Einführung in die Psychologie - Lektion 3 PDF

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psychology introductory psychology history of psychology philosophy of mind

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This document provides an introduction to psychology, focusing on core concepts and their historical context. It explores fundamental ideas such as the nature of the mind, the history of psychological thought, the body-mind problem, and the ongoing debate on nature versus nurture.

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LEKTION 3 GRUNDKONZEPTE DER PSYCHOLOGIE LERNZIELE Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie wissen, … – wie Sie den Zusammenhang zwischen der Geschichte der Psychologie und den Grund- konzepten der Psychologie herstellen können. – wie die Entwicklung der psychologischen Grundkonzepte zu...

LEKTION 3 GRUNDKONZEPTE DER PSYCHOLOGIE LERNZIELE Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie wissen, … – wie Sie den Zusammenhang zwischen der Geschichte der Psychologie und den Grund- konzepten der Psychologie herstellen können. – wie die Entwicklung der psychologischen Grundkonzepte zu beschreiben ist, und Sie werden deren Veränderungsprozess über die Zeit verstehen. – wie die fünf grundlegenden Konzepte der Psychologie untereinander in Verbindungen stehen. – welche Bedeutung die fünf Grundkonzepte der Psychologie für die Arbeit der Psycholo- gen heute haben. 3. GRUNDKONZEPTE DER PSYCHOLOGIE Einführung Die Problemgeschichte der Wissenschaftstheorie betrachtet verschiedene Konzepte und deren Entwicklungs- und Veränderungsprozess über die Zeit. Es handelt sich dabei um ein inhaltsorientiertes Vorgehen (im Gegensatz zum personenbezogenen oder ideenge- schichtlichen Ansatz). Die Geschichte der Psychologie wird überwiegend aus der Perspektive der Ideenge- schichte behandelt, um die Entwicklung der Psychologie als eigenständige Wissenschaft zu erläutern. Einige Konzepte, die über die Zeit eine immer wiederkehrende Bedeutung einnehmen, sind allerdings sinnvoll aus der Perspektive der Problemgeschichte zu betrachten. In der Psychologie sind fünf relevante Probleme zu fokussieren, die mit den anderen Herangehensweisen der Wissenschaftsgeschichte kombiniert werden können. Die wich- tigsten Probleme sind neben dem Begriff der Seele das Bewusstsein, Erleben und Verhal- ten, das Leib-Seele-Problem sowie die Anlage-Umwelt-Debatte (vgl. Schmithüsen/Anton 2015, S. 6ff.). Bei der Betrachtung dieser wichtigen Grundkonzepte ist eine chronologische Vorgehensweise möglich; berühmte Persönlichkeiten, die mit den jeweiligen Ideen ver- bunden sind, gehören genauso zum Gesamtbild wie der gesellschaftliche und politische Hintergrund jener Zeit. Der Fortschritt der Problemgeschichte folgt dem linearen Fortschrittsmodell. Dem schein- bar Zusammenhanglosem wird eine Ordnung gegeben. Es entsteht ein Zusammenhang in Form einer Verbindung zwischen der Forschungsvergangenheit und der Forschungsgegen- wart. Wichtige Entwicklungen und Ergebnisse werden aufgezeigt und auch Kennzeichen von Fehlentwicklungen. Das lineare Fortschrittsmodell leistet damit einen Betrag zur beruflichen Identität. Das Modell lässt sich in Form des Konzeptes schöpferischer Persön- Entfaltungskonzept lichkeiten oder des Zeitgeistes- und Entfaltungskonzeptes darstellen. (engl. deconvulation) Theorien entfalten sich aus Überlegungen, Befun- den und Fehlern des Vor- gängermodells. 3.1 Seele und Seelenleben In der Antike gab es keine einheitliche Vorstellung von Seele. Demnach sind die Beschrei- bungen sehr unterschiedlich. Einige Aspekte sind jedoch in fast allen Darstellungen zu fin- Platon den. Sie bestimmen die Gemeinsamkeiten der Seele in der Antike. Für Platon setzte sich (428 v. Ch.–347 v. Ch.) die Seele aus drei Teilen zusammen. Er verortete den Verstand im Gehirn, die Willenskraft griech. Philosoph und Schüler von Sokrates; und Gefühle in der Brust und die Begierde, die für Ernährung, Fortpflanzung und Wachs- gründete die erste große tum zuständig ist, in der Leber. Schon die Antike versuchte also, der Seele einen Platz im Philosophenschule; gilt menschlichen Körper zu geben. Für Aristoteles war die Seele das Kühlsystem des Gehirns. als zweitgrößter Philo- soph der Antike und als Es sollte die Aufgabe haben, die Temperatur des Blutes zu senken (vgl. Oeser 2010). einer der größten Philoso- phen aller Zeiten 46 Im Mittelalter wurde durch Vermittlung arabischer Philosophen die aristotelische Seelen- lehre in die christliche Theologie und Philosophie überführt. Die katholische Kirche ver- tritt bis heute das Dogma forma corporis und anima intellectiva (Form des Körpers und Dogma Geistseele). Die Geistseele kommt in der christlichen Version nun aber nicht mehr von Unter einem Dogma ver- steht man eine Aussage, außen herein, sondern wird von Gott erschaffen. Die Lehre von der Seele als Form des Kör- die Wahrheitsanspruch pers wurde im Konzil von Vienne 1311–1312 festgelegt (vgl. Mensching/Mensching-Estakhr erhebt. 2018). Für den Gründervater der Psychologie, Wilhelm Wundt, war die Seele „ein kontinuierlich fließender Prozess“ (vgl. Wundt 1911). William James (1890) verfolgte das „self“ und „consciousness“ als Ersatz für den Seelenbegriff (vgl. Coon 2000). Es entstand die Prozess- konzeption der Seele. Aber schon Kant erläuterte, dass es eine Wissenschaft der Psycholo- gie auf dem Boden des Seelenbegriffes nicht geben könne. Jede Wissenschaft benötigt seiner Meinung nach „einen reinen Teil, der dem empirischen zum Grunde liegt, und der auf Erkenntnis der Naturdinge a priori beruht“ (Schmidt 1995, S. 14). Eine empirische See- lenlehre ist aber deswegen nicht denkbar, weil man in Bezug auf den Begriff der Seele keine Mathematik anwenden kann, denn die Mathematik beruht auf einer räumlichen und zeitlichen Anschauungsform. So bekam der Ausdruck „Metaphysik“ den Ruf, unwissen- Metaphysik schaftlich zu sein. An dieser Stelle grenzte sich die Psychologie von der Philosophie ab und Philosophische Disziplin, die sich mit dem beschäf- überließ ihr den metaphysischen Seelenbegriff (Schmidt 1995, S. 16). In dieser Trennung tigt, was empirisch nicht liegen die Wurzeln der Psychologie als Psychologie ohne Seele (vgl. Pongratz 1984). erfahrbar ist. Abbildung 6: Das Lebensdreieck Quelle: Graf 1993. Fechner nimmt in diesem Zusammenhang eine Außenseiterrolle ein. Er wollte mit der Psychophysik zeigen, dass Leib und Seele zwei Seiten einer Medaille seien, die ihren empirischen Ansatz in einer gemeinsamen Maßeinheit finden (vgl. Heidelberger 1988). Er lieferte aber das methodische Rüstzeug, das von Wundt und Helmholtz verfeinert wurde und nach dem Vorbild der Physiologie zum Beginn der experimentellen Psychologie 47 Psychophysik führte. Die Psychologie ist, wörtlich genommen, die Wissenschaft von der Seele (vgl. Mack Die Psychophysik ist eines 2007, S. 1). Dies impliziert, dass es sich hierbei um ihren Gegenstandsbereich handeln der ältesten Forschungs- gebiete der Psychologie. muss. Aber so, wie sich Soziologen selten mit der Gesellschaft und Philosophen sich selten Sie beschäftigt sich mit mit Weisheiten beschäftigen, so thematisieren Psychologen selten die Seele. Diese Worte den Zusammenhängen bezeichnen Kollektivbegriffe, die verschiedene Inhalte, Phänomene und Objekte zusam- zwischen der Vorhersage von Empfindungen und menfassen (vgl. Mack/Röttgers 2007). Betrachtet man das wissenschaftliche Selbstver- physikalischen Reizen. ständnis der Psychologie in ihrem Publikationsverhalten, fachpolitischen Diskussionen Kollektiv oder Kongressen, so kommt das Wort „Seele“ darin heute nicht mehr vor. Hat man sich Der Ausdruck kollektiv bedeutet „gemeinschaft- doch allgemein auf die kurze Arbeitsdefinition geeinigt, dass die Psychologie die Wissen- lich“ oder auch „mit vie- schaft vom Erleben und Verhalten des Menschen sei (Zimbardo/Gerrig 2018, S. 2f.). len Personen zusammen“. 3.2 Bewusstsein Der Nachfolgebegriff der „Seele“ wurde in Deutschland das „Bewusstsein“. „Eine verbind- liche Definition von Bewusstsein, wie auch Aufmerksamkeit, gibt es nicht“ (Schulz 1978, S. 831). Das ist vielen psychologischen Begriffen gemeinsam, die nicht klar fassbare und/ oder abgrenzbare Phänomene beschreiben und vielmehr als Hilfskonstruktionen oder Werkzeug betrachtet werden, um bestimmte Probleme kommunikationsfähig zu machen. Bewusstsein ist mit Wachheit gleichzusetzen, d. h., ein Organismus hat dann Bewusstsein, wenn er sinnesphysiologische Reize wahrnehmen und unterscheiden kann (vgl. Lindsley 1960). Auch der Begriff des Bewusstseins findet seinen Ursprung in der Philosophie. Seine Anfänge liegen bei René Descartes, der Denken (cogitatio) und Bewusstsein (conscientia) gleichsetzte. Aus seiner zentralen Idee „Ich denke, also bin ich“ („Cogito, ergo sum“) geht hervor, dass die Wahrnehmung zweifelhaft ist. Das Zweifeln selbst kommt aber von einem Zweifelnden, und damit sind das Gehirn, das Denken, das Bewusstsein und das Sein nach- gewiesen (Popper/Eccles 1977, S. 221). Während Descartes den Begriff „conscientia“ mit Denken gleichsetzte, benutzte der deutsche Philosoph Christian Wolff dafür das Wort „Bewusstsein“ (vgl. Pongratz 1984). Die Nahtodforschung scheint zu belegen, dass es auch ein Bewusstsein nach dem Tod gibt. Damit wäre das Bewusstsein unabhängig von Materie und Geist (vgl. Kübler-Ross 2000). Leibniz beschrieb das Gehirn als riesige, modellartige Nachbildung einer Maschine, in der „[…] man bei ihrer Besichtigung nichts als gewisse Stücke, deren eines an das andere stößt, niemals aber etwas antreffen [wird], woraus man eine Perception oder Empfindung erklären könnte“ (Leibniz 1996, S. 49–52). Die analytische Philosophie unterscheidet vier verschiedene Bewusstseinsarten. Das phä- nomenale Bewusstsein bezieht sich auf den Begriff „Qualia“ (lat. qualis, wie beschaffen) und bezeichnet den subjektiven Erlebnisgehalt mentaler Zustände – soweit die offizielle Definition. Anders ausgedrückt, ist das phänomenale Bewusstsein eine Bezeichnung für die subjektive Empfindung der persönlichen und individuellen Wahrnehmung. Wenn ein Bewusstseinsinhalt verfügbar ist, um eine sprachliche Äußerung oder eine Handlung zu tätigen oder als Reserve im Gedächtnis vorhanden und abrufbar zu sein, wird der kogni- tive Inhalt dem Zugriffsbewusstsein zugeordnet. In diesen Bereich fällt auch das kognitive oder semantische Bewusstsein, ohne das implizite Gedächtnis. Das Monitoring-Bewusst- sein ist ein intentional gerichteter, bewusster Anteil, in Bezug auf die Außenwelt, wie z. B. 48 Wünsche, Absichten, eigene Ziele etc., und diese im Verlauf verfolgt und ggf. anpasst. Als Monitoring letztes lässt sich noch das allgemein bekannte Selbstbewusstsein differenzieren. Aus phi- Das Monitoring ist ein Überbegriff für systemati- losophischer Sicht handelt es sich hierbei in Anlehnung an Kant um das Bewusstsein, sich sche Überwachung. selbst als denkendes Subjekt wahrzunehmen. Die Psychologie versteht darunter die Über- zeugung von den Fähigkeiten und dem Wert der eigenen Person. Selbstbewusstsein wird oft mit sicherem äußerem und verbalem Auftreten verbunden (vgl. Pohl 2008, S. 15). Tabelle 6: Aspekte des Bewusstsein-Begriffs Globaler Systemzustand Wachheitszustand Unterschiedliche Wachheitszu- stände je nach Erregungsniveau Eigenschaften von Repräsentati- phänomenales Bewusstsein Erlebniseigenschaften von onen Repräsentationen Zugriffsbewusstsein Repräsentationen als Gegen- stand übergeordneter Prozesse Monitoring-Bewusstsein Wissen über interne Zustände Selbstbewusstsein Wissen über die eigene Person, Vorliegen eines mentalen „Ich“ Quelle: Kiefer 2002, S. 200. Die heutige Gehirnforschung arbeitet mit EEGs und Wissenschaftler „begehen“ damit das Gehirn. Letztendlich bleibt es aber bei einer Sicht von außen auf das Gehirn. Niemand kann wissen, wie sich etwas im Menschen anfühlt, nicht einmal, welche Farbe er wirklich sieht, wenn er „blau“ sagt. Das Bewusstsein bleibt bis heute unerforscht. William James gelang in seinem Buch „The Principles of Psychology“ mithilfe einer Meta- pher die Übersetzung des bewussten Denkens in einen „Stream of consciousness“ und Metapher damit die Einführung des Bewusstseins in die wissenschaftliche Psychologie (vgl. James Eine Metapher überträgt die Bedeutung eines Wor- 1957). Im Anschluss etablierten sich verschiedene Perspektiven zum Bewusstseinsbegriff. tes auf ein anderes Wort. Aus der Betrachtungsweise der Phänomenologie ist Bewusstsein eine innere Erfahrung. Dadurch wird der Aus- Die kognitive Psychologie sieht darin eher eine Funktion der Informationsverarbeitung in druck bildhafter, lebend- iger und verständlicher. Bezug auf Aufmerksamkeit und das Kurzzeitgedächtnis. Die Neurowissenschaften nehmen Phänomenologie eine anatomisch-physiologische Perspektive ein und versuchen, Strukturen und Prozesse Die Phänomenologie ist im Nervensystem mit Bewusstsein in Verbindung zu bringen (vgl. Gadenne 1996). So ent- eine Richtung der Philo- sophie, die menschliche wickelt jede Strömung innerhalb der Psychologie ihre eigene Betrachtungsweise. Auf- Erkenntnis mit ihrer grund der ungeklärten Definition von Bewusstsein können diese nebeneinander stehen Erfahrung zu Wahrheit bleiben. führt. 3.3 Erleben und Verhalten „Die Psychologie ist die Lehre vom Erleben und Verhalten des Menschen“ (Zimbardo/ Gerrig 2018, S. 2f.). Es geht um die Frage, wieso Menschen sich in bestimmten Situationen auf eine bestimmte Art und Weise verhalten. Dem Verhalten ist das Erleben vorgeschaltet, welches darüber entscheidet, ob oder welches Verhalten gezeigt wird. Das Verhalten ist 49 direkt beobachtbar und damit objektiv. Verhalten definiert die Gesamtheit aller von außen beobachtbaren Handlungen eines Menschen. Erleben dagegen ist unsichtbar und subjek- Introspektion tiv. Es kann nur durch Introspektion erfasst oder rückführend aus dem Verhalten auf die- Selbstbeobachtung, die ses geschlossen werden. Handeln dagegen ist als bewusstes, zielgerichtetes Verhalten nach innen gerichtet ist und die dazu dient, das definiert. Nicht jedes menschliche Verhalten ist laut dieser Definition eine Handlung. Aus- eigene Erleben und Ver- nahmen stellen beispielsweise Reflexe und unbewusste Verhaltensweisen dar. Erleben, halten zu betrachten, zu Verhalten und Handeln stehen aber in direkter Interaktion. Das Erleben beeinflusst eine beschreiben und zu ana- lysieren. Handlung und ein Verhalten. Eine Handlung kann auch das Erleben einer bestimmten Reflexe Situation verändern. unwillkürliche, immer gleich ablaufende und nicht zu unterdrückende Das Problem, dass Erleben nicht direkt beobachtbar ist, beschäftigt die Psychologie von Reaktionen auf Anfang an und teilt sie in zwei Lager. Auf der einen Seite stehen die klassischen Verhaltens- bestimmte Reize psychologen, auf der anderen Seite die Erlebnispsychologen. Zu den klassischen Verhal- tenspsychologen gehören u. a. John Watson und F. B. Skinner. Die Behavioristen akzeptie- ren nur das als wissenschaftliche Psychologie, was experimentell erarbeitet wurde. Alles, was keinen wissenschaftlichen Zugang hat, ist für sie nicht Gegenstand der Psychologie. Watson und Skinner fokussieren sich daher auf Reize, die auf den menschlichen Organis- mus treffen und auf das beobachtbare Verhalten. Was dazwischen passiert, Emotionen, Kognitionen, Erleben etc., bezeichnen sie als sogenannte „Black Box“ (vgl. Watson 1913). Abbildung 7: Reiz-Reaktions-Schema der behavioristischen Psychologie Quelle: Erstellt im Auftrag der IU 2023, in Anlehnung an Skinner 1938. Die „Aufgabe der Psychologie ist es demnach, Zusammenhänge aufzudecken, die zwi- schen registrierbaren Reizen, also Umweltbedingungen, und beobachtbaren Verhaltens- weisen des Organismus bestehen“ (Mietzel 1998a, S. 19). „Der strenge Behaviorist stellt sich den Menschen als ein passives Wesen vor, dessen Verhalten ausschließlich unter der Kontrolle der Umwelt steht“ (Mietzel 1998b, S. 33). Die Erlebnispsychologie vertritt im Gegensatz dazu einen geisteswissenschaftlichen Karl Bühler Ansatz. Einer ihrer Hauptvertreter war Karl Bühler. Die Erlebnispsychologie betrachtet die (1879–1963) gilt als Ver- Black Box als von außen nicht zugänglich. Sie entzieht sich damit der Beobachtung. Sie treter der Würzburger Schule der Denkpsycholo- kann jedoch mittels Selbstbeobachtung oder Introspektion wissenschaftlich erforscht gie; es handelt sich dabei werden. Diesem Ansatz liegt das wissenschaftliche Problem zugrunde, dass das Objekt der um einen ganzheitlichen, Selbstbeobachtung gleichzeitig auch das Subjekt der Beobachtung ist. Zusätzlich sind psychologischen Ansatz. Selbstaussagen gefährdet, Verzerrungen zu unterliegen (vgl. Bühler 1927). Eine Art der Ver- zerrung wäre z. B. das sozial erwünschte Verhalten. Um dem entgegenzuwirken, hat die Erlebnispsychologie zusätzlich versucht, objektive Methoden wie die Messung physiologi- 50 scher Reaktionen zu etablieren und aus diesen Rückschlüsse zu ziehen. Die dafür gängige Sozial erwünschtes Hauptmethode war die „experimentelle Herbeiführung bestimmter psychischer Vorgänge Verhalten Messfehler eines Verhal- und genaue Schilderung der dabei hervortretenden Erlebnisse“ (Külpe 1920, S. 10). tens oder einer Antwort nach der Tendenz, dem Erleben und Verhalten spielen auch heute noch eine zentrale Rolle in der wissenschaftli- Testleiter gefallen zu wol- len chen Definition der Psychologie. In der Verhaltens- und Lerntheorie wird das Erleben auch als inneres Verhalten bezeichnet (vgl. Dilts et al. 2003). 3.4 Leib-und-Seele-Problem Das Leib-Seele-Problem ist ein bis heute ungelöstes Thema der Psychologie. Es gibt eine Eigenschaft, deren physiologisches und neurologisches Korrelat von der Wissenschaft noch nicht gefunden ist. Der Mensch ist kognitiv begrenzt in Bezug auf dieses Phänomen. Wir können das Leib-Seele-Problem aktuell noch nicht lösen (vgl. McGinn 1989). Aus religiöser Perspektive finden sich in jeder Glaubensrichtung Beschreibungen zum See- lenbegriff. In einem christlich geprägten Kulturraum darf die Betrachtung zentraler Vor- stellungen und daraus abgeleiteter Verhaltensweisen nicht fehlen. Seelenvögel sind viel- fach Geist- und Flügelwesen, die symbolisch eine dynamisierte Seelen-Vorstellung Geist- und Flügelwesen repräsentieren. Im Alten Testament wird die Seele im konsequenten Monismus und Mate- Die Höhlenmalerei von Lascaux zeigt z. B. die rialismus beschrieben. Es gibt keine Seele ohne Leib und umgekehrt gilt dasselbe. Die Geburtsstunde der Seele ist ein Zeichen göttlichen Ursprungs. Im Neuen Testament gibt es deutlich seltener modernen Seele mit den Begriff der „Seele“. Die selbstständige Seele wird als Gegenüber zum Leib beschrie- Kunst (in 3D), Beerdigun- gen als Zeichen religiöser ben. Seelen werden häufig unter dem Gesichtspunkt der Auferstehung des Leibes betrach- Rituale, den Minotaurus tet. etc. Monismus Der Monismus ist aus der Leib und Seele ist ein Konflikt, der die Philosophie schon viele Jahre beschäftigt. Obwohl philosophischen und die Wissenschaft immer mehr Details über den Körper und die Seele erforscht, hat sich die metaphysischen Sicht die Komplexität dieser beiden Einheiten über Jahrhunderte weder reduziert noch hat sich ihr Idee, dass alle Vorgänge auf ein Grundprinzip Zusammenspiel gezeigt. Die Philosophen, die sich als erste Wissenschaftler mit der Prob- zurückzuführen sind. Aus lematik beschäftigten, lassen sich in zwei große Richtungen unterteilen. Der Dualismus Sicht der Psychologie geht davon aus, dass die Seele und der Körper zwei voneinander unabhängige Substanzen steht dahinter die Idee, dass Seele und Körper sind, die sich nicht voneinander ableiten lassen. Der Monismus dagegen sieht Leib und zwei unterschiedliche Seele als zwei Seiten einer Medaille. Die meisten monistischen Ansätze sind materieller Aspekte derselben Sache Natur, d. h., neuronale Strukturen werden als grundlegend betrachtet und mentale sind. Zustände als Folgewirkung gesehen. Der Dualismus schließt die Kluft zwischen mentalen Zuständen und neuronalen Strukturen dahingehend, dass beide nicht aufeinander redu- zierbar sind (vgl. Fahrenberg 1999, S. 207ff.). Für den Dualismus sind aber beide elementar gleichbedeutend und wichtig (vgl. Descartes 1965). In Abhängigkeit davon, wie mentale und neuronale Zustände genauer definiert werden oder wie ihre Zusammenarbeit abläuft, unterscheidet man den Substanz- und den Eigenschaftsdualismus. Der Substanzdualis- mus geht davon aus, dass es zwei Anteile im Gehirn geben muss, die für den Körper und für die Seele jeweils zuständig sind (vgl. Platon 1991). In Abhängigkeit davon, ob es ein Zusammenspiel zwischen den beiden gibt oder nicht, unterscheidet man den interaktion- istischen und nicht interaktionistischen Subtyp des Substanzdualismus (vgl. Popper/ Eccles 1977). Der Eigenschaftsdualismus dagegen vertritt die heute populäre Ansicht, 51 Interaktion dass mentale Zustände keine physikalischen Eigenschaften des Gehirns sind. Das Gehirn Wechselbeziehung zwi- ist die einzige Substanz mit physikalischen und nichtphysikalischen Eigenschaften. Letz- schen zwei Komponenten eines Systems tere sind die mentalen Zustände. Damit umgehen die Eigenschaftsdualisten das Problem, Populär dass man subjektive Erlebnisse nicht auf physikalische Strukturen reduzieren kann (vgl. beliebt; beim Volk und Beckermann 2001). der breiten Masse Anklang findend Tabelle 7: Dualistische Theorie nach René Descartes Körper Mentale Zustände res extensa res cognitae räumlich unräumlich objektiv subjektiv, privat durch Sinne wahrnehmbar durch Introspektion wahrnehmbar Quelle: Plauen 2001. Neurologie Die moderne Neurologie mit ihren bildgebenden Verfahren ermöglicht einen Blick in das Die Neurologie ist die Wis- Gehirn zur Verortung des Bewusstseins und damit der Seele während bestimmter Tätigkei- senschaft vom Aufbau und der Funktion des Ner- ten oder Bewusstseinszustände (schlafend, wach, narkotisiert, im Koma etc.). Daran betei- vensystems. ligt sind der Hirnstamm mit der retikulären Formatio (vgl. Economo 1918; Moruzzi 1950), die NMDA-Rezeptoren (vgl. Flohr 1991) und die 40-Hertz-Oszillationen im cerebralen Kor- Cerebraler Kortex tex (vgl. Krick/Koch 2005). All diese neurologischen Strukturen leisten einen Beitrag zu Der cerebrale Kortex ist unserem Bewusstsein. Allerdings gibt es nicht eine anatomische Stelle oder ein physiolo- ein Teil der Großhirn- rinde. Er ist das oberste gisches System. Vielmehr handelt es sich um ein komplexes Phänomen, das sich aus der Steuerungs- und Informa- Vernetzung und Verknüpfung verschiedener Prozesse zusammensetzt. tionsverarbeitungszent- rum des Körpers. Die Hirnforschung steckt weiterhin, wie anfangs erwähnt, in einem Dilemma. Mittlerweile ist auch zweifelsfrei bewiesen, dass kognitive Prozesse, wie Denken oder Wahrnehmung, mit z. B. messbaren Veränderungen in bildgebenden Verfahren oder elektrischen Hirnströ- men einhergehen. Damit ist allerdings nur eine Korrelation, nicht aber eine Kausalität bewiesen. Die Architektur des Gehirns bestimmt seine kognitiven Leistungen und die kog- nitiven Leistungen verändern über Emotionen und das limbische System die Architektur des Gehirns. Die Untrennbarkeit von Geist/Seele und Gehirn/Körper bleibt damit immer noch ein unüberwindbares Dilemma der Psychologie (vgl. Roth 1996). 3.5 Anlage-Umwelt-Debatte Seit Beginn des ausgehenden 19. Jahrhunderts wird intensiv über die Kontroverse disku- tiert, inwieweit die Biologie in Form der Genetik die Gesellschaft über die Umwelt beein- flusst – oder umgekehrt. 52 Die Beschäftigung mit der Anlage-Umwelt-Debatte ist aus Sicht der Philosophie ungefähr so alt wie das Leib-Seele-Problem. Es handelt sich hierbei um das historisch älteste Arbeitsfeld der Philosophie, das bis zur Antike zurückreicht (vgl. z. B. Siegler/DeLoache/ Eisenberg 2008). Im Zusammenhang mit dieser Debatte stehen zentrale Begrifflichkeiten, wie z. B. „Geno- typ“, „Phänotyp“ und „Reifung“. Unter „Genotyp“ versteht man die aufgrund des Genoms Genom vorhandene Entfaltungsmöglichkeit eines Organismus. Der „Phänotyp“ eines Lebewesens Das Genom ist das Erbgut eines Lebewesens, das dagegen ist das durch den Genotyp determinierte Erscheinungsbild, welches durch sich im Zellkern jeder Umweltaspekte beeinflusst werden kann. Ein weiterer wichtiger Begriff in diesem Zusam- Zelle befindet. menhang ist die „Reifung“. Der Ursprung dieses Phänomens ist in der Entwicklungspsy- chologie zu finden und bezieht sich darauf, dass der Mensch und auch andere Lebewesen als unreife Nesthocker zur Welt kommen. Fähigkeiten wie z. B. Sprechen, Laufen, Gehen Nesthocker etc. werden möglich, wenn das Gehirn an den entsprechenden Stellen gereift/nachgereift Unvollkommen und damit schutzlos gebore- ist. Der Prozess der Reifung ist von Lernprozessen insofern zu unterscheiden, als Reifung nes Lebewesen, das bzw. ausgereifte Hirnstrukturen Grundvoraussetzungen für entsprechende Lernprozesse besonders intensiver sind. Es bleibt zu klären, ob das Reifungsmodell der psychomotorischen Entwicklung auch Pflege und Betreuung bedarf. auf die seelisch-geistige Entwicklung übertragbar ist (vgl. Diamond 1974, S. 248; Pfaff- mann 1980, S. 26f.). Der historische Ursprung der Anlage-Umwelt-Debatte liegt in der Antike. Er wird in der Zeit um 500 v. Chr. verortet und beginnt mit der Domestizierung von Tieren (vgl. Treml 2005, S. 46; Gander 2003, S. 2). Die Menschen haben schon früh zumindest implizit eine Vorstel- lung davon entwickelt, dass die Nachkommen zahmerer Tiere wieder leichter zu handha- ben sind als die künftige Generation wilder Tiere (vgl. Siegler/DeLoache/Eisenberg 2008, S. 117). Auch wenn es aus dieser Zeit keine Aufzeichnungen gibt, ist vor diesem Hinter- grund davon auszugehen, dass die Menschen schon damals aus den beobachteten Phäno- men schlossen, dass sich Gene auf das Verhalten auswirkten (vgl. Schilcher 1988, S. 14). Ein weiterer Anhaltspunkt für die gedankliche Trennung zwischen Anlage und Umwelt bzw. Natur und Kultur lässt sich in frühen ägyptischen Schriften finden (vgl. Treml 2005, S. 35 u. 39). Auch Freeman führt die Anlage-Umwelt-Dichotomie auf die Antike zurück und benennt Protagoras als deren Begründer (vgl. Freeman 1983, S. 50). John Locke nahm eine kritische Gegenposition ein und gilt daher als Begründer der Umwelttheorie. Das Kind kommt als „Tabula rasa“ auf die Welt und wird durch seine Umwelt geprägt. Dabei nimmt der Mensch nach Locke eine passive Rolle ein und wird zur beliebig formbaren Masse (vgl. Helbig 1988, S. 54). Es folgte Immanuel Kant, der keiner eindeutigen Position zugeordnet werden kann. Er verwirft klar den genetischen Determinismus, lässt aber gelten, dass menschlicher Verstand über bestimmte Erkenntnisstrukturen und Vorstellungen verfügen muss, damit erste Erfahrungen überhaupt möglich werden (vgl. Vollmer 2003, S. 25). Auf- grund dieser Ambivalenz ist Kant bis heute keiner Seite eindeutig zuzuordnen. Mit ihm begann die Phase der Konsolidierung der Extrempositionen. Sie ist auf fehlende experi- mentelle Befunde zurückzuführen. Mitte des 18. Jahrhunderts rückten in diese Lücke quasi-natürliche Experimente. Sie bezogen sich auf sogenannte Wolfskinder, die von Wolfskinder Linné 1758 in seine „Systema Natura“ als „Homo ferus“ (vgl. von Linné 1767, S. 28; Blu- Kinder, die in jungen Jah- ren isoliert von anderen menthal 2005, S. 29) aufnahm. Solche Isolationsfälle sind allerdings methodisch sehr frag- Menschen aufwuchsen würdig, da es von der Zeit vor Entdeckung des „Homo ferus“ keinerlei Aufzeichnungen und daher ein anderes oder Nachweise gibt und alle Aussagen dazu spekulativ bleiben (vgl. Flitner 1999, S. 17f.). Sozialverhalten zeigen. Darüber hinaus konnte die Hoffnung nicht erfüllt werden, den Menschen in seiner reinen 53 Naturform zu sehen, da die sozialen Kontakte der Wolfskinder im Tierreich angesiedelt waren und auch diese Menschen durch Umwelt geprägt wurden, auch wenn es sich dabei Sozialisation um eine tierische „Sozialisation“ handelte (vgl. Huisken 1991, S. 14f.). Vor dem Hinter- Allgemeiner Lernprozess grund der Anlage-Umwelt-Debatte sind die Ergebnisse als ambivalent zu bewerten, da sie des Individuums in/mit seiner Umgebung. Es wer- nativistische Positionen, insbesondere bezüglich sensibler Phasen für den Spracherwerb, den soziale Normen, Ver- und environmentalistische Positionen gleichzeitig stützen (vgl. Maturana/Varela 1987, haltensstandards und S. 141–144; Zimmer 1989, S. 41– 47). Rollen gelernt. Von der Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, nach den Anfängen der Anlage- Umwelt-Debatte in der Antike und der Konsolidierungsphase extremer Positionen, rückten phylogenetische Theorien in den Vordergrund. Einer der wichtigen Vertreter dieser Theo- rien war Jean-Baptist de Lamarck. Er vertrat, vereinfacht ausgedrückt, die These, dass die Giraffe einen langen Hals habe, weil sie an das Laub der Blätter wolle (vgl. de Lamarck 1809). Zu seinen Lebzeiten wurde de Lamarck mit diesem Bild verspottet. Die Lehrmei- nung dieser Zeit war, dass nur Gen-Mutationen Veränderungen am Genom verursachen könnten, nicht aber direkte Interaktionen mit der Umwelt. Dass es jedoch auch ein Wech- Epigenetik selspiel zwischen Genom und Umwelt gibt, hat die Epigenetik bewiesen. Charles Darwin Die Epigenetik ist ein Teil- hielt das Mitte des 19. Jahrhunderts noch für undenkbar. Für ihn waren spontane Genmu- gebiet der Biologie, das sich mit der Frage tationen und Selektion durch veränderte Umwelteinflüsse die Ursache für evolutionäre beschäftigt, welche Fak- Veränderungen (vgl. Darwin 1859). Wie Genetik und Epigenetik miteinander zu vereinba- toren die Gene in einer ren sind, bleibt bis heute unklar. Zelle beeinflussen. Obwohl die historischen Wurzeln der Anlage-Umwelt-Debatte bis in die Antike zurückrei- chen, wird in der psychologischen Fachliteratur der Ursprung mit den Begriffen „nature“ und „nurture“ und ihre Dichotomie mit Sir Francis Galton als Begründer verbunden. Seine wissenschaftliche Herangehensweise mittels empirischer Methoden und statistischer Aus- wertungen kann dafür als Ursache gesehen werden (vgl. Galton 1869, S. VI; Kempthorne 1978, S. 3; Wachs 1992, S. 5). Aus seinen experimentellen Untersuchungen heraus bildete Eugenic er die Eugenic. Der Ausdruck Eugenic heißt auf Deutsch Erbge- sundheitslehre. Es wer- Francis Galton arbeitete an empirisch aussagekräftigen Ergebnissen, um seiner Forschung den Erkenntnisse aus der Nachdruck zu verleihen. Er führte ein Experiment zur Dummheit der Masse durch, in dem Humangenetik so auf den er die 800 Werte bei einem Ochsen-Gewicht-Schätzwettbewerb dokumentierte. Der Genpool einer Rasse angewendet, dass sich Median seiner Ergebnisse lag mit 1207 Pfund nicht weit vom Originalgewicht des Ochsen positive Eigenschaften mit 1198 Pfund entfernt (vgl. Galton 1910). Seitdem sprechen wir in diesem Zusammen- vermehren und negative hang von „der Weisheit der Vielen“. Galton benutzte häufig die Normalverteilung, entwi- Eigenschaften verringern. ckelte mit Pearson den Korrelationskoeffizienten und baute das Galtonbrett zur Erklärung von Wahrscheinlichkeitsverteilungen (vgl. Galton 1888). 54

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