Biopsychologische Grundlagen - Bachelor Soziale Arbeit - PDF

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Professional School

2024

Dr. R. Mario Fox

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biopsychology evolutionary psychology human behavior social work

Summary

This document provides notes on biopsychological foundations for a Bachelor of Social Work course in 2024. It covers topics like evolutionary pressures, sexual selection, and brain function, relating them to human behavior. The summary is a set of lecture notes that explain concepts in biopsychology for Social Work students.

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Bachelor Soziale Arbeit Dr. R. Mario Fox Biopsychologische Grundlagen BA SozA F6.1 Skript 15.11./16.11.2024 Die Skripte der Weiterbildenden Studiengänge der Professional School dürfen nicht ohne Genehmigung der einzelnen Autoren an Dritte weitergegeben bzw. in irgendeiner Weise vervielf...

Bachelor Soziale Arbeit Dr. R. Mario Fox Biopsychologische Grundlagen BA SozA F6.1 Skript 15.11./16.11.2024 Die Skripte der Weiterbildenden Studiengänge der Professional School dürfen nicht ohne Genehmigung der einzelnen Autoren an Dritte weitergegeben bzw. in irgendeiner Weise vervielfältigt oder in Form von elektronischen Medien verbreitet werden. Bei Verwendung einzelner Teile in Form von Zitaten ist auf die angegebenen jeweiligen Quellen hinzuweisen bzw. die Skriptenreihe des Weiterbildenden Studiengangs - unter Nennung des jeweiligen Verfassers - in wissenschaftlich korrekter Form als Quelle anzugeben. Andere als die von den jeweiligen Verfassern formulierten Teile des Skriptes sind ausschließlich zu Zwecken der wissenschaftlichen Weiterbildung zusammengestellt worden. © 24-09-04 Fox Biopsychologische Grundlagen Leben ist das, was passiert, während wir mit anderen Plänen beschäftigt waren (John Lennon) oder Aller Dinge Vater ist der Widerstreit (bzw. Widerspruch, Konflikt, Problem, Heraklit, vor zirka 2500 Jahren) oder Ich weiß, dass ich nicht weiß (im Sinne von: nichts Endgültiges wissen kann, bzw. noch nicht weiß, bzw.: unser Wissen ist stets begrenzt, Sokrates, vor zirka 2500 Jahren) Dr. Fox, 2024 0 Biopsychologie Biopsychologie untersucht die biologischen Bedingungen der psychologischen Phänomene; da es der Psychologie um die Erforschung des menschlichen Erlebens und des resultierenden Verhaltens geht, erforscht die Biopsychologie die körperlichen Trägerprozesse des menschlichen Erlebens und Verhaltens. Das körperliche Organ der psychischen Funktionen, die das Verhalten generieren, ist das Gehirn. Daher sind die neuronalen Aktivierungen und neuronalen Netzwerke im Gehirn, die das menschliche Erleben und Verhalten begleiten, ein wesentliches Untersuchungsthema der Biopsychologie. Da sich jedwedes Leben unter den Bedingungen der Evolution entwickelt, wären die evolutionären Prozesse, die das menschliche Erleben und Verhalten formen, ein weiterer zentraler Untersuchungsansatz der Biopsychologie. Dr. Fox, 2024 1 Agenda Grundbedingungen der menschlichen Existenz Sexuelle Evolution Evolution Grundprobleme der sexuellen Lebensbewältigung Bedingungen der menschlichen Informationsverarbeitung und Wahrnehmung unter den Eigentümlichkeiten des Gehirns Funktionsweisen des Gehirns Konstruktionen unseres Gehirns Selbstkonzept als Meta-Meta-Repräsentation Das Gehirn-Geist-Problem: Emergenzphänomene Bewusstheit und Mitteilungsebenen Grundsätzliches über die Kommunikation Konstrukte, die das Gehirn zur Lebensbewältigung erzeugt Kommunikative Konfliktlösestrategien Dr. Fox, 2024 2 Grundbedingungen der menschlichen Existenz Evolutionäre Bedingungen, natürliche und sexuelle Selektion- künftig wahrscheinlich auch die gentechnologische Selektion Das Grundproblem aller lebender Organismen: Angesichts der Endlichkeit jedweden Lebens ein möglichst langes Überleben zu sichern in einer per se unsicheren Welt, also Unsicherheiten zu reduzieren im Wissen, dass es eine absolute Sicherheit nicht geben kann; Intelligenz wäre dann die Fähigkeit, dieses Grundproblem hinreichend zu bewältigen Die elaborierte Fähigkeit des Lernens und die Entwicklung von Intelligenz Lern-Bedingungen durch die spezifisch menschliche Lebensbewältigung mit symbolischen Werkzeugen wie Sprache, Selbstkonzept, Bewusstsein und freie Entscheidung – und das, obschon es keine zentrale Kontrollinstanz gibt, keine Konvergenz im Gehirn, die das Selbst verorten würde Die menschliche Kultur als Beschleuniger evolutionärer Prozesse Bedingungen durch die Sozialität des Menschen (Sozialpsychologie) Dr. Fox, 2024 3 Grundbedingungen der menschlichen Existenz Leben im mesoskopischen Raum, umringt von makro- und mikroskopischen Räumen, die für uns nicht anschaulich werden; durch Filterprozesse verarbeitet der Mensch nur ein kleines Spektrum von Sinnessignalen des ihn umgebenden Raumes Bedingungen der menschlichen Wahrnehmung Und: Das, was wir wahrnehmen und wissen, ist winzig im Vergleich zu dem, was wir nicht wahrnehmen und wissen; wir wissen nicht mal, was wir nicht wissen (Sokrates) Leben im Grundwiderspruch zwischen Subjektivität und Objektivität der Weltwahrnehmung und Informationsverarbeitung Leben in der Balance zwischen Autonomie und Abhängigkeit; zwischen Freiheit und Determiniertheit; zwischen Überschaubarkeit und Komplexität; zwischen Plan und Selbstorganisation; zwischen Ordnung und Chaos nur die Resultate der Informationsverarbeitung werden uns bewusst, nicht die Funktionsweisen; das Gehirn verarbeitet Informationen nach Regeln, die wir nicht selbst aufstellen Leben im Spannungsverhältnis zwischen physikalisch-chemischer Welt und symbolischer, durch Sprache konstruierter Welt Dr. Fox, 2024 4 Sexuelle Evolution Vielerlei Konflikte beginnen damit, dass es den Menschen in verschiedenen Geschlechtern gibt Vielerlei Konfliktlösungen beginnen damit, dass es den Menschen in verschiedenen Geschlechtern gibt Sexualität ist der Treiber von evolutionären Entwicklungen, da sich durch geschlechtliche Sexualität – anders als bei der ungeschlechtlichen Fortpflanzung durch Zellteilung, die ja nur identische Kopien herstellt- zwei unterschiedliche Genome austauschen können; das bewirkt ein neu zusammengesetztes Genom des Nachfahren und das bewirkt wiederum Veränderung, also Evolution. Dr. Fox, 2024 5 Evolution: Was ist das? Evolution beschreibt die Entwicklung oder den Veränderungsprozess von Lebewesen: Organismen, die sich reproduzieren (fortpflanzen) können, verändern sich durch die permanente Reproduktion (Fortpflanzung), denn dabei auftretende zufällige oder durch externe Reize (z. B. durch Strahlung) ausgelöste Mutationen (Veränderung von Genabschnitten im Genom), die dem Organismus zufällig Vorteile verschaffen in der Adaption (Anpassung) an das sich verändernde Biotop (Umgebung), verbessern die Überlebenschance des Organismus und damit seinen Reproduktionserfolg. Evolutionäre Entwicklungen müssen sich stets an Naturgesetzmäßigkeiten anpassen, die unter bestimmten Umweltbedingungen herrschen; verändern sich diese Umweltbedingungen erlangen die Mutationen, die an diesen neuen Bedingungen besser angepasst sind, einen evolutionären Vorteil. Erfolgreiche Mutationen, also Veränderungen, die das Überleben verbessern helfen, setzen sich eben durch die verbesserten Reproduktionschancen gegenüber ihren weniger adaptiven Vorläufern durch: Das ist der Prozess, den Charles Darwin natürliche Selektion (Auslese) nennt. Die erfolgreichsten Mutanten überleben am besten und deren Nachkommen verbreiten dann eben diese erfolgreichen Mutationen weiter. Sexuelle Selektion meint eine innerartliche Auslese, die im unterschiedlichen Fortpflanzungserfolg zwischen Mitgliedern desselben Geschlechts diejenigen körperlichen Merkmale bevorteilt, die im Kampf um den Paarungserfolg überlegen sind. Dr. Fox, 2024 6 Evolution Evolution: natürliche Entwicklung der Arten; weil sich Biotope permanent verändern, müssen sich Arten, die in diesen Biotopen überleben wollen, diesen Veränderungen anpassen. Nur wer überlebt, kann Sex haben, also seine genetischen Merkmale weitergeben, die die bessere Anpassungsleistung ermöglicht haben- das meint „Survival of the Fittest“ und nicht etwa „des Stärkeren“, sondern eher des „Cleversten“ oder des „Freundlichsten“, weil eher der Freundliche, der Kooperation verspricht, als Sexualpartner gewählt wird. Evolutionäres Ziel ist nicht vorrangig das Überleben des Einzelnen, sondern das der Gruppe; somit ist die Kooperationsfähigkeit eine evolutionär wirkmächtige Überlebensstrategie. Evolution beschreibt und erklärt die permanente Entwicklung der Arten. Evolution erklärt nicht den Ursprung des Lebens, sondern lediglich dessen Fortentwicklungen. Evolution reagiert vor allem auf permanente Probleme; wer diese Probleme am besten löst, überlebt und kann sein Genom in die nächste Generation hineintragen. Evolution ist kein gerichteter, sondern ein dynamischer nichtlinearer Prozess; alle evolutionären Prozesse verlaufen komplex, das heißt nicht vorhersehbar in ihren Resultaten und auch nicht in ihren zeitlichen Abläufen; Komplexität benennt ein Gesamtsystem, dass aus Charles Darwin‘s on the origin of species Subsystemen besteht, die sich wechselseitig durch Rückkopplungen veränderte am 24.11. 1859 die Welt der beeinflussen und daher das Gesamtsystem stets instabil halten und nur Wissenschaft unumkehrbar temporär begrenzte Gleichgewichte zulassen, wodurch Dynamik und Veränderung erst möglich werden. Evolution ist ein stochastischer Prozess, er kennt kein Ziel; zufällige Mutationen, die bei veränderten Umweltbedingungen einen adaptiven Vorteil bewirken, reproduzieren sich eben wegen des adaptiven Vorteils häufiger; die Evolution „weiß“ nichts, hat keinen „Plan“, es läuft nicht auf etwas hinaus, was vorher schon geplant wäre; Evolution ergibt sich… Dr. Fox, 2024 7 Evolution Eine hinreichende Variabilität der Merkmale Mutationen, Veränderungsmöglichkeiten von Genabschnitten (ausgelöst auch durch zufällige Kopierfehler) Veränderungen der Umweltbedingungen evolutionäre Prozesse laufen immer dann ab, wenn vorliegen Reproduktionsmöglichkeiten Natürlicher und sexueller Selektionsdruck (künftig auch gentechnologischer) Dr. Fox, 2024 8 Evolution und Fehlerkultur Neben der Variabilität und permanenten Veränderungen der Umweltbedingungen sind auch Fehler Treiber der Evolution. Mutationen sind ja zufällige, also spontan bzw. chaotisch auftretende oder durch äußere Bedingungen (z.B. UV-Strahlung, u.a.) ausgelöste Kopierfehler in der DNA und wenn die daraus resultierende Genexpression bei sich verändernden Umweltbedingungen dann einen Vorteil für Anpassungsleistungen erbringen sollte, setzt sich diese mutierte neue Variante gegenüber den vorhandenen letztlich durch, bis neue Mutationen, also neue Fehler beim Ablesen bestimmter Genabschnitte im Genom, neue Verbesserungen in der Anpassungsleistung ermöglichen. Somit sind Mutationen die unabdingbare Voraussetzung für die Vielfalt der Arten (Biodiversität). Evolution wird also auch durch Fehler in Gang gesetzt. Anders gesagt: Würden keine Fehler passieren, gäbe es keine Entwicklung. Natürlich besitzen nicht alle, sondern nur wenige, nicht vorhersehbare, zufällige Fehler das Potenzial für verbesserte Anpassungsleistung, aber ohne Fehler gäbe es keine Notwendigkeit für irgendeine Veränderung: Fehlerlosigkeit stabilisiert den Status quo, erst Fehler, die sich später als Vorteil entpuppen, ermöglichen Veränderungsprozesse. Neben der natürlichen Selektion, gibt es ja auch die kulturelle Evolution, die Evolution der Meme (Informationseinheiten); auch hier gilt: Lernen erfolgt aus Fehlern, wobei man aus Fehlern eben lernen und sie nicht wiederholen sollte; dabei ermöglicht natürlich nicht jeder Fehler zwangsläufig Lernerfolge und schwerwiegende Fehler können auch das Ende einläuten; Fehler sollten also weder verdammt noch gefeiert werden, sondern, soweit möglich, genutzt werden für Verbesserungen in der Lebensbewältigung. Seneca(vor 2000 Jahren): Errare humanum est, sed in errore perseverare diabolicum Dr. Fox, 2024 9 DEFINITION: Evolution Der Prozess der Evolution wird dann in Gang gesetzt, wenn zufällige Mutationen im Genom zu Veränderungen von solcherlei Merkmalen führen, die den Organismus unter veränderten Umweltbedingungen adaptiver machen, also fitter für das Überleben, überlebensfähiger machen im jeweilig zugewiesenen Biotop. Dr. Fox, 2024 10 Evolution: Wichtige Auslöser für Selektionsdruck (vgl. Johannes Krause, 2019) Aufrechter Gang, Homo erectus vor etwa 1,9 Millionen Jahren, der erste Urmensch, der Afrika verließ, außerhalb Afrikas in Eurasien dann aber ausstarb; aus den in Afrika verbliebenen Urmenschen des Homo erectus gingen vor etwa 600 000 Jahren die Linien hervor, aus denen dann vor etwa 420 000 Jahren die Neandertaler und Denisovaner und schließlich vor etwa 220 000 Jahren der moderne Homo sapiens hervorgingen ( erste Frühformen gab es wahrscheinlich schon vor 300 000 Jahren in Afrika, als dort verschiedene Homo- Arten lebten und sich genetisch vermischten). Alle Menschen sind daher genetisch gesehen Afrikaner, heute haben alle Menschen auf der Erde zu etwa 98% gleiche Gene, daher gibt es auch keine sog. Rassen, sondern lediglich Populationen, die sich genetisch kaum unterscheiden; vorfindbare Unterschiede sind dann eher kultureller Art; unter den etwa drei Milliarden Positionsmöglichkeiten des menschlichen Genoms gibt es keinerlei fixierte (!) genetische Unterschiede etwa zwischen Europäern und Bewohnern anderer Kontinente; es gibt es also keine populationsspezifischen genetischen Marker, gleichwohl es natürlich genetische Variabilität mit fließenden Übergängen zwischen lokal näherliegenden Populationen gibt; die gleichen Unterschiede gibt es aber überall, in allen Populationen, und sie sind eben nicht jeweils spezifischen Populationen vorbehalten. Die Hautfarben unterscheiden sich sichtbar, vor allem wenn man Bewohner des Südens mit solchen des Nordens vergleicht; die jeweilige Pigmentierung ist vor allem abhängig von der jeweiligen Möglichkeit, Vitamin D aufzunehmen: Wer als Ackerbauer im sonnenlichtärmeren Norden lebte und sich nicht von Vitamin D- reichen Fisch und Fleisch ernährte, brauchte eine hellere Haut, die mehr Sonnenlicht durchließ und also die Vitamin D Versorgung sicherte; aber nur sehr wenige Gene stehen unter einem solch starken Selektionsdruck. Und es ist eben nicht so, dass -wie Rassisten behaupten- die Gene, die die Pigmentierung bedingen, irgendwie mit spezifischen anderen genetischen Informationen korrelieren; also sagt die Hautfarbe nichts über ein anderes Merkmal aus. Merke Dr. Fox, 2024 Menschliche Rassen gibt es nicht, der Begriff Rasse ist ein Begriff von Rassisten! 11 Evolution: wichtige Auslöser für Selektionsdruck (vgl. Johannes Krause, 2019) plötzliche natürliche Klimaveränderungen, verursacht durch beispielsweise Eiszeiten (Erdzeitalter des Pleistozän seit etwa 2,4 Millionen Jahren), Vulkanausbrüche (der Ausbruch des Supervulkans der Phlegräischen Felder am Vesuv vor rund 39 000 Jahren, der heftigste seit 200 000 Jahren in Europa, ließ die damalige Eiszeit nochmals drastisch abkühlen, vernichtete die Lebensgrundlagen vor allem in Süd- und Osteuropa und beschleunigte so wahrscheinlich das Ende des Neandertalers), Beginn des Erdzeitalters des Holozän vor etwa 11 700 Jahren mit deutlicher andauernder Erwärmung, was im Nahen Osten zur neolithischen Revolution führte: aus Jäger und Sammler wurden Ackerbauern und Viehzüchter. Auswanderungen, vor etwa 50 000 bis 70 000 Jahren wanderte der moderne Mensch aus Afrika nach Europa und Asien aus; Migrationen: Die in Europa seit etwa 40 000 Jahren ansässigen Wildbeuter vermischten sich mit aus Anatolien vor etwa 8000 Jahren eingewanderten Ackerbauern und dann noch mal drastisch vor etwa 5000 Jahren mit meist männlichen Einwanderern aus der Steppe Nordeurasiens (Osteuropa, Südrussland, Sibirien). Die heutigen Europäer sind also aus den drei genetischen Blöcken: Wildbeuter, anatolische Ackerbauern und Viehhirten aus der osteuropäischen Steppe genetisch zusammengesetzt. Neolithische Revolution vor zirka 12 000 Jahren (Ende der letzten Eiszeit) im sog. Fruchtbaren Halbmond skizziert das Ende der egalitären Wildbeuter -Kulturen und den Beginn der Agrikultur, also Ackerbau und Nutztierhaltung und damit der Sesshaftigkeit; daraus entwickelten sich die Zusammensetzung der üblichen Nahrung, die Anhäufung von Besitz, die Verteidigung des Besitzes durch Kriege, die eher die Männer führten, wodurch das Patriachat installiert wurde und die damit verbundene Geschlechterungerechtigkeit. Anders als bei den Wildbeuter-Kulturen, die ja permanent hinter ihrer Nahrung, den Wildtieren, hinterherwanderten, resultierte aus der zunehmenden Sesshaftigkeit der Agrar- Kulturen eine stets größere Angriffsfläche für Viren, Bakterien und Mikroben auf die Menschheit – was auch die zurückgehende Lebenserwartung erklärt- sowie eine mangelnde Ausweichmöglichkeit vor den durch steten Klimawandel bedingten Folgen einer erschwerten oder gar verunmöglichten Lebensbewältigung in angestammten Habitaten. Dr. Fox, 2024 12 Evolution: wichtige Auslöser für Selektionsdruck Bronzezeit mit Beginn vor zirka 5000 (heutiges Anatolien) bis 4000 (Mittelmeerraum) Jahren führte zur Entwicklung von Hochkulturen durch: verstärkte Anhäufung von Besitz, durch das Metall Bronze verbesserte Waffen zur Besitzverteidigung, verbesserte Werkzeuge, neue Produktionsweisen mit Arbeitsteilung, Ressourcen- und Machtkonzentration mit männlicher Dominanz, Zunahme von Kriegen- die verstärkte Anhäufung von Besitz stabilisiert das Patriachat Seuchen: Pest, Lepra, Pocken, Tuberkulose, Syphilis, Typhus, Malaria, A/H1N1, Covid19, etc. Diese „modernen“ Seuchen konnten sich erst mit der beginnenden Sesshaftigkeit des Menschen im Neolithikum rasant ausbreiten; Jäger und Sammler in einer durchschnittlichen Gruppengröße von etwa 20 bis 30 Personen waren für Viren und Bakterien bei einer so kleinen Anzahl von potentiellen Wirten nicht geeignet für eine massenhaften Ausbreitung; erst als vor zirka 12 000 Jahren Menschen begannen, sich zu Hunderten und Tausenden an einem Ort niederzulassen, wurden sie als Wirte für die Überträger von Seuchen interessant. Auch die Sprech- und Sprachfähigkeit übt einen Selektionsdruck aus; durch verbesserte Sprachfähigkeit können auch größere Gruppen koordiniert werden, was die Sicherheit, den Nahrungserfolg und die Gesundheit/ Robustheit (durch Reduktion von Inzucht und Erbkrankheiten) begünstigt. Neandertaler waren wohl auch sprechfähig, denn nur so wäre deren bereits hochentwickelte Kultur erklärbar, sie waren aber dennoch dem Homo sapiens in dessen elaborierter Sprechfähigkeit unterlegen und daher dem Selektionsdruck auf Dauer nicht gewachsen und gingen im Verlaufe der sehr langen (mindestens über 30 000 Jahre) gemeinsamen Habitats-Aufenthaltsdauer in die Spezies Homo sapiens auf. Dr. Fox, 2024 13 Evolution: wichtige Auslöser für Selektionsdruck SEXUALITÄT und IMMUNSYSTEM: Ab dem Zeitpunkt von vor etwa 12 000 Jahren geriet auch das menschliche Immunabwehrsystem unter Selektionsdruck und das spezifische bzw. erlernte Abwehrsystem entwickelte mehr oder weniger erfolgreiche Gegenstrategien; erfolgreich sind Immunabwehrsysteme umso mehr, je mehr sich Populationen in ihrem Genpool vermischen, also umso mehr Sexualität zwischen zunächst fremden Populationen praktiziert wird. Das Durchmischen von Populationen lässt eine größere genetische Bandbreite entstehen, die auch für den adaptiveren, weil stärker rekombinierten Aufbau von Immunabwehrsystemen genutzt werden kann; insbesondere profitiert davon neben der angeborenen, unspezifischen Immunantwort die erlernte, spezifische Immunreaktion. Afrikaner besitzen im Vergleich zu allen anderen Menschen eine breitere genetische Vielfalt ihrer Genabschnitte, die den Aufbau von Immunabwehrsystemen steuern; auch besitzen sie keine Neandertalgene, die wohl die Immunabwehr einerseits stärken können, andererseits bei bestimmten Seuchen (z.B. Covid) aber eher schwächen; andere als afrikanische Populationen weisen zu etwa 2% solche Genabschnitte aus dem Genpool der Neandertaler auf. Bereits vor zirka 60 000 Jahren hatte der moderne Mensch in Gebieten des Nahen Ostens auch Sex mit Neandertalern, was zu Hybrid- Nachkommen führte und darüber dann dazu, dass alle Menschen außer Afrikaner Genomabschnitte von Neandertalern besitzen; diese Abschnitte werden nach dem Aufgehen der Spezies der Neandertaler in die Spezies Homo sapiens mit jeder nachfolgenden Generation nun immer kürzer, was dann durch entsprechende DNA- Analysen das Alter von gefundenen Skeletten ziemlich genau bestimmen lässt. Dr. Fox, 2024 14 Evolution Mutationen als Antrieb der Evolution entstehen zunächst zufällig und unterliegen dann einem permanenten Praxistest nach dem Kriterium der besseren Adaptionsmöglichkeit evolutionäre Prozesse verlaufen konservativ: Problemlösungen schaffen Strukturen, die sich so lange halten, bis sie sich unter dem Selektionsdruck als maladaptiv erweisen; allerdings beschleunigen sich Evolutionsprozesse seit zirka 40 000 Jahren, vor allem bei der Rekombination der Immunabwehr und der Stressreaktionen (Zeitalter des Aurignacien, rapide Entwicklung von Kunst und Kultur mit Zentrum im heutigen Süddeutschland, bedingt durch eine Einwanderungswelle nach Europa von Menschen aus dem Nahen Osten) evolutionäre Prozesse sind stets ökonomisch, d. h. es werden keine unnützen oder zurzeit nicht brauchbare Kapazitäten geschaffen evolutionäre Prozesse schaffen immer wieder neue emergente Systeme, d.h. Systeme, die komplexer sind als die, aus denen sie hervorgehen und durch Restrukturierungen in eine neue Qualität umschlagen Die Kultur ist die erfolgreichste Anpassungsleistung der Menschheit Dr. Fox, 2024 15 Evolution das Gehirn ist ein Problemlösungsorgan und dabei kein Ingenieur- Meisterwerk, sondern in historischen Prozessen eher als Flickwerk entstanden, das ständig am Rande des Chaos versucht, Problem zu lösen, ohne dabei über zentrale Kontrollmechanismen zu verfügen das Gehirn verarbeitet Informationen nach dem Hauptkriterium der Nützlichkeit für das Überleben; das Gehirn ist also ein „Überlebensorgan“ das Gehirn versucht aus den eingehenden Sinnesdaten Hypothesen über die Welt da draußen zu entwerfen und Prognosen zu entwickeln hinsichtlich der Überlebenswahrscheinlichkeit bei Realisierung des aufgrund der Hypothesen empfohlenen Verhaltens; die daraufhin eingehenden Sinnesdaten lassen als Feedbackinformation die Prognose dann bestätigen oder bei Fehlerbewertungen diese dann eben präzisieren; so führen Fehler dann auch zu permanent verbesserten Anpassungsleistungen das Gehirn arbeitet in seinem Normalzustand, dem Default-Modus, als eine Art Prognosegenerator die meisten Probleme, die ein menschliches Gehirn zu lösen hat, sind soziale Probleme; soziale Probleme sind stets komplexer (nicht komplizierter!) Art und daher kaum durch KI zu lösen; KI kann komplizierte Probleme effektiver lösen als das menschliche Gehirn; aber das Gehirn kann effektiver komplexe Probleme lösen, da es auch mit assoziativen Verknüpfungen, mit Heuristiken, mit Intuition arbeiten kann (vgl. Gerd Gigerenzer). Dr. Fox, 2024 16 Evolution Endzweck jeglicher Informationsverarbeitung im Gehirn ist stets Motorik bzw. adaptives Verhalten; Kognitionen dienen der Entwicklung von Handlungsstrategien; dabei entwickeln sich Kognitionen und Motorik im Zusammenspiel (beispielsweise bedingen sich Handmotorik und Kognitionen wechselseitig= Be-Greifen; mit Hand- und Mundmotorik erfahren Kleinkinder erstmals, dass sie etwas steuern können; mit der selektiven Wahrnehmung auch über Augenbewegungen steuern sie, was sie wahrnehmen wollen; durch diese Erfahrung der Abgrenzung zur Welt entsteht die erste komplexe Metakognition des eher körperorientierten Ich- Bewusstseins, aus dem dann später durch selbstreferenzielle kognitive Prozesse das sozial, ethisch und kooperativ orientierte Selbst-Konzept konstruiert wird) Kognition hat sich dabei als ein effizientes und effektives Mittel der Problemlösung evolviert, weil es der prinzipiellen Unvorhersehbarkeit evolutionärer Prozesse und zeitlicher Abläufe, also der Heterogenität von Umweltereignissen und dadurch ausgelöstem neuartigen Selektionsdruck Rechnung tragen kann; in dem permanenten Kampf zwischen Beute und Räuber um die je effektivere Überlebensstrategie hat sich Kognition/ Intelligenz in Form des Nach- und Vordenkens und Kalkulierens der Absicht des anderen als besonders effektive Überlebensstrategie erwiesen die Evolution der Kognition ereignet sich durch die natürliche und sexuelle Selektion Dr. Fox, 2024 17 Grundprobleme der sexuellen Lebensbewältigung Exemplarische existenzielle Probleme im struggle for life Kampf ums Überleben im Konfliktfeld von Beute- und Greiferbeziehungen Kampf gegen Parasiten, ständiger wechselseitiger Strategiewechsel als Problemlösung (zum Beispiel durch geschlechtliche Sexualität), Kampf gegen Erkrankungen warum gibt es überhaupt die energieaufwändige geschlechtliche Sexualität ? Nachteil: energieintensiver und ressourcenverbrauchender (als die asexuelle Monogonie bei z.B. geschlechtslosen Einzellern, die lediglich zu identischen Kopien führt) Vorteil: Rekombinationen der Genome beider Eltern, dadurch entsteht eine große Variabilität von Merkmalen, was evolutionäre Prozesse provoziert; auch ermöglichen Rekombinationsmöglichkeiten von Merkmalsgruppen flexible und dadurch für die Feinde unvorhersehbare Konfliktlösungsstrategien, speziell im Kampf gegen Parasiten entstehen variable Immunabwehrsysteme und verbessern so die Überlebenschancen. Sexualität bzw. die sexuelle Reproduktion ist ein Treiber der Evolution; Sexualität beschleunigt also die Entwicklung zu immer komplexeren Lebensformen; dagegen bremst jede asexuelle Reproduktion evolutionäre Prozesse aus. Dr. Fox, 2024 18 Grundprobleme der sexuellen Lebensbewältigung Exemplarische existenzielle Probleme im struggle for life Kampf um Sexualpartner: „female-choice-theory“ fördert Konkurrenzstrategien unter Männchen (wohl auch unter Männern), was zur Kopplung neuronaler Netzwerke führt, die sowohl bei Sexualität wie auch bei Aggressionen aktiviert werden; da sich männliche Geschlechtspartner gegen männliche Konkurrenten durchsetzen müssen, ist eine Kopplung von Sexualität und Aggression (nicht deckungsgleich mit Gewalt!) adaptiv; außerdem braucht es schon eine Grundaggressivität, „einzudringen“, während „Eindringen Zulassen“ eher eine kluge Wahl („choice“) des Partners fördert. Grundsatzkonflikt der Sexualpartner: erfordert aufgrund unterschiedlicher Risikobewältigung hinsichtlich der unterschiedlichen Investitionen in den Nachwuchs unterschiedliche geschlechtsspezifische Bewältigungsstrategien und ein geschlechtsspezifisches Fehlermanagement: Männliche Partner eher aktionistisch, fürchten das Verpassen von Kopulationsmöglichkeiten; weibliche Partnerinnen eher zögerlich, fürchten die Wahl eines unzuverlässigen Partners; die unterschiedlichen Reproduktionsaussichten bzw. -erfolge (bei M hoch, max. bei rund 1100 ; bei W niedrig, max. ca. 24) sowie die ungewisse Vaterschaftssicherheit (bis zu 10% Unsicherheit in westlichen Kulturen) beeinflussen die geschlechtsspezifischen kognitiven Strategien und Problemlösungsstrategien Dr. Fox, 2024 19 Grundprobleme der sexuellen Lebensbewältigung Exemplarische existenzielle Probleme im struggle for life Partnerwahl: Weibliche Partnerinnen (W) suchen wie auch männliche Partner (M) den zuverlässigen Partner/-in; das heißt insbesondere bei W auch: den freundlichsten Partner, der also am ehesten versprechen lässt, bei der Aufzucht der Nachkommen dabei zu bleiben, gewissenhaft zu sein; unwichtigstes Kriterium: Konservatismus und Religiosität. M wählen attraktive, W intelligente und dominante Partner mit hohem Sozialstatus. W leben eher die serielle treue Partnerschaft mit einem Mann- bis der bessere kommt; M eher gleichzeitige Beziehungen zu mehreren Frauen, umso mehr, je höher ihr Status- das wiederum bedingt das Dilemma der weiblichen Partnerwahl (Karl Grammer) Partnerbindung: M eher eifersüchtig (Vaterschaftsunsicherheit) und kontrollieren den Reproduktionserfolg und das sexuelle Begehren ihrer W hins. anderer M; W bieten Treue an Testosteronprägung: Die Menge des Testosterons im Fruchtwasser während der 2. – 6. Schwangerschaftswoche bewirkt den Grad der „Vermännlichung“ des Individuums, ablesbar am Verhältnis Zeige- zu Ringfinger Dr. Fox, 2024 20 Grundprobleme der sexuellen Lebensbewältigung Exemplarische existenzielle Probleme im struggle for life bedingt auch geschlechtsspezifische Leistungsunterschiede (insgesamt aber gering): W eher feinmotorisch präziser (vor allem während der Ovulation) und beziehungsfähig, räumliche Orientierung an konkreten Landmarkern; M eher wettbewerbsorientiert und statusbehauptend, besser im gezielten Werfen, räumliche Orientierung eher abstrakt, besser in der räumlichen Zuordnung sich drehender Objekte Eltern-Kind-Konflikt (Robert Trivers): Konflikt um die Höhe des elterlichen Investments in die Fitness der einzelnen Nachkommen auf Kosten möglicher folgender Nachkommen (Reproduktionserfolg insgesamt), das bedeutet auch Geschwisterrivalitäten; die Nachkommen sind nicht nur passive Empfänger, sondern auch aktive Strategen Evolution begünstigt das Überleben in der Gruppe; und je größer (bis zur Anzahl von zirka 150, vgl. Robin Dunbar) die Gruppe, umso komplexer die sozialen Operationen und dadurch bedingt umso größer das Gehirn und die Lebensdauer (die Alten gelten als existenzsichernde Informationsspeicher), Gruppenselektion geht vor genetischer Selektion (George Williams) Dr. Fox, 2024 21 Grundprobleme der Lebensbewältigung Überformung der natürlichen Grundlagen durch erworbene kulturelle Ausrichtungen (Sozialisation) Kämpfe/ Kriege der Clans um knappe Ressourcen, vor allem hins. Nahrung und „Weibchen“ bei Polygynie Kampf gegen unwirtliche Verhältnisse in der Natur und Kultur Kampf um die angeblich „einzig wahre“ ethische oder moralische und religiöse Überzeugung Entwicklung aus der anfänglichen „Unmündigkeit des Menschen in seine Freiheit“ (Kant) als Erziehungsauftrag, Entwicklung aus der „Abhängigkeit“ in die „Autonomie“ Gene als Replikatoren treiben die Evolution an; es gibt aber auch die Evolution der Meme (Speicher kultureller Informationen, nach Richard Dawkins), die die kulturelle Entwicklung nach den Kriterien der Evolution beschreibt Merke Die meisten Probleme sind sozialer Art, daher ist das Gehirn als Lösungsgenerator vor allem sozialer Probleme eben auch ein soziales Organ (positive Korrelation zwischen Neokortexgröße und Gruppengröße). Im evolutionären Verlauf der Menschheitsgeschichte zeigt sich, das sich der Homo sapiens fortlaufend in immer größeren Gruppen organisiert hat, wobei die zunehmende Gruppengröße stets elaboriertere Kooperationsorganisationen erforderlich macht, was in Wechselwirkung das Anwachsen der menschlichen Intelligenz befördert. Die zunehmende Größe von Gruppen begünstigt dann auch Inklusion, also weniger Aus- und Abgrenzung anderer, und dadurch weniger Gewalt. Dr. Fox, 2024 22 Das menschliche Gehirn: zur Architektur Das Gehirn stellt das körperliche Organ der psychischen Funktionen dar; es generiert die neuronalen Trägerprozesse des menschlichen Erlebens und Verhaltens Im Gegensatz zur Architektur des Gehirns von Fischen, Vögeln und Reptilien, stehen dem Zentralnervensystem von Säugetieren als architektonische Bausteine nicht nur die sogenannte „graue Substanz“ (Nervenzellkörper) zur Verfügung, sondern auch die „weiße Substanz“ (Nervenfasern, Nervenverbindungen, Leitbahnen). Dadurch kann sich das Gehirn auch zu der Größe und dem Gewicht (beim Menschen etwa 1400 Gramm) entwickeln, welche für komplexere kognitive Fähigkeiten nötig scheinen. Allerdings scheinen die Regeln, wie das Gehirn neuronale Netzwerke knüpft, wie es also lernt, noch grundlegender für die Qualität kognitiver Leistungen zu sein als die bloße Größe; daher erklärt sich auch die relativ hohe Intelligenz bei Rabenvögeln und Tintenfischen. Dr. Fox, 2024 23 Das Gehirn: Funktionen Das Gehirn der Wirbeltiere hat fünf Funktionsbereiche (G. Roth, 2014) 1. Sicherung unserer biologischen Existenz durch vegetativ- autonome Vorgänge 2. Sensorik, Sinneswahrnehmung und - verarbeitung 3. Motorik, Bewegung 4. Kognitive Vorgänge 5. Emotional- motivationale Vorgänge, die sogenannten limbischen Funktionen als zentrale Bewertungsinstanzen Dr. Fox, 2024 24 Bedingungen der menschlichen Informationsverarbeitung und Wahrnehmung unter den Eigentümlichkeiten des Gehirns Wozu ist das Gehirn da? Zum Überleben, zum Anpassen an Umwelten, die permanent Problemfälle stellen Das Gehirn generiert permanent prognoseorientierte Problemlösungen, die auf Adaption zielen das Gehirn ist ein permanent arbeitender Zufallsmustergenerator, es generiert permanent komplexe räumlich-zeitliche Muster und Regelmäßigkeiten aus den Umweltstimuli, entwirft daraufhin Hypothesen über die „Welt da draußen“ und nutzt dann für die Verhaltensgenerierung diejenigen Prognosen, die aufgrund der bisher gemachten Lernerfahrungen bei der Problem- und Lebensbewältigung die besten Überlebenschancen versprechen; werden durch den dann erfolgten Sinnesdaten-Input Fehler der Prognose gemeldet, wird die Prognose durch diese Realitätsabgleichung präzisiert: Endzweck jeder Informationsverarbeitung ist also die stetige Verbesserung adaptiven Verhaltens Dr. Fox, 2024 25 Bedingungen der menschlichen Informationsverarbeitung und Wahrnehmung unter den Eigentümlichkeiten des Gehirns Das Gehirn generiert Modelle von der Welt das Gehirn arbeitet in seinem Normalzustand, dem sog. Default-Modus, als Prognosegenerator: Nur die nötigsten Informationen von außen und innen werden blitzschnell in bereits erstellte und bewährte Realitätsmodelle überführt und lassen dann das so bestätigte Modell bewusst wahrnehmen – dieses ist ein Entwicklungsprozess, da erst im Erwachsenenalter voll funktionsfähig; hier liegt auch der Grund für den weit verbreiteten Bestätigungsfehler, d.h. man sucht eher nach Informationen, die das erwartete Modell bestätigen als solche, die es in Frage stellen; Kinder nehmen chaotischer wahr, sie können sich schlecht konzentrieren, sind dafür aber kreativer Dr. Fox, 2024 26 Gehirn und KI Bedingungen der menschlichen Informationsverarbeitung und Wahrnehmung unter den Eigentümlichkeiten des Gehirns im Vergleich zu KI Der Begriff KI=Künstliche Intelligenz ist eigentlich falsch, denn es handelt sich dabei gar nicht um Intelligenz im eigentlichen Sinn; bei KI handelt es sich vornehmlich um Rechenvorschriften, müsste also KR heißen; da es sich bei KI um Simulationen menschlicher kognitiver Vorgänge handelt, sollte KI besser mit „Künstlicher Imitation“ übersetzt werden. Aber unbestritten könnte man mit KI menschliche Entscheidungen fundierter, informationsreicher machen. Da die Resultate der KI vernünftig erscheinen, wird sie oft anthropomorphisiert, also man billigt ihr eine menschenähnliche, vielleicht sogar menschenunabhängige eigene Existenz zu. Dabei würde man dann sogar einen weiteren Beurteilungsfehler machen, nämlich den der Reifikation, also dass man die KI nicht mehr für eine menschliche Konstruktion hält, sondern für eine menschenunabhängige, eigene Existenz, vielleicht sogar für eine eigenständige Macht, die eines Tages über die Menschheit herrschen würde. Bei der sogenannten KI handelt es sich lediglich um Simulationen problemlösender Prozesse der menschlichen Intelligenz und daher ist die sog. KI nicht identisch mit Intelligenz; Intelligenzleistungen von Organismen sind an Leib, an Biologie gebunden, sowie an soziale Lernerfahrungen, also an soziale Bedingungen, an eine soziale Umwelt, an fortwährende Kommunikation und Interaktion mit anderen; KI dagegen ist an Maschinen gebunden. Intelligenz kennt Absichten, Intentionen- KI gehorcht Rechenvorschriften und hat keine eigene Absicht. Computersimulationen des menschlichen Gehirns werden wohl niemals Bewusstsein erlangen, da die serielle Informationsverarbeitung des Computers nicht vergleichbar ist mit der parallelen sowie distributiven und konvergenten Informationsverarbeitung des Gehirns, das über unzählige Rückkopplungen eine in vielerlei Hirnarealen generierte und integrierte Information erstellt (vgl. das Modell der integrierten Information IIT nach Giulio Tononi, 2004). Das Gehirn bzw. neuronale Netzwerke nutzen zur Informationsverarbeitung auch assoziative Mechanismen- assoziatives Lernen- sowie emotionales Lernen; beides kann die lineare computergestützte Informationsverarbeitung nicht leisten. Dr. Fox, 2024 27 Gehirn und KI Das Gehirn arbeitet anders als der Computer oder die KI mit Unschärfen, es geht also nicht um „100% Richtig“, nicht um diskrete Werte, sondern um eine Einschätzung von Wahrscheinlichkeiten; es nutzt für seine Lebensbewältigung Heuristiken und nicht a priori festgelegte Rechenvorschriften oder Algorithmen. Im Gehirn sind anders als im Computer „Festplatte“ und „CPU“ identisch; Arbeitsspeicher und Prozessor sind nicht wie im herkömmlichen Computer getrennt, sondern im Gehirn - in den synaptischen Verbindungen - sind sie identisch und bedingen sich also nicht linear, sondern wechselseitig; dadurch ist das Gehirn schätzungsweise millionenfach energieeffizienter als der Computer. Neuronale Informationsverarbeitung ist daher stets komplexer als die informationsverarbeitenden Systeme, die es selber herstellt (KI); ein unterkomplexes bzw. kompliziertes System kann nicht ein überkomplexes bzw. komplexes System erklären und dadurch kontrollieren. KI wird wohl nie in der Lage sein, Bewusstheit oder gar Selbst-Bewusstheit auszubilden; das menschliche Gehirn bildet erst nach einer Vielzahl von stets rückgekoppelten und unberechenbar wechselseitig bedingenden Zwischenschritten der Informationsverarbeitung dann schlussendlich Bewusstheit aus; Selbstbewusstheit und Selbstreflexion wären die Voraussetzung für ein intentionales und potenziell ethisch orientiertes Handeln, was dem menschlichen Gehirn vorbehalten bliebe. Dr. Fox, 2024 28 Bedingungen der menschlichen Informationsverarbeitung und Wahrnehmung unter den Eigentümlichkeiten des Gehirns Die Muster, die sich als nützlich bei der Problembewältigung nach dem Kriterium der Erhöhung der Überlebenschance erweisen, werden in neuronalen Netzwerken repräsentiert und dort umso fester als Muster von Aktionspotentialen „engrammiert“, je häufiger sie mit Erfolg als Überlebensstrategie genutzt werden; das wäre das Lernen nach dem Modell der Langzeitpotenzierung (LTP) nach Donald Hebb sowie aktueller nach den Erkenntnissen des Nobelpreisträgers für Medizin (2000) Eric Kandel, der in seiner Forschungsarbeit zu Gedächtnisprozessen die neuronalen Vorgänge des Lernens und Erinnerns insbesondere bei LTP erforschte und feststellte, dass bei Langzeitpotenzierungen nicht nur die für die Informationsübermittlung notwendigen Neurotransmitter aktiviert werden, sondern diese Aktivierungen dann auch im Zellkern Prozesse der Proteinsynthese starten. Engramme (Gedächtnisspuren) sind die physiologischen und strukturellen Spuren, die eine länger andauernde Reizeinwirkung als dauernde strukturelle Änderung im Gehirn aufbauen, die Summe der Engramme (oder die neuronalen Netzwerke, synaptischen Verschaltungen) bildet das Gedächtnis Dr. Fox, 2024 29 Bedingungen der menschlichen Informationsverarbeitung und Wahrnehmung unter den Eigentümlichkeiten des Gehirns Das Gehirn sucht selten nach formal korrekten Lösungen, sondern entscheidet nach – auch biografisch erworbenen- Präferenzen der Art: Was ist nützlich? Was gefällt? Was ist angemessen? Was ist klug oder dumm? Die gemachten Erfahrungen führen zu Heuristiken (Faustregeln), die Entscheidungsprozesse nach dem Wahrscheinlichkeitsprinzip ablaufen lassen (vgl. Kahnemann, 2012; Gigerenzer, 2008) das Gedächtnis mit seinen Untersystemen dient als Abgleichsinstrument aktueller Erfahrungen mit denen aus der Vergangenheit und empfiehlt die, die sich in der Vergangenheit bewährt haben (Lernen); diese konservativen „Empfehlungen“ oder Bewertungen verlaufen meistens und zunächst nicht bewusst ab. Je älter man wird, umso konservativer fallen diese Entscheidungen aus. Das hängt auch damit zusammen, dass mit zunehmendem Alter die Zeitfenster der Wahrnehmung (Frequenz der Alpha-Wellen) breiter werden. Dr. Fox, 2024 30 Bedingungen der menschlichen Informationsverarbeitung und Wahrnehmung unter den Eigentümlichkeiten des Gehirns Bewusstheit entsteht in der Handlung, in der Aktion in und mit der Welt und in der Reaktion auf die den Aktivitäten folgenden Konsequenzen; insbesondere wird Bewusstheit dann hergestellt, wenn (soziale) Situationen komplex, neuartig und als bedrohlich oder irgendwie inkorrekt erscheinen; Bewusstheit entstünde also zunächst als Aktion auf verarbeitete Sinnesreize und modifiziert sich in der Reaktion auf Verhaltenskonsequenzen, insbesondere auf Alarmsignale; Bewusstseinszustände sind energieintensiv und werden insbesondere für Notfallsituationen und Ausnahmesituationen vorgehalten, aber natürlich auch für Zielsetzungen; Bewusstheit erfordert stets viel energetischen Aufwand; öfters befinden wir uns daher im Zustand des „Mindwandering“(„Tagträumen“). Bewusstheit ist die Voraussetzung für die Bewusstheit seiner selbst, für die Selbst-Bewusstheit und erst diese ermöglicht „vernünftiges“, rational begründbares sowie ethisch orientiertes Verhalten und verbessert dann die Adaption: Adaption verbessert sich durch vernünftiges, also rational begründbares Handeln und gleichzeitig unterliegt die Selbst-Bewusstheit selber einer fortwährenden Adaption. Dr. Fox, 2024 31 Funktionsweisen des Gehirns Wahrnehmung und Konstruktionen die Hauptfunktion des Gehirns ist, das Überleben zu sichern; die auf Grund neuronaler Berechnungen gewonnenen Erkenntnisse über die Welt und die dadurch konstruierten Modelle der Welt sind natürlich nicht beliebig, sondern müssen sich auf die in der Welt jeweils relevanten Gesetzmäßigkeiten, etwa den Naturgesetzen, beziehen, will man überleben können. Wir konstruieren nicht die Realität der Welt, sondern lediglich Deutungen über diese hypothetische Realität, die wir dann als Wirklichkeit erleben. Realität bleibt das, was wirkt oder ist, auch wenn wir nichts darüber wissen, wissen wollen oder nicht daran glauben. die adaptive Wahrnehmung der Welt ist dabei die wesentliche Aufgabe, um dann zu exekutiven Handlungen zu kommen, die angepasst sind an die externen Bedingungen der Umwelt sowie der jeweiligen internen Wahrnehmungsinstrumente. es kann dann nicht darum gehen, alles wahrzunehmen – denn dann könnte man nichts mehr wahrnehmen („weißes Rauschen“)-, sondern eine Auswahl nur derjenigen Umweltstimuli aus dem physikochemischen Kontinuum zu treffen, die man für die organismusspezifische Informationsverarbeitung und Überlebenschance braucht. Dr. Fox, 2024 32 Funktionsweisen des Gehirns Wahrnehmung und Konstruktionen die Wahrnehmung der Welt unterliegt also immer einer Selektion bestimmter Ausschnitte der Welt und ist stets limitiert. Die Wahrnehmung ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich, da sie stets anknüpft an Wahrnehmungen aus der stets individuellen Vergangenheit; neben der phylogenetisch erworbenen Grundausstattung des Gehirns führt eine gemeinsame Erzählung dazu, dass sich die Menschen einer scheinbar gleichen Wahrnehmung versichern, was dann Verständigung und Kooperation erst ermöglicht- tatsächlich ist aber das Zeichen (Symbole, Wörter, Sprache) aber eben nicht gleichzusetzen mit dem bezeichneten Phänomen. Erinnerungen werden bei jedem neuen Abruf nicht nur stabiler, sondern auch immer wieder neu eingeschrieben, neu aufbereitet, dadurch mehr oder weniger verändert; mit jeder Erinnerung und Erzählung verändern sich die synaptischen Verschaltungen, also gewisse Hirnstrukturen; das Gehirn von heute ist schon etwas anders strukturiert als das Gehirn von gestern. Erinnerungen sind besonders stabil, wenn sie an Emotionen gekoppelt sind. Wahrnehmung ist stets eine Rekonstruktion der Welt anhand des Abgleichs der aktuellen Sinnesreize mit den bereits abgelegten Informationen und den Stimuli des Vorwissens, das phylogenetisch und durch die Struktur und Funktionsweisen der Instrumente des Gehirns als Basiswissen vorliegt; das Gehirn ist kein Computer mit Hard- und Software, sondern im Gehirn sind Strukturen und Operationen auf diesen Strukturen nicht trennbar, die Struktur ist hier auch gleichzeitig Information und umgekehrt; dadurch ist auch gegeben, dass Gehirn (Körper; Form; Struktur) und Geist (Information; Konzept; Inhalt) zwar nicht identisch sind, aber eben eine Funktionseinheit darstellen und nicht etwa voneinander trennbare Phänomene. die Regeln für die Wahrnehmungsprozesse und Informationsverarbeitungen werden bestimmt durch Evolution, Reifung und Lernen. Dr. Fox, 2024 33 Funktionsweisen des Gehirns Wahrnehmung und Konstruktionen Der neurobiologische Konstruktivismus (vgl. Gerhard Roth, 2021) geht davon aus, dass das Gehirn die Welt in der selbst konstruierten Wirklichkeit wahrnimmt und nicht in der sog. Realität, die dem Gehirn letztlich verschlossen bleiben muss und sich lediglich annäherungsweise erschließen lässt in der stets besser angepassten Konstruktion von Modellen der Realität, die die Konsequenzen des eigenen Verhaltens adaptiv prognostizieren lassen. Das Gehirn passt sich an die sog. Realität an bzw. verweist auf diese- auf was anderes sollte es sich denn sonst anpassen. Das Gehirn selbst ist ja auch ein Teil der realen Welt und unterliegt somit den gleichen Naturgesetzen wie der Rest der realen Welt. Das Gehirn generiert vornehmlich Wirklichkeiten, die adaptiv das eigene Überleben in einer realen Welt sichern. Die unzählbaren und spezifischen Umweltsignale werden durch die stets gleichen Transmissionsprozesse komprimiert: Auf ein elektrisches Signal (einfach und schnell leitend) folgt ein chemisches (komplexer und langsamer) Signal, das löst wiederum ein elektrisches aus und das wiederum ein chemisches, usf.: Wie dann das Gehirn aus dieser relativ unterkomplexen Signalfolge die komplexe Wahrnehmung der Wirklichkeit der Welt konstruiert, ist bis heute nicht geklärt. Dr. Fox, 2024 34 Funktionsweisen des Gehirns Wahrnehmung und diskrete Informationsverarbeitung Die menschliche Wahrnehmung verläuft eigentlich nicht kontinuierlich (wenngleich wir es so erleben), sondern-ähnlich wie bei Herstellung von Filmen- diskret in der Abfolge von Zeitfenstern und diversen Taktgebern. Ein grundsätzliches Quantum der menschlichen Informationsverarbeitung stellt der Frequenzbereich der im EEG bei entspannten kognitiven Zuständen abgelesenen sogenannten Alphawellen (AF) dar, der im Mittel bei etwa 10 Hz liegt. Allerdings ist dieses Zeitfenster der Wahrnehmung individuell unterschiedlich (IAF: individuelle Alphafrequenz). Die IAF determiniert, wie schnell die Informationsverarbeitung und auch die Reaktionszeit ausfallen. Bei jüngeren Menschen finden sich schnellere Taktgeber (die Alphawellen liegen dann etwa bei 13 Hz, also ein eher hoher IAF), also kürzere Zeitfenster der Informationsverarbeitung, was die Reaktionszeiten verkürzt, auch die Diskriminierungsfähigkeit unterschiedlicher Sinnesmodalitäten verbessert und die Fähigkeit verbessert, interne Modelle der Welt aufgrund neuer Informationen dann auch zu erneuern (Akkommodation). Bei älteren Menschen finden sich langsamere Taktgeber (die Alphawellen liegen dann bei etwa 7 Hz, also ein eher niedriger IAF), was die Fähigkeit verbessert, trotz neuerer Informationen weiterhin gültige allgemeinere Modelle oder Trends beizubehalten (Assimilierung) und auch die räumliche Orientierung bleibt weniger ablenkungsbereit, also stabiler. Es handelt sich also auch um altersabhängige unterschiedliche Wahrnehmungsstrategien, die eine ist nicht besser als die andere, sondern eben nur unterschiedlich. Evolutionärer Vorteil liegt dann wohl bei einem IAF von etwa 10 Hz, da hier die Informationsverarbeitung komplexer Modelle am besten gelingt, da eine ausbalancierte Verarbeitungsstrategie der komplexen Wahrnehmung der Welt eher angemessen ist. Das Gehirn verarbeitet Informationen im Zusammenspiel diverser Zeitfenster und Taktgeber, also nicht nur im Modus der Alphawellen, wenngleich es sich bei diesen um ein gut untersuchtes Wahrnehmungsquantum handelt. Dr. Fox, 2024 35 Funktionsweisen des Gehirns während der soziokulturellen Entwicklung (Sozialisation) werden neue Informationen durch neue neuronale Verschaltungen repräsentiert und so lange erhalten, wie sie für ein adaptives Verhalten gebraucht werden bis zum 20. Lebensjahr reifen neuronale Strukturen, danach bauen sich lediglich neue neuronale Netzwerke auf oder ab Das Gehirn reagiert immer mit den phylogenetisch erworbenen funktionellen Hirnstrukturen den aktuellen dynamischen Zuständen, ausgelöst durch aktuelle interne und externe Stimuli den ontogenetisch erworbenen gelernten neuronalen Netzwerken Dr. Fox, 2024 36 Funktionsweisen des Gehirns die Funktionsweisen der Nervenzellen determinieren sich über relativ einfache Operationen: welche Neuronen verbinden sich mit welchen anderen, wie erregend oder hemmend tun sie das, und wie stark oder schwach das menschliche Gehirn ist aber dennoch hochkomplex aufgrund der schier unfassbaren großen Anzahl der Neurone (etwa Hundert Milliarden) und vor allem wegen der Billionen von Variationen der synaptischen Vernetzungsmöglichkeiten; diese neuronalen Netzwerke bilden dann die funktionelle Architektur (Wolf Singer), in der dann auch alle psychischen Funktionen einschließlich des Selbstkonzepts residieren; diese funktionelle Architektur des Gehirns integriert sowohl ein phylogenetisch wie auch ontogenetisch erworbenes Vor-Wissen nichtbewusster Art über die Verfasstheit der Welt als auch ein über biografisch erworbenes kulturelles, potenziell bewusstseinsfähiges Nach-Wissen Dr. Fox, 2024 37 Funktionsweisen des Gehirns das implizite Wissen liegt jedem neu erworbenem Wissen zugrunde; jedem bewussten Inhalt stehen eine Vielzahl von nichtbewussten gegenüber das menschliche Gehirn besteht aus rund 250 unterscheidbaren Arealen (vgl. Katrin Amunts, Jülich 2022), die zwar je spezifische Sinnesreize verarbeiten (modulares System), dieses aber mit relativ ähnlichen Operationen tun; diese Informationsverarbeitungsprozesse laufen verteilt (distributiv) über diese verschiedenen Areale, ohne dass es ein örtliches Zentrum gäbe, auf das hin alle Resultate dieser Informationsverarbeitungsprozesse konvergierten und zu einem Gesamtbild zusammengeschlossen würden; dieses Gesamtbild hat keinen Ort, sondern ist ein Prozess der zeitlichen und getakteten Synchronizität, also ein Prozess der Gleichzeitigkeit der Erregungen neuronaler Netzwerke, die über das Gehirn verteilt sind: Das Gehirn hat keinen inneren Beobachter, keinen inneren Beweger, keine innere zentrale Steuerungsinstanz und dadurch auch keinen Ort für das sogenannte Selbst (Wolf Singer) Dr. Fox, 2024 38 Funktionsweisen des Gehirns die Resultate der distributiven Informationsverarbeitung in verteilten Hirnarealen werden zusammengebunden über die zeitliche Synchronisation (das zeitgleiche Eintreffen von Signalen aus unterschiedlich entfernten Orten in einer Hirnregion wird über die variabel gesteuerte Dicke der Myelinummantelung der Nervenfasern reguliert, vgl. Fields 2015), also Gleichzeitigkeit der neuronalen Erregungen: Was zusammen feuert, gehört zusammen „Projektionsneurone“ (Hannah Monyer, 2018) synchronisieren als übergeordnete „Superdirigenten“ die Signale aus den entfernt voneinander gelegenen Hirnarealen wenn die Informationsverarbeitung zu bewussten Wahrnehmungen führt, finden sich die entsprechenden neuronalen Entladungen großflächig verteilt in der Hirnrinde im Frequenzraum von etwa 60 Hz und zeigen in dieser Frequenzmitnahme eine präzise Phasensynchronisation und damit eine Synchronisation von Chaos. Bewusstheit ist hochkomplex und energieintensiv (vgl. Wolf Singer, 2002) allerdings zeigt sich, dass bei der bewussten Wahrnehmung unabdingbar (!) Nervenzellaktivitäten in der hinteren Großhirnrinde, besonders in der „heißen Zone“ (posterior hot zone, PHZ) des Scheitel-, Schläfen- und Hinterhauptlappens stattfinden, wo über eine Vielzahl von Rückkopplungsprozessen in verzweigten Nervenzellgewebe Informationen so komplex integriert werden, dass das Gehirn ab einem gewissen Komplexitätsgrad der Informationsverarbeitung schlussfolgert, dass es sich hierbei um eine bewusste Wahrnehmung handeln muss (vgl. Francis Crick und Christof Koch, 2003) Dr. Fox, 2024 39 Funktionsweisen des Gehirns bei reflexartigem Verhalten, wie es den meisten Tieren zu eigen ist, ist der Weg von den sinnesverarbeitenden Arealen zu den exekutiven nur kurz; bei Lebewesen mit phänomenalen Bewusstsein (Bewusstsein über das Bewusstsein, nach Wolf Singer) werden die Umweltstimuli nicht sofort von den sensorischen auf die exekutiven Nervenfasern umgeschaltet, sondern es werden immer mehr Areale in der Hirnrinde zwischengeschaltet, die vorverarbeitete Reize weiterverarbeiten und die Resultate dann von weiteren Kortexarealen weiterverarbeiten lassen usf.; das ist im menschlichen Gehirn auch deshalb möglich, weil es unterentwickelt zur Welt kommt (mit etwa 350 ccm) und sich bis zum etwa 20. Lebensjahr in seinem Volumen vervierfacht; durch die verlangsamte Hirnreifung entstehen mehr und stärkere neuronale Netzwerke (Lernen); zunächst finden sich einfache Input-Output-Relationen der Informationsverarbeitung; während der nachgeburtlichen Hirnreifung entwickeln sich immer mehr zuschaltbare Kortexareale, die diese basalen einfachsten Input-Output- Relationen nochmal weiterverarbeiten, wodurch der daraus resultierende Output dann zum Input höherer Areale wird, usf., bis das Gehirn erkennt, dass es selbst Informationen generiert (Selbstorganisation), also Bewusstheit generiert; die mangelnde Hirnreife bei der Geburt ist also die Voraussetzung zur Ausbildung höherer Hirnleistungen durch Lern-Prozesse Dr. Fox, 2024 40 Funktionsweisen des Gehirns diese hochkognitiven Informationsverarbeitungsprozesse schaffen auf diese Weise selbstorganisierend Konstrukte höherer Ordnung, Repräsentationen von Repräsentationen, sogenannte Meta-Repräsentationen, die wir dann als Bewusstseinszustände erleben: Das Gehirn verarbeitet die Eingangsstimuli in den dafür spezialisierten Modulen (je nach Sinnesmodalität) und protokolliert dann seine eigene Informationsverarbeitung in höheren Kortexarealen, nimmt sozusagen seine eigenen Wahrnehmungen wahr und kann diese so als seine eigenen deuten, was die Voraussetzung wäre für die weitere und höhere Konstruktion des Selbstkonzepts das Gehirn ist ein hochkomplexes, nichtlineares und sich selbst organisierendes informationsverarbeitendes System (Informationen werden aufgenommen, stark gefiltert, bewertet, interpretiert, abgelegt und für vergleichbare Reiz-Situations-Konstellationen wieder verwendet; dabei kommt es regelhaft nicht zu Richtig- oder Falsch-Entscheidungen, sondern zu „unscharfen“, also zu „wahrscheinlich richtigen“, dann eben auch manchmal zu fehlerbehafteten Entscheidungen); es tut zwar das, was es gerade tut, aus vorausgegangenen Ursachen und Gründen, aber das künftige Verhalten ist, weil die vorausgegangenen Gründe zu zahlreich und komplex sind, daraus nicht ableitbar oder gar festgelegt; es handelt sich also um dynamische oder chaotische Prozesse, deren jeweiligen Resultate nicht vorhersehbar oder berechenbar wären; somit ist auch das Verhalten einzelner Individuen kaum vorhersehbar Dr. Fox, 2024 41 Bewusstsein Funktionen und Fähigkeiten des Bewusstseins: Willentliche Bewegungen Gerichtete Aufmerksamkeit Herstellung von Repräsentationen von Objekten, Lebewesen, Situationen, Ereignissen Herstellung von Beziehungen zwischen verschiedenen Repräsentationen Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung und damit verbunden die Wahrnehmung des anderen als Differenz zum Selbst Empathie, also Übernahme der Perspektive des anderen, bzw. die Fähigkeit, die Handlungsabsichten des anderen einzuschätzen und mit den eigenen kalkulieren zu können Wissen über das Wissen anderer Intention, also Fokussierung auf bestimmte Repräsentationen Rekombinationsfähigkeit, also frühere Erfahrungen mit gegenwärtigen zu kombinieren, episodisches Gedächtnis Kausalverständnis Zielvorstellung und Handlungsplanung Entscheidungsfähigkeit, also die Auswahl effizienter Wege zum Ziel treffen zu können Abwägen von aktuellen und zukünftigen Motivationen, Impulskontrolle Die meisten dieser Fähigkeiten finden sich schon beim Tier, daher ist auch dem Tier- in Abstufungen- Bewusstsein nicht abzusprechen; bisher fanden sich einige dieser Fähigkeiten bei Menschenaffen, Säugern wie Walen, Rabenvögel, Kakadus, Hunden, Tintenfischen… (vgl.: Ludwig Huber: Das rationale Tier, Suhrkamp, Berlin 2021) Konsequenzen eines effektiven Bewusstseins: Entstehen von Selbst-Bewusstheit, von Rationalität und Vernunft, von rational-praktischem Handeln und damit eine drastische Verbesserung des Überlebens Dr. Fox, 2024 42 Selbst- Bewusstsein In der biopsychologischen Forschung werden zurzeit etwa neun Bewusstseinszustände voneinander unterschieden: 1. Körperorientiertes und relativ stabiles Ich-Bewusstsein: „ich nehme Sinnesreize wahr“, „ich reagiere“, etc. 2. Bewusstsein über den Grad der Erfüllung von Grund-Bedürfnissen: Hunger, Durst, Schmerz, etc. 3. „Meinigkeits“- Bewusstsein: „meine Beine“, „mein Gesicht“, etc. 4. Urheberschafts- Bewusstsein: „Ich steuere meine Handlungen“; „meine Bewegungen habe ich veranlasst“, etc. 5. Mentale Bewusstseinszustände wie Denken („ich denke, also bin ich“) , Erinnern, Vorstellen, Planen, etc. 6. Identitätsbewusstsein, Bewusstsein über Kontinuität: „ich bin der, der ich auch gestern war“, „ich habe eine Biografie“, „ich habe eine Zugehörigkeit“, etc. 7. Bewusstsein über Zeit und Ort, Ichverortung 8. Bewusstsein über Vorstellung und Wirklichkeit 9. Selbst-Bewusstsein: das Bild, das man sich vom Ich macht; das selbstreflexive Ich: „Was macht mich aus“, „welchen moralischen Charakter habe ich“, „Wie sehen andere mich“; „wie habe ich mich entwickelt“, also das fluide Selbstkonzept, etc. Neurologische Störungen zeigen, dass einzelne dieser Bewusstseins-Zustände ausfallen können, ohne dass auch die anderen ausfallen müssen. Diese unterscheidbaren Bewusstseinszustände sind nicht immer gleichermaßen präsent; sie ziehen je nach Situation unterschiedliche Aufmerksamkeitsstärken an sich; diesen ständigen Bewusstseinswandel integriert das Gehirn zu einer scheinbar bruchlosen Geschichte, der Selbst-Biografie. Merke: Das Selbstbewusstsein ist eine schöne Geschichte, die das Gehirn über sich selbst erzählt! 43 Dr. Fox, 2024 Funktionsweisen des Gehirns Enkapsulierung oder: Das Gehirn ist ein erstaunlich geschlossenes System das menschliche, bewusstseinsfähige Gehirn verarbeitet zu 99,9 % interne Informationen und nur zu 0,01 % die aus externen Umwelten (Schätzung durch Gerhard Roth), das heißt, dass es offensichtlich vor allem um eine interne Modellbildung der äußeren Wirklichkeit handeln kann, was das Gehirn generiert oder: Das Gehirn rekonstruiert sich seine Wirklichkeit so, dass es mit den permanenten Problemfällen zurechtkommen, dass es überleben kann und muss sich dabei allerdings beziehen auf die externen physikochemischen Gesetzmäßigkeiten, auf Naturgesetze etwa, was auch bedeutet, dass die rekonstruierte Wirklichkeit nicht beliebig sein kann, sondern sich selektiv an die äußeren Bedingungen anzupassen hat, die für das Überleben nötig sind das Gehirn generiert interne Modelle der externen Wirklichkeit und reagiert dann auf diese Modelle, also nicht auf das Original, sondern immer nur auf die Kopie oder Repräsentation oder Symbolisierung der „Wirklichkeit da draußen“; bewusste Entscheidungen basieren auf Meta-Repräsentationen Bereits Kant läutete die kopernikanische Wende der Philosophie ein: Die Welt ist nicht passiv im Geist abgebildet, sondern die Welt wird nach den Funktionen unserer Sinne strukturiert! Kant unterscheidet zwischen dem Ding an sich und dem Phänomen, also der Erscheinung des Dings an sich. Das Ding an sich ist für uns nicht wahrnehmbar, es wird nach den Vorgaben unserer Sinne wahrgenommen; das Ding an sich erscheint uns also so rekonstruiert, wie es nach Maßgabe der Filterprozesse und Umkodierungen unserer Wahrnehmungsorgane möglich ist. Dr. Fox, 2024 44 Funktionsweisen des Gehirns das Gehirn trifft seine Verhaltensentscheidungen aufgrund interner, meist nicht bewusster Informationsverarbeitung und Bewertungsprozesse; das Gehirn kann lediglich 4 – 7 Informationskomplexe bewusst wahrnehmen, die Fülle der Informationen bleibt nicht bewusst die interne Informationsverarbeitung ist dem Bewusstsein nicht zugänglich; man hat also keinen direkten Zugriff auf die Informationsverarbeitung, sondern es werden lediglich die Resultate der Informationsverarbeitung präsentiert, nicht die Prozesse das erklärt dann auch, wie schwer es ist, engrammierte Bewertungsmuster zu verändern; eine Verhaltensänderung einzuleiten ist schwierig und nur dann möglich, wenn einem die Bewertungsmuster, die das zu verändernde Verhalten motivieren, auch bewusst werden Dr. Fox, 2024 45 Funktionsweisen des Gehirns Konstruktivismus Dass sich die Modellbildung von der Welt im menschlichen Gehirn vornehmlich durch die Informationsverarbeitung interner Stimuli (bis zu 99,9 % der Informationsverarbeitung- wenngleich diese Schätzung naturgemäß anfechtbar ist, denn : Was ist eine Informationseinheit eigentlich?) „konstruiert“, ist die hirnorganische Grundlage des Konstruktivismus: Das Gehirn nimmt die Welt nicht wahr wie sie „komplett wirklich“ ist, sondern wie es sie wahrnimmt, das heißt nach den Prinzipien der Wahrnehmung und des Lernens wie beispielsweise: Regel- und Mustererkennungen, die sich auf externe Gesetzmäßigkeiten beziehen (es geht also nicht um Beliebigkeiten); Lernen am Erfolg bei der Lebensbewältigung, emotionale Konditionierungen, Selektivität , Subjektivität, Biografie, Selbstbildkonstruktion Die Kapazität des Bewusstseins ist stark limitiert: allein auf die Netzhaut fallen pro Sekunde etwa 10 Milliarden Lichtsignale, durch starke Filterungsprozesse bleiben 6 Millionen in den Sehnerven übrig; 10 000 gelangen in den visuellen Kortex; letztlich bleiben weniger als 100 übrig, die ins Bewusstsein gelangen können Konstruktivismus bedeutet hier also nicht Beliebigkeit, sondern eine für das Überleben der jeweiligen Art nützliche drastische Informationsreduktion, die, will man nicht Schiffbruch erleiden, sich regelhaft beziehen muss auf extern vorfindbare physikochemische Gesetzmäßigkeiten wie den Naturgesetzen. Dr. Fox, 2024 46 Funktionsweisen des Gehirns Konstruktivismus Das Gründungskonzept des Konstruktivismus legte Humberto Maturana (1970) vor. Sein zentraler Begriff der Autopoiesis bedeutet, dass sich alle lebenden Systeme- und also auch das Gehirn- selbsterzeugend entwickeln: Jeder lebende Organismus erzeuge sich fortlaufend selbst, indem eine permanent dynamische und kaum vorhersehbare Vernetzung seiner eigenen Bestandteile hergestellt würde, die dann wieder den Organismus permanent aktualisieren. Autopoietische, also lebende Systeme definieren sich nicht über die Addition von Einzelmerkmalen, sondern sie sind rekursiv organisiert: Das Resultat des Zusammenwirkens der Einzelmerkmale ist genau der Organismus, der dann seinerseits diese Einzelmerkmale adaptierend produziert. Diesem Grundsatz folgend, würde sich dann auch das Gehirn permanent aktualisieren, indem Informationsverarbeitungsprozesse weniger als bisher gedacht von außen (wie bei dem veralteten Modell der passiven Reizverarbeitung) gesteuert würden, sondern indem sich das Gehirn durch überwiegend interne Informationsverarbeitungsprozesse selbst aktiv steuert (vgl. dazu auch Gerhard Roth). Es erscheint allerdings logisch eher schwierig, wie ein Gehirn sich selber verstehen könnte, bzw. wie man die geistigen Hirnprozesse erforschen könnte, indem man genau das Werkzeug benutzt, das man zu untersuchen gedenkt; wenn also Untersuchungsgegenstand und Untersuchungsmittel zusammenfallen oder das „Gehirn das Gehirn“ untersucht. Allerdings: Ein komplexes System kann ein weniger komplexes System erkennen, aber nicht umgekehrt. Da aber hier das Gehirn als Erkenntnisgegenstand und gleichzeitig als Erkenntnismittel fungiert, handelt es sich also dabei um Systeme von je gleichem Komplexitätsgrad; also könnte es auch logisch gelingen, mit Hilfe des Gehirns das Gehirn zu verstehen …oder: Da wir mit unserem Denken Begriffe, Regeln, Beziehungen usw. schaffen und diese geistigen Produkte Emergenzphänomene sind, verfügen sie als Untersuchungsmittel wohl doch über einen höheren Komplexitätsgrad als der Untersuchungsgegenstand. Dr. Fox, 2024 47 Struktur und Funktionsweisen des Gehirns Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Gehirnstruktur („Brainsex“) Frauen stärker gepacktes Corpus Callosum, wodurch der Informationsfluss von rechter und linker Hemisphäre effizienter und stärker ist, dadurch auch eine stärkere Wirkung rechtshemisphärisch (rechter Mandelkern) generierter Affekte wie Ängste, auch die Schmerzchronifizierung wird dadurch bei Frauen begünstigt Frauen haben aktivere anteriore Kommissuren, daher deutlich mehr Input von außen und dadurch stärkere Beeindruckbarkeit durch externe Reize; Männer zeigen dagegen mehr Reaktanz und bessere Konzentrationsfähigkeit; das männliche Gehirn neigt eher zu einer Spezialisierung der Hirnhemisphären als das weibliche Frauen zeigen eine schnellere Ansprechbarkeit ihrer rechtshemisphärischen Amygdala und sind dadurch weniger risikobereit als Männer, haben mehr Ängste und Verunsicherungen, aber dadurch auch eine deutlich längere Lebenserwartung weibliche und männliche Gehirne zeigen etwa ein vergleichbares relatives Gehirngewicht, aber männliche Gehirne weisen mehr graue Substanz (Anzahl der Nervenkörper) auf und weibliche Gehirne mehr weiße Substanz (Anzahl der neuronalen Verknüpfungen) Weibliche Gehirne ermöglichen eher eine präzisere Feinmotorik und höhere Wahrnehmungsgeschwindigkeit; die räumliche Orientierung ist eher an konkreten Landmarkern orientiert; das männliche Gehirn ermöglicht eher abstrakte Schlussfolgerungen und gezieltes Werfen, die räumliche Orientierung ist eher abstrakt, besser in der räumlichen Zuordnung sich drehender Objekte 48 Dr. Fox, 2024 Konstruktionen unseres Gehirns zu den wirkungsvollsten Konstruktionen (zweiter Ordnung, vgl. Paul Watzlawick) oder Meta-Repräsentationen des menschlichen Gehirns zählt das Selbst-Konzept, mit dem es bewusst in Anpassungs- bzw. Lösungsstrategien modulierend eingreifen kann das Selbstkonzept ist als Konzept eben ein hochkognitives Konstrukt, das nur in der Interaktion und Kommunikation mit Sozialpartnern entstehen kann und moduliert wird nach den Qualitäten dieser Interaktionen; das Selbstkonzept ist also ein soziales Konstrukt (Detlev Linke, Wolf Singer); dadurch verändert sich ein Selbstkonzept oder Selbstbild auch kontinuierlich im Kontext unterschiedlicher sozialer Erfahrungen und im Verlaufe der eigenen Entwicklung von der Kindheit bis hin zum Alter; das Ich-Bewusstsein ist dagegen eher von Geburt an bis zum Alter stabil, da es eher gebunden ist an die Erfahrung, im eigenen Körper zu wohnen und diesen zu steuern. es gibt also eigentlich kein, wie umgangssprachlich oft formuliert, Selbstwertgefühl, sondern es handelt sich dabei stets um ein Konzept, also um ein kognitives Phänomen, das aber durchaus zu Gefühlen führen kann und dann verhaltensmotivierend wirkt Dr. Fox, 2024 49 Konstruktionen unseres Gehirns der Mensch kommt mit einem unfertigen Gehirn auf die Welt (der Geburtskanal ist nach 9 Monaten Schwangerschaft bei zirka 400ccm Gehirnvolumen ausgefüllt, was die Geburt dann einleitet, obschon die Hirnreifung noch unvollständig ist; zwei Drittel des Hirnwachstums erfolgt dann also in einer sozialen Lernumgebung); der Mensch ist also auf soziale Fürsorge von Geburt an angewiesen, die aber nicht immer hinreichend gegeben wird, was die grundlegenden sozialen Konflikte (hinsichtlich der Kooperationsbereitschaften) sowie die unterschiedlichen Lebensbewältigungsstrategien und Biografien markiert; bei hinreichender Fürsorge beschleunigt der Umstand der nachgeburtlichen Hirnreifung die konstruktive, d.h. kooperative kulturelle Entwicklung erheblich die meisten Konflikte spielen sich ab auf den Ebenen der Interaktion und Kommunikation und sind somit immer emergenter Art, also aus Bewertungs- und Deutungsprozessen dieser Interaktionen gewonnen Dr. Fox, 2024 50 Konstruktionen unseres Gehirns das menschliche Gehirn reagiert vor allem auf soziale Konfliktkonstellationen und erarbeitet Strategieentwürfe, die Handlungen zur Konfliktlösung einleiten (je größer die Gruppengröße, desto größer das Gehirn) das Gehirn entwirft permanent nach dem Input der externen Sinnesdaten interne Modelle der Welt – erst recht bei der Konfliktbewältigung - und legt diese in Erwartungen ab; diese werden abgeglichen mit den Rückmeldungen über den Erfolg von Verhaltensweisen, die sich aus diesen Modellen ergeben (Reafferenzprinzip); Erfolge stabilisieren diese Muster aus Kognitionen und Verhalten; einmal bewährte Muster sind solange veränderungsresistent, wie sie mehr Nutzen als Kosten verursachen- erst wenn die Kosten den Nutzen erheblich übersteigen, ergeben sich Veränderungsbereitschaften; Bewertungen der Relevanz von Veränderungsnotwendigkeiten und Zuversicht bestimmen die Motivation Erwartungen bedingen nichtbewusste und bewusste Reaktionen (Placebo und Nocebo-Effekte) und konstruieren dadurch erlebbare Wirklichkeiten Dr. Fox, 2024 51 Nocebo-Effekte Schmerzstärke in Abhängigkeit der Erwartung Nocebo-Effekt 70 60 50 40 30 20 10 VAS 0 mit Opiat, vermeintlich stärkerer ohne Opiat mit Opiat vermeintlich kein Opiat Schmerzreiz Ulrike Bingel, Hamburg, 2012 Dr. Fox, 2024 52 Selbstkonzept als Meta-Meta-Repräsentation Das Selbst-Konzept ist ein unter Selektionsdruck entstandenes Phänomen, weil es adaptiv ist, da es die Kooperationsfähigkeit der Gruppe drastisch verbessert und dadurch auch die Überlebenschance der Gruppe wie die des Einzelnen in der Gruppe. Eine nicht nur auf Eigennutz, sondern auf den Gruppennutzen gerichtete Kooperation bedarf ja, um auf einen anderen bewusst oder intentional reagieren zu können, eines Selbstbildes. Das den Menschen zum Menschen machende Selbstkonzept entsteht durch eine fortwährende Informationsverarbeitung in den kortikalen Arealen, in denen auch Bewusstheit konstruiert wird, in denen also Metarepräsentationen hergestellt werden; die erlebbare Kohärenz des Selbst entspricht dabei nicht einem zentralen Konvergenzort im Kortex, sondern ist letztlich eine nützliche Schlussfolgerung des Gehirns bei der Optimierung seiner permanenten Anpassungsleistung. Das Selbst (und das Ich) ist kein zentraler Beweger oder Beobachter im Gehirn, sondern ein mittelstabiler, also nicht über alle Zeit stabiler Zustand der synchron und in vielerlei Hirnarealen verteilt ablaufenden Informationsverarbeitung (Wolf Singer); das Selbst ist also ein Prozess und eben nicht ein Ort. Dr. Fox, 2024 53 Selbstkonzept als Meta-Meta-Repräsentation das Selbstkonzept ist ein je vorläufiges Resultat von aktuellen Informationsverarbeitungen im Abgleich mit bereits erzielten Resultaten aus vergangenen Informationsverarbeitungsprozessen; es ist ein fortwährender wechselseitiger Anpassungsprozess. Ein Selbstkonzept oder die Selbstbewusstheit verbessert die Adaption und unterliegt auch selber einem fortwährenden Selektionsdruck. die dabei in der Vergangenheit gemachten Bewertungen und Deutungen sowie das daraus gewonnene implizite und nichtbewusste Vorwissen beeinflussen massiv jede aktuelle Informationsverarbeitung- daraus ergibt sich der grundlegende Konflikt der menschlichen Existenz (als Individuum ) zwischen nichtbewussten und bewussten Anteilen des Selbst, zwischen den Stimuli der zwei Signalebenen der nichtbewussten und bewussten Informationsverarbeitung, zwischen impliziten und expliziten Wissensständen. Dr. Fox, 2024 54 Selbstkonzept als Meta-Meta-Repräsentation Entscheidungsprozesse in Konfliktsituationen unterliegen neben bewussten dann vor allem auch nichtbewussten Motivationen; nichtbewusste, aber prinzipiell bewusstseinsfähige Motivationen, sogenannte vorbewusste Motivationen (Gerhard Roth) bewusst zu machen, wäre ein erster notwendiger Schritt für Konfliktlösungen, die man als „stimmig“ erleben kann sogenannte freie Willensentscheidungen sind nicht indeterminiert, denn ein Abkoppeln von der determinierten physikochemischen Welt verliefe tödlich, aber sie können sich in der Konkordanz von bewussten und nichtbewussten Motivationen als „stimmig anfühlen“ (Wolf Singer) der „freie Wille“ existiert nicht als ein „Wollen-Wollen“, aber als eine Handlungsfreiheit, als ein Empfinden, dass das, was man tut, auch das ist, wofür man sich in einem hinreichend weiten Optionsraum entscheiden konnte, also frei von äußeren und inneren Zwängen (Wolf Singer) Dr. Fox, 2024 55 Konflikt Innere Konflikte entstehen, wenn das Selbstkonzept gefährdet wird durch widersprüchliche Motivationen innerhalb des eigenen Selbstkonzepts; soziale Konflikte entstehen, wenn eigene Motivationen zu denen der anderen in Widerstreit geraten; da Selbstkonzepte emergente Phänomene sind, sind auch Konflikte zwischen diversen Selbstkonzepten potenzierte emergente Phänomene soziale Konflikte sind also solche, die sich auf einer zweiten, emergenten Wirklichkeitsebene Text abspielen, das heißt, aus Stimuli der objektiven physikalischen Wirklichkeit werden subjektive, individuell adaptierte Bedeutungen generiert, die die Motivationen, Entscheidungsbereitschaften und Verhaltensweisen in Konfliktsituationen auslösen die meisten sozialen Konflikte und bewusste Entscheidungskonflikte ereignen sich in sprachlichen Systemen, sind daher schon per se emergente Ereignisse Dr. Fox, 2024 56 Wirklichkeitsebenen wir verhalten uns stets so, wie wir es als nützlich für unser jeweiliges Überleben gelernt haben, also aus subjektiven, in der jeweiligen Biografie durch die emotionalen Konditionierungen erlernten Beweggründen die physikalisch beschreibbare Welt, die Wirklichkeit erster Ordnung (vgl. Paul Watzlawick) dient als Ausgangsmaterial für die subjektiven Bedeutungen dieser Wirklichkeit; diese subjektiven Bewertungen schaffen die Wirklichkeiten zweiter Ordnung (oder emergente Wirklichkeiten), die unser Verhalten leiten Die relative Übereinstimmung zwischen den subjektiven Wahrnehmungen der Welt bei verschiedenen Individuen wird vornehmlich hergestellt über Verabredungen, also über Kommunikation; die Wirklichkeiten zweiter Ordnung sind also Resultate intra- und interkommunikativer Prozesse Dr. Fox, 2024 57 Emergenz Emergenz ist die Herausbildung von neuen Eigenschaften oder Strukturen eines qualitativ neu entstandenen Systems infolge des Zusammenwirkens seiner Subsysteme. Dabei lassen sich die emergenten Eigenschaften des qualitativ neuen Systems nicht offensichtlich auf Eigenschaften der Elemente zurückführen, die dem System entspringen, aus dem sie hervorgegangen sind, wenngleich sie in ihrem Funktionieren abhängig bleiben vom Funktionieren der darunterliegenden Vorgänge. Emergenz ist das System, das aus der Verbindung interagierender Einzelteile entsteht, wobei das emergente System nach komplexeren Regeln abläuft als es seine Einzelteile tun; das System ist mehr als die Summe seiner Einzelteile. Ein emergentes System ist stets ein Netzwerk interagierender Einzelteile. Da die Interaktionen zwischen den Einzelteilen wie auch zwischen je aktuellem emergentem System und dessen Einzelteile in Rückkopplungen ablaufen, entstehen immer komplexere Systeme in Selbstorganisation. Die Selbstorganisation von Netzwerken schafft Komplexität. Dynamische oder chaotische Entwicklungen erzeugen oft komplexe Systeme, die in den Resultaten ihrer Entwicklung nicht berechenbar sind; kleinste Veränderungen von Umweltbedingungen können größere Veränderungen bewirken als vorhersehbar wäre bzw. auch umgekehrt. Emergenz ist ein komplexes System, das zusätzlich (!) zu bereits vorhandenen Gesetzmäßigkeiten der darunterliegenden Systeme eben auch anderen Ursache-Wirkungs- Relationen unterliegt als es bei dem darunterliegenden System der Fall ist; die Wirkungen einzelner Elemente auf der unteren Ebene erklären nicht offensichtlich die Wirkungen der Gesamtheit dieser Elemente auf der oberen Ebene: more is different (Beispiele Phasenübergänge bei unterschiedlicher Wassertemperatur, Hirnphänomene, soziale Gemeinschaften, etc.); es ist die jeweilige Re-Organisationsform der Elemente, die daraus Emergenzereignisse schafft. Diejeni

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