollisbefragung ohne Form der unmittelbaren des Volkes entstanden · Grundgesetz Entscheidung · Entstehung beruht vollständig auf repräsentativen Verfahren -Mitwirkung der Landtags und somit Rückführung auf die freien Wahlen in den Bundesländern · Verfahren/Darstellung der Präambel als defizitär/ falsch angeschen Kritik keine rechtlich verbindlichen · geht Sohl da, es objektivierbaren oder gar Kriterin für das Verfassungsgebende Verfahren gibt/gaben kann · Konspf der Verfassungsgebenden Gewalt bezeichnet komplexs Legitimationsfigur kins allgemeins Regel wonach verfassungsgebende Gewalt nicht durch · , Repräsentationsorgane ausgeübt werden könnte · verkennt repräsentativ Struktur von Volksentscheiden bei denen , das Mchrheitsprinzip gilt und schließlich auch späters Generationen gebunden werden · Das repräsentative Element ist bei vermeintlich identitären unmittelbaren , Volksabstimmungen nur verdeckt Faziti 66 unterliegt keinem Legitimationsdefizit keine nachträgliche Rechtfertigung nötig durch die fraglos bestehende Salitische Akzeptanz Fortbestand des Deutschen Reiches unter alliierter Besetzung 8. Mai 1945: militärische Kapitulation der deutschen Wehrmacht, Ende des NS-Regimes Deutungen des 8. Mai 1945: „Stunde Null“ —> deutet keine Beschäftigung mit den Nationalsozialismus an Kapitulation, Verlust des Krieges „Tag der Befreiung“ —> Zitat Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1985 (Freiheit gegen Totalitarismus); Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus Juni 1945: Berliner Erklärung der Alliierten: Übernahme der obersten Regierungsgewalt („supreme authority“): Staatsgewalt wird durch Alliierte ausgeübt: Besatzungsregime (bis 1955) Implizit: Verzicht auf völkerrechtliche Annexion Deutschlands durch die Alliierten —> Deutschland wird nicht Teil deren Staatsgebiets Ostgebiete (Ostpreußen, größere Teile Pommerns und Schlesiens) unter polnischer bzw. sowjetischer „Verwaltung“ Fortbestand des Deutschen Reiches 1945 1. völkerrechtliche Kontinuität des Deutschen Reiches mit Neukonstitution (lediglich) der Staatsgewalt Regierungsgewalt wird ausgeübt von Staatsorganen (legitim, konstituiert, demokratisch) —> Reichsbürger ignorieren die Staatsorgane Selbes Völkerrechtssubjekt (Deutsches reich gibt es noch) Völkerrechtliche Verträge bestehen fort BVerfG ganz h.M. in Westdeutschland Untergang des Deutschen Reiches mit Neukonstitution eines (bzw. zweier) deutscher Staaten u.a. Hans Kelsen teilweise sowjetische/sowjetzonale Autoren —> teilweise Meinung nach dem Nationalsozialismus Fortbestand des Reiches unter Negierung der Neukonstitution der Staatsgewalt „Reichsbürgerbewegung“ im 21. Jh. krude Theorie, für deren Begründung sich weder historische noch verfassungstheoretische Ansätze nden lassen „Stunde Null“ als irreführende Metapher: völkerrechtliche Kontinuität: Fortbestand des (vorübergehend) selbst handlungsunfähigen Staates (BVerfG und ganz h.M. in Westdeutschland) 1949 neue Verfassung(en) des seine Handlungsfähigkeit allmählich wieder- erlangenden Staates dabei Namensänderung (Bundesrepublik Deutschland statt Deutsches Reich) heutige Staatsorgane der Bundesrepublik Deutschland üben – legitimiert durch die verfassungsgebende Gewalt des Volkes – die Staatsgewalt des kontinuierlich fortbestehenden Völkerrechtssubjekts Deutschland aus 7/8. Mai 1945: Kapitulation der Wehrmacht Fortbestand des Deutschen Reiches 1945 Besetzung und Unterteilung des deutschen Gebiets in vier Besatzungszonen keine Annexion, sondern Ausübung der Staatsgewalt durch den alliierten Kontrollrat Juli 1948: Frankfurter Dokumente Verfasungsauftrag: Aufforderung an die Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder, eine verfassunggebende Versammlung einzuberufen Juli 1948: Londoner Sechsmächtekonferenz: Übergabe der Frankfurter Dokumente 8.-10. Juli 1948: Rittersturz-Konferenz: Ministerpräsidenten der Länder der westdeutschen Besatzungszonen beraten über die Frankfurter Dokumente Koblenzer Beschlüsse: Provisorium, keine Verfassung, sondern Grundgesetz, keine Verfassungsgebende Versammlung, sondern Parlamentarischer Rat grundsätzliche Bereitschaft zu westdeutscher Staatsgründung in Kooperation mit Westalliierten; Alternativkonzeption: neutralisiertes Gesamtdeutschland —> demokratische Verfassung; Regierungsform föderalistischen Typs; Garantie der individuellen Rechte und Freiheiten Verfassungskonvent von Herrenchiemsee (August 1848) Sachverständige konzipieren einen ersten Verfassungsentwurf einberufen von den Ministerpräsidenten der westlichen Besatzungszonen überparteilich und überregional Entwurf wird zur maßgeblichen Grundlage für Parlamentarischen Rat Parlamentarischer Rat (September 1948 – Mai 1949) Erarbeitung der nalen Fassung des Grundgesetzes Inhaltliche Ein ussnahme durch die Alliierten, die v.a. auf einen starken Föderalismus pochten insg. 70 Abgeordnete (davon 5 aus West-Berlin mit beratender Stimme), 65 Mitglieder, von den Landesparlamenten gewählt Vier Frauen unter den „Vätern des Grundgesetzes“ Von den Landtagen und Bürgerschaften unter Berücksichtigung der Bevölkerungszahl und Stärke der Parteien gewählt SPD, CDU/CSU: je 32; FDP 6; KPD 3; DP, Zentrum je 2 Hohe juristische und politische Sachkunde unter den Mitgliedern fl fi Verkündung des Grundgesetzes 8.5.1949: Verabschiedung des Entwurfs durch Parlamentarischen Rat mit 53 gegen 12 Stimmen; Genehmigung durch Militärgouverneure wenige Tage später Zustimmung der Länderparlamente (Ausnahme: Bayern) 23.5.1949: Verkündung des Grundgesetzes, Art. 145 GG Beitritt des Saarlands zum Geltungsgebiet des Grundgesetzes 03. Oktober 1990: Einigungsvertrag zwischen BRD und DDR Das Grundgesetz als (geplantes) Provisorium Bezeichnung als ‚Verfassung‘ vermieden —> um Teilung zu vermeiden (juristisch kein Unterschied) keine Volksabstimmung keine Wahl einer verfassunggebenden Versammlung Hauptstadt Bonn (statt Frankfurt) —> Frankfurt als Krönungsort der deutschen Könige; Paulskirchenverfassung; Bonn als Stadt, die für nichts steht Legitimitätsde zit des Grundgesetzes? Kernentscheidungen des Grundgesetzes Grundrechte: Grundrechtskatalog an den Anfang der Verfassung Würde des Menschen als Art. 1 I GG Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht Außenpolitik: normativ gebundene Außenpolitik, Verbot des Angriffskriegs Integrations- und Völkerrechtsfreundlichkeit Staatsorganisationsrechtliche Bestimmungen: Neuregelungen als Reaktion auf Scheitern der Weimarer Verfassung (interpretiert in Fokussierung auf ihr Scheitern ab 1931), Beispiele: konstruktives Misstrauensvotum (Art. 67 GG) legale Abschaffung grundlegender Verfassungsprinzipien ausgeschlossen (Art. 79 III GG) schwächere Position des Bundespräsidenten deutliche Restriktionen für exekutive Rechtsetzung (Art. 80 GG) fi Anne-Marie Slaughter, A New World Order, 2004 , S. 5 “Stop imagining the international system as a system of states – unitary entities like billiard balls or black boxes – subject to rules created by international institutions that are apart from, "above” these states. Start thinking about a world of governments, with all the dif- ferent institutions that perform the basic functions of governments – legislation, adjudi- cation, implementation – interacting both with each other domestically and also with their foreign and supranational counterparts. States still exist in this world; indeed, they are crucial actors. Bur they are "disaggregated." They relate to each other not only through the Foreign Office, but also through regulatory, judicial, and legislative channels.” Texte auf Deutsch Hören Sie auf, sich das internationale System als ein System von Staaten vorzustellen - einheitliche Gebilde wie Billardkugeln oder Black Boxes -, die von internationalen Institutionen geschaffenen Regeln unterworfen sind, die außerhalb, „über“ diesen Staaten stehen. Stellen Sie sich eine Welt der Regierungen vor, mit all den verschiedenen Institutionen, die die grundlegenden Funktionen von Regierungen wahrnehmen - Gesetzgebung, Rechtsprechung, Umsetzung - und die sowohl untereinander als auch mit ihren ausländischen und supranationalen Pendants interagieren. Staaten gibt es in dieser Welt immer noch, sie sind sogar entscheidende Akteure. Aber sie sind „disaggregiert“. Sie stehen nicht nur über das Auswärtige Amt in Beziehung zueinander, sondern auch über die Kanäle der Regulierung, der Justiz und der Gesetzgebung.“ Es gibt eine weit verbreitete, aber vielleicht fehlgeleitete Überzeugung, dass es viele souveräne Staaten auf der Welt gibt, dass dies eine gute Sache ist, dass das Vereinigte Königreich einer davon ist und dass es eine schlechte Sache wäre, wenn das Vereinigte Königreich aufhören würde, einer zu sein.... Eine andere Sichtweise wäre, dass Souveränität und souveräne Staaten sowie die unaufhaltsame Verknüpfung von Recht mit Souveränität und Staat nur die vorübergehenden Phänomene einiger Jahrhunderte waren, deren Ende keineswegs bedauerlich ist, und dass die aktuellen Entwicklungen in Europa die Möglichkeit aufzeigen, über all das hinauszugehen. Aus dieser Sicht ist die Überwindung des souveränen Staates eine gute Sache, eine durchaus begrüßenswerte Entwicklung in der Geschichte der rechtlichen und politischen Ideen.“ Neil MacCormick, Beyond the Sovereign State, 1993 The Modern Law Review (56), 1 “There is a widespread, but perhaps misguided, belief that there are a lot of sovereign states in the world, that this is a good thing, that the United Kingdom is one, and that it will be a bad thing if the UK ceases to be so. … A different view would be that sovereignty and sovereign states, and the inexorable linkage of law with sovereignty and the state, have been but the passing phenomena of a few centuries, and their passing is by no means regrettable, and that current developments in Europe exhibit the possibility of going beyond all that. On this view, our passing beyond the sovereign state is to be considered a good thing, an entirely welcome development in the history of legal and political ideas.” Welche Implikationen waren mit der These vom Fortbestand des deutschen Reiches nach 1945 verbunden und welche nicht? Kontinuität völkerrechtlicher P ichten und Rechte, Reparationsp ichten Abwehransprüche gegen Annexionen und die Teilung Deutschlands gemeinsame deutsche Staatsangehörigkeit Fortbestand von Beamtenrechten nicht: eingeschränkte Legitimitität oder fehlende Geltung des Grundgesetzes und des auf seiner Grundlage erlassenen Rechts Staatsrechtliche Entwicklungen: Pariser Verträge 1955 beenden Besatzungsstatut: Bundesrepublik erhält volle staatliche Souveränität Beitritt zu Nato und EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft als Vorläuferinstitution der Europäischen Union): Westintegration Staatsrechtliche Entwicklung 1990 Zwei-plus-vier-Verhandlungen: Siegermächte d. Zweiten Weltkriegs, BRD und DDR 12.9.1990: „Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland“: Rechte und Verantwortlichkeit der Siegermächte für Deutschland werden für beendet erklärt Voraussetzungen für den 2+4-Vertrag: Anerkennung der Grenzen (Oder-Neiße) Streichung aller Hinweise auf die Wiedervereinigung im Grundgesetz Einigungsvertrag zwischen DDR und BRD Ziel: Wiederherstellung der staatlichen Rechtseinheit Beitritt der DDR zur BRD nach Art. 23 GG (alte Fassung) Inkrafttreten des Grundgesetzes in den neuen Ländern kein Interesse an einer neuen Verfassung: in Westdeutschland nicht, weil mit dem Grundgesetz gute Erfahrungen gemacht wurden und die bewährte Verfassungsordnung nicht riskiert werden sollte in Ostdeutschland nicht, weil in erster Linie die Vereinigung mit der bestehenden Bundesrepublik und nicht die Schaffung eines ganz neuen Staates beabsichtigt wurde Stärkung von Rechtsstaat und Demokratie Errichtung des StBVerfG 1951, Verfassungsbeschwerde Begründung von Parlamentsvorbehalten durch das BVerfG (Wesentlichkeitstheorie, grundrechtlicher, wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt) vor allem Entfaltung der Grundrechte (insb. durch BVerfG und Bundesarbeitsgericht): – Verständnis als Werteordnung, antipositivistische Stoßrichtung Durchdringung/Konstitutionalisierung der gesamten Rechtsordnung Umnutzung der klassischen Abwehrrechte gegen den Staat als: Kontrollinstrumente über gesellschaftliche Vertragsgestaltung Kontrollinstrumente richterlicher Norminterpretation Leistungsrechte fl fl Entfaltung der Grundrechte: wertbestimmte, politische Verfassung wird der alten Rechtsordnung vorgeordnet: unter umgekehrten Vorzeichen eine Reprise der Umwertungen nach 1933 methodisch: erneut Generalklauseln des einfachen Rechts als Einbruchstellen des neuen Denkens (Carl Schmitt gegen Lüth-Urteil: „Tyrannei der Werte“) Verfassungsgeschichte der Europäischen Union Anknüpfungspunkte für Europaidee bereits vor-nationalstaatlich mit Kernziel der Friedenssicherung: Völkerbund (1920) als primär europäische Institution ohne USA Europarat (1949): erste originär politische Organisation (West-) Europas Europäische Menschenrechtskonvention (1953) 1951/52: Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl kriegsrelevante Industrie —> Gemeinschaft führt zu Sicherheit mit Kernorganen der heutigen EU: Hohe Behörde, Ministerrat, Beratende Versammlung Vertrag 2002 ausgelaufen, Regelungsmaterien in den Rechtsrahmen des EU-Rechts überführt (EUV/AEUV) 1954: Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (frz. Nationalversammlung); statt dessen Pariser Verträge zur Gründung der Westeuropäischen Union (WEU) „west-europäischer Pfeiler der NATO“ für sicherheitspolitische Konsultationen 2011 aufgelöst unter Übertragung von Aufgaben in Rechtsrahmen der EU (gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik) 1975: Römische Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (2009 in EU aufgegangen) Gemeinsame Agrarpolitik ab 1962 Fusion der Organe von EGKS, EWG und EAG 1965 Abschaffung der Binnenzölle 1968 Schengener Abkommen zur Personenfreizügigkeit 1985 Die Europäische Union Europäische Union mit Säulenstruktur: Vertrag von Maastricht 1991 Verfassungsvertrag 2004 (nicht rati ziert) Au ösung der Säulenstruktur durch Vertrag von Lissabon 2007 Erweiterungen der EG/EU: – 1973 (UK, Irland, Dänemark) – 1981(Griechenland) – 1986(Spanien,Portugal) – 1995(Finnland,Schweden,Österreich) – 2004 (Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn, Estland, Lettland, Litauen, Malta, Zypern) – 2007 (Bulgarien, Rumänien) Brexit fl fi Öffnung des Staates: Ausgangspunkt Bild des geschlossenen (National-) Staates (19./erste Hälfte 20. Jh.): innere und äußere Souveränität Geschlossenheit des Staates als Leitbild Parallelisierung von Staat, Verfassung und Nation seit 19. Jh.: Nationale Einigungsbewegungen (Deutschland, Italien) Delegitimation von „Vielvölkerstaaten“ (Österreich-Ungarn) Folgen für deutsche Frage („kleindeutsch“: nationale Einigung ohne Österreich/“großdeutsch“) Autarkiestreben Außenpolitik als Domäne der Exekutive, wahrgenommen durch spezialisiertes diplomatisches Corps Ebenen von Veränderungen: relevante territoriale Ebene: nicht mehr allein Ebene der Staaten, sondern auch subnationale (Regionen) und supranationale Ebenen (internationale/supranationale Organisationen) relevante Kategorie: Organisation von Herrschaft ggfs. nicht mehr primär territorial de niert, sondern sektoriell (grenzüberschreitende Vernetzungen aufeinzelnen Sachgebieten) Vorgeschichte des Nationalsozialismus Kritik an der Demokratie: Staatsrechtslehrer und Soziologen sprechen verächtlich über Demokratie. Diktatur wird als modern und zukunftsweisend angesehen. Philosophische Wende: Abkehr vom empirisch-kritischen Rationalismus, der für Klarheit steht. Rückkehr zur Metaphysik und zum Irrationalen, was Autokratien begünstigt. Hans Kelsen und die Weimarer Republik: Kelsen warnt 1932 in „Verteidigung der Demokratie“ vor dem Ende der Weimarer Republik. Die Republik war von Anfang an instabil und von schweren politischen und wirtschaftlichen Krisen belastet. Gesellschaftlicher Rückhalt: Fehlender Rückhalt in der Gesellschaft für die westlich-liberale Verfassung. Weimarer Koalition (SPD, Zentrum, DDP) konnte keine stabile parlamentarische Mehrheit erreichen. Feindliche Haltung gegenüber Demokratie: Militär, Industrie und Kirchen standen den demokratischen Prinzipien fremd gegenüber. Extreme Parteien (links und rechts) gewannen an Ein uss, unterstützt durch autoritäre Tendenzen in Europa. Kritik an der Verfassung: Staatsrechtslehre war von Vorbehalten geprägt; Pluralismus wurde als Desintegration wahrgenommen. Kritik an parlamentarischem System als Parteienherrschaft und Liberalismus als Staatsgefährdung. Positionen der Staatsrechtslehrer: Vor 1933 gab es keine einheitlich nationalsozialistische Staatsrechtslehre. Liberal-demokratisches Modell war diskreditiert; alternative Konzepte (z.B. „wahres Volk“, „Autorität statt Majorität“) gewannen an Beliebtheit. Reaktionen der Staatsrechtslehrer: Einige emigrierten (z.B. Kurt Perels, der Suizid beging). Andere distanzierten sich oder wechselten die Themen. Eine Gruppe stellte sich auf die Seite des neuen Systems (z.B. Carl Schmitt, Otto Koellreutter, Johannes Heckel). Jüngere Staatsrechtslehrer: Jüngere Generationen (z.B. Ernst Rudolf Huber, Theodor Maunz) erlebten die Krisen der Republik. Es gab auch einen kleinen Kreis von erklärten NS-Juristen (z.B. Best, Stuckart). fl Aktualität der Hoheitsgewalt: Frage der über den Nationalstaat hinausgehenden Hoheitsgewalt ist relevant, aber Großraum- und Europapläne sind gescheitert. Nach Stalingrad rückt das Ende des Dritten Reiches näher. Veränderung der Themen in der Staatsrechtslehre: Abhandlungen zum Staatsrecht werden seltener; Autoren wenden sich anderen Themen zu. Huber schreibt über Goethe und den Staat, Maunz über die spanische Großmachtzeit, Scheuner über Waffenstillstandsrecht. Carl Schmitts Vorträge: Schmitt hält Vorträge zur europäischen Rechtswissenschaft, lobt Savigny und betont die Bedeutung des „due process of law“. Erste Ansätze zur Positivismuslegende: juristischer Positivismus als Faktor für den Übergang von der Republik zur Diktatur und die Hil osigkeit der Juristen im Dritten Reich. Historische Wahrheit des Nationalsozialismus: Der Nationalsozialismus hinterlässt ein Trümmerfeld in politischer und rechtskultureller Hinsicht. Positive Folgen im Vergleich zur Situation nach dem Ersten Weltkrieg: keine Dolchstoßlegende, keine Restaurationsbestrebungen. Entlegitimierung des Dritten Reiches: Das Dritte Reich hat sich durch seine Taten selbst entlegitimiert; ständisches und nationalistisches Denken verloren an Bedeutung. Der totale Zusammenbruch führte zu einer stummen Einsicht in das Verbrecherische des NS-Regimes. Erfolgreicher Neuanfang der Bundesrepublik: Anders als in der Weimarer Republik gab es keinen Entwertungsdruck durch Idealisierung des vorherigen Systems. Der Neuanfang in der Bundesrepublik war erfolgreich. Entwicklung der Staatsrechtslehre: Belastete Autoren in der NS-Zeit widmen sich dem neuen Staat und der westlichen Verfassung. Glaubwürdigkeitsprobleme bei einigen Personen, aber kein nennenswerter Versuch zur Rückanknüpfung an das Dritte Reich. Kontinuität und Wandel: Keine substantiellen Fortwirkungen nationalsozialistischer Denkweisen in der Staatsrechtslehre. Etatistische und konservative Positionen im normalen Spektrum funktionierender Verfassungsstaaten. Fazit: Viele Bürger und Teile der Staatsrechtslehre strebten 1933 einen starken, autoritären Staat an, erhielten jedoch einen „Unstaat“ (Behemoth) anstelle des ersehnten Leviathan. fl Nationalsozialismus Deutung als „legale Revolution“ —> läuft in Bahnen des Rechts; Revolution: grundlegende Umgestaltung der Legitimationsgrundlagen der Herrschaft In der Übergangsphase Stütze der Legitimation der NS-Herrschaft (daher „Machtübertragung“) Aber Selbstverständnis: Nationalsozialismus trägt Legitimation in sich, muss sie nicht vom überwundenen System herleiten (daher am Ende vielleicht doch „Machtergreifung“) 30.01.1933: Ernennung Hitlers zum Reichskanzler durch Hindenburg 27./28. 02.1933: Reichstagsbrand * ReichstagbrandVO 05.03. 1933: Reichstagswahl (Hitler erlangte nicht den Erfolg den er sich erhoffte) 23.03.1933: Ermächtigungsgesetz (Regierung soll ohne Parlament Gesetze erlassen können) 30.01.1934: Gesetz über den Neuaufbau des Reichs April 1933: Boykott jüdischer Geschäfte April 1933: Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums 1935: Reichsbürgergesetz/Gesetz zum Schutze des deutsche Blutes und der deutschen Ehre —> Politik der Entrechtung und Judenverfolgung 1942: Wannseekonferenz —> Entscheidung über Endlösung Reichstagsbrandverordnung: (von Hindenburg erlassen) wesentliche Aufhebung der politischen Grundrechte und Freiheit eingeschränkt (Briefgeheimnis usw.) bis 1945 Weitgehende Rücknahme des materiellen Gehalts; Gegner Hitlers können festgenommen werden Ermächtigungsgesetz Aufhebung der Gewaltenteilung formal Keine Bindung mehr an den Reichstag Materiell keine Bindung an die Reichsverfassung Normenhierarchie wird außer Kraft gesetzt Reichsregierung kann sich auch über Art. 80 hinwegsetzen —> komplette Ermächtigung Reichskonkordat 1933: —> will die christlichen Parteien für sich gewinnen für das Ermächtigungsgesetz erster außenpolitischer Erfolg der neuen Reichsregierung Entpolitisierung des Klerus —> katholische Priester werden sich nicht politisch engagieren (wichtig, da so die Oppositionspolitiker des Zentrums „ausgeschaltet“ wurden) Abwehr des Verdachts der Kirchenfeindschaft Aufrechterhaltung der katholisch-theologischen Fakultäten Garantie des kirchlichen Eigentums regelmäßige Vertragsverletzungen durch NS-Regierung 1937: Enzyklika „Mit brennender Sorge“ —> Papst übt sehr deutlich Kritik an der NS-Herrschaft Fortgeltung des Konkordats (BVerfGE 6, 309 unter Verweis auf Kontinuität von Dt. Reich und Bundesrepublik): Vertrag zwischen Kirche und Staat NS-Verfassungsverständnis: Negativkonsens Anti-Liberalismus sowohl anti-individualistisch als auch anti-pluralistisch, stattdessen Einheitsdenken Ablehnung formaler rechtsstaatlicher Garantien (wurden für formalistisch gehalten; setzen dem freien Führerwillen Grenzen) Ablehnung von Gewaltenteilung (stattdessen Polykratie) (Vielherrschaft); nicht nur eine Herrschaftsform (ungeordnet) Ablehnung von Grundrechten, die eine staatsfreie Sphäre schaffen (gewährleisten) und nach NS- Verständnis durch ihre subjektiv-rechtliche Konzeption den Staat ohnmächtig machen —> Ablehnung von allen rechtphilosophischen Denken der Neuzeit (einzelne Mensch als Ausgangspunkt) Anti-Parlamentarismus Verständnis des Parlaments als Inbegriff von Gruppenegosimus und Volksentzweiung Anti-Etaismus (unterschwellig) Volk und Bewegung statt strukturierter Staatsorganisation Anti-Föderalismus einheitliches Reich Aufhebung der Volksvertretung der Länder (Art. 1) Hoheitsrechte der Länder gehen auf das Reich über Landesregierung unterstehen der Reichsregierung Reichsregierung kann neues Verfassungsrecht setzen Das deutsche Volk sei „über alle innenpolitischen Grenzen und Gegensätze hinweg zu einer unlöslichen, inneren Einheit verschmolzen“ — Gesetz über den Neuaufbau des Reichs 30.01.1934 Antisemitismus Quali kation von juristischen Konzeption als „artfremd“ Explizite Hinweise auf Zugehörigkeit zur „jüdischen Rasse“ in juristischen Publikationen —> Carl Schmitt: „Der Jude hat zu unserer geistigen Arbeit eine parasitäre, eine taktische und eine händlerische Beziehung“ fi NS-Verfassungsverständnis: Positivkonsens Volk und Volksgemeinschaft, völkischer Staat Volk nicht rechtlich-formal über Staatsangehörigkeit bestimmt, sondern rassisch als „Blutsgemeinschaft“ verstanden Begründung für Ablehnung von Grundrechten: der Einzelne stehe nicht mit subjektiven Rechten der Gemeinschaft gegenüber, sondern gehöre der Volksgemeinschaft organisch an Begründung für Antisemitismus und die darauf begründeten Diskriminierungsmaßnahmen Bedeutungsverlust des Staates als Konzept „Bewegung“ und ihr Verhältnis zum Staat NSDAP seit Dezember 1933 juristisch verfasst als Körperschaft des öffentlichen Rechts aber: keine Staatsaufsicht, sondern Gleichordnung von Parteistrukturen mit Staatsstrukturen; Impermeabilität (Undurchlässigkeit) der Bewegung für staatliche Maßnahmen Carl Schmitt: Staat, Bewegung und Volk sind „unterschieden, aber nicht getrennt, verbunden , aber nicht verschmolzen“ (Staat, Bewegung, Volk, 1933, S. 21) —> Verhältnis ist diffus, um es für Gestaltung offen zu halten Herrschaftsdualismus mit Verdoppelung von Ämtern, „Polykratie“ Koordinationsprobleme mit Personalunionen als Lösungsansatz: Himmler als Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei Heß als Stellvertreter des Führers in der Partei und qua Gesetzes Mitglied der Reichsregierung Gauleiter als Reichsstatthalter etc. (Funktion in der Bewegung und Funktion im Staat) —> simples und zugleich fragiles Mittel, weil kon igierende institutionelle Interessen nicht verschwinden, wenn an der Spitze getrennter Institutionen dieselbe Person steht Führerprinzip Legitimation durch Erwählung durch die Vorsehung (Johannes Heckel, DVBl. 1937, 49 (60): „Das Amt des Führers ist dank seiner politisch-religiösen Grundlage wesentlich ein providentielles Amt und entzieht sich einer juristischen Technisierung.“) nicht schlichtes Befehl-Gehorsam-Verhältnis, sondern höhere Einheit zwischen Führer und Gefolgschaft (Herbert Krüger, DR 1935, 210: „Führer und Volk stehen auf unzähligen sichtbaren und unfaßlichen Leitungen miteinander in Verbindung“) personenhafte Konzeption von Herrschaft: nicht Staatgewalt, sondern Führergewalt Konzentration aller Macht (des Staates und der Bewegung) in der Hand einer Person, kein Gewaltenteilungskonzept, keine Kontrolle über Führererlasse Konsequenzen: Bedeutungsverlust des fortbestehenden Reichstags und der Reichsregierung Formindifferenz/Formverlust der Rechtsetzung: der Führerwille kann sich in jeder Form artikulieren rechtsstaatliche Formen (Publikationsgebot, Vorbehalt des Gesetzes etc.) irrelevant Normenhierarchie nur insoweit, als Führerwille alles andere bricht fl Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches (01.08.1934) Amt des Reichspräsidenten wird mit dem des Reichskanzlers verbunden —> alle Befugnisse des Reichspräsidenten gehen auf den Führer und Reichskanzler Adolf Hitler über Gesetz tritt mit Wirkung von dem Zeitpunkt des Ablebens des Reichspräsidenten von Hindenburg in Kraft Völkerrechtliches Großraumdenken (Carl Schmitt) Ablösung des klassischen Völkerrechts als Koordinationsordnung formal gleichberechtigter Staaten Denken in Großräumen mit... Dominanz eines Staates/Reiches Interventionsverbot für raumfremde Mächte Wirtschaftsgemeinschaft im Innern Vorwegnahme der Weltordnung nach 1945 Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nach 1945 Naturrechtsrenaissance/ Auseinandersetzung mit dem Rechtspositivismus Naturrecht: vorstaatliche Rechtsgrundsätze, die sich aus der Natur des Menschen/der Welt ergeben —> göttliches Recht oder aus der Natur des Menschen; nicht von Menschen gemacht —> seit 18.Jahrhundert; Aufklärung hat die Idee des Naturrechts abgeschafft Positives Recht: von Menschen gemachtes Recht methodischer Positivismus (Rechtspositivismus) aus Kaiserreich und Weimar —> es gilt, was formal gesetztes Recht ist (NS-Juristen haben das gesetzte positive Recht umgesetzt, das auf legalem Wege durch die Nationalsozialisten eingeführt wurde) These nach 1945, dass diese methodische Grundhaltung die Demokraten angesichts der legalen Revolution“ hil os gemacht habe → Schuldverschiebung bzw. allzu einfache Entschuldigung Personelle Kontinuitäten über Entnazi zierung hinweg (durch Annahme eines Fortbestandes des Reiches im Beamtenrecht begünstigt) politisches und rechtskulturelles Trümmerfeld: durchaus mit positiven, purgatorischen Wirkungen: keine erneute „Dolchstoßlegende“ nach 1945 keine Verklärung des untergegangenen Reiches mehr kein offenes Bekenntnis zum Nationalsozialismus, keine Rückanknüpfungen, kein offenes Fortwirken nationalsozialistischen Gedankenguts innere Emigration“ weiterhin überzeugter Nationalsozialisten auf nicht-politische Felder Westdeutschland (mindestens bis ca. 1968): „Stumme Einsicht“, Tabuisierung der NS-Zeit fi DDR antifaschistisches“ Selbstverständnis mit of ziell dezidiertem Schnitt zum NS-Staat auf dessen Grundlage of ziell keine Verstrickungen und Kontinuitäten zur DDR mit anderen Vorzeichen als in Westdeutschland, im Ergebnis aber ebenso: Tabuisierung der NS-Zeit Attraktivität des Nationalsozialismus und Hitlers in Teilen der nicht systemkonformen Gesellschaft auch aus Protest gegen of ziellen „Antifaschismus“ Entnazi zierung November 1945 - Oktober 1946: Nürnberger Prozess gegen Hauptkriegsverbrecher Crime against humanity“ als Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot? naturrechtliche Strafbarkeitsbegründung Strafverfolgungskompetenz liegt bei alliierter Gerichtsbarkeit (bis 1950)— > deutsche Gerichte nur bei ausschließlich deutschen Opfern zuständig 1946: Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus erlassen durch das Stuttgarter Staatsministerium für Bayern, Groß-Hessen und Württemberg-Baden auf der Grundlage einer Anweisung des alliierten Kontrollrates fi fi fi fi Weimarer Reichsverfassung als Folie der Grundgesetzinterpretation These 1949: WRV wegen ihrer Strukturfehler als Wegbereiter für den Nationalsozialismus, Grundgesetz als bewusste Abkehr Beispiele: Instabilität der Regierungen, Dominanz des Reichspräsidenten, z.B. durch dessen Not-Verordnungsrecht Folgen für Grundgesetz-Interpretation (Beispiele): auf Regierungsstabilität zielende Grundgesetz-Bestimmungen (z.B. nur konstruktives Misstrauensvotum, kein Selbstau ösungsrecht des BT) von zentraler Bedeutung und daher in der GG-Interpretation zu stärken weiterhin bestehende Kompetenz zu exekutiver Rechtsetzung (Art. 80 GG) tendenziell gefährlich und daher restriktiv zu interpretieren Wandel der Sichtweise auf die WRV 1949: „schlechte Verfassung“ 2019: „alles in allem gute Verfassung in schlechter Zeit“ —> ständige innere Unruhe; Versailler Vertrag —> es kommt auch stark auf die gesellschaftliche Lage an, in der die Verfassung giltt Novemberrevolution 1918 Revolutionäre Situation: Schlussphase des 1. Weltkriegs Streiks, Matrosenaufstand Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten Abdankungsforderungen an den Kaiser Parlamentarisierung der Regierung: Prinz Max von Baden zum Reichskanzler ernannt —> Regierung wird jetzt auf eine parlamentarische Meinung gestützt Max von Baden erklärt (vorschnell bis eigenmächtig) die Abdankung des Kaisers; Fürsten folgen am selben Tag Übertragung der Regierungsgeschäfte durch Max von Baden an Friedrich Ebert (MSPD)--> Kontinuitätsmoment trotz Revolution Philipp Scheidemann proklamiert die Republik Verständigung zwischen MSPD-Regierung und OHL Berliner Arbeiter- und Soldatenräte: Einsetzung des Rates der Volksbeauftragten aus MSPD und USPD Divergierende Verfassungskonzeptionen: MSPD: Wahl einer Nationalversammlung zwecks Verfassungsgebung parlamentarische Demokratie USPD: Rätesystem („Alle Macht den Räten“ – Karl Liebknecht) fl Delegiertenwahlen für den Allgemeinen deutschen Rätekongress (Dez. 1918 in Berlin) Niederlage der USPD (ca. 300 Delegierte für MSPD, 100 für USPD, gut 100 linksliberal/parteilos) RätekongressvotiertfürbaldigeWahlenzurNationalversammlung Zusammenarbeit zwischen dem Rat der Volksbeauftragten und alten Eliten: – zur Aufrechterhaltung der Ordnung (drohender Aufstand von Spartakisten etc.) zurRegelungdrängenderAlltagsprobleme(Ernährung,Demobilisierungetc.) Verzicht auf weitreichende gesellschaftliche Reformen: – Aufbau eines republiktreuen Militärs AustauschmonarchistischerBeamter Bodenreform EigentumsreformdurchSozialisierungen → „Überkontinuität“ (Winkler): Die Volksbeauftragten verstanden sich mehr als „Konkursverwalter des alten Regimes“ statt als „Gründerväter einer Demokratie“ Kontinuität alte Eliten —> soziologisch hohe Kontinuität Kontinuität in der Legitimation der Herrschaft —> 1871 Fürstenbund; Weimarer Republik (Parlamentarisierung der Regierung) Januar 1919: Wahlen zur Nationalversammlung wahlberechtigt:alle Männer und erstmals Frauen im übrigen Kontinuität des allgemeinen und gleichen Reichstagswahlrechts von 1871 keine Mehrheit für die beiden sozialistischen Parteien (45,5% für USPD und v.a. MSPD zusammen) sondern „Weimarer Koalition“ aus SPD, Zentrum, DDP Februar 1919: Friedrich Ebert wird erster Reichspräsident Verfassungsberatungen der Nationalversammlung in Weimar: Hugo Preuß (links-liberaler Staatsrechtler, Berlin) mit Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfs beauftragt Annahme der Verfassung gegen die Stimmen von DNVP und DVP Nachteile direkte Wahl des Bundespräsidenten keine zu starke Position und Macht des Bundespräsidenten —> daher macht direkte Wahl des Bundespräsidenten keinen Sinn Weimarer Reichsverfassung: Kerninhalte Volkssouveränität und Demokratie Name „Reich“ bleibt auch nach Aufhebung der Monarchie erhalten herausgehobene Stellung des Reichspräsidenten: Art. 48 WRV Direktwahl Reichsexekution, Oberbefehl, Notverordnungsrecht Idee einer überparteilichen Volksrepräsentation zur Kompensation der partei- und interessengebundenen Macht des demokratisch gewählten Reichstags (Bundespräsident: symbolisiert die Einheit; hohe Identi kation des deutschen Volkes damals) dualistisches System aus Reichstag und Reichspräsident Katalog von Grundrechten und -p ichten (Art. 109 – 165 WRV) Partielle Fortgeltung der WRV: Religionsverfassungsrecht Art. 140 GG inkorporiert die Religionsbestimmungen der WRV in das GG Grund 1949: Kompromiss, um Annahme des GG nicht zu gefährden Art. 136 WRV (grundrechtliche Gewährleistungen): Religionsfreiheit Religionsunabhängigkeit der staatsbürgerlichen Rechte Art. 137 WRV (institutionelle Regelungen): keine Staatskirche, also eigene Strukturen und Organisationsformen der Religionsgemeinschaften Freiheit der Vereinigung zu Religionsgemeinschaften eigenständige Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten Ämterverleihung ohne staatliche oder kommunale Mitwirkung Rechtsfähigkeit nach allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Recht Körperschaftsstatus von Religionsgemeinschaften —> Kompromisslösung: starke Trennung von Kirche und Staat (Finanzierung durch Einführung der Kirchensteuer) —> Übernahme in das GG, um das Streitthema zu umgehen DDR-Verfassungen 1946: Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED 1949: erste Verfassung (noch in liberaler Tradition, mit begrenzter praktischer Bedeutung) Entwicklung in der DDR gesellschaftspolitisch pro- gressiver als im Westdeutschland der Adenauerzeit 1950: Errichtung des Ministeriums für Staats- sicherheit („Schild und Schwert der Partei“) 1961 Mauerbau: Selbstisolation nach außen; in deren Schatten gewisse Lockerungen im Inneren (Entstalinisierung durch XXII. KPdSU-Parteitag 1961) 1968 zweite Verfassung der DDR 1974 dritte Verfassung der DDR fl fi Staatsaufbau der DDR Regierung: Ministerrat der DDR (seit 1950) Parlament:Volkskammer kollektives) Staatsoberhaupt: Staatsrat (seit 1960) faktische Macht:Politisches Büro des Zentralkomitees, gesichert durch Staatssicherheit DDR-Verfassungen als Folie für GG-Interpretation? DDR-Verfassungen in Westdeutschland meist ignoriert anders als im Verhältnis zur WRV kaum explizite Abgrenzungen punktuelles Beispiel impliziter Abgrenzung: Entfaltung einer stark parlamentszentrierten Konzeption demokratischer Legitimation („Legitimationsketten“) insb. in den 1970er Jahren als dezidierte Absetzung gegenüber „demokratischer“ Verfasstheit der DDR (Unabhängigkeit der Bundesbank als einzige große Ausnahme) —> sonst wird alles durch den Bundestag/Parlament oder die Bundesregierung legitimiert —> Reaktion auf die Entwicklung der DDR Die Verfassung des Deutschen Reiches 1919 – Auszug – Präambel Das Deutsche Volk, einig in seinen Stämmen und von dem Willen beseelt, sein Reich in Freiheit und Gerechtigkeit zu erneuern und zu festigen, dem inneren und dem äußeren Frieden zu dienen und den gesellschaftlichen Fortschritt zu fördern, hat sich diese Verfassung gegeben. Erster Hauptteil. Aufbau und Aufgaben des Reichs. Art 20 22 , 25 6G Erster Abschnitt. Reich und Länder.. , Vollissouveramität Republilprinzip (Art 20128). Artikel 1. Das Deutsche Reich ist eine Republik. Die Staatsgewalt geht vom Volke aus. Artikel 2. Das Reichsgebiet besteht aus den Gebieten der deutschen Länder. Andere Gebiete können durch Reichsgesetz in das Reich aufgenommen werden, wenn es ihre Bevölkerung kraft des Selbstbestimmungsrechts begehrt. Artikel 3. Die Reichsfarben sind schwarz-rot-gold. Die Handelsflagge ist schwarz-weiß-rot mit den Reichsfarben in der oberen inneren Ecke. Art 22. Artikel 4. Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts gelten als bindende Bestandteile des deutschen Reichsrechts. Aut 25. Artikel 5. Die Staatsgewalt wird in Reichsangelegenheiten durch die Organe des Reichs auf Grund der Reichsverfassung, in Landesangelegenheiten durch die Organe der Länder auf Grund der Länderverfassungen ausgeübt. Zweiter Abschnitt. Der Reichstag. Art 3866. Artikel 20. Der Reichstag besteht aus den Abgeordneten des deutschen Volkes. Artikel 21. Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes. Sie sind nur ihrem Gewissen unterworfen und an Aufträge nicht gebunden. -freis Mandat Artikel 22. Die Abgeordneten werden in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl von den über zwanzig Jahre alten Männern und Frauen nach den Grundsätzen der Ver- hältniswahl gewählt. Der Wahltag muß ein Sonntag oder öffentlicher Ruhetag sein. erstmals Das Nähere bestimmt das Reichswahlgesetz. Art. 5466 Dritter Abschnitt. Der Reichspräsident und die Reichsregierung. Artikel 41. Der Reichspräsident wird vom ganzen deutschen Volke gewählt. /dichtLegitimationhut,Was is Wählbar ist jeder Deutsche, der das fünfunddreißigste Lebensjahr vollendet hat. Das nähere bestimmt ein Reichsgesetz. Artikel 48. Wenn ein Land die ihm nach der Reichsverfassung oder den Reichsgesetzen oblie- genden Pflichten nicht erfüllt, kann der Reichspräsident es dazu mit Hilfe der bewaffneten Macht anhalten. NotstandverordnungDer Reichspräsident kann wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht ein- schreiten. Zu diesem Zwecke darf er vorübergehend die in den Artikeln 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 festgesetzten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen Von allen gemäß Abs. 1 oder Abs. dieses Artikels getroffenen Maßnahmen hat der Reichsprä- sident unverzüglich dem Reichstag Kenntnis zu geben. Die Maßnahmen sind auf Verlangen des Reichstags außer Kraft zu setzen. Bei Gefahr im Verzuge kann die Landesregierung für ihr Gebiet einstweilige Maßnahmen der in Abs.2 bezeichneten Art treffen. Die Maßnahmen sind auf Verlangen des Reichspräsidenten oder des Reichstags außer Kraft zu setzen. Das Nähere bestimmt ein Reichsgesetz. Art 92 9766. , Siebenter Abschnitt. Die Rechtspflege. Artikel 102. Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Art. 97 Artikel 103. Die ordentliche Gerichtsbarkeit wird durch das Reichsgericht und durch die Ge- richte der Länder ausgeübt. Art 92. Zweiter Hauptteil. Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen. And 1 366 , Erster Abschnitt. Die Einzelperson. Artikel 109. Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleich. Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. Öffentlich-rechtliche Vorrechte oder Nachteile der Geburt oder des Standes sind aufzuheben. Adelsbezeichnungen gelten nur als Teil des Namens und dürfen nicht mehr verliehen werden. Titel dürfen nur verliehen werden, wenn sie ein Amt oder einen Beruf bezeichnen; akademische Grade sind hierdurch nicht betroffen. Orden und Ehrenzeichen dürfen vom Staat nicht verliehen werden. Kein Deutscher darf von einer ausländischen Regierung Titel oder Orden annehmen. Prof. Dr. Gernot Sydow, M.A., Vorlesung Verfassungsgeschichte, WS 2024/25 Vorbereitende Lektüre für Einheit 6 Buch Daniel, 2. Kapitel (Einheitsübersetzung der Bibel) 1 Im zweiten Jahr der Herrschaft Nebukadnezzars hatte dieser einen Traum. Sein Geist wurde davon so beunruhigt, dass er nicht mehr schlafen konnte. 2 Da ließ der König die Zeichendeuter und Wahr- sager, die Beschwörer und Chaldäer zusammenrufen; sie sollten ihm Aufschluss geben über seinen Traum. Sie kamen und traten vor den König. 3 Der König sagte zu ihnen: Ich habe einen Traum ge- träumt und mein Geist war voller Unruhe, um den Traum zu verstehen. 4 Die Chaldäer sagten zu ihm: O König, mögest du ewig leben. Erzähl deinen Knechten den Traum, dann geben wir dir die Deutung! 5 Der König antwortete den Chaldäern: Das ist mein unwiderruflicher Entschluss: Wenn ihr mir nicht den Traum und seine Deutung sagen könnt, dann werdet ihr in Stücke gerissen und eure Häuser wer- den in Schutthaufen verwandelt. 6 Sagt ihr mir aber den Traum und seine Deutung, dann empfangt ihr von mir Geschenke, Gaben und hohe Ehrungen. Gebt mir also den Traum und seine Deutung an! 7 Sie antworteten zum zweiten Mal: Der König erzähle seinen Knechten den Traum, dann geben wir ihm die Deutung. 8 Da erwiderte der König: Nun bin ich sicher, dass ihr nur Zeit gewinnen wollt; denn ihr seht, dass mein Entschluss unwiderruflich ist. 9 Wenn ihr mir den Traum nicht sagen könnt, gibt es nur ein Urteil über euch, nämlich: Ihr habt euch verabredet, mir einen erlogenen und verkehrten Spruch vorzutragen, in der Hoffnung, dass sich die Zeiten ändern. Erzählt mir also den Traum; daran werde ich erkennen, dass ihr ihn auch deuten könnt! 10 Die Chaldäer hielten dem König entgegen: Es gibt keinen Menschen auf der Welt, der sagen könnte, was der König verlangt. Auch hat noch nie ein König, mag er noch so groß und mächtig gewesen sein, ein solches Ansinnen an irgendeinen Zeichen- deuter, Wahrsager oder Chaldäer gestellt. 11 Was der König verlangt, ist zu schwierig. Es gibt auch sonst niemand, der es dem König sagen könnte, außer den Göttern; doch diese wohnen nicht bei den Sterblichen. 12 Darüber wurde der König so wütend und zornig, dass er befahl, alle Weisen in Babel umzubringen. 13 Als der Befehl erging, die Weisen zu töten, waren auch Daniel und seine Freunde in Gefahr, getötet zu werden. 14 Aber Daniel, klug und rechtskundig, wandte sich an Arjoch, den Obersten der königli- chen Leibwache, der schon unterwegs war, um die Weisen Babels zu töten. 15 Daniel fragte Arjoch, den Bevollmächtigten des Königs, warum der König einen so harten Befehl gegeben habe. Da erklärte ihm Arjoch die Sache. 16 Daniel ging darauf zum König und bat ihn, er möge ihm eine Frist bewilligen, damit er ihm die Deutung des Traumes geben könne. 17 Dann eilte Daniel nach Hause, teilte seinen Gefährten Hananja, Mischaël und Asarja alles mit 18 und sagte, sie sollten wegen dieses Geheimnisses den Gott des Himmels um Erbarmen bitten, damit nicht Daniel und seine Gefährten samt den anderen Weisen Babels umkämen. 19 Darauf wurde Daniel das Geheimnis in einer nächtlichen Vision enthüllt und Daniel pries den Gott des Himmels. 20 Er betete: Der Name Gottes sei gepriesen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Denn er hat die Weisheit und die Macht. 21 Er bestimmt den Wechsel der Zeiten und Fristen; er setzt Könige ab und setzt Könige ein. Er gibt den Weisen die Weisheit und den Einsichtigen die Er- kenntnis. 22 Er enthüllt das Tiefe und das Verborgene; er weiß, was im Dunkeln ist, und das Licht wohnt bei ihm. 23 Dich, Gott meiner Väter, preise und rühme ich; denn du hast mir Weisheit und Macht verliehen und jetzt hast du mich wissen lassen, was wir von dir erfleht haben: Du hast uns die Sache des Königs wissen lassen. 24 Darauf ging Daniel zu Arjoch, dem der König aufgetragen hatte, die Weisen Babels umzubringen; er trat ein und sagte zu ihm: Bring die Weisen Babels nicht um! Führe mich vor den König! Ich werde dem König die Deutung seines Traumes geben. 25 In aller Eile brachte Arjoch Daniel vor den König und meldete ihm: Ich habe unter den Verschleppten aus Juda einen Mann gefunden, der dem König die Deutung geben kann. 26 Darauf sagte der König zu Daniel, den man auch Beltschazzar nannte: Bist du wirklich imstande, mir das Traumgesicht, das ich hatte, und seine Deutung zu sagen? 27 Daniel ant- wortete dem König: Weise und Wahrsager, Zeichendeuter und Astrologen vermögen dem König das Geheimnis, nach dem er fragt, nicht zu enthüllen. 28 Aber es gibt im Himmel einen Gott, der Geheim- nisse offenbart; er ließ den König Nebukadnezzar wissen, was am Ende der Tage geschehen wird. Der Traum, den dein Geist auf deinem Lager hatte, war so: 29 Auf deinem Lager kamen dir, König, Gedan- ken darüber, was dereinst geschehen werde; da ließ er, der die Geheimnisse enthüllt, dich wissen, was geschehen wird. 30 Dieses Geheimnis wurde mir enthüllt, nicht durch eine Weisheit, die ich vor allen anderen Lebenden voraus hätte, sondern nur, damit du, König, die Deutung erfährst und die Gedanken deines Herzens verstehst. 31 Du, König, hattest eine Vision: Du sahst ein gewaltiges Standbild. Es war groß und von außergewöhnlichem Glanz; es stand vor dir und war furchtbar anzusehen. 32 An diesem Standbild war das Haupt aus reinem Gold; Brust und Arme waren aus Silber, Rumpf und Hüften aus Bronze. 33 Die Beine waren aus Eisen, die Füße aber zum Teil aus Eisen, zum Teil aus Ton. 34 Du sahst, wie ohne Zutun von Menschenhand sich ein Stein von einem Berg löste, gegen die eisernen und töner- nen Füße des Standbildes schlug und sie zermalmte. 35 Da wurden Eisen und Ton, Bronze, Silber und Gold mit einem Mal zu Staub. Sie wurden wie Spreu auf dem Dreschplatz im Sommer. Der Wind trug sie fort und keine Spur war mehr von ihnen zu finden. Der Stein aber, der das Standbild getroffen hatte, wurde zu einem großen Berg und erfüllte die ganze Erde. 36 Das war der Traum. Nun wollen wir dem König sagen, was er bedeutet. 37 Du, König, bist der König der Könige; dir hat der Gott des Himmels Herrschaft und Macht, Stärke und Ruhm verliehen. 38 Und in der ganzen bewohnten Welt hat er die Menschen, die Tiere auf dem Feld und die Vögel am Himmel in deine Hand gegeben; dich hat er zum Herrscher über sie alle gemacht: Du bist das goldene Haupt. 39 Nach dir kommt ein anderes Reich, geringer als deines; dann ein drittes Reich, von Bronze, das die ganze Erde beherrschen wird. 40 Ein viertes endlich wird hart wie Eisen sein; Eisen zerschlägt und zermalmt ja alles; und wie Eisen alles zerschmettert, so wird dieses Reich alle anderen zerschlagen und zerschmettern. 41 Die Füße und Zehen waren, wie du gesehen hast, teils aus Töpferton, teils aus Ei- sen; das bedeutet: Das Reich wird geteilt sein; es wird aber etwas von der Härte des Eisens haben, darum hast du das Eisen mit Ton vermischt gesehen. 42 Dass aber die Zehen teils aus Eisen, teils aus Ton waren, bedeutet: Zum Teil wird das Reich hart sein, zum Teil brüchig. 43 Wenn du das Eisen mit Ton vermischt gesehen hast, so heißt das: Sie werden sich zwar durch Heiraten miteinander verbinden; doch das eine wird nicht am anderen haften, wie sich Eisen nicht mit Ton verbindet. 44 Zur Zeit jener Könige wird aber der Gott des Himmels ein Reich errichten, das in Ewigkeit nicht untergeht; dieses Reich wird er keinem anderen Volk überlassen. Es wird alle jene Reiche zermalmen und endgültig ver- nichten; es selbst aber wird in alle Ewigkeit bestehen. 45 Du hast ja gesehen, dass ohne Zutun von Menschenhand ein Stein vom Berg losbrach und Eisen, Bronze und Ton, Silber und Gold zermalmte. Der große Gott hat den König wissen lassen, was dereinst geschehen wird. Der Traum ist sicher und die Deutung zuverlässig. 46 Da warf sich König Nebukadnezzar auf sein Gesicht nieder, huldigte Daniel und befahl, man sollte ihm Opfer und Weihrauch darbringen. 47 Und der König sagte zu Daniel: Es ist wahr: Euer Gott ist der Gott der Götter und der Herr der Könige und er kann Geheimnisse offenbaren; nur deshalb konntest du dieses Geheimnis enthüllen. 48 Dann verlieh der König dem Daniel einen hohen Rang und gab ihm viele, reiche Geschenke; er machte ihn zum Gebieter über die ganze Provinz Babel und zum obersten Präfekten aller Weisen von Babel. Prof. Dr. Gernot Sydow, M.A. Universität Münster, Institut für internationales und vergleichendes Öffentliches Recht Verfassungsgeschichte WS 2024/25 6. Reichsidee und Kaisertum Vorbereitende Lektüre: 1. Interview mit Herfried Münkler über die Krise der EU: taz vom 7. 9. 2019 (nächste Folie) 2. Buch Daniel, 2. Kapitel, Einheitsübersetzung der Bibel (separates pdf) 1 Imperium Europa – Herfried Münkler über die Krise der EU: taz vom 7. 9. 2019 taz: Herr Münkler, warum ist es so schwierig, die EU mit einem Begriff zu fassen? Es ist mehr als ein Staatenbund und weniger als ein Bundesstaat. Man spricht von einer Mehr-Ebenen- Struktur … Die Souveränität ist geteilt. … Es ergibt Sinn, Europa als Imperium zu beschreiben. Aber Imperien haben starke Zentren. Nicht immer. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation hatte vom Westfälischen Frieden 1648 bis zu seinem Ende 1806 kein starkes Zentrum. Es expandierte nicht militärisch nach außen, sondern bot Schutz vor dem Außen. Es wurde von Regeln und Recht zusammengehalten, das Reichskammergericht hatte eine wichtige Funktion. Die wesentliche Aufgabe des Reiches bestand darin, Kriege untereinander zu vermeiden … Dieses Reich war ein imperiales, aber kein imperialistische Gebilde. Tragen solche historischen Metaphern zur Erhellung bei? Zur Erhellung und Selbstversicherung. Der historische Rückblick zeigt, dass es Gebilde gab, die der EU in manchem verwandt und die für lange Zeit erstaunlich stabil und funktionstüchtig waren. Die Bewohner des Heiligen Römischen Reiches hatten auch Multiidentitäten. Die exklusive nationale Identität war ja eine Erfindung des Nationalstaates des 19. Jahrhunderts. Das gibt angesichts der Komplikationen der EU eine gewisse Zuversicht. Wenn man die historische Metapher des Imperiums ernst nimmt, haben wir es bei der EU mit einer Reichsbildung von sehr langer Dauer zu tun. … 2 https://taz.de/Herfried-Muenkler-ueber-die-Krise-der-EU/!5619408/ Reichsidee und Kaisertum 1945 Fortbestand des Deutschen Reiches als Völkerrechtssubjekt (Fortbestand völkerrechtlicher Verträge, Haftung für Kriegsunrecht etc.) daraus abgeleitete These der Nichtexistenz der Bundesrepublik Deutschland (bzw. der fehlenden Legitimation der aktuell ausgeübten Staatsgewalt) als Fehlinterpretation dieses historischen Zusammenhangs durch die „Reichsbürgerbewegung“ (→ Vorlesungseinheit 2) aber: 1949 bewusste Abkehr von der Bezeichnung als „Reich“ zur Vermeidung historischer Reminiszenzen: welcher? Die vier Weltreiche Kommentar des Hieronymus (347 – 420) zum Buch Daniel: Babylon, Persien, Griechenland, Rom (von Ost nach West) als die vier Weltreiche – danach Weltende (Welt ist eine Scheibe); römisches Reich als letztes dieser Reiche; Angst Fortbestand des Imperium Romanum verhindert somit das Erscheinen des Antichristen/den Weltuntergang aber: 476 Erlöschen des weströmischen Kaisertums, zu- gleich Bestreitung der Legitimität des oströmischen Kaisertums → heilsgeschichtliche Bedeutung einer Erzählung über den Fortbestand des Römischen Reiches Römisches Reicht als letztes der vier Weltreiche 1. Ende des weströmischen Kaisertums im 5. Jh., Rom wird Ruinenlandschaft 2. Fortbestand Ostroms/Byzanz: ungebrochene Tradition der griechisch- römischen, christlich gewordenen Antike bis 1453 römisches Recht (spätantike Sammlung durch Justinian in Ostrom; Rezeption im Westen seit 13. Jh.) weströmischesReich/Reichsgründungdurch die Franken aus der Perspektive von Byzanz: Randereignis Kaiserkrönung Karls des Großen in Rom durch Papst Leo III. am 25. Dezember 800: Idee eines erneuerten römischen Reiches durch Übertragung des Reichs an die Franken (translatio imperii) Das Heilige Römische Reich: konzeptioneller Zugriff Königswahl und Kaiserkrönung Goldene Bulle von 1356 Verhinderung einer Doppelwahl Mehrheitsprinzip Unteilbarkeit der Kurfürstentümer Primogenitur: Erstgeborenenprinzip; Territorium wird nicht geteilt, also nicht auf die verschiedenen Erben aufgeteilt Wahlkollegium: 7 Kurfürsten (3 ist die göttliche Zahl; 4 ist die weltliche Zahl) —> Dreifaltigkeit; vier Himmelsrichtungen; Kaiserkrönung ist Aufgabe des Papstes Erzbischöfe von Trier, Köln und Mainz König von Böhmen, Pfalzgraf bei Rhein, Herzog von Sachsen, Markgraf von Brandenburg Gewählter als „rex in imperatorem promovendus“ Kaiserkrönungen seit 936 in der Aachener Pfalzkapelle Frankfurter Kaiserdom (St. Bartholomäus): Königswahl seit Goldener Bulle 1356 in der Wahlkapelle Krönungen des Gewählten im Dom seit 1562 durch Mainzer Erzbischof (bis 1792 – J. W. v. Goethe) keine Unterscheidung mehr zwischen Königs- und Kaiserkrönung —> Frankfurter Stadtkind von Goethe —> Frankfurt als zentraler Ort des Reiches Ende des Reiches - Rückanknüpfungen an Reichs- und Kaiserideen Reichsdeputationshauptschluss: 1803 in Regensburg vom Immerwährenden Reichstag verabschiedet Ziel: Entschädigungen für Abtretung der links-rheinischen Gebiete an Frankreich Säkularisation Reduzierung der Zahl der Reichsstände von 300 auf 112 Abdankung Kaiser Franz II.: nimmt 1804 den Titel des Kaisers von Österreich an legt 1806 die Reichskrone nieder: Entbindung der Reichsglieder ihren (lehnsrechtIichen) Verp ichtungen gegenüber dem Reich bleibt als Kaiser Franz I. Kaiser von Österreich und König von Böhmen, Kroatien und Ungarn —> Ende des religiösen Fundamentes; konsequente Entwicklung Rückanknüpfung an Reichs- und Kaiserideen Napoleon 1804: Krönung in Notre Dame —> nicht vom Kaiser gekrönt, sonder selbst Deutsche Nationalbewegung im 19. Jh. Barbarossa als „deutscher Kaiser“ NationaleRück- projektion des 19. Jahrhunderts Kyffäuser-Sage Reichsgründung 1871 Gemälde: Anton von Werner Reichstagseröffnung 1888 Herrschaftsinszenierung: Interpretation; in Auftrag gegeben durch den Kaiser Kaiser Wilhelm II eröffnet den Reichstag Gegründet worden ist das Reich durch einen vertraglichen Zusammenschluss der Fürsten: Deutschland war ein Fürstenbund Regierung wird ausschließlich vom Monarchen eingesetzt; brauchen nicht die Mehrheit des Reichstags gewählte Abgeordnete: Masse, steht unten —> wenig Macht Reichskanzler Bismarck —> spiegelt die Sitze im Bundestag wieder; Wiederspiegelung dr Reichsgründung 1871 Norddeutscher Bund Gründung des Norddeutschen Bundes 1866 als Regierungsbündnis (ohne Österreich, Bayern, Württemberg, Baden, Hessen-Darmstadt, Luxemburg) Hegemonie Preußens: Preußischer König war erblicher Präsident des Bundes 1871: Kaiserproklamation: Bezeichnung „Deutscher Kaiser“ Nationalsozialismus „DrittesReich“: schlichte chronologische Durchzählung oder eschato- logische Bedeutung? nur begrenzt Selbstbezeichnung des nationalsozialistischen Regimes, gängiger Terminus in den Jahrzehnten nach 1945 (wegen seiner Unverfänglichkeit?) Führer/Erwählung durch die Vorsehung: mystische/pseudo-religiöse Legitimationsmuster —> Anknüpfung an mystische/ metaphysische Herrschaftsbegründung Reichstag/ Sitz des Bundestages Gebäude heißt Reichstagsgebäude (tautologisch) —> Institution, aber auch schon immer historische Bezeichnung Bundestag —> Abkehr von der Reichsidee Säkularität der Verfassungsordnung keine explizite Erwähnung von Säkularität als Staatsstrukturprinzip des Art. 20 I GG: ggfs. Teilaspekt von Republik? anders frz. Verfassung von 1958: „La France est une République indivisible, laïque, démocratique et sociale.“ aber eindeutige Trennung von Staat und Religion: legitimatorische Trennung: keine religiöse Grundlage der Staatlichkeit Präambel des GG: Volk als pouvoir constituant statt Rekurs auf Gott (oder „Vorsehung“) institutionelle Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften: keine Staatskirche (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 WRV) zugleich Gottesbezug in der Grundgesetzpräambel und Kooperationen von Staat und Religionsgemeinschaften: Religionsunterricht an staatlichen Schulen, Theologie an staatlichen Universitäten Kirchensteuereinzug Anstaltsseelsorge (Bundeswehr etc.) Politisch-religiöse Einheit: Antike Christenverfolgungen, seit Nero, verstärkt im 3. Jh. bis Diocletian Anfang 4. Jh. u.a. wegen Ablehnung des Kaiseropfers (Christentum ist monotheistisch; sie dürfen keinen Kaiser anbeten) lapsi libellatici: abgefallene Christen „mit Opferbescheinigung“ Toleranzedikt 311: Christentum als religio licita (erlaubte Religion), Taufe Kaiser Constantins, Auf ndung des Kreuzes Christi durch die Kaiserinmutter Helena 321 Sonntag (dies solis) als öffentlicher Feiertag (Verbot von Amtshandlungen): allmähliche Christianisierung des alltäglichen Lebens (in den Städten) 341 Verbot der heidnischen Opfer, 529 Schließung der platonischen Akademie in Athen (Gelehrte wandern z.T. aus an den Hof des persischen Königs) Entwicklung als „Christianisierung des römischen Reiches“ oder Entstehung des Christentums im römischen Reich? Antike/Frühmittelalter Römischer Kaiser übernimmt gleichsam kirchenleitende Funktionen: Einberufung und Leitung der Reichskonzile seit Nicaea 325 mit Festlegung des Credo Verstärkt in Ostrom/Byzanz (Justinian, 6. Jh.: Caesaropapismus) Kirchenstrukturen (Bischöfe) werden Teil der Reichsverwaltung, bischö iche Gerichte übernehmen Rechtsprechungsaufgaben Kirche übernimmt Armen- und Waisenfürsorge, dafür zahlreiche Schenkungen: Kirche wird Vermögensträgerin und Landbesitzerin Fortbestand dieser antiken kirchlichen Verwaltungsstrukturen (Diözesanverfassung, Rechtsprechung, Fürsorge) auch über Völkerwanderung/Untergang des weströmischen Reiches hinaus: → Kontinuität von (Spät-)Antike und Mittelalter fl Päpstlicher Anspruch im 11. Jh. (Gregor VII., Dictatus papae 1075): Papst als höchste Autorität im orbis Romanus – römischer Erdkreis (ostfränkisches) Reich nicht mehr als. imperium romanum, sondern regnum Teutonicum theologisches Verständnis der Weihe/ Salbung weltlicher Herrscher: Kaiser bleibt Laie und ist damit nicht zur Leitung in der Kirche befugt kaiserlicher Anspruch (Heinrich IV.): fränkischer König nicht irgendein König unter vielen Königen, sondern rex romanorum und damit Anspruch auf Kaiserwürde und Vorrangstellung im imperium romanum Grundfrage: Verhältnis von weltlicher und geistlicher Ordnung konkreter Streitpunkt: Bischofsinvestitur (Investiturstreit) 1076: päpstlicher Bann über König Heinrich IV. dessen Aufhebung nach Bußgang nach Canossa zugleich Lösung des Treueeids der Fürsten gegenüber dem König durch den Papst: einem Tyrannen muss die Gefolgschaft verweigert werden 1122 Wormser Konkordat: Trennung der spiritualia von den temporalia des Bischofsamtes König investiert gewählten Bischof nur mit den temporalia (weltlicher Akt in lehnsrechtlicher Form): Hochstift bzw. Fürstbistum als weltliche Herrschaft im Heiligen Röm. Reich (nur) lehnsrechtliche Beziehung zwischen König und Bischöfen, keine Unterstellung unter sakral verstandenen Herrscher davon getrennte Bischofsweihe durch Erzbischof und zwei Bischöfe Ergebnisse des Investiturstreits: kirchliche Eigenständigkeit vom Ein uss der Laien, insb. des Kaisers zugleich Grundlagen für eigenständigen weltlichen Bereich unabhängig von der Kirche Reformation als Kirchenreform, Reformation als Kirchenspaltung? Spannungsfeld von grundlegender Bedeutung für Verfassungsentwicklung seit 16. Jh: faktische Kirchenspaltung damit Verlust der Einheit der lateinischen Christenheit, die konstitutiv für das mittelalterliche Reichsverständnis gewesen war theologischer Anspruch beider Konfessionsparteien aber stets für die ganze Kirche Christi Aufgabe: Ordnung der Reichsverfassung gemeinsam mit anderer Konfessionspartei, deren Existenzberechtigung aus theologischer Sicht nicht akzeptiert werden kann fl Beginn der Reformation Religionsgespräche als erfolgloser Versuch zur Überwindung der Glaubensspaltung 1517 Thesenanschlag Reaktion: Reichsacht gegen Luther 1521 (Wartburg,Bibelübersetzung) Ausbreitung der Reformation Möglichkeit einer eigenständigen Religionspolitik der Reichsstände im eigenen Territorium unabhängig von Kaiser und Papst als Erfolgsfaktor Verrechtlichung des Religionskon ikts Unterstellung von Religionsfragen unter den Landfrieden Zuständigkeit des Reichskammergerichts 1555 Augsburger „Religionsfrieden“ 1648 Westfälischer Frieden (gültig bis zum Ende des Reiches 1806) Augsburger Religionsfrieden 1555: in den Territorien: Konfessionseinheit, Absolutheitsgeltung der Landeskonfession (cuius regio– eius religio: Reformationsrecht des Landesherrn) im Reich: Neutralität, Parität, konfessionelle Offenheit Materiell: Existenz zweier konfessioneller corpora auf dem Reichstag (1555) Prozedural: Verfahren der itio in partes und amicabilis compositio (IPO 1648) zeitgenössische Reaktion auf Religionsfrieden von 1555: Resignation Karls V. als Kaiser Neuwahl Ferdinands unter Protest des Papstes gegen Beteiligung von Ketzern an der Wahl Verzicht Ferdinands auf Kaiserkrönung durch den Papst Interpretation der Reichsverfassung von 1555: Religionsfrieden als „Vernebelungsbegriff“ (Heckel): gerade kein Religionsfrieden, sondern: Einschluss der mächtigsten Häretiker in die äußere Ordnung theologische Notwendigkeit, den Absolutheitsanspruch der eigenen Konfession (Wahrheitsanspruch des eigenen Kirchenverständnisses) im Prinzip aufrecht zu erhalten: Sektenverbot (zB Wiedertäufer in Münster) konsequent, weil Grundprinzip der Reichsverfassung nicht allgemeine religiöse Toleranz, sondern faktische Duldung der mächtigsten Häretiker war Ambivalenz der Reichsverfassung von 1555: gegenseitige Stützung beider Systeme (Religion und Reichspolitik): weltliche Ausgleichs- und Rahmenordnung für theologisch unüberbrückbare Gegensätze (moderne Deutung) Nahziel des Erhalts der Einheit des Reiches Voraussetzung für Fernziel der Wiedervereinigung der Religion —> Nahziel verdrängt Fernziel Religionsfrieden: konzeptionell nur als Interimsordnung: Auftrag der Einheit der Christenheit bleibt Interimsordnung auf Dauer nötig, weil religiöse Einheit nicht mehr erreicht wird – auf Dauer möglich, solange sie konzeptionell Interimsordnung bleibt fl Ambivalenz der Reichsverfassung von 1555: Notrechtskonzeption Notrechtskonzeption erforderlich, um überhaupt Kompromisse zu ermöglichen, die nach dem ius divinum eigentlich verboten wären andererseits aber latente Bedrohung der Verfassungsordnung nur so lange haltbar, wie Gegenseite theologisch oder machtpolitisch nicht eliminiert werden kann Friedensschlüsse regeln nur die possessio (Besitz) an den umstrittenen Kirchengütern und Kirchenämtern, nicht Eigentum und geistliche Widmung Suspension als interpretationsoffener Begriff (Verschleierung): aus katholischer Sicht bloß vorübergehender Verzicht auf Zwangsdurchsetzung alter Ansprüche auf Kirchengut und Ämter aus evangelischer Sicht materiellrechtliche Unverbindlichkeit der aus dem kanonischen Recht hergeleiteten Ansprüche Frankreich: 1789: Verstaatlichung der Kirchengüter 1790: Aufhebung der Klöster und Orden 1790: Zivilverfassung des Klerus Umwandlung vieler Kirchen in Tempel der Vernunft Kult des Höchsten Wesens: 1794 mit Fest des Höchsten Wesens in Notre-Dame Kalenderreform: gerechnet ab Einführung der Republik 1792 mit 10-Tage-Wochen Umtaufen: Straßennamen, Vornamen, Monatsbezeichnungen Einführung des Laizismus durch Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat 1905 (Trennungsgesetz) Trennung von Kirche und Staat Staatliche Neutralität gegenüber allen Konfessionen keine staatliche Finanzierung Kirchen (und sonstige 1905 bestehende religiöse Gebäude) sind öffentliches Eigentum kein Religionsunterricht an staatlichen Schulen Tragen religiös-motivierter Kleidung in staatlichen Schulen für Schüler verboten „Kulturkampf“: Gesetze gegen die katholische Kirche Rechte der Kirche beschnitt Bismarck ab den frühen 1870er Jahren mittels einiger Reichs- Und preußischer Landesgesetze Anfang des "Kulturkampfes“ markiert sog. "Kanzelparagraph“ im Dezember 1871: Geistliche jeglicher Konfession, die in der Ausübung ihres Amtes staatliche Angelegenheiten kommentierten, konnten demnach mit einer Haftstrafe belegt werden Milderungsgesetz am 14. Juli 1880 leitete Ende des "Kulturkampfes" ein Folgen für die deutsche Parteiengeschichte Staatliche Diskriminierung der Katholiken – wie später auch der Sozialdemokraten – trug wesentlich zur Milieubildung bei Wahl von Zentrumspartei oder SPD war nicht nur eine politische Entscheidung, sondern die Entscheidung für eine eigene Lebensweise und ein Milieu, das durch eine eigene Ideologie und Organisation nach außen abgegrenzt war Staat als zentrale Organisationsform hoheitlicher Gewalt Was ist primär, was ist abgeleitet: Staat oder Verfassung? Antwort in Abhängigkeit vom Staatsbegriff/Betrachtungsweise: – soziologischer Begriff, historische Betrachtungsweise: Staat als Verfassungsvoraussetzung – juristischer Begriff: Identität von Rechtsordnung/Verfassung und Staat, Verfassung konstituiert den Staat Charakteristika des (modernen) Staates: einheitliche, zentrale Gewalt nach Innen, Monopol der legitimen physischen Gewaltanwendung (innere Souveränität) Unabhängigkeit nach Außen (äußere Souveränität) Staatsterritorium mit linearen Grenzen, über das sich die Staatsgewalt erstreckt Staatsvolk: Bezüglich ihrer Rechte und P ichten homogene Bevölkerung Untertanen bzw. Staatsbürger) dauerhafte, bürokratische Staatsorganisation (Beamtenschaft, Steuerwesen, stehendes Heer) Gegenbild: auf differenzierten personalen (Lehns-) Beziehungen beruhende Herrschaftsorganisation im Mittelalter Entstehung des modernen Staates völkerrechtlicher Friedensschluss 1648 zur Beendigung des 30jährigen Krieges Doppelvertrag: IPM und IPO (Instrumentum Pacis Osnabrugensis zur Reichsverfassung) Bedeutung des Westfälischen Friedens für das Reich: konfessioneller Ausgleich paritätische Besetzung verschiedener Reichsinstitutionen Bindung zentraler Majestätsrechts des Kaisers an die Zustimmung des Reichstags (Komitialrechte, von comitia– Reichstag: Gesetzgebung, Erklärung von Krieg und Frieden, Bündnisrecht, Festungsbau, Oberste Gerichtsbarkeit) Fixierung der Reichsverfassung in „retrospektiver, archaisierend-statischer“ Form (Heckel): Balance von Gruppeninteressen, Friedenssicherung —> Reich entwickelt sich nicht zu einem modernen Staat Bedeutung des Westfälischen Friedens für die Territorien Anerkennung der Landeshoheit der Territorien Bündnis- und Kriegsführungsrecht (beschränkt durch Rücksicht auf Kaiser und Reich und Landfrieden im Innern) Schwerpunkt der Verfassungsentwicklung verlagert sich in die Territorien Modernisierung in den (größeren) Territorien kleine Reichsstände/Reichsritterschaft: ggfs. kulturell engagiert, wenig Verfassungspolitik, Kaiser und Reichsgerichte als Schutz —> größere Territorien des Reiches (Preußen, Österreich, auch Bayern, Sachsen etc.) werden allmählich zu Staaten, im 19. Jahrhundert in Spannung zum Nationalstaatskonzept 1. Der Westfälische Frieden hat die Reichsverfassung modernisiert 2. Basis für die Territorien sich zu einem modernen Staat zu entwickeln 3. Großes Vorbild für die Weltklimakonferenz (völkerrechtliche Bedeutung) fl Absolutismus Säkularisierung der Staatsgewalt: Wandel des Staatsziels vom Heil der Untertanen zur Wohlfahrt des Gemeinwesens Herrschaftsstrukturen: Hof als Mittelpunkt der Herrschaft abhängige Beamtenschaft Kabinettsystem: Fürstenberatung stehendes Heer als Ausdruck staatlicher Souveränität und außenpolitischer Handlungsfähigkeit Merkantilismus: hoher Finanzbedarf für Hof, Heer, Verwaltung Förderung von Handel, Bergbau und Gewerbe Abschaffung von Binnenzöllen Vereinheitlichung von Maßen, Münzen, Gewichten Wirtschaft im Dienst des Fürsten Absolutismus in den Territorien (statt im Reich) als Besonderheit der deutschen Verfassungsgeschichte: insb. Preußen und Österreich aber auch in kleineren Territorien wie im Hochstift (Fürstbistum) Münster absolute Macht der Landesherren nach Überwindung von Mitbestimmungsrechten der Stände Unterscheidung (bis hin zu scharfer Gegenüberstellung) von Staat und Gesellschaft als staatstheoretische Basis (vgl. Marietta Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, S. 29 – 32): Bürgerschaft ohne politische Funktion für den bzw. im Staat: Bürger nur als Untertanen, nicht als citoyen davon getrennt eine gesellschaftliche Sphäre mit Freiräumen persönlicher und wirtschaftlicher Entfaltung: Bürger als bourgeois Frontispiz bei Hobbes, Leviathan (1651) Biblisches Seeungeheuer, von Hobbes auf die Allmacht des Staates bezogen Souverän, der über Land, Städte und Bewohner herrscht Körper aus den Menschen, die in den Gesellschaftsvertrag eingewilligt haben Schwert und Krummstab als Zeichen für weltliche und geistliche Macht überschrieben mit Zitat aus dem Buch Hiob (41,25): „Non est potestas super terram quae comparetur ei“ (keine Macht auf Erden ist ihm vergleichbar) Naturrechtsdenken 17./18. Jahrhundert Hintergrund: Methodenwandel der Wissenschaften in Astronomie, Mechanik, Mathematik, Geometrie: methodisches Vorgehen, Rationalisierung der Denkschritte, Berechenbarkeit, mos geometricus als prägende Vorbilder Planetenbahnen (Kepler 1571 – 1630, Galilei 1564 – 1642) „Geometrisierung“ des Lebens: Gartenbaukunst Naturgesetze beschreiben göttliche Ordnung der Welt Ausstrahlung dieses neuen Wissenschaftsideals auf Philosophie, Politik, Jurisprudenz: Metapher für Staat nicht mehr „Körper“, für Staatsmann nicht mehr „Arzt“ sondern: Staat als „Uhrwerk“, „Maschine“, Staatsmann als „Konstrukteur“ in Analogie zu naturwissenschaftlichen Naturgesetzen Suche nach Naturgesetzen der menschlichen Gemeinschaft Naturrecht nicht primär als Postulat von Inhalten, sondern als Methode der Rechtsbegründung: keine Unterwerfung unter unbegründete Autoritäten überpositivistische Instanz als unangreifbare Erkenntnis- und Legitimationsquelle, insb.: göttliche Offenbarung natürliche Vernunft Natur des Menschen daher inhaltliche Varianz des Naturrechts in Abhängigkeit von politischen Kontexten Naturrechtsdenken als Grundlage des Ius publicum universale (Allgemeines Staatsrecht) als Staatsrecht der Aufklärung Politische Hintergründe des Naturrechtsdenkens um 1700: Absolutismus, Zurückdrängung ständischer Rechte zurückgehende Brisanz der Religionsfrage daher naturrechtliche Begründungen für: – Souveränitätsdenken – Fokussierung auf Herrscher/Fürsten – Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols – rationale Konstruktion von Herrschaft vor allem durch Gesetzgebung – Unterwerfung der verbliebenen intermediären Mächte in einem einheitlichen Territorialverband —> Naturrecht als Theorie des (aufgeklärten) Absolutismus zur Überwindung des Ständestaates Politische Hintergründe des Naturrechtsdenkens um 1800: Ende des Ancien Régime, Französische Revolution Aufstieg des Bürgertums, Infragestellung der ständischen Gesellschaftsgliederung Naturrechtliche Begründungen für: unveräußerliche Rechte des einzelnen, Überwindung von Unterdrückung, Entfaltung von revolutionärem Potential —> Naturrecht als Theorie zur Überwindung des Absolutismus (durch Reform oder Revolution) Aufgeklärter Absolutismus und Rechtsstaatlichkeit eine gleichstehende Wage hält, in welcher rechten Schaal, ein Hirtenstab und P ugschaar und in der linken Kron und Zepter liegen; dadurch anzudeuten, daß der Bauer, so wie der König, für den Richter gleich sein müssen.“ Nationalstaatskonzept moderner Staat nicht notwendigerweise Nationalstaat: preußische Bevölkerung um 1800: Deutsche, Slawen (ca. 43%, v.a. Polen, Sorben), zudem französische Hugenotten, Juden Mittel der Nationsbildung: Sprache Abstammung Verbindung über kollektive Mythen, Werte und Symbole ab ca. 1880er Jahre Reduktion auf Vererbungslehre Kultur Literatur: Nationalliteratur, gesammelte Volksmärchen (Grimms Märchen 1812) Musik: hochkulturelles Erbe (z. B. Bach, Beethoven, Brahms), Volkslied (überwiegend eine Schöpfung der Romantik, z. B. Schubert, Am Brunnen vor dem Tore, 1821) Typen der Nationalstaatsbildung Vertragsnation in schon existierendem Staat (z. B. Frankreich) Kulturnation, die mehrere existierende Staaten überwölbt risorgimento-Nationalismus der Befreiung von einer Fremdherrschaft (Italien, Ost- und Südosteuropa) Nationalismus ab ca. 1880er Jahre Betonung der Abstammung (Popularisierung von Rassenlehren) und gegebenenfalls einer monarchischen Tradition (=»integrale« Inanspruchnahme der Nation, gegen den bisher republikanisch ausgerichteten Nationalismus) Gegnerschaft zur internationalen sozialistischen Bewegung, Antisemitismus

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