Historisches zur Didaktik PDF

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Universität Erfurt

Matthias Vonken

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didactics history of education university lectures education theory

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This document provides a historical overview of didactics, focusing on key figures and concepts. It includes discussions on different aspects of education theory and practice, offering insights into various perspectives on teaching and learning.

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Historisches zur Didaktik apl. Prof. Dr. Matthias Vonken Kleine Geschichte der Didaktik   (enkyklios paideia) › höhere Bildung der Bürger Athens › Ursprünglich: Unterrichtsfächer des griechischen Schulunterrichts › Fächer: › Grammatik (als Sprachtheorie, Linguistik, Interpre...

Historisches zur Didaktik apl. Prof. Dr. Matthias Vonken Kleine Geschichte der Didaktik   (enkyklios paideia) › höhere Bildung der Bürger Athens › Ursprünglich: Unterrichtsfächer des griechischen Schulunterrichts › Fächer: › Grammatik (als Sprachtheorie, Linguistik, Interpretation von Gedichten etc.) › Rhetorik › Dialektik (Kunst des Disputierens) › Arithmetik › Geometrie › Astronomie › Musiktheorie 2 Kleine Geschichte der Didaktik ›  (didaskein): lehren, unterrichten, aber auch lernen, unterrichtet werden ›  (didaxis): Lehre, Unterricht, Unterweisung ›   (didaktike techne): Lehrkunst › in allen Bereichen spiegelt „Didaktik“ also „Lehren“ und „Lernen“ wider › allgemein: Didaktik ist die wissenschaftliche Reflexion des Lehrens und Lernens 3 Johann Amos Comenius (1592-1670) › Grundsatz: “allen alles zu lehren” Aus: Die große Unterrichtslehre (Didaktika magna) › „Es ist offenbar, daß jeder Mensch geeignet ist, die Kenntnis aller Dinge zu erlangen (S. 12) › Der Geist eines in die Welt eintretenden Menschen wird sehr treffend mit einem Samen oder einem Kerne verglichen, obgleich darin die Gestalt der Pflanze oder des Baumes noch nicht vorkommt, so ist in ihm doch schon die Pflanze oder der Baum schon enthalten, wie dies sichtbar wird, wenn der in die Erde gelegte Same...“ (S. 13) › Der uns innewohnenden vernünftigen Seele sind Werkzeuge beigegeben,... wie Boten und Kundschafter: Gesicht, Gehör, Geschmack, Getast (S. 13 f.) › Dem Menschen ist auch die Wissbegierde eingepflanzt 4 Didaktika magna „Die Keime der Tugend sind dem Menschen angeboren Daß der Mensch Wohlgefallen an der Harmonie findet und ihr eifrig nachstrebt, ist überall leicht sichtbar (z. B. in der Freude am Schönen) Auch der Mensch selbst ist nichts als Harmonie... In den Bewegungen der Seele ist der Wille das Hauptrad.... Das Hemmschloß... ist die Vernunft, die abmißt und bestimmt.... Der Mensch ist... nichts anderes als Übereinstimmung (Ordnung, Sinn)“ (S. 18) 5 Didaktika magna Kritik der Schule „Bei der Unterweisung der Jugend wurde ferner meist eine so harte Erziehungsmethode angewendet, daß man die Schule gemeinhin als ein Haus des Schreckens für die Kinder und als Folterkammer der Geister ansah. Was in der sanftesten Weise den Gemütern eingeflößt und eingegossen werden könnte, das wird gewaltsam eingepreßt, eingestopft und eingestampft. Was deutlich und klar vor Augen gestellt werden könnte, das wird dunkel, verworren und verwickelt, gleichsam in Rätseln dargeboten.“ (S. 31) „Die Ordnung, die die oberste Idee der Kunst sein soll, allen alles zu lehren, soll und kann nicht anderswoher genommen werden als vom Walten der Natur. Treffend formuliert Cicero: ‚Wenn wir der Natur als Führerin folgen, werden wir nie auf Abwege geraten‘“ (S. 40) 6 Didaktika magna Grundsätze der „Natur“ › Die Natur achtet auf die geeignete Zeit (S. 46) › Die Natur bereitet den Stoff erst zu, ehe sie daran geht, ihm Gestalt zu geben (zuerst das Verständnis der Dinge und dann der sprachliche Ausdruck) › Die Natur wählt für ihre Verrichtungen ein geeignetes Subjekt (S. 49) › Die Natur verwirrt sich nicht bei ihren Werken, sondern geht streng geschieden in den einzelnen Stücken vorwärts. › Die Natur beginnt jede Verrichtung von innen heraus › Die Natur beginnt mit den Umrissen und hört bei den Einzelheiten auf (S. 52) › Die Natur macht keinen Sprung, sondern geht stufenweise vor › Wenn die Natur anfängt, so hört sie nicht auf, bis eine Sache vollkommen durchgeführt ist. 7 Didaktika magna Grundsätze der Leichtigkeit des Lehrens und Lernens › Die Natur nimmt einen Anfang nur so, daß sie Unwesentliches absondert. (S. 59) › Die Natur bringt erst den Stoff in die Lage, daß er für die Form brauchbar wird. › Die Natur führt alles aus den Anfängen heraus, die ihrem Umfang nach unbeträchtlich, aber stark an Kraft sind. › Die Natur schreitet vom Leichteren zum Schwierigen fort. › Die Natur überladet nicht, sie begnügt sich mit wenigem › Die Natur überstürzt sich nicht, sie geht langsam vorwärts. › Die Natur treibt nichts gewaltsam vorwärts, es sei denn, dass es, innerlich gereift, hervorzubrechen trachtet (S. 67). 8 „Orbis pictus“ (Die Welt in Bildern) › „Es steht aber fest, daß dies die Schulen tun: Daß sie mit anderer Leute Augen schauen und mit fremdem Verstande urteilen lehren!“ › „Die Handwerker treiben ihr Fach besser! Zeigt etwa der Zimmermann dem Lehrlinge beim Niederreißen eines Hauses die Kunst, ein solches zu bauen? Oh nein, beim Aufbauen erklärt er...Am Häusereinreißen hat noch niemand das Zimmererhandwerk, am Kleiderzerschneiden noch niemand die Schneiderkunst erlernt.“ (S. 80 f.) 9 Nicht für die Schule, sondern fürs Leben… › „Nichts … soll für die Schule allein gelernt werden, sondern alles fürs Leben, damit es nicht beim Austritt aus der Schule im Winde verfliege“ › Richtet sich an die Lehrer, nicht an die Schüler! 10 Definition Didaktik heute › Theorie des Lehrens und Lernens: › Begründung des Lehrens und Lernens (Lerntheorie) › Begründen von Inhalten des Unterrichts › Vorbereitung des Unterrichts › Durchführen des Unterrichts (Unterrichtsmethoden) 11 Didaktisches Dreieck 12 https://service.zfl.uni-kl.de/wp/glossar/didaktisches-dreieck Wolfgang Klafki – das Problem materialer oder formaler Bildung › Materiale Bildung: „objektive“ Inhalte, die zu lernen sind (Wissen) oder › Formale Bildung: Entwicklung der Persönlichkeit, der Fähigkeiten, Entfaltung der je eigenen Kräfte › Was soll Bildung leisten? Wer gilt als gebildet? 13 Was ist ein gebildeter Mensch? Jemand, der viel Wissen hat? Kim Jong Un hat einen Universitätsabschluss, Donald Trump auch… Jemand, der viel Wissen hat und es anwenden kann? Arno Funke (Kaufhaus-Erpresser „Dagobert“) hat IQ von >120 und baute komplexe Sprengvorrichtungen und Fluchtfahrzeuge… Ist Wissen vielleicht gar nicht das, was Bildung ausmacht? Bildung Bildung Zwei Traditionslinien: „cultura animi“ und „imago dei“ Cultura animi (Cicero): Verständnis des Menschen als ein Wesen, dessen Geist und Seele kultivierungsbedürftig ist Mensch soll deshalb Formung und Bildung seines Charakters anstreben Imago dei (Meister Eckhart): Bilden als gebildet werden durch Gott, nach dem Abbild Gottes. Die menschliche Seele wird gebildet im Sinne von „nachgebildet“. Bildung ist Prozess, auf den der Einzelne keinen Einfluss hat. Es ist nicht die Aufgabe des Menschen, sich zu bilden. Der Prozess wird von außen an den Menschen herangetragen. Mensch wird erst durch Bildung und Erziehung zu einem wirklichen Menschen Wilhelm von Humboldt „Der wahre Zweck des Menschen – nicht der, welchen die wechselnde Neigung, sondern welchen die ewig unveränderliche Vernunft ihm vorschreibt – ist die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen. Zu dieser Bildung ist Freiheit die erste und unerläßliche Bedingung. Allein außer der Freiheit erfordert die Entwickelung der menschlichen Kräfte noch etwas andres, obgleich mit der Freiheit eng Verbundenes: Mannigfaltigkeit der Situationen. Auch der freieste und unabhängigste Mensch, in einförmige Lagen versetzt, bildet sich minder aus.“ Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen (1791/92) Wilhelm Flitner „Der Sinn (...) der Bildung in der Adoleszenz ist doch der, den Menschen in Stand zu setzen, daß er dauernd sich in der Kulturwelt zurecht finde, daß er eine dauernde und gültige Auseinandersetzung mit der Kultur vollziehe“ Bildung ist „jenes Geschehen, das die Entfaltung des Menschen zu einem wachen Geist enthält, der sich selbsttätig in die Produktion der menschlichen Kultur hineinzustellen vermag. Dieser Prozeß der Bildung umfaßt nun das ganze Leben“ (Flitner 1922: Das Problem der Erwachsenenbildung) Bildung „Gebildet (...) wird jeder, der in der ständigen Bemühung lebt, sich selbst, die Gesellschaft und die Welt zu verstehen und diesem Verständnis gemäß zu handeln“ Deutscher Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen (1960): Zur Situation und Aufgabe der deutschen Erwachsenenbildung. Stuttgart: Klett. Das neue Verständnis von Bildung: Der Mensch wird nicht mehr gebildet, sondern er bildet sich selbst. Verantwortliches Handeln wird zum wichtigen Moment im Bildungsbegriff. Bildung bedeutet die umfassende und permanente Entwicklung des Menschen, die Entwicklung seiner Persönlichkeit durch sich selbst. Bildung „ganzheitliche“ Bildung des Menschen: „Gebildet ist nicht der Kopf, sondern der Mensch. Obwohl Bildung der Bücher bedarf und nicht ohne Anstrengung des Denkens entsteht, beruht sie doch wesentlich auf den unvertauschbaren eigenen Erfahrungen, die der einzelne auf allen Stufen seines Lebens macht, im Beruf und in der Gesellschaft, in Liebe und Familie, in der Begegnung mit dem Mitmenschen, mit sich selbst und nicht zuletzt mit Gott oder der letzten Instanz, von der er sich unausweichlich angefordert weiß. Er vermag nur durch solche Erfahrungen zusammen mit dem, was er erlernt und von anderen übernimmt, Gestalt zu gewinnen.“ (Deutscher Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen 1960) Zurück zu Klafki: Bildungstheoretische Didaktik › Materiale Bildung: Sach- und Inhaltsebene (z.B. Wissen) › Formale Bildung: Fähigkeiten, Persönlichkeitsbildung › Im Unterricht in Bezug auf didaktische Entscheidungen oft Widerspruch zwischen dem Anspruch materialer und formaler Bildung › Lösungsvorschlag: Kategoriale Bildung › Doppelseitige Erschließung von Subjekt und Objekt: › Der Mensch (Subjekt) erschließt sich die Welt über Kategorien (materiale Bildung) und wird für die Welt (Objekt) erschlossen (formale Bildung). › Folge: Bildungsinhalt muss sowohl gegenständlichen 21 Wert als auch formalen Bildungsgehalt besitzen. Klafki: Kritisch-konstruktive Didaktik › Kritik an bildungstheoretischer Didaktik: › Unterrichtsmethodik unterentwickelt (“Feiertagsdidaktik“) › Zu konservativ › Stabilisiert zu sehr bestehende gesellschaftliche Verhältnisse › Neufassung als „kritisch-konstruktive Didaktik“ › Anlehnung an Comenius („allen alles lehren“) 22 Klafki: Kritisch-konstruktive Didaktik › Ziele von allgemeiner Bildung › für alle: Chancengleichheit. › allseitig: ganzheitliches Lernen, am Schüler orientiert › durch das Allgemeine: „epochaltypische Schlüsselprobleme unserer kulturellen, gesellschaftlichen, politischen, individuellen Existenz“ (z.B. Frieden, Technologiefolgen, Menschenrechte etc.) › Zu erreichende Grundfähigkeiten: › Selbstbestimmungsfähigkeit › Mitbestimmungsfähigkeit › Solidaritätsfähigkeit 23 Klafki: Perspektivenschema zur Unterrichtsplanung („Didaktische Analyse“) Zu unterrichtende Inhalte werden untersucht auf 1. Gegenwartsbedeutung 2. Zukunftsbedeutung 3. Exemplarische Bedeutung 4. Thematische Struktur 5. Erweisbarkeit (‚Überprüfbarkeit‘) 6. Zugänglichkeit und Darstellbarkeit 7. Methodische Strukturierung 24 Lerntheoretische Didaktik › Kritik an Klafki: › „Bildung“ hilft nicht in Unterrichtspraxis › Didaktik nur als Begründung von Unterricht hilft nicht beim Unterrichten › Gegenentwurf von Paul Heimann: „Berliner Modell“ bzw. „lerntheoretische Didaktik › Empirische Analyse von Strukturen und Faktoren von Unterricht 25 Lerntheoretische Didaktik › Grundprinzipien: 1. Interdependenz: Alle konstituierenden Momente beeinflussen sich gegenseitig. 2. Variabilität: Die Planung soll mehrere Möglichkeiten vorsehen, um auf unvorhergesehene Ereignisse (z. B. Schülerverhalten, Lehrerverhalten, Medien, usw.) eingehen zu können. 3. Kontrollierbarkeit: Die Einhaltung der vorgesehenen Entscheidungen soll nachprüfbar sein. Dies bezieht sich auf alle relevanten Unterrichtsfaktoren. Schulz zur Wiesch, Helge (2013): Unterricht planen mit System. Didaktische Bausteine für den handlungsorientierten Unterricht ; mit vielen Hinweisen zur inklusiven Förderung. 1. Aufl. Dortmund: Verl. Modernes Lernen. S. 28 26 Lerntheoretische Didaktik Ebd. 27 Lerntheoretische Didaktik › Eigentlich zur Analyse von Unterricht entwickelt › Als Didaktik (also umgekehrt zur Vorbereitung von Unterricht) nur bedingt zu gebrauchen. › Weiterentwicklung von Wolfgang Schulz zum „Hamburger Modell“ bzw. zur „Lehrtheoretischen Didaktik“ 28 Lehrtheoretische Didaktik › Politisch-emanzipatorischer Ansatz › Stärkere Konzentration auf Unterrichtsplanung › Planungsebenen 1. Perspektivplanung 2. Umrissplanung 3. Prozessplanung 4. Planungskorrekturen › Alle Planungsschritte sollten in enger Abstimmung/Kooperation mit den Schüler*innen passieren › Eher Utopie als praktisch umsetzbar 29 ‚Vermächtnis‘ der Modelle Die einzelnen Schritte des Berliner bzw.ƒ des Hamburger Modells sind heute noch Grundlage von Unterrichtsplanung: Bedingungsanalyse Strukturanalyse Anthropogene und soziokulturelle Voraussetzungen (Vorsicht!) Ganzheitlichkeit Sozialform, Aktionsform Medien 30 Lernzielorientierte oder Curriculare Didaktik › Entwickelt u.a. von Robert Mager (USA), in Deutschland vor allem Christine Möller (RWTH Aachen) › „Wer nicht genau weiß, wohin er will, braucht sich nicht zu wundern, wenn er ganz woanders ankommt!“ (Mager) › Planung von Unterrichtseinheiten anhand von Lernzielen › Lernziele müssen für Planung auf verschiedenen Ebenen definiert werden › Enthalten konkret definierte Verhaltensweisen › Lernkontrolle anhand der Kontrolle des Erreichens der Ziele › Moderne Variante: Constructive Alignment › Heute in Berufsbildung, Weiterbildung und Hochschulbildung noch aktuell 31

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