Pädagogische Psychologie
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Das Dokument erforscht die humanistische Kognition und Metakognition. Es betrachtet die Gedächtnisstrukturen, Intelligenzmodelle, Wissenssysteme und die Bedeutung von Vorwissen und Lernstrategien. Es basiert auf den psychologischen Theorien und Modellen verschiedener Richtungen.
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© Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:37 7 Kognition und Metakognition Cordula Artelt Joachim Wirth 7.1 Verschiedene psychologische Perspektiven auf Kognition und Metakognition 7.2 Kognitive Architektur: Gedächtnispsychologische Grundlage...
© Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:37 7 Kognition und Metakognition Cordula Artelt Joachim Wirth 7.1 Verschiedene psychologische Perspektiven auf Kognition und Metakognition 7.2 Kognitive Architektur: Gedächtnispsychologische Grundlagen 7.2.1 Gedächtnismodelle 7.2.2 Konsequenzen für das Lernen 7.2.3 Veränderbarkeit von Gedächtniskomponenten 7.3 Intelligenz 7.3.1 Intelligenzmodelle 7.3.2 Messung von Intelligenz 7.3.3 Bedeutung der Intelligenz für das Lernen und die schulische Leistung 7.3.4 Veränderbarkeit von Intelligenz 7.4 Wissen 7.4.1 7.4.2 7.4.3 7.4.4 7.4.5 Modelle zur Klassifikation von Wissen Konzeptuell-semantisches Wissen Metakognitives Wissen und Lernstrategien Auswirkungen des Vorwissens auf das Lernen und Behalten Veränderbarkeit von Wissen Leon hat Glück! Es ist Samstagabend und er darf heute zusammen mit seinen Eltern eine beliebte Familienshow im Fernsehen anschauen. Gerade tritt ein Kandidat auf, der wettet, dass er sich 100 zufällig ausgesuchte Wörter innerhalb von 5 Minuten so einprägen kann, dass er sie danach in einer vorgegebenen Reihenfolge vollständig aufsagen kann. Und siehe da, der Kandidat gewinnt seine Wette! Leon ist begeistert. Was, wenn er selbst das auch könnte? Für 100 Englischvokabeln bräuchte er dann nur noch ein wenig mehr als 5 Minuten. Das Auswendiglernen der Erdzeitalter wäre wahrscheinlich innerhalb von 2 Minuten erledigt. Traumhaft! Leon will das auch können. Am nächsten Morgen sucht er im Internet nach Informationen darüber, was man machen muss, um so lernen zu können wie der Wettkandidat. Und Leon wird schnell fündig: Auf einer Fülle von Internetseiten werden Lernratgeber, Gehirnjoggings, Gedächtnistrainings, intelligenzsteigernde Programme und dergleichen mehr angepriesen. Gleichzeitig findet er immer wieder Hinweise darauf, dass für das Lernen die Intelligenz und das Vorwissen eine wichtige Rolle spielen. Leon ist überwältigt und überfordert zugleich. Wie soll er nun vorgehen? Er überlegt sich, dass er für eine Beantwortung seiner Frage zunächst einmal wissen müsste, wie lernen überhaupt funktioniert und was einen guten Lerner auszeichnet. Ginge es um Fußball und darum, was einen guten Fußballspieler ausmacht, dann wäre es einfach: Ein guter Fußballspieler verfügt über einen durchtrainierten Bewegungsapparat, Ausdauer, Reaktionsschnelligkeit, kennt die Fußballregeln, hat ein gutes Ballgefühl, hat verschiedene Spielzüge und -taktiken verinnerlicht, weiß allgemein viel über Fußball und, und, und. Aber ein guter Lerner? Was braucht ein Lerner, um gut lernen zu können? Hat Lernen auch etwas mit einem durchtrainierten »Lernapparat«, Ausdauer und Schnelligkeit zu tun? Ist der »Lernapparat« überhaupt bei allen Menschen in gleicher Weise trainierbar, und welche Rolle spielen dabei die Intelligenz, das Vorwissen und die Lerntechniken bzw. -strategien eines Menschen? 7 Kognition und Metakognition 167 © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:37 Im Laufe des Kapitels werden wir uns mit einigen der in der Geschichte von Leon angesprochenen Fragen befassen. Sie betreffen Phänomene der menschlichen Kognition (und Metakognition), die ein wichtiges Feld der modernen psychologischen Forschung darstellt. Um zu verstehen, welche Möglichkeiten und Grenzen beim Lernen bestehen, behandeln wir in diesem Kapitel zunächst die Architektur und Funktionsweise des menschlichen Gedächtnisses und betrachten die Rolle verschiedener Gedächtniskomponenten (v. a. des Arbeitsgedächtnisses) beim Lernen. Weiterhin gehen wir darauf ein, was die Psychologie unter Intelligenz versteht, wie sie gemessen wird und welche Bedeutung sie für den Wissenserwerb und das Zustandekommen von Leistungsunterschieden besitzt. Da der Erwerb und die Erweiterung des Wissens ein zentraler Gegenstandsbereich der Pädagogischen Psychologie ist, stellen wir anschließend psychologische Modelle zur Struktur des zu erwerbenden Wissens und die Bedeutung des bereits vorhandenen Wissens für den Erwerb neuen Wissens dar. 7 7.1 Verschiedene psychologische Perspektiven auf Kognition und Metakognition Kognitive Phänomene haben in der Psychologie eine lange Tradition, besonders aber nach der sog. »kognitiven Wende«, die das Paradigma des Behaviorismus vor rund 50 Jahren ablöste (vgl. Abschn. 2.2.6). Kognitive Phänomene sind Gegenstand zahlreicher Theorien, Modelle und Studien. Der Behaviorismus hat zwar sehr grundlegende Gesetze zum Lernen hervorgebracht, die bis heute Bestand haben (vgl. Abschn. 6.4), jedoch lassen sich mit dem behavioristischen Paradigma einige Phänomene des Lernens und Leistens (v. a. in Bezug auf Sprache, Denken und Problemlösen) nicht adäquat beschreiben und erklären. Dieses Defizit zusammen mit den zeitgleich errungenen Fortschritten in der Computerwissenschaft (v. a. der Forschung zur künstlichen Intelligenz) und in der Linguistik führten zwischen 1950 und 1970 zur Etablierung einer neuen »kognitiven« Psychologie bzw. eines solchen Paradigmas. In diesem Kontext wurden die Konzepte der Kognition und später auch der Metakognition in die Theoriebildung eingeführt und empirisch erforscht. Der Lernbegriff der kognitiven Psychologie bezieht sich 168 7 Kognition und Metakognition dabei – anders als im Behaviorismus, wo Verhalten im Mittelpunkt steht – vorrangig auf Wissen und Begriffe und damit auf kognitive Strukturen. Der Begriff »Kognition«. Der Begriff »Kognition« geht auf das lateinische Wort »cognoscere« bzw. das griechische Wort »gignoskein« zurück, die mit Erkennen, Wahrnehmen oder Wissen übersetzt werden können. In der Psychologie wird der Begriff der Kognition durchaus unterschiedlich verwendet. Zentral ist dabei, dass mit diesem Begriff innere Strukturen, Prozesse und Kapazitäten der menschlichen Informationsverarbeitung bezeichnet werden. Hierzu zählen die Themengebiete der Wahrnehmung, der Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses, des Bewusstseins, des Denkens und der Sprache sowie des Wissenserwerbs und der Wissensrepräsentation. In der Psychologie werden kognitive Phänomene von emotionalen und motivationalen unterschieden (vgl. Kap. 8). Informationsverarbeitungsansatz. Der heute dominierende Ansatz der kognitiven Psychologie ist der der Informationsverarbeitung (vgl. Anderson, 2007). Wie dieser Ausdruck besagt, steht dabei das Konzept der Information im Mittelpunkt. Beim Informationsverarbeitungsansatz geht es um Fragen, wie Informationen in das menschliche Gedächtnis aufgenommen (»enkodiert«), wie sie verarbeitet und wie sie wieder aus dem Gedächtnis abgerufen (»dekodiert«) werden. Lernen wird dabei als aktiver Vorgang verstanden, durch den neue Informationen aufgenommen, verarbeitet und in die verfügbare Wissensbasis integriert und damit flexibel nutzbar gemacht werden. Die hierbei aufgebauten Wissensstrukturen (kognitiven Strukturen) sind kein Abbild der Umwelt, sondern mentale (geistige) Konstruktionen. Der Informationsverarbeitungsansatz ist stark durch die Computerwissenschaft geprägt, was sich in Konzepten wie »mentale Kapazität«, »exekutive Prozesse« oder auch »Wissensrepräsentation und -aktivierung« widerspiegelt. Hierbei wird die Architektur des Computers mit den darin ablaufenden Informationsverarbeitungsprozessen als Modell für die Architektur des menschlichen Geistes und für das menschliche Denken verwendet. Intelligenzforschung. Für die Beschreibung und Erklärung kognitiver Lernvoraussetzungen sind auch noch andere Theorierichtungen und Forschungstraditionen der Psychologie relevant. Hierzu zählt besonders die differenzialpsychologische und diagnostische (»psychometrische«) Perspektive der Intelligenzforschung. Die © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:37 im Rahmen dieser Forschungsrichtung entwickelten Instrumente (Tests) zur Diagnose menschlicher Intelligenz sind aus der praktischen Arbeit in verschiedenen pädagogisch-psychologischen Anwendungsbereichen heute nicht mehr wegzudenken. Metakognition und Selbstregulation. Die dritte theoretische Perspektive, die in diesem Kapitel zum Tragen kommt, ist die der Metakognition und der Selbstregulation von Lernprozessen. Gegenstand dieser Modelle ist das Wissen über kognitive Prozesse und ihre Steuerung. Die griechische Vorsilbe »meta« im Begriff »Metakognition« deutet dabei auf den übergeordneten Charakter dieser Kognitionen hin: Metakognitionen sind Kognitionen über Kognitionen. Sie beziehen sich u. a. auf die Frage, wie ein kognitives System unter verschiedenen Bedingungen jeweils optimale Strategien wählt bzw. wählen kann. Es geht also nicht allein um das Wissen über Kognition, sondern auch um die Anwendung und Steuerung kognitiv-strategischer Aktivitäten beim Lernen, Verstehen, Erinnern und Problemlösen. Kognitive und metakognitive Prozesse und ihre Voraussetzungen werden in der Psychologie in unterschiedlichen, nicht immer eng aufeinander bezogenen Teildisziplinen des Faches erforscht. Dies ist als eine Ursache dafür zu sehen, dass es keine Theorie gibt, die das Zusammenspiel und die Entwicklung dieser Prozesse und Phänomene umfassend beschreibt und erklärt. Die Auswahl der in diesem Kapitel dargestellten Themengebiete begründet sich aus deren Relevanz für wichtige theoretische und praktische Fragestellungen der Pädagogischen Psychologie (vgl. Abschn. 1.1). Dazu zählen zum einen Konzepte und Theorien über die generelle Struktur und Funktionsweise des Gedächtnissystems sowie den Erwerb unterschiedlicher Arten von Wissen, die sich v. a. auf Untersuchungsansätze der Allgemeinen Psychologie und der Pädagogischen Psychologie stützen (vgl. Anderson, 2007). Zum anderen spielen auch theoretische Modelle und Methoden der Differenziellen Psychologie zur Beschreibung und diagnostischen Erfassung interindividueller Unterschiede im Bereich der Kognitionen eine wichtige Rolle. So gehört etwa die Diagnose von Intelligenz zum Standardinventar pädagogisch-psychologischer Diagnostik im Rahmen der Schullaufbahnberatung oder die Diagnose von Defiziten im Bereich Metakognition zu einem zentralen Bereich bei der individuellen Lernförderung. 7.2 Kognitive Architektur: Gedächtnispsychologische Grundlagen 7.2.1 Gedächtnismodelle Das Gedächtnis ist ein System, mit dem der Mensch (oder allgemein ein Organismus) wahrgenommene Informationen sowohl verarbeitet als auch speichert. Zur Informationsverarbeitung zählt die Umwandlung eines sensorischen (also wahrnehmungsnahen) Reizes in kognitiv weiterverarbeitbare Information, die Auswahl und das Verknüpfen verschiedener Informationen sowie das Konstruieren bedeutungshaltiger kognitiver Strukturen. Das Speichern dient zunächst einmal dem Verfügbarhalten von Informationen, sodass sie später abgerufen und genutzt werden können. Dabei können bestimmte Prozesse der Informationsverarbeitung wie z. B. das Wiederholen oder die enge Verknüpfung mit Vorwissen, die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass erlernte Informationen später tatsächlich abgerufen und ggf. auf neue Situationen transferiert werden können. Klassifikationen des Gedächtnisses In der wissenschaftlichen Diskussion werden viele verschiedene »Gedächtnisse« beschrieben, wobei sich die Unterscheidungskriterien entweder aus Merkmalen eines Speichers und den darin ablaufenden Prozessen oder aber aus der Art der zu verarbeitenden und zu speichernden Information ergeben. Eine typische Differenzierung aufgrund von Speicher- und Prozessmerkmalen ist das unten beschriebene Mehrspeichermodell nach Atkinson und Shiffrin (1968). Unterscheidungen aufgrund der Informationsart bzw. der Art des gespeicherten Wissens beziehen sich meist auf die Inhalte des Langzeitgedächtnisses wie explizites vs. implizites Gedächtnis, episodisches vs. semantisches Gedächtnis oder deklaratives vs. prozedurales Gedächtnis (s. Kasten). Alle diese Unterscheidungen beziehen sich jedoch nur auf die Inhalte des Gedächtnissystems und nicht auf das Gedächtnissystem selbst, weshalb wir im Folgenden davon absehen, diese Inhalte als einzelne eigenständige »Gedächtnisse« zu betrachten. Während Gedächtnismodelle und Gedächtnisforschung eine lange Tradition in der Allgemeinen Psychologie haben, worauf auch in diesem Abschnitt primär Bezug genommen wird, sind die Inhalte dessen, was im Gedächtnis gespeichert wird – das Wissen –, besonders auch ein pädagogisch-psycho- 7.2 Kognitive Architektur: Gedächtnispsychologische Grundlagen 169 © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:37 logisches Themengebiet, auf das im Abschnitt 7.4 gesondert eingegangen wird. Die allgemeinpsychologische Gedächtnisforschung und die eher pädagogisch-psychologische Wissensforschung behandeln dabei überlappende Themengebiete, wenngleich mithilfe von teilweise unterschiedlichen Terminologien. Die zwei zentralen Funktionen des Gedächtnisses, nämlich das Verarbeiten sowie das Speichern von InforUnter der Lupe Unterscheidungen der Gedächtnisinhalte Explizite Gedächtnisinhalte unterscheiden sich von impliziten Inhalten in Bezug auf ihre Bewusstheit. Sie sind bewusst und damit auch meist deklarierbar, sprich in Worten auszudrücken. Implizite Gedächtnisinhalte werden nicht bewusst erinnert und sind damit auch gar nicht oder nur sehr schwer in Worte zu fassen. Sie drücken sich jedoch im Verhalten aus (s. Abschn. 7.4.1). Wenn wir beispielsweise mit dem eigenen Namen unterschreiben, sind sowohl explizite als auch implizite Gedächtnisinhalte im Spiel. Das Wissen über die Buchstaben, aus denen der eigene Name besteht, ist explizit, bewusst aus dem Gedächtnis abrufbar und kann wörtlich mitgeteilt werden. Das Unterschreiben selbst, also die genaue Vorgehensweise, wie der Stift über das Papier geführt werden muss, damit das eindeutige Bild der eigenen Unterschrift entsteht, ist jedoch nur schwer beschreibbar. Dieses implizite, unbewusste Wissen drückt sich nicht in Worten, sondern wiederholbar durch die Handlung des Unterschreibens selbst aus. Unabhängig von der Bewusstheit der Gedächtnisinhalte wird zwischen deklarativen (»knowing that«) und prozeduralen (»knowing how«) Inhalten unterschieden. Deklarative Gedächtnisinhalte umfassen Fakten und Ereignisse. Informationen über Fakten im Sinne von Weltwissen werden dabei als semantische Inhalte bezeichnet. Erinnerungen an persönlich erlebte Ereignisse zählen zu den episodischen Gedächtnisinhalten. Prozedurale Gedächtnisinhalte umfassen Informationen über Vorgehensweisen, Strategien, Handlungen. Das Wissen über Strategien ist wiederum Teil des sog. Metagedächtnisses. Dieses umfasst sowohl die Kenntnis von Strategien und ihren Anwendungsbedingungen als auch die Fähigkeit, die Strategienutzung zu regulieren (s. Abschn. 7.4.1). 7 170 7 Kognition und Metakognition mationen, werden in den verschiedenen Gedächtnismodellen mit unterschiedlichem Gewicht akzentuiert. Besonders deutlich wird dies im Vergleich der beiden Gedächtnismodelle, die in der Pädagogischen Psychologie bis heute am häufigsten genutzt werden: das bereits erwähnte Mehrspeichermodell von Atkinson und Shiffrin (1968) und das Modell der Verarbeitungstiefe nach Craik und Lockhart (1972). Mehrspeichermodell: Ultrakurzzeit-, Kurzzeit- und Langzeitspeicher Inspiriert von der Informationstechnologie beschreiben Atkinson und Shiffrin (1968) das menschliche Gedächtnissystem als eine serielle Schaltung von drei Speichern, dem Ultrakurzzeitspeicher (oder sensorischen Speicher), dem Kurzzeitspeicher und dem Langzeitspeicher (s. Abb. 7.1). Beim Lernen durchlaufen die neu aufgenommenen Informationen alle drei Speicher nacheinander. Im Ultrakurzzeitspeicher werden alle Reize, die durch die verschiedenen Sinnesmodalitäten wahrgenommen werden, zunächst für sehr kurze Zeit und noch sehr wahrnehmungsnah zwischengespeichert. Dabei können nahezu unbegrenzt viele Informationen gleichzeitig gespeichert werden, allerdings je nach Art des Reizes nur für einige 100 Millisekunden bis längstens 10 Sekunden. Wird einer sensorischen Information keine Aufmerksamkeit zuteil, zerfällt sie. Andernfalls wird sie in den Kurzzeitspeicher übertragen. Im Gegensatz zu den beiden anderen Speichern hat der Kurzzeitspeicher eine sehr begrenzte Aufnahmekapazität; er bildet sozusagen den Flaschenhals der Informationsverarbeitung. Miller (1956) schätzt in seinem berühmten Artikel zur »magical number seven« die Aufnahmekapazität auf gerade einmal 7 ± 2 Informationseinheiten. Informationen werden hier weiterverarbeitet und unter Zugriff auf Vorwissen Kategorien zugewiesen – man spricht deshalb auch vom Arbeitsgedächtnis (s. u.). Durch Wiederholen können Reize Ultrakurzzeitspeicher Kurzzeitspeicher (erinnerte) Information Langzeitspeicher Abbildung 7.1 Mehrspeichermodell von Atkinson und Shiffrin (1968) © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:37 Informationen im Kurzzeitspeicher relativ lange überdauern. Werden sie jedoch nicht aktiv verarbeitet oder wiederholt, zerfallen sie oder werden durch neu eintreffende Informationen überschrieben. Je länger Informationen im Kurzzeitspeicher gehalten werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie in den Langzeitspeicher überführt werden. Der Langzeitspeicher ist wiederum durch eine unbegrenzte Kapazität gekennzeichnet. Zudem bleiben Informationen, die einmal im Langzeitspeicher gelandet sind, lebenslang in diesem Speicher. Dies widerspricht unseren persönlichen Erfahrungen, denn wenn wir etwas vergessen, haben wir das Gefühl, das Vergessene sei nicht mehr im Gedächtnis. Atkinson und Shiffrin nehmen jedoch an, dass die »vergessene« Information noch im Gedächtnis vorhanden ist und nur der Zugriff auf diese Information abhanden gekommen ist. In der wissenschaftlichen Literatur werden das Mehrspeichermodell und das Modell der Verarbeitungstiefe häufig konkurrierend behandelt – meist mit dem Fokus auf der Frage, ob ein Speicher genügt oder tatsächlich drei Speicher angenommen werden müssen. Für praktische Belange ist diese Frage allerdings weniger bedeutsam, da die Kombination beider Modelle ein umfassenderes Bild unseres Gedächtnissystems liefert. Die Speicherfunktion des Gedächtnisses lässt sich durch das Dreispeichermodell differenziert beschreiben. In weiterführenden Modellen wie z. B. dem Arbeitsgedächtnismodell von Baddeley und Hitch (1974) werden auch die Funktionen einzelner Speicher näher betrachtet. Arbeitsgedächtnismodell Baddeley und Kollegen (Baddeley & Hitch, 1974; Baddeley, 2012) haben sich in ihrer jahrzehntelangen Forschung mit der Modellierung des Kurzzeitspeichers beschäftigt. Auch sie sehen diesen Speicher als zentrale Komponente des Gedächtnissystems an, betonen jedoch, dass es sich hierbei nicht nur um einen reinen Speicher handelt, sondern in diesem Teil des Gedächtnissystems die zentralen Verarbeitungsprozesse stattfinden. Die Speicherfunktion übernehmen im Arbeitsgedächtnis die sog. »phonologische Schleife« sowie der »visuell-räumliche Notizblock«. Inzwischen wurde das Modell um einen dritten Speicher, den sog. »episodischen Puffer« erweitert. Für die Steuerung der Informationsverarbeitung ist die »zentrale Exekutive« zuständig (s. Abb. 7.2). Die drei Komponenten des Arbeitsgedächtnisses sind modalitätsspezifisch: Die phonologische Schleife speichert verbale und akustische Informationen, der visuellräumliche Notizblock entsprechend visuelle und räumliche Informationen. Aufgrund der begrenzten Kapazität der Komponenten des Arbeitsgedächtnisses (s. u.) Modell der Verarbeitungstiefe Das Mehrspeichermodell bietet bis heute eine zentrale Grundlage für Forschung und die pädagogische Praxis. Allerdings können viele Lernphänomene damit nicht erklärt werden, u. a. weil das Modell nahezu keine Aussagen über die Verarbeitungsprozesse trifft, die innerhalb der Speicher beim Lernen ablaufen müssen. Craik und Lockhart (1972) schlagen daher ein Modell vor, das weniger die Speicherstruktur als die Verarbeitungsprozesse des Gedächtnisses fokussiert. Ihrer Meinung nach ist die Art der Informationsverarbeitung bestimmend dafür, ob und wie lange die Informationen im Gedächtnis verfügbar sind. Ihr Modell unterscheidet verschiedene Verarbeitungsebenen (levels of processing). Auf der oberen Ebene werden Informationen nur oberflächlich verarbeitet, d. h., es werden ausschließlich sensorische oder physikalische Aspekte von Informationen registriert, ohne auf die Bedeutung der Informationen einzugehen. Das Erkennen der Bedeutung von Informationen (Semantik) ist charakteristisch für die tiefste Verarbeitungsebene. Unter zentrale Rückgriff auf bereits vorhandenes WisExekutive sen wird die Bedeutung neu aufgenommener Informationen herausgearbeitet phonologische episodischer visuell-räumlicher und in den bestehenden kognitiven NetzSchleife Puffer Notizblock werken verankert. Man spricht deshalb auch von Tiefenverarbeitung. Je tiefer die Informationsverarbeitung erfolgt, episodisches Sprache visuelle Semantik sprich je bedeutungshaltiger InformatioLangzeitgedächtnis nen verarbeitet werden, desto länger bleiAbbildung 7.2 Arbeitsgedächtnismodell von Baddeley ben sie im Gedächtnis verfügbar. 7.2 Kognitive Architektur: Gedächtnispsychologische Grundlagen 171 © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:37 konkurrieren daher verbal-akustische Informationen nur mit anderen verbal-akustischen Informationen um die in der phonologischen Schleife zur Verfügung stehenden Ressourcen. Und auch visuell-räumliche Informationen stehen nur mit anderen (z. B. neu eintreffenden) visuell-räumlichen Informationen im visuellräumlichen Notizblock in Konkurrenz. Die dritte Komponente des Arbeitsgedächtnisses – der episodische Puffer – hat insofern eine Sonderrolle, als in ihm episodische Informationen (z. B. Ereignisse) verschiedener Modalitäten zwischengespeichert werden. Er dient als Brücke zwischen den verschiedenen Komponenten des Arbeitsgedächtnisses und verbindet das Arbeitsgedächtnis mit den verschiedenen Wahrnehmungsmodalitäten und dem Langzeitgedächtnis. Phonologische Schleife. Die bislang am besten untersuchte Komponente des Arbeitsgedächtnisses ist die phonologische Schleife. Sie besteht aus zwei Teilsystemen, dem phonologischen Speicher und einem Artikulationsprozess. Werden verbale Informationen aus dem Ultrakurzzeitspeicher in das Arbeitsgedächtnis überführt, werden sie zunächst im phonologischen Speicher gehalten, allerdings nur für ca. 2 Sekunden. Soll die Information länger verfügbar gehalten werden, muss sie durch den Artikulationsprozess immer wieder erneut aktiviert werden. Dieses kontinuierliche Aktivieren kann man sich leicht selbst vergegenwärtigen, wenn man versucht, sich eine Folge sinnlos aneinandergereihter Buchstaben zu merken (z. B.: L-G-E-B-O-G-A). Typischerweise wird diese Buchstabenkette innerlich (»subvokal«) so lange wiederholt vorgesprochen, wie diese Information verfügbar gehalten werden muss. Dieses innere wiederholte Vorsprechen ist Ausdruck des Artikulationsprozesses und macht deutlich, wieso Baddeley und Hitch (1974) bei der Speicherung verbalen Materials von einer Schleife sprechen. Die beiden anderen Komponenten des Arbeitsgedächtnisses sind noch nicht so genau untersucht, weshalb hier nicht weiter darauf eingegangen wird. Beispiele für einige dieser Untersuchungen finden sich u. a. in Kapitel 12. Zentrale Exekutive. Die zentrale Exekutive ist ein ressourcenbegrenztes Kontrollsystem. Sie dient nicht (direkt) der Speicherung von Informationen, sondern überwacht und reguliert die ablaufenden kognitiven Prozesse. Sie kommt umso mehr ins Spiel, je komplexer die zu bewältigenden Aufgaben sind und je weniger Routinen (im Sinne prozeduralisierten Wissens, vgl. Abschn. 7.4.1) dafür zur Verfügung stehen. Ihr obliegt 7 172 7 Kognition und Metakognition die Planung mehr oder weniger komplexer kognitiver Handlungen sowie die Koordination der Speicherkomponenten des Arbeitsgedächtnisses etwa durch Zuweisung von Speicherressourcen für bestimmte kognitive Handlungen. Der zentralen Exekutive werden also insbesondere metakognitive Funktionen zugeschrieben. Baddeley selbst beschreibt die zentrale Exekutive durchaus selbstkritisch als einen »Homunkulus«, einen kleinen Alleskönner, der alle schlauen Dinge plant, ausführt und kontrolliert, die durch die reinen Speichersysteme des Arbeitsgedächtnisses nicht übernommen werden können (Baddeley, 2012). Um diese schlauen Dinge ausführen zu können, übernimmt die zentrale Exekutive u. a. vier Funktionen: " Sie richtet die Aufmerksamkeit auf relevante Informationen, " verteilt die Aufmerksamkeit, wenn mehrere Ziele gleichzeitig verfolgt werden müssen, " entscheidet, wann zwischen der Bearbeitung verschiedener Aufgaben gewechselt werden muss, und " fungiert als Schnittstelle zum Langzeitgedächtnis, von wo sie z. B. Informationen abruft, die für die Verarbeitung neuer Informationen gebraucht werden. Kapazitätsunterschiede im Arbeitsgedächtnis. Millers (1956) Zusatz zu seiner magical number seven von »± 2« deutet bereits an, dass die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses variieren kann. Diese Unterschiede sind nicht nur interindividuell, sondern auch intraindividuell beobachtbar. Beispielsweise verändert sich die Arbeitsgedächtniskapazität im Laufe der Lebensspanne: Sie steigt zunächst an und nimmt im Alter auch wieder ab. Unabhängig von solchen generellen ontogenetischen Veränderungen kann die Arbeitsgedächtniskapazität einer Person auch in Abhängigkeit von den jeweiligen situativen Bedingungen stark variieren, z. B. aufgrund von Müdigkeit oder Medikamentenkonsum. Abgesehen von altersbedingten und auf besondere Einflüsse zurückführbaren Veränderungen bzw. Schwankungen wird davon ausgegangen, dass interindividuelle Unterschiede in der Arbeitsgedächtniskapazität vergleichsweise stabil sind. Bei Unterschieden in der Kapazität des Arbeitsgedächtnisses wird zudem zwischen einer Speicherund Verarbeitungsfunktion des Arbeitsgedächtnisses unterschieden. Personen mit einer hohen Speicherkapazität (meist als Kurzzeitspeicherkapazität bezeichnet) sind dazu in der Lage, relativ viele Informationen für einen kurzen Zeitraum gleichzeitig verfügbar zu halten. © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:37 Eine hohe Verarbeitungskapazität (die sog. Arbeitsgedächtniskapazität) umfasst darüber hinaus die Fähigkeiten, neue Informationen zu verarbeiten und Schluss- folgerungen zu ziehen, Aufmerksamkeit auf zielrelevante Informationen zu lenken und sich nicht von irrelevanten Informationen ablenken zu lassen. Unter der Lupe Messverfahren für die Arbeitsgedächtniskapazität Auch bei Instrumenten zur Erfassung der Arbeitsgedächtniskapazität wird zwischen Verfahren unterschieden, die ausschließlich die Speicherfunktion des Arbeitsgedächtnisses messen, und Verfahren, die sowohl die Speicher- als auch die Informationsverarbeitungsfunktion zu erfassen suchen. Eine typische Methode zur Erfassung der Kurzzeitspeicherkapazität ist die sog. Kurzzeitgedächtnisspanne. Hierfür werden eine Reihe von Informationen wie Buchstaben (s. erste Beispielaufgabe in Abb. 7.3) einmalig präsentiert und die getestete Person soll so viele dieser Informationen wie möglich in der dargebotenen Reihenfolge wiedergeben. Dabei ist keinerlei Verarbeitung der Informationen gefordert, weshalb hier nahezu ausschließlich die Kapazität der Speicherkomponenten, meist sogar ausschließlich die der phonologischen Schleife, gemessen wird. Kurzzeitgedächtnisspanne (verbal) M Arbeitsgedächtnisspanne (verbal) M Q (7 · 3)/1 = 21 (wahr/falsch?) Eine Anforderung, die beide Arbeitsgedächtnisfunktionen beansprucht, also die eigentliche Arbeitsgedächtniskapazität erfasst, ist die zweite dargestellte Aufgabe (s. Abb. 7.3 unten). Die getesteten Personen müssen sich nicht nur die dargebotenen Informationen (Buchstaben) merken (Speicherfunktion), sondern zwischen der Darbietung der Buchstaben auch noch mathematische Aufgaben lösen. Dafür müssen die dargebotenen Informationen (Zahlen bzw. Gleichungen) verarbeitet werden. Die Arbeitsgedächtniskapazität ist dann definiert als die Anzahl der Buchstaben, die ein Proband nach dem Bearbeiten aller Rechenaufgaben in der dargebotenen Reihenfolge wiedergeben kann. G E Q (8 · 4)/16 = 3 (wahr/falsch?) G (5 · 1)/5 = 0 (wahr/falsch?) E Abbildung 7.3 Beispielaufgaben zur Messung der Arbeitsgedächtniskapazität Weitere Arbeitsgedächtnismodelle. Neben der auf Baddeley zurückgehenden Konzeption des Arbeitsgedächtnisses haben sich in den letzten Jahren noch weitere theoretische Modelle zum Arbeitsgedächtnis etabliert. Diesen ist gemeinsam, dass sie stärker die kognitiven Prozesse und weniger die Architektur verschiedener Komponenten beschreiben. So wird beispielsweise das Arbeitsgedächtnis in den Arbeiten von Engle (z. B. 2002) als modalitätsunabhängige kontrollierte Aufmerksamkeit aufgefasst. Die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses spiegelt in dieser Theorie die Fähigkeit von Personen wider, die Aufmerksamkeit über Prozesse der Selektion und Inhibition auf die für die jeweilige Aufgabe benötigten Informationen zu richten und sich nicht ablenken zu lassen. Engle rückt in seiner Konzeption damit stark exekutive Kontrollfunktionen (ähnlich der zentralen Exekutive im Modell von Baddeley) in den Mittelpunkt. Cowan (1995) hingegen betont in seinem Modell das Zusammenspiel zwischen Arbeitsgedächtnis und Langzeitgedächtnis. Das Arbeitsgedächtnis enthält nach Cowan Informationen, die sich in einem aktivierten Zustand befinden und so für die Bearbeitung einer Aufgabe abrufbar sind. Diese Informationen resultieren entweder aus der Wahrnehmung, aus einer Aktivierung im Langzeitgedächtnis oder aus einem Verarbeitungsprozess. Teile dieser Informationen gelangen in einen kapazitätsbeschränkten Fokus der Aufmerksamkeit, wo sie 7.2 Kognitive Architektur: Gedächtnispsychologische Grundlagen 173 © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:37 ausgewählt, aktualisiert, verändert oder entfernt werden können. Bedeutung der Gedächtniskomponenten Von den verschiedenen Gedächtniskomponenten steht in der Pädagogischen Psychologie das Arbeitsgedächtnis besonders im Fokus. Dies liegt zum einen an der besonderen Herausforderung gerade für die pädagogische Praxis, die sich aus der begrenzten Kapazität ergibt. Zum anderen wird angenommen, dass die im Arbeitsgedächtnis ablaufenden Prozesse prinzipiell bewusst sind, wodurch sie sowohl für instruktionale Maßnahmen als auch für Erfassungsmethoden besonders zugänglich sind. Das Langzeitgedächtnis wird hauptsächlich als Speicher betrachtet. Zentral ist dabei die Frage, welche Arten von Wissen unterschieden werden können, in welcher Form Wissen repräsentiert ist und wie Wissen aktiviert wird (s. Abschn. 7.4.1). Der Ultrakurzzeitspeicher spielt in der Pädagogischen Psychologie nahezu keine Rolle. Seine sehr wahrnehmungsnahen Prozesse sind hauptsächlich Gegenstand der Allgemeinen Psychologie. 7 7.2.2 Konsequenzen für das Lernen Welche Schlussfolgerungen ergeben sich aus den Gedächtnismodellen für die Erklärung und Steuerung von Lernprozessen? Zwei Aspekte sind besonders relevant: die begrenzte Kapazität des Arbeitsgedächtnisses und die an der Informationsverarbeitung beteiligten Prozesse. Kapazitätsbedingte Konsequenzen Konkurrenz um Ressourcen. In der Pädagogischen Psychologie werden mögliche Konsequenzen hauptsächlich bezüglich des Arbeitsgedächtnisses sowie des Zusammenspiels von Arbeitsgedächtnis und Langzeitgedächtnis untersucht. Das Arbeitsgedächtnis steht dabei besonders im Fokus, weil es das einzige Gedächtnis mit einer stark begrenzten Kapazität ist und damit besondere Herausforderungen für die Optimierung des Lernens stellt. Dieser Sachverhalt wird im Rahmen der Cognitive Load Theory (Sweller, 1994) sowie der kognitiven Theorie des Lernens mit Multimedia (Mayer, 1997) (vgl. Abschn. 12.3) näher betrachtet. Das grundlegende Problem ist, dass gerade bei etwas komplexeren Lernaufgaben mehr Informationen gleichzeitig »im Kopf behalten« und verarbeitet werden müssen, als das Arbeitsgedächtnis fassen kann. Dadurch kann es zu einem Informationsverlust und damit zu einer Beein- 174 7 Kognition und Metakognition trächtigung des Lernens kommen. Ursächlich dafür ist die Tatsache, dass – modalitätsspezifisch – neu eintreffende Informationen bislang im Arbeitsgedächtnis verfügbar gehaltene Informationen verdrängen können. Die Konkurrenz um verfügbare Ressourcen betrifft nicht nur die Speicherfunktion des Arbeitsgedächtnisses, sondern auch seine Verarbeitungsfunktion. Auch die zentrale Exekutive verfügt nur über eine begrenzte Kapazität, die sie entweder für die kognitive Verarbeitung von Informationen oder für die Aufrechterhaltung von Informationen in den Speicherkomponenten verwenden kann. Wird die zentrale Exekutive durch anspruchsvolle kognitive Operationen sehr stark gefordert, muss sie darauf einen Großteil ihrer »Aufmerksamkeit« lenken und kann sich nur noch begrenzt um die Aufrechterhaltung der in den Speicherkomponenten verfügbar gehaltenen Informationen kümmern, weshalb diese mit höherer Wahrscheinlichkeit zerfallen. Umgekehrt gilt das Gleiche: Je mehr Informationen verfügbar gehalten werden müssen, desto weniger Ressourcen bleiben der zentralen Exekutive für die kognitive Verarbeitung der Informationen. Korrelationen mit Lernleistungen und -störungen. Die Speicher- und die Verarbeitungskapazität des Arbeitsgedächtnisses sind für komplexere Lern- und Denkprozesse unterschiedlich bedeutsam (Danemann & Carpenter, 1980). Erstaunlicherweise scheint die Speicherfunktion (Kurzzeitspeicherkapazität) in keinem systematischen Zusammenhang mit komplexen kognitiven Leistungen zu stehen. Allerdings konnte Schuchardt (2008) aufschlussreiche Beziehungen zwischen Arbeitsgedächtnisfunktionen und verschiedenen Lernstörungen feststellen. Kinder mit einer ausgeprägten Lese-Rechtschreib-Störung wiesen z. B. deutliche Defizite ausschließlich in der phonologischen Schleife und Kinder mit einer ausgeprägten Rechenstörung ein spezifisches Defizitmuster des visuell-räumlichen Notizblocks auf. Während für die Bedeutung der Speicherfunktion für komplexere kognitive Leistungen z. T. heterogene Befunde vorliegen, findet man stabile Relationen zwischen der Verarbeitungsfunktion (Arbeitsgedächtniskapazität) und einer Vielzahl kognitiver Fähigkeiten wie Lese- und Sprachverständnis, mathematische Fähigkeiten oder räumliches Vorstellungsvermögen. Es bestehen auch hohe Korrelationen mit Leistungen bei Intelligenztestskalen, die schlussfolgerndes Denken testen (s. Abschn. 7.3). © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:37 Prozessbedingte Konsequenzen Informationstransfer ins Langzeitgedächtnis. Die in den Gedächtnismodellen postulierten Voraussetzungen für den Transfer (neuer) Informationen in das Langzeitgedächtnis liefern ebenfalls Anhaltspunkte für die Gestaltung von Lernprozessen. Laut Atkinson und Shiffrin (1968) hat die Verweildauer der Informationen im Arbeitsgedächtnis einen wesentlichen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit, mit der die Informationen in das Langzeitgedächtnis aufgenommen werden. Nach Baddeley und Hitch (1974) werden Informationen insbesondere durch wiederholte Aufmerksamkeitszuweisung im Arbeitsgedächtnis verfügbar gehalten, sofern sie nicht durch andere Verarbeitungsprozesse aktiv gehalten werden. Wenn Informationen einfach nur behalten werden sollen, ohne dass sie inhaltlich weiterverarbeitet werden müssen (wenn also ausschließlich die Speicherfunktion des Gedächtnisses bemüht werden soll), dann ist das ständige Wiederholen der Schlüssel zum Erfolg. Dies korrespondiert mit der alten Weisheit »repetitio est mater studiorum« (»Wiederholung ist die Mutter des Lernens«). Bedeutungshaltige Informationsverarbeitung und Verfügbarkeit von Informationen. Anders verhält es sich jedoch, wenn neben der Speicherfunktion auch die Verarbeitungsfunktion des Gedächtnisses optimiert werden soll. Hier kommen die durch Craik und Lockhart (1972) angeregten Befunde zum Tragen, dass eine bedeutungshaltige Informationsverarbeitung die Dauer der Verfügbarkeit von Informationen erhöht. Die bedeutungshaltige Verarbeitung erfordert zum einen das Zusammenspiel von Arbeits- und Langzeitgedächtnis. Neue Informationen werden mit Inhalten des Langzeitgedächtnisses (Vorwissen) in Verbindung gebracht und dabei inhaltlich interpretiert und in das bestehende »Wissensnetz« integriert. So ist beispielsweise das Interpretieren und Verstehen dieses Textes (neue Information) nur möglich unter Rückgriff auf im Langzeitgedächtnis abgelegte Informationen (Vorwissen) über die deutsche Sprache oder über die verwendeten Schriftzeichen. Zum anderen können bei der bedeutungshaltigen Verarbeitung verschiedene Arten kognitiver Prozesse beteiligt sein, vom Bewerten der Relevanz von Informationen über das Bilden von Kategorien auf der Basis von Generalisierungen sowie das Verknüpfen und Umstrukturieren von Informationen bis hin zum Ziehen von Schlussfolgerungen nach einer längeren Phase der ab- wägenden Informationsverarbeitung. Alle diese Prozesse stehen in engem Zusammenhang mit der Intelligenz (s. Abschn. 7.3). 7.2.3 Veränderbarkeit von Gedächtniskomponenten Kommen wir auf Leons Frage aus dem Eingangsbeispiel dieses Kapitels zurück. Seine grundlegende Frage war ja, ob sein eigener »Lernapparat« so trainierbar und optimierbar ist, dass er ähnliche Leistungen wie der Wettkandidat im Fernsehen erbringen könnte. Nach den bisherigen Überlegungen käme dafür prinzipiell eine Optimierung der Speicher- oder der Verarbeitungsfunktion infrage. Empirische Befunde belegen, dass beide Funktionen veränderbar sind. Möglichkeiten des Trainings der Speicherfunktion Beim Trainieren der Speicherfunktion steht das Arbeitsgedächtnis mit seiner begrenzten Speicherkapazität im Fokus. Dabei zielen entsprechende Trainings weniger darauf ab, die Speicherkapazität selbst zu erhöhen, sondern vielmehr mit der begrenzten Speicherkapazität des Arbeitsgedächtnisses möglich effizient umzugehen. Eine Möglichkeit besteht darin, mehrere Einzelinformationen zu einem sog. Chunk (Klumpen) zusammenzufassen. Beispielsweise lässt sich die Zahlenfolge 0-6-1-2-1-9-7-8 durch subvokales Wiederholen lange in der phonologischen Schleife halten. Für mehr Information wird dann jedoch kaum noch Kapazität übrig bleiben. Wenn man sich aber dieselbe Zahlenkombination als Nikolaustag des Jahres 1978 merkt, werden die ursprünglich acht Informationen zu einer Informationseinheit zusammengefasst, wodurch Kapazität für weitere Information(seinheiten) frei wird. Die Möglichkeit zur Chunkbildung ist stark vorwissensabhängig (s. Abschn. 7.4.4). Eine weitere Möglichkeit, die begrenzten Speicherressourcen des Arbeitsgedächtnisses optimal zu nutzen, besteht darin, beide Speicherkomponenten, die phonologische Schleife und den visuell-räumlichen Notizblock, gleichermaßen zu nutzen. So zielen Gedächtnisstrategien wie die sog. Methode der Orte (s. Kasten) oder andere Visualisierungsstrategien beispielsweise darauf ab, auch den visuell-räumlichen Notizblock für das Speichern und Verarbeiten verbaler Informationen zu nutzen (vgl. Abschn. 7.4.1). 7.2 Kognitive Architektur: Gedächtnispsychologische Grundlagen 175 © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:37 Beispiel Methode der Orte (Loci-Methode) Bei dieser Visualisierungsstrategie stellt man sich einen Raum vor, der viele gut unterscheidbare Orte enthält, die man im Gedächtnis jederzeit leicht abrufen kann. Soll eine Liste von Wörtern gelernt werden, stellt man sich für jedes Wort eine bildliche Repräsentation vor (z. B. für das Wort »Liebe« ein Lebkuchenherz). Diese Repräsentationen werden dann gedanklich an den verschiedenen Orten abgelegt. Will man sich an die Wörter erinnern, muss man in Gedanken nur an diesen Orten vorbeilaufen und die entsprechenden Repräsentationen »ansehen« und kann auch einzelne Wörter wieder finden. 7 Möglichkeiten des Trainings der Verarbeitungsfunktion Die Verarbeitungsfunktion des Gedächtnisses kann durch den Einsatz von Lernstrategien verbessert werden (s. Abschn. 7.4.3). Gerade beim Verwenden neu erlernter Strategien geht dies jedoch mit einer zusätzlichen Belastung für die zentrale Exekutive einher, was in dieser Situation u. U. sogar zu geringerer Lernleistung führt. Damit Lernstrategien die Verarbeitungsfunktion des Gedächtnisses tatsächlich verbessern, muss ihr Einsatz zunächst sorgfältig eingeübt werden, sodass eine zunehmende Prozeduralisierung und Automatisierung dieses lernstrategischen Wissens erfolgen kann (Anderson, 1983). Die Automatisierung führt zu einer immer weniger bewusst zu überwachenden und zu regulierenden Nutzung der Strategie. Insofern belasten hoch automatisierte Strategien die zentrale Exekutive und das gesamte Arbeitsgedächtnis nur minimal, wodurch Ressourcen für andere ressourcenbindende Gedächtnisfunktionen frei bleiben (vgl. Abschn. 7.4.1). Trainings der Arbeitsgedächtniskapazität Diese Ansätze zeichnen sich nach Klingberg (2010) durch drei Merkmale aus: Erstens vermeiden sie es, explizite Strategien zu trainieren, da diese meist kontextabhängig sind. Zweitens werden ausschließlich Arbeitsgedächtnisaufgaben verwendet (z. B. einfache und komplexe Spannenmaßaufgaben, s. Kasten »Messverfahren für die Arbeitsgedächtniskapazität« in Abschn. 7.2.1) und andere mögliche Aufgaben zur Förderung verwandter kognitiver 176 7 Kognition und Metakognition Fähigkeiten vermieden. Drittens dauern die Trainings recht lange, meist mehrere Wochen mit einer Trainingsdauer von bis zu 60 Minuten pro Tag. Damit die trainierten Personen dabei durchgehend hoch engagiert bei der Bearbeitung der Trainingsaufgaben bleiben, wird die Schwierigkeit der Aufgaben meist computerbasiert kontinuierlich an die individuellen Trainingsleistungen angepasst. Der Trainingseffekt wird durch Maße der Kurzzeitgedächtnis- und Arbeitsgedächtnisspanne erfasst, deren Aufgaben nicht Teil des Trainings waren. Die Effekte sind durchaus substanziell: Beide Indikatoren des Arbeitsgedächtnisses konnten in entsprechenden Studien verbessert werden (Klingberg, 2010). Welche Implikationen hat dies ggf. für andere kognitive Anforderungen und akademische Leistungen? Kann man aus den oben genannten Befunden, dass Unterschiede in der Arbeitsgedächtniskapazität hoch mit anderen kognitiven Leistungsindikatoren korrelieren, schlussfolgern, dass diese durch ein Training der Arbeitsgedächtniskapazität automatisch mit gefördert werden? Dies scheint ein Trugschluss zu sein. Zumindest konnte bislang nicht nachgewiesen werden, dass durch ein solches Training auch das Leistungspotenzial bei anderen kognitiven Anforderungen gesteigert wird. In Bezug auf die Relevanz, die Effekte und die Nachhaltigkeit von Trainings zur Verbesserung der Arbeitsgedächtniskapazität besteht allerdings noch deutlicher Forschungsbedarf. Welche Antworten ergeben sich aus dem bisher Gesagten auf die im Eingangsbeispiel gestellten Fragen? Es ist nun klar, dass das Gedächtnis aus mehreren Komponenten besteht, die verschiedene Funktionen haben. Für einen langfristigen Lernerfolg müssen neue Informationen in das Langzeitgedächtnis gelangen. Dafür müssen sie allerdings durch den Flaschenhals des Arbeitsgedächtnisses. Das Arbeitsgedächtnis hat eine sehr begrenzte Kapazität. Um solche Lernleistungen wie der Wettkandidat im Fernsehen vollbringen zu können, benötigt man Strategien, mit denen die Kapazitäten des Arbeitsgedächtnisses optimal ausgenutzt werden. Diese Strategien müssen jedoch sorgsam eingeübt sein, damit sie hoch automatisiert angewandt werden können und dadurch selbst möglichst wenig Arbeitsgedächtniskapazität benötigen. Aber ist das schon alles? Sind hoch automatisierte Gedächtnisstrategien bereits der Schlüssel zum (Lern-)Erfolg? Wie wichtig ist dafür die Intelligenz? Und was ist überhaupt Intelligenz? © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:37 7.3 Intelligenz 7.3.1 Intelligenzmodelle Wissenschaftler und Philosophen beschäftigen sich schon sehr lange mit der Frage danach, was Intelligenz ist. So finden sich bereits bei dem griechischen Philosophen Aristoteles (384–322 v. Chr.) Ausführungen über die Vernunft als einer charakteristischen Eigenschaft des Menschen. Schon Aristoteles unterschied dabei zwischen einem angelegten Vermögen und einem noch zu erwerbenden Wissen (vgl. Ackrill, 1985) – eine Unterscheidung, die auch in modernen Zwei-Komponentenbzw. -Faktoren-Theorien der Intelligenz (z. B. Cattell, 1963; Horn & Noll, 1997) wiederzufinden ist: Während mit fluider Intelligenz primär die Intelligenzanteile gemeint sind, die sich auf abstrakte Informationsverarbeitung und die Effizienz dieser Prozesse beziehen (Geschwindigkeit, Genauigkeit und Koordination kognitiver Prozesse, schlussfolgerndes Denken), werden die primär auf Lernerfahrungen beruhenden Facetten von Intelligenz (erworbenes Wissen) oft als kristalline oder kristallisierte Intelligenz bezeichnet. Wenngleich ein Zwei-Faktoren-Ansatz der Intelligenz durch Forschungsbefunde unterstützt wird und für die (Pädagogische) Psychologie sehr einschlägig ist, gibt es durchaus auch andere Modelle, Perspektiven bzw. Traditionen der Intelligenzforschung. Perspektiven der Intelligenzforschung. Die Forschung zur Intelligenz steht überwiegend in der Tradition der Differenziellen Psychologie und psychologischen Testdiagnostik. Das zentrale Anliegen dieser Forschungsansätze besteht darin, Unterschiede in der Intelligenzstruktur und im Intelligenzniveau zwischen Menschen zu beschreiben und zu erklären. Hierzu wurden verschiedene theoretische Modelle zur Intelligenz und ihren Facetten bzw. Komponenten konzipiert und Testverfahren entwickelt, die Intelligenz bzw. unterschiedliche Facetten von Intelligenz relativ differenziert und unter Berücksichtigung psychometrischer Gütekriterien auf hohem methodischem Qualitätsniveau messen. Die der Differenziellen Psychologie bzw. der Psychometrie verpflichtete Forschungstradition der Intelligenzforschung nimmt dabei eine andere Perspektive auf kognitive Phänomene ein, als dies in der Gedächtnisforschung und der Wissenspsychologie der Fall ist, die eher in der Tradition der Allgemeinen Psychologie zu sehen sind. In letzter Zeit wird dabei zunehmend gefordert, dass in Theorien und diagnostischen Modellen der Intelligenzforschung verstärkt auch grundlagenwissenschaftliche kognitionspsychologische Erkenntnisse integriert werden sollten (Wilhelm & Engle, 2005). Umgekehrt muss allerdings auch konstatiert werden, dass der Begriff der Intelligenz in Modellen der Informationsverarbeitung (vgl. Abschn. 7.2) und der Wissenspsychologie (vgl. Abschn. 7.4) nicht oder kaum vorkommt bzw. dort z. T. mit anderen Begriffen beschrieben und erklärt wird. Anwendungsbereiche von Intelligenztests. Psychometrische Intelligenztests finden in vielen Praxisbereichen der Pädagogischen Psychologie ihre Anwendung. Im Kontext der Schuleingangsdiagnostik und späteren Schullaufbahnempfehlung (insbesondere Entscheidung bezüglich der Zuweisung zu Schulen für Schüler mit besonderem Förderbedarf) sind Intelligenztests regelmäßig im Einsatz. Darüber hinaus spielen Intelligenztests auch bei der Diagnose von (Teil-)Leistungsstörungen und anderen Problemstellungen der pädagogischpsychologischen Beratung (vgl. Abschn. 20.1) eine wichtige Rolle, da z. B. Aussagen darüber gemacht werden können, ob und in welchem Maße Schulversagen, Lernstörungen oder Teilleistungsstörungen auf Defizite im Bereich der Intelligenz zurückgeführt werden können oder aber andere Erklärungen (z. B. Aufmerksamkeitsstörungen, Sprachstörungen, Schulangst) wahrscheinlicher sind. Ein typisches Anwendungsgebiet ist die Diagnose einer Lese-Rechtschreib-Schwäche (vgl. das Fallbeispiel »Karl« in Abschn. 19.1). Auch bei Hochbegabung bzw. besonderen Begabungen werden Intelligenztests (z. T. auch als Kriterium) eingesetzt. Der häufige Einsatz von Intelligenztests in der pädagogischpsychologischen Forschung und Praxis ist u. a. darauf zurückzuführen, dass es sich bei der Intelligenz um eine sehr zentrale kognitive Variable im Lernprozess handelt, die als wichtige Voraussetzung, aber insbesondere im Hinblick auf die kristalline Intelligenz auch als Resultat gelingender Lernprozesse zu sehen ist. Definition der Intelligenz. In der Psychologie findet man unterschiedliche Modelle und Definitionen von Intelligenz. Über die verschiedenen Konzeptionen hinweg gibt es jedoch auch Einigkeit über zentrale Komponenten einer Definition von Intelligenz. Eine Gruppe von über 50 namhaften internationalen Experten hat sich zuletzt 1997 mit der Frage der grundlegenden Komponenten und Kernelemente der Definitionen von Intelligenz befasst und dabei folgenden Vorschlag erarbeitet: 7.3 Intelligenz 177 © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:37 »Intelligence is a very general mental capability that, among other things, involves the ability to reason, plan, solve problems, think abstractly, comprehend complex ideas, learn quickly and learn from experience.« (Gottfredson, 1997, S. 13) Gibt es eine oder mehrere Intelligenzen? Hat man nicht die Gemeinsamkeiten, sondern die Unterschiede der Intelligenzmodelle im Blick, dann bestehen diese besonders in der Antwort auf die Frage, ob – und wenn ja, wie viele – voneinander unabhängige Faktoren der Intelligenz angenommen werden müssen. Zu den »Klassikern« unter den Intelligenzmodellen kann man die Intelligenztheorien von Spearman (1904) und Thurstone (1938) zählen, die allerdings unterschiedliche Auffassungen vom Wesen der Intelligenz vertreten. Während Spearman in seiner »Zwei-Faktoren-Theorie« der Intelligenz postuliert, dass unterschiedliche Intelligenzmessverfahren immer zwei Faktoren, einen gemeinsamen (den g-Faktor) und einen spezifischen (den s-Faktor), repräsentieren, geht Thurstone in seiner »Theorie primärer mentaler Faktoren« davon aus, dass g eine Folge, aber keine Ursache verschiedener primärer mentaler Fähigkeiten sei. 7 Beispiel Intelligenzfaktoren nach Thurstone Nach Thurstone (1938) lassen sich sieben primäre Faktoren der Intelligenz unterscheiden: (1) verbales Verständnis, Erfassen von Wortbedeutung (2) Wortflüssigkeit, Leichtigkeit der Wortfindung (3) schlussfolgerndes Denken und die Fähigkeit, Regeln aufzufinden (4) räumliches Vorstellungsvermögen (5) Merkfähigkeit, Kurzzeitgedächtnis (6) Rechenfähigkeit (7) Wahrnehmungs- und Auffassungsgeschwindigkeit Zwei-Faktoren-Theorie der Intelligenz nach Cattell Die Frage, ob der faktorenanalytisch ermittelte gemeinsame Anteil von unterschiedlichen Intelligenzleistungen als ein eigenständiges Konstrukt im Sinne einer allgemeinen Intelligenz aufgefasst werden kann oder aber als ein 178 7 Kognition und Metakognition Epiphänomen verschiedener intellektueller Fähigkeiten zu sehen ist, zieht sich durch die Diskussion zu Intelligenztheorien bis heute. Ein wichtiger Beitrag stammt von Cattell (1963), der für die Klärung dieser Frage faktorenanalytische Methoden (vgl. Abschn. 4.5.1) eingesetzt hat, mit denen Faktoren höherer Ordnung empirisch ermittelt werden können. Als Schüler Spearmans orientiert er sich ebenfalls am Konzept der Zwei-Faktoren-Theorie, die er jedoch in entscheidender Weise modifiziert. Cattell geht von Faktoren zweiter Ordnung aus, die er als fluide und kristallisierte Intelligenz bezeichnet. Da diese Unterscheidung für die Pädagogische Psychologie sehr grundlegend ist, wird sie nachfolgend genauer dargestellt. Fluide Intelligenz. Bei der fluiden Intelligenz (gf) handelt es sich nach Cattell um eine zu einem großen Teil biologisch bzw. genetisch bedingte Komponente der Intelligenz. Personen, die über ein hohes Ausmaß an fluider Intelligenz verfügen, sind dazu in der Lage, abstrakte unbekannte Probleme durch schlussfolgerndes Denken zu lösen. Fluide Intelligenzleistungen sind theoretisch und praktisch dadurch gekennzeichnet, dass sie keine besonderen inhaltlichen Vorkenntnisse voraussetzen. Um dies zu gewährleisten, wird fluide Intelligenz sprachfrei, d. h. mit abstraktem, z. B. räumlich angeordnetem Aufgabenmaterial gemessen (s. Abschn. 7.3.2). Fluide Intelligenz entspricht in etwa dem von Spearman als g-Faktor bezeichneten Fähigkeitsbereich. Dies zeigt sich u. a. daran, dass sich der Vorteil einer hohen fluiden Intelligenz nicht nur bei den genannten abstrakt-logischen Problemen äußert, sondern auch bei vielen anderen kognitiven Leistungsanforderungen, wie z. B. schulischen Leistungen in unterschiedlichen Fächern. Kristalline Intelligenz. Denjenigen »Teil« von Intelligenz, der eher auf Lernerfahrung und auf die Ansammlung von Wissen und Kenntnissen zurückgeht, wenngleich er nicht unabhängig von der fluiden Intelligenz gesehen werden kann, bezeichnet Cattell hingegen als kristallisierte (»cristallized«) Intelligenz (gc), heute meist kristalline Intelligenz genannt. Sie äußert sich z. B. in einem umfangreichen Allgemeinwissen oder besonders hohen mathematischen Leistungen. Wie der Begriff bereits andeutet, wird bei der kristallinen Intelligenz angenommen, dass es sich um verfestigte (kristallisierte) kognitive Fähigkeiten handelt, die stark vom jeweiligen kulturellen Kontext und den Lerngelegenheiten geprägt sind. Die kristalline Intelligenz ist gewissermaßen als das Endprodukt dessen zu verstehen, was fluide Intelligenz, Bildung und Kultur gemeinsam hervorgebracht haben. © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:37 Legt man die Unterscheidung zwischen fluider und kristalliner Intelligenz zugrunde, zielt die zu Beginn dieses Abschnitts angeführte Definition der Intelligenz primär auf den fluiden Aspekt der Intelligenz ab. Intelligenz wird dabei vorrangig als generelle, domänenübergreifende und relativ bildungsunabhängige kognitive Leistungsdisposition gesehen, die zu einem großen Anteil durch Erbfaktoren bestimmt wird. Die Annahme der Existenz grundlegender Intelligenzfaktoren lässt sich auch empirisch begründen. So bringen faktorenanalytische Auswertungen von Daten zu Testleistungen in heterogenen (d. h. unterschiedliche kognitive Leistungen abbildenden) Tests neben spezifischen Faktoren immer auch einen generellen Faktor zutage (vgl. Lubinski, 2004). Ist Intelligenz angeboren oder erworben? In welchem Ausmaß Intelligenz angeboren oder erworben ist, ist Gegenstand langer wissenschaftlicher Kontroversen und z. T. hitziger Debatten. Ende der 1960erJahre behauptete Jensen (1969), dass die Intelligenz schwarzer US-Bürger genetisch bedingt niedriger sei als die Intelligenz von Weißen. Herrnstein und Murray behaupteten dies 1994 erneut. Diese Publikationen lösten viel Kritik aus. Sowohl die Methodik der Erblichkeits- oder Heritabilitätsschätzungen als auch die aus den empirischen Befunden abgeleiteten Schlussfolgerungen sind auch in der wissenschaftlichen Diskussion sehr umstritten (vgl. die sehr ausführliche Darstellung der Anlage-Umwelt-Kontroverse in Abschn. 5.2). 7.3.2 Messung von Intelligenz Der Frage, wie sich Intelligenz messen lässt, wurde seit den Anfängen der Intelligenzforschung viel Aufmerksamkeit geschenkt. Die konkrete Art der Messung hängt dabei von berücksichtigten Fähigkeitsbereichen und Konzeptionen ab. Einige Tests erfordern spezifisches kulturelles Wissen (z. B. Wortschatz, allgemeines Hintergrundwissen), andere verwenden lediglich abstrakte Materialien (z. B. Schemata und Abbildungen), die nur ein sehr basales Vorwissen im Sinne universeller Konzepte (z. B. viel/wenig, oben/unten) erfordern. Die meisten Intelligenztests sind im Prinzip kleine Testbatterien. Sie bestehen aus einer Kombination unterschiedlicher Subtests, die jeweils eine Dimension oder einen Faktor der postulierten Facetten der Intelligenzstruktur messen. Einige Verfahren, die auf einem breiten Verständnis von Intelligenz beruhen, bilden auch Aspekte ab, die üblicherweise nicht zum Kernbereich der Intelligenz zählen, wie Kreativität oder soziale Kompetenz. Beispiel Messung fluider Intelligenz Aufgaben zur Messung fluider Intelligenz zeichnen den. Hierbei müssen Regeln erkannt (induktives Densich dadurch aus, dass sie tendenziell bildungsunab- ken) bzw. neue Schlussfolgerungen abgeleitet werden hängig und domänenunspezifisch sind. In der Regel (deduktives Denken). werden sprachfreie oder mit wenig sprachlichen Anforderungen auskommende Items verwendet. In Abbildung 7.4 ist eine typische Beispielaufgabe zur a b d e c Messung fluider Intelligenz im Bereich des schlussfolgernden Denkens dargestellt. Für eine erfolgreiche Bearbeitung von Aufgaben dieser Art müssen relevante Informationseinheiten aus einem Abbildung 7.4 Beispielaufgabe zur Messung fluider Intelligenz. Die Aufkomplexen Informationspool entnomgabe besteht darin, den Buchstaben anzukreuzen, der die Figur bezeichnet, men werden, mental repräsentiert und mit der die Lücke in der linken Anordnung von acht unterschiedlichen Figuren sinnvoll gefüllt werden kann zueinander in Beziehung gesetzt wer- 7.3 Intelligenz 179 © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:37 Über fast alle gegenwärtig verwendeten Intelligenztests hinweg besteht hohe Übereinstimmung in den verwendeten Aufgabentypen, der Vorgehensweise bei 68,2 % der Messung, der Kodierung und der Berechnung eines allgemeinen Kennwertes der Intelligenz. Die Tests orientieren sich an den zentralen Postulaten und Konstruktionsprinzipien moderner psycho55 70 85 100 115 130 145 logischer Mess- und Testverfahren (vgl. IQ-Werte Kap. 4). Zur Berechnung eines zusammenfassenden Intelligenzmesswertes wer0,1 2,3 15,9 50 84,1 97,7 99,9 den üblicherweise die aus der Zahl der Prozentränge richtigen Antworten ermittelten »Rohwerte« der Tests in Standardnormwerte Abbildung 7.5 Normalverteilung der Intelligenz umgerechnet (vgl. dazu Abb. 7.5 und Abschn. 19.1.2). Der auf dieser Basis ermittelte Intelli- dikator für den Leistungsrangplatz eines Individuums genzquotient (IQ) ist kein absoluter Messwert der Intel- innerhalb einer bestimmten Referenzpopulation (s. folligenz, sondern lediglich ein statistisch ermittelter In- genden Kasten). 7 Unter der Lupe Der Intelligenzquotient (IQ) Das Konzept des Intelligenzquotienten wurde von William Stern auf Basis der Arbeiten zum ersten Intelligenztest von Binet und Simon (1905) entwickelt. Dieser Test, der der frühen Identifikation geistiger Behinderung dienen sollte, bestand aus Aufgaben, die nach Schwierigkeit geordnet waren und die möglichst gut zwischen den Altersstufen differenzieren sollten. Binet verwendete zur Charakterisierung des Intelligenzniveaus eines Kindes das Konzept des Intelligenzalters: Schafft ein Kind nicht alle Aufgaben seiner Altersstufe, hat es ein niedrigeres »Intelligenzalter«, schafft es auch Aufgaben der höheren Altersgruppe, hat es ein höheres »Intelligenzalter«. Stern erweiterte dieses Konzept dadurch, dass er das Intelligenzalter ins Verhältnis zum realen Alter setzte und diesen Quotienten mit 100 multiplizierte. Diese Formel für den sog. Alters-IQ (IQ = Intelligenzalter / Lebensalter × 100) konnte dadurch begründet werden, dass – wie Stern beobachtet hatte – das Intelligenzalter proportional zum realen Alter variiert und die Division von Intelligenzalter und Lebensalter einen – für das jeweilige Kind, aber auch über verschiedene Kinder hinweg betrachtet – relativ konstanten Wert ergibt. 180 7 Kognition und Metakognition Die Überlegungen von Stern für die Begründung des Alters-IQ haben für Kinder durchaus Gültigkeit, doch mit zunehmendem Alter verändert sich das Verhältnis von Intelligenz- und Lebensalter: Es gilt nicht mehr, dass ältere Personen per se intelligenter sind. So wäre es völlig abwegig, einer 40-jährigen Person im Vergleich zu einer 20-jährigen Person, die beide in einem IQTest gleich viele Aufgaben gelöst haben, zu unterstellen, dass sie nur halb so intelligent sei wie die jüngere Person. Insofern bedarf es im höheren Altersbereich einer anderen Konzeption des Intelligenzquotienten. Heute verwendet man in modernen Intelligenztests zur Bestimmung des IQ einen spezifischen Abweichungsnormwert, bei dem nicht mehr das Lebensalter als Referenz dient, sondern der Mittelwert und die Standardabweichung in der Fähigkeitsverteilung der jeweiligen Referenzgruppe. IQ = erzielter Testwert × 100 erwarteter Testwert Als Referenzgruppe dienen Personen aus der repräsentativen Stichprobe, die in der Regel nach Alter, Geschlecht, Sozialschicht und ggf. sprachlichem Hintergrund vergleichbar sind. © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:37 Der IQ gibt also lediglich Auskunft darüber, wie weit ein individueller Messwert vom Mittelwert einer Referenzgruppe abweicht, und zeigt damit, wie hoch oder niedrig die damit assoziierte Intelligenz der jeweiligen Person im Vergleich zum Durchschnitt aller in der Referenzgruppe untersuchten Personen ist. Die mittlere Intelligenzleistung entspricht per Definition (Konvention) einem IQ von 100 Punkten, und die Standardabweichung ist auf 15 Punkte festgelegt. Da die Verteilung der Intelligenzwerte in der Bevölkerung einer Glockenkurve (Normalverteilung) entspricht, lassen sich Intelligenzwerte auch in Prozentrangwerte überführen (vgl. Abb. 7.5). So entspricht etwa ein IQ von 85 dem Prozentrang 15,9 und ein IQ von 115 dem Prozentrang 84,1, was bedeutet, dass knapp 16 % der Referenzpopulation einen niedrigeren IQ als 85 und rund 84 % einen IQ unter 115 aufweisen. 7.3.3 Bedeutung der Intelligenz für das Lernen und die schulische Leistung Intelligenz ist eine Schlüsseldeterminante für Schulleistungen bzw. den Erwerb von Wissen und Fähigkeiten. Mit keiner anderen Persönlichkeitsvariablen können bildungs- und berufsbezogene Erfolge so gut vorhergesagt werden wie mit der Intelligenz. In vielen empirischen Untersuchungen wurde z. B. der Frage nachgegangen, wie gut künftige Leistungen von Lernern mithilfe ihres IQ vorhergesagt werden können. Die Palette der hierbei herangezogenen Indikatoren ist breit. Sie reicht von in der Schule und/oder der Universität erzielten Noten über die Leistungen der Lernenden bei standardisierten Tests bis hin zu Beurteilungen von Vorgesetzten zum beruflichen Erfolg (Schmidt & Hunter, 2004). Über die Studien hinweg betrachtet fallen die Korrelationen zwischen Intelligenztests und Indikatoren des schulischen Erfolgs meist recht hoch aus: In der Regel werden Zusammenhänge von r = 0,50 berichtet (Maltby, Day & Macaskill, 2011). Auch Studienerfolge korrelieren hoch mit der Intelligenz – deshalb empfehlen Formazin, Schroeder, Köller, Wilhelm und Westmeyer (2011) für Studiengänge mit hohem Bewerberandrang (wie etwa dem Studienfach Psychologie), neben den Abiturnoten auch Leistungstests als Grundlage für die Auswahl einzusetzen, die neben Indikatoren des studiengangspezifischen Vorwissens Aufgaben zum schlussfolgernden Denken (als Markiervariable fluider Intelligenz) enthalten. Praktische Relevanz. Bei der Bewertung der praktischen Relevanz der gefundenen Zusammenhänge zwischen Intelligenz im Sinne dekontextualisierter Denkleistungen und verschiedenen Indikatoren akademischer Erfolge ist allerdings zu beachten, dass es sich um Wahrscheinlichkeitsaussagen handelt, die keinen »Determinismus« implizieren. In individuellen Fällen können sich sehr unterschiedliche Muster zeigen. So ist auch ein hoher IQ kein Garant für eine erfolgreiche Bildungskarriere, genauso wie ein niedriger IQ nicht automatisch eine Misserfolgskarriere bedingt. Bei den oftmals folgenreichen und nicht immer leicht zu revidierenden Entscheidungen in Bezug auf die Zuweisung zu Programmen und Institutionen des Bildungswesens muss dies genauso beachtet werden wie die Tatsache, dass individuelle Lernerfolge in spezifischen Bereichen und Situationen deutlich besser durch andere Prädiktoren, wie insbesondere das individuelle Vorwissen, vorhergesagt werden können, worauf auch in Abschnitt 7.4 noch genauer eingegangen wird. Ein weiterer wichtiger Aspekt für die Bewertung der praktischen Relevanz von Intelligenzmesswerten ergibt sich aus der schon angedeuteten Möglichkeit, anhand von Intelligenztests spezifische (Differenzial-)Diagnosen bei Problemsituationen und Teilleistungsstörungen zu erstellen (vgl. Abschn. 19.1). Der Ausschluss bestimmter Defizite (z. B. in Bezug auf Teilbereiche der Intelligenz) ist für eine adäquate Therapie und ggf. Ermöglichung spezifischer Lernbedingungen von besonderer Bedeutung. Vorteile intelligenter Personen beim Lernen und Leisten. Eine hohe Intelligenz ist in vielen Bereichen des Lebens deshalb vorteilhaft, weil praktisch alle menschlichen Aktivitäten ein gewisses Maß an schlussfolgerndem Denken erfordern. Intelligenz ist auch für Wissenserwerbsprozesse von großer Bedeutung. Die Vorteile sind u. a. darin zu sehen, dass sich intelligente Schülerinnen und Schüler – teils als Folge bisher erfolgreich verlaufener Lernprozesse – schneller auf Aufgaben einstellen können, über effektivere Problemlösestrategien verfügen, leichter lösungsrelevante Regeln erkennen und über größere Verarbeitungskapazität und elaboriertere Lern- und Gedächtnisstrategien verfügen. Außerdem potenzieren sich die Effekte mit der Zeit. Dies ist darauf zurückzuführen, dass intelligente Personen schneller lernen als weniger intelligente Personen, was die Unterschiede im Ausmaß des Gelernten und damit des Bildungserfolgs kumulativ verstärkt. 7.3 Intelligenz 181 © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:37 Intelligenz als basale Lernvoraussetzung. Fast alle Anforderungen, denen Lernende in der Schule begegnen, erfordern ein gewisses Maß an Intelligenz. So ist bei Kindern/Jugendlichen mit niedrigen IQ-Werten mit erheblichen Beeinträchtigungen bei der Bewältigung schulischer Anforderungen zu rechnen. Diagnosen von Lernstörungen oder -behinderungen und in der Folge auch die Zuweisung zu Schulen für Kinder mit besonderem Förderbedarf werden daher in der Regel unter Berücksichtigung der Ergebnisse von Intelligenztests vorgenommen. Für viele schulische Anforderungen ist also ein Mindestmaß an Intelligenz erforderlich. Jedoch lassen sich die wenigsten Anforderungen allein mit Intelligenz (hier primär verstanden als fluide Intelligenz) bewältigen, sondern erfordern neben entsprechendem Vorwissen (s. Abschn. 7.4.4) weitere (nicht-kognitive) Lernvoraussetzungen wie Motivation oder Selbststeuerungsfähigkeiten (vgl. Abschn. 8.3.1). Höchstleistungen und die Ausbildung von Expertise sind nur dann zu erwarten, wenn Personen nicht nur über ein je nach Anforderung unterschiedliches Mindestausmaß an Intelligenz verfügen, sondern auch mit hohem Engagement und großer Beharrlichkeit die jeweiligen Ziele verfolgen und ihre Expertise erweitern. Oberhalb eines bestimmten Schwellenwertes spielt die Intelligenz daher bei vielen Anforderungen keine bzw. nur noch eine untergeordnete Rolle, vielmehr sind es primär Faktoren wie Motivation und Lern- bzw. Selbststeuerung (s. Abschn. 7.4.4), die hier zum Tragen kommen. Die Rolle der Intelligenz in Abhängigkeit vom Vorwissen. Der Effekt der Intelligenz auf die Leistung bzw. Lernprozesse ist nicht unabhängig von der Ausprägung anderer Variablen zu sehen. So hängt die Bedeutung der Intelligenz bei der Vorhersage von Lernerfolgen u. a. von der Komplexität des Gegenstandsbereichs und den individuellen Vorkenntnissen im jeweiligen Bereich ab. Insbesondere dann, wenn Lerner in einem bestimmten Themengebiet über ein ausgeprägtes Wissen verfügen, lassen sich zukünftige Leistungen stärker durch den aktuellen Stand des Wissens als durch allgemeine Intelligenz vorhersagen (s. Abschn. 7.4.4). Auf der anderen Seite steigt die Bedeutung der Intelligenz, wenn die Aufgaben schwer und unvertraut sind, d. h., wenn auf ein nur geringes Vorwissen zurückgegriffen werden kann. Hohe Prädiktionskraft kommt der Intelligenz also insbesondere bei der Einführung neuer Fächer zu, wenn die meisten Schüler nur über ein geringes fachbezogenes Vorwissen verfügen. 7 182 7 Kognition und Metakognition 7.3.4 Veränderbarkeit von Intelligenz Menschen werden nicht mit fixen, unveränderbaren Ausprägungen von Intelligenz geboren, vielmehr spielen bei der individuellen Entwicklung von Intelligenz sowohl Anlage- als auch Umweltfaktoren eine wichtige Rolle. So sind biologische Eltern nicht nur »Erbgutlieferanten«, sondern in der Regel auch die Gestalter der häuslichen Verhältnisse und Bedingungen. Ein intelligenzförderliches kognitiv herausforderndes Lernumfeld und Anregungsniveau geht daher oft mit einer biologischen Disposition zu ausgeprägter Intelligenz einher. Kinder aus solchen Familien haben dabei sowohl durch ihre genetische Disposition als auch durch intelligenzförderliche Bedingungen im familiären Kontext Vorteile (vgl. Abschn. 14.3). Teils hierdurch, teils auch durch die zunehmende Selbststeuerung und Gestaltung von individuellen Lebensumständen werden die Intelligenzwerte im Laufe der Entwicklung stabiler. Wie in Abschnitt 5.2 erläutert, wird die Wirkung von Umweltfaktoren und damit z. T. auch die Veränderbarkeit von Intelligenz im Hinblick auf die intraindividuelle Entwicklung oft unterschätzt. Dennoch lässt sich auch nachweisen, dass sich im Verlauf der Entwicklung schon relativ früh stabile interindividuelle Unterschiede des allgemeinen Intelligenzniveaus herausbilden, die sich im Erwachsenenalter in der Regel nur noch vergleichsweise wenig verändern (Asendorpf & Neyer, 2013). Gleichwohl sind – unabhängig vom Niveau – noch Veränderungen möglich. Entwicklung der Intelligenz Kognitive Entwicklung und soziokulturelle Bedingungen. Über die Art und Weise, wie sich Intelligenzleistungen im Laufe der individuellen Entwicklung äußern und herausbilden und welche spezifischen Stärken und Schwächen dabei in Abhängigkeit vom Alter und anderen Bedingungen zu beobachten sind, geben entwicklungspsychologische Theorien zur kognitiven Entwicklung bzw. zur Denkentwicklung Auskunft (vgl. Schneider & Lindenberger, 2012). So werden in den grundlegenden Arbeiten von Piaget verschiedene Stufen der kognitiven Entwicklung unterschieden und die jeweils dafür typischen (Fehl-)Leistungen primär in Bezug auf die Ausprägung der Fähigkeit zum logisch-abstrakten Denken beschrieben (vgl. Abschn. 6.3.3). Eine charakterisierende Metapher für die Arbeiten Piagets ist die des Kindes als Wissenschaftler, das – durch intrinsische Neugier und Entdeckungslust getrieben – aktiv die Welt erkundet. Diese aktive Auseinandersetzung des Kindes mit seiner © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:37 Umwelt (Konstruktion) steuert wiederum die kindliche Entwicklung. Heute weiß man, dass das stadientypische Denken weniger konsistent ist, als von Piaget angenommen, und dass der Einfluss soziokultureller Bedingungen auf die kognitive Entwicklung größer ist, als von ihm angenommen wurde. Mit den sozialen und kulturellen Bedingungen der kognitiven Entwicklung befassen sich insbesondere soziokulturelle Theorien (vgl. Siegler, De Loache & Eisenberg, 2005). Hierbei geht es neben den sozialen Einflüssen auf der Ebene zwischenmenschlicher Kontakte und Interaktionen auch um den kulturellen Einfluss, der beispielsweise über die Sprache und die kulturellen Werte und Traditionen einer Gesellschaft vermittelt wird (vgl. Abschn. 6.3 und 13.3.3). Effekte von Beschulung. Im Kontext des in diesem Kapitel zentralen Ansatzes der Informationsverarbeitung wird die kognitive Entwicklung primär als Entwicklung unterschiedlicher geistiger Teilprozesse bzw. Teilbereiche gesehen, die dem Denken zugrunde liegen. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung des Gedächtnisses und des Lernens, aber auch die Zunahme an Wissen sowie Lernund Gedächtnisstrategien. Auf dieser Analyseebene spezifizieren Theorien der kognitiven Entwicklung u. a. den Einfluss von Lerngelegenheiten, Anregungsbedingungen oder sozialer Unterstützung. Auch über die im Rahmen der Prüfung dieser Theorien durchgeführten Studien hinaus lassen sich Effekte von der sozialen Welt nachweisen, so etwa dass Beschulung bzw. Bildung auf die Intelligenzentwicklung wirkt (vgl. Ceci & Williams, 1997; Rost, 1993). Die förderliche Wirkung kann dabei sowohl direkt – etwa im Sinne der expliziten Förderung von Intelligenzleistungen – als auch indirekt sein. Ein indirekter Effekt besteht z. B. darin, dass der Erwerb spezieller Kenntnisse, Fertigkeiten und Problemlösestrategien auch auf den Erwerb allgemeinerer kognitiver Kompetenzen abfärbt, d. h. hierauf einen positiven Effekt hat. Ein solcher Transfer ist laut Weinert (2001a) besonders dann der Fall, wenn mit der Vermittlung inhaltsspezifischen Wissens auch metakognitive Kompetenzen aufgebaut werden. (s. Abschn. 7.4.1). Auch wenn davon ausgegangen werden kann, dass an der Entwicklung der Intelligenz Umweltfaktoren wesentlich beteiligt sind, bleibt die Frage, auf welche Weise bestimmte Aspekte der Intelligenz gezielt beeinflusst (trainiert) werden können. Von besonderem Interesse ist hier die Frage, ob und inwiefern fluide Intelligenz durch bestimmte Interventionsmaßnahmen oder Trainings gezielt verändert werden kann. Gezieltes Training von (fluider) Intelligenz Zur Frage der Trainierbarkeit der fluiden Intelligenz geben Studien Auskunft, die die Effekte spezieller Trainings untersuchen. Ansätze, die sich der direkten Förderung von Intelligenzleistungen widmen, sind beispielsweise Trainings zum induktiven Denken (z. B. Klauer & Phye, 2008), die auf der Vermittlung von Vergleichsstrategien (Suche nach Ähnlichkeiten und Unterschieden) beruhen und nachweislich Steigerungen bei Indikatoren fluider Intelligenz bewirken. Interessant ist auch die Tatsache, dass in der von Klauer und Phye durchgeführten Metaanalyse – im Mittel sogar größere – Effekte dieser Trainingsmaßnahmen auf schulische Lernerfolgsmaße als auf Leistungen in Intelligenztests beobachtet werden konnten. Das Ausmaß der Veränderbarkeit fluider Intelligenz durch spezifische Trainings ist jedoch insgesamt nicht sehr groß. Die idealisierte Vorstellung, dass sich Intelligenzunterschiede durch pädagogische Maßnahmen und die Veränderung von sozioökonomischen Bedingungen weitgehend beseitigen lassen, ist also nicht haltbar. Genauso wie die Annahme, dass mit speziellen Trainingsmaßnahmen zur Intelligenzsteigerung schulische Lernprozesse erheblich abgekürzt oder ersetzt werden können. 7.4 Wissen Das individuell verfügbare Wissen stellt nicht nur das Ergebnis erfolgreicher Lernprozesse dar, sondern ist auch eine zentrale Voraussetzung für den künftigen Lernerfolg in den jeweiligen Inhaltsbereichen. Im Folgenden befassen wir uns mit der Frage, welche Arten von Wissen bzw. Gedächtnisinhalten in der Forschung unterschieden werden, warum das Vorwissen den Wissenserwerbsprozess erleichtert und wie man die Wirkweise des Vorwissens theoretisch beschreiben kann. 7.4.1 Modelle zur Klassifikation von Wissen Der Begriff des Wissens wird in der pädagogischpsychologischen Literatur auf unterschiedliche Weise definiert und verwendet. Aus kognitionspsychologischer Sicht kann Wissen als relativ überdauernder Inhalt des Langzeitgedächtnisses aufgefasst werden. Das Wissen einer Person lässt sich dabei über die Menge und Qualität mentaler Repräsentationen charakterisieren. Beim Wissensbegriff wird meist vorausgesetzt, dass die 7.4 Wissen 183 © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:37 Person, die hierüber verfügt, von der Gültigkeit des Wissens überzeugt ist. Zur Differenzierung und Klassifikation von Wissen werden sog. Taxonomien herangezogen, die mehrere Beschreibungsdimensionen miteinander kombinieren. Ein in der Pädagogischen Psychologie lange Zeit sehr prominentes Modell war die klassische Lernzieltaxonomie von Bloom (1956). Sie verfolgte primär das Ziel, eine Entscheidungsgrundlage für Lernen, Lehren und Diagnostik zu bieten. Aufgrund ihrer starken Beachtung in verschiedenen pädagogischen Praxisfeldern wurde diese Taxonomie von Anderson und Krathwohl (2001) aktualisiert und z. T. reformuliert. Taxonomie der Wissensformen De Jong und Ferguson-Hessler (1996) haben eine Taxonomie der Wissensformen entwickelt, die stärker als die Lernzieltaxonomie von Bloom auf den aktuellen Stand der Forschung bezogen ist. Die Taxonomie der Wissensformen unterscheidet Wissensarten und Wissensmerkmale (s. Tab. 7.1). Die verschiedenen Wissensarten können dabei durch unterschiedliche und größtenteils voneinander unabhängige Wissensmerkmale charakterisiert werden. Tabelle 7.1 Taxonomie der Wissensformen nach De Jong und Ferguson-Hessler (1996) 7 Wissensarten Verarbeitungstiefe Struktur Wissensmerkmale Automatisierungsgrad Modalität Allgemeinheitsgrad Situationales Wissen Konzeptuelles Wissen Prozedurales Wissen Metakognitives Wissen Übersicht Wissensarten Die vier Wissensarten der Taxonomie der Wissensformen lassen sich folgendermaßen beschreiben: " Situationales Wissen: Hierbei handelt es sich um Wissen über Anforderungen und Merkmale von Problemen, die in bestimmten Domänen typischerweise auftauchen und dabei helfen, die Aufmerksamkeit auf relevante Aspekte der Problemlösung zu lenken. " Konzeptuelles Wissen: Diese Wissensart wird als semantisches Wissen aufgefasst. Es umfasst sowohl Wissen über Fakten als auch über Begriffe und Prinzipien. Wissensmerkmale. Neben den vier Wissensformen werden in der Taxonomie von De Jong und FergusonHessler fünf verschiedene Wissensmerkmale unterschieden, die quer zu den Wissensarten liegen (vgl. Tab. 7.1) und die jeweils unterschiedliche Charakteristiken des Wissens in den Blick nehmen: 184 7 Kognition und Metakognition " " " Prozedurales Wissen: Prozedurales Wissen wird als Wissen über Handlungen verstanden, die – bezogen auf den konkreten Anforderungsbereich – zum gewünschten Erfolg führen. Strategisches bzw. metakognitives Wissen: Hierunter wird Wissen über die Gestaltung und Regulation des eigenen Lern- und Problemlöseverhaltens und über situationsübergreifende Handlungspläne verstanden. Verarbeitungstiefe: Diese Kategorie bringt zum Ausdruck, welchen Elaboriertheitsgrad und Bedeutungsgehalt das Wissen hat. Das Wissen kann dabei zwischen oberflächlich und tief verarbeitet variieren und damit unterschiedlich stark mit dem vorhandenen Vorwissen in Beziehung gesetzt sein. Es wird ange- © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:37 nommen, dass der Grad der Verarbeitungstiefe von der Art der verwendeten Lernstrategien abhängt (s. Abschn. 7.2.1 und 7.4.3) " Struktur des Wissens: Das Wissen zu einem bestimmten Gegenstandsbereich kann mehr oder weniger stark ausdifferenziert und gedanklich geordnet sein. Im Extremfall besteht es entweder aus einer Ansammlung isolierter Wissenseinheiten oder aus einem gut organisierten Netzwerk miteinander verbundener Wissenskomponenten. Dies ist auch ein wesentliches Differenzierungskriterium für das Wissen von Experten und Novizen (s. Abschn. 7.4.4). " Automatisierungsgrad: Die dritte Kategorie kennzeichnet das Wissen hinsichtlich des Grades an notwendiger, intentionaler und angestrengter Informationsverarbeitung. Sie variiert zwischen deklarierbarem explizitem Wissen und einer oft nur noch subbewusst wahrgenommenen Ausprägung eines hochgradig prozeduralisierten (impliziten) Wissens. " Modalität: Dieses Merkmal bezieht sich auf die Art und Weise, in der das Wissen mental repräsentiert ist. Dies kann entweder bildlich-analog oder propositional-analytisch sein. Während die Erinnerung an eine eigene oder fremde Handlungssequenz eher bildlich/analog repräsentiert ist, ist konzeptuelles Wissen abstrakt und primär propositional-analytisch repräsentiert. " Allgemeinheitsgrad: Damit ist gemeint, ob das Wissen eher übergreifend oder domänen- bzw. bereichsspezifisch ist. Während es sich z. B. beim Wissen darüber, wie man eine Formel mit drei Unbekannten auflöst, um bereichsspezifisches Wissen handelt, das nur im Kontext mathematischer Gleichungen relevant ist, ist das Wissen, dass man beim Lernen metakognitive Strategien anwenden sollte, nicht auf einen inhaltlichen Bereich beschränkt und hat deshalb einen relativ hohen Allgemeinheitsgrad. Für einige Dimensionen bzw. Wissensmerkmale der dargestellten Taxonomie kann man Aussagen zur Qualität (im Sinne der Güte) des Wissens machen. So ist ein strukturiertes bzw. tief verarbeitetes Wissen nicht nur aufgrund der leichteren Abrufbarkeit aus dem Gedächtnis besser als unverbundene Wissenselemente bzw. oberflächliche Verarbeitung. Bei anderen Dimensionen, wie der Modalität des Wissens oder dem Allgemeinheitsgrad, ist eine Bewertung im Sinne von besser oder schlechter jedoch nicht sinnvoll. Auf der Basis der in der Taxonomie der Wissensformen vorgenommenen Unterscheidung sollen in den beiden folgenden Abschnitten zwei Wissensarten genauer betrachtet werden, die für das schulische Lernen eine besondere Bedeutung besitzen, nämlich das konzeptuell-semantische Wissen (Abschn. 7.4.2) und das metakognitive Wissen (Abschn. 7.4.3). 7.4.2 Konzeptuell-semantisches Wissen In kognitionspsychologischen Theorien wird das konzeptuell-semantische Wissen meist in Form von Netzwerkmodellen beschrieben und wissenschaftlich untersucht. Dabei wird angenommen, dass die so geartete mentale Repräsentation des Wissens über Fakten, Begriffe/Konzepte und Prinzipien das Ergebnis vorausgegangener semantisch-elaborativer Verarbeitungen der jeweiligen Informationseinheiten darstellt. Relevanz des Vorwissens. Die Art und Weise, wie das Wissen im Gedächtnis z. B. hinsichtlich seiner Struktur und Vernetztheit repräsentiert wird, hängt entscheidend von der Struktur des bereits bestehenden Vorwissens ab. Um die Relevanz des Vorwissens zu verdeutlichen, bietet es sich an, das Wissen von Personen als subjektive Theorien aufzufassen, die man sich als System von mehr oder weniger kohärenten (zusammenhängenden) und mehr oder weniger konsistenten (widerspruchsfreien) subjektiven Annahmen über Sachverhalte und Gesetzmäßigkeiten der Welt vorstellen kann. Die jeweils vorhandenen Wissenselemente beeinflussen die Art der Wahrnehmung und Einschätzung neuer Informationen. Beispielsweise hängt unser Urteil über die Bedeutungsähnlichkeit verschiedener Begriffe bzw. Konzepte davon ab, welches Verständnis wir von diesen Konzepten haben. Ohne entsprechendes biologisches Vorwissen würden wir z. B. einen Delfin aufgrund seines Aussehens eher als Fisch denn als Säugetier klassifizieren. Unsere Urteile über Dinge, wie etwa die Ähnlichkeit von Objekten oder die Zugehörigkeit zu Gruppen, sind also stark von den subjektiven Annahmen (dem Vorwissen) über die Welt geprägt. Die direkt wahrnehmbare und offensichtliche Ähnlichkeit zwischen Delfinen und Fischen tritt bei Ähnlichkeitsurteilen dagegen dann in den Hintergrund, wenn biologisch-klassifikatorisches Vorwissen berücksichtigt wird (vgl. Abb. 7.6). 7.4 Wissen 185 © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:37 werden. Demnach hat jeder Knoten in einem aktuell bestehenden semantischen Netzwerk ein gewisses Aktivierungspotenzial. Je größer die Aktivierung, desto größer die Chance, dass diese Knoten aus dem Langzeitgedächtnis ins Arbeitsgedächtnis abgerufen werden können. Aktivierung wird entlang der Kanten von einem Knoten zum anderen weitergeleitet. Je häufiger Wissenselemente (Knoten) gemeinsam aktiviert werden, desto stärker sind die Assoziationen (Kanten) zwischen diesen Knoten, und davon hängt wiederum das Ausmaß der Aktivierung ab, das von einem Knoten zum nächsten weitergegeben wird. Diese Annahmen werden durch ein Phänomen bestätigt, das als Priming-Effekt bezeichnet wird. 7 kann Wirbeltier ist e in Arabisches Vollblut ist ein kan ka nn rennen Wal tauchen Säugetier ist ein ein ist n Pferd Das Phänomen des Priming besteht darin, dass die Reaktionszeit bei der Verarbeitung eines Reizes verkürzt wird, wenn diesem Reiz ein anderer Reiz voranging, der mit ihm assoziiert ist. Liest eine Person beispielsweise das Wort »Kaffee«, nachdem sie zuvor das Wort »Kanne« gelesen hat, ist die Reaktionszeit beim Wort »Kaffee« schneller, als wenn sie zuvor das Wort »Stern« gelesen hat. Die Aktivierung des mit dem Wort »Kanne« verbundenen Knotens breitet sich auf alle Knoten im seVogel mantischen Netz aus, die mit diesem Knoten direkt verknüpft sind. Dadurch wird auch der Knoten »Kaffee« voraktiviert. Flügel Tier t ha ein ist ein ist Hufe Definition t ha Eier legen ist ein Wissensrepräsentation im Gedächtnis: Netzwerkmodell semantischen Wissens. Eine weit verbreitete Konzeption von der Art der Repräsentation von semantischem Wissen im Gedächtnissystem geht davon aus, dass menschliches Wissen in Form semantischer Netzwerke organisiert ist, in denen zusammengehörende Inhalte auf vielfältige Weise miteinander verknüpft sind. Ein solches Netzwerk besteht aus Wissenselementen (Begriffen/Konzepten – sog. »Knoten«) und Verbindungen (sog. »Kanten«) zwischen diesen Wissenselementen. Die Verbindungen in diesen Netzwerken können verschiedener Art sein. In dem in Abbildung 7.6 dargestellten Beispiel, in dem primär Über-Unterordnungs-Relationen dargestellt werden, stehen Verbindungen wie Kategorienzugehörigkeit (»ist ein«), Eigenschaften des Merkmals (»hat« oder »kann«) oder auch assoziierte Vorstellungen (»sieht aus wie«) im Vordergrund. Das Wissen von Menschen unterscheidet sich dabei in der Anzahl der Knoten, aber auch im der Grad der Vernetztheit (Menge und Häufigkeit der Aktivierung der Kanten). Es wird angenommen, dass das Ausmaß der Vernetztheit ein Gradmesser der Qualität des Wissens ist. Aktivierungsausbreitung zwischen Wissenselementen. Ein wichtiger Aspekt dieser theoretischen Konzeption ist die Annahme einer Aktivierungsausbreitung. Damit kann u. a. der Effekt des Vorwissens beim Lernen erklärt Delfin hat Lunge ist e in Mensch sieh t au s wi e Flipper aus dem Film Abbildung 7.6 Ausschnitt aus einem Netzwerkmodell des Wissens zum Begriff der Säugetiere (blaue Linien: Kategorienzugehörigkeit, schwarze Linien: Eigenschaft, rote Linie: assoziierte Vorstellung; je dicker die Linie zwischen zwei Konzepten, desto stärker die Assoziation zwischen beiden Konzepten) 186 7 Kognition und Metakognition 7.4.3 Metakognitives Wissen und Lernstrategien Metakognitives Wissen Beim metakognitiven bzw. lernstrategischen Wissen handelt es sich um Wissen über das eigene Problemlöseverhalten bzw. über Strategien beim Lernen. Eingeführt wurde das Konzept der Metakognition in den 1970er-Jahren unter dem Begriff des Metagedächtnisses im Kontext entwicklungspsychologischer Arbeiten zur Gedächtnisentwicklung (Flavell, 1971; vgl. Goswami, 2008). Es bezeichnet das Phänomen, dass man im Gedächtnis © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:37 auch ein Wissen über das eigene Gedächtnis gespeichert hat (z. B. dass man etwas eigentlich weiß, obwohl man es aktuell nicht abrufen kann). Das Konzept der Metakognition bezieht sich demgegenüber nicht allein auf Wissen über das Gedächtnis und seine Funktionen, sondern auch auf andere Komponenten des kognitiven Systems (z. B. Lern- und Denkvorgänge) und deren Funktionen. Wie auch bei anderen Wissensarten kann hierbei zwischen mehr oder weniger automatisiertem Wissen unterschieden werden. Einige Prozesse der Steuerung des eigenen Lernens werden im Laufe der Zeit automatisiert und laufen entsprechend ab, ohne dass es einer bewussten Steuerung bedarf. Beispielsweise passt ein erfahrener Lernender sein Lesetempo in Abhängigkeit von der Komplexität des zu lernenden Materials automatisch an. Ein solch metakognitiv-strategischer Prozess wie die Allokation von Lernzeit kann jedoch auch bewusst gesteuert sein. Der Begriff des metakognitiven Wissens wird dabei meist für den bewussten Teil des Wissens verwendet. Das metakognitive Wissen bezieht sich demnach auf das verbalisierbare und beim Lernen intentional eingesetzte Wissen über die während des Lernens, Verstehens und Erinnerns ablaufenden Prozesse und ihre Voraussetzungen. Übersicht Arten metakognitiven Wissens Nach Flavell (1971) kann zwischen drei Arten metakognitiven Wissens unterschieden werden: (1) Metakognitives Wissen über Personen: Es bezieht sich auf die angenommenen temporären und/oder dauerhaften lern-, gedächtnis- und verstehensrelevanten Eigenschaften (z. B. Fähigkeiten, Interessen) von Personen. Es beinhaltet weiterhin Wissen über das Zustandekommen menschlicher Gedächtnisleistungen (z. B. über die Bedeutung von Faktoren wie Alter, Wachheitsgrad, Stimmung etc.) sowie das subjektive Wissen über das eigene Wissen. Beim deklarierbaren metakognitiven Wissen handelt es sich also um explizites bzw. explizierbares Faktenwissen bezüglich konkreter Lern- und Gedächtnisanforderungen. Es umfasst das Wissen von Personen über ihre eigenen Informationsverarbeitungsfähigkeiten (und ggf. auch die anderer), das Wissen über kognitive Anforderungen von Aufgaben und das Wissen über Strategien sowie die Art und Weise und die Bedingungen ihrer effektiven Nutzung (vgl. Paris, Lipson & Wixson, 1983). Lernstrategien und Selbstregulation des Lernens Lernstrategien sind ein wichtiges Mittel, um das eigene Lernverhalten zu steuern und sich Wissensinhalte (ggf. selbstständig) zu erschließen. Die besondere Bedeutung von Lernstrategien resultiert u. a. aus der Tatsache, dass sie für den lebenslangen Prozess des Lernens und Weiterlernens eine zentrale Rolle spielen. (2) Metakognitives Wissen über Aufgaben: Es beinhaltet das individuelle Wissen und die Kenntnisse über die für die Lösung von Lern-, Gedächtnisund Verstehensanforderungen relevanten Aufgabenmerkmale. Hierzu zählt etwa die Kenntnis über den individuellen Schwierigkeitsgrad einzelner Lern- oder Problemlöseanforderungen. (3) Metakognitives Wissen über Strategien: Die dritte Art metakognitiven Wissens beinhaltet Erkenntnisse der Person über das Vorhandensein und die Nützlichkeit von bestimmten Lern- und Denkstrategien. Definition Als Lernstrategien bezeichnet man mental repräsentierte situationsübergreifende Schemata oder Handlungspläne zur Steuerung des eigenen Lernverhaltens, die sich aus einzelnen Handlungssequenzen zusammensetzen und situationsspezifisch abrufbar sind. Kognitive und metakognitive Lernstrategien. Die in der Pädagogischen Psychologie vorrangig untersuchten Lernstrategien der Informationsverarbeitung lassen sich in kognitive und metakognitive Strategien unterteilen (vgl. Mandl & Friedrich, 2006; s. Tab. 7.2). Eine erste Gruppe von kognitiven Lernstrategien stellen die sog. Organisationsstrategien dar, womit Techniken und Handlungspläne bezeichnet werden, die dazu dienen, innerhalb eines neuen Wissensbereichs Ordnungsbeziehungen herauszuarbeiten. Ein Beispiel hierfür ist das Erstellen von Zusammenfassungen, Mind-Maps oder 7.4 Wissen 187 © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:37 schen deklarativem, prozeduralem und konditionalem metakognitivem Wissen Kognitive Lernstrategien Metakognitive Lernstrategien (Wissen, dass; Wissen, wie; Wissen, " Memorierstrategien " Planungsstrategien wann und warum). In Bezug auf das Wis" Organisationsstrategien " Überwachungsstrategien sen über Lernstrategien wäre z. B. das " Elaborationsstrategien " Regulationsstrategien Wissen, dass das Verwenden von Eselbrücken den Gedächtnisabruf erleichtert, Begriffsnetzen zu einem Text. In Anlehnung an das als deklarativ zu bezeichnen. Wissen über Levels-of-Processing-Modell von Craik und Lockhart Verfahrensweisen bzw. deren tatsächliche Anwendung (1972, s. Abschn. 7.2.1) werden kognitive Lernstrategien wäre als prozedurales Wissen zu bezeichnen. Diese Wisdarüber hinaus nach der Tiefe der Informationsverarbei- sensform setzt in der Regel praktische Erfahrung oder tung unterschieden: Während Wiederholungs- bzw. Lernen am Modell in Bezug auf die jeweiligen LernOberflächenstrategien (mehrmaliges lautes Lesen des strategien voraus. Schließlich wäre das Wissen über die Lernmaterials, Lernen von Schlüsselbegriffen) vorrangig Bedingungen der Anwendung bestimmter Lerntechdem Auswendiglernen dienen, zielen Elaborations- bzw. niken und -strategien als konditionales Wissen zu beTiefenstrategien (Verknüpfen des Gelernten bzw. Inte- zeichnen. Der situations- und anforderungsadäquate gration in bestehendes Vorwissen oder Transfer auf an- Einsatz von Strategien ist davon abhängig, dass kondere Wissens- und Anwendungsbereiche) darauf ab, ein ditionales Wissen über die auf die aktuellen Anfordetieferes Verstehen des Lernmaterials zu erreichen. Auch rungen bezogene Angemessenheit und Effektivität von die Verwendung von Eselsbrücken (die insbesondere Strategien generiert wird. Ein ähnlicher Aspekt wird beim Vokabellernen erfolgreich eingesetzt werden) oder auch in dem von Borkowski et al. (1988) eingeführten das Stellen von Fragen zu einem Text können als kogni- Begriff des relationalen metakognitiven Wissens zum tive Strategien angesehen werden, die der tieferen Ver- Ausdruck gebracht. Gemeint ist die Kenntnis über die arbeitung des Lernmaterials dienen und damit auch die differenzielle Wirksamkeit verschiedener Strategien und Lern- und Erinnerungsleistung verbessern: Material, das damit auch die Vor- und Nachteile der jeweiligen Straelaborativer verarbeitet wird, wird generell besser behal- tegien in Abhängigkeit von den jeweiligen Anforderunten. Hingegen sind die im Eingangsbeispiel dargestellten gen. Höchstleistungen beim Speichern und Abrufen sehr lanPersonen müssen also über deklaratives, prozedurales ger Wortreihen eher das Produkt von ausgeklügelten und konditionales bzw. relationales Strategiewissen verWiederholungsstrategien (Memorierstrategien). fügen, um Lernstrategien situationsadäquat und effektiv Die sog. metakognitiven Lernstrategien beinhalten anwenden zu können. Die Grundlage des Erwerbs dieser übergeordnete und steuernde Lernaktivitäten des Pla- Form des Lernstrategiewissens sind Erfahrungen zur nens (Definieren des Lernziels, Formulieren von Kon- ggf. differenziellen Wirksamkeit einzelner Strategien im trollfragen), des Überwachens (Überprüfen, ob das Kontext von Lern- und Gedächtnisaufgaben. Der EinLernmaterial verstanden wurde) und des Regulierens satz von Lernstrategien ist ein zielorientierter, aktiver, (Anpassung der Lerntechnik an die Aufgabenanforde- konstruktiver und situativ angepasster Prozess. Das rungen, z. B. durch langsameres und wiederholtes Le- Wissen über effektive Lernstrategien wird nicht passiv sen) und steuern somit den Einsatz von kognitiven erworben, sondern bedarf vielfältiger Anwendung bzw. Lernstrategien. reflektierter Praxis (Artelt & Neuenhaus, 2010). Tabelle 7.2 Kognitive und metakognitive Lernstrategien 7 Qualitative Merkmale metakognitiven Wissens Andere Ansätze zur Charakterisierung des metakognitiven Wissens orientieren sich nicht an der von Flavell vorgeschlagenen Differenzierung nach den jeweiligen Inhalten (Personen-, Aufgaben- und Strategiewissen), sondern an qualitativen Merkmalen dieses Wissens. Deklaratives, prozedurales und konditionales metakognitives Wissen. So unterscheiden Paris et al. (1983) zwi- 188 7 Kognition und Metakognition 7.4.4 Auswirkungen des Vorwissens auf das Lernen und Behalten Die Rolle des fachspezifischen Vorwissens beim Lernen wurde in der Psychologie umfänglich untersucht. Die Befunde bestätigen die große Bedeutung des konzeptuell-semantischen Vorwissens für Lernen und Wissenserwerb. Wie bereits erwähnt, kann dessen Wirksamkeit © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:37 durch den Prozess der Aktivierungsausbreitung und über die Vernetztheit der Knoten in semantischen Netzwerken erklärt werden (s. Abschn. 7.4.2). Für die erfolgreiche Bearbeitung vieler, insbesondere kognitiv anspruchsvoller Aufgaben benötigen Personen neben grundlegenden intellektuellen Fähigkeiten (wie schlussfolgerndem Denken) also auch ein entsprechendes Hintergrundwissen. Analog zur Darstellung der Wissensformen gehen wir hierzu zunächst auf die Effekte konzeptuell-semantischen Vorwissens ein. Anschließend betrachten wir die lernförderlichen Effekte eines fundierten metakognitiven Wissens bzw. einer soliden Wissensbasis bezüglich Lernstrategien. Effekte des konzeptuell-semantischen Vorwissens Eine reichhaltige (konzeptuell-semantische) Wissensbasis in einem bestimmten Fachgebiet bildet eine wichtige Grundlage für weitere Lernprozesse und Gedächtnisleistungen in diesem Gebiet. Gedächtnisleistungen. Die zentrale Rolle des Vorwissens für die Speicherung neuer Informationen konnte eindrucksvoll in Untersuchungen gezeigt werden, in denen Gedächtnisleistungen von Experten (Personen mit viel Vorwissen) und Novizen (relative Anfänger in einem Bereich) miteinander verglichen wurden. Eine der ersten Studien hierzu wurde von Chi (1978) durchgeführt. Sie verglich die Gedächtnisleistungen von Kinder-Schachexperten (Kinder, die im Vergleich zu normalen Erwachsenen über verhältnismäßig viel Vorwissen verfügten) mit denen von erwachsenen Schach- novizen. Als Gedächtnisleistungen wurden das Erinnern von Zahlenreihen und die Rekonstruktion kurzzeitig präsentierter Schachstellungen untersucht. Wie erwartet schnitten die Erwachsenen beim Erinnern von Zahlenreihen besser ab als die Kinder. Beim Erinnern der Schachstellungen erinnerten jedoch die Kinder die Schachstellungen deutlich besser als die erwachsenen Schachnovizen – ein Effekt, der sich offensichtlich auf das hohe inhaltliche Vorwissen der Kinder zurückführen lässt. Zahlreiche Studien dieser Art konnten diesen Effekt auch in anderen Wissensbereichen bestätigen. Beispielsweise haben Schneider, Körkel und Weinert (1989) Kinder-Fußballexperten mit erwachsenen Fußballnovizen verglichen. Die aus der 3., 5. und 7. Klasse stammenden Kinder mit ausgeprägtem Fußballwissen konnten die Inhalte einer Fußballgeschichte unter gleichen Lern- und Abrufbedingungen deutlich besser erinnern als die Erwachsenen ohne ausgeprägtes Vorwissen über Fußball. Wissenserwerb. Vorwissen ist ein sehr guter Prädiktor von späteren Leistungsindikatoren bzw. von Wissenszuwächsen. Dies wird am Beispiel von schulischen (fachlichen) Leistungen besonders deutlich. So sind gute Schulleistungen in einem Unterrichtsfach wie z. B. Englisch kaum möglich, ohne dass die Schüler über ein klassenstufenadäquates Niveau an Vokabelund Grammatikwissen verfügen. Kennt man den Wissensstand in einem Unt