Wirtschaftsanthropologie_VL_1_-_Was_ist_die_Ökonomie PDF

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Georg-August-Universität Göttingen

2024

Tim Burger

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economic anthropology economic systems lecture notes social sciences

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These lecture notes cover Wirtschaftsanthropologie (Economic Anthropology) for the Wintersemester 2024/2025 at the Georg-August-Universität Göttingen. The lecture topics include introductions to economic systems, economic concepts, critiques, and economic worldviews.

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Institut für Ethnologie TIM BURGER Wirtschaftliche Systeme Wintersemester 2024/2025 Institut für Ethnologie TIM BURGER Wirtschaftsanthropologie Wintersemester 2024/2025 Gliederung für Heute Organisatorisches Themen und Texte...

Institut für Ethnologie TIM BURGER Wirtschaftliche Systeme Wintersemester 2024/2025 Institut für Ethnologie TIM BURGER Wirtschaftsanthropologie Wintersemester 2024/2025 Gliederung für Heute Organisatorisches Themen und Texte der Vorlesung Was ist ‚die Ökonomie‘? Timothy Mitchells Kritik Homo Oeconomicus Take-Home Points 09.12.2024 Georg-August-Universität Göttingen 3 Fragen und Zweifel? Semesterplan und Literaturliste Tutorium (Caspar Kotschate, Benjamin Trenk) Andere Teilnehmer*innen fragen [email protected] Sprechstunde (nach Voranmeldung per Email): Dienstags ab 16.15 Uhr 09.12.2024 Georg-August-Universität Göttingen 4 Themen der Vorlesung VL 1 Einführung: Was ist „die Ökonomie“? VL 2 Marktwirtschaft: Von den Commons zur Finanzwelt VL 3 Kapitalismus: Marx und darüber hinaus VL 4 Die Gabe: Übers Geben, Tauschen, Fordern, Zahlen, Schulden, Teilen und Erwidern VL 5 Haushalt: Der Feministische Kampf um Arbeit VL 6 Ressourcen, Knappheit und die Verwandlung der Natur in Waren 09.12.2024 Georg-August-Universität Göttingen 5 Texte zur Vorlesung Vorlesung 1: Mitchell, Timothy. 1998. “Fixing the Economy.” Cultural Studies 12 (1): 82-101. Vorlesung 2: Zaloom, Caitlin. 2010. Out of the Pits: Traders and Technology from Chicago to London. Chicago: University of Chicago Press. Daraus: Kapitel 5, Economic Men, S. 111-125 und Kapitel 6, The Discipline of the Speculator, S. 127-140 09.12.2024 Georg-August-Universität Göttingen 6 Texte zur Vorlesung Vorlesung 3: Li, Tania Murray. 2014b. “Chapter 3: Enclosure.” In: Land’s End: Capitalist Relations on an Indigenous Frontier. Durham: Duke University Press, S. 84-114. Vorlesung 4: Mauss, Marcel. 1950. Die Gabe: Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 15-26. und Graeber, David. 2011. „Kapitel 5: Kurze Abhandlung über die moralischen Grundlagen ökonomischer Beziehungen.“ In: Schulden: Die Ersten 5000 Jahre. Stuttgart: Klett- Kotta, S. 113-161. 09.12.2024 Georg-August-Universität Göttingen 7 Texte zur Vorlesung Vorlesung 5: Harris, Olivia. 1984. “Households as Natural Units.” In: Of Marriage and the Market: Women's Subordination Internationally and its Lessons. London: Routledge and Kegan Paul, S. 136-155. Vorlesung 6: Tsing, Anna Lowenhaupt. 2013. “Sorting Out Commodities: How Capitalist Value is Made through Gifts.” Hau: Journal of Ethnographic Theory 3 (1): 21-43. 09.12.2024 Georg-August-Universität Göttingen 8 Institut für Ethnologie Prüfung o Klausur am 06.02.2025 Vorbereitung o Zuhören und Notizen machen o Texte intensiv lesen und exzerpieren o Tutorium besuchen o Aktive Auseinandersetzung mit Vorlesungsinhalten und Lektüre 09.12.2024 Wirtschaftliche Systeme 9 VORLESUNG 1 Was ist ‚die Ökonomie‘? 09.12.2024 Georg-August-Universität Göttingen 10 Schlüsselfragen Worum geht es der Wirtschaftsanthropologie? Inwiefern hinterfragen wirtschafts- anthropologische Ideen das ‚normale‘ Verständnis der Ökonomie? Wie kam es überhaupt zur Vorstellung einer Wirtschaft? 09.12.2024 Georg-August-Universität Göttingen 11 Wirtschaftsanthropologie? 09.12.2024 Georg-August-Universität Göttingen 12 Kula „Kula ist eine Form des Tauschhandels zwischen den Stämmen eines großen Gebietes; es wird von Gemeinschaften betrieben, die einen weiten Inselring bewohnen, der einen geschlossenen Kreislauf bildet. (...) Auf diesem Weg reisen beständig zwei Arten von Gegenständen und nur diese in entgegengesetzter Richtung. (...) Jede Bewegung der Kula- Gegenstände, jede Einzelheit der Transaktionen ist durch eine Reihe traditioneller Regeln und Konventionen festgelegt, und einige Handlungen des Kula werden von einem ausführlichen Ritual und von öffentlichen Zeremonien begleitet.“ (Malinowski 2007 (1922): 115) 09.12.2024 Georg-August-Universität Göttingen 13 Dorf – Vorindustrielles England “For most people in most places, then, most of their economic activities extended no further than the nearest market town. In those towns, most trade took place in markets, commonly held once or twice a week. That was where local farmers sold their produce and householders bought the staple items that they did not themselves produce. Cobblers, bakers, smiths, and other artisans may have had market stalls, but routinely they traded from their own premises. Markets were regulated by local market authorities, and that regulation stressed localism.” (Carrier 2023: 44) 09.12.2024 Georg-August-Universität Göttingen 14 Dorf Idyllische Harmonie mit festgelegten Rollen Ethik der Selbstversorgung (Subsistenz) und Sicherheit übertrumpft Profitstreben → ‚Moralische Ökonomie‘ (James C. Scott, E.P. Thompson) oder Romantisierung? 09.12.2024 Georg-August-Universität Göttingen 15 Finanzkapitalismus Triumph der Finanzwirtschaft im 21. Jahrhundert als ‚höchste Form‘ ökonomischer Entwicklung Gleichzeitig globale Finanzkrise ab 2008 nach dem Kollaps der Lehman-Brothers Investmentbank „The economy, which had been understood as an eternally benevolent machine for growth, was suddenly pitch-forked into the turmoil of history. The market was now seen to require massive state intervention if it were to have any chance of surviving.“ (Hann and Hart 2011: 161). 09.12.2024 Georg-August-Universität Göttingen 16 Wie sind wir hierhergekommen? Altgriechisch: „oikonomia“ Oíkos: Haus; nomos: Gesetz; nemein: lenken, verwalten Aristoteles: - Rurales Haushaltsmanagement - Selbstversorgung - Antithese zu Markt - Beziehung zwischen Haushalt und Markt beschäftigt Anthropolo*innen weiterhin 09.12.2024 Georg-August-Universität Göttingen 17 Timothy Mitchell (1998) Die Idee einer (nationalen) Ökonomie ist nicht gegeben oder natürlich. ‚Die Wirtschaft‘ als autonome Sphäre, wie wir sie kennen und nutzen, ist eine eher rezente Erfindung aus den Wirtschaftswissenschaften des 20. Jahrhunderts. Naturwissenschaftliche Angleichung (Physik) und historische Faktoren (Nachkriegsstabilität, Keynesianismus etc.) schaffen mächtige und dominierende Annahmen. 09.12.2024 Georg-August-Universität Göttingen 18 Timothy Mitchell (1998) Was wird dadurch ausgeschlossen? monetär vs. nicht-monetär ökonomisch vs. persönlich Haushalt? Staat? Beispiel Ägypten: „The distinction between market and subsistence sectors runs down the middle of the gamoosa.“ (Mitchell 1998: 97) 09.12.2024 Georg-August-Universität Göttingen 19 Was antwortet die Anthropologie? Anthropolog*innen kritisieren seit langem auf Grundlage ihrer ethnographischen Forschungen die fundamentalen Annahmen der Ökonomie (angeborene individuelle Nutzenmaximierung, Knappheit usw.) “At the very least, an anthropological critique will show […] that claims for the inevitability of currently dominant economic institutions are false.” (Hart and Hann 2007) 09.12.2024 Georg-August-Universität Göttingen 20 Methodische Grundannahmen der Ökonomie Abgegrenztheit Physikalische Gesetze Knappheit → Vorlesung 6 Methodischer Individualismus und Rationalität aller Akteure → ‚homo oeconomicus‘ 09.12.2024 Georg-August-Universität Göttingen 21 Homo Oeconomicus Rationales Individuum, das ständig kalkuliert, um seinen maximalen Nutzen zu erzielen Hauptmotivation ist Eigennutz: zentrale Triebfeder des wirtschaftlichen Prozesses Interaktion dieser Individuen findet auf ‚dem Markt‘ statt Individuen wollen mit minimalem Aufwand maximale Bedürfnisbefriedigung erreichen 09.12.2024 Georg-August-Universität Göttingen 22 Homo Oeconomicus Bronislaw Malinowksi (1884-1942) Feldforschung auf Trobriand-Inseln: Argonauten des westlichen Pazifik (1922), Coral Gardens and their Magic (1935) Systematische Beschreibung ökonomischen Lebens als soziale Aktivität → Ökonomische Tätigkeit ist nicht bloß auf Überleben und Nutzen ausgerichtet 09.12.2024 Georg-August-Universität Göttingen 23 Homo Oeconomicus Adam Smith: Wealth of Nations (1776) “…a certain propensity in human nature…to truck, barter, and exchange one thing for another” (Book I, Ch.2). Malinowski: Menschen maximieren nicht ihr Eigeninteresse ‚Der Trobriander‘ ≠ primitiver Marktakteur 09.12.2024 Georg-August-Universität Göttingen 24 Homo Oeconomicus, Kula und Finanzwelt „As much as the kula was a particular way to understand political economy in the Western Pacific, the ‚rationality‘ of homo economicus is just another version of this, not simply a human universal to be accepted without reflection.“ (Hart and Ortiz 2008: 3) 09.12.2024 Georg-August-Universität Göttingen 25 Take-Home Points Die Wirtschaftsethnologie befasst sich mit kulturspezifischen Formen wirtschaftlichen Handelns und Denkens. Wirtschaftliches Handeln ist dabei stets sozial und mit anderen Bereichen der Gesellschaft verknüpft: Verwandtschaft, Religion, Politik, Recht, Dinge/Objekte, Kosmologien, Ethiken, Beziehungen, Praktiken, Institutionen, Konzepten von Zeit und Ort, Theorien,… Unser marktwirtschaftliches Modell und die damit verbundene Idee eines autonom agierenden und zweckrational handelnden Individuums ist also nur eine Möglichkeit unter anderen und hat keine allgemeine Gültigkeit. 09.12.2024 Georg-August-Universität Göttingen 26 Nächste Vorlesung am 19. Dezember 2024 Marktwirtschaft: Von den Commons zur Finanzwelt 09.12.2024 Georg-August-Universität Göttingen 27 Bildquellen Deutsche Finanzinfrastruktur: Skyline von Frankfurt (Credits: Christian Wolf) Bankenturm: Copyright: IMAGO/Sven Simon Wasserbüffel: Flickr; Creator: Picasa Malinowski, Bronislaw. 2007. Argonauten des westlichen Pazifik. Frankfurt/Main: Syndikat. 09.12.2024 Georg-August-Universität Göttingen 28

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