Lektion 2: Fachgeschichte der Kommunikationswissenschaft (PDF)
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Universität Augsburg
Prof. Dr. Susanne Kinnebrock
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This document is lecture notes on communication theory and history. The lecture covers the foundations of communication science, discusses communication theories, and examines the history of communication. It also examines the interdisciplinary nature of communication studies.
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Lektion 2: Fachgeschichte Grundlagen der KW I: Kommunikationstheorien und -geschichte Prof. Dr. Susanne Kinnebrock Inhalt dieser Vorlesung Was ist Kommunikationswissenschaft und wo kommt sie her? 2. Gegenstand der Kommunikationswissenschaft a) Formalobjekt der Kommunikationswissenschaft b) Inter...
Lektion 2: Fachgeschichte Grundlagen der KW I: Kommunikationstheorien und -geschichte Prof. Dr. Susanne Kinnebrock Inhalt dieser Vorlesung Was ist Kommunikationswissenschaft und wo kommt sie her? 2. Gegenstand der Kommunikationswissenschaft a) Formalobjekt der Kommunikationswissenschaft b) Interdisziplinarität und Identität der Kommunikationswissenschaft c) Fachentwicklung der Kommunikationswissenschaft Vorläuferdisziplinen Zentrale Paradigmen und ihr Wandel Abgrenzung zu verschiedenen Wissenschaften der Mediengesellschaft Ziel: Orientierung über die Entwicklung und Inhalte der KW sowie über die Bezeichnungen von Nachbardisziplinen 2 a) Formalobjekt der Kommunikationswissenschaft Formalobjekt vs. Materialobjekt (Wagner 1997) Formalobjekt der Kommunikationswissenschaft: „Formalobjekte der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sind alle (medialen) Kommunikationsprozesse, insbesondere dann (aber nicht nur), wenn sie öffentlich stattfinden, inklusive der sozialen Bedingungen, unter denen sie zustande kommen, und der Folgen, die daraus für den Einzelnen und die Gesellschaft erwachsen“ (Burkart 2019: 359) Formalobjekt bzw. Erkenntnisinteresse der KW: Beschreibung und Erklärung von Kommunikation, v.a. von medial vermittelter, zumeist öffentlicher Kommunikation 3 b) Interdisziplinarität der Kommunikationswissenschaft Politologie Ökonomie Soziologie Geschichte Kultur- und Sozial- Medien- Kommunikation psychologie wissenschaften Psychologie Literatur- und Pädagogik Sprachwissenschaft Informatik 4 c) Fachentwicklung Zeitungskunde Zeitungswissenschaft Publizistikwissenschaft Kommunikationswissenschaft Journalistik Medienwissenschaft 5 c) Fachentwicklung Zeitungskunde (Bruch 1980) Hintergründe Presseaufschwung Entwicklung eines Werbemarktes Entwicklung von großen Verlagshäusern Entstehung des Journalistenberufs Fehlen einer institutionalisierten Journalistenausbildung Gründung des Leipziger Instituts für Zeitungskunde durch den Volkswirt Prof. Dr. Karl Bücher im Jahr 1916 Ziele „Erziehung eines Journalistenstandes“ „Vermittlung/Erforschung von Geschichte, Karl Bücher (1847-1930) Organisation, Statistik und Technik des Zeitungswesens“ 6 c) Fachentwicklung Zeitungswissenschaft (Wagner 1997; Averbeck & Kutsch 2002) Zeitung („Zeytung“) als Neuigkeit/Nachricht Zeitungswissenschaft als die Wissenschaft der Vermittlung von Neuigkeiten/Nachrichten über verschiedene Medien Institutsneugründungen (u.a. Leipzig 1919; München 1924; Berlin 1925) Zahlreiche Dissertationen über die historische Entwicklung von öffentlicher Kommunikation Geisteswissenschaftliche Methoden Emil Dovifat (Berlin): Fokus auf Journalismus und publizistische Persönlichkeiten Karl d‘Ester (München): Begründer der Münchner Schule (gesellschaftliche Kommunikation als Gespräch zwischen Repräsentanten von Gruppen, Differenzierung von Journalisten- und Publizistenrolle) Weitgehend ausgeblendet: Unterhaltungskommunikation Nutzungsforschung, Rezeptionsforschung, Wirkungsforschung Empirisch-sozialwissenschaftliche Herangehensweisen und Methoden 7 c) Fachentwicklung Publizistikwissenschaft (Löblich 2010; Stöber 2002; Bohrmann 2002) Publizistik: Aussagen und Botschaften zu aktuellem und faktualem Geschehen, die sich an die Öffentlichkeit richten Originäre vs. medial vermittelte Publizistik Erweiterung des Formalobjekts Einführung systematischer und funktionalistischer Perspektiven auf Publizistik (Walter Hagemann, Henk Prakke) Vorbereitung der Anschlussfähigkeit an systemtheoretische Sichtweisen Weitgehend ausgeblendet: Unterhaltungskommunikation Nutzungsforschung, Rezeptionsforschung, Wirkungsforschung Empirisch-sozialwissenschaftliche Herangehensweisen und Methoden 8 c) Fachentwicklung Kommunikationswissenschaft (Lowery & DeFleur 1995; Löblich 2010, Pürer 2014; Thiele 2015; Klaus & Seethaler 2016; Simonson & Park 2016) US-Traditionen: Umfrageforschung (Gallup-Institut) Propagandaforschung (Harold D. Lasswell) Experimentelle Persuasionsforschung (Carl I. Hovland) Kleingruppenforschung (Kurt Lewin) Wahlforschung (Paul Lazarsfeld) Mediennutzungs- und Konsumforschung (Herta Herzog) Radioforschung (u.a. Theodor Adorno) Grundlagen der empirischen Sozialforschung (Marie Jahoda) 9 c) Fachentwicklung Deutschsprachige Kommunikationswissenschaft im US-Exil Herta Herzog Marie Jahoda Paul Lazarsfeld Kurt Lewin Theodor Adorno (1910-2010) (1907-2001) (1901-1976) (1890-1947) (1903-1969) 10 c) Fachentwicklung Kommunikationswissenschaft (Lowery & DeFleur 1995; Löblich 2010, Pürer 2014; Thiele 2015; Klaus & Seethaler 2016; Simonson & Park 2016) Reimport von empirisch-sozialwissenschaftlichen Methoden und Forschungsdesigns (anfangs u.a. durch Elisabeth Noelle-Neumann, Universität Mainz) Fokussierung auf alle Lasswell‘schen Felder der Massenkommunikationsforschung (auch Nutzen-, Rezeptions- und Wirkungsforschung) Berücksichtigung von Unterhaltungskommunikation Berücksichtigung von Konvergenzmedien (wie Internet und Social-Media- Applikationen) und damit von Übergängen zwischen interpersonaler und öffentlicher Kommunikation Ausweitung von Formalobjekt und Materialobjekt 11 c) Fachentwicklung Journalistik (Meier 2018; Pürer 2014) Neugründungen von Instituten für Journalistik seit den 1970er Jahren Hintergrund: Fehlen einer akademischen Journalistenausbildung „Die Journalistik untersucht die Regeln und Arbeitsweisen des Journalismus und ‚analysiert in einem auf die Kommunikationsverhältnisse der Gesellschaft bezogenen Kontext, was Journalismus leistet und wie Journalismus wirkt und unter welchen Bedingungen er das tut.‘“ (Meier 2018: 19) Journalistik als Teil der Kommunikatorforschung (Pürer 2014) 12 c) Fachentwicklung Medienwissenschaft Vorläuferdisziplinen: v.a. Germanistische Literaturwissenschaft, Theaterwissenschaft, Film- und Fernsehwissenschaft „Medienwissenschaft versteht sich wegen ihrer Herkunft aus den Literaturwissen- schaften, der Theaterwissenschaft, der Volkskunde … und anderen geisteswissen- schaftlichen Fächern als eine Text- und Kulturwissenschaft.“ (Hickethier, 2003) Primäre Foki (v.a. in der Vergangenheit): Medienwissenschaft Kommunikationswissenschaft -Fiktives - Faktuales, Aktuelles -Unterhaltung - Information -Ästhetik - Inhalt -Interpretative Verfahren - (standardisierte) empirische Verfahren -Einzelphänomene - Trends 13 c) Fachentwicklung Zeitungskunde / Zeitungswissenschaft Publizistikwissenschaft Kommunikationswissenschaft Journalistik Medienwissenschaft 14 c) Fachentwicklung: Resümee Heute: Verschmelzung von Kommunikations- und Medienwissenschaft „Die Kommunikations- und Medienwissenschaft beschäftigt sich mit den sozialen Bedingungen, Folgen und Bedeutungen von medialer, öffentlicher und interpersonaler Kommunikation. Der herausragende Stellenwert, den Kommunikation und Medien in der Gesellschaft haben, begründet die Relevanz des Fachs. Die Kommunikations- und Medienwissenschaft versteht sich als theoretisch und empirisch arbeitende Sozialwissenschaft mit interdisziplinären Bezügen. […] Geschichte, Gegenwart und Zukunft der gesellschaftlichen Medien- und Kommunikationsverhältnisse stehen im Mittelpunkt von Forschung und Lehre.“ (Quelle: Selbstverständnispapier der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft) 15 Zum Nachbereiten: Leitfragen Was ist der Unterschied zwischen dem „Materialobjekt“ und dem „Formalobjekt“? Was kann man als das Formalobjekt der Kommunikationswissenschaft bezeichnen? Was kennzeichnet die Zeitungswissenschaft? Worin liegen die Unterschiede zwischen Publizistikwissenschaft und Kommunikationswissenschaft? Inwiefern beeinflusste das US-amerikanische Fach „Mass Communication“ den Übergang von der Publizistikwissenschaft zur Kommunikationswissen- schaft im deutschsprachigen Raum? Welche Rolle spielten Emigrant:innen? In welchem Verhältnis steht die Journalistik zur Kommunikationswissenschaft? Wo lassen sich die Unterschiede zwischen Kommunikationswissenschaft und Medienwissenschaft festmachen? 16 Literatur Averbeck, S., & Kutsch, A. (2002). Thesen zur Geschichte der Zeitungs- und Publizistikwissenschaft 1900-1960. Medien und Zeit, 17(2-3), S. 57-66. Bohrmann, H. (2002). Als der Krieg zu Ende war. Von der Zeitungswissenschaft zur Publizistik. Medien und Zeit 17(2-3), S. 12-33. Bruch, R. v. (1980). Zeitungswissenschaft zwischen Historie und Nationalökonomie. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der Publizistik als Wissenschaft im späten deutschen Kaiserreich. In: Publizistik, 25(4), S. 579-605. Burkart, R. (2019): Kommunikationswissenschaft. 5. Auflage. Wien/Köln/Weimar: Böhlau. DGPuK (2008): Kommunikation und Medien in der Gesellschaft: Leistungen und Perspektiven der Kommunikations- und Medienwissenschaft. Verfügbar unter: http://www.dgpuk.de/wp-content/uploads/2012/01/DGPuK_Selbstverstaendnispapier- 1.pdf. Hickethier, K. (2003). Einführung in die Medienwissenschaft. Stuttgart: J.B. Metzler. Klaus, E., & Seethaler, J. (2016). Crossing Borders. Herta Herzog’s Work in Communication and Marketing Research. In: P. Simonson & D. W. Park (Hrsg.) The International History of Communication Study (S. 237-255). New York / London: Routledge. Löblich, M. (2010). Die empirisch-sozialwissenschaftliche Wende in der Publizistik- und Zeitungswissenschaft. Köln: Halem. Lowery, S. A., & DeFleur, M. L. (1995). Milestones of Mass Communication Research (3. Auflage). White Plains, N.Y.: Longmans. Meier, K. (2018). Journalistik (4. Auflage). Konstanz: UVK/UTB. Pürer, H. (2014). Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (2. Auflage). Konstanz: UVK/UTB. Simonson, P., & Park, D. W. (2016). The International History of Communication Study. New York/London: Routledge. Stöber, R. (2002). Emil Dovifat, Karl d´Ester und Walter Hagemann. Die Wiederbegründung der Publizistik in Deutschland nach 1945. Medien & Zeit, 17(2-3), S. 67-84. Wagner, H. (1997). Erfolgreich Kommunikationswissenschaft (Zeitungswissenschaft) studieren. München: Fischer. 17