Ökonomie - Wirtschaftsanthropologie - PDF

Summary

This document provides an overview of economic anthropology, focusing on the critique of traditional economic models and the analysis of economic practices in different cultural contexts. The text discusses concepts like "Homo Oeconomicus", alternative economic models, and the historical development of economic thought. It also includes discussion of important concepts such as "Kula", "Moralische Ökonomie", and "Kapitalismus".

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**Ökonomie** **Definition und Zielsetzung** Die Wirtschaftsanthropologie untersucht, wie wirtschaftliches Handeln und Denken in spezifischen kulturellen Kontexten eingebettet ist. Sie hinterfragt westliche Vorstellungen von Ökonomie als autonome, rational organisierte Sphäre **Schlüsselfragen**...

**Ökonomie** **Definition und Zielsetzung** Die Wirtschaftsanthropologie untersucht, wie wirtschaftliches Handeln und Denken in spezifischen kulturellen Kontexten eingebettet ist. Sie hinterfragt westliche Vorstellungen von Ökonomie als autonome, rational organisierte Sphäre **Schlüsselfragen** **Altgriechische Wurzeln: „oikonomia"** Der Begriff leitet sich von „oíkos" (Haus) und „nomos" (Gesetz) ab und beschreibt ursprünglich das Haushaltsmanagement. Aristoteles unterschied zwischen Haushaltsführung und Marktaktivitäten, eine Thematik, die in der Anthropologie weiter untersucht wird **Die Konstruktion von „Wirtschaft"** Laut Mitchell ist die Vorstellung einer autonomen „Wirtschaft" keine natürliche Gegebenheit, sondern eine Erfindung des 20. Jahrhunderts, geprägt durch wissenschaftliche Analogien zur Physik und historische Kontexte wie die Nachkriegsstabilität **Ausgeschlossene Aspekte** Mitchell weist darauf hin, dass die moderne Wirtschaft monetäre von nicht-monetären und ökonomische von persönlichen Aspekten trennt, was bestimmte Bereiche wie Haushalte oder Subsistenzwirtschaft marginalisiert **Herausforderungen der klassischen Ökonomie** Anthropologen kritisieren Annahmen wie die universelle Knappheit, individuelle Nutzenmaximierung und Rationalität. Sie zeigen, dass alternative Wirtschaftsmodelle existieren **Beispiel Ägypten** Mitchell beschreibt, wie in Ägypten die Grenze zwischen Markt- und Subsistenzsektoren unscharf ist **Definition** Der „homo oeconomicus" ist ein rationales Individuum, das Eigennutz maximiert und auf Märkten agiert. Dieses Konzept ist eine zentrale Annahme der klassischen Wirtschaftstheorie **Kritik durch die Anthropologie** - Malinowskis Feldstudien auf den Trobriand-Inseln zeigen, dass ökonomisches Handeln stark sozial und kulturell geprägt ist - Menschen handeln oft nicht rein eigennützig, sondern in Abhängigkeit von sozialen Normen und Beziehungen **Das Kula-Tauschsystem** Kula ist ein ritualisiertes Tauschsystem auf den Trobriand-Inseln. Es zeigt, wie ökonomische Aktivitäten durch soziale und kulturelle Praktiken geprägt sind **Moralische Ökonomie** In vorindustriellen Gesellschaften wird Subsistenz oft über Profitstreben gestellt. Dieses Konzept stellt westliche Ideen von Wettbewerb und Gewinn infrage **Kapitalismus als System** Der Kapitalismus basiert auf Privatbesitz und Wachstum. Er wird jedoch häufig für soziale und ökologische Probleme verantwortlich gemacht **Finanzkapitalismus und Krisen** Die Finanzkrise 2008 verdeutlichte, dass Märkte ohne staatliche Eingriffe nicht stabil sind - Wirtschaftliches Handeln ist immer kulturell und sozial eingebettet. - Die westliche Marktwirtschaft ist nur eines von vielen Modellen und nicht universell gültig. - Anthropologische Studien bieten alternative Perspektiven auf wirtschaftliche Dynamiken und Konzepte. **Wichtige Begriffe zusammengefasst** 1\. **oikonomia** -- Altgriechischer Begriff für Haushaltsverwaltung, Ursprung des Ökonomiebegriffs. 2\. **Homo Oeconomicus** -- Rationaler, eigennütziger Akteur; zentrale Annahme der klassischen Ökonomie. 3\. **Timothy Mitchell** -- Kritiker der Idee einer autonomen Wirtschaft; zeigt soziale Konstruktionen der Ökonomie auf. 4\. **Kula** -- Ritualisiertes Tauschsystem auf den Trobriand-Inseln, geprägt durch soziale Normen. 5\. **Moralische Ökonomie** -- Konzept, das Subsistenz und Sicherheit über Profitstreben stellt. 6\. **Kapitalismus** -- System basierend auf Wachstum und Privatbesitz; verbunden mit sozialen und ökologischen Herausforderungen. 7\. **Finanzkrise 2008** -- Zeigt die Abhängigkeit der Märkte von staatlichen Eingriffen. 8\. **Knappheit** -- Zentrale Annahme der klassischen Ökonomie, kritisch hinterfragt von der Anthropologie. 9\. **Subsistenzwirtschaft** -- Selbstversorgung als Alternative zur Marktwirtschaft. 10\. **Anthropologische Kritik** -- Analyse kultureller Einflüsse auf wirtschaftliche Modelle und deren soziale Einbettung. **Marktwirtschaft** **Definition der Marktwirtschaft** Die Marktwirtschaft wird als selbstregulierende Institution beschrieben, die auf dem Prinzip von Angebot und Nachfrage basiert. Sie soll das Wohl der Gemeinschaft durch das Streben nach individuellem Nutzen fördern **Kritik am Konzept** Das Ideal des Marktes als autonom funktionierende Einheit wird hinterfragt, da es soziale Beziehungen und kulturelle Kontexte ausklammert **Historischer Überblick** Polanyi argumentiert, dass die Wirtschaft ursprünglich in soziale Beziehungen eingebettet war. Die „Große Transformation" im 19. Jahrhundert führte jedoch zur Entbettung der Wirtschaft, wodurch soziale Beziehungen dem Wirtschaftssystem untergeordnet wurden **Kernthesen** - Reziprozität, Redistribution, Haushalten und Markttausch sind grundlegende ökonomische Prinzipien - „Fiktive Waren" wie Land, Arbeit und Geld verdeutlichen die Abstraktion von natürlichen und sozialen Ressourcen **Konsequenzen** Die Entbettung der Wirtschaft hat soziale und ökologische Kosten, indem natürliche und menschliche Substanzen zu Waren transformiert werden **Substantivismus** - Wirtschaft wird als in soziale und kulturelle Kontexte eingebettet verstanden - Beispiele: Malinowskis und Mauss' Studien zu Tauschsystemen **Formalismus** - Betrachtet wirtschaftliches Handeln als universelles Prinzip rationaler Entscheidungen - Fokus auf Nutzenmaximierung und mathematische Modelle **Kritik und Vergleich** Substantivisten werfen Formalisten Eurozentrismus vor, während Formalisten den Substantivismus für zu deskriptiv halten **Multizentrische Ökonomie** Wirtschaftliche Güter zirkulieren in drei separaten „Tauschsphären": Subsistenzgüter, Prestigegüter und Rechte an Personen. Jede Sphäre unterliegt eigenen moralischen und institutionellen Regeln **Kritik an Bohannan** Bohannans Analysen werden als zu rückwärtsgewandt und objektzentriert kritisiert. Dennoch bieten sie wichtige Einblicke in alternative Wirtschaftssysteme **Kontext** Privatisierungen entstanden durch Austeritätspolitik und neoliberale Reformen **Folgen** Protestbewegungen und ziviler Ungehorsam zeigen den Konflikt zwischen Kapitalakkumulation und dem Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen **Zalooms Studie** Die Finanzwelt wird als ultimatives Beispiel der marktrationalen Ökonomie analysiert. Händler agieren jedoch nicht nur rational, sondern sind Teil eines komplexen sozialen Netzwerks - Wirtschaftliches Handeln ist stets sozial und kulturell eingebettet - Das Konzept der selbstregulierenden Marktwirtschaft ist historisch und kulturell spezifisch - Ethnographische Beispiele verdeutlichen, dass Wirtschaft nicht auf universellen Prinzipien basiert, sondern vielfältige Formen annimmt **Wichtige Begriffe zusammengefasst** 1\. **Marktwirtschaft** -- Selbstregulierendes System basierend auf Angebot und Nachfrage. 2\. **Karl Polanyi** -- Kritiker der neoklassischen Ökonomie; prägte den Begriff der „eingebetteten Wirtschaft". 3\. **Große Transformation** -- Historischer Wandel zur selbstregulierenden Marktwirtschaft im 19. Jahrhundert. 4\. **Fiktive Waren** -- Ressourcen wie Land, Arbeit und Geld, die in der Marktwirtschaft als handelbare Güter betrachtet werden. 5\. **Substantivismus** -- Wirtschaft als sozial eingebettetes Phänomen. 6\. **Formalismus** -- Wirtschaftliches Handeln als universelles Prinzip rationaler Entscheidungen. 7\. **Tauschsphären** -- Separierte ökonomische Bereiche mit eigenen moralischen Werten (z. B. bei den Tiv). 8\. **Wasserprivatisierung** -- Konflikt zwischen Kapitalakkumulation und lebenswichtigen Ressourcen. 9\. **Wall Street** -- Symbol der globalen Finanzwelt und des Kapitalismus. 10\. **Reziprozität** -- Gegenseitige Verpflichtungen in Tauschsystemen, im Gegensatz zu reinem Profitstreben. **Kapitalismus** **Definition** Kapitalismus ist ein Wirtschaftssystem, bei dem Kapitalvermögen privat besessen wird, und Güter sowie Dienstleistungen für Profit in einer Marktwirtschaft produziert werden **Unterscheidung von anderen Systemen** - Feudalismus: Produktionsmittel sind an traditionelle Bindungen gebunden - Sozialismus: Gemeineigentum an Produktionsmitteln **Grundlagen** - Marx betonte die Trennung zwischen Proletariat (Arbeiter) und Bourgeoisie (Kapitalbesitzer) - Arbeit im Kapitalismus wird entfremdet, da sie nur dem Tauschwert dient **Historischer Materialismus** Die ökonomische Basis bestimmt das gesellschaftliche Bewusstsein, aber sie ist selbst historisch wandelbar **Arbeitswerttheorie** Wert wird durch menschliche Arbeit geschaffen, nicht durch Maschinen, die lediglich die Produktivität steigern **Kapital**: Vermögen, das zur Mehrung von Vermögen genutzt wird **Produktivkräfte**: Arbeitskraft, Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstände **Produktionsverhältnisse**: Soziale und politische Beziehungen, die die Produktion strukturieren **Produktionsweisen**: Verbindung von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen, abhängig von der gesellschaftlichen Entwicklung **Einfluss auf die Ethnologie** - Neomarxismus prägte die Forschung in den 1970er- und 1980er-Jahren - Amerikanische Schule: Eric Wolf und Sidney Mintz; Fokus auf Weltsystemanalyse - Französische Schule: Maurice Godelier und Claude Meillassoux; beeinflusst vom Strukturalismus **Kritik an Marx** - Feministische Perspektiven: Produktion vs. Reproduktion, Wertschöpfung in Care-Arbeit - Rassismus: Zusammenhang zwischen Rassifizierung und kapitalistischer Produktionsweise (z. B. „Racial Capitalism") **Tania Li: „Land's End"** Untersuchung der Transformation indigener Gesellschaften zur kapitalistischen Landwirtschaft **Themen** - Privatisierung von Land und Einfriedungen - Geschlechterrollen, Schulden und Arbeit im Kontext kapitalistischer Beziehungen - Komplexe soziale Dynamiken („Awkwardness") in Verwandtschaftssystemen - Kapitalismus ist ein historisch spezifisches Wirtschaftssystem, das auf Profit und privatem Besitz basiert - Marx betonte die soziale Ungleichheit und Entfremdung der Arbeit, die im Kapitalismus zentral sind - Ethnographische Beispiele verdeutlichen, wie kapitalistische Beziehungen lokale Gemeinschaften transformieren - Kritische Perspektiven, wie der Feminismus und die Rassismusforschung, erweitern Marx' Analyse und betonen unterrepräsentierte Aspekte **Wichtige Begriffe zusammengefasst** 1\. **Kapitalismus** -- Wirtschaftssystem mit Fokus auf privatem Besitz und Profit. 2\. **Karl Marx** -- Philosoph, Ökonom und Kritiker des Kapitalismus. 3\. **Entfremdung der Arbeit** -- Trennung des Arbeiters von den Produkten seiner Arbeit und seiner kreativen Schaffenskraft. 4\. **Historischer Materialismus** -- Gesellschaftliche Strukturen basieren auf ökonomischen Verhältnissen. 5\. **Produktivkräfte** -- Arbeitskraft, Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstände. 6\. **Produktionsverhältnisse** -- Soziale Beziehungen, die die Produktion prägen. 7\. **Neomarxismus** -- Weiterentwicklung des Marxismus; Einfluss auf die Ethnologie, insbesondere auf die Analyse globaler Systeme. 8\. **Racial Capitalism** -- Verknüpfung von Rassismus und kapitalistischer Produktionsweise. 9\. **Land's End** -- Ethnographische Studie von Tania Li zur kapitalistischen Transformation indigener Gesellschaften. 10\. **Feministischer Marxismus** -- Analyse von Produktion und Reproduktion im Kontext von Care-Arbeit und Geschlechterungleichheit. **Gaben** **Herausforderung der Geldzentrierung** Viele traditionelle Gesellschaften funktionieren ohne Geld und basieren stattdessen auf Gabenökonomien, die auf Reziprozität beruhen. Marcel Mauss untersuchte, wie in solchen Systemen Gaben nicht freiwillig, sondern verpflichtend sind **Dreifache Verpflichtung der Gabe** Jede Gabe erfordert das Geben, Nehmen und Erwidern. Dieses Prinzip, das Mauss als „Reziprozität" beschreibt, hält soziale Beziehungen aufrecht **„Fait total social"** Gaben vereinen alle gesellschaftlichen Aspekte (wirtschaftlich, politisch, juristisch, religiös) und verbinden Individuen, Gruppen und Institutionen **Potlatch (Nordwestküste Amerikas)** Eine agonistische Gabe mit Wettstreitcharakter, bei der soziale Hierarchien betont und Gegengaben erwartet werden **Kula (Inselgesellschaften)** Ritueller Tausch von Gegenständen wie *soulava* (Uhrenrichtung) und *mwali* (gegen Uhrenrichtung), der soziale Netzwerke und Rituale stärkt **Marshall Sahlins: Reziprozitätstypen** - Generalisierte Reziprozität (altruistisch) - Ausgeglichene Reziprozität (Tauschgleichheit) - Negative Reziprozität (Ausbeutung) **David Graeber: Kritik der Reziprozität** Graeber betont, dass Reziprozität oft marktwirtschaftliche Prinzipien widerspiegelt und schlägt alternative moralische Prinzipien vor: Kommunismus, Austausch und Hierarchie **Ursprung des Geldes** Graeber argumentiert, dass Geld aus Schulden entstand und betont die historische Dynamik zwischen materiellem und virtuellem Geld **Geld in der Ethnologie** Geld hat ein ambivalentes Image. Es zerstört oft soziale Beziehungen (Allzweckgeld), kann aber auch durch kulturelle Praktiken (z. B. „Earmarking") transformiert werden - Gabenökonomien zeigen, dass Wirtschaft nicht nur auf Geld oder Märkten basiert, sondern soziale Beziehungen und Reziprozität betont - Mauss' Theorie verdeutlicht, dass Gaben verpflichtend sind und Gesellschaften stabilisieren - Kritik von Graeber und anderen zeigt, dass westliche ökonomische Modelle nicht universell sind - Die Bedeutung von Geld ist kulturell variabel und beeinflusst soziale Strukturen **Wichtige Begriffe zusammengefasst** 1\. **Marcel Mauss** -- Soziologe, der Gabenökonomien als soziale Grundlage untersuchte. 2\. **Die Gabe** -- Austauschsystem mit dreifacher Verpflichtung: Geben, Nehmen, Erwidern. 3\. **Reziprozität** -- Prinzip des Austauschs, das soziale Beziehungen definiert. 4\. **Potlatch** -- Agonistische Gabe, die soziale Hierarchien betont. 5\. **Kula** -- Ritueller Tausch von Gegenständen in Inselgesellschaften. 6\. **Fait total social** -- Gaben integrieren alle gesellschaftlichen Dimensionen. 7\. **David Graeber** -- Kritiker der Reziprozität und Theoretiker zu Schulden und Geld. 8\. **Schulden** -- Ursprung des Geldes, der soziale Verpflichtungen formt. 9\. **Allzweckgeld vs. Spezialgeld** -- Geld als universeller Wertträger oder kulturell begrenztes Mittel. 10\. **Earmarking** -- Kulturelle Praxis, Geld symbolisch zu kategorisieren.

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