Mediengewalt Nutzungsmotive PDF
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Heinrich Heine University Düsseldorf
2024
Dr. Astrid Zipfel
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Summary
This document discusses the motives behind the consumption of violent media content, using the Uses and Gratifications approach as a framework. It explores various explanatory models and potential influences on the reception and effects of violent media. The document is prepared for a lecture on "Media and Violence" for the winter semester 2024/2025.
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Motive der Nutzung von Mediengewalt Vorlesung „Medien und Gewalt“ Wintersemester 2024/25 Dr. Astrid Zipfel hhu.de 2 https://www.n-tv.de/wissen/Warum-schauen-wir-gerne-Horrorfilme-article25325139.html hhu.de Fragestellung: Warum nutzen Menschen violente...
Motive der Nutzung von Mediengewalt Vorlesung „Medien und Gewalt“ Wintersemester 2024/25 Dr. Astrid Zipfel hhu.de 2 https://www.n-tv.de/wissen/Warum-schauen-wir-gerne-Horrorfilme-article25325139.html hhu.de Fragestellung: Warum nutzen Menschen violente Medien? Warum macht es Sinn, sich mit den Motiven für die Nutzung violenter Medieninhalte zu beschäftigen - die Vorlesung behandelt doch die Wirkungen von Mediengewalt? 3 hhu.de „Wirkungsfragen müssen schon deshalb im Zusammenhang mit Motivationsfragen diskutiert werden, da nur derjenige, der die Anziehungskräfte der Fernsehgewalt zutreffend zu beurteilen vermag, imstande ist, etwaige Wirkungsrisiken aufzufangen. Ohne Zuwendungsattraktivität keine Rezeption, ohne Rezeption keine Wirkung von Fernsehgewalt.“ (Grimm 1999, S. 9) ⇒ Mögliche Wechselwirkung zwischen Zuwendungsattraktivität und Wirkung ⇒ Mögliche Einflüsse der Nutzungsmotive auf den Wirkungsprozess und dessen Resultate 4 hhu.de Inhalt 1. Der Uses-and-Gratifications-Ansatz als 10. Makro- und Meta-Emotionen Rahmenkonzept 11. Self Determination Theory 12. Eudaimonische Motive 2. Gewalt als Attraktivitätsfaktor? 13. Soziale und identitätsbezogene Motive 3. Erklärungsansätze 4. Mediennutzung und Medienwirkung 1. Rezipienten-Eigenschaften 2. Evolutionstheoretische Ansätze 5. Wichtige Punkte 3. Ästhetisches Vergnügen 4. Sensation Seeking 5. Forbidden-Fruit-Effect 6. Angstlust und Angstmanagement 7. Excitation Transfer 8. Mood-Management 9. Affektive Dispositionstheorie 5 hhu.de 1. Der Uses-and-Gratifications-Ansatz als Rahmenkonzept 6 hhu.de 1. Uses-and-Gratifications-Ansatz Ansatz, der versucht zu klären, aus welchen Beweggründen sich RezipientInnen Medieninhalten zuwenden Annahmen: Menschen handeln bei der Mediennutzung aktiv und zielorientiert. Medienselektion beruht auf dem Ziel der Bedürfnisbefriedigung, wobei die am besten zu den individuellen Bedürfnissen passenden Angebote ausgewählt werden. Menschen sind sich ihrer Bedürfnisse bewusst und können diese artikulieren. Bedürfnisse können auch auf anderem Wege als über Medienkonsum befriedigt werden. Ein Medienangebot kann – abhängig von Person und Situation – verschiedene Bedürfnisse erfüllen. Frühere Erfahrungen mit Grad und Qualität der Bedürfnisbefriedigung beeinflussen die Erwartungen an die Medien und die weitere Auswahl von Medienangeboten. Bedürfnisse und Nutzungsverhalten werden von sozialen und psychischen Faktoren beeinflusst. Initiative der NutzerInnen ist entscheidend für Motivation, Art und Ergebnis der Mediennutzung Gratifikationen = „Belohnung“ / Bedürfnis-Erfüllung als Folge der Medienrezeption 7 Kunczik / Zipfel 2005, S. 343-351; Krcmar 2017; Haridakis / Humphries 2019; Sommer 2019; Ruggiero 2020 hhu.de 1. Uses-and-Gratifications-Ansatz Der Ansatz beschäftigt sich mit „(1) the social and psychological origins of (2) needs, which generate (3) expectations of (4) the mass media or other sources, which lead to (5) differential patterns of media exposure (or engagement in other activities), resulting in (6) need gratifications and (7) other consequences, perhaps mostly unintended ones.“ (Katz / Blumler / Gurevitch 1974, S. 20) Limperos / Herman 2024, S. 151 hhu.de 1. Uses-and-Gratifications-Ansatz Das Erwartungs-Bewertungs-Modell gesuchter und erhaltener Gratifikationen nach Palmgreen Unterscheidung zwischen gesuchten und erhaltenen Gratifikationen Gesuchte Gratifikationen als Produkt von erwarteten Effekten und affektiver Bewertung dieser Effekte Übereinstimmung von gesuchten und erhaltenen Gratifikationen erhöht Wahrscheinlichkeit der erneuten Zuwendung zu einem Medium. Auch Scheitern der Bedürfnis- befriedigung kann künftige Mediennutzung erklären. Kunczik / Zipfel 2005, S. 343-351 hhu.de 1. Uses-and-Gratifications-Ansatz Kategorien von Bedürfnissen: 1. Kognitive Bedürfnisse (Information, Orientierung, Lernen, Umweltkontrolle, Selbsterfahrung) 2. Affektive Bedürfnisse (Unterhaltung, Eskapismus, (Ent)spannung) 3. Sozial-interaktive Bedürfnisse (soziale Interaktion, Gesprächsstoff, Geselligkeit, Verhaltens- und Rollenmodelle, Wertvorstellungen) 4. Integrativ-habituelle Bedürfnisse (gesellschaftl. Integration, Verlässlichkeit durch Rituale, Gewohnheit) Sommer 2019, S. 22-31 hhu.de 1. Uses-and-Gratifications-Ansatz Kritik Annahme des bewussten Auswahlverhaltens (Rationalisierung, soziale Erwünschtheit) und Vernachlässigung der Bedeutung unbewusster Auswahlprozesse. Vernachlässigung des Medieninhalts („Inhaltsvergessenheit“) Bedürfnissuche von verfügbaren Stimuli abhängig (ggf. erst während Rezeption ausgelöste Bedürfnisse) Theorieschwäche: Keine konkreten Annahmen zu Zusammenhängen, eher Denkansatz, auf dessen Basis Theorien entwickelt werden können, bzw. Forschungsstrategie Überschätzung der Rationalität der MediennutzerInnen und Vernachlässigung von Situationsfaktoren (z.B. Stimmungen; soziale Interaktion und gesellschaftlichen Faktoren) Zirkelschluss (Abfrage von Motiven nimmt Erklärung für Medienauswahl vorweg) Differenzierungsproblem Bedürfnisse / Motive Kunczik / Zipfel 2006, S.343-351; Krcmar 2017; Haridakis / Humphries; 2019; Sommer 2019, Kapitel 6; Ruggiero 2020 hhu.de 1. Uses-and-Gratifications-Ansatz Weiterentwicklungen: Unterscheidung instrumenteller vs. ritueller Nutzung Unterscheidung verschiedener Nutzungsarten in verschiedenen Phasen des Kommunikations- prozesses ⇒ Formen und Ausprägungen der Nutzeraktivität variieren je nach situativen Umständen Anwendung auf „neue Medien“ (Computerspiele, Internet, Soziale Medien) ⇒ Erweiterung von Motivkatalogen (z.B. um „Herausforderung“ und „Wettbewerb“ bei Computerspielen) ⇒ Überlegungen zur Entstehung neuer Bedürfnisse durch neue Medientechnologien ⇒ Bedürfnisse können nicht nur durch Medieninhalte, sondern auch durch Prozess der Nutzung und Funktion der Medien als soziale Umwelt befriedigt werden. ⇒ Gratifikationen können sich auf Modalität (z.B. Text, Bild), Agency (z.B. Aufbau einer Community), Interaktivität und Navigabilität (Browsing) beziehen. 12 Sommer 2019, S. 37-48; Krcmar 2017; Haridakis / Humphries 2010; Ruggiero 2020 hhu.de 1. Uses-and-Gratifications-Ansatz Motive als Moderatoren und Mediatoren ⇒ Moderation: Verstärkung oder Verringerung von Effekten durch Nutzungsmotive ⇒ Z.B. Verstärkung des Vergnügens an erregenden Filmvorschauen durch Motiv der Erregungssuche ⇒ Mediation: Vermittlung des Zustandekommens von Effekten ⇒ Inhalt ist nicht alleine entscheidend für die Wirkung, sondern diese kommt z.T. erst aufgrund bestimmter Nutzungsmotive zustande. ⇒ Unterscheiden sich die Wirkungen von Mediengewalt je nach Nutzungsmotiv? 13 Krcmar 2017 hhu.de 1. Uses-and-Gratifications-Ansatz Motive der Nutzung von Mediengewalt Beispiele f. Nutzungsmotive v. Fernsehgewalt: Beispiele f. Nutzungsmotive v. Computerspielgewalt: Zeitvertreib Entdecken virtueller Welten Erregung Stimmungsregulierung Entspannung und Ablenkung Eskapismus Unterhaltung Macht und Kontrolle Information / Lernen Herausforderung / Leistung / Wettbewerb Soziale Interaktion / Gemeinschaftsgefühl Problematik: Meistens kein Vergleich zw. versch. violenten Genres und violenten bzw. nicht-violenten Medien ⇒ Unklar, ob medien- oder inhaltsbezogene Nutzungsmotive ⇒ Unklarheit über genrespezifische Gratifikationen ⇒ Unklar, ob Gratifikationen mit Gewaltgehalt zu tun haben 14 Kunczik / Zipfel 2010, S. 98-104 hhu.de 1. Uses-and-Gratifications-Approach Motive der Nutzung von Mediengewalt Beispiel True-Crime-Genre Informationen zu Polizeiarbeit / Justiz Verstehen von Motiven für Gewalt Bedürfnis nach Wiederherstellung von Gerechtigkeit / Vergewisserung der Gültigkeit von Normen Angstbewältigung und Verarbeitung traumatischer Erfahrungen Schutz vor Viktimisierung durch Informationsgewinnung Aufbau emotionaler Verbundenheit und Identifikationsprozesse (mit Opfern) Voyeurismus Empfinden von Spannung / Bekämpfung von Langeweile / Zeitvertreib / Eskapismus Interaktivität und Partizipation an Verbrechensaufklärung (v.a. bei Podcasts) Anschlusskommunikation / soziale Interaktion (z.B. in Online-Communities) / Aufbau von Netzwerken zur Interessenvertretung (von Frauen) ⇒ Deutliche Geschlechtsunterschiede in den Motiven ⇒ Gewaltbezug der Motive? 15 Nehls 2003, S. 42-53 hhu.de 2. Gewalt als Attraktivitätsfaktor? 16 hhu.de 2. Gewalt als Attraktivitätsfaktor? Werden Medien wegen ihres Gewaltgehalts präferiert? Bedeutet die Tatsache, dass Menschen starkes Interesse an violenten Medien zeigen und diese bevorzugt auswählen, dass sie bei der Rezeption auch besonders Vergnügen empfinden? 17 hhu.de 2. Gewalt als Attraktivitätsfaktor? In einem Experiment konstatieren Weaver / Wilson (2009), das das Herausschneiden blutiger bzw. violenter Szenen den Rezeptionsgenuss steigerte. In einer Meta-Analyse zeigte sich ein negativer Zusammenhang zwischen Präferenz für violente Medien und Rezeptionsvergnügen (Weaver 2011) Experiment von Kobach / Weaver (2012): Stimulusmaterial: Beschreibungen je einer Folge von 4 Serien, die in der Herausstellung des Gewaltgehalts variiert werden. Violente / nicht-violente Versionen dieser Folgen Studierende (N = 191) erhalten zwei violente und zwei nicht-violente Beschreibungen und sollen wählen, welche Folge sie sehen möchten. Sie bekommen die gewünschte Folge gezeigt, wobei der Gewaltgehalt nicht unbedingt der beschriebenen Version entspricht (d.h. höher oder niedriger sein kann als in der Beschreibung). Ergebnis: Violente Beschreibungen führen zu einer bevorzugten Auswahl der Folgen Unabhängig davon, ob sich die ProbandInnen für eine violente oder nicht-violente Folge entschieden haben, ist der Rezeptionsgenuss nach dem Sehen einer nicht-violenten Folge größer als nach dem Sehen einer violenten Folge. 18 hhu.de 2. Gewalt als Attraktivitätsfaktor? Befunde eines Experiments von Lagrange u.a. (2019): ProbandInnen konnten einen nicht violenten, niedrig violenten oder hoch violenten Fortgang einer Kurzgeschichte wählen. Die Wahl eines hoch violenten Fortgangs führte zu mehr Zufriedenheit mit der Geschichte als die beiden anderen Optionen. Wenn die ProbandInnen allerdings keine Wahl hatten, wie die Geschichte weitergeht, wurde die hoch violente Version als am wenigsten zufriedenstellend bewertet. ⇒ „Choosing violence is enjoyable, not violence itself.“ (Lagrange u.a. 2019, S. 21). => Tatsache der bewussten Entscheidung beeinflusst Rezeptionsvergnügen. 19 hhu.de 2. Gewalt als Attraktivitätsfaktor? Attraktivität von Mediengewalt Selektive Zuwendung Rezeptionsgenuss / (Auswahl) Vergnügen (Enjoyment) Befunde, denen zufolge Menschen violente Medieninhalte zwar bevorzugt auswählen, die Rezeption nicht-violenter Medien aber mehr genießen Wie kann das sein? 20 hhu.de 2. Gewalt als Attraktivitätsfaktor? Erklärungsmöglichkeiten 1. Gewalt besitzt eine inhärente Anziehungskraft, der sich Menschen nicht entziehen können, auch wenn sie die Darstellung von Gewalt bzw. ihrer Folgen abstoßend finden. Evolutionstheoretische Erklärungen / Morbide Neugier 21 Kunczik / Zipfel 2010, S. 99-104;Sparks / Sparks 2000; Weaver 2011; 2020; Bartsch / Mares 2014, S. 956-959 hhu.de 2. Gewalt als Attraktivitätsfaktor? 2. Gewalt selbst ist nicht attraktiv, sie geht aber mit anderen Inhalten / formalen Elemen- ten einher, die Rezeptionsgenuss bewirken und fungiert als „Proxy“ bzw. Hinweis für / auf diese attraktiven Inhalte und Nutzungserfahrungen. Die Kopplung mit Gewalt wird in Kauf genommen wird, ohne dass die Gewalt als solche Vergnügen bereiten würde. 1. Gewalt erhöht aber im Verbund mit anderen Elementen die Anziehungskraft, z.B. indem sie andere Funktionen des Medieninhalts verstärkt. Spielen mit Wettbewerb / Ausübung von Macht und Kontrolle / Indikator für Erfolg usw. Bei Spielen: Gewalt als Schlüsselreiz für Wettbewerb / Ernsthaftigkeit; Motive von Erfolg / Selbstbestätigung bzw. Macht / Kontrolle können in violenten Spielen besonders gut erfüllt werden 2. Gewalt spielt für die Attraktivität von Medieninhalten keine Rolle – es sind ganz andere Aspekte von (zugleich violenten) Medieninhalten, die für die Rezipierenden zu Vergnügen führen. Emotionale / mit Erregung verbundene Gratifikationen Inhaltsbezogene Gratifikationen Soziale / identitätsbezogene Gratifikationen 22 Kunczik / Zipfel 2010, S. 99-104;Sparks / Sparks 2000; Weaver 2011; 2020; Bartsch / Mares 2014, S. 956-959 hhu.de 2. Gewalt als Attraktivitätsfaktor? 3. Menschen erhalten andere Gratifikationen aus dem Konsum violenter Medieninhalte als Vergnügen Identitätsbezogene Gratifikationen Eudaimonische Gratifikationen 23 Kunczik / Zipfel 2010, S. 99-104;Sparks / Sparks 2000; Weaver 2011; 2020; Bartsch / Mares 2014, S. 956-959 hhu.de 3. Erklärungsansätze 24 hhu.de 3.1. Rezipienten-Eigenschaften 25 hhu.de 3.1. Rezipienten-Eigenschaften Soziodemografische Faktoren Geschlecht Kulturübergreifend höhere Präferenz für violente Medieninhalte bei Menschen mit biologischem männlichen Geschlecht. Erklärungsansätze (Auswahl): Persönlichkeitseigenschaften: Bei Männern z.B. stärkere Ausprägung von Wettbewerbs- orientierung (relevant bei violenten Computerspielen) und von Sensation Seeking Geschlechtsidentität (selbst zugeschriebene Geschlechterrolle) / Geschlechtsrollensozialisation: Männlichkeit korreliert eher mit Violenz / dem Konsum violenter Medien Soziale Identität / Gruppen-Normen: Rezeptions-/Spielgenuss aufgrund geteilter Gruppen- identitäten (die geschlechtsabhängig sein kann); Hypermaskulinität als Gruppen-Norm Identifikationsangebote: Stereotype Geschlechtsdarstellungen in den Medien (z.B. Opfer eher weiblich, Täter eher männlich), mehr männliche als weibliche violente Protagonisten 26 Kunczik / Zipfel 2010, S. 104-107; Greenwood / Winn 2020; Hall 2020; Martin 2019; Reich 2021 hhu.de 3.1. Rezipienten-Eigenschaften Soziodemografische Faktoren Alter Präferenz für violente Inhalte steigt mit dem Alter an, erreicht in der Adoleszenz einen Höhepunkt und fällt danach wieder ab. Allerdings wenige repräsentative Studien Erklärungsansätze: Allmähliche Herausbildung von Genrepräferenzen in der Kindheit und Jugend Allmähliche Entwicklung von Bewältigungsstrategien von Gewaltinhalten in Kindheit und Jugend Relevante identitätsbezogene und soziale Faktoren violenter Medien in der Pubertät Möglichkeit von Kohorten- bzw. Generationseffekten Bildungsstand Mehr Nutzung violenter Medien bei niedrigerem Bildungsstand 27 Kunczik / Zipfel 2010, S. 108-111; Bartsch / Mares 2014, S. 961; Martin 2019, S. 15 hhu.de 3.1. Rezipienten-Eigenschaften Persönlichkeitsmerkmale (Auswahl) Bereits vorhandene Aggressivität Geringe Empathie Gefühllosigkeit Sensation Seeking Morbide Neugier Hoher Need for Affect Hohe Imaginationsbereitschaft „Dark personality traits“ (z.B. Machiavellianism = Genuss von Machtausübung, Schadenfreude, Sadismus) Widersprüchliche Befunde zu Big Five-Persönlichkeitsfaktoren (Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit) 28 Sparks / Sparks 2000, S. 79f.; Kunczik / Zipfel 2010, S. 111-121; Martin 2019; Allen u.a. 2022 hhu.de 3.2. Evolutionstheoretische Ansätze 29 hhu.de 3.2. Evolutionstheoretische Ansätze Evolutionäre Psychologie: Paradigma, das grundlegende psychische Mechanismen und Verhaltensweisen auf Anpassungsleistungen an Umweltbedingungen zurückführt, die sich im Laufe der Evolution durchgesetzt haben, weil sie dem Individuum einen Vorteil verschafft bzw. seine Überlebensfähigkeit sichergestellt haben. https://www.sifa-sibe.de/wp- content/uploads/S/a/Saebelzahntiger_AdobeStock_66092743_anibal_6 C5AE194-BD8A-46A6-A8A6-72D85ECAD8C7.jpg Betonung der „menschlichen Natur“ im Gegensatz zu den Sozialwissenschaften, die v.a. die aktuelle Umwelt als Determinanten des Erlebens und Verhaltens betrachten. Entsprechende Erklärungsansätze sind kaum empirisch zu prüfen. 30 Schwab / Hennighausen 2016 hhu.de 3.2. Evolutionstheoretische Ansätze Ableitung der Faszination für Gewaltdarstellungen aus der Menschheits- geschichte Für das Überleben war die schnelle Identifikation potenzieller Bedrohungen essenziell Besonders Aufmerksamkeit für Neues, Ungewöhnliches, eventuell Gefährliches „Morbide Neugier“ (siehe Folie 35) Gewalt / Aufmerksamkeit für Gewalt als Anpassungs- und Durchsetzungs- mechanismus 31 hhu.de 3.2. Evolutionstheoretische Ansätze Beispiel für eine evolutionstheoretische Argumentation (Matthias Uhl): „Meine medienanthropologische These ist, dass Menschen auf Grund ihrer evolutionären Vergangenheit ein Interesse für die Wahrnehmung von intentionalen Tötungen und deren Begleitumständen entwickelt haben. (…) Im Gegensatz zu den Auswirkungen natürlicher Tode brachte das gewaltsame Ableben eines Gruppenangehörigen eine Reihe existenzieller Fragen mit sich: Wer steht hinter dieser Tat? Was war das Motiv? Sind weitere Taten zu erwarten? Bin ich gefährdet? Auf wen kann ich mich verlassen? Wie kann ich mich schützen? (…). 32 Uhl 2009, S. 260f. hhu.de 3.2. Evolutionstheoretische Ansätze In den evolutionär relevanten Zeiträumen waren Individuen, die in derartig bedrohlichen Lebenssituationen ihre Aufmerksamkeit in besonderer Weise der Gewalttat und den daraus resultierenden Folgen widmeten, besser in der Lage, ihr Verhalten an den Erfordernissen auszurichten und so zum eigenen Nutzen zu handeln. Der aus dieser differentiellen Umgangsweise resultierende Überlebens- und Reproduktionsvorteil führte stammesgeschichtlich zur neuronalen Verankerung eines spezifisch für diese Probleme selektierten psychischen Verarbeitungsmechanismus. Ein Mechanismus, der an der unbe- wussten Steuerung menschlicher Aufmerksamkeit teilhat, und dessen Wirken dazu führt, dass Menschen dazu tendieren, Morden große Aufmerksamkeit zu schenken, so eben auch im Film.“ 33 Uhl 2009, S. 260f. hhu.de 3.2. Evolutionstheoretische Ansätze Ansatz von Weiß, Krug und Suckfüll (2007) Angst = funktional / Reaktion auf ungefährliche Situation = dysfunktional Weitere Informationssuche in uneindeutigen Situationen als sinnvollste Maßnahme Rezeption angstauslösender Filme = uneindeutige Situation, da die Rezipierenden einerseits wissen, dass ihnen nichts passiert, andererseits aber ständig neuen angstauslösenden Reizen ausgesetzt sind. Suche nach weiteren Informationen => Fortsetzung der Filmrezeption Letztlich positives Filmerlebnis, weil angemessen gehandelt wurde Angst ertragen / bewältigt wurde Konsequenz: Wiederholung der Rezeption angstauslösender Inhalte Problematik: Nicht empirisch geprüft bzw. prüfbar. 34 hhu.de 3.2. Evolutionstheoretische Ansätze 35 Weiß / Krug / Suckfüll 2007, 158 hhu.de 3.2. Evolutionstheoretische Ansätze Morbide Neugier (morbid curiosity) Morbid Curiosity =“motivation to seek out information about threatening or dangerous phenomena“ (Scrivner 2021) “Morbid curiosity is defined as a mixture of excitement, fear, and compulsion that fuels the desire to know about horrid subjects that include, but are not limited to, death and terror.” (Harrison / Frederick 2022, S. 3768) Annahme, dass morbide Neugier Individuen veranlasst, etwas über abstoßende, potenziell gefährliche Aspekte des Lebens bzw. mit dem Tod verbundene Phänomene in Erfahrung zu bringen, mit denen sie in Kontakt kommen. Ohne morbide Neugier käme es zur Vermeidung solcher Dinge und somit zu Unwissen über potenziell überlebenswichtige Zusammenhänge. Morbide Neugier ist also evolutionstheoretisch betrachtet funktional, da sie Wissen über Gefahren und deren Vermeidung ermöglicht. 36 Sparks / Sparks 2000, S. 75f.; Scrivner 2021; 2024; Scrivner / Clasen 2022; Harrison / Frederick 2022 hhu.de 3.2. Evolutionstheoretische Ansätze Bezug zum Medienkonsum Das Interesse an Gewalt (in den Medien) kann als Ergebnis dieser “schützenden Wachsamkeit” betrachtet werden. Immersive Medieninhalte, die die Identifikation mit Charakteren ermöglichen und emotional fesseln, erleichtern die Beschäftigung mit morbiden Phänomenen. Die mentale Beschäftigung mit Gefahren durch reale oder fiktive Medieninhalte kann realitätsnahe physiologische, emotionale und verhaltensbezogene Reaktionen bewirken und als „Bedrohungs-Simulation“ fungieren, die eine bessere Regulierung bei der späteren Begegnung mit realen Gefahren ermöglicht => „Training“ im Umgang mit Angst / Entwicklung von Resilienz 37 Clasen / Kjeldgaard-Christiansen / Johnson 2020; Scrivner 2024; Scrivner / Clasen 2022 hhu.de 3.2. Evolutionstheoretische Ansätze Empirische Befunde zur morbiden Neugier Morbide Neugier als Persönlichkeitszug Stärkere Ausprägung bei Männern als bei Frauen Zusammenhänge mit Sensation Seeking Zusammenhänge mit Interesse an violenten / angsterregenden Medieninhalten (Horrorfilme, Berichte über Serienkiller, violente Musik usw.) Online-Test zur Morbid Curiosity: https://www.coltanscrivner.com/morbid-curiosity-test 38 Marvin / Litle 1986; Harrison / Frederick 2022; Scrivner 2021; Powell 2022 hhu.de 3.3. Ästhetisches Vergnügen 39 hhu.de 3.3. Ästhetisches Vergnügen Theorie des ästhetischen Vergnügens (Thomas Hausmanninger 2002) Annahme einer anthropologisch erklärbaren ästhetischen Funktion von Mediengewalt. Alltags-Wahrnehmung ist zweckorientiert (Funktion der Umweltüberwachung in der Evolution), ästhetische Wahrnehmung hingegen geschieht nur um ihrer selbst willen. Basis der Entstehung von Vergnügen bei der ästhetischen Wahrnehmung: Zweckfreiheit der Rezeption Funktionslust (Arnold Gehlen) = „automatisch“ entstehende Lust des Menschen an der Funktion ihres psychophysischen „Apparats“ 40 Hausmanninger 2001; 2002 hhu.de 3.3. Ästhetisches Vergnügen Formen der Funktionslust: Sensomotorisch: Lust an der Funktion des Körpers und der Sinne (z.B. Adrenalin-Ausschüttung, Beschleunigung des Herzschlags, Wahrnehmung von Farben, Sound-Effekten usw.) Emotional: Lust am Empfinden von Gefühlen und Reichtum des Emotions-Spektrums (Empathie, Angst usw.) Kognitiv: Lust an intellektuellen Fähigkeiten (Entschlüsseln von Bedeutungsstrukturen, Genre- Konventionen, Spezial-Effekten usw.) „Grundsätzlich genießen wir auf den drei Ebenen, dass wir etwas spüren, fühlen und geistig verarbeiten können.“ (Hausmanninger 2001. S. 46) => Gefühl der Lebendigkeit und der Verwirklichung eigener Kompetenzen Auf allen Ebenen ist Funktionslust reflexiv, d.h. das Individuum kann sich vom Wahrnehmungs- gegenstand und von den eigenen Reaktionen darauf distanzieren. Reflexivität ermöglicht bewusstes Erleben der Funktionslust Reflexivität wird als Souveränität und Bewältigungskompetenz selbst genossen. 41 Hausmanninger 2001; 2002 hhu.de 3.3. Ästhetisches Vergnügen Voraussetzung für Funktionslust ist die zweckfreie Rezeption (v.a. bei fiktionalen Inhalten) Nicht Gewalt als solche wird genossen, sondern Vergnügen kommt erst durch spezifische Funktion der Gewalt im dramaturgischen bzw. narrativen Kontext zustande (z.B. als Zeichen für Dynamik, Geschicklichkeit, Symbol für Gefährdung der menschlichen Existenz, Kampf gegen das Böse, Schicksal usw.) Zweckfreies Vergnügen ist Basis für „sekundäre Nutzungsinteressen“, z.B. Auseinandersetzung mit moralischen Fragen, Steuerung der eigenen Stimmung, soziale Funktionen usw. 42 Hausmanninger 2001; 2002 hhu.de 3.3. Ästhetisches Vergnügen Ästhetische Theorie der Zerstörung (Allen / Greenberger) Annahme, dass dieselben Faktoren, die für den Genuss von Ästhetik verantwortlich sind, auch Freude an Akten der Zerstörung bewirken. Eigenschaften eines Stimulus, die Vergnügen bereiten, sind nach Allen / Greenberger (1978) Komplexität (geringe) Erwartbarkeit / Überraschung / Neuigkeitswert Bestimmte Muster / Anordnung von Bestandteilen des Objekts Intensität / Größe / Farbe von Objekten Zerstörung bewirkt ästhetisches Vergnügen durch Reduktion von Unsicherheit über Beschaffenheit schwierig durchschaubarer Gegenstände, v.a. bei unerwartetem Ergebnis Ästhetische Qualität des Zerstörungsaktes und Zustand des zerstörten Objekts sind maßgeblich für Vergnügen 43 Allen / Greenberger 1978; 1979; 1980; Sparks / Sparks 2000, S. 76 hhu.de 3.3. Ästhetisches Vergnügen Medien (v.a. Computerspiele) eignen sich besonders gut für ein sanktionsloses / sozial akzeptables Ausleben dieses Vergnügens (vs. Vandalismus in der Realität) Empirische Befunde, die darauf hindeuten, dass Zerstörungsakte ein Motiv darstellen, sich Horrorfilmen zuzuwenden (Tamborini / Stiff 1987) bzw. dass ein ästhetischer Sinn für Zerstörung mit einer Präferenz für Kriegsspiele zusammenhängt (Kuhrcke / Klimmt / Vorderer 2006) Von Einzelbefunden abgesehen, ist die Ästhetische Theorie der Zerstörung kaum belegt. 44 hhu.de 3.4. Sensation Seeking 45 hhu.de 3.4. Sensation Seeking Bedürfnis nach neuen, aufregenden Erfahrungen, Anregung und Nervenkitzel Erhöhte Risikobereitschaft “… seeking of varied, novel, complex and intense sensations and experiences, and the willingness to take physical, social, legal and financial risks for the sake of such experiences” (Zuckerman 1994, S. 27). Vermutung, dass Sensation Seeker geringeres Erregungsniveau besitzen und daher stärkere Reize zu dessen Erhöhung benötigen. Dimensionen bei Zuckerman: Spannung und Abenteuer Suche nach neuen Erfahrungen Soziale Enthemmung Vermeiden von Langeweile Dimensionen eignen sich allerdings unterschiedlich gut zur Erklärung von Medienzuwendung Interaktion mit anderen Rezipienteneigenschaften (z.B. Geschlecht) 46 Sparks / Sparks 2000, S. 77f.; Kunczik / Zipfel 2006, S. 66-68; Martin 2019, S. 7f.; Schweizer / Klein 2008, S. 160 hhu.de 3.5. Forbidden-Fruit-Effect 47 hhu.de 3.5. Forbidden-Fruit-Effect Der „Forbidden-Fruit“-Effekt beschreibt die Attraktivität alles Verbotenen und wirft die Frage auf, ob Alterskennzeichnungen / Inhalts-Labels die Attraktivität violenter Inhalte erhöhen können. Die empirischen Studien zum Thema haben gemischte Resultate ergeben. Während einige Studien keinerlei Effekt fanden, zeigte sich in anderen ein (kleiner) Effekt auf die Erhöhung der Attraktivität violenter Inhalte. Für Kinder (bis. ca. 8 Jahren) verringern Kennzeichnungen die Attraktivität eher, ab ca. 11 Jahren erhöhen sie die Attraktivität eher. Der Effekt ist bei Jungen stärker ausgeprägt. Es gibt Hinweise darauf, dass gerade versierte NutzerInnen bei einem Mangel anderer Informationen Alterskennzeichnungen als Indikator für die Art des zu erwartenden Inhalts verwenden. Dieser Aspekt wird in der Sitzung zu medienpädagogischen Maßnahmen wieder aufgegriffen. 48 Kunczik / Zipfel 2010, S. 462-465 hhu.de 3.6. Angstlust und Angstmanagement 49 hhu.de 3.6. Angstlust und Angstmanagement Angstlust Paradoxes Phänomen des Vergnügens an Emotionen, die im Alltag negativ bewertet und eher gemieden werden „… das genussvolle Erleben von (fiktiver, vorgestellter) Gefahr“ (Fischer 2017, S. 11) https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2023/10/spass- grusel-warum-wir-gerne-horrorfilme-schauen-angst-psychologie Thrill als „Weg zur Lust über die Angst“ (Seeßlen 1980, S. 17) Biologischer Hintergrund: Angst (auch medial verursachte) bewirkt Reaktionen des vegetativen Nervensystems und setzt Botenstoffe frei, zu denen auch solche gehören, die Hochgefühle bewirken (z.B. Dopamin, Endorphine) und auch nach Ende der ängstigenden Situation noch im Blut zirkulieren (Bandelow 2016; Lamm 2023). 50 hhu.de 3.6. Angstlust und Angstmanagement Bedingungen für Angstlust (nach Balint 1959, S. 20f.) 1. Bewusste Angst / Gefahrenbewusstsein 2. Willentliche / absichtliche Konfrontation mit Gefahr und damit verbundener Furcht 3. Zuversicht, dass die Furcht durchgestanden und beherrscht wird und die Gefahr vorübergeht / Vertrauen auf Wiederherstellung von Geborgenheit / Sicherheit. „Diese Mischung von Furcht, Wonne und zuversichtlicher Hoffnung angesichts einer äußeren Gefahr ist das Grundelement aller Angstlust (thrill).“ (Balint 1959, S. 21) „Angstlust entsteht durch das Bewusstsein einer realen äußeren Gefahr, der sich das Individuum willentlich in der Hoffnung aussetzt, die Gefahr durchstehen und die damit verbundene Furcht beherrschen zu können. Es vertraut darauf, nach der Gefahr wieder unverletzt in die sichere Geborgenheit zurückkehren zu können.“ (Winterhoff-Spurk 2004, S. 75) => Mediale Vermittlung erlaubt Distanz, die für Lust am Angsterregenden nötig ist. 51 hhu.de 3.6. Angstlust und Angstmanagement Alfred Hitchcock zur Angstlust https://www.planet- wissen.de/gesellschaft/psychologie/angst/pwieangstimkino 100.html 52 Hitchcock 1949 hhu.de 3.6. Angstlust und Angstmanagement Angstlust und Genre-Konventionen: Bei Hitchcock resultiert die Angstlust nicht nur aus dem Bewusstsein für die sichere Rezeptionssituation, sondern auch aus Genre-Konventionen, denen zufolge sympathische Protagonisten kein schlimmes Schicksal erleiden. “As the audience's sympathy for a character is built up, that audience assumes that a sort of invisible cloak to protect the wearer from harm is being fitted. Once the sympathies are fully established and the cloak is finished, it is not … fair play to violate the cloak and bring its wearer to a disastrous end…” (Hitchcock 1949, S. 243). Auch Mikos (1995, S. 173) konstatiert, Action- und Horrorfilme gäben medienerfahrenen RezipientInnen ein „Gebrauchswertversprechen“: „Die Zuschauer lassen sich gewissermaßen auf ein Spiel mit Emotionen wie Angst, Furcht, Schrecken, Ekel, Horror etc. ein, weil sie wissen, daß der ‚viewing contract‘ nicht gebrochen und die Genrekonventionen eingehalten werden.“ => V.a. Horrorfilme spielen mit den Grenzen der Genrekonventionen (=> Möglichkeit des Kontroll- verlustes, Spiel mit Verlust von Sicherheit) 53 hhu.de 3.6. Angstlust und Angstmanagement Angstmanagement Auch Angstkontrolle bzw. Angstbewältigung kann als lustvoll erlebt werden Annahme, dass Umgang mit negativen Emotionen in einem sicheren Raum (z.B. Horrorfilm) Fähigkeiten zur Emotionsregulierung auch in der Realität „trainiert“. Scrivner u.a. (2021) beobachteten z.B. während der Corona-Pandemie eine größere Resilienz bei Horror-Fans, die sie auf die Erfahrung im Umgang mit Ängsten zurückführen (Scrivner 2024). Feststellung von Angstbewältigungs- und Schutzmotiven bei der Rezeption von True Crime-Inhalten durch Frauen (Nehls 2023, S. 42-53). Vermutung ähnlicher Mechanismen wie bei Konfrontationstherapie Befunde, denen zufolge sich besonders ängstliche RezipientInnen angstauslösenden Medieninhalten zuwenden 54 hhu.de 3.6. Angstlust und Angstmangement Modell der analogischen und kontrastiven Programmbindungen nach Jürgen Grimm analogisch-konfrontierend: Inhaltliche Übereinstimmung Disposition / Inhalt Ziel: Konfrontation mit Gefühlen, um durch deren Stimulation (in verträglicher Dosierung) auch Bearbeitung / Kontrolle (= Steuerungspotenzial) zu aktivieren => Abschwächung der Disposition Verbesserung des Angstmanagements durch Angststimulation kontrastiv-kompensierend: Divergenz zwischen Disposition / Inhalt Ziel: Unterbrechung, Vermeidung, Blockieren unerwünschter Emotionen => Entgegengesetzte Programmpräferenzen bei identischer Alternative / Kontrast zu Realität / Disposition emotionaler Ausgangslage je nach Situation, Stimmung, Veränderung der Relevanz statt Eskapismus Persönlichkeit Kompensation von Defiziten => Verringerung von Belastungen 55 Grimm 1999, S. 334 hhu.de 3.7. Excitation Transfer 56 hhu.de 3.7. Excitation Transfer Annahmen: Erregung bewirkt als unspezifische, energetische Komponente von Emotionen keine bestimmte Qualität des Erlebens, sondern steigert nur dessen Intensität. Medieninhalte (z.B. spannende) können körperliche Erregung (z.B. beschleunigter Herzschlag) auslösen, die erst allmählich wieder abgebaut wird. Solange das Ausgangs-Level der Erregung noch nicht wieder erreicht ist, verstärkt die vorhandene Rest-Erregung emotionale Reaktionen auf folgende Reize. Dabei wird der Ursprung der Erregung fälschlicherweise dem folgenden emotionalen Reiz zugeschrieben, der im Zustand erhöhter Erregung und damit intensiver wahrgenommen wird. Erregungsübertragung wird möglich durch den zeitlichen Verzug zwischen schneller, neuronal vermittelter Kognition und langsamerer, hormonell vermittelter Regulierung von Erregung. 57 Bryant / Miron 2003; Zillmann 2008; Renner, S. 90f. Cummins 2020 hhu.de 3.7. Excitation Transfer Der Prozess des Excitation Transfer A = Antecedent Stimulus S = Subsequent Stimulus Erregungstransfer = schraffierte Fläche Dünne Linie = Entwicklung ohne Erregungstransfer, dicke Linie = Entwicklung mit Erregungstransfer Abbildung nach Zillmann 1996, entnommen aus Cummins 2020, S. 2 58 hhu.de 3.7. Excitation Transfer Anwendung auf den Medienkonsum: Kognitiv erkennt das Individuum den Wechsel zwischen verschiedenen Szenen eines Films, die von einer Szene ausgelöste Erregung hält aber auch in der nächsten Szene noch an. Die „Erregungsreste“ werden auf die Folgeszene übertragen und verstärken die emotionale Reaktion auf diese, so dass sich bei einer schnellen Abfolge emotionaler Szenen Erregung / Emotionen immer weiter „aufschaukeln“ können. Dieser Mechanismus ist unabhängig von der Valenz der ausgelösten Emotionen. Szenen, die negative Emotionen auslösen (z.B. Angst) können die Wirkung von Szenen, die positive Emotionen auslösen, intensivieren und umgekehrt. Da Filme, die Action / Gewalt enthalten, oft in einem Happy End münden, verstärkt die durch Spannung / Angst ausgelöste Erregung das Gefühl der Erleichterung am Ende. Diese Erleichterung stellt die Gratifikation des Konsums von Medieninhalten dar, die ansonsten eher mit negativen Erfahrungen verbunden sind. Die Excitation-Transfer-Theorie wird auch zur Erklärungen der Wirkung von Mediengewalt herangezogen (=> spätere Sitzung der Vorlesung) 59 Bryant / Miron 2003; Zillmann 2008; Renner, S. 90f. Cummins 2020 hhu.de 3.8. Mood Management 60 hhu.de 3.8. Mood Management Der aktuelle Stimmungszustand eines Menschen bestimmt seine Medienauswahl. Individuen sind hedonistisch motiviert, d.h. sie streben danach, einen negativen affektiven Zustand zu verringern bzw. zu beenden und einen positiven affektiven Zustand zu intensivieren bzw. beizubehalten. Zur Regulierung ihrer Stimmung passen sie ihre Reizumgebung an, wobei eine der einfachsten Möglichkeiten im Medienkonsum besteht (v.a. wenn die Ursache der (schlechten) Stimmung nicht unmittelbar geändert werden kann). Die Auswahl geeigneter Inhalte erfolgt durch operantes Lernen => Die Stimulus- Auswahl erfolgt zunächst zufällig und erst nach Erfahrungen mit den Auswirkungen bestimmter Inhalte auf die eigene Stimmung auch gezielt. RezipientInnen müssen sich der Motive hinter ihrer Medienauswahl nicht unbedingt bewusst sein, diese kann auch eher intuitiv erfolgen. 61 Reinecke 2017; Dillman Carpenter 2020 hhu.de 3.8. Mood Management Voraussetzung für Mood Management ist ein verlässlicher Zusammenhang zwischen bestimmten Medien-Eigenschaften und bestimmten Auswirkungen auf die Stimmung 4 Dimensionen von Medieninhalten sind dabei relevant: Erregungspotenzial (Erregungssteigerung z.B. durch Action, Erotik, Gewalt) Absorptionspotenzial, d.h. Potenzial des Medieninhalts, die Aufmerksamkeit zu fesseln und RezipientInnen so von ihrer aktuellen Stimmung und deren Ursprung abzulenken. Semantische Affinität, d.h. Nähe zwischen vom Medieninhalt ausgelöster Stimmung und aktuellem affektivem Zustand der Rezipientinnen. Bei hoher semantischer Affinität ist das Potenzial zur Stimmungsveränderung gering ausgeprägt. Hedonistische Valenz, d.h. generelle positive (z.B. Comedy) bzw. negative Stimmung (z.B. Tragödie) eines Medieninhalts. RezipientInnen zeigen je nach affektivem Zustand und Bedürfnis der Stimmungs- regulation Präferenz für Medieninhalte, die eine bestimmte Kombination dieser Eigenschaften aufweisen. 62 Reinecke 2017; Dillman Carpenter 2020 hhu.de 3.8. Mood Management Annahmen zum Erregungszustand: Menschen empfinden sowohl zu geringe als auch zu hohe Erregung als unangenehm (Langeweile vs. Stress / Angst) => Medienauswahl dient einem ausgeglicheneren Erregungszustand. Annahmen zur Stimmung: Menschen mit negativer Stimmung sind motiviert, diesen Zustand zu verändern => Präferenz für stark absorbierende Inhalte mit geringer semantischer Affinität zur aktuellen Stimmung und positiver hedonistischer Valenz. Menschen mit positiver Stimmung sind motiviert, diesen Zustand beizubehalten => Präferenz für wenig absorbierende Inhalte mit hoher semantischer Valenz. Da bereits eine positive Stimmung besteht, ist die Präferenz für Inhalte mit positiver hedonisti- scher Valenz weniger ausgeprägt als bei negativer Stimmung. 63 Reinecke 2017; Dillman Carpenter 2020 hhu.de 3.8. Mood Management Problematik des Ansatzes: Wieso sind Medieninhalte, die Schicksalsschläge, Leiden, Gewalt, Konflikte und komplexe menschliche Probleme zeigen, so populär? Dramen, Krimis, Horrorfilme, traurige Filme widersprechen der hedonistischen Sichtweise, dass Ziel der Stimmungsoptimierung die Medienauswahl steuert. „Sad Film-Paradoxon“ 64 Reinecke 2017; Dillman Carpenter 2020 hhu.de 3.8. Mood Management Forschungsstand: Annahme, dass Selektion von Medieninhalten von der Stimmung abhängt, hat sich bestätigt. Gut belegt, dass Medienauswahl von Erregungsniveau abhängt und Regulierung funktioniert. Spezifischere Annahmen über Auswahl bestimmter Inhalte in bestimmten Stimmungslagen sind weniger gut belegt. Semantisch kongruente Medieninhalte werden in negativem Gefühlszustand nicht immer vermieden (z.B. traurige Liebeslieder bei Liebeskummer) Es ist eine feinere Differenzierung von Stimmungen und Medieninhalten nötig Menschen verfolgen bei der Regulierung ihrer Stimmungen unterschiedliche Strategien Herausforderungen des Ansatzes durch neue Medien, bei denen Medieninhalt von Handlungen des Rezipienten abhängt (Computerspiele) => Je nach Handlungen individuell unterschiedlicher Stimulus 65 Reinecke 2017; Dillman Carpenter 2020 hhu.de 3.8. Mood Management Überlegungen zur Stimmungsregulierung durch violente Medieninhalte Gewalt als stimmungskongruenter Inhalt (z.B. bei Wut) Avoidance Strategy (Vermeidung negativer stimmungskongruenter Inhalte) => kompatibel mit Mood Mangement Approach Strategy (Zuwendung zu negativen stimmungskongruenten Inhalten, um Gefühle auszudrücken oder zum Zweck der kognitiven Verarbeitung oder „Abfuhr“ der Gefühle) => Widerspruch zum Mood Management Gewalt als stimmungsinkongruenter Inhalt (z.B. bei Langeweile) Zuwendung zur Bekämpfung von Langeweile durch Steigerung von Erregung / Erfahren von Angstlust => kompatibel mit Mood Management Zuwendung zu Bekämpfung von Langeweile durch Auseinandersetzung mit bedeutsamen Inhalten / für Erkenntniszwecke => als nicht-hedonistisches Motiv nicht kompatibel mit Mood Management => Mood Management kann Zuwendung zu violenten Inhalten nur zum Teil erklären. 66 Vandebosch / Poels 2021 hhu.de 3.8. Mood Management Mood Adjustment Theory Varianten der Stimmungsregulation Optimaler Stimmungszustand kann auch in bestimmten Situationen als unangemessen wahrgenommen werden (Prüfungen, Beerdigungen) Stattdessen wird Zustand angestrebt, der in der jeweiligen Situation funktional ist (z.B. Strategien zur Optimierung der Konzentration / Neutralisierung einer Stimmung) Theorie des sozialen Vergleichs Sozialer Vergleich mit Protagonisten in einer schlechteren Situation bewirkt hedonistische Gratifikationen Information Utility: Informationsbedürfnis als Motiv der Mediennutzung Motiv, etwas über sich selbst zu lernen oder etwas zu lernen, das eigene Situation bzw. Umgang damit verbessert bzw. Ursachen des negativen affektiven Zustands bekämpft Telic Hedonism: Akzeptanz kurzzeitiger negativer Stimmungen im Interesse langfristiger hedonistischer Gratifikationen Wirth / Schramm 2006, S. 71 67 Wirth / Schramm 2006; Reinecke 2017; Dillman Carpenter 2020 hhu.de 3.9. Affektive Dispositionstheorie 68 hhu.de 3.9. Affektive Dispositionstheorie Theorie, die versucht, den Rezeptionsgenuss auf Basis der Valenz und der Intensität der emotionalen Beziehung der RezipientInnen gegenüber Medienfiguren und dem Handlungsverlauf zu erklären. Die positive bzw. negative Einstellung zu den Medienfiguren basiert in erster Linie auf deren moralischer Beurteilung. Die moralisch begründeten Dispositionen bewirken antizipatorische Emotionen, d.h. Hoffnungen und Ängste in Bezug auf das Schicksal der Medienfiguren. Rezipienten empfinden Empathie mit moralisch guten, unschuldigen Protagonisten, für die sie sich einen guten Ausgang der Geschichte erhoffen. Rezipienten erhoffen sich Bestrafung und einen negativen Ausgang für moralisch schlechte Antagonisten. 69 Zillmann 2012; Raney 2000; Grizzard / Frencemone / Frazer 2024 hhu.de 3.9. Affektive Dispositionstheorie Rezeptionsvergnügen tritt ein, wenn der Ausgang der Handlung den affektiven Dispositionen entspricht, d.h. positiv beurteilte Figuren tatsächlich ein glückliches Schicksal und negativ beurteilte Figuren Bestrafung erfahren. Die Intensität des Vergnügens steigt mit der Intensität der Dispositionen gegenüber den Medienfiguren. Auch gewalttätige Inhalte, in denen die guten Helden leiden, bewirken Vergnügen, wenn am Ende die Gerechtigkeit siegt 70 Zillmann 2012; Raney 2000; Grizzard / Frencemone / Frazer 2024 hhu.de 3.9. Affektive Dispositionstheorie 71 Raney 2003, S. 72 hhu.de 3.9. Affektive Dispositionstheorie Phase 1-3: Entstehung von Dispositionen Phase 5-7: Beurteilung des Handlungsausgangs und Rückwirkung auf Dispositionen Phase 4: Verbindung der o.g. Phasen / emotionale Antizipation Während der Rezeption erfolgt eine kontinuierliche Überprüfung und eventuell Korrektur der Dispositionen, wenn das Handeln der Figuren dazu Anlass gibt (Feedback-Schleife a) Das erlittene Schicksal beeinflusst die Intensität der Dispositionen während des Handlungsverlaufs (Feedback-Schleife b) Die positive / negative Einstellung zu einer Medienfigur nimmt auch Einfluss auf die moralische Bewertung ihrer Handlungen (Feedback-Schleife c) 72 hhu.de 3.9. Affektive Dispositionstheorie Weiterentwicklungen 1. Bedeutung von Persönlichkeitseigenschaften: 1. Unterschiedliche moralische Maßstäbe / Salienz verschiedener Moralbereiche 2. Unterschiedliche Empathiefähigkeit ⇒ Bewirken unterschiedliche Dispositionen gegenüber Medienfiguren bei verschiedenen RezipientInnen und unterschiedlichen Rezeptionsgenuss 2. Bedeutung kognitiver Strukturen: Vorerfahrungen der Rezipienten (z.B. mit einem Genre) bewirken Erwartungen und Interpretationen der Handlung. Affektiven Prädispositionen können dem moralischen Urteil auf diese Weise auch vorausgehen, Voreinstellungen zu den Medienfiguren bewirken und dazu führen, dass das Handeln positiv bewerteter Protagonisten eher als moralisch akzeptabel eingeschätzt wird. 73 Raney 2000 hhu.de 3.9. Affektive Dispositionstheorie 3. Umgang mit „Anti-Helden“ / moralisch komplexen Medienfiguren Wenn das Narrativ externe Gründe für das moralisch eigentlich verwerfliche Handeln eines Helden enthält, werden keine internen Ursachen (z.B. schlechter Charakter) angenommen, die die positive Disposition beeinträchtigen könnten. Bedeutung von „Disengagement Cues“, die Rechtfertigung moralisch zweifelhaften Handelns und Aufrechterhalten positiver Dispositionen ermöglichen (z.B. Verständnis für Racheakte durch Erläuterung der Vorgeschichte) => „moralische Amnestie“. Disengagement = Kognitive Strategien zur Rechtfertigung eigentlich moralisch verurteilter Verhaltensweisen (=> Lerntheorie in späterer Sitzung) Erfahrene Zuschauer haben Schema solcher Formate mit Anti-Helden verinnerlicht. 74 Raney 2000 hhu.de 3.9. Affektive Dispositionstheorie 4. Einführung weiterer Faktoren für Entstehung von Vergnügen Argument, dass Rezeptionsvergnügen neben Dispositionen noch von anderen Faktoren abhängt (z.B. parasoziale Beziehungen, Interesse, Realismus, Präsenzgefühl, Identifikation) Untersuchungen zeigen Einfluss verschiedener Faktoren, unter denen (moralisch begründete) Einstellung zu Protagonisten sich allerdings als wichtigster Faktor herausgestellt hat. Befund, dass Abwesenheit des Opfers Disposition gegenüber unmoralischen Medienfiguren verbessert (Frazer / Moyer-Gusé / Grizzard 2022) 75 Raney 2000 hhu.de 3.10. Makro- und Meta-Emotionen 76 hhu.de 3.10. Makro- und Meta-Emotionen Alltags- vs. Rezeptions-Emotionen Alltagsemotionen: Häufig auf konkrete Situation mit direkten positiven / negativen Konsequenzen für die eigene Person bezogen Rezeptionsemotionen: Häufig empathische Emotionen, d.h. auf Perspektive von Medienfiguren bezogen und diverse mögliche Referenzrahmen: Medieninhalt, Rezeptionssituation, Werksästhetik, eigene Erinnerungen, Bezüge zur eigenen Situation, sozialer Kontext der Rezeption 77 Bartsch 2014 hhu.de 3.10. Makro- und Meta-Emotionen Emotions-Konzepte bei der Medienrezeption Gemischte Emotionen: Gleichzeitigkeit oder nahe Abfolge verschiedener Emotionen (z.B. Traurigkeit bei gleichzeitiger Freude über ästhetische Gestaltung oder Erwartung eines Happy Ends) => Abmilderung der negativen Valenz 78 Bartsch 2014 hhu.de 3.10. Makro- und Meta-Emotionen Makro-Emotionen Positive und negative Emotionen werden zu einem emotionalen Gesamteindruck integriert. Solange dieser positiv ist, stehen negative Emotionen dem angenehmen Unterhaltungserleben nicht entgegen. Souveränität und Kontrolle über die eigenen Emotionen sind dabei wichtig (z.B. Bewusstsein für Fiktionalität). 79 Bartsch 2014 hhu.de 3.10. Makro- und Meta-Emotionen Makro-Emotionen in der dynamisch-triadische Unterhaltungstheorie (Früh 2002) Transaktionsprozesse Kognitive Transaktion: Informationen werden einzeln auf einer Mikroebene „Szene für Szene“ aufgenommen und durch Selektierung, Strukturierung und Interpretation zu einer Makroebene verdichtet. Emotionale Transaktion: Entstehung einzelner „Mikroemotionen“. Entstehung von Makroemotionen als globale Empfindung, die weniger spezifisch ist als die empfundenen „Einzelemotionen“ auf der Mikroebene. 80 Früh 2002; Bartsch 2014; Bildandzic / Schramm / Matthes 2015 hhu.de 3.10. Makro- und Meta-Emotionen Voraussetzungen für Unterhaltung als Makroemotionen Kontrollprozesse, die Szenen auf Zweckdienlichkeit, Erwartungskonformität, situative Passung prüfen => Souveränität / Kontrolle Bewertungs- und Kommentierungsprozesse (z.B. künstlerisches Niveau, Selbst- bestätigung/-erfahrung) „Triadisches Fitting“ = Folgende Faktoren müssen zusammenpassen: Medien- bzw. Stimulusmerkmale (Inhalte, Genres, Gestaltung etc.) Persönlichkeitsmerkmale (Energiepotenzial, Stimmungen, Interessen, Bedürfnisse etc.) Merkmale der Situation und des gesellschaftlichen Hintergrundes (Umfeld der Rezeption, Beschäftigungsalternativen, Werte und Normen etc.) Ein positives Gefühl wird nur dann als Unterhaltung spezifiziert, wenn Unverbindlichkeit und Konsequenzlosigkeit gegeben sind. 81 Früh 2002; Bartsch 2014; Bildandzic / Schramm / Matthes 2015 hhu.de 3.10. Makro- und Meta-Emotionen 82 Entnommen aus: Bildandzic / Schramm / Matthes 2015, S. 176 hhu.de 3.10. Makro- und Meta-Emotionen „Unterhaltung ist ein positives kognitiv-emotionales Erleben auf der Metaebene, das seinen spezifischen Bedeutungsgehalt aus dynamischen Informations- und Emotionsverarbeitungsprozessen bezieht, die sich auf der Grundlage eines individuellen Energiebudgetmanagements auf der Mikroebene vollziehen. Durch ständige Kontrollprozesse werden zudem die unterhaltungsbezogene Zweck- dienlichkeit sowie die Kompatibilität relevanter Personen-, Medien- und Situations- faktoren überprüft und dabei sichergestellt, dass die Kriterien Unverbindlichkeit und Kontrollierbarkeit gegeben sind.“ (Früh, 2002, S. 227) 83 hhu.de 3.10. Makro- und Meta-Emotionen Meta-Emotionen Affektives Verständnis: Emotionen über Emotionen Emotionen sind mit weiteren, übergeordneten Emotionen verbunden (z.B. Ärger über Wut) Kognitives Verständnis: Wahrnehmung, Bewertung und Regulierung von Emotionen Neben Inhalt und Rezeptionssituation können RezipientInnen auch ihre eigenen Emotionen beim Medienkonsum bewerten (z.B. als neu, angenehm, zielführend, kontrollierbar, sozial akzeptabel) Negative Emotionen können positiv bewertet werden (z.B. Angst beim Schauen eines Horrorfilms, Genuss trauriger Filme => „Sad Film Paradoxon“) 84 Dohle 2011, S. 124-128; Bartsch 2014 hhu.de 3.10. Makro- und Meta-Emotionen „Unterhaltung entsteht als angenehm erlebte Metaemotion als Folge von Bewertungs- prozessen auf einer übergeordneten Ebene (Metaappraisals), indem die während der Rezeption empfundenen Emotionen – und das können auch negative Emotionen wie Trauer oder Angst sein – als angenehm, erwartbar, typisch oder kontrollierbar bewertet werden.“ (Bilandzic / Schramm / Matthes 2015, S. 175) 85 hhu.de 3.10. Makro- und Meta-Emotionen Das Emotions-Metaemotions-Regulations-Modell (EMR) 86 Wirth / Schramm 2007, S. 175 hhu.de 3.10. Makro- und Meta-Emotionen Appraisal-Theorien sehen nicht eine objektive Situation, sondern deren subjektive Bewertung / Verarbeitung als Basis für die Entstehung von Emotionen Situationale Referenz = Aspekte einer Situation, die die Basis für den Appraisal- Prozess bilden (Bewertungsgrundlage) Medieninhalt (Identifikation / Empathie mit den Protagonisten) Rezeptionssituation (z.B. bequem / unbequem) Formale Gestaltung des Medienangebots (z.B. Musik, Spezialeffekte, Ästhetik) Ich-Bezug / Sinnstiftung des Medieninhalts für RezipientInnen Multiple Appraisal-Prozesse führen zu einer Emotion, die wiederum Gegenstand der Bewertung wird („Wie geht es mir mit dieser Emotion?“) => Meta-Appraisal Kontrollierbarkeit der Emotionen Klarheit / Verstehen der eigenen Emotionen Akzeptanz der eigenen Emotionen Typ-Entsprechung (ist die Emotion typisch für eine Person?) Stabilität (Erwartung einer Stimmungsaufbesserung) 87 Wirth / Schramm 2007; Bildandzic / Schramm / Matthes 2015; Dohle 2011, S. 151-163 hhu.de 3.10. Makro- und Meta-Emotionen Meta-Emotionen = Emotionale Folgen des Metaappraisal-Prozesses (als kognitivem Bewertungsprozess) Bei negativen Primär-Emotionen kann sich ein angenehmes Unterhaltungsgefühl nur einstellen, wenn eine Änderung der Valenz durch Meta-Appraisals stattfindet. Auch Meta-Emotionen können negativ sein. Eine Regulation negativer Meta- Emotionen kann durch einen Wechsel der situationalen Referenz (z.B. durch Aufmerksamkeit für die Machart eines Films statt für deren Inhalt) erfolgen. Das Modell beschreibt Vorgänge während des Rezeptionsprozesses und kann erklären, weshalb Medieninhalte mit aversivem Charakter weiter rezipiert werden. 88 Wirth / Schramm 2007; Bildandzic / Schramm / Matthes 2015; Dohle 2011, S. 151-163 hhu.de 3.10. Makro- und Meta-Emotionen Modelle von Anne Bartsch (u.a.) Eher gratifikationstheoretisch ausgerichtet => Erklärung der Zuwendung zu Medieninhalten Bewertung von Reizen führt zu Emotionen Bewertung d. Emotionen im Hinblick auf Gratifikationspotenzial (=> Meta-Emotionen) auf 3 Ebenen: Stimulus Gratification: Sind Emotionen, die Medieninhalt auslöst, angenehm? Intentional Gratification: Dienen die Emotionen den angestrebten Zielen (z.B. Entspannung)? Können sie kontrolliert / bewältigt werden? Symbolic Gratification: Einordnung in kulturell geprägten Bedeutungskontext => Sind Emotionen moralisch angemessen, dienen sie dem eigenen Selbstwertgefühl usw. Meta-Emotionen als Entscheidungsgrundlage für Fortsetzung / Abbruch der Rezeption sowie erneute Zuwendung zu entsprechenden Inhalten (trotz ggf. negativer Primär-Emotionen) Appraisal-Prozess erfolgen im Hinblick auf Bedürfnisse / Anliegen, die wiederum geprägt sind von individuellen Dispositionen und Situationsfaktoren, => Erklärung, weshalb verschiedene Nutzer unterschiedliche Inhalte schätzen bzw. dieselben Nutzer bestimmte Inhalte nicht immer mögen. Rückkopplungsprozess: Regulation der zu den primären Emotionen führenden Prozesse bei negativen Meta-Emotionen (z.B. durch Selektion, veränderten Fokus der Bewertung, Selbstregulierung usw.) 89 Bartsch u.a. 2006; 2008; Dohle 2011, S. 142-151 hhu.de 3.10. Makro- und Meta-Emotionen Bartsch u.a. 2006, S. 274 Bartsch u.a. 2008, S. 21 Zur Erläuterung siehe vorige Folie Die 3 Schritte (Appraisal, Affect, Action Tendency) entsprechen im Wesentlichen dem grün umrahmten Bestandteil des linken Modells. 90 hhu.de 3.10. Makro- und Meta-Emotionen Fazit zu Makro- und Meta-Emotionen Konzepte erklären, wie durch Integration von Einzel-Emotionen bzw. Bewertungs- prozesse von Emotionen auch Medieninhalte, die negative Emotionen bewirken (z.B. Gewalt), mit einem positiven Unterhaltungserleben verbunden sein können. Zusammenhänge zw. kognitiven u. affektiven Prozessen beim Erleben von Emotionen Kognitionen => Emotionen: Dispositionstheorie, Excitation Transfer, Meta-Emotionen Emotionen => Kognitionen: Orientierungsreaktion (Aufmerksamkeitslenkung), emotionales Framing Beeinträchtigung kritischer Distanz, aber auch Intensivierung kognitiver Verarbeitung / Anregung von Reflexionsprozessen (Appreciation als kognitiv anregender, sinnstiftender Aspekt des Emotionserlebens; Oliver / Bartsch 2013). Appreciation / „Meaning-Making“ auch als nicht-hedonistisches Bedürfnis bei der Medienrezeption und Erklärung für „Tragedy Paradoxon“ / „Sad Film Paradoxon“ 91 Bartsch u.a. 2006; 2008 hhu.de 3.11. Self Determination Theory 92 hhu.de 3.11. Self Determination Theory Psychologische Motivationstheorie, entwickelt von Edward Deci und Richard Ryan Annahme, dass Individuen nach persönlicher Entwicklung und Entfaltung ihrer Potenziale streben. 2 Arten von Motivationen, die Reaktionen in verschiedenen Bereichen beeinflussen: Extrinsisch: Verhalten, das zum Erreichen / Vermeiden eines bestimmten Zustandes / Ziels ausgeführt wird (z.B. Geld, Ruhm) Intrinsisch: Verhalten, das um seiner selbst willen ausgeführt wird (z.B. Interesse, Vergnügen, Zufriedenheit) 3 universelle Grundbedürfnisse, für deren Erfüllung Individuum von Umweltbedingungen abhängig ist und von denen Wohlergehen abhängt: Bedürfnis nach Kompetenz: Bewältigung fordernder Aufgaben, Erzielen von Effekten Bedürfnis nach Autonomie: Freiwillige, selbstbestimmte Ausführung einer Tätigkeit Bedürfnis nach Verbundenheit: Integration in bedeutsame soziale Beziehungen 93 Ryan / Deci 2000; Legault 2017 hhu.de 3.11. Self Determination Theory ⇒ Optimale Funktionen, dauerhaftes, engagiertes Verhalten ⇒ Hedonistisches und eudaimonisches Wohlergehen Legault 2017, S. 7. Przybylski, Ryan und Rigby (2009) stellten fest, dass Autonomie und Kompetenzgefühl sich auf Spielpräferenzen / Spielvergnügen auswirken. Die Violenz des Inhalts leistet keinen zusätzlichen Erklärungsbeitrag. 94 hhu.de 3.12. Eudaimonische Motive 95 hhu.de 3.12. Eudaimonische Motive Theorien des Wohlbefindens Hedonistische Perspektive Subjektives Wohlbefinden / Optimierung des affektiven Zustands Maximierung von positivem und Minimierung von negativem Affekt / Vergnügen Eher kurzfristiger Natur Ergebnis einer Handlung oder Erfahrung Eudaimonische Perspektive Psychologisches / ganzzeitliches Wohlbefinden Gefühle der Herausforderung und Anstrengung, Autonomie und Kompetenz Suche nach Bedeutsamkeit, Sinn, persönlichem Wachstum, Selbstakzeptanz, bedeutsamen sozialen Beziehungen usw. Eher langfristiger Natur Prozessorientiert / Way of Life 96 Raney (u.a.) 2021, Kapitel 4 + 5; Wirth / Hofer / Schramm 2012, S. 178-180; Bilandzic / Schramm / Matthes 2015, S. 178-180 hhu.de 3.12. Eudaimonische Motive Hedone = Tochter von Eros und Psyche, Göttin des sinnlichen Vergnügens hêdonê (gr.) = Vergnügen Nikomachische Ethik von Aristoteles: Eudiamonia = Zum Ausdruck bringen der eigenen Tugenden als Quelle wahren Glücks ⇒ Leben nach dem eigenen „daimon“ = das echte Selbst (d.h. individuelle Potenziale und deren Realisierung) ⇒ Eudaimonisches Wohlbefinden = Selbstbestimmtes Leben in Übereinstimmung mit eigenen Werten und eigener Persönlichkeit 97 Wirth / Hofer / Schramm 2012, S. 408f.; Raney (u.a.) 2021, S. 37-42, S. 56 hhu.de 3.12. Eudaimonische Motive Gratifikationen der Mediennutzung Hedonistische Eudaimonische Gratifikationen Gratifikationen (z.B. Vergnügen, (z.B. Bedeutsamkeit, Nervenkitzel, Spannung) Reflexion, Erkenntnis) Enjoyment Appreciation 98 hhu.de 3.12. Eudaimonische Motive Hedonistische Motive der Mediennutzung: Suche nach Spaß und Freude durch Inhalte mit pos. Valenz und angenehmer Erregung Gratifikation = Enjoyment (Vergnügen) Eudaimonische Motive der Mediennutzung: Dimensionen Tiefe Reflexion des Medieninhalts Aktivierung zentraler Werte des Rezipienten Erleben von Kompetenz und pers. Wachstum (Auseinandersetzung mit herausfordernden Inhalten) Emotionale Verbundenheit / Empathie (v.a. mit Medienfiguren) Reflexion über das eigene Leben Selbstakzeptanz, Erkennen des Wertes des eigenen Lebens (v.a. bei Thematisierung schwerer Schicksale) Erkennen und Wertschätzen selbstbestimmter, autonomer Lebensführung 99 Bilandzic / Schramm / Matthes 2015, S. 179; Possler 2021, S. 54; Raney (u.a.) 2021, S. 72-78 hhu.de 3.12. Eudaimonische Motive Eudaimonische Motive der Mediennutzung - Fortsetzung: Kognitive Komponente: Nachdenken über Bedeutung von Medieninhalten, Bezüge zum eigenen Leben und Erkenntnisse zu Tugendenden und Werten, Einsichten, Wahrheit, Sinn usw. Kognitive Herausforderung durch komplexe Inhalte Bezogen auf Gewalt: Suche nach Sinn v. Gewalt im realen Leben, Wiederherstellung des Glaubens an eine gerechte Welt (z.B. durch immaterielle Kompensation von Opfern wie Einsicht, persönl. Entwicklung), Anwendung d. Einsichten d. Medienfiguren auf neg. Erfahrungen im eigenen Leben … => Meaning Making Affektive Komponente: Gefühlsbewegung, Erleben von Empathie, Mitgefühl, “Elevation” Gratifikation = Appreciation („… experiential state that is characterized by the perception of deeper meaning, the feeling of being moved, and the motivation to elaborate on thoughts and feelings inspired by the experience.“) (Oliver / Bartsch 2010, S. 76) 100 Bartsch / Mares 2014, S. 960; Bilandzic / Schramm / Matthes 2015, S. 179; Possler 2021, S. 47-77; Raney (u.a.) 2021, S. 72-78 hhu.de 3.12. Eudaimonische Motive Fragestellungen zu eudaimonischen Motiven Welche inhaltlichen und personenbezogenen Faktoren motivieren zur Reflexion von Medieninhalten? Was ist der Inhalt dieser Gedanken? Welche Einfluss hat eine eudaimonisch motivierte Rezeption auf Einstellungen und Verhalten? (z.B. Wecken von Interesse, weitere Informationssuche, Änderung des Umgangs mit Minderheiten, Schutz vor Effekten von Mediengewalt durch Empathie, Reflexion violenter Impulse)? Untersuchung steht noch am Anfang 101 Bartsch u.a. 2020 hhu.de 3.12. Eudaimonische Motive Studie von Bartsch / Mares 2014 Überprüfung der Annahme, dass die Ablehnung violenter Inhalte von deren eudaimonischen Potenzial abhängt. Stimulusmaterial: Trailer für Filme aus den Genres Action, Horror, Drama, die in Brutalität und Bedeutsamkeit variieren, im Hinblick auf Spannung aber konstant gehalten werden (4 Kombinationen) Vpn: 482 Personen aus den USA und D, die in Geschlecht, Alter und Bildung variieren Abfrage der Erwartungen in Bezug auf Blutrünstigkeit und Bedeutsamkeit, Spannung und Angsterregung sowie Interesse an Rezeption des gesamten Films Ergebnisse: Erwartete Brutalität verringert Sehpräferenz Erwartung von Bedeutsamkeit erhöht Sehpräferenz Bei hohem Grad an Bedeutsamkeit verliert abschreckender Effekt von Brutalität seine Relevanz. => Eudaimonische Motive spielen bei der Auswahl violenter Inhalte eine Rolle 102 hhu.de 3.12. Eudaimonische Motive Studie von Bartsch (u.a.) 2016 Anliegen: Untersuchung der Gedanken von RezipientInnen bei der Reflexion von Mediengewalt Qualitative Interviews mit 39 Menschen, die beruflich mit Gewalt in Kontakt kommen (Militär, Strafverfolgung), Medienprofis (Filmemacher, Personen, die Alterseinstufungen für Medien vergeben), normale Bevölkerung Themen der Reflexion über Mediengewalt: 1. Wahrheitsgehalt (Fakten, Verstehen violenter Ereignisse) 2. Lebensweltliche Relevanz (Reflexion eigener und fremder Gewalterfahrungen, Auseinander- setzung mit eigenen Gewaltimpulsen, Strategien für den Umgang mit Gewalt im realen Leben) 3. Psychologische und moralische Auswirkungen (Verstehen des Leidens der Opfer und der Motive der Täter, generelle Rolle von Gewalt in der menschlichen Natur und der Gesellschaft) 4. Präferenz für realistische Gewaltdarstellungen, während sich übertriebene, verherrlichende, verharmlosende Gewaltdarstellungen nicht für eudaimonische Reflexion zu eignen scheinen. 103 hhu.de 3.12. Eudaimonische Motive Studie von Bartsch u.a. 2020 Entwicklung einer Skala zur Erfassung der Gedanken über Mediengewalt bei der Rezeption auf Basis früherer qualitativer Interviews zur Reflexion über Mediengewalt ProbandInnen stammen aus USA und D (N = 843), sind in Bezug auf Geschlecht, Alter und Bildung heterogen und sollen entweder an ein Beispiel für fiktionale Gewalt, für reale Gewalt oder den letzten von ihnen gesehenen Gewaltinhalt denken Zustimmung zu 63 Items wird gemessen, zudem kognitive und emotionale Komponenten von Appreciation und wahrgenommener Realismus Durch Faktorenanalyse wird folgende Skala extrahiert (=> nächste Folie) 104 hhu.de 3.12. Eudaimonische Motive Human cruelty and suffering from violence Ich war geschockt über die Kaltblütigkeit der Gewalt. Es hat mich wütend gemacht, Gewalt gegenüber unschuldigen Opfern zu sehen. Ich fragte mich, was mit einer Person passiert sein muss, dass sie solche Grausamkeit entwickelt Ich dachte über die Grausamkeiten nach, die sich Menschen gegenseitig antun können. Own and close others’ experiences with violence Die Situation, in der sich die Person befunden hat, erinnerte mich an mein eigenes Leben. Ich musste über meine eigenen Erfahrungen mit Gewalt nachdenken. Ich hatte das Gefühl. die Gewalt besser zu verstehen, die Freunde oder Familienmitglieder erlebt haben. Die Zufriedenheit, die ich fühlte, als das Böse bestraft wurde, ließ mich über meine eigenen Gewaltimpulse nachdenken. 105 Bartsch u.a. 2020 hhu.de 3.12. Eudaimonische Motive 3 Moral complexity of violence Ich war von dem Kampfgeist und dem Durchhaltevermögen der Person beeindruckt. Ich dachte über die moralischen Konflikte und schweren Entscheidungen nach, mit denen die Person konfrontiert war. Ich musste einfach mit der Person mitfiebern, trotz all Ihrer schlimmen Taten. Ich dachte über die Moral der Geschichte nach. 4 The true story behind violent media content Ich dachte. dass die Gewalt in der Geschichte Menschen aufrütteln soll, das Problem ernst zu nehmen. Ich habe an die wahre Geschichte dahinter gedacht. Ich dachte, dass es wichtig ist, die ganze Wahrheit über die Gewalt zu zeigen und nichts herunterzuspielen. Ich dachte über die historischen oder aktuellen Ereignisse der Handlung nach. 106 Bartsch u.a. 2020 hhu.de 3.12. Eudaimonische Motive 5 Strategies learned for dealing with violence in real life Ich sah es als eine Gelegenheit, zu lernen, wie ich in solch einer Situation reagieren könnte. Ich fühle mich dadurch besser in der Lage, einen klaren Kopf zu bewahren, wenn ich im echten Leben so eine Situation erleben würde. Ich habe Strategien gelernt, um mit dieser Art von Gewalt umzugehen. Ich sah es als Lektion, wie man in gewalthaltigen Konflikten eine Führungsrolle ausfüllen kann. 107 Bartsch u.a. 2020 hhu.de 3.13. Sozialisation, Identitäts-Entwicklung, Gruppenzugehörigkeit 108 hhu.de 3.13. Soziale und identitätsbezogene Motive Sozialisation und Medien Fokus auf der Betrachtung des Jugendalters Sozialisation als Prozess der Persönlichkeitsentwicklung Produktive Auseinandersetzung mit Innerer Realität (körperliche und psychische Merkmale) Äußerer Realität (sozialer und physikalischer Umwelt, inkl. Medien) Zentrale Entwicklungsaufgabe: Herausbildung einer eigenen personalen und sozialen Identität Arten der Mediennutzung (nach Barthelmes / Sander 2001, S. 138) Flanierend („Abgrasen“ von Inhalten, mit „Hängebleiben“ an Interessantem => Bekanntes und Unbekanntes) Fokussiert (Konzentration auf Themen, die Alltagsleben prägen, z.B. Entwicklungsstadien, soziale Konstellationen, kritische Lebensereignisse) 109 Mikos 1995; Fischer 2017 hhu.de 3.13. Soziale und identitätsbezogene Motive Medien als Teil der Jugendkultur ⇒ Medien als Identitäts- und Kompetenzmärkte ⇒ Herausbildung einer Genrekompetenz ⇒ Gestufte Formen des Wissen: Novize, Tourist, Freak ⇒ Einsatz als Konfrontations- und Abgrenzungsstrategie gegenüber Erwachsenen 110 Mikos 1995; Vogelgesang 2002; Fischer 2017 hhu.de 3.13. Soziale und identitätsbezogene Motive Kontexte, Strukturen und Prozesse der der Mediengewaltrezeption Das symbolische Sinnangebot der Medien- gewalt steht immer in alltäglichen, sozialen, individuellen, kulturellen, biografischen wie auch aktuellen Deutungszusammenhängen und erhält erst vor diesem Hintergrund seine Bedeutung für den/die Rezipient/in (Fischer 2017, S. 15) 111 Fischer 2020, S. 914 hhu.de 3.13. Soziale und identitätsbezogene Motive Mediengewalt als Medieninhalt (Violente) Medieninhalte als „Wahrnehmungs-, Deutungs- und Bewertungsangebote“ (Fischer 2020) sowie „Plattform für Verhandlung normativer Grundüberzeugungen (…) und sozialer Differenzierung“ (Marci-Boehncke / Rath 2010 nach Mikos) Attraktivität von Action / Horror durch Vertrautheit (intertextuelle Bezüge, beliebte Figuren (v.a. Serien), bekannte Genre-Konventionen) Spannungs-Erzeugung durch formale Struktur (z.B. Action) => Besondere emotionale Erlebnisqualität Narrative Inhalte mit Bezug zur eigenen Erfahrungswelt / zu eigenen Entwicklungs- themen (Macht und Ohnmacht, Bedrohung, Legitimität anti-sozialer Handlungen, Tabu- Bruch) 112 Mikos 1995; Fischer 2017; 2020; Jansz 2005; Kunczik / Zipfel 2010, S. 138f. hhu.de 3.13. Soziale und identitätsbezogene Motive Subjekt Rezipierende mit individuellen Erfahrungen, Bedürfnissen, Entwicklungsthemen und Kompetenzen Medien(gewalt) bieten / bietet Möglichzeit zu: Experimentieren mit erweitertem Gefühlsspektrum (Mood Management, Excitation Transfer, Angstlust) Bearbeitung von Alltags-, Entwicklungs- und Identitätsthemen durch Auseinandersetzung mit Situationen und Rollenmodellen (=> z.B. Bewältigung von Ohnmachtsgefühlen, Allmachts- Phantasien, Erlangen von Autonomie, Umgang mit Konflikten) Sanktionsfreie Erprobung von Identitäten, Handlungsmustern und Tabu-Brüchen in der Fantasie Möglichkeit der eigenen moralischen Positionsbestimmung 113 Mikos 1995; Fischer 2017; 2020; Jansz 2005; Kunczik / Zipfel 2010, S. 138f. hhu.de 3.13. Soziale und identitätsbezogene Motive Sozialer Kontext Anschlusskommunikation Rezeption von Mediengewalt, „um mitreden zu können“ Aushandeln der Bedeutung von Medienbotschaften in der interpersonalen Kommunikation mit dem sozialen Umfeld Rezeptionssituation Gruppenerlebnis, Gemeinschafts- und Zugehörigkeitsgefühl Mutprobe bzw. größerer Genuss von Angstlust in der Sicherheit vermittelnden Gruppe Bestimmung der eigenen gesellschaftlichen Rolle / der Position in sozialer Gruppe / Bühne zur Inszenierung der eigenen Persönlichkeit Initiationsritus / Ritual zur Ablösung von der Kindheit Violente Medien als „Provokations- und Distinktionsmedien“ (Vogelgesang 2002) => Mittel der Abgrenzung / Loslösung von der Erwachsenenwelt / Eltern (Tabubruch / asymmetrischer Wahrnehmungsstil) 114 Mikos 1995; Fischer 2017; 2020; Jansz 2005; Kunczik / Zipfel 2010, S. 138f.; zu Gewalt im Internet auch Grimm / Rhein / Clausen-Muradian 2008, 218-224. hhu.de 3.13. Soziale und identitätsbezogene Motive Geschlechtsrollensozialisation Internalisierung gesellschaftlicher Erwartungen an geschlechtsspezifische Verhaltensmuster Zillmann / Weaver (1996) sehen in Konsum von Horrofilmen ein Möglichkeit, geschlechtsrollenadäquates Verhalten unter Beweis zu stellen, was sie für Heranwachsende attraktiv mache. Jungen zeigen keine Angst / fungieren als Beschützer Mädchen dürfen ihre Emotionen ausdrücken (Angst / Hilflosigkeit) Ältere empirische Befunde, denen zufolge männliche Probanden einen Horrorfilm mehr genossen, wenn eine weibliche Begleiterin Angst zeigte (vs. Angstbeherrschung oder neutrale Emotionen), wohingegen bei dieser ein männlicher Begleiter, der Angstbeherrschung zeigte, den Filmgenuss erhöhte. 115 Sparks / Sparks 2000, S. 84f. hhu.de 4. Mediennutzung und Medienwirkung 116 hhu.de Welche Effekte von Nutzungsmotiven auf Wirkungen wären denkbar? Bei welchen Nutzungsmotiven wären am ehesten problematische Wirkungen anzunehmen, welche Nutzungsmotive erscheinen eher unproblematisch? 117 Zu einigen wenigen ersten Befunden vgl. z.B. Haridakis 2006 hhu.de 5. Wichtige Punkte 118 hhu.de 5. Wichtige Punkte Relevanz von Gründen der Attraktivität von Mediengewalt für Wirkungsfragen Wechselwirkungs- und Moderationsprozesse Uses-and-Gratifications-Ansatz als rezipientenzentrierter Ansatz, der Mediennutzung mit dem Ziel der Befriedigung (hedonistischer) Bedürfnisse erklärt. Empirische Befunde, die zeigen, dass sich Menschen Mediengewalt zwar bevorzugt zuwenden, dabei aber nicht notwendigerweise Vergnügen empfinden. Inhärente Attraktivität von Mediengewalt? Mediengewalt als Hinweis auf Medieninhalte, die Vergnügen bereiten (durch Gewalt verstärkt oder nur mit Gewalt einhergehend) Nicht-hedonistische Motive der Mediennutzung Die Zuwendung zu Mediengewalt (auch ohne Rezeptionsgenuss) lässt sich z.B. mit evolutionstheoretischen Ansätzen oder auch dem Konzept morbider Neugier erklären. 119 hhu.de 5. Wichtige Punkte Vergnügen bei der Rezeption violenter Inhalte erklärbar durch Erregungs- / emotionsbezogene Motive / Ansätze Funktionslust Reiz des Verbotenen / Sensation Seeking / Angstlust Excitation Transfer Mood Management Inhaltsbezogene Motive / Ansätze Ästhetisches Vergnügen Affektive Dispositionstheorie Soziale / identitätsbezogene Motive / Ansätze Integration und Distinktion Ausleben (auch negativer) Rollenmuster 120 hhu.de 5. Wichtige Punkte Ansätze, die erklären, wie auch bei aversiven / nicht hedonistischen Reizen durch Transformations- bzw. Bewertungsprozesse Rezeptionsvergnügen entstehen kann Makro-Emotionen Meta-Emotionen Bedeutsamkeit der Unterscheidung hedonistischer und nicht-hedonistischer / eudaimonischer Motive Ansätze, die nicht-hedonistische Motive / Gratifikationen der Nutzung von (violenten) Medieninhalten betrachten Self-Determination Theory => Menschliche Grundbedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz, Verbundenheit Eudaimonische Motive => Gratifikation der Appreciation Motive der Identitätsfindung und der Gruppenzugehörigkeit 121 hhu.de Literatur Allen, Johnie J. / Ash, Sabrina M. / Anderson, Craig A. (2022). Who finds media violence funny? Testing the effects of media violence exposure and dark personality traits. Psychology of Popular Media 11, S. 35-46. Allen, Vernon L. / Greenberger, David B. (1978): An aesthetic theory of vandalism. In: Crime and Delinquency 24, S. 309-321. Allen, Vernon L. / Greenberger, David B. (1979): Enjoyment of destruction: The role of uncertainty. 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