Pädagogisches Handeln in Schulen PDF - Zusammenfassung SOSE 24

Summary

Diese Zusammenfassung von Prof. Dr. Felicitas Thiel, FU Berlin, behandelt pädagogisches Handeln in Schulen. Die wichtigsten Themen sind das deutsche Bildungssystem, die Entwicklung von Kompetenzen und die Bedeutung der Sozialisation im schulischen Kontext. Die Zusammenfassung basiert auf dem Sommersemester 2024.

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Pädagogisches Handeln in Schulen Zusammenfassung Prof. Dr. Felicitas Thiel Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik Zusammenfassung der 1. Sitzung...

Pädagogisches Handeln in Schulen Zusammenfassung Prof. Dr. Felicitas Thiel Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik Zusammenfassung der 1. Sitzung Einführung Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik Struktur des deutschen Bildungssystems Berliner Schulsystem:  Sechsjährige Grund- Schulsystem in Bayern schule  Zweigliedrigkeit in der Sekundarstufe I  Entkopplung von höchstem Schul- abschluss (Abitur) und Bildungsgang  Gemeinschaftsschulen von Klasse 1 bis 13 Schulsystem in Berlin 3 3 Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik Professionelles Wissen Motivationale Orientierungen Überzeugungen/ Selbstregulative Werthaltungen Fähigkeiten Professions- wissen Wissens- Pädago- Fach- Fachdidakt. Organisations- Beratungs- gisches bereiche Wissen wissen Wissen wissen wissen Wissens- facetten Modell professioneller Handlungskompetenz (Baumert & Kunter, 2006) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 4 Professionelles Wissen Motivationale Orientierungen Überzeugungen/ Selbstregulative Werthaltungen Fähigkeiten Pädagogisches Wissen Professions- wissen Wissen über Lern- und Entwicklungsprozesse (kognitive, motivationale und soziale Aspekte) Wissens- Wissen über Pädago- Fach-Lehr-Lernprozesse Fachdidakt. Organisations- Beratungs- gisches (psychologische und soziologische Aspekte) bereiche Wissen wissen Wissen wissen wissen Wissen über Bildungssystem und Bildungsorganisation (politische, rechtliche und historische Aspekte) Wissens- facetten Wissen über Diagnose und Evaluation (methodisches Wissen) Modell professioneller Handlungskompetenz (Baumert & Kunter, 2006) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 5 Zusammenfassung der 2. Sitzung Bildung und Sozialisation in Schulen Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 6 Historische Entwicklung der Schule Prozesse der Entwicklung des Schulsystems Durchsetzung der Schulpflicht Definition allgemeiner Bildung durch Lehrpläne Regulierung von Abschlüssen Professionalisierung von Lehrpersonen Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 7 Institutionelle Rahmenbedingungen pädagogischen Handelns Schule ist eine rechtlich stark regulierte Institution: sachlich: Lehrpläne, Lernziele, Kompetenzstandards... zeitlich: Stundentafeln, Pausen, Wiederholungen, Übergänge... sozial: Jahrgangsbeschulung in Schulklassen, Lehrer*innenrolle…  Schule schafft einen Rahmen für Bildungs- und Sozialisationsprozesse. Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 8 Allgemeine Bildung in Schulen - allgemein vs. partikular - allgemein vs. spezialisiert - allgemein vs. subjektiv Allgemeine Bildung als Ziel der Schule  Allgemeine Bildung im Sinne einer für alle Mitglieder (unabhängig von sozialer Herkunft, Geschlecht, Religion…) einer Gesellschaft verbindlichen Bildung (allgemeinverbindliches Curriculum)  Allgemeine Bildung im Sinne der Vorbereitung auf spezialisierte Bildung (Grundbildung, die beruflicher Bildung vorausgeht)  Allgemeine Bildung im Sinne einer an allgemeingültigen Anforderungen und Bewertungskriterien orientierten Bildung (objektive Beurteilung von Lernerfolg) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 9 Allgemeinbildung und Lehrplan ⇒ vom Kanon zur Kompetenz Kompetenz: „Die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verant- wortungsvoll nutzen zu können.“ (Weinert, 2001, S. 27) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 10 Allgemeinbildung und Grundbildung Literacy = “the ability to identify, understand, interpret, create, communicate and compute, using printed and written materials associated with varying contexts. Literacy involves a continuum of learning in enabling individuals to achieve their goals, to develop their knowledge and potential, and to participate fully in their community and wider society.” (UNESCO Education Position Paper 2004, S. 13; https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000136246) Literacy = die Fähigkeit, gedrucktes und geschriebenes Material aus unterschiedlichen Kontexten zu identifizieren, zu verstehen, zu interpretieren, zu erschaffen, zu kommunizieren und zu berechnen. Literacy ermöglicht es einer Person, sich kontinuierlich weiterzubilden, um ihre Ziele zu erreichen, ihr Wissen und ihr Potential zu entwickeln und uneingeschränkt an der Gemeinschaft und der Gesellschaft im weitesten Sinne teilzuhaben. Schulleistungstests der PISA-Studie basieren auf dem Literacy-Konzept = funktionale Grundbildung: Anwendbarkeit für die jetzige und die spätere (nachschulische) Teilhabe an einer Kultur sowie die Anschlussfähigkeit im Sinne kontinuierlichen Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik Weiterlernens über die Lebensspanne https://www.pisa.tum.de/kompetenzbereiche/ 11 Allgemeinbildung und allgemeine Anforderungen „Bildungsstandards konzentrieren sich auf Kernbereiche eines bestimm- ten Faches. Sie decken nicht die ganze Breite eines Lernbereiches ab, sondern formulieren fachliche und fachübergreifende Basisqualifika- tionen, die für die weitere schulische und berufliche Ausbildung von Bedeutung sind und die anschlussfähiges Lernen ermöglichen.“ (KMK, 2004, S. 7) => Allgemeinbildung und Kompetenzorientierung Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 12 Sozialisation als Erwerb von Normen Sozialisation bezeichnet den Erwerb von Normen und Verhaltens- bereitschaften sowie die Übernahme von Rollenerwartungen in einem sozialen Erfahrungsraum. Durch Sozialisation erfolgt die Integration der Individuen in die Gesellschaft. Sozialisation ist ein lebenslanger Prozess: - Familiale Sozialisation (primäre Sozialisation) - Schulische Sozialisation (sekundäre Sozialisation) - Berufliche Sozialisation (tertiäre Sozialisation) „Das Schulwesen hat offenbar Wirkungen, die über den eigentlichen Unterricht weit hinausreichen. Die Schule – als Institution – erzieht.“ (Bernfeld, 1925, S. 34) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 13 Schule als sozialer Erfahrungsraum Familie Schule - Eltern, 1 bis 4 Kinder - Lehrperson, 20 bis 30 Schüler/innen Komposition unterschiedlichen Alters gleichen Alters - sozial homogen - sozial heterogen Intimität hoch niedrig Interaktion affektiv, persönlich affektiv neutral, rollengeprägt Beziehung dauerhaft zeitlich begrenzt - thematisch offen - thematisch eingeschränkt Kommunikation - spontan - routinisiert Anforderungen individualisiert universell Beurteilung individuelle Bezugsnorm soziale Bezugsnorm Moral Bedürfnisgerechtigkeit Leistungsgerechtigkeit Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 14 Pädagogisches Handeln in Schulen Pädagogisches Handeln in Schulen ist … - intentionales, reguliertes Handeln mit dem Ziel allgemeiner Bildung (Inhalte, Kompetenzen, Standards). - beschränkt durch institutionelle Rahmenbedingungen, die einen sozialen Erfahrungsraum für Sozialisationsprozesse bestimmen. Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 15 Passung von primärer und sekundärer Sozialisation Dimensionen Erziehungsstile: - Kontrolle: Regulierung des Verhaltens Erziehungsstile, Parental Styles (Baumrind, 1967, 1991) - Responsivität: Sensitivität für und Beachtung von Bedürfnissen - Autoritär: hohe Kontrolle, geringe Responsivität (strikte Regeln, Erwartung von Gehorsam, Einsatz von Bestrafungen, wenig Erklärungen, geringer verbaler Austausch) - Autoritativ: hohe Kontrolle, hohe Responsivität (klare Erwartungen, Regeln, Unterstützung von Autonomie, viele Erklärung, hoher verbaler Austausch) - Permissiv: wenig Kontrolle, hohe Responsivität (wenig Grenzen, Akzeptanz kindlichen Verhaltens, wenig Intervention) - Vernachlässigend: wenig Kontrolle, wenig Responsivität (wenig Investitionen in Zeit und Anstrengung, hohe Distanz, wenig Verantwortung) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 16 Passung von primärer und sekundärer Sozialisation Schulleistungen werden durch den Erziehungsstil /Sozialisationskontext beeinflusst (Neuenschwander & Golz, 2008; Schellhas, Grundmann & Edelstein, 2012) Ein autoritativer Erziehungsstil korreliert positiv mit Noten (Steinberg et al., 1992; Kudek et al., 1995), Lernstrategien (Aunola et al., 2000) und Schulengagement (Steinberg et al., 1992) Ein autoritärer, permissiver oder vernachlässigender Erziehungsstil wirkt sich negativ auf Schulerfolg aus (Aunola et al., 2000) Autoritativer Erziehungsstil findet sich signifikant häufiger in oberen Schichten. Autoritärer Erziehungsstil korreliert nicht signifikant mit Schichtzugehörigkeit (Schellhas, Grundmann & Edelstein, 2012) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 17 Zusammenfassung der 3. Sitzung Funktionen der Schule – Aufgaben von Lehrkräften Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 18 Funktionen der Schule (Fend, 1980) Vermittlung grundlegender Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kompetenzen als Grundlage für Erwerbsarbeit und gesellschaft- liche Teilhabe Identifikation und Förderung von Leistungspotentialen und Begabungen im Hinblick auf Bildungs- und Berufskarrieren (soziale Platzierung) Vermittlung grundlegender Werte, Einstellungen und Verhaltensbreitschaften, die für den Zusammenhalt einer Gesellschaft unverzichtbar sind Meritokratie = Gesellschaftsordnung, die soziale Positionen aufgrund von Leistung zuweist und nicht Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik aufgrund von Herkunft oder Besitz 19 Herausforderung: Qualifikation | IQB-Bildungstrend IQB-Bildungstrend 2021, S. 52 Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 20 Herausforderung: Selektion |Gymnasialempfehlung und Leistung Zu beachten: Für 2021 wurde ein geringfügig verändertes Berechnungsverfahren gewählt, so dass die Werte nicht direkt vergleichbar sind. Ergebnisse | IGLU-Studie Kompetenzwerte (Lesen), die notwendig sind, damit SuS (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung, 4. Jhg.) mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 % eine Empfehlung für das Gymnasium erhalten 2001 2006 2016 2021 Obere Dienstklasse (I) 551 537 518 510 Untere Dienstklasse (II) 565 569 539 520 Routinedienstleistungen (III) 590 582 548 535 Selbstständige (IV) 591 580 568 550 (Fach-)Arbeiter*innen (V, VI) 603 592 590 559 Un- und angelernte Arbeiter*innen (VII) 601 614 620 575 Gesamt 581 580 562 546 Es bestehen deutliche Differenzen zwischen den Berufsklassen. Im Jahr 2021 wird ab einem Wert von 546 P. eine Gymnasialpräferenz der Lehrkräfte Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik hinreichend wahrscheinlich (MW der Lesekompetenz in D = 524 P.). 21 Herausforderung: Integration | Beutelsbacher Konsens (1976) Indoktrinationsverbot: Lehrkräfte dürfen Schüler*innen die eigene Meinung nicht aufdrängen. „Es ist nicht erlaubt, die Schüler*innen – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinn erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der Gewinnung eines selbständigen Urteils zu hindern." Kontroversitätsgebot: In Wissenschaft und Gesellschaft kontrovers diskutierte Themen müssen auch im Unterricht im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung kontrovers dargestellt werden. „Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen." Schüler:innenorientierung: Lehrkräfte sollten die politische Handlungsfähigkeit der Schüler*innen im Sinne ihrer Interessen fördern. „Die Schüler*innen müssen in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren, sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen." Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 22 Funktionen der Schule und Aufgaben der Lehrkräfte Die Aufgabe von Lehrkräften ist die professionelle Unterstützung der Entwicklung kognitiver, motivationaler und sozialer Potentiale von Schüler*innen im Hinblick auf die Funktionen Qualifikation, Integration und Selektion. Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 23 Merkmale professioneller Arbeit (Stichweh, 1994) Bearbeitung existentieller Themen: Gesundheit, Zusammenleben, Bildung (Zentralwerte) Erbringung der professionellen Leistung geschieht interaktionsabhängig (Ko-Produktion der Leistung) Professionelle Leistung ist Vermittlungsleistung und in hohem Maß wissensabhängig (Expertenwissen) Autonomie der professionellen Leistungserbringung (Entscheidungsspielräume und professionelle Selbstkontrolle) Professionelle besitzen ein gesellschaftliches Mandat Professionelle verpflichten sich auf ein berufliches Ethos Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 24 Bildung als professionelle Vermittlungsleistung Besondere Bedingungen der schulischen Bildung: Widerspruch zwischen aktuellen Bedürfnissen der SuS und langfristigen Zielen widersprüchliche Erwartungen im Unterricht (Anwesenheits-)Zwang Zuweisung zu Professionellen statt Auswahl lebenslaufbedeutsame Entscheidungen (Selektion) hohes Beschämungsrisiko dichte Gruppensituation mit Peers => Professionelles Ethos als Grundlage eines Arbeitsbündnisses Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 25 KMK-Standards der Lehrerbildung (KMK, 2019) Vier Kompetenzdimensionen Unterrichten Erziehen Bewerten Innovieren Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 26 https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_12_16-Standards-Lehrerbildung-Bildungswissenschaften.pdf KMK-Standards der Lehrer*innenbildung (KMK, 2019) Vier Kompetenzdimensionen Unterrichten Unterrichtsplanung, Gestaltung von Unterrichts- situationen, Förderung selbstbestimmten Lernens Erziehen Unterstützung indiv. Entwicklung, Vermittlung von Normen, Lösung von Konflikten Bewerten Diagnostizieren von Lernvoraussetzungen, Beurteilen Innovieren Verantwortung wahrnehmen, professionelle Weiter- entwicklung, Beteiligung an Schul- und Unterrichts- entwicklung Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 27 Zusammenfassung der 4. Sitzung Professionelle Lehrexpertise und evidenzbasiertes Handeln Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 28 Anforderungen des Unterrichtens Unterrichten ist zielgerichtetes Handeln in einem dynamischen und komplexen sozialen System unter den Bedingungen von Unsicherheit. Multidimensionalität Simultanität Unmittelbarkeit Öffentlichkeit Historizität (Doyle 1986) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 29 Anforderungen des Unterrichtens Unterschied zu anderen Professionen: => Handeln unter Druck - Zeitdruck - emotionaler Druck Erhöhung der Handlungssicherheit durch Planung und reflektierte Erfahrung Erhöhung der Handlungsfähigkeit durch Emotionsregulation Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 30 Anforderungen des Unterrichtens Unterrichten „requires the construction of plans and the making of rapid on-line decisions.“ (Leinhardt & Greeno, 1989) „Design Kompetenz“ (Schön, 1983) => Planung von Lernprozessen „improvisational performance“ (Yinger, 1987) => Steuerung von Lernprozessen Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 31 Lehrexpertise Lehrkraft ist eine professionelle Expertin, die auf der Grundlage belastbarer Evidenz und reflektierter Erfahrung den differentiellen Unterstützungsbedarf von Schüler*innen erkennt und unter Nutzung eines breiten Handlungsrepertoires den individuellen Lernprozess wirksam unterstützt. Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 32 Evidenzbasierte Entscheidung und Professionelle Praxis Diagnose Intervention Evaluation Erfassung von Auslösung von Beurteilung von Merkmalen Mechanismen Effekten - kognitiv - Planung und - Wissen - motivational Unterstützung - Motivation - sozial von Lernprozessen - Verhalten Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 33 Formatives Assessment – adaptiver Unterricht Diagnose zur Spezifikation des Problems (z.B. Ausprägung im Vergleich zur Klasse oder zu einem Normwert) Auswahl einer geeigneten (potentiell) wirksamen Intervention laufende Evaluation und (bei ausbleibenden Effekten) Adaption oder Austausch der Intervention ⇒ Evidenzbasierte Entscheidung Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 34 Wissenschaftliche Evidenz Wissenschaftliches Wissen ist das Resultat von … - aus dem Forschungsstand abgeleiteten Fragestellungen oder Hypothesen. - kontrollierter und transparenter Datenerhebung. - systematischer und nachvollziehbarer Datenauswertung. - theoriegeleiteter Dateninterpretation. - kritischer Reflexion der Reichweite wissenschaftlicher Befunde. ⇒ Wissenschaftliches Wissen ist immer vorläufig. ⇒ Wissenschaftliches Wissen ist kumulativ. Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 35 Wissenschaftliche Evidenz: Evidenzhierarchie Metaanalysen/Reviews Prüfung von Hypothesen durch Verabreichung von Treatment an Experimentalgruppe und Placebos an Kontrollgruppe. Zufällige Zuordnung von Personen zu EG und KG =>Unterschiede zwischen Gruppen nach Treatment können auf Treatment zurück geführt werden, weil sich Experiment Fehleranfälligkeit die Gruppen ansonsten nicht unterscheiden keine zufällige Zuweisung von Personen =>Unterschiede zwischen EG und KG nicht eindeutig auf das Treatment Quasi-Experiment Fallstudien Expert*innenmeinungen Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 36 Evidenzbasierte professionelle Praxis Evidenzbasierte Praxis bedeutet die Integration individueller Expertise und der bestverfügbaren externen Evidenz aus systematischer Forschung zum Zweck der Entscheidung über praktische Probleme und Fragen. (vgl. Sackett et al. 1996) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 37 Evidenzbasierte professionelle Praxis Verpflichtung auf evidenzbasierte Entscheidung ⇒ Absicherung der Klient*innen (Intervention lege artis) ⇒ erlaubt Zurechnung von Verantwortung Grundsätze der Medizinethik (Bundesärztekammer) Fachkenntnis des Arztes: - Der Arzt ist verpflichtet, alle gesicherten Möglichkeiten der medizinischen Wissenschaft zu nutzen und seinen Patienten in geeigneter Form zugute- kommen zu lassen. - Er darf keine Fähigkeiten geltend machen, die er nicht besitzt. - Er ist verpflichtet, eine*n sachkundige*n Kollege*in hinzuzuziehen, wenn seine Kenntnisse für eine Untersuchung oder Behandlung nicht ausreichen. Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 38 Response to Intervention Evidenzbasierte Förderung von Schüler*innen mit besonderem Förderbedarf: => Kritik an der „Wait-to-Fail“ Praxis Response-to-Intervention-Programm: Dreistufiges System Verzahnung von (frühzeitiger) Diagnose und Förderung = Gezielte Gestaltung unterrichtlicher Maßnahmen, um jede*n Schüler*in individuell zu fördern: Schulische Leistungsentwicklung der SuS (response) auf die pädagogischen Maßnahmen (intervention) als relevantes Kriterium. 39 Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik Response to Intervention Schüler*innen sind (mehr als) ein Jahr hinter dem Stand der Klasse zurück, zeigen sehr schwache Test-leistungen, benötigen intensive Förderung. Schüler*innen fallen deutlich hinter den Stand http://www.aleks.com/k12/RtI-Tiers-v3.jpg der Klasse zurück, zeigen schwache Testleistungen und benötigen spezifische Förderung. Schüler*innen erreichen ungefähr erwarteten Standard, drohen nicht zurückzufallen bzw. benötigen wahrscheinlich keine weitere Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik Förderung. 40 Zusammenfassung der 5. Sitzung Komponenten des Lernens – Basisdimensionen des Unterrichts Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 41 Definition Lernen „Lernen [tritt] auf, wenn Erfahrung eine relativ dauerhafte Veränderung im individuellen Wissen oder Verhalten schafft. Die Veränderung kann beabsichtigt oder unbeabsichtigt, zum Besseren oder zum Schlechteren, richtig oder falsch und bewusst oder unbewusst sein. Um als Lernen zu gelten, muss durch die Interaktion einer Person mit ihrer Umgebung eine Veränderung durch Erfahrung zustande gekommen sein. Auf Reifung zurückzuführende Veränderungen … gelten nicht als Lernen.“ (Woolfolk 2008, 257) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 42 Komponenten des Lernens Präaktionale Phase Aktionale Phase Filter: Automatisch Lernqualität Filter: Ressourcen - Lernstrategien - Motivation Metakognitive Strategien - Selbstwirksamkeit Kognitive Strategien - Energie, Emotion - Volitionale Strategien Ziele Planung Lernquantität - Zeit Postaktionale Phase Lernergebnis - Qualität - Quantität Selbstreflexion Emotion Reaktion Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 43 Komponenten des Lernens Abb. 2: Grafik nach Friedrich & Mandl 1997 Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 44 Komponenten des Lernens Kognitive Lernstrategien Erläuterung Beispiele Lerntätigkeiten mit dem Ziel des Haltens im Lautes mehrfaches Wiederholen (z.B. Wiederholungs- Arbeitsgedächtnis oder der festen Einmaleins), strategien Verankerung einzelner Fakten im Abschreiben eines Textes Langzeitgedächtnis Verknüpfung von verschiedenen Neue Begriffe mit vorhandenen abgleichen Elaborations- Informationen im Arbeitsgedächtnis; Paraphrasieren strategien Verknüpfung von Informationen im Beispiele finden Arbeitsgedächtnis mit Informationen im Langzeitgedächtnis Fragen an den Text stellen Transformation der Informationen in eine Mind-Map Organisations- leichter zu verarbeitende Form; Zusammenfassungen, Cluster strategien Komplexitätsreduktion Graphiken, Diagramme, Skizzen Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 45 Komponenten des Lernens Metakognitive Lernstrategien Planung Ziel definieren (primäre Ziele, sekundäre Ziele), Vorgehen gedanklich strukturieren (Strategien auswählen, Reihenfolge festlegen, Ressourcen einschätzen Monitoring/ Durchführung von Soll-Ist-Vergleichen, Begleitung der Ausführung, z.B. den Prozess der Aufgabenlösung, aufgabenirrelevante Aktivitäten identifizieren Überwachung Regulation Kontinuierliche Anpassung des Lernprozesses Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 46 Das Lehr-Lern-Prozessmodell Start Informations- Speichern und Motivation Informierung Transfer Hat der Lernende verarbeitung Abrufen Ist der Lernende Ja Ja Ja Kann der Lernende Ja Kann der Lernende motiviert? die notwendigen Hat der Lernende die Informationen die Informationen Informationen? alles verstanden? aus dem anwenden? Gedächtnis abrufen? Nein Nein Nein Nein Nein Ende Sorge für Sorge für Sorge für Sorge für elaborative Einprägungs- Vergleiche Sorge für Motivation Aufmerksamkeit Prozesse strategien durch Beachtung von durch interessantes durch durch Herausarbeiten durch Einordnen des Gemeinsamkeiten und Problem, interessante Aufmerksamkeits- Unterschieden bei Tätigkeit, motivierende von Querverbindungen, Neuen in das Bekannte, lenkung, Advance ähnlichen Beziehungen, Nach: Klauer & Leutner (2007) Vergleichen, Analogien, Zielangabe, anregende Organizer, Aktivierung Sachverhalten, Atmosphäre, etc. Voraussetzungen, Übung, Überlernen, notwendiger Anwendung von Konsequenzen, etc. Mastery Learning, Vorkenntnisse Prinzipien Notizen machen Sorge für Sorge für Information Sorge für reduktive Abrufbarkeit durch durch geeignete Prozesse durch Zerlegung in kleinere Fragen und Impulse, Mediatoren strukturierte Merk- und Strukturen, Sorge für optimale Zusammenfassung zu Abrufhilfen, Gestaltung der Mnemotechnik größeren Einheiten, Information Netzwerke („mindmaps“) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 47 BASISANFORDERUNGEN DES UNTERRICHTENS Förderung individueller Gestaltung der Lernprozesse Interaktion Unterstützung des Motivierung Klassenmanagement Wissenserwerbs Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 48 Kognitive Strukturierung Kognitive Strukturierung im Sachunterricht (Hardy, Ionen, Möller & Stern, 2006) Komplexität der Aufgabe reduzieren Verständnisproblem identifizieren Vorgehen sequenzieren Zielklarheit schaffen Klarheit von Beiträgen sicherstellen und veranschaulichen Gespräch durch Hervorhebungen und Zusammenfassungen strukturieren Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 49 Lernen mit Lösungsbeispielen Ein Lösungsbeispiel besteht aus der Problemstellung, den Lösungsschritten und der Lösung. Es veranschaulicht, wie ein vorher eingeführtes Prinzip (z.B. Gesetzmäßigkeit, Formel etc.) angewendet werden kann und demonstriert eine schrittweise Problemlösung. Nicht jedes Beispiel regt Verstehensprozesse an! Wichtige Fragen sind: - Wie wird ein Lösungsbeispiel gestaltet und strukturiert? (Beschriftung, Visualisierung, Auftrennung von Schritten) - Wie viele und welche Art von Lösungsbeispielen werden kombiniert eingesetzt? (Anzahl, Variabilität, Kombination mit Übungsaufgaben) - Wie können Selbsterklärungsprozesse angeregt werden? (Selbsterklärungsaufforderungen, z.B. durch Fragen) - Welche instruktionale Unterstützung ist sinnvoll? Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 50 Cognitive Apprenticeship SCAFFOLDING MODELING FADING COACHING Modellieren einer Gezielte Hilfe Feedback Methode, Denkform und Anleitung Lehrperson Kontrolle-Steuerung Beobachten, Angeleitetes, Selbständiges Nachmachen hilfegestütztes Problemlösen Arbeiten Schüler Kontrolle-Steuerung Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 51 Zusammenfassung der 6. Sitzung Unterstützung des Wissenserwerbs Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 52 Modell der Informationsverarbeitung Ursprüngliches Modell: Atkinson & Shiffrin, 1968 Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 53 Sensorisches Gedächtnis - Sehr große Kapazität - Sehr geringe Speicherdauer (1-3 Sekunden) ⇒Aufmerksamkeit (= selektive Wahrnehmung) ist eine kritische Einflussgröße für Weiterverarbeitung von Reizen Herausforderung: Aufmerksamkeitszuwendung auf relevante Reize/Informationen Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 54 Arbeitsgedächtnis ⇒Vorübergehende Speicherung ⇒Verarbeitung der Informationen aus dem sensorischen Speicher ⇒Verknüpfung mit dem Langzeitgedächtnis - Begrenzte Kapazität (7 +/- 2 Informationseinheiten) (Gedächtnisspanne) - Kurzzeitige Speicherung (15-20 Sekunden) Wenn eine Information im AG nicht aktiviert wird, verblasst sie. ⇒Herausforderung: Nutzung der begrenzten Kapazität für effektive und vertiefende Informationsverarbeitung Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 55 Arbeitsgedächtnis Cognitive Load Theory (CLT) (Sweller, 1988) Die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses ist begrenzt und sollte nicht überlastet werden, um einen effektiven Erwerb und Verknüpfung kognitiver Schemata zu ermöglichen. Drei Faktoren bestimmen den Cognitive Load: - Schwierigkeit und Komplexität des Lernstoffs - Gestaltung des Lernmaterials - Voraussetzung des Lernenden => Ziel der Instruktion ist eine Verringerung der kognitiven Belastung Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 56 Langzeitgedächtnis Speichert gelernte Informationen langfristig - Kapazität praktisch unbegrenzt - Haltezeit praktisch unbegrenzt - Inhalte sind ein Netzwerk von Propositionen, Schemata, Prozeduren, Episoden => Explizites Gedächtnis: - episodisches Gedächtnis (erlebte Ereignisse) - semantisches Gedächtnis (deklaratives Wissen: Propositionen und Schemata) => Implizites Gedächtnis - prozedurales Gedächtnis (Handlungsvollzugsregeln) Herausforderung: nachhaltige Speicherung und gute Verknüpfung einzelner Informationen Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 57 Vier Aspekte zur Unterstützung des Wissenserwerbs Informierung: Welche Informationen werden weiterverarbeitet? Informationsverarbeitung: Wie wird neue Information mit vorhandenem Wissen zu neuem Wissen verknüpft? Speichern und Abrufen: Wie kann Wissen so gespeichert werden, dass es bei Bedarf rasch wieder abgerufen werden kann? Transfer: Wie kann erworbenes Wissen zur Bewältigung von (neuen) Anforderungen genutzt werden? Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 58 Informierung Wie kann Information optimal dargeboten werden? => Flaschenhals des Arbeitsgedächtnisses beachten und Arbeitsgedächtnis nicht überlasten (Cognitive Load Theory) - Portionierung und Strukturierung der Information - Kürze, Eindeutigkeit und Stringenz - Hervorhebungen - Übersichten - Veranschaulichung durch Bilder, Grafiken (=> doppelte Codierung, aber Vorsicht: Splitt-Attention) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 59 Informationsverarbeitung unterstützen Wie kann eine nachhaltige und tiefe Verarbeitung von Informationen unterstützt werden? Wie kann Verstehen gefördert werden? Elaborative Prozesse: differenzierte Analyse eines neuen Sachverhalts, Fokus auf Details Reduktive Prozesse: Identifikation der wichtigsten Aspekte, Strukturierung und Herausarbeiten von Zusammenhängen Achtung: eine zu starke didaktische Fokussierung auf Anschaulichkeit kann zur oberflächlichen Verarbeitung von Information führen! Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 60 Üben Wie kann eine Stärkung, Automatisierung und Feinabstimmung der erworbenen Fähigkeiten gefördert werden? Prinzipien des Übens: - Überlernen: „übers Ziel hinaus“ üben, um Fertigkeiten zu automatisieren - Verteiltes Üben: häufiger kleinere Einheiten üben - Üben im Kontext des Ganzen: Teilschritte und Abläufe müssen im Zusammenhang des Gesamtvorgehens geübt werden - Reflektiertes Üben: Logik des Eingeübten sollte immer wieder vergegenwärtigt werden Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 61 Transfer und Anwendung Wie kann die Nutzung des erworbenen Wissens für die Bearbeitung neuer Aufgaben/Probleme angebahnt werden? - Förderung von Transfer durch den Einsatz von Modellen ⇒Durch Anwendungs-, Problem- oder Projektaufgaben können Transferprozesse angeregt werden. Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 62 Lernwirksame didaktische Werkzeuge Metaanalyse (Marzano et al. 2001) Zahl der Didaktische Werkzeuge zur Kategorie Effektstärke Studien Unterstützung kognitiver Identifizieren von Gemeinsamkeiten und 1.61 31 Prozesse Unterschieden - Vergleiche (Identifikation von Ähnlichkeiten und Unterschieden) Zusammenfassungen und Notizen anfertigen 1.00 179 - Zusammenfassungen - Üben Hausaufgaben und Üben.77 134 - (mentale) Modelle Nichtlinguistische Repräsentationen/Modelle.75 246 - Hypothesen formulieren und überprüfen Ziele setzen und Feedback geben.61 408 - Fragen Entwickeln und Formulieren von Hypothesen.61 63 - Orientierende Übersichten - Zielorientiertes Feedback Hinweise, Fragen, Advance Organizers.59 1251 Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 63 Zusammenfassung der 7. Sitzung Motivierung zum Lernen Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 64 Motivation Motivation wird definiert als interner Zustand, der Verhalten aktiviert, die Richtung des Verhaltens vorgibt und dieses aufrechterhält. (Woolfolk 2008, 451) Wie und warum entscheiden sich unterschiedliche Personen für ein bestimmtes Verhalten? Wie lange benötigen unterschiedliche Personen, bis sie mit einer Tätigkeit beginnen? Wie stark ist eine Person mit einer Sache beschäftigt? Was veranlasst eine Person, bei der Sache zu bleiben und nicht aufzugeben? Was denkt und fühlt eine Person, die gerade mit einer Sache beschäftigt ist? Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 65 Extrinsische und intrinsische Motivation Extrinsische Motivation: Wunsch oder Absicht, eine Lernhandlung durchzuführen, weil damit positive Folgen herbeigeführt oder negative Folgen vermieden werden Intrinsische Motivation: Wunsch oder Absicht, eine bestimmte Handlung durchzuführen, weil die Handlung selbst von positiven Erlebenszuständen begleitet wird (Schiefele 2009) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 66 Extrinsische und intrinsische Motivation Extrinisische Motivation Intrinsische Motivation Externale Introjizierte Identifizierte Integrierte Intrinsische Regulation Regulation Regulation Regulation Regulation Handeln aufgrund Internalisierung eines Identifizierung mit Identifizierung mit Handeln aufgrund von von äußerem Druck Handlungsziels ohne einem Handlungsziel, einem Handlungsziel handlungsbegleitenden (Belohnung, Identifizierung aber vorhandene ohne Konflikte mit Anreizen Bestrafung) Konflikte mit anderen anderen Handlungs- Zielen zielen fremdbestimmt selbstbestimmt Theorie der organismischen Integration (Schiefele, 2009, auf der Grundlage von Deci & Ryan, 2002) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 67 Motiv, Motiviertheit, Motivation Bedürfnis (Maslow 1970; Deci & Ryan 1983): Grundbedürfnisse: Überleben, Sicherheit, Zugehörigkeit, Anerkennung … Daseinsbedürfnisse: intellektuelle Leistung, ästhetisches Bedürfnis, Bedürfnis nach Selbstverwirklichung … Motiv (McClelland et al. 1953): Disposition (trait) => überdauernde Bewertungsvorlieben Motivationale Orientierung (Dweck 1991) => habituelles (wiederholtes, gewohnheitsmäßiges) Auftreten einer spezifischen aktuellen Motivation (aktuelle) Motivation: => aktueller Zustand (state) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 68 Motivation und Bedürfnisse Die Motivation von Lernenden wird von drei Grundbedürfnissen bestimmt (Deci und Ryan 1983): Bedürfnis nach Autonomie Bedürfnis nach Kompetenzerweiterung Bedürfnis nach sozialer Einbindung => Motivierung durch Autonomiespielräume, Kompetenzerfahrung und soziale Anerkennung Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 69 Motive Motive: Streben nach Effizienz (Leistungsmotiv) Streben nach Wirksamkeit (Machtmotiv) Streben nach sozialem Anschluss (Affiliation) Streben nach Nähe (Intimitätsmotiv) Leistungsmotiv (McClelland, Atkinson, Clark und Lowell 1953): affektives Bedürfnis, das durch die Schwierigkeit einer Aufgabe angeregt wird und in der fortschreitenden Meisterung der zugehörigen Anforderung Befriedigung findet Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 70 Motivation und Interesse Das individuelle Interesse einer Person an einem Gegenstand setzt sich aus gefühls- (der Sachverhalt ist mit positiven Gefühlen verbunden) und wertbezogenen (dem Sachverhalt werden Attribute persönlicher Bedeutsamkeit zugeschrieben) Valenzüberzeugungen zusammen. (Schiefele 2009, 164) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 71 Motivationale Orientierungen/ Zielorientierungen Leistungsziele: Streben, das eigene Wissen bzw. die eigene Kompetenz zu demonstrieren bzw. vermeintliche Fähigkeitsdefizite zu verbergen Lernziele: Streben, das eigene Wissen bzw. die eigene Kompetenz zu erweitern Tendenz zur Arbeitsvermeidung: Streben, möglichst wenig Arbeit zu investieren (Dweck & Leggett 1988) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 72 Erscheint mir das Ergebnis durch die Situation bereits festgelegt? Erscheint mit die Lernaktivität an sich so unattraktiv/attraktiv, dass ich die Handlung nicht/unbedingt ausführen will? Kann ich das Ergebnis durch eigenes Handeln hinreichend beeinflussen? 1 => Situations-Ergebnis-Erwartung Sind mir die möglichen Folgen des Ergebnisses wichtig genug? Zieht das Ergebnis die 2 => Situations-Handlungs-Erwartung erwünschten Folgen auch nach sich? 3 => Handlungs-Ergebnis-Erwartung 4 => Ergebnis-Folge-Erwartung (Instrumentalität) (2) (1) Situation Situation Handlung Ergebnis Folgen (3) (4) Tätigkeitsspezifische Anreize künftiger Umwelt- Vollzugsanreize und Binnenzustände ( Nach: Rheinberg 2008, 132) 73 Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik Die Erwartungs-mal-Wert-Theorie Individuelle Motivation hängt von zwei Faktoren ab: Stärke der Erwartung, eine Aufgabe erfolgreich zu lösen Wert, der der Aufgabenerfüllung beigemessen wird (zweck-, gegenstands- und tätigkeitszentrierte Anreize) Erwartung x Wert = Motivation Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 74 Ansatzpunkte der Motivierung Verdeutlichung des Werts schulischen Lernens - Interesse wird geweckt und tätigkeitsbezogene Anreize werden genutzt - Nutzen wird den SuS konkret verdeutlicht (im Verhältnis zu Kosten) Förderung der Selbstwirksamkeitserwartung - Aufgabenschwierigkeit und Unterstützung ermöglichen Erfolgserfahrungen - Leistungsrückmeldung lenkt (insbesondere bei Misserfolg) den Blick auf kontrollierbare Faktoren (Anstrengung) und individuellen Lernzuwachs Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 75 Zielorientierung Begabungskonzept Misserfolgs- Lernverhalten nach Lernfortschritt attribution Misserfolg Mangelnde hoch Anstrengung/ andere meisternd ja veränderbare Ursache Naive Lernziel- Theorien orientierung Mangelnde über Begabung niedrig Anstrengung/ andere meisternd ja veränderbare Ursache Mangelnde Situations hoch Anstrengung/ andere meisternd ja veränderbare Ursache merkmale Leistungsziel- orientierung Mangelnde Fähigkeit/ niedrig andere unveränderbare hilflos nein Ursache Der Einfluss von Lern- und Leistungszielorientierung und Begabungskonzept auf Lernverhalten und Lernforschritt nach Misserfolg (modifiziert nach Stiensmeier-Pelster & Schlangen, 1996, S.82, bzw. Stiensmeier-Pelster et al., 1996, S.172; vgl. auch Dweck, 1986). Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 76 Motivierung misserfolgsorientierter Lernender Schaffung von Erfahrungen der Selbstwirksamkeit durch Aufgaben mit passendem Anforderungsniveau Adaptive Unterstützung während des Lernprozesses Individuelle Bezugsnormorientierung bei der Rückmeldung (Fokussierung auf individuellen Fortschritt statt sozialer Vergleich) Veränderung der Attribution (Lenkung der Ursachenzuschreibung auf kontrollierbare Faktoren => Anstrengung statt Begabung) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 77 Zusammenfassung der 8. Sitzung Steuerung der Interaktion in der Klasse Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 78 Klassenmanagement Klassenmanagement => Etablierung und Aufrechterhaltung einer sozialen Ordnung im Unterricht sowie lerndienliche Steuerung der Interaktion im Klassenzimmer. Klassenmanagement schafft Bedingungen für die Umsetzung eines Handlungsprogramms. (Doyle 2006) Ziel ist die Maximierung der aktiven Lernzeit für alle Schülerinnen und Schüler. Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 79 0 Basisanforderungen des Unterrichts Klassenmanagement Etablierung einer Steuerung der Bearbeitung von Interaktionsordnung Unterrichtsinteraktion Konflikten Normen Handlungsprogramm Reaktion auf Konflikte Regeln Monitoring Gestaltung von Routinen Signalsteuerung Konfliktgesprächen Rituale Gruppenaktivierung Kommunikation in Umgang mit Störungen Konfliktsituationen Herstellen eines Arbeitsbündnisses Selbstpräsentation der Lehrkraft Professionelle Verantwortung Thiel, Fortbildung Klassenmanagement 2023 Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 80 Klassenmanagement I Arbeitsbündnis Grundlage des Klassenmanagements ist ein Arbeitsbündnis zwischen Lehrkraft und Klasse (Oevermann, 1996; Wubbels et al., 2006) Lehrkraft hat ein professionelles Mandat (Macht). ⇒Reaktanz der SuS aufgrund der Einschränkung von Autonomie (Potentieller) Misserfolg ist für SuS selbstwertrelevant. ⇒Selbstwertschutz der SuS aufgrund (antizipierter) Beschämung Schaffung von Vertrauen (Thiel, 2016):  Kompetenz  Verlässlichkeit  Empathie Thiel, Fortbildung Klassenmanagement 2023 81 Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik Interaktionsordnung im Unterricht Normen Allgemeine Normen Schulische Normen Jeder hat ein Recht auf Respekt Wir bemühen uns um ein gutes Lernklima Wir respektieren das Eigentum anderer Bei der Bearbeitung von Aufgaben geben wir Wir grenzen niemanden aus unser Bestes Schul- und Klassenregeln Regeln zum sozialen Umgang Regeln zum Lernen Wir halten immer einen respektvollen Abstand Wer im Klassengespräch etwas sagen möchte, zueinander meldet sich Wenn wir anderer Meinung sind, sagen wir Wir lassen uns im Unterricht ausreden diese ruhig und sachlich Wir sorgen dafür, dass bei der Gruppenarbeit Wenn jemand schikaniert wird, dann helfen wir alle mitarbeiten ihm Wir geben uns gegenseitig konstruktives Feedback zu Lernergebnissen Aufbau und Stabilisierung von Verhalten Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik Routinen/Prozeduren und Rituale 82 82 Verhaltensmodifikation Verhaltensweisen werden in Abhängigkeit von ihren Konsequenzen stabilisiert oder verändert ⇒bestimmte Reaktionen werden wegen nachfolgender befriedigender (positiver) Reize bzw. der Entfernung negativer Reize gelernt oder wegen unangenehmer (aversiver) Reize bzw. der Entfernung positiver Reize verlernt. Voraussetzungen der Wirkung: - Reize müssen dem Verhalten zurechenbar sein - Reize müssen der Motivationslage des Individuums entsprechen Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 83 Verhaltensmodifikation Operante Konditionierung = Lernen am Erfolg (Skinner, 1966) Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines bestimmten Verhaltens in einer bestimmten Situation wird als Folge eines verstärkenden Reizes erhöht. Drei Prozesse: - Verstärkung =>Wahrscheinlichkeit des gezeigten Verhaltens wird erhöht - Bestrafung => Wahrscheinlichkeit des gezeigten Verhaltens wird verringert - Extinktion => Wahrscheinlichkeit des gezeigten Verhaltens wird verringert Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 84 Verhaltensmodifikation: Differenzierung Positive Reize Belohnung: materielle Güter, Gewährung von Privilegien Lob: positive persönliche Zuwendung Aversive Reize Negative Sanktion (Strafe): aversive (körperliche) Reize, Entzug von Gütern und Privilegien Ermahnung (Tadel): negative persönliche Zuwendung Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 85 Verhaltensmodifikation: Erhöhung der Verhaltenswahrscheinlichkeit (Belohnung, Lob) Positive Verstärkung => Erhöhung der Verhaltenswahrscheinlichkeit durch Darbietung eines positiven Reizes nach dem Verhalten. Negative Verstärkung => Erhöhung der Verhaltenswahrscheinlichkeit durch Vermeidung oder Ausschaltung eines drohenden unangenehmen (aversiven) Reizes (Belohnung = Beendigung eines unangenehmen Zustands) Achtung: Positive Verstärker hängen vom aktuellen Sättigungsstand ab! Negative Verstärker wirken unabhängig vom aktuellen Bedürfniszustand! Kontinuierliche Verstärkung anfangs, intermittierende Verstärkung (nicht nach jedem erwarteten Verhalten verstärken) ist langfristig besonders erfolgreich Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 86 Verhaltensmodifikation Art der Konsequenz auf das Darbietung Entfernung Verhalten Angenehmer Reiz oder Zustand Positive Verstärkung Entziehende Bestrafung (Typ 2) Unangenehmer (aversiver) Reiz Aversive Bestrafung (Typ 1) Negative Verstärkung oder Zustand Keine Konsequenz Löschung des Verhaltens (Extinktion) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 87 Verhaltensmodifikation Lernen erfolgt auch durch Beobachtung und Nachahmung! Lernen am Modell durch stellvertretende Verstärkung (Bandura, 1977) ⇒(positives und negatives) Verhalten von Peers oder LK (Modelle) wird nachgeahmt: wenn das Modell als ähnlich wahrgenommen wird, wenn die Konsequenz auf das Verhalten des Modells auch von dem/der Beobachtenden als positive/aversiv wahrgenommen wird, wenn die Einschätzung besteht, dass die positive/negative Konsequenzen auch auf das eigene Verhalten folgen können Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 88 Steuerung des Unterrichtsflusses Klares Handlungsprogramm Monitoring der Klasse Steuerung der Aufmerksamkeit durch Signale Aktivierung der gesamten Gruppe Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 89 Umgang mit Unterrichtstörungen Funktionale Störungsintervention ( Thiel 2022; Ophardt & Thiel, 2013) Stufe 1 Handlungsprogramm stärken  Unterrichtsfluss stärken  Störungsverhalten gezielt ignorieren  Regetreues Verhalten positiv verstärken Stufe 2 Handlungsprogramm schützen  Unterrichtsfluss stärken  Bei Störenden minimal intervenieren  Regeltreues Verhalten positiv verstärken Stufe 3 Störungen adressieren  HP unterbrechen  Störende zurechtweisen  HP zügig wieder aufnehmen  Gruppenaktivierung sichern Stufe 4 Störungen sanktionieren  HP unterbrechen  Störende konsequent sanktionieren  HP zügig wieder aufnehmen  Gruppenaktivierung sichern Stufe 5 Konfliktlösung einleiten  HP abbrechen  Metakommunikation einleiten  Einigung über Konfliktdefinition  Lösungsstrategien entwickeln und implementieren Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 90 Zusammenfassung der 9. Sitzung Unterstützung kooperativen Lernens Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 91 Definitionen | Kooperatives Lernen = Gruppenarbeit? Gruppenarbeit als Unterrichtsmethode = gemeinsame Erledigung einer Aufgabe (mit oder ohne Kooperation) „Gruppenarbeit bezeichnet lediglich die Tatsache, dass SuS zu einer bestimmten Zeit etwas zusammen erledigen, sie können dabei kooperieren, müssen es aber nicht.“ (Woolfolk, 2008, S. 508) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 92 Definitionen | Kooperatives Lernen „(…) bezeichnet die Zusammenarbeit von Lernenden in Kleingruppen, um Lernaufgaben zu bewältigen.“ (Renkl, 2015, S. 20) „Beim kooperativen/kollaborativen Lernen arbeiten SuS gemeinsam in kleinen Gruppen, um sich beim Aufbau von Kenntnissen und beim Erwerb von Fähigkeiten gegenseitig zu unterstützen. Das kooperative/kollaborative Lernen ist ein aktives, selbstständiges und soziales Lernen.“ (Hasselhorn & Gold, 2012, S. 308) „Lernarrangements, die eine (…) koordinierte, ko-konstruktive Aktivität der Teilnehmer/innen verlangen, um eine gemeinsame Lösung eines Problems oder ein gemeinsam geteiltes Verständnis einer Situation zu entwickeln.“ (Pauli & Reusser, 2000, S. 421) „Mit Ko-Konstruktion ist gemeint, dass Lernende durch den gegenseitigen Austausch neues Wissen aufbauen, ein neues Verständnis oder neue Aufgaben- oder Problemlösungen entwickeln, die vorher in dieser Form bei keinem der Lernenden Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 93 verfügbar waren.“ (Lipowsky, 2015, S. 85) Kooperatives Lernen | Interdependenz Definierendes Merkmal von Gruppen mit gemeinsamem Ziel: Interdependenz (= wechselseitige Abhängigkeit) Zwei Formen zielbezogener Interdependenz: Negative Interdependenz durch kompetitive soziale Situationen => Nicht alle Mitglieder können das Gruppenziel erreichen. Individuelle Erfolgswahrscheinlichkeiten korrelieren negativ. Positive Interdependenz in kooperativen sozialen Situationen => Alle Mitglieder können das Gruppenziel erreichen. Individuelle Erfolgswahrscheinlichkeiten korrelieren positiv. Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 94 Potentiale kooperativen Lernens Förderung von Elaborationskompetenzen (Geben von Erklärungen) Förderung metakognitiver Kompetenzen (Begründen von Ideen, Bewerten von Alternativen) Aktivierung der Lernenden (erhöhte Verantwortlichkeit) Flexibilisierung des Wissens (Vergleich unterschiedlicher Ideen) Erwerb sozialer Kompetenzen (Kommunikation, Perspektivenwechsel) ⇒ Sozio-kognitive Konflikte regen kognitive Prozesse an ⇒ Lernen in der Gruppe ermöglicht „collaborative reasoning“ (Waggoner et al., 1995) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 95 Herausforderungen kooperativen Lernens Typische Schwierigkeiten: „Trittbrettfahrer“ („free rider effect“) „Ja-bin-ich-denn-der-Depp“ („sucker effect“) „Komplott gegen die Aufgabe“ („ganging up the task effect“) „Zurückhalter“ („withdrawing effect“) „Dominante“ („status differential effect“) (vgl. Wecker & Fischer, 2014; Renkl, Gruber & Mandl, 1995) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 96 Modell der Verarbeitung sozialer Informationen (Crick & Dodge, 1994; Lemerise & Arsenio, 2000) Abb. 1 4. Handlungsentwürfe 5. Entscheidung für eine Reaktion Emotionale Prozesse Emotionalität/Temperament Abb. erstellt nach Schick & Cierpka (2009, S. 658) Emotionsregulation Hintergrundemotion Datenbasis: Gedächtnis 3. Klären der Ziele erworbene Regeln 6. Ausführen der Reaktion soziale Schemata soziales Wissen 2. Interpretation der Signale 1. Wahrnehmung von Signalen Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 97 Interaktionsverhalten von Gruppen | Kommunikation Aufgabenorientierte Kommunikation: Analyse von Problemen, Entwicklung von Hypothesen und Lösungsvorschlägen, … Gruppenorientierte Kommunikation: Regelung der Beziehung zwischen den Mitgliedern (bestimmt den Einfluss der einzelnen Mitglieder) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 98 Interaktionsverhalten | Phasenmodell von Tuckman Forming Storming Norming Performing Informing Psychological Bulletin, 63, p. 384-399. Vgl.:Tuckman, B. (1965). Developmental Sequence in Small Groups. Beziehungsebene Inhaltsebene Analyse der Aktivierung von Arbeiten an den Wahrnehmung Aufgabe im Wissen zur Aufga- Aufgaben, Präsentation der der Aufgabe Hinblick auf benbearbeitung, Entwicklung von Ergebnisse Schwierigkeiten Abgleich v. Ideen Lösungen Einschätzen der Harmonisierung Bildung von Situation; Entstehen von der Beziehungen; funktionellen Kennenlernen Konflikten in Herausbildung Rollen, Gruppe Gruppenidentität erster differen- arbeitet struk- und Abtasten der der Gruppe; hat sich gefestigt; zierterer Rollen; turiert und ver- Mitglieder; Suche Positionskämpfe; Normenbildung; lässlich; Konflikte Kontaktaufnahme nach möglichen Untergruppen- Ansätze zur werden bearbei- nach außen Anhaltspunkten bildung Entwicklung v. tet; Kooperation und Hilfen Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik Gruppenidentität (Wir-Gefühl) 99 Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik Kooperatives Lernen: Kooperationsskripts | PBL „7 Jump“ beim Problem-Based Learning (PBL) (problemorientiertes Lernen POL) Problemanalyse Wissensaneignung 1. Begriffe klären 6. Informationen beschaffen 2. Problem bestimmen 3. Problem analysieren Vertiefte Problemanalyse 4. Erklärungen ordnen 7. Informationen austauschen 5. Lernfragen formulieren Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 100 Beispiele | 1. Think-Pair-Share Think Pair Share Ich: Individuelles Arbeiten Du: Austausch und Lernen Wir: Kommunikation im mit dem/r Partner:in Klassenteam SuS machen sich mit Thema Rollenwechsel (Informant Resultate werden im vertraut, stellen individuelle und Zuhörer). SuS fragen Klassenplenum präsentiert Bezüge zu Vorwissen her, bei Bedarf nach, helfen sich und diskutiert. Aus den identifizieren individuelle bei Klärung offener Fragen, Beiträgen aller wird ein Lücken, entwickeln erste diskutieren strittige Punkte. gemeinsames Ergebnis Ideen und erproben eigene Gemeinsame Erarbeitung erarbeitet. Lösungsstrategien. eines Lösungsweges. Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 101 Beispiele | 2. Gruppenpuzzle (Jigsaw) Phase 1: Phase 2: Phase 3: Bildung von Stammgruppen Arbeit in Expertengruppen Arbeit in Stammgruppen Klasse wird in Stammgruppen Experten eines Teilthemas gehen SuS treffen sich wieder in den aufgeteilt. Gruppe einigt sich, wie in ihre Expertengruppe und Stammgruppen. Experten Themen verteilt werden (erste bearbeiten die Arbeitsaufträge berichten über ihr Spezialthema. gemeinsame Auseinandersetzung (mit Hilfe von Materialien, z.B. Zur Lösung der Aufgabe wird das mit den Inhalten). Texte, Internetseiten usw.) Wissen aller Experten benötigt. Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 102 Beispiele | 2. Gruppenpuzzle (Jigsaw) Phase 1: Phase 2: Phase 3: Bildung von Stammgruppen Arbeit in Expertengruppen Arbeit in Stammgruppen Phase 4: Die letzte Phase beginnt mit Klärung Überprüfung der Lernergebnisse offener Fragen im Klassenverband. im Klassenverband Danach erfolgt eine Lernkontrolle. Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 103 Beispiele | 3. Reziprokes Lehren = Interaktion zwischen Lehrkraft und SuS sowie zwischen SuS, in der abwechselnd die Rolle der Lehrkraft übernommen wird = wechselseitiges („reziprokes“) Lehren und Lernen und systematische Anwendung von vier Strategien in Kleingruppen Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik (Palincsar & Brown, 1984) 104 Beispiele | 3. Reziprokes Lehren Grundlage sind Textabschnitte, zu denen 1) Fragen formuliert werden | Fragen 2) unklare Stellen identifiziert werden | Klären 3) Zusammenfassungen erstellt werden | Zusammenfassen 4) Fortsetzungen diskutiert werden | Vorhersagen Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik (Palincsar & Brown, 1984) 105 Zusammenfassung der 10. Sitzung Digitales Lernen Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 106 Bildung in der digitalen Welt (KMK, 2016; 2021) KMK-Strategie ‚Bildung in der digitalen Welt‘ (2016) 1. Die Länder beziehen in ihren Lehr- und Bildungsplänen sowie Rahmenplänen, beginnend mit der Primarschule, die Kompetenzen ein, die für eine aktive selbst-bestimmte Teilhabe in einer digitalen Welt erforderlich sind. Dies wird nicht über ein eigenes Curriculum für ein eigenes Fach umgesetzt, sondern wird integrativer Teil der Fachcurricula aller Fächer. 2. Bei der Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen werden digitale Lernumgebungen entsprechend curricularer Vorgaben dem Primat des Pädagogischen folgend systematisch eingesetzt. Durch eine an die neu zur Verfügung stehenden Möglichkeiten angepasste Unterrichtsgestaltung werden die Individualisierungsmöglichkeit und die Übernahme von Eigenverantwortung bei den Lernprozessen gestärkt. KMK-Beschluss: Lehren und Lernen in der digitalen Welt. Ergänzung zur Strategie “Bildung in der digitalen Welt”’ (2021) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 107 Bildung in der digitalen Welt (KMK, 2016) Kompetenzmodell „Digitale Bildung“ Analysieren und Reflektieren Schützen und sicher Agieren Problemlösen und Handeln Suchen, Verarbeiten und Kommunizieren und Produzieren und Präsentieren Aufbewahren Kooperieren Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 108 Bildung in der digitalen Welt (KMK, 2016) 1. Suchen, Verarbeiten und 2. Kommunizieren und 3. Produzieren und Aufbewahren Kooperieren Präsentieren Suchen und Filtern Interagieren Entwickeln und Produzieren Auswerten und Bewerten Teilen Weiterverarbeiten und Integrieren Speichern und Abrufen Zusammenarbeiten Umgangsregeln kennen und Rechtliche Vorgaben beachten einhalten (Netiquette) An der Gesellschaft aktiv teilhaben Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 109 Bildung in der digitalen Welt (KMK, 2016) 4. Schützen und 5. Problemlösen und 6. Analysieren und sicher Agieren Handeln Reflektieren Sicher in digitalen Umgebungen Technische Probleme lösen Medien analysieren und agieren Werkzeuge bedarfsgerecht bewerten einsetzen Persönliche Daten und Eigene Defizite ermitteln und Medien in der digitalen Welt Privatsphäre schützen nach Lösungen suchen verstehen und reflektieren Digitale Werkzeuge und Medien Gesundheit schützen zum Lernen, Arbeiten und Problemlösen nutzen Natur und Umwelt schützen Algorithmen erkennen und formulieren Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 110 Computer- und informationsbezogene Kompetenzen (ICILS, 2018) Die computer- und informationsbezogenen Kompetenzen (computer and information literacy) werden als individuelle Fähigkeiten einer Person definiert, die es ihr erlauben, digitale Medien zum Recherchieren, Gestalten und Kommunizieren von Informationen zu nutzen und diese zu bewerten, um am Leben im häuslichen Umfeld, in der Schule, am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft erfolgreich teilzuhaben. (Eickelmann et al., 2019) Die Kompetenzen im Bereich ‚Computational Thinking‘ als individuelle Fähigkeiten einer Person definiert, Aspekte realweltlicher Probleme zu identifizieren, die für eine [informatische] Modellierung geeignet sind, algorithmische Lösungen für diese (Teil-)Probleme zu bewerten und selbst so zu entwickeln, dass diese Lösungen mit einem Computer operationalisiert werden können. Das Konstrukt dieser Kompetenzen besteht aus zwei Teilbereichen: ‚Probleme konzeptualisieren‘ und ‚Lösungen operationalisieren‘. (Eickelmann et al., 2019) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 111 Potentiale digitaler Medien (SWK-Gutachten Digitalisierung 2022) Darstellung von Informationen: Multimedia, multiple Perspektiven auf den Lerngegenstand durch Einbindung von gesprochenen Texten, dynamisch-interaktiven Visualisierungen (z. B. Videos, Animationen und Simulationen, die Lerninhalte abstrahierend, realistisch, hyperrealistisch illustrieren), spielerischen Elementen. Kontextualisierung schulischer Lerngegenstände bzw. Erweiterung des Erfahrungsbereichs: Extended Reality (XR)-Technologien wie z. B. Virtual Reality (VR), (z. B. VR-Anwendungen zur zeitabhängigen Darstellung der Folgen des Klimawandels in der Arktis). (kontinuierliche) Diagnostik von Lernprozessen, kognitiven, motivationalen sowie affektiven Zuständen der Lernenden und Lernergebnissen: formatives Assessment durch computerbasierte Erfassung sowie automatisierte Auswertung von Daten (z.B. semantische Analyse natürlichsprachlicher Antworten in offenen Testaufgaben => Differenzierung des Lernangebots, adaptives Lernen durch Rückmeldung zu Lernverhalten und Lernergebnissen (z. B. Intelligente Tutorielle Systeme (ITS)). Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 112 113 Potentiale digitaler Medien (SWK-Gutachten Digitalisierung 2022) Voraussetzungen für wirksame adaptive Tools: fachdidaktisch fundierten Modellierung der Lerndomäne und der komplexitätsgenerierenden Parameter von Lernmaterialien => individuelle Unterstützung mit spezifischen Rückmeldungen unterstützen (Scaffolding); Angebot Individueller Lernmaterialien und individuelle Lernpfade. Aktivierende Gestaltung von Lernmedien, die Möglichkeit der passiven Rezeption reduzieren, z. B. Einbettung von Videos in Lernumgebungen mit Explorations- oder Gestaltungsaufgaben. Passung von Funktion einer Medieneigenschaft und Kompetenzzielen: z.B. dynamische Visualisierungen sind nur dann lernförderlich, wenn das Nachvollziehen visuell-räumlicher Veränderungen über die Zeit für den Lerngegenstand wesentlich ist (z. B. beim Nachvollziehen der Zellteilung in der Biologie), nicht aber beim Erwerb von Wissen über einfache Fakten zum visuellen Erscheinungsbild von Objekten (z. B. zum Aufbau der Zelle; Ploetzner et al., 2020) Unterstützung durch die Lehrkraft: Auswahl von Inhalten in hypermedialen Umgebungen, Steuerung, Exploration und Manipulation von Animationen, Simulationen, dreidimensionale Darstellungen oder VR-Umgebungen führen nicht immer zu hoher kognitiver Aktivität. Studien zeigen, dass sinnvolle Lernangebote wie z. B. optionale Hilfestellungen (Aleven et al., 2003), Interaktionsangebote (Baker et al., 2008) nicht ausreichend genutzt werden und Lernende oft kognitiv überfordert, abgelenkt und desorientiert sind (Scheiter & Gerjets, 2007). 113 Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik Zusammenfassung der 11. Sitzung Diagnose von Lernvoraussetzungen und -ergebnissen Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 114 Pädagogische Diagnostik | Definition Pädagogische Diagnostik „umfasst alle Tätigkeiten, durch die bei einzelnen Lernenden (…) Voraussetzungen und Bedingungen planmäßiger Lehr- und Lern- prozesse ermittelt, Lernprozesse analysiert und Lernergebnisse festgestellt werden, um individuelles Lernen zu optimieren.“ „Zur Pädagogischen Diagnostik gehören ferner die diagnostischen Tätigkeiten, die die Zuweisung zu Lerngruppen oder zu individuellen Förderprogrammen (…) [oder weiterführenden Bildungsgängen] ermöglichen.“ (Ingenkamp & Lissmann, 2008, S. 13) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 115 Pädagogische Diagnostik Funktionen pädagogischer Diagnostik: - Pädagogische Funktion (Lernprozess- und Förderdiagnostik) => Unterstützung individueller Lernprozesse - Gesellschaftliche Funktion (Selektions- und Zuweisungsdiagnostik) => Beurteilung, Zuweisung zu Bildungsgängen, Vergabe von Zertifikaten Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 116 Diagnostische Kompetenz von Lehrkräften Häufige Beurteilungsfehler: Tendenz zur Mitte: Meiden von extremen Aussagen Tendenz zu extremen Urteilen: Extremisierungstendenz bei mangelnden Differenzierungsmöglichkeiten (Könner vs. Nichtkönner) Milde- oder Strenge-Effekt: Pädagogische Motive oder Motiv der Demonstration eigener Kompetenz Reihungs- und Kontrasteffekte: Beeinflussung der Bewertung durch die Reihenfolge (z.B. erste Arbeiten werden strenger beurteilt; nach Bewertung mehrerer mäßiger Arbeiten wird eine folgende Arbeit besser beurteilt) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 117 Diagnostische Kompetenz von Lehrkräften Häufige Beurteilungsfehler: Halo-Effekt: Ausstrahlung eines Merkmals oder einer Verhaltensweise auf andere Merkmale (z.B. sauber geschriebene Inhalte werden inhaltlich besser bewertet; Auftreten oder Aussehen beeinflusst die Bewertung) Logische Fehler: einzelne Merkmale werden aufgrund impliziter Persönlichkeitstheorien oder Vorurteilen mit anderen Merkmalen in Verbindung gebracht Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 118 Diagnostische Methoden 1. Diagnostischer Test: Routineverfahren zur Untersuchung eines abgrenzbaren Merkmals, mit dem Ziel möglichst eine quantitative Aussage über die Ausprägung des Merkmals zu treffen 2. Diagnostisches Gespräch: Anamnese (Datensammlung zur Vorgeschichte), Exploration (Erkundungsgespräch zu Ausprägung und Kontextbedingungen), Interview-Befragung (systematische Erkenntnisse zur Überprüfung von Hypothesen) 3. Diagnostische Beobachtung: systematische vs. unsystematische Beobachtung (Stichprobe, Verhaltenskodierung …) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 119 Gütekriterien der Messung Objektivität: Grad, in dem ein Untersuchungsergebnis unabhängig vom Untersucher ist (Durchführung, Auswertung, Interpretation) Reliabilität: Grad der Genauigkeit/Zuverlässigkeit, mit dem ein bestimmtes Merkmal gemessen wird (unabhängig davon, was das Verfahren zu messen vorgibt) Validität: Grad der Genauigkeit, mit dem ein Verfahren das Merkmal, das es messen soll, auch tatsächlich misst (z.B. Inhaltsvalidität, prognostische Validität) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 120 Bezugsnormen der Interpretation Soziale Bezugsnorm: Vergleich mit den Leistungen einer Referenzgruppe (z.B. andere Schulklasse, Normstichprobe eines Tests) Ipsative/individuelle Bezugsnorm: intraindividueller Vergleich, Leistungsfortschritt (z.B. ein Schüler hat sich verbessert/verschlechtert) Kriteriale/sachliche Bezugsnorm: Vergleich mit curricularen Zielkriterien, Kompetenzstandards (z.B. eine Schülerin hat den Regelstandard erreicht) Felicitas Thiel, FU Berlin, AB Schulpädagogik 121 Determinanten der Schulleistung Elternhaus Medien Determinanten der Schulleistung (Hesse & Latzko, 2011) Emotionen Vo

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