Skript Basiskurs 1 und Anhänge 2024 AG GGUP (PDF)

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2024

Ulla Henscher, Astrid Elpel-Lipik, Petra Linkenbach, Juliane Grohn, Lucia Sollik, Daniela Hönninger

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physiotherapy pelvic floor anatomy medical training

Summary

This document is a physiotherapy training course script (Basiskurs 1) focusing on pelvic floor dysfunction. It covers topics such as anatomy, the female and male organ systems, pelvic floor muscles, and related therapies. The material is detailed and focuses on practical information.

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Basiskurs!1 Physiotherapie bei!Funktionsstörungen!im!Becken Alle!Bilder!sind!urheberrechtlich!geschützt.!Eine!Nutzung,! Vervielfältigung!und!Weitergabe!unterliegt!der!ausdrücklichen! Genehmigung!der...

Basiskurs!1 Physiotherapie bei!Funktionsstörungen!im!Becken Alle!Bilder!sind!urheberrechtlich!geschützt.!Eine!Nutzung,! Vervielfältigung!und!Weitergabe!unterliegt!der!ausdrücklichen! Genehmigung!der!AG!GGUP. 1 Referentinnen Basiskurs 1 Ulla Henscher [email protected] Astrid Elpel-Lipik [email protected] Petra Linkenbach [email protected] Juliane Grohn [email protected] Lucia Sollik [email protected] Daniela Hönninger [email protected] 2 Basiskurs 1 Mit diesem Kurs beginnt eine weiterführende Fortbildung, die dazu qualifiziert, Behandlungen gestörter Beckenstrukturen durchzuführen. 3 Inhalte Basiskurs 1 Anatomie……………………………………………………………………………………………….(S. 6) weibliches und männliches Organsystem………………………………………………......(S. 9, S. 15) Struktur der Beckenbodenmuskulatur……………………………………………….……..……...(S. 33) Histologie und nervale Versorgung……………………………………………………………...…(S. 59) Aufgaben der Beckenbodenmuskulatur………………………………………………………...….(S.70) Funktionelle Beckenbodenarbeit………………………………………………………………...…(S. 77) Beckenboden und Körperhaltung…………………………………………………………………..(S. 87) Atmung und Beckenboden………………………………………………………………...………...(S.93) Der Beckenboden als Teil des stabilisierenden Systems……………………………………… (S.100) Muskuläre Rehabilitation………………………………………………………………...………...(S. 112) Senkungen…….…………………………………………………………………………………….(S. 126) Physiologie der Blase……………………………………………………………………...…..…..(S. 140) Pathologie der Blase……………………………………………………………………...………..(S. 149) Ärztliche Diagnostik…………………………………………………………………......…………(S. 151) 4 Inhalte Basiskurs 1 Physiotherapeutische Befundaufnahme …..………………………………………………….....(S. 157) Speicherstörungen der Blase………………………………………………………...………...…(S. 167) Therapie der Belastungsinkontinenz……………...................................................................(S. 176) Therapie der Dranginkontinenz/OAB……………………………………………………………..(S. 195) Entleerungsstörungen der Blase……………………………………………………………….....(S. 207) Risikofaktoren……………………………………………………………………………………….(S. 216) Anorektum….…………………………………………………………………………………...…..(S. 220) Beckenboden im Alltag, beckenbodenschonendes Verhalten………………………………...(S. 235) Nach diesem Kurs……………………………………………………………………………….....(S. 249) Inhalte verschiedener Fragebögen……………………………………………………….(siehe Anhang) Mehr Infos hier: Padlet Basiskurs 1 5 ANATOMIE 6 Anatomie weiblich / männlich männlich Angulus pubis weiblich Arcus pubis 7 Anatomie weiblich / männlich Ansicht von caudal 8 Organsystem weiblich 9 Organsystem weiblich innere Vulva !!!äußere Rugae vaginalis 10 Organsystem weiblich Vagina fibromuskulöses Hohlorgan Fasern des M. puborectalis strahlen in Vagina ein elastisches Stützorgan Rugae (Falten) 8 - 12 cm lang Durchmesser 3 - 4 cm Vagina etwa ¾ oberhalb des Diaphragma pelvis à vordere Vaginalwand dient als Stütze für Urethra und Blasenhals 11 Organsystem weiblich Uterus birnenförmiges, muskulöses!Hohlorgan im kleinen Becken Lage: subperitoneal 5 - 9 cm Länge, 50 - 70 g Gewicht Normalstellung: Anteversion, Anteflexion dreischichtiger Wandaufbau (Peri-, Myo- und Endometrium) 12 Organsystem weiblich Uterus Positionen 13 Organsystem weiblich Aufgabe des Uterus Einnistung der befruchteten Eizelle „Fruchthalter“ Geburtsorgan Rückbildung Zyklusgeschehen Vagina Klitoris Äußere Vulvalippe Innere Vulvalippe 14 Organsystem männlich 15 Organsystem männlich Prostata Ansicht von dorsal zwischen M. detrusor vesicae und Beckenbodenfasern fibromuskuläre Drüse (20 - 30 Einzeldrüsen) umgeben von Kapselgewebe ca. 20g (bis 100g) Aufgabe: Produktion von Flüssigkeit für Samentransport, Beweglichkeit Spermien, Neutralisierung der Vagina, enzymhaltig 16 Vesica urinaria Blase männlich M. detrusor vesicae weiblich Introitus vaginae 17 Vesica urinaria männlich Blasenhals mit Levatorfasern verbunden Lig. pubovesicalis Lig. pubourethralis weiblich Trigonum vesicae Ostium ureteris 18 Vesica urinaria Trigonum vesicae (autonomer Mechanismus) Wandaufbau: Mukosa, Muskelgewebe, fibröse Adventitia Auskleidung: Urothel 3-lagige Muskelschicht (glatt) Ø Blasenfüllung ohne intravesikalen Druckanstieg!= Blase ist ein Niederdruckspeicher 19 Vesica urinaria Blase - Speicherorgan leer: Ø 5 - 6 cm hoch Ø 4 - 5 cm breit Ø 0,8 - 1,5 cm Wandstärke gefüllt: Ø 12 - 14 cm hoch Ø 8 - 10 cm breit Ø 0,2 - 0,5 cm Wandstärke Speicherkapazität: 350 – 500 ml 20 Urethra Dünnwandige Muskelröhre Männlicher unterer Harntrakt 2,5 - 4 cm lang 2, 20 - 25 cm lang weibliche Urethra: proximale 1/3 mobil, distale 2/3 fest mit ventraler Vaginalwand verbunden männliche Urethra: fixiert durch Prostata und Corpus spongiosum 21 Bindegewebige Strukturen Lockeres, ungeformtes Bindegewebe füllt Räume aus. Ø ermöglicht Beweglichkeit Ø ermöglicht Ausdehnung der Hohlorgane Ø neigt eher zur Insuffizienz als straffes Bindegewebe 22 Faszien und Bindegewebe weiblich Excavatio rectouterina Spatium retroperitoneale Spatium retropubicum ubicum Septum rectovaginale Excavatio vesicouterina 23 Faszien und Bindegewebe männlich Excavatio rectovesicalis Spatium retroperitoneale Spatium retropubicum Septum retrovesicale 24 Bindegewebige / Ligamentäre Strukturen Bindegewebige lockere Adventitia, Gefäße und Nerven führend, überzieht Muskelhohlorgane im Becken; Prostata umgeben von Kapsel (nicht Faszie) Faszien = faserreiches Bindegewebe wie Scherengitter - Fascia pelvis parietalis liegt BB-Muskulatur auf - Fascia pelvis visceralis liegt den Organen an - Faszie verdichtet sich in verschiedenen Bereichen zu neurovaskulären Gefäßstraßen, die wiederum bestehen aus glatter Muskulatur, die zur Aufhängung nützlich ist 25 Bindegewebige / Ligamentäre Strukturen Endopelvine Faszie Sammelbegriff für bindegewebigen Halteapparat bindegewebige Kittsubstanz zwischen Organen und M. levator ani bestehend aus: Kollagen, Elastin, glatter Muskulatur, Gefäßen, Nerven Parazystium: endopelvines Bindegewebe mit Ansatz an der Blase Parametrium: endopelvines Bindegewebe mit Ansatz am Uterus Parakolpium: endopelvines Bindegewebe mit Ansatz an der Vagina Paraproktium: endopelvines Bindegewebe mit Ansatz am Rektum 26 Bindegewebige / Ligamentäre Strukturen 27 Ligamentäre Strukturen Uterus Ligg. sacro (-recto) uterinum Ø Fixierung der Cervix uteri nach dorsolateral, aufsteigend in Beckenfaszie nervale Strukturen (Sensibilität der Vagina) Ligg. teres uteri Ø Corpus uteri nach lateral/ventral in Richtung Aponeurose M. obliquus abdominis externus, durch den Leistenkanal zu den Labien Lig. latum Ø Teil des Bauchfells, bindegewebige Umschlagfalte 28 Ligamentäre Strukturen Blase Die Harnblase wird seitlich und vorn von einem paravesicalen Fettkörper umgeben, der diesem Organ als Verschiebeschicht dient. Der Raum zwischen Symphyse und Harnblase (Spatium retropubicum) wird von diesem paraviszeralen Fettkörper dominiert, der von einer dünnen bandartigen Struktur Ø Lig. pubovesicale bei der Frau und Ø Lig. puboprostaticum beim Mann durchzogen wird. 29 Ligamentäre Strukturen Blase Lig. pubovesicale verläuft von der Vorderfläche der Harnblase auf Höhe des Blasenhals zur Rückseite der Symphyse und stabilisiert den Blasenhals in seiner Lage Ø Dieses Band enthält glatte Muskelzellen und gliedert das Spatium retropubicum in eine obere und untere Abteilung. Ø In der oberen Abteilung werden die Lig. pubovesicalia / Lig. puboprostaticum durch Querzüge mit der Fascia superior diaphragmatica pelvis verbunden, die ventral und seitlich in die Faszie des M. levator ani und in den M. sphincter urethrae externus einstrahlen. Die pubourethralen Ligamente sind paarig angelegt und verbinden sich ausgehend von der unteren Innenfläche der Symphyse mit der Urethra, der vorderen Vaginalwand und dem M. pubococcygeus. Sie unterstützen die Kontinenz. 30 Bindegewebige / ligamentäre Strukturen Etagen des Beckenraums Peritonealhöhle Supralevatorischer Raum Infralevatorischer Raum Spatium profundum perinei Spatium superficiale perinei Subkutaner Dammraum weiblich 31 Bindegewebige Strukturen weiblich / Kompartimente Harnblase, Urethra, paraviscerale Fettkörper Uterus, Vagina, (Parametrium) paracervicales/ -vaginales Bindegewebe Anorektum, Gefäße, perirektales Binde- u. Fettgewebe 32 BECKENBODENMUSKULATUR 33 Beckenbodenmuskulatur Ansicht von caudal Mehrere Ebenen tiefe/innere Schicht mittlere Schicht oberflächliche Schicht Dicke des Beckenbodens 2,9 - 9,8 mm (Singh et al. 2002; Dietz H. et al. 2005; Braekken I et al. 2008) 34 Unterschiede in der Muskelmasse Frau Mann Muskeln im weiblichen Beckenausgang Muskeln im männlichen Beckenausgang 35 Anatomie Beckenboden Mit freundlicher Genehmigung Prof. Wedel, Anatomisches Institut, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel 36 Anatomie Beckenboden Mit freundlicher Genehmigung Prof. Wedel, Anatomisches Institut, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel 37 Beckenbodenmuskulatur Innere Schicht: Diaphragma pelvis gebildet aus: M. levator ani M. coccygeus Ansicht von cranial 38 Beckenbodenmuskulatur Innere Schicht: M. levator ani Ansicht von caudal 39 Beckenbodenmuskulatur M. levator ani M. piriformis M. coccygeus Linea arcuata / White line / Arcus tendineus fascia pelvis Ansicht von medial 40 Beckenbodenmuskulatur M. levator ani Ø 3 bilateral symmetrische Anteile · M. puborectalis (Puborektalschlinge) · M. pubococcygeus · M. iliococcygeus F: cranio-ventrale Bewegung mit Kompression der Öffnungen und Sicherung der Beckenorgane I: Plexus sacralis und N. pudendus (S 2-4) Ansicht von cranial 41 Beckenbodenmuskulatur M. levator ani M. puborectalis (Puborektalschlinge) U: Innenfläche Os pubis, unterhalb M. pubococcygeus A: Umgreifet als Muskelschlinge dorsal das Rectum auf Höhe der Flexura anorectalis M. pubococcygeus U: Innenseite Os pubis, Arcus tendineus A: Os sacrum, Os coccygeus (Corpus anococcygeum) M. iliococcygeus (70% des M. levator ani) U: Arcus tendineus musculi levatoris ani (von Fascia M. obturatorius internus bis zur Spina ischiadica, White line) A: Os sacrum, Os coccygeus (Corpus anococcygeum) Ø Besonderheit: zu 90% Ursprung am Arcus tendineus in der Fascie des M. obturator internus und damit dynamisch verankert. 42 Beckenbodenmuskulatur Geschlechtsspezifische Konfiguration: Bindegewebige Lücken (Gap) im weiblichen M. levator ani (Singh et al 2002) Lig. sacrotuberale 43 Beckenbodenmuskulatur M. coccygeus U: Spina ischiadica A: Os coccygeus seitlich und Os sacrum I: Plexus sacralis (S 3-4) F: rudimentäre Schwanzwedelmuskulatur, vervollständigt den Levatortrichter nach dorsal Ansicht von caudal, weiblich 44 Beckenbodenmuskulatur Mittlere Schicht: Perineale Membran gebildet aus: Diaphragma urogenitale M. transversus perinei profundus und superficialis M. sphincter urethrae externus Ansicht von caudal 45 Beckenbodenmuskulatur Perineale Membran Ø wenig Muskelfasern, viel Bindegewebe M. transversus perinei profundus U/A: Ramus ossis ischii und Ossis pubis Fasern, die Urethra und Vagina umfassen, heißen auch M. sphincter urethro vaginalis F: Sicherung der Lage der Beckenorgane, Verschlussmechanismus für Urethra I: N. pudendus (S 2-4) (visceromotorische Fasern) 46 Beckenbodenmuskulatur Existenz des Diaphragma urogenitale als Muskelschicht bei Frauen umstritten! Im Alter und nach vaginalen Geburten nur noch bindegewebige Schicht mit einzelnen Muskelzellen Ø Weibliche Anatomie: Membrana perinei füllt bindegewebig den Hiatus urogenitalis aus Ø Männliche Anatomie: Membrana perinei verschließt den Hiatus urogenitalis als dünne Muskelschicht!(W. Dorschner u.a. 2003) 47 Urogenitales Verschluss-System Weibliches Verschluss-System proximale Urethra: - M. sphincter urethrae internus (Blasenhals) mittlere Urethra: - Muskeln des Diaphragma urogenitalis/Membrana perinei - M. sphincter urethrae externus = Rhabdosphinkter - M. levator ani distale Urethra: - M. bulbospongiosus 48 Urogenitales Sphinktersystem Der M. sphincter urethrae externus umgibt die Harnröhre im mittleren Drittel mit einer nach dorsal offenen Omega-Form. Diesen Muskel nennt man auch Rhabdosphinkter. Er besteht vor allem aus „Slow-twitch“-Fasern (langsamen Fasern), daher ist er für die passive Kontinenz besonders befähigt (Gosling 1979). Faseranteile aus dem Diaphragma urogenitale in Form des M. transversus perinei profundus: Aufspannung zwischen den beiden Rami ossis ischii und pubis ermöglich eine Kompression der Urethra. Sie ziehen fächerförmig nach vorne und zur Mitte, um sich über den vorderen Teil der Harnröhrenoberfläche zu wölben. 49 Beckenbodenmuskulatur Oberflächliche Schicht weiblich gebildet aus: M. ischiocavernosus M. bulbospongiosus M. sphincter ani externus Ansicht von caudal 50 Beckenbodenmuskulatur Oberflächliche Schicht männlich gebildet aus: M. ischiocavernosus M. bulbospongiosus M. sphincter ani externus Ansicht von caudal 51 Beckenbodenmuskulatur M. ischiocavernosus U: Außenseite der Äste des Os pubis A männlich: Crus penis A weiblich: Crus clitoridis F: presst Blut in Corpus cavernosum penis/clitoridis I: Nervus pudendus (S 2-4) Ansicht von caudal, weiblich 52 Beckenbodenmuskulatur M. bulbospongiosus U: Corpus perineale A männlich: Fascia corpus spongiosum u. Fascia penis A weiblich: Bulbus vestibuli F: verengt weiblichen Introitus, umhüllt männlichen Corpus spongiosum I: Nervus pudendus (S 2-4) Ansicht von caudal, weiblich 53 Beckenbodenmuskulatur – Centrum tendineum perinei zwischen Hiatus urogenitalis und Hiatus ani liegt ein fester bindegewebiger Körper Corpus perineale Treffpunkt von Faszien, Muskeln der Diaphragmen und des M. sphincter ani externus nach cranial Übergang in Septum rectovaginale 54 Beckenbodenmuskulatur M. sphincter ani internus und M. sphincter ani externus 55 Beckenbodenmuskulatur M. sphincter ani externus Verbindung zum M. puborectalis dorsal Verbindung zum Corpus anococcygeum verankert im Corpus perineale verbunden mit M. sphincter ani internus und glattmuskulären Längsfasern des Analkanals (Stratum longitudinale) Aus 3 Anteilen bestehend: Ø M. sphincter ani subcutania, superficiale und profundus F: unterstützt M. sphincter ani internus, der die oberen drei Viertel des Analkanals umfasst I: Nervus pudendus 56 Äußere Hüftmuskulatur M. obturatorius internus U: Innenfläche Membrana obturatoria und deren knöchernem Rahmen A: Fossa trochanterica am Femur F: AR, ADD, EXT. M. obturator internus in Hüftflex.: tranversale ABD White line I: Plexus sacralis (L5-S2) M. iliococcygeus M. pubococcygeus M. puborectalis M. obturatorius internus wird von den beiden Mm. gemelli flankiert, caudal liegt der M. quadratus femoris 57 Beckenboden Zusammenfassung Männer besitzen mehr Muskelmasse als Frauen Die weibliche Beckenbodenmuskulatur ist häufig von Bindegewebe durchsetzt und weniger kräftig ausgebildet als beim Mann, was vorteilhaft für den Geburtsvorgang ist. Während der eher horizontal verlaufende Anteil des Diaphragmas urogenitale beim Mann als M. transversus perinei profundus angesehen wird, existiert dieser Teil bei der Frau nicht. Der M. sphincter urethrae externus ist kein komplett zirkulärer Muskel. Er ist dorsal offen und beide Enden sind über ein kräftiges, bindegewebiges Septum verbunden, das streckenweise mit der Vorderwand der Vagina verwachsen ist. Der M. sphincter ani externus ist kein durchgehend zirkulärer Muskel. Er ist in der cranialen Portion nach ventral offen und im caudalen perinealen Abschnitt dorsal nicht geschlossen. Unterschiede bestehen zwischen männlich/weiblich. 58 Histologie des Beckenbodens (Gosling et al. 1981; Swash 1992) quergestreifte Muskulatur ca. 70% langsame Fasern (slow twitch fibers, Typ I) tonisch ca. 30% schnelle Fasern (fast twitch fibers, Typ II) schnelle phasisch Muskelfasern höherer Ruhetonus als andere Muskeln hoher Bindegewebeanteil langsame Muskelfasern Ø Physiologische Muskelkontraktion: zunächst Typ I, anschließend Typ II (Tunn et al. 2021) 59 Nervale Versorgung Th10-L2 Sympathicus S2-S4 Parasympathicus S2-S4 N. pudendus 60 Vegetatives Nervensystem Speicherung: Sympathische Fasern aus Th 10-12 Plexus hypogastricus Hemmung: M. detrusor vesicae, Dünndarm- und Dickdarmperistaltik Erregung: Sphinktermuskulatur, Vasokonstriktion Genitalien Sympathische Fasern aus L1-2 Hemmung: Rektumperistaltik 61 Vegetatives Nervensystem Entleerung: Parasympathische Fasern aus S 2-4 Nn. splanchnici pelvici Erregung: M. detrusor vesicae, Dünndarm- und Dickdarmperistaltik Hemmung: Sphinktermuskulatur, Vasodilatation Genitalien (Erektion) 62 Somatisches Nervensystem motorisch efferente Fasern aus den Segmenten S 2-4 über Plexus sacralis N. pudendus (Nn. perinealis, Nn. rectalis) Nn. levatorii direkte Äste aus Segmenten S 3-4 63 Somatisches Nervensystem Sakralnerven N. ischiadicus N. pudendus Rr. levatorii Quelle: AMS 64 Somatisches Nervensystem Motorische Innervation Sensible Innervation - M. levator ani - den gesamten Genialbereich - M. bulbospongiosus - Labien, Scrotum, Klitoris - M. ischiocavernosus - M. sphincter urethrae externus - M. sphincter ani externus 65 Nervale Versorgung der Blase Autonom (vegetativ) - Sympathicus (Th10 - L2) hemmt die Blasenaktivität und erhöht den urethralen Verschluss, - Parasympathicus (S2 - S4) erhöht die Blasenaktivität und vermindert den urethralen Verschluss Somatisch: N. pudendus, Nn. Levatorii Zentral: kortikales, pontines, sakrales Miktionszentrum 66 Blase – neurale Steuerung der Miktion Nn. splanchnici 67 Blase – Neurologie - Miktionszentren Kortikales Miktionszentrum - bewusste Hemmung des Miktionsreflexes Pontines Miktionszentrum - Umschaltung von peripheren Afferenzen und zentralen Efferenzen, Steuerung des Miktionsreflexes und der Miktion Sakrales Miktionszentrum - reflektorische Blasenentleerung 68 Blase - Neurologie Störungen Läsion des kortikalen Blasenzentrums - ischämisch (Schlaganfall), neoplastisch, degenerativ, entzündlich, neurologisch (MS, Parkinson, Demenz) spinale Läsion - entzündlich (MS), traumatisch (Querschnitt), Anlagestörung periphere neurogene Schädigung - Traumatisch (Geburten, Operationen), Radiogen, PNP (Diabetes) 69 BECKENBODEN Aufgaben 70 Beckenboden - Aufgaben Öffnen Miktion Geburt Defäkation Verschließen Harnkontinenz Stuhlkontinenz Stützen Harnblase Uterus/Vagina Anorektum 71 Beckenboden - Aufgaben Unterstützen der Beckenorgane Stabilisieren von Steißbein und Kreuzbein Rumpfstabilisator Zeitgerechte, angepasste Kontraktion bei Körperaktionen - Erhalten des urethralen / analen Verschlussdruckes bei verschiedenen Aktivitäten - Erhalten bzw. Verkleinern des anorektalen Winkels in der Speicherphase Relaxation bei Miktion, Defäkation und Geburt Stütze des Rektums während der Defäkation Unterstützung der sexuellen Aktivitäten 72 Muskuläre Funktionszusammenhänge Nur wenige Muskelgruppen sind horizontal im menschlichen Körper angeordnet: Diaphragma oris (Mundboden) Diaphragma thorakale Diaphragma pelvis / urogenitale Intrinsische Fußmuskulatur 73 Funktionelle Zusammenhänge Mundboden Zwerchfell Wirbelsäulen- Beckenstellung Beckenboden haltung Knie Füße 74 Muskuläre Funktionszusammenhänge Synergismus alle Hüft- und Rumpfmuskeln, mit Ansatz am Becken und Einwirkung auf das Becken, arbeiten synergistisch der Beckenboden stabilisiert den Beckenring im Stand der Beckenboden stabilisiert auf der Standbeinseite und wirkt stoßdämpfend beim Fersenkontakt im Gang Ø Der BB ist die prozentual aktivste Muskelgruppe bei Bewegungsanforderungen des Alltags (Schulte-Frei, 2007) 75 Muskuläre Funktionszusammenhänge Ø Diaphragma pulmonale, M. transversus abdominus, Mm. multifidii und M. levator ani sind Rumpfstabilisatoren! während maximaler Beckenbodenkontraktion werden bei trainierten Frauen alle Bauchmuskeln isometrisch aktiv in LWS-Extension wurde eine höhere Aktivität des M. transversus abdominus gemessen als von M. rectus abdominus und Mm. obliquii externi in Flexionsstellung der LWS waren die Mm. obliquii externi am aktivsten!(Carmen Rock, 2003) 76 Funktionelle Beckenbodenarbeit 77 Funktionelle Beckenbodenarbeit „korrekte Kontraktion“ isoliert schließend nach cranio-ventral bei fließendem Atem In verschiedenen Kraftqualitäten Foto K. Wissmiller, AG GGUP 78 Funktionelle Beckenbodenarbeit M. levator ani Bewegung während willkürlicher Beckenbodenkontraktion bei Frauen mit Inkontinenz und Prolaps (Thompson et al., 2003) Ø 38% korrekte Elevation Ø 43% Absinken des BB Ø 19% keine Bewegung 79 Funktionelle Beckenbodenarbeit - Instruktionen Welche Instruktion wird am besten verstanden und akzeptiert? (Charlanes et al. 2021) Von anatomischen Instruktionen war am besten: - „Den Anus verengen oder kontrahieren“ (besser als Vagina verengen oder Perineum kontrahieren) Von funktionellen Instruktionen war am besten: - „den Wunsch, zu urinieren, zurückhalten“ - „den Wunsch, Stuhlgang zu entleeren, zurückhalten“ - „Winde zurückhalten“ Oder anatomisch und funktionell kombiniert, z.B. - „den Anus verengen, als ob man Winde oder Stuhl zurückhalten möchte“ - „das Perineum kontrahieren, als ob man Urin zurückhalten möchte“ 80 Instruktionen Frauen Welche Instruktion wird am besten Bei welcher Instruktion ist der Effekt auf den umgesetzt, wenn Frauen bisher nicht korrekt Blasenhals am besten? (Crotty et al. 2011) aktiviert haben? (Kandadai et al. 2015) „den vorderen Bereich verengen und „Die Muskeln rund um die Vagina anheben, wie wenn man den Urinstrahl verengen, als ob Sie Urin halten möchten“ bremsen möchte“ „Die Muskeln verengen, als ob Sie Wind „den hinteren Bereich verengen und zurückhalten möchten“ anheben, als ob man verhindern möchte, „Die Muskeln der Vagina um meinen Finger dass Darmwinde abgehen“ herum verengen“ „Beide Bereiche verengen und „Die Muskeln der Vagina nach innen und anheben….“ oben verengen“ 81 Instruktionen Männer Stafford et al. 2016 Stafford et al. 2012 Ergebnisse: Ergebnisse: von den vier Kontraktionsaufforderungen den - Die Bewegungen des anorektalen Winkels Anus anspannen, die Blase anheben, den Penis waren deutlich korreliert mit den Bewegungen verkürzen, den Urinfluss anhalten ist die des Blasenhalses - midurethrale Bewegung nach dorsal am - Die Bewegungen des SUS (striated urethral größten mit sphincter) waren deutlich korrelliert mit den Ø „den Penis verkürzen“, Bewegungen des Blasenhalses in negativer Richtung - und der intraabdominelle Druck am höchsten mit - Gesunde Männer haben bei maximaler Kontraktion evtl. verschiedene Strategien – Ø „die Blase anheben“. entweder mehr M. levator ani oder mehr - Analsphincteraktivität am höchsten mit SUS Ø „den Anus anspannen“. 82 Instruktionen Männer (Stafford et al. 2020) - M. sphincter urethrae externus: Penis retrahieren, Penis verkürzen, Urinstrahl bremsen - M. bulbospongiosus: Anspannen, als ob man die letzten Tropfen ausdrücken möchte - M. levator ani: Urinstrahl bremsen oder Wind zurückhalten 83 Funktionelle Beckenbodenarbeit Funktionsverbesserung auf den Ebenen von Ø Ansteuerfähigkeit Ø Koordination (auch intramuskulär) Ø Ausdauer Ø Kraft / Schnellkraft Ø Tonusaufbau / -reduktion Foto AG GGUP 84 Funktionelle Beckenbodenarbeit Verbesserung der Wahrnehmungsfähigkeit Ø Körperwahrnehmung insgesamt fördern Ø Visualisierung Ø taktile Reize Ø thermische Reize Ø Ausgangsstellungen variieren Foto AG GGUP 85 Funktionelle Beckenbodenarbeit Fotos: AG GGUP 86 BECKENBODEN UND KÖRPERHALTUNG 87 Beckenboden und Körperhaltung Bauchkapselsystem (abdomino-pelvine Leibeshöhle) Koordinierte Aktivität zur Steuerung und Stabilität der LWS notwendig wird gebildet aus - cranial: Zwerchfell - ventral/lateral: lokale und globale Bauchmuskulatur - dorsal: lokale und globale Rückenmuskulatur - caudal: Beckenboden (Hodges, 2007) 88 Beckenboden und Körperhaltung 89 Beckenboden und Körperhaltung Vorteile der aufrechten Körperhaltung Optimaler Bereitschaftstonus des Beckenbodens Ptosis-/ Senkungs-Prophylaxe Entlastung des BB von Druck durch Schwingung der Wirbelsäule, Druckübertragung auf Os pubis gute Arbeitsposition des Diaphragmas thorakale Optimale Arbeitsbereitschaft der Bauchmuskulatur, besonders des M. transversus abdominis Optimale Drucktransmission (aktiv und passiv) 90 Beckenboden und Körperhaltung Verhaltensgrundlage zur Vermeidung von Druckerhöhung im Bauchraum im Stand neutrale Beckenstellung stimuliert Beckenbodenmuskulatur BWS Aufrichtung entlastet Beckenbodenmuskulatur funktionelle Fuß- u. aktiviert Fuß- und Beinmuskulatur à Beinachsenbelastung aufrichtende Muskelkette Ausatmung während Synergismus entlastet den Anstrengung Beckenboden; reduziert den IAD 91 Beckenboden und Körperhaltung Automatisierung: Verbesserte Beckenbodenkontraktion in den Alltag transportieren ASTE steigern Balanceübungen Bilder A. Landmesser / A. Köwing, AG GGUP 92 BECKENBODEN UND ATMUNG 93 Beckenboden und Atmung 94 Beckenboden und Atmung Diaphragma thorakale quergestellte Muskelplatte Pars costalis U: Innenfläche Rippe 7-12 Pars sternalis U: Processus xiphoideus Pars lumbalis U: 1.-4. LWK A: Centrum tendineum I: N. phrenicus (C3-5) 95 Beckenboden und Atmung Diaphragma thorakale Funktion: Hauptmuskel des Atemsystems Stabilisation L2-L4 („feed-forward-Mechanismus“) Die stabilisierende Funktion geht bei respiratorischem Stress verloren (z.B: Asthma bronchiale, Giggle- Inkontinenz) Feed-forward-Mechanismen bauen Haltungsanpassungen in das Bewegungsprogramm ein - diese vorausschauenden Haltungskorrekturen entstehen durch die Erfahrung des Körpers - sie verbessern sich während des Übens - ermöglichen Haltungskontrolle und Gleichgewichtsreaktion 96 Beckenboden und Atmung Interaktion Zwerchfell-Beckenboden-M. transversus abd. Inspiration Exspiration Diaphragma thorakale Diaphragma thorakale Diaphragma thorakale konzentrisch exzentrisch M. transversus abd. M. transversus abd. konzentrisch exzentrisch Beckenbodenmuskeln Beckenbodenmuskeln konzentrisch exzentrisch Diaphragma hr pelvis/urogenitale 97 Beckenboden und Atmung „Ton erzeugt Tonus“ Stenosierende Ausatmung mit „ch“ zur Förderung von Kraft und Ausdauer der slow twitch fibers Lautierung (z.B. „p“, „t“, „k“) zur Stimulierung der fast twitch fibers (Tanzberger 2004) Lautierung eignet sich, isoliert betrachtet, wegen geringem Trainingsreiz nicht als BB-Training (Schulte-Frei, 2007) Ø Atemarbeit als Unterstützung der Beckenbodenaktivität und Starthilfe in der Therapie 98 Beckenboden - Atmung - Haltung Koordination der Multifunktion während moderater Alltagsbelastung (nach Christine Hamilton): Tonisch lokale Muskelaktivität sorgt für segmentale Stabilisation und Kontinenz Phasisch lokale Muskelaktivität sorgt für forcierte Respiration - Beckenboden, M. transversus abd. und Mm. multifidi unterstützen forcierte Exspiration in Sinne der Koaktivität Phasische globale Muskelaktivität sorgt für Gleichgewicht und Bewegungskontrolle 99 GLOBALES UND LOKALES MUSKELSYSTEM im Bezug zum Beckenboden 100 Lokale und globale Muskulatur Lokales System Globales System Funktion Funktion - Segmentale Stabilität - Gleichgewicht / - Niedriger Kraftaufwand Beschleunigung - Kraft notwendig Dysfunktion - Koordinationsstörung Dysfunktion - Konstanter Zusammenhang mit - Muskeldysbalance Schmerzen - Kein direkter Zusammenhang mit Schmerzen 101 Lokale und globale Muskulatur Zusammenspiel von 2 Systemen : Globale Muskeln Ø Gleichgewicht und Bewegung Lokale Muskeln Ø Segmentaler Schutz Ø Die globale Muskeldysbalance führt zu Störungen im lokalen System und Schmerzentstehung 102 Lokale und globale Muskulatur Merkmal Lokale Muskeln Globale Muskeln Globale Muskeln eingelenkig mehrgelenkig Anatomie Gelenknah, Überspannt ein Gelenk Überspannt mehrere segmental Gelenke Muskelgröße klein groß Sehr lang Fasertyp Vorwiegend Typ 1 Gemischt Typ 1 und Vorwiegend Typ 2 Typ 2 Funktion Segmentale Stabilität Gleichgewicht Bewegungseinleitung Mechanoinsuffizienz Nicht anfällig anfällig Sehr anfällig Art der Dauerhaft Variable Mischung von Kurze Kraftentwicklung 30% der Max.Kraft Kraft und Dauer Beschleunigungskraft 30-80% der Max.Kraft 80% der Max.Kraft Beispiele M. transversus abd. M. obliquus ext. M. rectus abd. Mm. multifidii (brevis) 103 Lokales System Segmentale Stabilisation „leise Arbeit im Hintergrund“ 30 % Muskelaktivität à maximale Muscle stiffness; Stabilität¹ 3-5 % Aktivität der tiefen Mm. multifidi notwendig, um L4/5 zu stabilisieren² Selektive Ansteuerung wichtig für Koordination und Timing. Dies erfordert viel Biofeedback.! (Quelle: Christine Hamilton) ¹Hoffer,J., et al. (1981). "Regulation of soleus muscle stiffness in premamillary cats." Journal of Neurophysiology 45(2): 267-285 ²Cholewicki, J., et al. (1997). "Stabilizing function of trunk flexor-extensor muscles around a neutral spine posture." Spine 22(19): 2207-2212 104 Arbeitshypothese Beckenbodenaktivität ist segmentale Stabilisation Pat. mit Inkontinenz: 2 x häufiger Rückenschmerzen (Nordin 2002) Zunehmende Blasenfüllung führt zu abnehmender Stabilisationsleistung des Beckenbodens und Zunahme der abdominalen Aktivitäten, vor allem bei inkontinenten Frauen (Smith 2005) Kompression des ISG-Gelenks durch Fascia thorakolumbalis und Fascia glutaeus Dysfunktion Beckenboden: ISG-Kompression mit Gürtel verbessert ISG-Stabilität, reduziert Schmerzen, verbessert Beckenbodenfunktion (O´Sullivan 2002) 105 Lokale und globale Muskulatur - Bauchmuskulatur Lokales System Globales System M. transversus abdominus M. obliquus abdominus internus M. obliquus abdominus externus M. rectus abdominus 106 Lokale Bauchmuskulatur M. transversus abdominus U: Innenfläche der sechs caudalen Rippenknorpel, Proc. costarii, Darmbeinkamm, horizontaler Verlauf mit bogenförmigem (Linea semilunaris) Übergang in Aponeurose A: Aponeurose I: Spinalnerven TH 5-12, N. iliohypogastricus, N. ilioinguinalis F: “ Bauch schmal formen“ Stabilisation der Rumpfkapsel ohne relevante IAD Erhöhung 107 Lokale Bauchmuskulatur Aktivierung M. transversus abdominus Anleitungsvorschläge: Spinae (SIAS) einander annähern (innerlicher Gürtel) Unterbauch wird flach Taille wird schmal Tiefsitzenden Reißverschluss schließen Motorradgürtel, Gürtel ½ Zentimeter schließen 108 Intraabdomineller Druck (IAD) Husten IAD- Anstieg bei Ko-Aktivität oberflächlicher Bauchmuskulatur Physiologische Reaktion und Dysfunktion kein relevanter IAD- Anstieg bei Aktivierung des BB und M. transversus abd die Blasenhals- u. Rektumelevation als Kontinenzsicherung funktioniert nur mit der Aktivierung des BB und des M. transversus abd. vor Beginn des IAD- Anstieges (Junginger et al. 2008) 109 Beckenboden und Koaktivitäten Synergismus mit unterer Bauchmuskulatur (Laycock et al. 2001) Feed-forward Mechanismus zur Gleichgewichts- und Haltungskontrolle (Hodges/Richardson 1997) Koaktivität zwischen M. transversus abdominus und Beckenbodenmuskulatur (Sapsford et al. 2001) Aktivitäten entsprechend des M. transversus abd. und der Mm. multifidi als primäre Stabilisatoren der Wirbelsäule (Christine Hamilton 1999) 110 Merke ü Rumpf-WS- Stabilisationsarbeit ist Beckenbodenarbeit ü Segmentale Stabilisation vor globaler Kräftigung ü Beckenbodentherapie kann mit Wirbelsäulenarbeit beginnen ü Fuß- Beinarbeit als Beckenbodentherapieansatz 111 MUSKULÄRE REHABILITATION 112 Training – und wenn ja, welches? Ruhetonus / Beckenbodentonus passive Bindegewebe / Stütze Ligamente Beckenboden Aktive Beckenbodenfunktion Unterstützung Forner L 2021 Loading the postnatal pelvic floor 113 Welche Therapie braucht der Beckenboden? Kraft Koordination Schnellkraft Reaktivkraft Ausdauer Entspannungsfähigkeit Detonisierende Techniken Dehnfähigkeit Präkontraktion 114 Muskuläre Rehabilitation Ø Maximalkraft one repetition maximum - 100% Ø Schnellkraft Fähigkeit einen möglichst großen Impuls innerhalb kurzer Zeit zu entfalten - 100% Ø Kraftausdauer Fähigkeit über einen längeren Zeitraum Lasten zu bewältigen - 30-50% 115 Muskuläre Rehabilitation Belastungssteuerung erfolgt über die Parameter: Reizintensität – Stärke des Trainingsreizes Reizumfang – Anzahl der Trainingsreize pro Trainingseinheit Reizdauer – Belastungsdauer Reizdichte – zeitliches Verhältnis zwischen Belastungs- und Erholungsphasen Reizhäufigkeit – Trainingshäufigkeit 116 Muskuläre Rehabilitation Neuromuskuläre Aktivierung Therapieziel: Erlernen der korrekten Kontraktion Wahrnehmen – Steuern – Kontrollieren mittlere Wiederholungszahlen (mehrmals täglich) niedrige Belastungsintensität (0-30% der Maximalkraft) Angepasste Belastungsdauer (1-5 Sek.) 117 Muskuläre Rehabilitation Training der Kraft Therapieziel: Muskelhypertrophie niedrige Wiederholungszahlen (8-15) hohe Belastungsintensität (60-80% der Maximalkraft) kurze Belastungsdauer (5-7 Sek.) 2-3 Sets (8-15 Wdh./ 1 Minute Pause) Pause 48 - 72 Stunden zwischen den Trainingseinheiten 118 Muskuläre Rehabilitation Training der Kraft-Ausdauer Therapieziel: Stabilisieren Verbesserung der Ermüdungswiderstandsfähigkeit hohe Wiederholungszahlen (ab 16-30) niedrige Belastungsintensität (30-50% der Maximalkraft) lange Belastungsdauer (10-12 Sek.) 2-3 Serien mit 1 Minute Pause 119 Muskuläre Rehabilitation Training der Schnellkraft Therapieziel: Schnellkraft (short flicks) niedrige Wiederholungszahl (3-5) hohe Belastungsintensität (30-100%) kurze Belastungsdauer (1-4 Sek.) 3 Serien 120 Muskuläre Rehabilitation Training der Reaktivkraft Therapieziel: Anbahnung/ Verbesserung der reaktiven Kraftfähigkeit bei hohem intraabdominalen Druck oder Impact-Beanspruchungen Exzentrische (abbremsende) Kontraktionen Schnelle Belastungsanforderungen Zuerst leichte, später hohe Belastungsintensitäten 121 Muskuläre Rehabilitation Alltagstraining Therapieziel: Einbinden der Beckenbodenspannung vor und bei kritischen Belastungen (the knack = der Trick) Mit einer angepassten Vorkontraktion Einbinden in einen relevanten Bewegungsablauf 122 Muskuläre Rehabilitation Spezifische Zielmuskulatur benutzen Slow twitch fibers: 8-12 langsame, möglichst maximale Kontraktionen (60-80% der Maximalkraft) nacheinander durchführen Anspannung min. 3 Sek., max. 10 Sek. halten 3 Serien durchführen 1-2 Min. Pause zwischen den einzelnen Sets (Serien) machen Fast twitch fibers: 5-8 schnelle Kontraktionen 60-80% Kraft, 1-4 Sek. ausführen 2-3 (4) pro Woche wiederholen Die Übungen müssen mehr als 5 Monate durchgeführt werden, um einen positiven Effekt zu zeigen.!(American College of Sport Medicine (1998), Kraemer und Ratamess 2004, K. Bo 2007 ) 123 Beckenbodentraining Fleck, Kramer 2004: Beckenbodentraining … Verbessert stützende Funktion des Beckenbodens Führt zu Hypertrophie des Beckenbodens Verbessert Durchblutung und Elastizität Hat Einfluss auf Festigkeit von Muskulatur und Bindegewebe Reduziert die Wirkung der Antagonisten (IAD) Erhöht die Anzahl der Motor units* und Aktivierung der Agonisten (neurologische Adaption) Verbessert die Koordination der Motor units und beteiligter Muskeln *Motor units = motorische Einheiten 124 Patient:in im Mittelpunkt (ICF) Sport Patient:in braucht Aufklärung über Anatomie und Physiologie, um die Zusammenhänge zu verstehen! Soziales Umfeld Stress Ø Beratung P Beckeninstabilität Harninkontinenz Deszensus 125 LAGEVERÄNDERUNGEN IM KLEINEN BECKEN Deszensus urogenitale Siehe Leitlinie „Deszensus genitalis der Frau“, www.awmf.org 126 Lageveränderungen im kleinen Becken Organsenkung Bei einer Senkung verlagert sich das normale Bewegungsausmaß der Organe vorübergehend (z.B. prä- und postpartal) oder bleibend, mit und ohne Progredienz nach caudal. Klinisch ist ein Tiefertreten der Vaginalwände und / oder des Uterus zu beobachten. 127 Lageveränderungen im kleinen Becken Voraussetzung für eine physiologische Topographie Interaktion zwischen Beckenbodenmuskulatur, ligamentären, faszialen und nervalen Strukturen halten die Vagina in korrekter Position in Ruhe und während der Bewegung Pathogenese Beckenbodenmuskulatur insuffizient oder verletzt: Vagina muss von ligamentären und faszialen Strukturen gehalten werden – nur für kurze Zeit möglich! Folge: Senkung (Perucchini et al 2009) 128 Ursachen / Risikofaktoren Organsenkung Schwangerschaft und Geburt Insuffizienz der Beckenbodenmuskulatur Schwaches Bindegewebe Hohe körperliche Belastung Obstipation, Defäkation mit starkem Pressen Hormonmangel Bewegungsmangel, Haltungsinsuffizienz Hysterektomie Obstruktive Lungenerkrankungen Neurologische Störungen Adipositas 129 Lageveränderungen im kleinen Becken Einteilung nach Kompartimenten 130 Lageveränderungen im kleinen Becken An einer Absenkung können einzelne oder mehrere Organe beteiligt sein: 1. im vorderen Kompartiment: Zystozele (Absenkung der Blase) Urethrozele (Absenkung der Harnröhre) 2. im mittleren Kompartiment Prolaps uteri (Absenkung des Uterus) Vaginalstumpfdeszensus Descending perineum (Absenkung des Dammes) 3. im hinteren Kompartiment: Rektozele (Absenkung Rektums) 131 Lageveränderungen im kleinen Becken Zystozele (vordere Scheidenwandsenkung) Bild AG GGUP 132 Lageveränderungen im kleinen Becken - Zystozele Blase sinkt durch den erweiterten Hiatus urogenitale und dehnt die Vaginalvorderwand Klinische Symptome Bällchen-/ Fremdkörpergefühl in der Vagina „reibt in der Vagina“, Druck vorne in Vagina Blasenentleerungsstörung Scheidenluft 133 Lageveränderungen im kleinen Becken Deszensus uteri Bilder AG GGUP 134 Lageveränderungen im kleinen Becken - Deszensus uteri Defekt im Halteapparat des Uterus (Lig. sacrouterinum) Klinische Symptome Druckgefühl in der Vagina Tampon rutscht raus / passt nicht mehr richtig Schweregefühl am Beckenboden „drückt in die Hose“, „fällt etwas heraus“ Schmerzen in der Vagina Reizung der Vaginalschleimhaut 135 Lageveränderungen im kleinen Becken Rektozele (hintere Scheidenwandsenkung) Bild AG GGUP 136 Lageveränderungen im kleinen Becken - Rektozele Rektumvorderwand senkt sich in Richtung Vagina; die vaginale Hinterwand und das Septum rectovaginale sind betroffen Klinische Symptome Bällchen-/Fremdkörpergefühl in der Vagina „reibt in der Vagina Darmentleerungsstörungen Ggf. manuelle Darmentleerung Vaginalluft (flatus vaginalis) 137 Gradeinteilung Pelvic Organ Prolapse (POPQ) (Haylen et al 2016) Beurteilung mit leerer Blase in einer Position, in der die Frau die größtmögliche Senkung beobachtet Achtung: Tageszeit! I° größte distale Ausdehnung bis 1 cm oberhalb Hymenalsaum, nicht sichtbar im Introitus II° größte distale Ausdehnung zwischen 1 cm oberhalb und unterhalb des Hymens III° größte distale Ausdehnung mehr als 1 cm unterhalb Hymen bis höchstens (max. Länge der Vagina – 2 cm) IV° maximale Ausdehnung außerhalb des Körpers, mind. (max. Länge der Vagina – 2 cm) Zusätzliche Untersuchung: plus Schieben / Pressen 138 Beckenbodensenkung - Descending Perineum normal Senkung 139 PHYSIOLOGIE DER BLASE Speicher- und Entleerungsfunktion 140 Blasenfunktion – Speicherphase Flüssigkeitsaufnahme ca. 1,5 – 2 l täglich Urinproduktion in der Niere gesamt ca.120 ml / Stunde Weiterleitung in die Blase Füllung der Blase Dehnung und Entspannung der Blasenwand (ohne Druckanstieg in der Blase!) 1. Drangauslösung bei 120 – 150 ml Max. Blasenfüllung: 350 – 500 ml 141 Blasenfunktion – Entleerungsphase Beckenboden und M. sphincter urethrae externus entspannen hinterer urethrovesikaler Winkel flacht ab M. detrusor vesicae kontrahiert, Ureter werden verschlossen Urin fließt, bis Blase entleert (bis auf max.10 % Restharn) Beckenboden und M. sphincter urethrae externus kontrahieren M. detrusor vesicae entspannt nächste Speicherphase beginnt 142 Blasenfunktion 143 Blasenfunktion - Toilettenverhalten „Trocken werden“ heißt für ein Kind (ca. 2-3 Jahre alt), den Füllungszustand der Blase zu spüren und die Entleerung bewusst bis zur Toilette aufzuschieben. Ø drangabhängig die Blase entleeren, nicht situationsabhängig (Erhalt der Blasenkapazität) Berechnung der Blasenkapazität bei Kindern bis 13 Jahre: Ø Alter x 30 ml + 30 ml Empfohlene Trinkmenge: siehe Tabelle der Deutschen!Gesellschaft für Ernährung (www.dge.de) 144 Definition Kontinenz WHO-Definition: Die Fähigkeit, den Ort und den Zeitpunkt der Entleerung von Blase und Darm selbst zu bestimmen. 145 Voraussetzungen für Harnkontinenz intaktes Band- und Bindegewebe im Becken korrekte Topographie der Organe elastische vordere Vaginalwand Schleimhautfalten in der Urethra Vaskulärer Schwellkörperverschluss ausreichender Urethraltonus Kollagener Dehnungsverschluss Koordination der Beckenbodenmuskulatur korrekte nervale Steuerung Ø Koordination aller Faktoren!!! 146 Drucktransmission aktiv und passiv Die Kontinenz bei intraabdominalem Druckanstieg gewährleisten die Aktive Drucktransmission Ø Kontraktion der quergestreiften Muskulatur von Beckenboden und Sphinkter vor und bei der Belastung Passive Drucktransmission Ø abdominale Druckweitergabe auch auf Blasenhals und Urethra (à Stressprofil). Wird durch bindegewebige Aufhängung von Harnblase, Harnröhre und Vagina ermöglicht 147 Definition Inkontinenz ICS-Definition (Abrams et al. 2002) Die Inkontinenz ist eine Krankheit, bei der ein unwillkürlicher Harnverlust ein soziales oder hygienisches Problem ist und dies objektiv nachgewiesen werden kann. 148 PATHOLOGIE DER BLASE Speicher- und Entleerungsstörungen 149 Nomenklatur Nykturie gehäuftes nächtliches Wasserlassen Pollakisurie häufige Miktion kleiner Mengen Dysurie erschwerte willkürliche Miktion, kann schmerzhaft sein Algurie schmerzhafte Miktion Polyurie krankhaft erhöhte Urinmenge (z.B. Diabetes mellitus) 150 PATHOLOGIE DER BLASE Ärztliche Diagnostik 151 Ärztliche Diagnostik Leitlinie zur Harninkontinenz der Frau – Flowcharts Quelle: AWMF Leitlinienregister 152 Ärztliche Diagnostik - Leitlinie 153 Ärztliche Diagnostik - Uroflowmetrie Technik der Harnstrahlmessung: Patient:in uriniert in einen Behälter, die Harnstrahl-Parameter werden bestimmt mit Hilfe der Gewichtszunahme / Zeit oder durch die Abbremsung einer rotierenden Scheibe. Da der maximale Harnfluss (Qmax) abhängig vom Miktionsvolumen ist, sollten bei Erwachsenen nur Harnstrahlmessungen über 150 ml interpretiert werden. Beispiel Normalbefund: maximaler Flow 29,2 ml/s, mittlerer Flow 20,8 ml/s Miktionsvolumen 607 ml, Miktionsdauer 29 s. 154 Ärztliche Diagnostik - Urodynamik 155 Ärztliche Diagnostik - Ein- / 24-Stunden PAD-Test PAD-Test (standardisiert nach ICS) Auswertung nach Vorlagengewicht: 500 ml trinken oder über Katheter Blase auffüllen!und 30 Minuten warten keine Harninkontinenz 100 g 1 min. unter fließendem Wasser Hände waschen 156 PATHOLOGIE DER BLASE Physiotherapeutische Diagnostik 157 Physiotherapeutische Diagnostik - Anamnese Downloadangebote der AG GGUP 158 Physiotherapeutische Diagnostik Differenzierte Miktionsanamnese Miktionsfrequenz Tag / Nacht über 3-4 Tage Blasenfüllungsgefühl Blasenentleerungsmodus Harnstrahlqualität Restharngefühl Katheter-Anwendung Farbe des Urins Bild K. Wissmiller 159 Physiotherapeutische Diagnostik - Trink - und Miktionsprotokoll Was sagt das Miktionsprotokoll aus: Trinkmenge und -intervalle Entleerungsmenge und -intervalle Entleerungen in der Nacht Drangbeurteilung: x xx xxx, oder ohne Drang Harnverlustmengen am Tag und in der Nacht Bei welchem Getränk entsteht Harndrang Einfluss der Medikamente (evtl. Stuhlentleerungen aufführen lassen) www.ag-ggup.de/service/downloadangebote 160 Physiotherapeutische Diagnostik - Trink - und Miktionsprotokoll 161 Physiotherapeutische Diagnostik - Trink - und Miktionsprotokoll 162 Physiotherapeutische Diagnostik Weitere Testmöglichkeiten Provokationstest 163 Physiotherapeutische Diagnostik Inspektion und Palpation des Beckenbodens Muskelfunktionsprüfung nach dem vaginale / anorektale Funktionsuntersuchung Perfect Schema (Joe Laycock 2008) · P Performance Maß für Stärke der maximalen willkürlichen Kontraktion (MWK) Voraussetzung: · E Endurance Zeit in Sekunden (0-10), die die MWK · spezielle Fortbildung gehalten werden kann, bevor die Stärke um 50% oder mehr abnimmt · R Repetitions Zahl der Wiederholungen der MWK · schriftliches Einverständnis des Patienten · F Fast Contraction Zahl (bis zu 10) der eine Sekunde MWKs · E Elevation Lift der posterioren Vaginalwand während der MWK Ø Inhalt des Basiskurs 2 · C Co- Contraction der unteren abdominalen Muskulatur während der MWK · T Timing zeitgleiche/zeitnahe unwillkürliche Kontraktion des BB bei Hustenprovokation 164 Physiotherapeutische Diagnostik Dokumentation im Rings of Continence (ROC) nach J. Laycock Sensibilität Schmerz Tonus und Kraft Lage der Organe Ruhe / Belastung Isherwood & Rane 2000; Bø & Finckenhagen 2001; Sartore et al. 2002; Thompson et al. 2005; Hundley et al. 2005; Auchincloss & McLean 2009; Grape et al. 2009; Jean-Michel et al. 2010; Ferreira et al. 2011 165 Physiotherapeutische Diagnostik - Fragebögen Anamnese als Anlage und/oder Download https://www.ag-ggup.de/service/downloadangebote/ - Miktionsprotokoll (mit / ohne Stundeneinteilung) - PT Diagnostikbogen bei Blasenfunktionsstörungen männlich / weiblich - PT Diagnostikbogen bei Defäkationsstörungen - Fragebögen Schmerzen - Deutscher Beckenbogenfragebogen - Kings Health Questionaire - u.a. www.ICIQ.net !(hier findet man weiter evaluierte Fragebögen) 166 PATHOLOGIE DER BLASE Speicherstörungen 167 Speicherstörungen Topografische Zuordnung der häufigsten Speicherstörungen Drang Dranginkontinenz Belastungsinkontinenz Belastung 168 Speicherstörungen Belastungsinkontinenz (38 %) Dranginkontinenz, überaktive Blase (18%) Mischinkontinenz (42%) Sonstige Formen: (2 %) - Reflexinkontinenz - Überlaufinkontinenz - Extraurethrale Inkontinenz Verteilung verschiedener Inkontinenzformen: Sykes et al. 2005 in Europa, ICS 2008 169 PATHOLOGIE DER BLASE Belastungsinkontinenz 170 Speicherstörungen - Belastungsinkontinenz Definition laut ICS: Jeder unfreiwillige Harnverlust unter körperlicher Belastung Pathogenese Erhöhter Druck in der Blase bei nicht ausreichendem Druck in der Urethra 171 Speicherstörungen - Belastungsinkontinenz Symptome Harnverlust bei Druckanstieg im Bauchraum (Husten, Niesen, Lachen, Stolpern, Gehen, Lagewechsel) ohne Kontraktion der Blase ohne Harndrang tropfenweise oder Harnspritzer Bild L. Sollik 172 Speicherstörungen - Belastungsinkontinenz Gradeinteilung der Belastungsinkontinenz drei Schweregrade (nach Ingelmann-Sundberg): Grad 1: Ø Urinabgang bei schwerer körperlicher Belastung Grad 2: Ø Urinabgang bei mittlerer körperlicher Belastung Grad 3: Ø Urinabgang bei leichter körperlicher Belastung 173 Speicherstörungen - Belastungsinkontinenz Ursachen (Dorschner et al., 2001) Bindegewebsschwäche Urogenitaler Deszensus Verschlussinsuffizienz oder Läsion des urethralen Muskelapparates (post-op, post-partal, Vernarbung, iatrogen) Postmenopausaler Östrogenmangel (Tonusverlust der Urethra und Bindegewebe) Veränderung der intraabdominalen Druckverhältnisse durch Adipositas oder Enteroptose 174 Speicherstörungen - Belastungsinkontinenz Bei Belastungsinkontinenz können unterschiedliche Mechanismen verantwortlich sein: fehlende Reflexkontraktion geringere Stütze des Blasenhalses mit verringerter Puborektalissteifigkeit Trichterbildung am Blasenhals durch verringerte Beckenbodenunterstützung oder eine Störung im urethralen Verschlussdruck (Baessler & Junginger 2013, De Lancey & Ashton-Miller 2004) 175 PATHOLOGIE DER BLASE Therapie Belastungsinkontinenz 176 Therapie Belastungsinkontinenz 1. Therapiewahl (WHO; ICS; LL) lokale Östrogenisierung Ø konservativ: Lebensstilbezogene Intervention: Kaffeekonsum, körperliche Aktivität, Gewichtsreduktion · Physiotherapie (Dumoulin & Haysmith 2010; Zaccardi et al. 2010) Behandlung von Obstipation und · Individuelle Verhaltenstherapie Begleiterkrankungen (inkl. · Einsatz von Hilfsmitteln (Vaginaltampons, Medikamentenanpassung) Stützpessare) 177 Therapie Belastungsinkontinenz 2. Therapiewahl Ø operativ: Spannungsfreie suburethrale Bänder Kolposuspension Bulking agents Faszienschlingen Artifizieller Sphinkter Lasertherapie 178 Therapie Belastungsinkontinenz Ziele auf Struktur- / Funktionsebene Körper- wahrnehmung Beckenboden- Atmung/ muskelfunktion Husten Körper- haltung Tonus Gelenk- beweglichkeit Durchblutung Komor- biditäten 179 Therapie Belastungsinkontinenz Ziele auf Struktur- / Funktionsebene Vorrangiges Therapieziel: Verbesserung des urethralen Verschlusses Ø Ansteuerfähigkeit, Funktion, Kraft-Ausdauer der Beckenbodenmuskulatur, slow twitch und fast twitch Fasern verbessern (Perfect-Schema) 180 Therapie Belastungsinkontinenz Ziele auf Struktur- / Funktionsebene Koordination von Atmung und Bewegung verbessern (sicht- und tastbar) Muskeltonus regulieren Durchblutung verbessern Bilder AG GGUP 181 Therapie Belastungsinkontinenz Ziele auf Struktur- / Funktionsebene Druckreduziertes Husten, Ökonomisierung des Hustens (nur 1-2 Hustenstöße effektiv) Haltungsstabilisation Gelenkbeweglichkeit verbessern Fuß- Beinarbeit verbessern Komorbiditäten beachten! Bilder K. Wissmiller, AG GGUP 182 Therapie Belastungsinkontinenz Ziele auf Aktivitäts-/Partizipationsebene (ICF) Belastungs- Trink- situation verhalten („knack“) Miktions- Hilfsmittel verhalten Gewichts- Hobbys reduktion Bewegung 183 Therapie Belastungsinkontinenz Ziele auf Aktivitäts-/Partizipationsebene Erkennen der Belastungssituation Umsetzen des ökonomischen Bück- und Hebeverhaltens in den Alltag Einsatz „the knack“ - Prä-Kontraktion (Ashton-Miller und DeLancey 1996) Pelvic floor muscle contraction prior to coughing (Knack- manoeuvre) can reduce or preventstress urinary incontinence (Miller et al. 1998) Die Aktivität des Beckenbodens bei Husten ist bei kontinenten und inkontinenten Frauen nicht gleich.(Peng et al. 2007, Deffieux et al 2012, Thompson et al. 2006) 184 Therapie Belastungsinkontinenz Verändern des Trink- und Verändern des Alltagverhaltens Entleerungsverhaltens Veränderung des Ernährungsverhaltens zur Erreichen von Gewichtsreduktion einer Trinkmenge von 2 l / Tag Verlängerung der Wegstrecke ohne einer Blasenkapazität von 350-500 ml Harnverlust Verändern des Ausscheidungsverhaltens Anpassen der sportlichen Aktivitäten, Hobbys Vermeiden unnötiger, prophylaktischer Aufklärung über Hilfsmittel Miktionen Druckfreie Miktion Sherburn et al. 2011; Subak et al. 2002 HIK bei älteren Frauen: BBT + Wyman et al. 1998, Elser et al. 1999 Blasentraining und BBT alleine oder andere Interventionen (Blasentraining) reduz. signifikant HIK Episoden kombiniert: Kombination führt zu signifikanter Reduktion der HIK Episoden und Vorlagenzahl, verbessert Qol 185 Therapie Belastungsinkontinenz Beratung und Aufklärung / Wissenstransfer Erarbeiten eines Beckenbodentrainings (evtl. Geräte unterstützt: Biofeedback / Elektrostimulation) unter Einbeziehung der slow-twitch- und fast- twitch- Fasern in steigernden ASTE unter Einbeziehung des Atems (Halten der Kontraktion während der Zwerchfellaktivität) Bild K. Wissmiller 186 Therapie Belastungsinkontinenz Integration in den Alltag, Beruf und Sport Bewegungen, die zu Harnverlust führen, analysieren und gezielte Sequenzen üben. Ø Nach 18 Behandlungen (inkl. Anleitung zum Eigentraining) Bild K. Wissmiller 187 Therapie Belastungsinkontinenz - Pessartherapie Vaginaltampon Cave: restharnfreie Miktion Zur Therapie der Belastungsinkontinenz und von leichten Formen des Deszensus genitalis www.medsse.de 188 Therapie Belastungsinkontinenz - Pessartherapie Leitlinie: „Eine Pessartherapie sollte Patientinnen mit Belastungsinkontinenz als Therapieoption angeboten werden“ (LOE 1b, Empfehlungs-grad b) Ringpessar Urethraringpessar Cave: restharnfreie Miktion 189 PATHOLOGIE DER BLASE Drang / OAB 190 Speicherstörungen - Drang / OAB Drangblase (Urge) / Overactive Bladder = OAB wet / dry ICS-Definition: Das gleichzeitige Vorkommen von: erhöhter Harndrang (Urgency) erhöhte Miktionsfrequenz (Frequency >8) mit oder ohne Harnverlust (Urgeinkontinenz bei ca. 30%) Nykturie (>2) 191 Speicherstörungen - Drang / OAB Ursachen Zusammenhang OAB und Deszensus: geringe Blasenkapazität C-Fasern im Blasenboden werden durch pathologische Senkung des Blasenbodens Blasenhalsinsuffizienz stärker aktiviert und verstärken den Drang. falsches Toilettenverhalten (Petros, DGU Stuttgart 2008) Neurologische Erkrankungen Deszensus genitalis Psychosomatische Komponenten Ernährung (koffeinhaltige Getränke, scharfe Gewürze, Zitrusfrüchte) 192 Speicherstörungen - Drang / OAB Symptom: imperativer Harndrang mehrmals während der Blasenfüllung (phasisch) plötzlich vor der Blasenentleerung (terminal) Ø typische drangauslösende Faktoren: - Wasserplätschern - Schlüssel in die Haustüre - Lagewechsel - Aufregung 193 Speicherstörungen - Drang / OAB Konservativ Medikamentös · Physiotherapie (AWMF LL S2k, 2019) Östrogene (lokal, systemisch) Phytohormon: Operativ Hopfen Botoxinjektion Anticholinergika Sakrale Nervenstimulation z.B. Vesicur, Spasmex, Detrusitol, Trospi Blasenaugmentation Homöopathisch: Goldrute Hilfsmittel Pessar (nur mit Deszensus) 194 PATHOLOGIE DER BLASE Therapie Drang / OAB 195 Therapie Drang / OAB Ziele auf Struktur- / Funktionsebene Therapieziel: Reduzierung der Drangsymptomatik Körper- Blasen- wahrnehm- kapazität ung Urethrovesi- Becken- kaler Reflex bodenfunktion Atmung Körper- haltung Tonus Gelenk- beweglichkeit Komor- Durchblutung biditäten 196 Therapie Drang / OAB Ziele auf Struktur- / Funktionsebene Therapieziel: Reduzierung der Drangsymptomatik Verbessern der Ansteuerfähigkeit und Funktionsverbesserung der Beckenbodenmuskulatur mit Schwerpunkt auf Relaxation / Dynamisierung Funktionsverbesserung des urethrovesikalen Reflexes mit Vergrößern der Blasenkapazität 197 Therapie Drang / OAB Ziele auf Struktur- / Funktionsebene Regulieren des Muskeltonus Koordination von Atmung und Bewegung (sicht- und tastbar) Durchblutung verbessern Gelenkbeweglichkeit verbessern Haltungsstabilisation verbessern Fuß-/ Beinarbeit verbessern Komorbiditäten beachten 198 Therapie Drang / OAB Ziele auf Aktivitäts- / Partizipationsebene: Veränderung des Trink- und Ausscheidungsverhaltens Miktions- frequenz ↓ Nykturie ↓ Trink- verhalten Prophylaktische Miktion↓ Hilfsmittel Blasen- kapazität ↑ Aufschub- strategien 199 Therapie Drang / OAB Ziele auf Aktivitäts- / Partizipationsebene Veränderung des Trink- und Ausscheidungsverhaltens (auf Basis des Miktionsprotokolls): Toilettentraining Miktionsfrequenz reduzieren Aufschubstrategien erarbeiten und umsetzen im Alltag 200 Therapie Drang / OAB Ziele auf Struktur- / Funktionsebene Verhaltenstraining Vermeidung von unnötigen, prophylaktischen Miktionen Druckfreie Miktion Erreichen einer - Trinkmenge von 2 l - höheren Speicherkapazität Trinkmenge am Abend reduzieren 201 Therapie Drang / OAB Ziele auf Struktur- / Funktionsebene Bewusster Einsatz des urethrovesikalen Reflexes bei vorzeitigem oder unzeitigem Drang Erkennen und Vermeiden von drangauslösenden Lebensmitteln Erkennen von drangauslösenden Situationen Verzicht auf Rauchen Überprüfen des Medikamentenverbrauchs 202 Therapie Drang / OAB - Aufschub Hektik Panik Inkontinenz 20 – 30 sec Ruhe Dialog + Blase BB- Kontraktion Atem 203 Therapie Drang / OAB - Aufschub Aufschubstrategien bei vorzeitigem Drang Antagonistische Hemmung des M. detrusor vesicae durch Aktivierung M. levator ani und Sphinktermuskulatur isoliert oder über Muskelketten Drangreduzierende Körperhaltung: Wirbelsäulenaufrichtung oder Lageveränderung des Blasenbodens im Raum Kortikale Aufschubstrategie: mentale Entspannung, Dialog mit der Blase Auslösen des Bulbospongiosusreflexes Nutzen der Reflexzonen 204 Therapie Drang / OAB - Aufschub Aufschubstrategien bei vorzeitigem Drang (Reisch et al 2020, Heller 2006, Tanzberger 2004, Stav et al 2012, Stav et al 2014, Moore et al 1991) ü Bewusste mehrmalige Beckenboden-Spinkterkontraktion ü Ablenkung (z.B. rückwärts zählen, auf Bauchatmung achten, virtuelles Bonbon lutschen… ) ü Entspannt bleiben! Z.B. Ruhig atmen, Ruhe bewahren (nicht rennen!) ü Speichergespräch, Selbst-Affirmation ü Druck auf die Glans Penis/Klitoris ü Auf die Zehenspitzen stehen ü Schlucken ü Drangreduzierende Körperhaltungen 205 Therapie Drang / OAB Beratung und Aufklärung Erarbeiten eines individuellen Beckenbodentrainings mit Schwerpunkt auf Relaxation / Dynamisierung der Kontraktion heiße Rolle, Reflexzonentherapie Entspannungstechniken erlernen Elektrotherapie (niedrige Hz Zahl) Gerätegestütztes Biofeedback zur Unterstützung des BB- Trainings Ø nach 18 Behandlungen (inkl. Eigentraining) 206 PATHOLOGIE DER BLASE Entleerungsstörungen 207 Entleerungsstörungen Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie (DSD) Überaktiver Harnröhrenverschluss Schlaffe Blase (Detrusorareflexie, Detrusorhypotonie, Detrusorakontraktilität) Überlaufinkontinenz 208 Entleerungsstörungen Symptome Entleerungsstörung Entleerung mittels Bauchpresse Restharnbildung Dysurie Stotterharn Harnretention Nachträufeln wiederholte Miktion verzögerter Miktionsstart abgeschwächter Harnstrahl 209 Entleerungsstörungen Ursachen Obstruktion der Urethra Prostataoperationen /-hypertrophie (benigne/maligne) Bauchoperationen Beckentraumata neurologische Erkrankungen Schwangerschaft und Geburt (auch ödematös verdickte Urethra postpartal) Durchblutungsstörungen Psychosomatische Ursachen Medikamente Orthopädische / internistische Ursachen 210 Entleerungsstörungen - DSD Beispiel: Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie Eine Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie (DSD) ist eine neuromuskuläre bedingte Harnblasenfunktionsstörung, bei welcher die Koordination von M. sphincter urethrae externus und M. detrusor vesicae aufgrund einer neurologischen Grunderkrankung beeinträchtigt ist. Unter Miktion kommt es hierbei zu einer reflektorischen spastischen Kontraktion des M. sphincter urethrae externus bei gleichzeitiger Kontraktion des M. detrusor vesicae. Abgrenzung gegenüber der funktionell erworbenen Beeinträchtigung: Ø Detrusor-Sphinkter-Dyskoordination 211 Entleerungsstörungen - Dyskoordination Symptome Pressen zu Beginn und während der Miktion Unterbrochener Harnabfluss Restharnbildung z.T. mit Reflux in die oberen Harnwege Erhöhter Tonus der Beckenbodenmuskulatur Therapieziel Erreichen einer spontanen Blasenentleerung Normotonus der Beckenbodenmuskulatur Weitere Therapie Beckenbodentherapie mit Biofeedback Korrektur/ Anpassung des Toilettenverhaltens Eigenstimulation der Blase Intermittierender Selbst-Katheterismus (ISK) im Endstadium bei atoner Blase 212 Entleerungsstörungen - Obstruktion Beispiel Ursache Obstruktion der Urethra: Prostatahypertrophie 213 Entleerungsstörungen - Obstruktion Symptome Verzögerung Miktionsstart Stotterharn / Nachträufeln große Restharnmengen Therapieziel Druckvermeidung im oberen Harnsystem Therapie Intermittierender Selbst-Katheterismus (ISK) zur Vermeidung von Nierenschäden oder Harnwegsinfektionen Obstruktion beseitigen (TUR-P) 214 Zusammenfassung Pathologie der Blase ERST EINE KLARE UNTERSCHEIDUNG DER FUNKTIONSSTÖRUNG ERMÖGLICHT DEN RICHTIGEN

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