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Methoden der Entwicklungspsychologie Vorlesung Entwicklungspsychologie der Kindheit Prof. Dr. Claudia Steinbrink WS 2023/24 Themen der heutigen Vorlesung 1. Methoden der Datengewinnung 2. Zusammenhänge und Ursachen der gewonnenen Daten 3. Design...

Methoden der Entwicklungspsychologie Vorlesung Entwicklungspsychologie der Kindheit Prof. Dr. Claudia Steinbrink WS 2023/24 Themen der heutigen Vorlesung 1. Methoden der Datengewinnung 2. Zusammenhänge und Ursachen der gewonnenen Daten 3. Designs zur Untersuchung von Entwicklung 2 Methoden der Datengewinnung vgl. Berk (2005, 2011) Schwarzer (2011) Siegler et al. (2011) Überblick über vorgestellte Methoden der Datengewinnung 1. Beobachtung - strukturierte Beobachtung / Beobachtung in einem experimentellen Kontext - teilnehmende / natürliche Beobachtung 2. Interview - klinisches Interview - strukturiertes Interview 3. Fragebogen - Selbstbeurteilung durch das Kind mittels Fragebogen - Fremdbeurteilung des Kindes mittels Fragebogen 4. Standardisierte Tests und Aufgaben - standardisierte Testverfahren selbst entwickelte Aufgaben 4 - 1. Beobachtung a) Strukturierte Beobachtung/Beobachtung in einem experimentellen Kontext - Beobachtung von Verhalten in Laborsituation - Gestaltung einer Situation, die ein bestimmtes, für die Hypothese relevantes Verhalten hervorruft - Verhalten der Teilnehmer wird aufgezeichnet und analysiert b) Teilnehmende/natürliche Beobachtung - Wissenschaftler*in begibt sich in die natürliche Umwelt des Menschen - beobachtet an Ort und Stelle das Verhalten, das gerade von Interesse ist - Wissenschaftler*in bleibt unauffällig im Hintergrund, um Verhalten nicht zu beeinflussen 5 Strukturierte Beobachtung - Beispiel: Fremde Situation nach Ainsworth - Erfassung der Qualität der Bindungsbeziehung im Kleinkindalter aus Ahnert & Spangler (2014) aus Siegler et al. (2005) 1. Beobachtung a) Strukturierte Beobachtung/Beobachtung in einem experimentellen Kontext - Beobachtung von Verhalten in Laborsituation - Gestaltung einer Situation, die ein bestimmtes, für die Hypothese relevantes Verhalten hervorruft - Verhalten der Teilnehmer wird aufgezeichnet und analysiert b) Teilnehmende/natürliche Beobachtung - Wissenschaftler*in begibt sich in die natürliche Umwelt des Menschen - beobachtet an Ort und Stelle das Verhalten, das gerade von Interesse ist - Wissenschaftler*in bleibt unauffällig im Hintergrund, um Verhalten nicht zu beeinflussen 7 Teilnehmende/natürliche Beobachtung – Beispiel: Piaget: Beobachtung beim Spiel Eine Methode Piagets zur Untersuchung der Moralentwicklung: - Beobachtung von Kindern beim Spiel - Wie werden Regeln aufgefasst und angewandt? 8 aus Siegler et al. (2011) 2. Interview a) Klinisches Interview - angelegt als ein flexibler Dialog, um sich über die Sichtweise des Befragten ein Bild machen zu können - Fragen werden in Abhängigkeit von den Antworten des Teilnehmers angepasst b) Strukturiertes Interview - für jeden Teilnehmer wird der gleiche Fragenkatalog verwendet und auf dieselbe Weise präsentiert - alle Teilnehmer beantworten die selben Fragen 9 Klinisches Interview – Beispiel: Klinisches Interview zum Verständnis von Träumen Piaget befragt ein 5jähriges Kind zu seinem Verständnis von Träumen: aus Berk, 2005 10 2. Interview a) Klinisches Interview - angelegt als ein flexibler Dialog, um sich über die Sichtweise des Befragten ein Bild machen zu können - Fragen werden in Abhängigkeit von den Antworten des Teilnehmers angepasst b) Strukturiertes Interview - für jeden Teilnehmer wird der gleiche Fragenkatalog verwendet und auf dieselbe Weise präsentiert - alle Teilnehmer beantworten die selben Fragen 11 Strukturiertes Interview – Beispiel: Studie von Valeski & Stipek (2001) (vgl. Siegler et al., 2011) Befragung von Erstklässlern zu Gefühlen gegenüber der Schule, z.B.: - Wie sehr kümmert sich dein Lehrer um dich? - Wie fühlst du dich in der Schule? Befragung von Erstkläslern zur Einschätzung der eigenen schulischen Fähigkeiten, z.B.: - Wie viel weißt du über Zahlen? - Wie gut kannst du lesen? 12 3. Fragebogen a) Selbstbeurteilung durch das Kind mittels Fragebogen - erst bei älteren Kindern, die das Lesen und Schreiben sicher erworben haben, anwendbar b) Fremdbeurteilung des Kindes mittels Fragebogen - erfolgt meist durch die Eltern (Elternfragebogen) 13 4. Standardisierte Tests und Aufgaben a) Standardisierte Testverfahren - liegen für verschiedenste Inhalts- und Altersbereiche vor - Vorteil: Normierung der Aufgaben an repräsentativer Stichprobe => Vergleich erhobener Daten mit Leistung von Kindern im gleichen Alter möglich b) Selbst entwickelte Aufgaben - für viele entwicklungspsychologische Fragestellungen sind keine standardisierten Tests verfügbar - Aufgabenstellungen müssen selbst entwickelt werden 14 4. Standardisierte Tests und Aufgaben a) Standardisierte Testverfahren - liegen für verschiedenste Inhalts- und Altersbereiche vor - Vorteil: Normierung der Aufgaben an repräsentativer Stichprobe => Vergleich erhobener Daten mit Leistung von Kindern im gleichen Alter möglich b) Selbst entwickelte Aufgaben - für viele entwicklungspsychologische Fragestellungen sind keine standardisierten Tests verfügbar - Aufgabenstellungen müssen selbst entwickelt werden 15 Selbst entwickelte Aufgaben – Beispiel: Auditive Ordnungsschwelle bei Erstklässlern Szenario der Aufgabe zur Ermittlung der auditiven Ordnungsschwelle bei Erstklässlern, umgesetzt als Computerspiel 16 aus Steinbrink, Zimmer, Lachmann, Dirichs & Kammer (2014) Möglichkeiten und Grenzen verschiedener Methoden der Datengewinnung (aus Berk, 2011) 17 Zusammenhänge und Ursachen der gewonnenen Daten vgl. Berk (2005, 2011) Schwarzer (2011) Siegler et al. (2005, 2011) Korrelationsdesigns: Definition Korrelationsdesigns = Untersuchungen, die auf die Beziehungen zwischen Variablen gerichtet sind 19 Korrelation: Definition Korrelation = Zusammenhang zweier Variablen wenn Variablen hoch korrelieren (zusammenhängen): - Vorhersage der Ausprägung in der einen Variable aus Kenntnis der Ausprägung in der anderen Variable möglich 20 Positive vs. negative Korrelation Positive Korrelation: - hohe Werte auf der einen Variablen gehen mit hohen Werten auf der anderen Variable einher Negative Korrelation: - hohe Werte auf der einen Variablen gehen mit niedrigen Werten auf der anderen Variable einher 21 Korrelationsdesigns: Korrelationskoeffizient Korrelationskoeffizient = statistischer Kennwert für die Richtung und Stärke einer Korrelation Richtung: - positiv vs. negativ - ergibt sich aus dem Vorzeichen des Korrelationskoeffizienten Stärke: - Zahlenwert (Betrag) des Korrelationskoeffizienten - Korrelationen liegen zwischen + 1,0 und - 1,0 - je höher der Absolutwert (je näher an +1, bzw. -1), desto stärker ist der Zusammenhang zwischen den Variablen - je geringer der Absolutwert (je näher an 0), desto geringer ist der Zusammenhang 22 Verdeutlichung der Bedeutung eines Korrelationskoeffizienten aus Berk (2011) 23 Fünf Korrelationen als Beispiele aus Siegler et al. (2011) 24 Korrelation bedeutet nicht Verursachung! Problem der Verursachungsrichtung: - Korrelation zwischen zwei Variablen gibt nicht an, welche (und ob überhaupt eine) der beiden die Ursache ist Problem der dritten Variable: - Korrelation zwischen zwei Variablen kann das Resultat einer dritten, nicht spezifizierten Variable sein 25 Experimentaldesigns = Forschungsansätze, die Schlussfolgerungen über Ursache- Wirkungs-Beziehungen erlauben Logik: - zwei oder mehr Gruppen von Untersuchungsteilnehmern sind hinsichtlich ihrer Ausgangsbedingungen vergleichbar - die Teilnehmer einer Gruppe werden mit einer bestimmten Erfahrung konfrontiert, die die andere Gruppe nicht macht / die anderen Gruppen nicht machen - wenn sich die Teilnehmer dieser Gruppe später anders verhalten als die Teilnehmer der anderen Gruppe(n) - dann haben die Erfahrungsunterschiede die späteren Verhaltensunterschiede verursacht 26 Wichtige Eigenschaften von Experimentaldesigns Randomisierung = Zuteilung zu den Versuchsgruppen im Experiment nach dem Zufallsprinzip Experimentelle Kontrolle = Festlegung der Bedingungen, denen Teilnehmer im Verlauf des Experiments ausgesetzt sind 27 Randomisierung wichtige Anforderung an ein Experimentaldesign: - Gruppen dürfen sich hinsichtlich der Ausgangsbedingungen nicht unterscheiden Warum? - bei unterschiedlichen Ausgangsbedingungen könnten spätere Unterschiede im Verhalten durch andere Variablen als durch die experimentelle Variation der Erfahrungen verursacht sein Randomisierung: - zufällige Zuweisung von Teilnehmern zu Versuchsgruppen - zufällige Zuweisung minimiert die Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen 28 Experimentelle Kontrolle: Unabhängige vs. abhängige Variable unabhängige Variable: - die Variable, von der erwartet wird, dass sie Veränderungen in einer anderen Variable verursacht abhängige Variable: - die Variable, von der erwartet wird, dass sie von der unabhängigen Variable beeinflusst wird - Entdeckung kausaler Zusammenhänge durch direkte Einwirkung auf die unabhängige Variable (Manipulation der unabhängigen Variable) - Manipulationen der unabhängigen Variable werden mit Werten der abhängigen Variable verglichen 29 Die Logik des Experimentaldesigns - zwei oder mehr Gruppen von Untersuchungsteilnehmern sind hinsichtlich ihrer Ausgangsbedingungen vergleichbar (durch randomisierte Zuweisung zu den Gruppen) - die Teilnehmer einer Gruppe werden mit einer bestimmten Erfahrung konfrontiert, die die andere Gruppe nicht macht / die anderen Gruppen nicht machen (Manipulation der unabhängigen Variable) - wenn sich die Teilnehmer dieser Gruppe später anders verhalten als die Teilnehmer der anderen Gruppe(n) (Unterschiede in den Werten der abhängigen Variable) - dann haben die Erfahrungsunterschiede die späteren Verhaltensunterschiede verursacht (Beleg des Einflusses der unabhängigen Variable auf die 30 abhängige Variable) Beispiel für ein Experimentaldesign: Studie von Kidd et al. (2013) Hintergrund: - Marshmallow-Aufgabe: Messung der Fähigkeit zur Selbstregulation im Vorschulalter (Belohnungsaufschub) Frage: - Beeinflusst die „Zuverlässigkeit der Umgebung“ die Wartezeit in der Marshmallow-Aufgabe? 31 Beispiel für ein Experimentaldesign: Studie von Kidd et al. (2013) Randomisierte Zuweisung von Vorschulkindern zu zwei Gruppen (Gruppen = alters- und geschlechtsbalanciert) Bedingung „unreliable“ - Versuchsleiterin erweist sich in Kunstprojektaufgabe 2x als unzuverlässig (unreliable) Bedingung „reliable“ - Versuchsleiterin erweist sich in Kunstprojektaufgabe 2x als zuverlässig (reliable) unmittelbar im Anschluss an die Kunstprojektaufgabe: - beide Gruppen: Marshmallow-Aufgabe, durchgeführt mit der gleichen Versuchsleiterin 32 Zuverlässigkeit der Umgebung (hier: Versuchsleiterin) und Dauer der Wartezeit in der Marshmallow-Aufgabe (vgl. Kidd, Palmeri & Aslin, 2013) 33 aus Kidd, Palmeri & Aslin (2013) Naturalistische Experimente Problem von Experimentaldesigns: - Kann man experimentelle Befunde aus dem Labor auch auf Situationen außerhalb des Labors verallgemeinern (externe Validität)? Naturalistische Experimente: - Daten werden (wie bei der natürlichen Beobachtung) in Alltagssituationen erhoben, nicht im Labor => höhere externe Validität - bei Zuweisung der Teilnehmer zu experimentellen Bedingungen per Zufall (Randomisierung) => kausale Schlüsse sind zulässig 34 Beispiel eines naturalistischen Experiments (Steuer et al., 1971; vgl. Siegler et al., 2005) Fragestellung: - Macht das Sehen Gewalt enthaltender Fernsehsendungen Kinder aggressiver? Design: - Experimentalgruppe: Konsumierung gewalthaltiger Sendungen aus dem Kinderprogramm - Kontrollgruppe: Konsumierung gewaltloser Sendungen aus dem Kinderprogramm - in beiden Gruppen gleich: Alter (Vorschulkinder), Fernsehdauer und Ausgangs-Aggressionsniveau Ergebnisse: - Kinder aus Experimentalgruppe zeigten erhöhte Aggression in Alltagssituationen Interpretation: 35 - Sehen gewalthaltiger Sendungen verursacht Aggression Möglichkeiten und Grenzen von Korrelations- und Experimentaldesign aus Berk (2011) 36 Designs zur Untersuchung von Entwicklung vgl. Berk (2005, 2011) Lohaus et al. (2010) Schwarzer (2011) Siegler et al. (2011) Längsschnitt- vs. Querschnittmethode 1. Längsschnittmethode - eine Stichprobe gleichen Alters wird zu mehreren Zeitpunkten (mindestens zwei Zeitpunkten) mit demselben Erhebungsinstrument untersucht 2. Querschnittmethode - Stichproben aus verschiedenen Altersgruppen werden zu einem bestimmten Zeitpunkt einmalig untersucht 38 Grundprinzip der Quer- und Längsschnittmethode 39 aus Lohaus et al. (2010) Längsschnitt- vs. Querschnittmethode 1. Längsschnittmethode - eine Stichprobe gleichen Alters wird zu mehreren Zeitpunkten (mindestens zwei Zeitpunkten) mit demselben Erhebungsinstrument untersucht 2. Querschnittmethode - Stichproben aus verschiedenen Altersgruppen werden zu einem bestimmten Zeitpunkt einmalig untersucht 40 Beispiel für eine Längsschnittstudie (aus Szagun, 2001) - Untersuchung der Sprachentwicklung von Kindern - Alter der Kinder zu Beginn der Studie: 1;4 (Jahre;Monate) - wiederholte Untersuchung der spontanen Sprache der Kinder über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren aus Szagun (2001) 41 Vor- und Nachteile einer Längsschnittstudie Vorteile: - Sichtbarmachung des Ausmaßes an Stabilität individueller Unterschiede über die Zeit - Sichtbarmachung individueller Veränderungen über die Zeit Nachteile: - Gefahr des Verlorengehens von Teilnehmern; bei selektivem drop-out: Aussagekraft der Ergebnisse gefährdet - Messinstrumente bleiben über die Zeit in der Regel die selben => Gefahr von Testungseffekten (Übungseffekten) - Gefahr von Kohorteneffekten 42 Beispiel für eine Längsschnittstudie (aus Szagun, 2001) - Untersuchung der Sprachentwicklung von Kindern - Alter der Kinder zu Beginn der Studie: 1;4 (Jahre;Monate) - wiederholte Untersuchung der spontanen Sprache der Kinder über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren aus Szagun (2001) 43 Die Interventionsstudie/Trainingsstudie als Spezialfall einer Längsschnittstudie Ziel: - Überprüfung der Wirksamkeit eines Trainingsprogramms Messung der Leistung im Inhaltsbereich, auf das das Training wirken soll, zu mehreren Messzeitpunkten (Längsschnittstudie): - vor der Durchführung des Trainings (Prätest) - nach dem Training (Posttest) - ggf. mehrere Posttests, um sichtbar zu machen, wie lange die Effekte anhalten (z.B. direkt nach Abschluss des Trainings und mehrere Monate später) Vergleich der Trainingsgruppe mit mindestens einer Kontrollgruppe erforderlich; Leistungsverbesserungen könnten ansonsten u.a. - auf allgemeine Entwicklungsprozesse zurückzuführen sein - durch Testwiederholungseffekte erklärt werden etc. 44 Beispiel: Evaluation der Wirksamkeit eines phonologischen Trainings (Klatte et al., 2014) Ziel: - Überprüfung der Wirksamkeit eines neu entwickelten Trainingsprogramms für Kinder mit Lese-Rechtschreibstörung Trainingsinhalte: - Phonemwahrnehmung, phonologische Bewusstheit - lautgetreues Lesen, lautgetreues Schreiben Teilnehmer der Trainings- und Kontrollgruppe: - Drittklässler mit Lese-Rechtschreibstörung Messzeitpunkte der Längsschnittstudie: - Prätest - Posttest 1: direkt nach Abschluss des Trainings - Posttest 2: 2 Monate nach Abschluss des Trainings 45 (vgl. Klatte, Steinbrink, Prölß, Estner, Christmann & Lachmann, 2014) Beispielhafte Ergebnisse der Studie zur Evaluation des phonologischen Trainingsprogramms 46 aus Klatte et al. (2014) Längsschnitt- vs. Querschnittmethode 1. Längsschnittmethode - eine Stichprobe gleichen Alters wird zu mehreren Zeitpunkten (mindestens zwei Zeitpunkten) mit demselben Erhebungsinstrument untersucht 2. Querschnittmethode - Stichproben aus verschiedenen Altersgruppen werden zu einem bestimmten Zeitpunkt einmalig untersucht 47 Beispiel für eine Querschnittstudie (Szagun & Steinbrink, 2004) - Untersuchung der frühen Sprachentwicklung von deutschsprachigen Kindern - Erhebung der Sprachentwicklung per Elternfragebogen - 333 Kinder in 13 Altersgruppen (zwischen 1;6 und 2;6) wurden zu je einem Zeitpunkt untersucht aus Szagun & 48 Steinbrink (2004) Vor- und Nachteile einer Querschnittstudie Vorteile: - Gewinnung von Daten über Unterschiede zwischen Altersgruppen - geringer Zeitaufwand Nachteile: - keine Aussagen über die Stabilität individueller Unterschiede möglich - keine Aussagen über individuelle Ähnlichkeiten und Unterschiede in den Veränderungsmustern möglich - Gefahr von Kohorteneffekten 49 Kombination von Längs- und Querschnitt: Kohorten-Sequenz-Plan Kohorten-Sequenz-Plan: - Kombination von Längs- und Querschnitt - Teiluntersuchungen werden so miteinander kombiniert, dass ein zusammengesetzter, sich teilweise überlappender Gesamtlängsschnitt entsteht Ziel: - Überwindung von Einschränkungen des Längs- und Querschnitts Vorteile: 1. Prüfung auf Kohorteneffekte durch Vergleich von Personen gleichen Alters aber unterschiedlicher Jahrgänge 2. Vergleich der Ergebnisse von Längsschnitt und Querschnitt 50 3. schneller durchführbar als reine Längsschnittstudien Beispiel eines Kohorten-Sequenz-Plans aus Schwarzer (2011) 51 Beispiel einer Studie mit einem Kohorten- Sequenz-Plan (Whitbourne et al., 1992; vgl. Berk, 2005) Ziel der Studie: - Prüfung von Eriksons Stufen-Theorie zur Persönlichkeitsentwicklung von Erwachsenen Design der Studie: - Fragebögen, die Daten zu Eriksons Stufen erheben - Teilnehmer: drei Kohorten von Zwanzigjährigen, die im Abstand von 10 Jahren geboren waren - Daten der Kohorten wurden in Zehn-Jahres-Intervallen neu erhoben 52 Kohorten-Sequenz-Plan der Studie von Whitbourne et al. (1992; vgl. Berk, 2005) aus Berk (2005)53 Beispiel einer Studie mit einem Kohorten- Sequenz-Plan (Whitbourne et al., 1992; vgl. Berk, 2005) Studienergebnisse: 1. Vergleich von Längs- und Querschnitt - Zunahmen in den Bereichen Identität und Intimität sowohl im Längs-, als auch im Querschnitt - Zunahmen waren unabhängig von der historischen Epoche zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr => Bestätigung von Eriksons Theorie 2. Kohorteneffekte - starke Kohorteneffekte in der Entwicklung von Fleiß - im Alter von 20 Jahren: Fleiß Kohorte 1 < Fleiß Kohorte 2 und 3 (Resultat der stud. Protestbewegungen der 60er Jahre?) - im späteren Lebensalter: Kohorte 1 holt die anderen Kohorten wieder ein (Resultat von Erfahrungen mit Arbeitswelt?) 54 Kohorten-Sequenz-Plan der Studie von Whitbourne et al. (1992; vgl. Berk, 2005) aus Berk (2005)55 Möglichkeiten und Grenzen von Längs- und Quer- schnittstudie sowie Kohorten-Sequenzplan (aus Berk, 2011) 56 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Literatur  Ahnert, L. & Spangler, G. (2014). Die Bindungstheorie. In L. Ahnert (Hrsg.), Theorien in der Entwicklungspsychologie (S. 404-435). Springer.  Berk, L.E. (2005, 2011). Entwicklungspsychologie. Kapitel 1.8: Die Entwicklung als Gegenstand der Forschung/Forschungsgegenstand. Pearson Studium.  Kidd, C., Palmeri, H. & Aslin, R.N. (2013). Rational snacking: Young children‘s decision-making on the marshmallow-task is moderated by beliefs about environmental reliability. Cognition, 126, 109-114.  Klatte, M., Steinbrink, C., Prölß, A., Estner, B.; Christmann, C. & Lachmann, T. (2014). Effekte des computerbasierten Trainingsprogramms "Lautarium" auf die phonologische Verarbeitung und die Lese- Rechtschreibleistungen bei Grundschulkindern. In: Schulte-Körne, G. (Hrsg.). Legasthenie und Dyskalkulie - Neue Methoden zur Diagnostik und Förderung (S. 127-144). Winkler.  Lohaus, A., Vierhaus, M. & Maass, A. (2010). Entwicklungspsychologie des Kindes- und Jugendalters. Kapitel 3: Methoden der Entwicklungspsychologie. Springer. 58 Literatur  Schwarzer, G. (2011). Kapitel 2: Methoden der Entwicklungspsychologie. In M. Pinquart, G. Schwarzer & P. Zimmermann, Entwicklungspsychologie – Kindes- und Jugendalter. Hogrefe.  Siegler, R.S., DeLoache, J.S., Eisenberg, N. (2005, 2011). Entwicklungspsychologie im Kindes- und Jugendalter. Kapitel 1: Die Entwicklung von Kindern: eine Einführung. Methoden der Untersuchung kindlicher Entwicklung. Spektrum.  Steinbrink, C., Zimmer, K., Lachmann, T., Dirichs, M. & Kammer, T. (2014). Development of rapid temporal processing and its impact on literacy skills in primary school children Child Development, 85, 1711- 1726.  Szagun (2001). Wie Sprache entsteht. Weinheim: Beltz.  Szagun, G. & Steinbrink, C. (2004). Typikalität und Variabilität in der frühkindlichen Sprachentwicklung: eine Studie mit einem Elternfragebogen. Sprache - Stimme - Gehör, 28, 137-145. 59 Piagets Theorie der kognitiven Entwicklung Vorlesung Entwicklungspsychologie der Kindheit Prof. Dr. Claudia Steinbrink WS 2023/24 Vorbemerkung zu Theorien der kognitiven Entwicklung Schwerpunktsetzungen verschiedener Theorien der kognitiven Entwicklung aus Lohaus & Vierhaus (2013) 3 Schwerpunktsetzungen verschiedener Theorien der kognitiven Entwicklung aus Lohaus & Vierhaus (2013) 4 Thema der Vorlesung: Piagets Theorie der kognitiven Entwicklung 1. Anlage und Umwelt 2. Entwicklungsprozesse 3. Piagets Stufentheorie der kognitiven Entwicklung: Zentrale Eigenschaften und allgemeiner Überblick 4. Das sensumotorische Stadium 5. Das prä-operationale Stadium 6. Das konkret-operationale Stadium 5 Jean Piagets Theorie der kognitiven Entwicklung Jean Piaget (1896 – 1980) mit Sohn Laurent im Jahr 1932 aus Hoppe-Graff (2014) Grundannahmen: Konstruktivismus und „Das Kind als Wissenschaftler“ (vgl. Siegler et al., 2011) - Aktivität des Kindes von Geburt an - Wissen wird als Reaktion auf Erfahrungen und in Auseinandersetzung mit der Umwelt aktiv konstruiert Metapher: Das Kind als Wissenschaftler: - intrinsische Motivation zum Lernen - Bildung von Hypothesen - Experimentieren - Schlussfolgern aus eigenen Beobachtungen Beispiel: 7 aus Siegler et al. (2005) Anlage und Umwelt vgl. Lohaus & Vierhaus (2013) Schwarzer (2011) Siegler et al. (2005, 2011) Zusammenspiel von Anlage und Umwelt bei der kognitiven Entwicklung (vgl. Siegler et al., 2011) Umwelt: - jede Erfahrung, die das Kind macht Anlage: - reifendes Gehirn und reifender Körper - Fähigkeit wahrzunehmen, zu handeln und aus der Erfahrung zu lernen - Motivation, zwei grundlegenden Funktionen gerecht zu werden: Organisation und Adaptation aus Imhof, 9 2010 Begriffsdefinition: Schema (vgl. Lohaus & Vierhaus, 2013; Schwarzer, 2011) Was sind Schemata? - hierarchisch organisierte und aus Erfahrung aufgebaute geistige Systeme, wie ein Muster von Gedanken und Handlungen - überdauernde Wissensbasis zur Interpretation der Umwelt Wozu dienen Schemata? a) Einordnung eingehender Information b) Verbindung von eingehender und ausgehender Information - Weiterentwicklung des Denkens erfolgt durch Aufbau immer adäquaterer Schemata 10 Zusammenspiel von Anlage und Umwelt bei der kognitiven Entwicklung (vgl. Siegler et al., 2011) Umwelt: - jede Erfahrung, die das Kind macht Anlage: - reifendes Gehirn und reifender Körper - Fähigkeit wahrzunehmen, zu handeln und aus der Erfahrung zu lernen - Motivation, zwei grundlegenden Funktionen gerecht zu werden: Organisation und Adaptation aus Imhof, 11 2010 Wie werden Schemata weiterentwickelt? – Organisation und Adaptation (vgl. Schwarzer, 2011) Organisation: - Zusammenfügung verschiedener, schon existierender Schemata zu größeren kognitiven Strukturen Adaptation: - Bedürfnis, sich so an die Umwelt anzupassen, dass man mit ihr in einem kognitiven Gleichgewicht (Äquilibrium) steht - Äquilibrium = Passung zwischen den eigenen Schemata und den Vorkommnissen der Umwelt 12 Entwicklungsprozesse vgl. Schwarzer (2011) Siegler et al. (2005, 2011) Drei Entwicklungsprozesse treiben die kognitive Entwicklung voran (vgl. Siegler et al., 2011): Assimilation: - Prozess, durch den Menschen eintreffende Information in eine Form überführen, die sie verstehen können Akkomodation: - Prozess, durch den Menschen vorhandene Wissensstrukturen als Reaktion auf neue Erfahrungen anpassen Äquilibration: - Prozess, durch den Menschen Assimilation und Akkomodation ausbalancieren, um stabiles Verstehen zu schaffen 14 Assimilation (vgl. Schwarzer, 2011; Siegler et al., 2011) Assimilation: - Einfügung eintreffender Information in Konzepte, die bereits verstanden werden - Anpassung der Außenwelt an ein vorhandenes Schema 15 Akkomodation (vgl. Schwarzer, 2011; Siegler et al., 2011) Akkomodation: - Anpassung vorhandener Wissensstrukturen in Reaktion auf Erfahrungen - Anpassung von Schemata an die Umwelt Beispiel: aus Shaffer, 2000 16 Äquilibration – Ablauf in drei Phasen (vgl. Siegler et al., 2011) 1. Äquilibrium - Zufriedenheit mit dem Verständnis eines Phänomens - keine Diskrepanzen zwischen Erfahrungen und Verständnis eines Phänomens 2. Disäquilibrium - durch neue Information: Erkenntnis, dass Verständnis unzureichend ist - Entwicklung einer besseren Alternative noch nicht möglich 3. Stabileres Äquilibrium - Entwicklung eines differenzierteren Verständnisses, das die Unzulänglichkeiten der bisherigen Verstehensstrukturen überwindet 17 Äquilibration – Ablauf in drei Phasen: Beispiel (vgl. Siegler et al., 2011) 1. Äquilibrium Glaube eines 5 Jahre altes Mädchen: nur Tiere sind Lebewesen, denn nur sie können sich so bewegen, dass es dem eigenen Überleben dient 2. Disäquilibrium - neue Information: auch Pflanzen bewegen sich so, dass es ihrem Überleben dient (z.B. zum Sonnenlicht hin) - Unsicherheit darüber, was Lebewesen ausmacht 3. Stabileres Äquilibrium - Akkomodation des Denkens an die neue Information über Pflanzen - fortgeschritteneres Gleichgewicht 18 Piagets Stufentheorie der kognitiven Entwicklung Zentrale Eigenschaften und allgemeiner Überblick Zentrale Eigenschaften von Piagets Stufentheorie (vgl. Siegler et al., 2011) 1. Qualitative Veränderung - Kinder verschiedenen Alters denken auf qualitativ unterschiedliche Weise 2. Breite Anwendbarkeit - die für eine Stufe charakteristische Art des Denkens durchdringt das Denken des Kindes über ganz verschiedene Themen und Kontexte hinweg 3. Kurze Übergangszeiten - kurze Übergangsphase vor Erreichen einer neuen Stufe, in der Kinder zwischen der neuen und der alten Art des Denkens hin und her schwanken 4. Invarianz der Abfolge - Menschen an allen Orten und in allen historischen Epochen durchlaufen die Stufen in derselben Reihenfolge 20 - keine Stufe wird jemals übersprungen Vier Stufen der kognitiven Entwicklung nach Piaget aus Berk (2011) 21 Vorlesung Entwicklungspsychologie der Kindheit: Vorstellung der ersten drei Stufen aus Berk (2011) 22 Das sensumotorische Stadium (0 – 2 Jahre) vgl. Schwarzer (2011) Siegler et al. (2005, 2011) Kennzeichen des sensumotorischen Stadiums (vgl. Siegler et al., 2011) - Intelligenz entwickelt sich durch sensorische und motorische Fähigkeiten und drückt sich in ihnen aus - mittels Wahrnehmung und Handlung werden Informationen über Gegenstände und Menschen gewonnen und elementare Formen grundlegender Begriffe (z.B. Kausalität) konstruiert - Intelligenz ist an die unmittelbaren Wahrnehmungen und Handlungen gebunden (an das Hier und Jetzt) 24 Überblick über die sechs Stufen des sensumotorischen Stadiums (vgl. Schwarzer, 2011) Kreisreaktionen = Handlungen, die immer wieder wiederholt werden Objektpermanenz = Wissen, dass Objekte auch dann weiterexistieren, wenn sie im Moment nicht gesehen werden aus Schwarzer (2011) 25 Fehlen von Objektpermanenz bis zum Alter von 8 Monaten (vgl. Siegler et al.. 2011) bis zum Alter von 8 Monaten: - keine aktive Suche nach verschwundenen Objekten - Fehlen von Objektpermanenz - Objekte werden nur in den Momenten geistig repräsentiert, in denen sie wahrgenommen werden aus Anderson, 1996 26 Geringe Stabilität von Objektrepräsenta- tionen von 9 bis 12 Monaten (vgl. Siegler et al., 2011) 9 bis 12 Monate: - Kinder suchen nach verschwundenen Objekten - Objekte werden auch dann im Geiste repräsentiert, wenn sie nicht mehr gesehen werden - diese Repräsentationen sind nicht sehr stabil: A-nicht-B-Suchfehler: - Kind hat wiederholt an Ort A ein verstecktes Objekt gefunden - es sieht, dass das Objekt nun an einem anderen Ort (Ort B) versteckt wird - trotzdem sucht es das Objekt wieder an Ort A => Tendenz, dorthin zu greifen, wo das Objekt zuletzt gefunden wurde, nicht dorthin, wo es zuletzt gesehen wurde 27 Der A-nicht-B-Suchfehler Verstecken Zeitverzögerung Suche Versteck A Versteck B aus Diamond (1991). Neuropsychological insights into the meaning of object concept development. In „The epigenesis of mind“. Hillsdale: Erlbaum. Objektbegriff von 12 – 24 Monaten (vgl. Ginsburg & Opper, 1993) 12 bis 18 Monate: - Kind kann den sichtbaren Bewegungen eines Objektes folgen - Kind sucht dort nach Objekt, wo es zuletzt gesehen wurde - wenn nicht alle Lageveränderungen sichtbar sind: Suche des Objekts dort, wo es zuletzt gefunden wurde 18 bis 24 Monate: - Kind berücksichtigt nicht nur sichtbare Bewegungen des Objekts, sondern kann auch Folge unsichtbarer Ortswechsel rekonstruieren => volle Objektpermanenz Übergang vom sensumotorischen zum prä-operationalen Stadium mit 18 bis 24 Monaten: - Kinder werden fähig, dauerhafte mentale Repräsentationen zu bilden volle Objektpermanenz: - Objekte werden intern repräsentiert verzögerte Nachahmung: - Handlungen werden intern repräsentiert Beispiel (aus Siegler et al., 2005): 30 Das prä-operationale (vor-operatorische) Stadium (ca. 2 bis 7 Jahre) vgl. Schwarzer (2011) Siegler et al. (2005, 2011) Kennzeichen des prä-operationalen Stadiums (vgl. Schwarzer, 2011; Siegler et al., 2011; Sodian, 2012) - stabile mentale Repräsentationen von Objekten und Erfahrungen - Repräsentation von Erfahrungen in Form von Sprache und geistigen Vorstellungen, Symbolspiel => Erinnerung an Erfahrungen über längere Zeit => Bildung differenzierterer Konzepte prä-operational / vor-operatorisch: - mentale Operationen (= mentale Manipulationen interner Repräsentationen) können nicht vollständig ausgeführt werden - mentale Operationen bauen auf „Wenn-dann-Beziehungen“ auf, die aber nicht wieder rückgängig gemacht werden können 32 => Schwierigkeiten, logisch und konsistent zu denken Errungenschaften und Einschränkungen im prä-operationalen Stadium (vgl. Lohaus & Vierhaus, 2013; Schwarzer, 2011) Errungenschaften: sprachlich-symbolische Repräsentationen: - Sprache als wichtigstes Symbolsystem - Symbolspiel: neue Funktionen für Objekte in der Phantasie Einschränkungen: 1. Egozentrismus des Denkens: Denken ist auf die eigene Perspektive zentriert 2. unzureichende Beachtung mehrerer Dimensionen: Zentrierung auf nur eine Dimension 3. statisches, wenig prozesshaftes Denken: Denken ist auf den augenblicklichen Zustand gerichtet => Zentrierung 33 Egozentrismus: Drei-Berge Versuch (vgl. Siegler et al., 2011) - Egozentrismus = Tendenz, die Welt ausschließlich aus der eigenen Perspektive wahrzunehmen - z.B. Schwierigkeiten, die räumliche Perspektive anderer Menschen einzunehmen: Drei-Berge-Versuch (Piaget & Inhelder, 1956) - Frage: Welches von mehreren Fotos zeigt die Ansicht, die die Puppe hat? - die meisten 4-jährigen wählen ein Foto der eigenen Perspektive - Vorstellung, welche Ansicht sich bei anderer Position und Blickrichtung ergibt, ist nicht möglich 34 aus Berk, 2005 Zentrierung auf eine Dimension: Balkenwaageproblem (vgl. Siegler et al., 2011) Frage: - Nach welcher Seite wird sich die Balkenwaage neigen? 4- bis 5-jährige - Zentrierung auf die Gewichtsmenge auf beiden Seiten - Nicht-Beachtung des Abstands der Gewichte vom Angelpunkt aus Siegler et al., 35 2005 Das Konzept der Erhaltung (Invarianzkonzept; vgl. Siegler et al., 2011) Konzept der Erhaltung (Invarianzkonzept): - Vorstellung, dass bloßes Verändern des Erscheinungsbildes eines Objekts seine grundlegenden Eigenschaften unverändert lässt Drei häufig untersuchte Varianten: 1. Erhaltung der Menge 2. Erhaltung der festen Masse 3. Erhaltung der Zahl - Kinder im prä-operationalen Stadium haben charakteristische Schwierigkeiten bei Erhaltungsaufgaben 36 Verfahren zur Prüfung von Erhaltungskonzepten aus Siegler et al., 2016 37 Erhaltungsaufgaben: Antworten von Kindern im prä-operationalen Stadium Falsche Antworten (charakteristisch für die meisten Vier- und Fünfjährigen): - Menge: schmales, hohes Glas enthält mehr Flüssigkeit - Masse: längere, dünnere Form besteht aus mehr Ton - Zahl: längere Reihe enthält mehr Objekte 38 Wie kommt es zu den Schwierigkeiten bei Erhaltungsaufgaben? (vgl. Siegler et al., 2011) Einschränkungen des Denkens im prä-operationalen Stadium: 1. Zentrierung auf wahrnehmungsbezogen auffällige Dimensionen - Nicht-Beachtung weniger auffälliger aber ebenso wichtiger Dimensionen 2. Konzentration auf statische Zustände (Erscheinungsbild vor und nach Umformung / Umschütten) - Ignorieren der erfolgten Transformationen (Umformung/Umschütten) 3. Übersehen der Möglichkeit, dass die eigene Perspektive irreführend sein kann (Egozentrismus) 39 Das konkret-operationale (konkret-operatorische) Stadium (ca. 7 bis 11 Jahre) vgl. Schwarzer (2011) Siegler et al. (2011) Kennzeichen des konkret-operationalen Stadiums (vgl. Siegler et al., 2011) Errungenschaft: - logisches Nachdenken über konkrete Gegenstände und Ereignisse - Beispiel: Konzept der Erhaltung Noch nicht möglich: - Denken in rein abstrakten Begriffen - Planung systematischer wissenschaftlicher Experimente => formal-operationales Stadium 41 Verfahren zur Prüfung von Erhaltungskonzepten aus Siegler et al., 2016 42 Antworten von Kindern in den Erhaltungsaufgaben Prä-operationales Stadium: Falsche Antworten - Menge: schmales, hohes Glas enthält mehr Flüssigkeit - Masse: längere, dünnere Form besteht aus mehr Ton - Zahl: längere Reihe enthält mehr Objekte Konkret-operationales Stadium: Korrekte Antworten - Menge: in beiden Gläsern gleich viel Flüssigkeit - Masse: beide Formen bestehen aus gleich viel Ton - Zahl: beide Reihen enthalten gleich viele Objekte 43 Worin besteht der Fortschritt im konkret- operationalen Stadium? (vgl. Schwarzer, 2011; Siegler et al., 2011) 1. Berücksichtigung von Transformationsprozessen (Reversibilität des Denkens) => vollständige mentale Operationen 2. Beachtung mehrerer Dimensionen 3. Überwindung des Egozentrismus => Dezentrierung des Denkens 44 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Literatur  Berk, L.E. (2005, 2011). Entwicklungspsychologie. München: Pearson Studium.  Ginsburg, H. & Opper, S. (1993). Piagets Theorie der geistigen Entwicklung. Stuttgart: Klett-Cotta.  Hoppe-Graff, S. (2014). Denkentwicklung aus dem Blickwinkel des strukturgenetischen Konstruktivismus (Kap. 6). In L. Ahnert (Hrsg.), Theorien in der Entwicklungspsychologie. Berlin: Springer VS.  Imhof, M. (2010). Psychologie für Lehramtsstudierende. Kapitel 2.4: Das Entwicklungsmodell von Piaget. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.  Lohaus & Vierhaus (2013). Entwicklungspsychologie des Kindes- und Jugendalters. Kapitel 2: Theorien der Entwicklungspsychologie und Kapitel 9: Kognition. Berlin: Springer. 46 Literatur  Schwarzer, G. (2011). Entwicklung des Denkens (Kap. 4). In M. Pinquart, G. Schwarzer & P. Zimmermann, Entwicklungspsychologie – Kindes- und Jugendalter. Göttingen: Hogrefe.  Siegler, R.S., DeLoache, J.S., Eisenberg, N. (2005, 2011). Entwicklungspsychologie im Kindes- und Jugendalter. Kapitel 4: Theorien der kognitiven Entwicklung. Die Theorie von Piaget. Heidelberg: Spektrum.  Sodian, B. (2012). Denken (Kap. 16). In W. Schneider & U. Lindenberger (Hrsg.), Entwicklungspsychologie. Weinheim: Beltz. 47 Theorien der Informationsverarbeitung: Entwicklung des Gedächtnisses Vorlesung Entwicklungspsychologie der Kindheit Prof. Dr. Claudia Steinbrink WS 2023/24 Vorbemerkung zu Theorien der kognitiven Entwicklung Schwerpunktsetzungen verschiedener Theorien der kognitiven Entwicklung aus Lohaus & Vierhaus (2013) 3 Schwerpunktsetzungen verschiedener Theorien der kognitiven Entwicklung aus Lohaus & Vierhaus (2013) 4 Vorlesung 1: Informationsverarbeitungstheorien: Entwicklung des Gedächtnisses Sicht von Informationsverarbeitungstheoretikern auf das kindliche Denken Entwicklung des Gedächtnisses 1. Zeitabhängige Komponenten des Gedächtnisses 2. Mechanismen der Gedächtnisentwicklung - Basisprozesse - Strategien - Inhaltswissen - Metagedächtnis 5 Vorlesung 2: Informationsverarbeitungstheorien: Entwicklung des Problemlösens Entwicklung des Problemlösens 1. Planen 2. Regelgeleitetes Denken 3. Analoges Schlussfolgern 4. Deduktives Denken 5. Wissenschaftliches Denken 6 Sicht von Informations- verarbeitungstheoretikern auf das kindliche Denken vgl. Schwarzer (2011) Siegler et al. (2011) Kognitive Veränderungen sind kontinuierlich (vgl. Siegler et al., 2011) - wichtige Veränderungen treten ständig auf, sind nicht auf bestimmte Übergangsphasen zwischen Stufen beschränkt - kognitives Wachstum findet in kleinen Schritten statt, nicht abrupt ⇒ Gegensatz zu Piaget (qualitativ unterscheidbare Stufen mit relativ kurzen Übergangsphasen) 8 Das Kind als Informationsverarbeitungs- system mit begrenzter Kapazität (vgl. Siegler et al., 2011) Vergleich zwischen der Informationsverarbeitung von Computern und Menschen: Computer Mensch Hardwarebeschränkungen: Speicherkapazität Gedächtniskapazität Leistungsfähigkeit (Prozessorgeschwindigkeit) Effizienz der Denkprozesse Softwarebeschränkungen: Verfügbarkeit von Strategien und Verfügbarkeit relevanter Strategien und Informationen zur Lösung best. Aufgaben Wissensinhalte zur Lösung best. Aufgaben Kognitive Entwicklung entsteht durch Überwindung von Verarbeitungsbeschränkungen: - Ausweitung des Informationsumfangs, der gleichzeitig verarbeitet werden kann - Effektivitätssteigerung bei Ausführung grundl. Prozesse - Erwerb neuer Strategien und Wissensbestände 9 Entwicklung des Gedächtnisses Zeitabhängige Komponenten des Gedächtnisses vgl. Berk (2005, 2011) Schneider & Berger (2014) Schwarzer (2011) Siegler et al. (2011) Speichermodell des menschlichen Informationsverarbeitungssysstems (vgl. Berk, 2011) 12 aus Berk (2011) Anstieg der Kapazität des Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnisses im Kindes- und Jugendalter (Gathercole et al., 2004; vgl. Schwarzer, 2011; Siegler et al., 2005, 2011) aus Gathercole et al. (2004) 13 Mechanismen der Gedächtnisentwicklung vgl. Berk (2005, 2011) Schneider & Berger (2014) Schwarzer (2011) Siegler et al. (2011) Einstieg: Studie zur Gedächtnisentwicklung im Kindes- und Jugendalter (vgl. Schneider & Berger, 2014) aus Schneider & Berger (2014) Vorgehen von Brunswik et al. (1932): - Batterie von Gedächtnisaufgaben - Messung von Aspekten des verbalen und nonverbalen Kurz- und Langzeitgedächtnisses - „Gedächtnisstärke“ = Aggregierung über alle Aufgaben hinweg - Kindheit: sprunghafter Anstieg der Gedächtnisleistung - Jugend : Einpendelung auf stabilem Niveau - Übereinstimmung mit anderen Arbeiten und mit neueren 15 Längsschnittstudien zur Entwicklung des verbalen Gedächtnisses Einstieg: Studie zur Gedächtnisentwicklung im Kindes- und Jugendalter (vgl. Schneider & Berger, 2014) aus Schneider & Berger (2014) Vorgehen von Brunswik et al. (1932): - Batterie von Gedächtnisaufgaben - Messung von Aspekten des verbalen und nonverbalen Kurz- und Langzeitgedächtnisses - „Gedächtnisstärke“ = Aggregierung über alle Aufgaben hinweg - Kindheit: sprunghafter Anstieg der Gedächtnisleistung - Jugend : Einpendelung auf stabilem Niveau Informationsverarbeitungstheorien: Welche Mechanismen 16 erklären die Gedächtnisentwicklung? Welche Faktoren erklären die Entwicklung des Gedächtnisses? (vgl. Schwarzer, 2011; Siegler et al., 2011) Entwicklung des Gedächtnisses durch 1. Steigerung der Effizienz der Ausführung von Basisprozessen 2. Erwerb von Strategien 3. Erweiterung des Inhaltswissens 4. Entwicklung des Metagedächtnisses 17 Welche Faktoren erklären die Entwicklung des Gedächtnisses? (vgl. Schwarzer, 2011; Siegler et al., 2011) Entwicklung des Gedächtnisses durch 1. Steigerung der Effizienz der Ausführung von Basisprozessen 2. Erwerb von Strategien 3. Erweiterung des Inhaltswissens 4. Entwicklung des Metagedächtnisses 18 1. Basisprozesse: Was sind Basisprozesse? (vgl. Schneider & Büttner, 1998; Schwarzer, 2011; Siegler et al., 2005, 2011) Basisprozesse = einfachste und am häufigsten eingesetzte geistige Aktivitäten Beispiele: - Enkodierung (Repräsentation spezieller Merkmale von Objekten und Ereignissen im Gedächtnis) - Abrufen von Fakten und Vorgehensweisen - wechselseitige Assoziation von Ereignissen - Wiedererkennen von bekannten Objekten - Verallgemeinern von einem Beispiel auf ein anderes zentrale Gedächtnisprozesse: - Einspeicherung von Information (Enkodierung) - Abruf von Informationen (u.a. Wiedererkennen) 19 1. Basisprozesse: Enkodierung (Einspeicherung) (vgl. Siegler et al., 2011) - keine originalgetreue Abspeicherung des Erlebten im Gedächtnis - stattdessen: Enkodierung nur der Information, die Aufmerksamkeit erregt oder für wichtig erachtet wird - Großteil der Information wird nicht enkodiert - keine Erinnerung an nicht enkodierte Information 20 aus Berk (2011) 1. Basisprozesse: Kinder enkodieren nicht alle wichtigen Informationen (vgl. Siegler et al., 2011) Beispiel: Balkenwaageproblem (Inhelder & Piaget, 1958): - 5jährige sagen vorher, dass sich Balkenwage auf der Seite senkt, auf der sich mehr Gewichte befinden aus Siegler et al., 2005 Balkenwaageexperiment von Siegler (1978): - Untersuchung der Regeln / Strategien, die Kinder anwenden, um das Balkenwaageproblem zu lösen - mit 5 Jahren keine Enkodierung der Information über den Abstand vom Angelpunkt - nach Hinweis, den Abstand der Gewichte vom Drehpunkt im Gedächtnis zu behalten: Erlernen schwierigerer Waage- 21 Regeln möglich 1. Basisprozesse: Visuelle Wiedererkennung – Mobile-Aufgabe nach Rovee-Collier (vgl. Elsner & Pauen, 2012; Goswami, 2001, Schneider & Büttner, 1998) Sitzung 1: 1. Baseline-Phase (linkes Bild): - Ausgangsniveau der Tretfrequenz 2. Lernphase (rechtes Bild) - 3 Monate alte Babys strampeln 3x so oft in der Minute mit den Beinen, wenn durch Strampeln Mobile bewegt wird => Erlernen der assoziativen Beziehung zwischen eigener Bewegung und der des Mobiles aus Goswami 22 (2001) 1. Basisprozesse: Visuelle Wiedererkennung – Mobile- und Zug-Aufgabe (vgl. Elsner & Pauen, 2012; Goswami, 2001, Schneider & Büttner, 1998) Sitzung 2 zu späterem Zeitpunkt Erinnerung an Zusammenhang Strampeln – Bewegung Mobile? - 2 Monate: 24 Stunden - 3 Monate: bis 1 Woche - 6 Monate: bis 2 Wochen 23 aus Berk (2011) 1. Basisprozesse: Entwicklung der Verarbeitungsgeschwindigkeit (vgl. Siegler et al., 2011; Sodian, 2012) - Geschwindigkeit, mit der Basisprozesse ausgeführt werden, erhöht sich stark im Entwicklungsverlauf von der Kindheit bis ins Jugendalter - starker Anstieg der Verarbeitungsgeschwindigkeit im Kindesalter - gemäßigte Erhöhung der Verarbeitungsgeschwindigkeit in der Pubertät 24 1. Basisprozesse: Steigerung der Verarbeitungsgeschwindigkeit: Kopfrechnen aus Siegler et al. (2011) 25 1. Basisprozesse: Steigerung der Verarbeitungsgeschwindigkeit: Fingertapping aus Siegler et al. (2011) 26 1. Basisprozesse: Warum erhöht sich die Verarbeitungsgeschwindigkeit mit dem Alter? (Siegler et al., 2005, 2011) - Erfahrung - Reifung: Studie von Eaton & Ritchot (1995) mit Viertklässlern: - einfache Informationsverarbeitungsaufgaben, mit denen jedes Kind in etwa gleich viel Erfahrung haben sollte (z.B. angeben, ob Pfeil nach links oder rechts zeigt) - körperlich reife Kinder (höherer Prozentsatz der Körpergröße der Eltern, d.h. der zu erwartenden eigenen Körpergröße erreicht) verarbeiteten Informationen schneller 27 1. Basisprozesse: Biologische Prozesse, die zur Erhöhung der Informationsverarbeitung beitragen (vgl. Siegler et al., 2005, 2011) 1. Myelinisierung der Axone von Nervenzellen - Myelinisierung = Bildung von Myelin (fetthaltige Schicht) um die Axone von Neuronen herum - Myelinisierung beginnt pränatal, setzt sich bis in Pubertät fort - verschiedene Kortexbereiche werden in unterschiedlichem Tempo myelinisiert - Myelinisierung beschleunigt Reizweiterleitung zwischen Neuronen ⇒ Erhöhung der Verarbeitungsgeschwindigkeit 2. Zunahme von Verbindungen zwischen Hirnregionen - Zuwachs an neuronaler Konnektivität vor allem in der späteren Kindheit und der Pubertät - Effizienz der Kommunikation von Hirnregionen untereinander wird erhöht 28 Exkurs Hirnentwicklung: Axone und Myelinscheiden (vgl. Siegler et al., 2005) Axone: - Nervenfasern, die elektrische Signale vom Zellkörper weg zu den Verbindungsstellen mit anderen Neuronen leiten Myelinscheide: - fetthaltige Schicht, die sich um bestimmte Axone bildet - erhöht die Geschwindigkeit und Effizienz der Informationsverarbeitung im Nervensystem 29 aus Siegler et al., 2005 Welche Faktoren erklären die Entwicklung des Gedächtnisses? (vgl. Schwarzer, 2011; Siegler et al., 2011) Entwicklung des Gedächtnisses durch 1. Steigerung der Effizienz der Ausführung von Basisprozessen 2. Erwerb von Strategien 3. Erweiterung des Inhaltswissens 4. Entwicklung des Metagedächtnisses 30 2. Strategien: Entwicklung von Rehearsal (vgl. Goswami, 2001; Siegler et al., 2011) Rehearsal = Prozess der andauernden Wiederholung von Information als Gedächtnisstütze Beispiel: Studie zur Entwicklung des Rehearsals (Flavell et al., 1966) - Kinder im Alter von 5, 7 und 9 Jahren sollen bis zu 7 Bilder ungefähr 15 Sek. im Gedächtnis behalten - Kinder tragen Helm mit Visier, das Augen verdeckt, aber den Mund freilässt - ein im Lippenlesen geschulter Beobachter registiert, ob es zu spontanem Rehearsal (Wiederholen) kommt Ergebnisse: - 10% der 5-jährigen nutzt Rehearsal - 60% der 7-jährigen nutzt Rehearsal 31 - 85% der 9-jährigen nutzt Rehearsal 2. Strategien: Entwicklung des strateg. Lernens und Erinnerns von kategorisierten Begriffen Knopf, Schneider, Sodian & Kolling (2008): - Aufgabe aus der Münchner LOGIK-Längsschnittstudie - Teilnehmer erhielten größere Anzahl von Bildern auf Kärtchen (z.B. Bus, Ente, Auto, Katze…) - Aufgabe: sich möglichst viele davon in kurzer Zeit einprägen und unmittelbar danach erinnern - Objekte auf den Karten: aus verschiedenen Kategorien (z.B. Tiere, Fahrzeuge…) => Steigerung der Gedächtnisleistung möglich durch Verwendung von Ordnungsstrategien beim - Einprägen und - Abrufen 32 2. Strategien: Entwicklung des strateg. Lernens und Erinnerns von kategorisierten Begriffen 33 aus Knopf et al. (2008) 2. Strategien: Entwicklungsphasen des Strategiegebrauchs (vgl. Schneider & Berger, 2014; Hasselhorn & Schneider, 2007) 1. Mediationsdefizit (Vorschulalter, 3-4 Jahre) - wenig spontaner Einsatz von Gedächtnisstrategien - Kinder profitieren nicht von Unterweisung in Strategien 2. Produktionsdefizit (ältere Kindergartenkinder, Schulanfänger) - kaum spontaner Einsatz von Gedächtnisstrategien - Verbesserung der Gedächtnisleistung durch Unterweisung im Strategiegebrauch 3. Nutzungsdefizit (in der Anfangsphase des spontanen Strategiegebrauchs) (unklar, ob obligatorische Phase der Strategieentwicklung!) - spontaner Einsatz von Gedächtnisstrategien verbessert Leistungen zunächst kaum - Grund: Einsatz von Strategien bindet zunächst mentale Energie - Gedächtnisvorteile erst nach wiederholter Erfahrung mit 34 Strategie und zunehmender Automatisierung Welche Faktoren erklären die Entwicklung des Gedächtnisses? (vgl. Schwarzer, 2011; Siegler et al., 2011) Entwicklung des Gedächtnisses durch 1. Steigerung der Effizienz der Ausführung von Basisprozessen 2. Erwerb von Strategien 3. Erweiterung des Inhaltswissens 4. Entwicklung des Metagedächtnisses 35 3. Inhaltswissen: Skripte (vgl. Siegler et al., 2005, 2011) - mit dem Alter wächst das Wissen - umfangreicheres Wissen verbessert das Gedächtnis für neues Material: Verknüpfung des neuen Materials mit bereits vorhandener Information wird erleichtert Skripte = üblicher Ablauf bestimmter Typen von Alltagsereignissen (z.B. Restaurantbesuch, Arztbesuch, Gute-Nacht-Rituale...) - Skripte von Kindern werden mit Alter und Erfahrung zunehmend stabiler und detaillierter => Erinnerung an Ereignisse wird erleichtert 36 3. Inhaltswissen: Experten vs. Novizen - Beispiel: Fußballexperten vs. Fußballlaien (Schneider et al., 1989, vgl. Hasselhorn & Gold, 2009) - Untersuchung von Schülerinnen und Schülern aus den Klassen 3, 5 und 7 - Erfassung des spezifischen Fußballvorwissens - Erfassung der allgemeinen Intelligenz Aufgabe - Präsentation einer Geschichte, die von einem Fußballspiel handelte - Nacherzählen der Fußballgeschichte 37 3. Inhaltswissen: Ergebnisse der Studie von Schneider und Kollegen (1989) (vgl. Hasselhorn & Gold, 2009) 38 aus Hasselhorn & Gold (2009) 3. Inhaltswissen: Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse von Schneider und Kollegen (vgl. Hasselhorn & Gold, 2009) - Kinder, die viel über Fußball wissen, behalten mehr Informationen aus einer Fußballgeschichte als andere Kinder, die zwar intelligenter und älter sind, aber über weniger Fußballkenntnisse verfügen =>bereichsspezifisches Vorwissen hat großen Einfluss auf Behaltensleistung (in dieser Studie: Einfluss des Vorwissens auf Behaltensleistung sogar stärker als Einfluss von Alter oder Intelligenz) 39 Welche Faktoren erklären die Entwicklung des Gedächtnisses? (vgl. Schwarzer, 2011; Siegler et al., 2011) Entwicklung des Gedächtnisses durch 1. Steigerung der Effizienz der Ausführung von Basisprozessen 2. Erwerb von Strategien 3. Erweiterung des Inhaltswissens 4. Entwicklung des Metagedächtnisses 40 4. Metagedächtnis: Deklaratives Metagedächtnis (vgl. Schneider & Lindenberger, 2012; Schwarzer, 2011) Metagedächtnis = Wissen über Gedächtnisvorgänge Deklaratives Metagedächtnis = faktisch verfügbares und verbalisierbares Wissen um Gedächtnisvorgänge - Wissen über Gedächtnisvorgänge wird besonders im Grundschulalter erweitert - Verbesserungen noch bis ins Jugendalter 41 4. Metagedächtnis: Prozedurales Metagedächtnis (vgl. Schneider & Berger, 2014; Schneider & Lindenberger, 2012; Schwarzer, 2011) Prozedurales Metagedächtnis = Fähigkeit zur Regulation und Kontrolle gedächtnisbezogener Aktivitäten Überwachung von gedächtnisbezogenen Vorgängen: - schon im Vorschulalter möglich Einsatz von Kontroll- oder Steuerungsprozessen: - ab dem Schulalter - Verbesserung im Verlauf von Kindheit und Jugendalter bis hin zum Erwachsenenalter 42 4. Metagedächtnis: Beispiel Prozedurales Metagedächtnis: Verbesserung der Zuweisung von Lernzeit mit dem Alter (Dufresne & Kobasigawa, 1989; vgl. Goswami, 2001, Lockl & Schneider, 2007) Ergebnisse: aus Lockl & Schneider (2007) - 6- und 8-jährige: gleich viel Zeit für das Lernen leichter und schwerer Bildpaare - 10- und 12-jährige: mehr Zeit für das Lernen schwerer Bildpaare =>bessere Regulation der Gedächtnisaktivität bei älteren Kindern - auch jüngere Kinder konnten angeben, welche Bildpaare schwerer und welche leichter zu lernen waren => Entwicklungsunterschiede nicht durch Wissensunterschiede begründet, sondern durch die Fähigkeit, Wissen in 43 Selbstregulationsvorgänge umzusetzen Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Literatur (Vorlesung 1 und 2 zum Thema Informationsverarbeitungstheorien)  Berk, L.E. (2005, 2011). Entwicklungspsychologie. München: Pearson Studium.  Elsner, B. & Pauen, S. (2012). Vorgeburtliche Entwicklung und früheste Kindheit (Kap. 7). In W. Schneider & U. Lindenberger (Hrsg.), Entwicklungspsychologie. Weinheim: Beltz.  Frye, D., Zelazo, P.D, & Palfai, T. (1995). Theory of mind and rule-based reasoning. Cognitive Development, 10, 483-527.  Gathercole, S.E., Pickering, S.J., Ambridge, B., & Wearing, H. (2004). The structure of working memory from 4 to 15 years of age. Developmental Psychology, 40, 177-190.  Goswami, U. (2001). So denken Kinder. Bern: Hans Huber.  Goswami, U. & Brown, A.L. (1990). Higher-order structure and relational reasoning: Contrasting analogical and thematic relations. Cognition, 36, 207- 226.  Hasselhorn, M. & Gold, A. (2009). Pädagogische Psychologie – Erfolgreiches Lernen und Lehren. Stuttgart: Kohlhammer.  Hasselhorn, M. & Schneider, W. (2007). Gedächtnisentwicklung. In M. Hasselhorn & W. Schneider (Hrsg.), Handbuch der Entwicklungspsychologie. Göttingen: Hogrefe. 45 Literatur (Vorlesung 1 und 2 zum Thema Informationsverarbeitungstheorien)  Lockl, K. & Schneider, W. (2007). Entwicklung von Metakognition. In M. Hasselhorn & W. Schneider (Hrsg.), Handbuch der Entwicklungspsychologie. Göttingen: Hogrefe.  Knopf, M. , Schneider, W., Sodian, B. & Kolling, T. (2008). Die Entwicklung des Gedächtnisses vom Kindergartenalter bis ins frühe Erwachsenenalter – Neue Erkenntnisse aus der LOGIK-Studie. In W. Schneider (Hrsg.), Entwicklung von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter. Weinheim: Beltz.  Oerter, R. & Dreher, M. (1998). Entwicklung des Problemlösens (Kap. 12). In R. Oerter & L. Montada (Hrsg.), Entwicklungspsychologie. Weinheim: Beltz.  Schneider, W. (1998). Performance prediction in young children: Effects of skill, metacognition and wishful thinking. Developmental Science, 1, 291- 297.  Schneider, W. & Berger, N. (2014). Gedächtnisentwicklung im Kindes- und Jugendalter (Kap. 8). In L. Ahnert (Hrsg.), Theorien in der Entwicklungspsychologie. Berlin: Springer VS.  Schneider, W. & Büttner, G. (1998). Entwicklung des Gedächtnisses (Kap. 14). In R. Oerter & L. Montada (Hrsg.), Entwicklungspsychologie. Weinheim: Beltz. 46 Literatur (Vorlesung 1 und 2 zum Thema Informationsverarbeitungstheorien)  Schneider, W. & Lindenberger, U. (2012). Gedächtnis (Kap. 17). In W. Schneider & U. Lindenberger (Hrsg.), Entwicklungspsychologie. Weinheim: Beltz.  Schwarzer, G. (2011). Entwicklung der Informationsverarbeitung (Kap. 5). In M. Pinquart, G. Schwarzer & P. Zimmermann, Entwicklungspsychologie – Kindes- und Jugendalter. Göttingen: Hogrefe.  Siegler, R.S., DeLoache, J.S., Eisenberg, N. (2005, 2011). Entwicklungspsychologie im Kindes- und Jugendalter. Kapitel 4: Theorien der kognitiven Entwicklung. Theorien der Informationsverarbeitung. Heidelberg: Spektrum.  Sodian, B. (2012). Denken (Kap. 16). In W. Schneider & U. Lindenberger (Hrsg.), Entwicklungspsychologie. Weinheim: Beltz.  Sodian, B., Bullock, M & Koerber, S. (2008). Wissenschaftliches Denken und Argumentieren. Was muss Hänschen lernen, damit aus Hans etwas wird? In Schneider W. (Hrsg.), Entwicklung von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter. Weinheim: Beltz. 47 Theorien der Informationsverarbeitung: Entwicklung des Problemlösens Vorlesung Entwicklungspsychologie der Kindheit Prof. Dr. Claudia Steinbrink WS 2023/24 Vorbemerkung zu Theorien der kognitiven Entwicklung Schwerpunktsetzungen verschiedener Theorien der kognitiven Entwicklung aus Lohaus & Vierhaus (2013) 3 Schwerpunktsetzungen verschiedener Theorien der kognitiven Entwicklung aus Lohaus & Vierhaus (2013) 4 Vorlesung 1: Informationsverarbeitungstheorien: Entwicklung des Gedächtnisses Sicht von Informationsverarbeitungstheoretikern auf das kindliche Denken Entwicklung des Gedächtnisses 1. Zeitabhängige Komponenten des Gedächtnisses 2. Mechanismen der Gedächtnisentwicklung - Basisprozesse - Strategien - Inhaltswissen - Metagedächtnis 5 Vorlesung 2: Informationsverarbeitungstheorien: Entwicklung des Problemlösens Entwicklung des Problemlösens 1. Planen 2. Regelgeleitetes Denken 3. Analoges Schlussfolgern 4. Deduktives Denken 5. Wissenschaftliches Denken 6 Entwicklung des Problemlösens vgl. Goswami (2001) Schwarzer (2011) Siegler et al. (2005, 2011) Sodian (2012) Definition „Problem“ (vgl. Schwarzer, 2011) Problem liegt vor - wenn bestimmtes Ziel nicht unmittelbar erreicht werden kann - z.B. weil Hindernisse bestehen - z.B. weil logischer Schluss, wie Zustand in den Zielzustand überführt werden kann, fehlt 8 Definition „Problemlösen“ (vgl. Siegler et al., 2011, Sodian, 2012) Problemlösen = Prozess der Überführung eines Ausgangszustands in einen Zielzustand durch Anwendung einer Strategie, mit der ein Hindernis überwunden werden kann 9 aus Sodian (2012) Beispiel: Lösen des „Brückenbau- Problems“ (vgl. Berk, 2005) aus Berk, 2005 10 Entwicklung des Problemlösens: Themenüberblick 1. Planen 2. Regelgeleitetes Denken 3. Analoges Schlussfolgern 4. Deduktives Denken 5. Wissenschaftliches Denken 11 Planen vgl. Schwarzer (2011) Siegler et al. (2005, 2011) Sodian (2012) Ab wann können kleine Kinder ihre Handlungen planen? (vgl. Siegler, 2005) - etwa ab 1. Geburtstag können Kinder einfache Pläne bilden Willatts (1990) Untersuchung des Planens 12 Monate alter Kinder Kinder verwendeten 3-stufigen Plan: - beseitige das Hindernis - ziehe Tuch heran, wenn Schnur mit Spielzeug verbunden ist - greife nach der Schnur, um das Spielzeug zu bekommen aus Siegler 13 et al., 2005 Planungsfähigkeit im Vorschulalter (vgl. Sodian, 2012; Schwarzer, 2011; Siegler et al., 2011) - rudimentäre Handlungsplanung schon bei Kleinkindern - Vorschulkinder im Alter von 3 bis 4 Jahren handeln oft nicht besonders planvoll und scheitern in Situationen, in denen Planung notwendig wäre, um Ziele zu erreichen - Beginn systematischer Planung bei 5jährigen => Vorschulkinder haben Schwierigkeiten in Situationen zu planen, in denen dies die Problemlösung unterstützen würde 14 Gründe, warum Kindern das Planen von Handlungen oft nicht gelingt (vgl. Siegler et al., 2005, 2011) 1. Kleinen Kindern fällt es schwer, Handlungen zurückzuhalten - Planen erfordert Strategiewahl, bei der man auf sofortige Lösungsversuche verzichtet und stattdessen analysiert, welche Strategie wahrscheinlich am effektivsten ist =>Wunsch, sich direkt auf ein Ziel zuzubewegen, muss gehemmt werden - Kinder unter 5 Jahren: Fähigkeit, Handlungen zu unterdrücken, ist noch beschränkt Grund: - Reifung des Frontallappens, welcher für Inhibitionsprozesse (Hemmungsprozesse) wichtig ist - Frontallappen gehört zu den Teilen des Gehirns, die als 15 letzte reifen (Reifung zwischen 5 Jahren und Pubertät) Gründe, warum Kindern das Planen von Handlungen oft nicht gelingt (Siegler et al., 2005, 2011) 2. Kleine Kinder neigen zu übermäßigem Optimismus - denken, dass sie Probleme effektiver lösen können, als es ihnen möglich ist - dies verleitet sie dazu, nicht zu planen, weil sie glauben, dass sie auch ohne Planen Erfolg haben Schneider (1998): - Welchen Einfluss haben der Bekanntheitsgrad der Aufgabe, die Überwachung von Gedächtnisprozessen (Metakognition) und Wunschdenken auf die Leistungsvorhersagen von Kindern im Alter von 4 und 6 Jahren? Überschätzung der eigenen Leistung: - eher durch Wunschdenken als durch Defizite in der Metakognition erklärbar 16 - eher bei unbekannten als bei bekannten Aufgabenkontexten Gründe, warum Kindern das Planen von Handlungen oft nicht gelingt (vgl. Sodian, 2012) 3. Planen beansprucht bei kleineren Kindern größere mentale Ressourcen als bei älteren Kindern Gründe: - geringere Kapazität des Arbeitsgedächtnisses - geringeres Wissen über geeignete Strategien 17 Regelgeleitetes Denken vgl. Goswami (2001) Schwarzer (2011) Untersuchung der Umstellung auf neue Sortierregeln bei kleinen Kindern (Frye, Zelazo & Palfai, 1995, vgl. Goswami, 2001; vgl. Schwarzer, 2011) Alter der Studienteilnehmer: - 3 bis 5 Jahre Spiel mit Karten, auf denen eine einzelne Form abgebildet ist: - rotes Dreieck - blaues Dreieck - roter Kreis - blauer Kreis Sortieren der Karten in zwei Ablagekörbe in zwei Spielversionen: - Farbenspiel: Sortieren nach Farbe (rot vs. blau) - Formenspiel: Sortieren nach Form (Dreieck vs. Kreis) 19 Kleine Kinder haben Schwierigkeiten, sich auf neue Regeln umzustellen (Frye, Zelazo & Palfai, 1995, vgl. Goswami, 2001; vgl. Schwarzer, 2011) Trainingsphasen (Phasen 1 und 2): - Kennenlernen des Farben- und des Formenspiels (mit Pause nach jedem Spiel) Testphasen (3-5): 3 Spiel des einen Spiels (5 aus Frye et Karten) al. 4 Wechsel zum (1995) anderen Spiel (5 Karten) 5 Wechsel der Sortierregel mit jeder Karte (4 Karten) 20 => Umstellung auf neue Sortierregel gelingt nur den 5-jährigen Grund für Defizit bei der Regelumstellung mit 3 bzw. 4 Jahren und Verbesserung mit 5 Jahren (vgl. Goswami, 2001; Sodian, 2012) Dempster (1991, vgl. Goswami, 2001): entscheidender Aspekt der Kartensortieraufgabe: - Unterdrückung (Hemmung/Inhibition) aufgabenirrelevanter Informationen ist Voraussetzung für gute Leistungen - z.B.: wenn Farbenspiel gespielt wird, muss die Formenregel unterdrückt werden => unzureichende inhibitorische Prozesse als Grund für Interferenzanfälligkeit der 3- und 4-jährigen Präfrontaler Cortex (u.a. wichtig für exekutive Aufgaben wie Inhibition): - beschleunigte Reifung im Altersbereich von 4 bis 7 Jahren - Reifungsprozesse dauern bis ins junge Erwachsenenalter an 21 Anwendung von Regeln beim Balkenwaageproblem (Siegler, 1978) (vgl. Goswami, 2001; Schwarzer, 2011) Aufgabe: - vorhersagen, auf welcher Seite sich die Waage senkt korrekte Lösung: - Berücksichtigung der Anzahl der Gewichte und des Abstands zum Drehpunkt - multiplikative Verknüpfung der Variablen Bestimmung der angewandten Regel: - systematische Variation der Anzahl der Gewichte und des Abstands vom Drehpunkt in einer Reihe von Aufgaben aus Schwarzer (2011) 22 Annahme: Anwendung von vier Regeln im Laufe der Entwicklung (Siegler, 1978, vgl. Goswami, 2001) Regel 1 - Kinder berücksichtigen nur die Anzahl der Gewichte Regel 2 - Kinder berücksichtigen nur die Anzahl der Gewichte - wenn auf beiden Armen gleich viele Gewichte: Berücksichtigung des Abstands vom Drehpunkt Regel 3 - Kinder berücksichtigen Anzahl der Gewichte und Abstand vom Drehpunkt, aber nur, wenn beide Variablen nicht im Gegensatz - Kinder raten, wenn auf der einen Seite der Abstand, und auf der anderen Seite das Gewicht größer ist Regel 4 - multiplikative Integration von Gewichts- und Distanzinfo 23 Anwendung der vier Regeln in verschiedenen Altersgruppen (Siegler, 1978, vgl. Goswami, 2001; Oerter & Dreher, 1998) Annahme Sieglers: - Kinder wenden im Laufe der Entwicklung nacheinander die vier Regeln zur Lösung des Balkenwaageproblems an Teilnehmer der Studie von Siegler (1978): - Mädchen im Alter von 5, 9, 13 und 17 Jahren Ergebnisse: - 5jährige: fast ausschließlich Anwendung von Regel 1 - 9jährige: Regel 2 und 3 am häufigsten - 13jährige: hauptsächlich Regel 3 - 17jährige: hauptsächlich Regel 3 - nur wenig Anwendung von Regel 4 24 Analoges Schlussfolgern vgl. Goswami (2001) Schwarzer (2011) Siegler et al. (2005, 2011) Definition Analoges Schließen (vgl. Goswami, 2001) - Menschen verstehen neue Probleme oft anhand bereits bekannter Probleme Denken in Analogien heißt „dass wir uns einer Situation gegenübergestellt sehen, uns an eine ähnliche Situation erinnern, die beiden Situationen miteinander vergleichen, unsere Schlüsse ziehen und – lernen.“ (Winston, 1980) - mit Hilfe von analogen Schlüssen wird ein beträchtlicher Teil alltäglicher Probleme gelöst 26 Wie kann man mit Hilfe einer Analogie ein Problem lösen? (vgl. Goswami, 2001) - Vergleich zweier Situationen / Probleme - Finden von Übereinstimmungen zwischen früherem und jetzigem Problem - Übertragung (Transfer) von Erkenntnissen aus der Auseinandersetzung mit dem alten Problem auf das neue Problem Beispiel: Theorie von Kekulé über die molekulare Struktur des Benzols, die er mit Hilfe der Vorstellung einer sich in den Schwanz beißenden Schlange aufstellte 27 aus Goswami (2001) Nutzung perzeptueller Ähnlichkeiten beim analogen Schließen: Studie von Chen et al. (1997) (vgl. Schwarzer, 2011; Siegler et al., 2005, 2011) Alter der Kinder: - 10 Monate und 13 Monate Ausgangssituation: - Barriere zwischen Kind und Spielzeug - zwei Bänder, von denen eines am Spielzeug festgemacht ist - Bänder auf je einem Stofftuch in Reichweite der Kinder Problemlöseaufgabe: Um an das Spielzeug zu gelangen: - Barriere wegnehmen - Tuch mit dem Band, an dem sich Spielzeug befindet, zu sich ziehen - selbst am Band ziehen Wenn Kinder Lösungsweg nicht selbst finden: - Vormachen der Lösung durch Elternteil 28 Nutzung perzeptueller Ähnlichkeiten beim analogen Schließen: Studie von Chen et al. (1997) (vgl. Schwarzer, 2011; Siegler et al., 2005, 2011) Dann Konfrontation mit drei analogen Problemsituationen: aus Berk (2005) 29 Ergebnis der Studie von Chen et al. (1997) (vgl. Schwarzer, 2011; Siegler et al., 2005, 2011) 10 Monate alte Kinder: - nur dann Übertragung auf andere Probleme, wenn diese mehrere Oberflächenmerkmale enthalten, die dem Original gleichen (wie Farbe, Größe, Form und Ort der Objekte) 13 Monate alte Kinder: - Analogieschluss auch bei weniger gemeinsamen Oberflächenmerkmalen =>rudimentäre Form des analogen Schließens (Nutzung perzeptueller Ähnlichkeiten) etwa ab 1 Jahr =>bleibt auf Situationen beschränkt, in denen das neue Problem dem alten stark ähnelt 30 Nutzung relationaler Ähnlichkeiten beim analogen Schließen (vgl. Goswami, 2001; Schwarzer, 2011) Studie von Goswami & Brown (1990): - Aufgaben vom Typ: A : B = C : ? - Einbettung in Spiel zum Legen von Bilderfolgen aus Goswami & Brown (1990) - relationale Analogien bereits mit 4 Jahren, wenn Aufgaben 31 aus Bereichen stammen, die Kindern vertraut sind Weiterentwicklung des analogen Schlussfolgerns mit dem Alter (vgl. Schwarzer, 2011) - Kinder können prinzipiell schon sehr früh das analoge Schlussfolgern nutzen, um Probleme zu lösen - dennoch gravierende Verbesserungen der Fähigkeit zum analogen Schlussfolgern mit dem Alter Ursache: - Zunahme des kindlichen Wissens über Problemstellungen und Relationen 32 Deduktives Denken vgl. Goswami (2001) Schwarzer (2011) Sodian (2012) Definition deduktives Denken (vgl. Schwarzer, 2011; Sodian, 2012) Deduktives Denken: - Ziehen eines logischen Schlusses aufgrund gegebener Voraussetzungen - Schlussfolgerung lässt sich eindeutig aus logischer Kombination von Prämissen ableiten Beispiel: Syllogismus - Prämisse 1: Alle Katzen bellen. - Prämisse 2: Rex ist eine Katze. - Folgerung: Rex bellt. 34 Rolle des Wahrheitsgehaltes beim kindlichen deduktiven Schließen (vgl. Berk, 2011; Schwarzer, 2011; Sodian, 2012) - Kinder neigen dazu, ihr Weltwissen heranzuziehen und aufgrund des Wahrheitsgehaltes der Prämissen zu urteilen => kontrafaktische Schlüsse werden abgelehnt aber: unter bestimmten Instruktionsbedingungen sind schon Vorschulkinder zu logischem Schlussfolgern entgegen dem Wahrheitsgehalt fähig: - Präsentation der Prämisseninformation in Fantasiekontext (z.B. Bedingungen auf einem anderen Planeten) - Intonation signalisiert fiktives Szenario - Instruktion, visuelle Vorstellungen zu bilden => Kind wird klar, dass Prämisseninformation akzeptiert werden soll und als Basis für Antwort genutzt werden soll 35 Einfluss des Aufgabenkontexts auf das deduktive Schließen von Erwachsenen (vgl. Goswami, 2001; Schwarzer, 2011; Sodian, 2012) Selektionsaufgabe von Wason (1966): - Informationen der Art „wenn p dann q“ - Aufgabe: bestimmen, wie viele und welche Beispielexemplare notwendig sind um zu entscheiden, ob eine Regel stimmt Konkrete Version: „Wenn ein Brief zugeklebt ist, ist eine 5-Pence-Briefmarke darauf.“ aus Goswami (2001) 36 - die meisten Erwachsenen können Aufgabe lösen Einfluss des Aufgabenkontexts auf das deduktive Schließen von Erwachsenen (vgl. Goswami, 2001; Schwarzer, 2011; Sodian, 2012) Selektionsaufgabe von Wason (1966): Abstrakte Version: „Wenn auf der einen Seite der Karte ein Vokal steht, steht auf der anderen Seite eine gerade Zahl.“ aus Goswami (2001) - nur 10% der Erwachsenen können die abstrakte Version der Aufgabe lösen 37 Wie ist der Einfluss des Aufgabenkontexts erklärbar? (vgl. Goswami, 2001; Schwarzer, 2011; Sodian, 2012) Cheng & Holyoak (1985): - Aufgabenlösung im konkreten Kontext gelingt, weil die Erwachsenen auf pragmatische Denkschemata zurückgreifen können - für Selektionsaufgabe relevante pragmatische Denkschemata: Erlaubnisregeln, die uns aus dem Alltag bekannt sind ⇒ Kinder sollten deduktives Denken bei der Selektionsaufgabe anwenden können, wenn eines ihrer Erlaubnisschemata angesprochen wird 38 Studie von Harris & Nunez (1996): Selektionsaufgabe bei Kindern (vgl. Goswami, 2001; Schwarzer, 2011; Sodian, 2012) - Einbettung von Erlaubnisregeln in verschiedene Geschichten Aufgabe: - aus vier Bildern dasjenige heraussuchen, das Regelverstoß darstellt Beispiel: Regel: „Wenn Sally draußen spielen will, muss sie ihren Mantel anziehen.“ - schon 3- und 4-jährige: Lösung der Selektionsaufgabe unter aus diesen vereinfachten Goswami, 2001 Bedingungen 39 Deduktives Denken von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter (vgl. Sodian, 2012) - beim deduktiven Schließen im Kindesalter: Neigung zur Orientierung am Wahrheitsgehalt / an der Realität Kontinuität: - Auswirkung ähnlicher pragmatischer Faktoren auf Performanz von Kindern und Erwachsenen - unter optimalen Aufgabenbedingungen sind Kinder fähig, logische Schlussfolgerungen zu ziehen Entwicklungsveränderungen durch: - verbesserte Kapazität des Arbeitsgedächtnisses - verbesserte Problemlösestrategien - inhaltliches Wissen - Metakognition 40 Wissenschaftliches Denken vgl. Schwarzer (2011) Sodian (2012) Definition Wissenschaftliches Denken (vgl. Sodian, 2012) - Anwendung systematischer Strategien der Hypothesenprüfung und der Bewertung von Befunden wichtig für die Planung von Experimenten: - Variablenisolation - Variablenkontrolle zur systematischen Exploration von Ursache-Wirkungs- Beziehungen: - Variation einer einzigen Variablendimension bei gleichzeitiger Konstanthaltung aller anderen Variablendimensionen 42 Fähigkeit zum wissenschaftlichen Denken erst ab dem Jugendalter? (vgl. Schwarzer, 2011; Sodian, 2012) - starke Verbesserung der Fähigkeit zum Einsatz systematischer Strategien bei der Hypothesenprüfung im Jugendalter Piaget: - Fähigkeit zum wissenschaftlichen Denken erst ab dem formal- operationalen Stadium (ab dem Jugendalter) 43 Entwicklung des wissenschaftlichen Denkens: Befunde der Münchner Längsschnittstudie LOGIK (vgl. Sodian et al., 2008) Aufgabe: Wovon wird der Treibstoffverbrauch eines Flugzeugs beeinflusst? Drei mögliche Variablen: - Form der Nase (spitz oder rund) - Art der Flügel (einfach oder Doppeldecker) - Position des Höhenruders (oben oder unten) 44 Entwicklung des wissenschaftlichen Denkens: Befunde der Münchner Längsschnittstudie LOGIK (vgl. Sodian et al., 2008) Variablenkontroll- strategie: - zur Prüfung einer bestimmten Hypothese dürfen sich die Flugzeuge nur in einer der drei Variablen unterscheiden, alle anderen Variablen müssen konstant gehalten werden 45 aus Sodian et al. (2008) Entwicklung des wissenschaftlichen Denkens: Befunde der Münchner Längsschnittstudie LOGIK (vgl. Sodian et al., 2008) - wissenschaftliches Denken entsteht nicht erst in der Adoleszenz - Ende der Grundschulzeit: adäquates Verständnis der experimentellen Methode bei der Mehrheit der Kinder - Fehler entstehen dann, wenn Methodik selbst eingesetzt werden muss und kein aus Sodian et al. (2008) unterstützender Kontext vorhanden 46 ist Entwicklung des wissenschaftlichen Denkens: Befunde der Münchner Längsschnittstudie LOGIK (vgl. Sodian et al., 2008) aus Sodian et al. (2008) - bereits zu Beginn von Klasse 5 deutlicher Leistungsunterschied zwischen Gymnasiasten und Kindern aus anderen Schularten 47 - Unterschied bleibt im Entwicklungsverlauf bestehen Entwicklung des wissenschaftlichen Denkens: Befunde der Münchner Längsschnittstudie LOGIK (vgl. Sodian et al., 2008; Sodian, 2012) - bereits zu Beginn von Klasse 5 deutlicher Leistungsunterschied zwischen Gymnasiasten und Kindern aus anderen Schularten - Unterschied bleibt im Entwicklungsverlauf bestehen => - Implementierung wissenschaftstheoretisch und forschungsmethodisch adäquater Curricula in Sachkundeunterricht Grundschule und naturwissenschaftlichen Unterricht Sekundarstufe I wünschenswert - Befunde aus anderen Studien zeigen: wissenschaftliches Denken kann bereits im Grundschulalter durch Strategietrainings oder durch wissenschaftstheoretischen Unterricht gefördert werden 48 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Literatur (Vorlesung 1 und 2 zum Thema Informationsverarbeitungstheorien)  Berk, L.E. (2005, 2011). Entwicklungspsychologie. München: Pearson Studium.  Elsner, B. & Pauen, S. (2012). Vorgeburtliche Entwicklung und früheste Kindheit (Kap. 7). In W. Schneider & U. Lindenberger (Hrsg.), Entwicklungspsychologie. Weinheim: Beltz.  Frye, D., Zelazo, P.D, & Palfai, T. (1995). Theory of mind and rule-based reasoning. Cognitive Development, 10, 483-527.  Gathercole, S.E., Pickering, S.J., Ambridge, B., & Wearing, H. (2004). The structure of working memory from 4 to 15 years of age. Developmental Psychology, 40, 177-190.  Goswami, U. (2001). So denken Kinder. Bern: Hans Huber.  Goswami, U. & Brown, A.L. (1990). Higher-order structure and relational reasoning: Contrasting analogical and thematic relations. Cognition, 36, 207- 226.  Hasselhorn, M. & Gold, A. (2009). Pädagogische Psychologie – Erfolgreiches Lernen und Lehren. Stuttgart: Kohlhammer.  Hasselhorn, M. & Schneider, W. (2007). Gedächtnisentwicklung. In M. Hasselhorn & W. Schneider (Hrsg.), Handbuch der Entwicklungspsychologie. Göttingen: Hogrefe. 50 Literatur (Vorlesung 1 und 2 zum Thema Informationsverarbeitungstheorien)  Lockl, K. & Schneider, W. (2007). Entwicklung von Metakognition. In M. Hasselhorn & W. Schneider (Hrsg.), Handbuch der Entwicklungspsychologie. Göttingen: Hogrefe.  Knopf, M. , Schneider, W., Sodian, B. & Kolling, T. (2008). Die Entwicklung des Gedächtnisses vom Kindergartenalter bis ins frühe Erwachsenenalter – Neue Erkenntnisse aus der LOGIK-Studie. In W. Schneider (Hrsg.), Entwicklung von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter. Weinheim: Beltz.  Oerter, R. & Dreher, M. (1998). Entwicklung des Problemlösens (Kap. 12). In R. Oerter & L. Montada (Hrsg.), Entwicklungspsychologie. Weinheim: Beltz.  Schneider, W. (1998). Performance prediction in young children: Effects of skill, metacognition and wishful thinking. Developmental Science, 1, 291- 297.  Schneider, W. & Berger, N. (2014). Gedächtnisentwicklung im Kindes- und Jugendalter (Kap. 8). In L. Ahnert (Hrsg.), Theorien in der Entwicklungspsychologie. Berlin: Springer VS.  Schneider, W. & Büttner, G. (1998). Entwicklung des Gedächtnisses (Kap. 14). In R. Oerter & L. Montada (Hrsg.), Entwicklungspsychologie. Weinheim: Beltz. 51 Literatur (Vorlesung 1 und 2 zum Thema Informationsverarbeitungstheorien)  Schneider, W. & Lindenberger, U. (2012). Gedächtnis (Kap. 17). In W. Schneider & U. Lindenberger (Hrsg.), Entwicklungspsychologie. Weinheim: Beltz.  Schwarzer, G. (2011). Entwicklung der Informationsverarbeitung (Kap. 5). In M. Pinquart, G. Schwarzer & P. Zimmermann, Entwicklungspsychologie – Kindes- und Jugendalter. Göttingen: Hogrefe.  Siegler, R.S., DeLoache, J.S., Eisenberg, N. (2005, 2011). Entwicklungspsychologie im Kindes- und Jugendalter. Kapitel 4: Theorien der kognitiven Entwicklung. Theorien der Informationsverarbeitung. Heidelberg: Spektrum.  Sodian, B. (2012). Denken (Kap. 16). In W. Schneider & U. Lindenberger (Hrsg.), Entwicklungspsychologie. Weinheim: Beltz.  Sodian, B., Bullock, M & Koerber, S. (2008). Wissenschaftliches Denken und Argumentieren. Was muss Hänschen lernen, damit aus Hans etwas wird? In Schneider W. (Hrsg.), Entwicklung von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter. Weinheim: Beltz. 52 Entwicklung domänenspezifischen Wissens Vorlesung Entwicklungspsychologie der Kindheit Prof. Dr. Claudia Steinbrink WS 2023/24 Themen Theorien des domänenspezifischen Kernwissens 1. Kernwissenstheorien: Einführung und Abgrenzung 2. Kernwissen 3. Intuitive Theorien Entwicklung domänenspezifischen Wissens 1. Intuitive Physik 2. Intuitive Psychologie 3. Intuitive Biologie 2 Theorien des domänenspezifischen Kernwissens Kernwissenstheorien: Einführung und Abgrenzung vgl. Siegler et al. (2011) Sodian (2012, 2014) Schwerpunktsetzungen verschiedener Theorien der kognitiven Entwicklung aus Lohaus & Vierhaus (2013) 5 Schwerpunktsetzungen verschiedener Theorien der kognitiven Entwicklung aus Lohaus und Vierhaus (2013) 6 Theorien des Kernwissens vs. Piaget und Informationsverarbeitungstheorien (vgl. Schwarzer, 2011; Siegler et al., 2011; Sodian, 2012, 2014) Piaget und Informationsverarbeitungstheorien: - angeboren sind allgemeine Lernfähigkeiten - diese werden zum Aufbau und zur Erweiterung von Wissen genutzt => allgemeine Lernfähigkeiten, bereichsübergreifende Entwicklungsveränderungen Theorien des Kernwissens: - neben allgemeinen Lernfähigkeiten auch spezifische Lernmechanismen und angeborenes Wissen (Kernwissen) in Inhaltsbereichen, die evolutionsgeschichtlich bedeutsam sind - diese ermöglichen schnellen Erwerb von Wissen in Inhaltsbereichen, die eine Funktion für das Überleben haben => domänenspezifische Lernmechanismen und Wissenssysteme (domänenspezifisch = begrenzt auf bestimmten Inhaltsbereich) 7 Spezifische Lernmechanismen /Kernwissen: Inhaltsbereiche (vgl. Berk, 2005; Schwarzer, 2011; Siegler et al., 2011; Sodian, 2014) Inhaltsbereiche, für die Kernwissenstheoretiker spezifische Lernmechanismen, bzw. angeborenes Kernwissen annehmen: - Biologie - Gesichtererkennung - Mathematik - Physik - Psychologie - Sprache 8 Kernwissen vgl. Siegler et al. (2011) Sodian (2012, 2014) Warum angeborenes Kernwissen? (vgl. Berk, 2005; Sodian, 2014) Säuglingsforschung (z.B. mit der Methode der Erwartungsverletzung) zeigt: - Säuglinge verfügen schon im ersten Lebensjahr über domänenspezifisches begriffliches Wissen Wie ist das möglich? – Annahme: - angeborenes domänenspezfisches Kernwissen ermöglicht Kindern den raschen Erwerb domänenspezifischer Kenntnisse Beispiele: - numerisches Kernwissen: ermöglicht rasche Erfassung von kleinen Mengen - Kernwissen über physikalische Objekte: ermöglicht die Vorhersage von Bewegungen unbelebter Objekte - Kernwissen über Menschen: ermöglicht die Vorhersage des 10 Verhaltens von Personen Wodurch ist Kernwissen charakterisiert? (vgl. Sodian, 2014) - angeborenes rudimentäres begriffliches Wissen - leitet den Wissenserwerb über die Lebensspanne - implizites Wissen - domänenspezifisches Wissen 11 Beispiel: Kernwissen über physikalische Objekte nach Spelke (1994) (vgl. Sodian, 2012, 2014) Kernwissen über physikalische Objekte beruht auf drei angeborenen Prinzipien (Spelke, 1994): 1. Kohäsion - Objekte bewegen sich als zusammenhängende begrenzte Einheiten 2. Kontinuität / Solidität - Objekte sind feste Körper, kontinuierlich existierende Entitäten 3. Kontakt - ein Objekt beeinflusst die Bewegung eines anderen nur über physischen Kontakt, nicht aus der Distanz 12 Erläuterung Kohäsionsprinzip (Spelke, 1994; vgl. Sodian, 2012, 2014) Kohäsion: - Objekte bewegen sich als zusammenhängende begrenzte Einheiten 13 aus Spelke (1994) Erläuterung Kontinuitätsprinzip (Spelke, 1994; vgl. Sodian, 2012, 2014) Kontinuität / Solidität: - Objekte sind feste Körper, kontinuierlich existierende Entitäten aus Spelke (1994) 14 Erläuterung Kontaktprinzip (Spelke, 1994; vgl. Sodian, 2012, 2014) Kontakt: - ein Objekt beeinflusst die Bewegung eines anderen nur über physischen Kontakt, nicht aus der Distanz 15 aus Spelke (1994) Beachtung des Kontinuitätsprinzips bei 4 Monate alten Säuglingen (Spelke et al., 1992; vgl. Sodian, 2012, 2014) aus Sodian (2012) Ergebnis: - längere Betrachtung des unmöglichen als des möglichen Ereignisses 16 => Verständnis von Solidität und Kontinuität Beachtung des Kontaktprinzips bei 7 Monate alten Säuglingen (Spelke et al., 1995; vgl. Sodian, 2012, 2014) aus Goswami (2001) Ergebnisse: - Bedingung mit unbelebten Objekten: längere Betrachtung Nichtkontaktereignis - Bedingung mit Personen: kein Unterschied Betrachtungszeiten bei Kontakt- und Nichtkontaktereignis => Verständnis, dass unbelebte Objekte sich nur bei Kontakt 17 mit einem anderen Objekt bewegen Intuitive Theorien vgl. Siegler et al. (2011) Sodian (2012, 2014) Wie entwickelt sich begriffliches Wissen auf Basis von Kernwissenssystemen weiter? (vgl. Sodian, 2014) - Entwicklung expliziten begrifflichen Wissens - eingebettet in größere begriffliche Systeme => intuitive Theorien Intuitive Theorien: - nicht angeboren, sondern im kulturellen Kontext konstruiert - sprachlich repräsentiert - keine Konstanz über die Lebensspanne - explizites Erklärungswissen

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