Pädagogische Psychologie - Lernen Und Lehren PDF
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B. Brünken, S. Münzer, B. Spinath
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Summary
This document provides an overview of pedagogical psychology, focusing on the concepts of learning and teaching. It details different perspectives on learning, including the psychological and pedagogical viewpoints, and explores various models and strategies related to the learning process, such as self-regulation. The text also delves into specific learning strategies and their classification, and how the teaching process can effectively facilitate learning.
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Kapitel 8 Universitätsbibliothek FernUniversität Hagen / 132.176.170.178 (2023-10-03 16:41) Selbstreguliertes Lernen Inhaltsübersicht 8.1 8.1.1 8.1.2 8.2 8.2.1 8.2.2 8.3 8.4 Das Lernen lernen................................................ Eine andere Sicht auf Lernen...................................
Kapitel 8 Universitätsbibliothek FernUniversität Hagen / 132.176.170.178 (2023-10-03 16:41) Selbstreguliertes Lernen Inhaltsübersicht 8.1 8.1.1 8.1.2 8.2 8.2.1 8.2.2 8.3 8.4 Das Lernen lernen................................................ Eine andere Sicht auf Lernen...................................... Übertragung auf Lernen.......................................... Modelle der Selbstregulation des Lernens.......................... Strukturmodelle der Selbstregulation.............................. Prozessmodelle der Selbstregulation.............................. Lernstrategien und ihre Klassifikation............................. Training selbstregulierten Lernens................................. 206 206 208 210 210 212 216 220 Zusammenfassung........................................................ 226 Weiterführende Literatur................................................... 227 Fragen.................................................................... 228 Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus B. Brünken, S. Münzer und B. Spinath: Pädagogische Psychologie – Lernen und Lehren (9783840922145) © 2019 Hogrefe Verlag, Göttingen. 206 Kapitel 8 8.1 Das Lernen lernen 8.1.1 Eine andere Sicht auf Lernen Universitätsbibliothek FernUniversität Hagen / 132.176.170.178 (2023-10-03 16:41) In den vorangegangenen Kapiteln haben wir Lernen unter verschiedenen Perspektiven betrachtet, als Reiz-Reaktions-Kontingenz (vgl. Kap. 3), als Informationsverarbeitungsprozess (vgl. Kap. 4) und als Aufbau domänenspezifischer Expertise (vgl. Kap. 5). Im Mittelpunkt hierbei stand, wie in unserer Eingangsdefinition von Lernen (vgl. Kap. 3) erwähnt, der Aufbau relativ dauerhafter, interner kognitiver Strukturen auf der Basis von Erfahrungen. Lernen ist auch eine Tätigkeit Neben dieser Sichtweise hat der Begriff „Lernen“ aber auch noch eine weitere Bedeutung, die sich insbesondere in seiner umgangssprachlichen Verwendung widerspiegelt, etwa wenn sich ein leidgeplagter Vater beschwert, sein Sohn sei einfach zu faul zum Lernen und produziere deswegen fortwährend miserable schulische Leistungen. Lernen wird hier in einem aktiven Sinne als Tätigkeit verstanden, deren Ziel darin besteht, den oben beschriebenen internen Prozess zu initiieren, in Gang zu halten und zu fördern. Als Synonym für diese Sichtweise auf Lernen werden oftmals Begriffe wie üben, studieren oder pauken verwendet. In welchem Zusammenhang stehen nun diese beiden Sichtweisen auf Lernen, die man auch als psychologische Sicht (Lernen als mentale Konstruktion) und pädagogische Sicht (Lernen als Handlung) bezeichnen kann? Schon in den theoretischen Modellen, die wir in den grundlegenden Kapiteln beschrieben haben, wird Lernen als ein aktiver und konstruktiver Prozess beschrieben. Dieser setzt die aktive Verarbeitung des Lernmaterials durch den Lerner voraus. Was aber bedeutet dies aus Sicht des Lerners, wie kann er diesen Prozess aktiv beeinflussen und welche Aktivitäten muss er dazu ergreifen? Wie kann man überhaupt kognitive Prozesse planvoll steuern und regulieren? Kybernetik ist die Wissenschaft der Regulation Zur Beantwortung dieser Frage wird in der Psychologie gern auf Modelle der Kybernetik zurückgegriffen. Hierbei handelt es sich um eine Wissenschaftsdisziplin, deren Begründung gemeinhin mit dem Namen des amerikanischen Mathematikers Norbert Wiener (1894–1964) verbunden ist, und die sich mit der Frage der Steuerung und Regelung von Systemen befasst, gleich ob es sich um technische, biologische oder kognitive Systeme handelt. So lautete der Titel von Wieners 1948 erschienenem Buch, das den Begriff Kybernetik begründete „Cybernetics, or control and communication in the animal and the machine“. Die Kybernetik war über viele Jahrzehnte eine sehr einflussreiche Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus B. Brünken, S. Münzer und B. Spinath: Pädagogische Psychologie – Lernen und Lehren (9783840922145) © 2019 Hogrefe Verlag, Göttingen. Selbstreguliertes Lernen 207 Vergleich Ist-Zustand Soll-Zustand Universitätsbibliothek FernUniversität Hagen / 132.176.170.178 (2023-10-03 16:41) Regulation Abbildung 19: Modell der Selbstregulation Grundlagenwissenschaft, die die Theoriebildung in vielen Disziplinen wie der Nachrichtentechnik, der Informatik, aber auch der Biologie und der Psychologie endscheidend mitgeprägt hat. Die Grundidee einer kybernetischen Betrachtungsweise besteht darin, Systeme dynamisch zu betrachten, d. h. davon auszugehen, dass sich jedes System zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Ist-Zustand befindet, der sich durch spezifische Handlungen verändern (steuern und regulieren) lässt. Eine Systemregulation liegt dann vor, wenn der Ist-Zustand des Systems auf einen bestimmten, vorab definierten Soll-Zustand hin verändert wird (vgl. Abb. 19). Ist das System nun dazu in der Lage, diese Veränderung selbst vorzunehmen, spricht man von Selbstregulation, findet die Steuerung von außen statt, handelt es sich um Fremdregulation. Das klassische Beispiel eines selbstregulierten Systems, das sich in nahezu jedem Lehrbuch zur Erklärung der Kybernetik finden lässt (Flechtner, 1993), ist das der Heizung (siehe Kasten). Beispiel eines selbstregulierten Systems Die Aufgabe der Heizung ist es, die Wohnung oder das Auto zu erwärmen. Dazu besteht sie vereinfacht ausgedrückt aus einem Effektor (dem Heizelement) und einer Steuereinheit (dem Thermostat). Das Heizelement kann nun ein- oder ausgeschaltet sein (Systemzustände). Soll die Wohnung (oder das Auto) erwärmt werden, wählt man eine Temperatur, die erreicht werden soll (Soll-Zustand). Dann misst das Thermostat die tatsächliche Temperatur im Raum (Ist-Zustand) und vergleicht diese mit dem Soll-Wert. Liegt die Temperatur unter dem Soll-Wert, wird die Heizung eingeschaltet und zwar so lange, bis der Soll-Wert erreicht ist. Danach schaltet die Heizung ab. Fällt der Ist-Wert (die Temperatur) wieder Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus B. Brünken, S. Münzer und B. Spinath: Pädagogische Psychologie – Lernen und Lehren (9783840922145) © 2019 Hogrefe Verlag, Göttingen. 208 Kapitel 8 unter den Soll-Wert, schaltet sich die Heizung wieder ein. Das System funktioniert also als dauernder Regelkreislauf aus Messung, Vergleich und Handlungsentscheidung. Universitätsbibliothek FernUniversität Hagen / 132.176.170.178 (2023-10-03 16:41) 8.1.2 Lernen als kyber netischer Prozess Übertragung auf Lernen Ein wesentliches Merkmal selbstregulierten Lernens ist nach Weinert (1982, S. 102), dass der Lernende „die wesentlichen Entscheidungen darüber, ob, was, wann, wie und woraufhin er lernt, gravierend und folgenreich beeinflussen kann“, er also aktiv seinen eigenen Lernprozess beeinflusst. In schulischen (oder anderen extern gesteuerten) Lernsituationen kann der Lernprozess durch eine gute instruktionale Gestaltung (vgl. Kap. 10) extern durch eine Lehrperson oder ein Lehrprogramm gesteuert und gefördert werden. Aber auch dort ist eine Eigenständigkeit des Lerners Voraussetzung (vgl. das Angebots- Nutzungs-Modell erfolgreichen Unterrichts; Helmke, 2012; siehe auch Kap. 11). Begreift man darüber hinaus Lernen als einen lebenslangen Prozess, in dem sich Wissen und Kompetenzen größtenteils selbst angeeignet werden müssen („Lebenslanges Lernen“), ist die selbständige Steuerung und Gestaltung des Lernprozesses eine essenzielle Voraussetzung für effektives Lernen und eine erfolgreiche Teilhabe an der Gesellschaft (vgl. z. B. Baumert et al., 2003; Brunstein & Spörer, 2001). Somit ist nach Weinert (1996) selbstgesteuertes Lernen Ziel des Unterrichts, gleichzeitig aber auch seine Voraussetzung und sein Mittel. Auch Pressley, Borkowski und Schneider (1989) gehen in ihrem Modell der guten Informationsverarbeitung (GIV-Modell; vgl. Kap. 4) davon aus, dass planvolles und selbstgesteuertes Lernen und damit strategisches und reflexives Verhalten des Lernenden die Grundlage und Grundvoraussetzung für erfolgreiches Lernen darstellt. Der „gute Informationsverarbeiter“ verfügt über eine Auswahl an geeigneten Strategien, mit denen er bestimmte Problemstellungen bewältigen kann. Er ist sich im Weiteren darüber bewusst, wann welche Strategien effektiv eingesetzt werden können. Darüber hinaus sind solche Personen in der Lage, ihren Lernprozess gut zu planen, zu überwachen und anzupassen. Außerdem verfügen sie über förderliche Persönlichkeitseigenschaften wie z. B. geringe Ängstlichkeit und über hohe Selbstwirksamkeitsüberzeugungen. Brunstein und Spörer (2001) fassen diese Aspekte in drei Funktionsbereiche bzw. Komponenten zusammen, die dem selbstgesteuerten Lernen zugrunde liegen. Dabei unterscheiden Sie zwischen (1) kogni- Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus B. Brünken, S. Münzer und B. Spinath: Pädagogische Psychologie – Lernen und Lehren (9783840922145) © 2019 Hogrefe Verlag, Göttingen. Universitätsbibliothek FernUniversität Hagen / 132.176.170.178 (2023-10-03 16:41) Selbstreguliertes Lernen 209 tiven Komponenten, (2) motivationalen Komponenten und (3) metakognitiven Komponenten selbstregulierten Lernens: 1. Kognitive Komponenten: Hierzu zählt das Wissen über Lernstrategien und über ihre effektive Anwendung. In der Forschung zu Lernstilen (für einen Überblick siehe Wild, 2001) werden dabei Personen unterschieden, die unterschiedliche Präferenzen haben, mit dem Lernmaterial umzugehen. Nach diesem Ansatz kann man z. B. zwischen Lernern unterscheiden, die eher oberflächlich mit den Informationen umgehen und eher unzusammenhängende Fakten auswendig lernen (surface-level approach bzw. reproducing orientation) und zwischen Lernern, die ein tieferes Verständnis erlangen wollen und Verbindungen zwischen den Lernmaterialien und der Umwelt bzw. schon vorhandenem Wissen knüpfen (deep-level approach bzw. meaning orientation). 2. Motivationale Komponenten: Selbstreguliertes Lernen ist sehr anspruchsvoll und kostet kognitive Ressourcen. Dementsprechend sind motivierte Lerner eher in der Lage, den Lernprozess zu initiieren und gegenüber anderen interessanten Aktivitäten abzugrenzen und aufrechtzuerhalten (volitionale Kontrolle). Ein „guter Informationsverarbeiter“ verfügt weiterhin über ein hohes Selbstvertrauen und hohe Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, die bei einem erfolgreichen Lernprozess wiederum erhöht werden können (Schneider, 1996). Die Bewertung des eigenen Lernprozesses und die Attribution von Erfolg bzw. Misserfolg beeinflusst darüber hinaus die Motivation für zukünftige Lernprozesse, wie im Folgenden noch näher erläutert wird (vgl. auch Kap. 7). 3. Metakognitive Komponenten: Die Fähigkeit, den Lernprozess zu planen, zu überwachen und zu steuern, gilt als wesentlich für erfolgreiches selbstreguliertes Lernen. Nach Klauer (1985) gehören zu einem erfolgreichen Lernprozess sieben Lehrfunktionen: Motivation, Information, Informationsverarbeitung, Speichern und Abrufen, Transfer sowie Regulation und Steuerung, wobei die letzte Lehrfunktion als metakognitive Komponente zu verstehen ist. Aufbauend auf den Lehrfunktionen hat Klauer (1985) einen allgemeinen Lehralgorithmus entwickelt, der gewissermaßen einen Plan zur Überwachung der Ausführung der ersten sechs Lehrfunktionen darstellt. Für jeden einzelnen Schritt werden dabei kontrollierende Feedbackschleifen eingeführt und mögliche hilfreiche Strategien zur Umsetzung der einzelnen Prozesse zur Verfügung gestellt. Zu den metakognitiven Komponenten zählt weiterhin das Wissen über die eigenen Fähigkeiten sowie über das eigene Lernverhalten (Brunstein & Spörer, 2001). Komponenten selbstgesteuerten Lernens Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus B. Brünken, S. Münzer und B. Spinath: Pädagogische Psychologie – Lernen und Lehren (9783840922145) © 2019 Hogrefe Verlag, Göttingen. Universitätsbibliothek FernUniversität Hagen / 132.176.170.178 (2023-10-03 16:41) 210 Kapitel 8 8.2 Modelle der Selbstregulation des Lernens Zur Verdeutlichung der komplexen Zusammenhänge werden im Kontext der Selbstregulationsforschung vielfach Modelle der Selbstregulation verwendet. Diese fokussieren dabei auf unterschiedliche Aspekte selbstregulierten Lernens und werden in der Regel in Strukturmodelle (auch Komponentenmodell genannt) und Prozessmodelle unterschieden (Winne & Perry, 2000). Während Strukturmodelle vor allem auf die Beschreibung des „Was“ der Regulation fokussieren, setzen sich Prozessmodelle in erster Linie mit dem „Wie“ der Regulation auseinander. Beide Modelltypen stehen also nicht in direkter Konkurrenz zueinander, sondern ergänzen sich vielmehr. 8.2.1 Strukturmodelle der Selbstregulation Das bekannteste Strukturmodell der Selbstregulation stellt das DreiSchichten-Modell von Monique Boekaerts (z. B. Boekaerts, 1999) dar (vgl. Abb. 20). Das Modell von Boekaerts basiert auf den Grundannahmen des Lernens als Prozess der Informationsverarbeitung, wie wir ihn in Kapitel 4 vorgestellt haben. Sie geht davon aus, dass die Effizienz der Informationsverarbeitung gezielt durch Steuerungs- und Regulationsmaßnahmen unterstützt werden kann. Diese können nach ihrem Modell auf drei, miteinander interagierenden Ebenen (Schichten) angesiedelt sein, die häufig wie in unserer Abbildung als drei übereinanderliegende Ellipsen visualisiert werden. nd Regulatio es Selbst Reg Selbstreguliertes Lernen Abbildung 20: u l a ti o n d e s L e r n p ro z e s se s Regulation des Verarbeitungsmodus Strukturmodell von Boekaerts (nach Boekaerts, 1999) Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus B. Brünken, S. Münzer und B. Spinath: Pädagogische Psychologie – Lernen und Lehren (9783840922145) © 2019 Hogrefe Verlag, Göttingen. Selbstreguliertes Lernen 211 Universitätsbibliothek FernUniversität Hagen / 132.176.170.178 (2023-10-03 16:41) Auf der inneren, ersten Ebene bezieht sich die Selbstregulation auf den Prozess der Informationsverarbeitung selbst (Regulation des Verarbeitungsmodus). Hier sind all jene Prozesse und Strategien angesiedelt, die direkt die einzelnen Schritte der Informationsverarbeitung tangieren (Informationsauswahl, -organisation, -integration; aber auch Aktivierung von Vorwissen usw.). Viele Lernstrategien und Lerntechniken (vgl. Abschnitt 8.3) beziehen sich auf diese innere Ellipse. Selbstregulation erfolgt auf drei verschiedenen Ebenen Auf der zweiten, mittleren Ebene beziehen sich die Regulationsmechanismen auf den Lernprozess insgesamt (Regulation des Lernprozesses). Hier geht es vor allem um den Einsatz metakognitiver Strategien und Kompetenzen. Regulationsgegenstand ist also nicht mehr der Lerninhalt (also die Frage, ob man etwas richtig verstanden hat), sondern der Lernprozess als solches, also etwa die Frage, ob genügend Ressourcen bereitgestellt wurden, die Lernstrategien richtig und effizient angewendet wurden und das Lernziel erreicht wurde. Ersichtlich sind die Ebenen nicht unabhängig voneinander, metakognitive Strategien setzen kognitive Aktivitäten voraus, deren Effizienzeinschätzungen wiederum metakognitive Überwachungsprozesse bedingen. Dennoch erscheint es nützlich, zwischen den beiden Ebenen zu unterscheiden, hat man doch innerhalb einer Lernhandlung in der Regel eine Vielzahl verschiedenere kognitiver Strategien zur Auswahl, die man zur Zielerreichung anwenden kann und die sich möglicherweise hinsichtlich ihrer Effizienz unterscheiden, aber durch die gleichen metakognitiven Prozesse (Planung, Steuerung, Überwachung, Bewertung) kontrolliert werden können. Die dritte, äußere Schicht schließlich (Regulation des Selbst) befasst sich mit der Auswahl und Bewertung von Zielen und Ressourcen. Hier sind Mikroziele (Verstehen einzelner Lerninhalte) wie auch Makroziele (Ausbildungs-, Bildungs- und Lebensziele) gemeint. Hierbei spielen nicht nur kurz- sondern auch langfristige Überlegungen und Motive eine Rolle bei der Handlungssteuerung. Das Modell zeichnet sich also durch eine zunehmende Allgemeinheit der Schichten und eine steigende Komplexität des Steuerungsprozesses aus. Aufgrund seiner Einfachheit und Plausibilität, aber auch aufgrund der enormen Produktivität der Forschergruppe um Boekaerts kann man das Modell heute als ein Standardmodell des selbstregulierten Lernens betrachten. Es hat eine Vielzahl von Forschungsarbeiten inspiriert und ist insbesondere zu Klassifikationszwecken sehr gut geeignet. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus B. Brünken, S. Münzer und B. Spinath: Pädagogische Psychologie – Lernen und Lehren (9783840922145) © 2019 Hogrefe Verlag, Göttingen. Universitätsbibliothek FernUniversität Hagen / 132.176.170.178 (2023-10-03 16:41) 212 Kapitel 8 8.2.2 Prozessmodelle der Selbstregulation Im Unterschied zu Strukturmodellen interessieren sich Prozessmodelle weniger für die Regulationsebene, als vielmehr für den Vorgang der Regulation. Nach Zimmerman (2000, S. 14) umfasst Selbstregulation „alle geplanten selbsterzeugten Gedanken, Gefühle und Handlungen, die über zyklische Anpassungsprozesse auf die Erreichung persönlicher Ziele ausgerichtet sind“ (zit. nach Pickl, 2004). Selbstregulation wird also als ein periodischer Prozess verstanden, wobei die Rückmeldung über den Lernerfolg bzw. den Lernprozess zur Anpassung des zukünftigen Vorgehens genutzt wird. Zimmerman (2000) unterscheidet drei Phasen des Selbstregulationsprozesses: (1) die Planungsphase, (2) die Phase der Handlungs- bzw. Willensbezogenen Kontrolle und (3) die Selbstreflexionsphase (vgl. Tab. 9). Tabelle 9: Phasenstruktur des Selbstregulationssystems (nach Zimmerman, 2000, S. 16) Planungsphase Handlungs- und Willensbezogene Kontrolle Selbstreflexion Aufgabenanalyse Selbstkontrolle Selbstbeurteilung Zielsetzung Strategieplanung Selbstinstruktion Bildhafte Selbstevaluation Attribution Vorstellungen Aufmerksamkeitslenkung Aufgaben strategien Motivationale Überzeugung Selbstbeobachtung Selbstreaktion Selbstwirksamkeit Ergebnis Selbst Zufriedenheit Adaptive/defen- erwartung Intrinsisches aufzeichnung Selbst experimente sive Reaktion Interesse Zielorientierung Schmitz (2001) untergliedert in seinem auf Zimmerman basierenden Prozessmodell der Selbstregulation in präaktionale, aktionale und postaktionale Phase (vgl. Abb. 21): Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus B. Brünken, S. Münzer und B. Spinath: Pädagogische Psychologie – Lernen und Lehren (9783840922145) © 2019 Hogrefe Verlag, Göttingen. Selbstreguliertes Lernen Präaktionale Phase Situation Filter: Automatik Filter: Ressourcen Motivation Selbstwirksamkeit Energie, Emotion Universitätsbibliothek FernUniversität Hagen / 132.176.170.178 (2023-10-03 16:41) Aufgabe Ziele Planung 213 Aktionale Phase Lernqualität: Lernstrategien − Metakognitive Strategien − Ressourcenmanagement − Kognitive Strategien Self-Monitoring Volitionale Strategien Lernquantität: Zeit Lernergebnis: Qualität Quantität Selbstreflexion Zufriedenheit Emotion Reaktion Postaktionale Phase Abbildung 21: Prozessmodell von Schmitz (nach Schmitz & Schmidt, 2007, S. 12) 1. Präaktionale Phase (Planungsphase): In dieser, dem Lernen vorausgehenden Phase besteht die Aufgabe des Lerners darin, eine Analyse des zu bewältigenden Problems oder der Lernaufgabe vorzunehmen. Diese Aufgabenanalyse wird dabei von motivationalen Überzeugungen des Lerners beeinflusst. Sinnvolle Ziele zu setzen, ist die Grundlage des selbstregulierten Lernens. Dabei sollten Ziele möglichst konkret sein, die Erreichung in naher Zukunft möglich sein und der Schwierigkeitsgrad eine Überprüfung der eigenen Fähigkeiten ermöglichen, sie sollten demnach nicht zu schwer und nicht zu leicht sein (Schreiber, 1998). Motivationale Überzeugungen des Lerners, wie die eigene Selbstwirksamkeit und die Zielorientierung, beeinflussen hierbei unter anderem die wahrgenommene Schwierigkeit von Zielen. Auch ist die Relevanz, die der Zielerreichung beigemessen wird, ein wichtiger Faktor, ob der Lernprozess initiiert und durchgehalten wird (z. B. Friedrich & Mandl, 1997). Ein weiterer wichtiger Schritt innerhalb dieser ersten Phase ist die Planung der Strategien, die zur Erreichung des Lernziels eingesetzt werden. Dafür ist das Wissen um Strategien ebenso relevant wie das Wissen, welche Strategien für welche Aufgabe und unter welchen Bedingungen erfolgversprechend eingesetzt werden können (z. B. Brunstein & Spörer, 2001). 2. Aktionale Phase (Phase der Handlungs- bzw. Willensbezogenen Kon trolle): In dieser Phase wird die eigentliche Lernhandlung ausge- Zeitliche Phasen der Selbstregulation Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus B. Brünken, S. Münzer und B. Spinath: Pädagogische Psychologie – Lernen und Lehren (9783840922145) © 2019 Hogrefe Verlag, Göttingen. 214 Kapitel 8 Universitätsbibliothek FernUniversität Hagen / 132.176.170.178 (2023-10-03 16:41) führt, d. h. die ausgewählten Strategien kommen zum Einsatz. Wesentliche Bedeutung wird darüber hinaus der permanenten Überwachung der Lernhandlung beigemessen (Schmitz, 2001; Zimmerman, 2000), wobei einerseits das Beobachten und die damit verbundene Kontrolle der eigenen Handlung und der Zielerreichung (vgl. z. B. Lehralgorithmus nach Klauer, 1985), andererseits auch die Aufrechterhaltung des Lernprozesses und eine Abschirmung gegenüber konkurrierenden Handlungstendenzen (volitionale Kontrolle) ins Blickfeld rückt. 3. Postaktionale Phase (Selbstreflexionsphase): In dieser Phase werden auf kognitiver Ebene sowohl Bewertungen hinsichtlich der Erreichung des angestrebten Ziels und der Durchführung des Lernprozesses als auch Ursachenzuschreibungen vorgenommen. Das Ergebnis wird dabei mit den zuvor gesteckten Zielen verglichen, dieser Vergleich ist umso einfacher möglich, je konkreter die Zielvorgabe war. Eine Beurteilung der Effektivität der Vorgehensweise, der eingesetzten Methoden und Strategien ist ebenfalls in dieser Phase notwendig. Darüber hinaus werden Erklärungen für das Zustandekommen von Ergebnissen gesucht, insbesondere, wenn das Ergebnis nicht mit den Erwartungen übereinstimmt. Diese Attributionsprozesse beeinflussen wiederum die Motivation für zukünftige Lernprozesse, eine negative Beeinflussung liegt z. B. dann vor, wenn Misserfolge auf mangelnde Fähigkeiten attribuiert werden, eine förderliche Attribution wäre die Ursachenzuschreibung auf die falsche Strategie (z. B. Försterling, 1988; Weiner, 1979; vgl. auch Kap. 7). Auf affektiver Ebene spielt die Zufriedenheit mit dem Ergebnis und dem Lernprozess eine Rolle, deren Bewertung meist unwillkürlich und automatisiert abläuft. Diese Bewertungsprozesse laufen bei Unzufriedenheit des Lerners mit dem Ergebnis bzw. dem Lernprozess in eine erneute präaktionale Phase, in der z. B. neue Ziele gesetzt, weitere Handlungsschritte initiiert oder Lernhandlungen angepasst werden. Das Modell von Schmitz ist insbesondere in der deutschsprachigen Forschung weit verbreitet und hat eine Vielzahl empirischer Arbeiten, insbesondere zum Training von Selbstregulation, motiviert (z. B. Otto, 2007; Perels, 2003). Eine Besonderheit dieser Forschung besteht – basierend auf der (zeit-)phasenorientierten Konzeption des Modells – in der Anwendung längsschnittlicher, zeitreihenanalytischer Analyseverfahren, die ansonsten in der pädagogisch-psychologischen Forschung nur selten anzutreffen sind. Weitere Modelle der Selbstregulation Ein interessantes, wenn auch weit weniger verbreitetes Lernstrategiemodell hat die Essener Arbeitsgruppe um D. Leutner mit dem EPOS- Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus B. Brünken, S. Münzer und B. Spinath: Pädagogische Psychologie – Lernen und Lehren (9783840922145) © 2019 Hogrefe Verlag, Göttingen. Selbstreguliertes Lernen 215 Metakognitive Strategie Ist-Zustand Universitätsbibliothek FernUniversität Hagen / 132.176.170.178 (2023-10-03 16:41) Abbildung 22: Ziel: kognitive Strategie Schritt 1 (?) Schritt 2 (?) Schritt 3 (?) Lernergebnis EPOS-Modell (nach den Elzen-Rump & Leutner, 2007, S. 253) Modell (Essener prozess-orientiertes Selbstregulationsmodell; Leutner & Leopold, 2006; den Elzen-Rump & Leutner, 2007) vorgelegt (vgl. Abb. 22). Hierbei handelt es sich ebenfalls um ein Prozessmodell, das auf kognitionspsychologischen Annahmen über den Prozess der Informationsverarbeitung basiert. Grundlage des Modells ist das von Klauer (1985; Klauer & Leutner, 2012) formulierte Lehrfunktionsmodell. Dieses geht davon aus, dass Lernen als ein quasi-algorithmischer Prozess der Informationsverarbeitung aufgefasst werden kann, dessen Effizienz durch die gezielte Unterstützung einzelner Prozessschritte ge fördert werden kann. Erfolgt nun diese Unterstützung nicht wie im klassischen Unterricht durch den Lehrer (durch sogenannte Lehrfunktionen), sondern durch den Lerner selbst, spricht Leutner von selbstgesteuertem Lernen, der Lerner wird also quasi zu seinem eigenen Lehrer. Von besonderer Bedeutung ist dabei für ihn das Ausmaß, in dem der Lerner dazu in der Lage ist, diese Selbstunterstützung durch korrekte und zielgerichtete Anwendung von Lernstrategien zu leisten. Im Mittelpunkt des EPOS-Modells steht daher Mikroregulation des Strategieeinsatzes während der konkreten Lernhandlung, weniger die Überwachung der Zielerreichung am Ende des Lernprozesses (den Elzen-Rump & Leutner, 2007, S. 253 – 254). Ein Vorzug des EPOS-Modells besteht darin, dass es den Blick auf die praktische Ausführung der Regulationshandlung richtet. Nach diesem Modell kommt es nicht in erster Linie darauf an, über möglichst viele Strategien zur Selbstregulation zu verfügen, sondern darauf, diejenige(n), die man im Lernprozess einsetzt, möglichst gut und effizient zu verwenden. Erfolgreiches Lernen kann also durchaus auf dem Einsatz von nur wenigen (oder vielleicht nur einer einzigen) Lernstrategie(n) beruhen, vorausgesetzt, diese wird qualitativ hochwertig eingesetzt. Damit rücken zwei Fragen in den Mittelpunkt, die wir im Folgenden näher beleuchten wollen, nämlich die Frage nach Erfassung des Lernstrategieeinsatzes und der Trainierbarkeit von Lern- Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus B. Brünken, S. Münzer und B. Spinath: Pädagogische Psychologie – Lernen und Lehren (9783840922145) © 2019 Hogrefe Verlag, Göttingen. 216 Kapitel 8 strategien. Zunächst wollen wir aber kurz die vielfältigen Klassifikationsmodelle von Lernstrategien vorstellen. Universitätsbibliothek FernUniversität Hagen / 132.176.170.178 (2023-10-03 16:41) 8.3 Lernstrategien und ihre Klassifikation Nach Pressley et al. (1989) können Lernstrategien als zielgerichtete, potenziell bewusste und kontrollierbare Prozesse beschrieben werden. Potenziell bewusst meint hierbei, dass sie meist zu Beginn bewusst eingeübt werden müssen, jedoch durch zunehmende Anwendung automatisiert werden, und damit unbewusst ablaufen können. Lernstrategien sind weiterhin nach Klauer (1996b, S. 138) „Pläne für eine Handlungssequenz, die auf die Erreichung eines Lernziels ausgerichtet sind“. Diese Definition steht sozusagen in der Mitte zweier differierender Positionen, bei denen der Bewusstheitsgrad für den Einsatz von Lernstrategien (per se bewusstseinspflichtig vs. automatisiert ablaufende Prozesse) im Mittelpunkt der Diskussion steht (z. B. Baumert & Köller, 1996). Unterschiedliche Klassifikationsschemata für Lernstrategien Systematiken zur Kategorisierung von Lernstrategien finden sich in der Literatur recht viele. Dansereau (1985) unterteilt in Primär- und Stützstrategien, wobei Primärstrategien alle Strategien umfassen, die den Informationsverarbeitungsprozess direkt beeinflussen. Stützstrategien haben die Aufgabe, motivationale und exekutive Funktionen zu steuern, die den Lernprozess indirekt beeinflussen, wozu auch metakognitive Strategien zählen. Eine weitere mögliche Einteilung nach Mikro-, Meso- und Makrostrategien schlagen z. B. Derry und Murphy (1986) vor. Dabei nehmen die Komplexität und die zeitliche Dauer der Informationsverarbeitungsprozesse zu. Zu Mikrostrategien zählen dabei z. B. einfache Vergleiche, Finden von Oberbegriffen etc. In die Mesoebene werden Strategien eingeordnet, die bei komplexeren Informationsverarbeitungsprozessen eingesetzt werden, z. B. für das Verstehen längerer Texte. Makrostrategien sind für längerfristige Prozesse geeignet, wie z. B. das längerfristige Arbeitsverhalten im Studium o. Ä. (Friedrich & Mandl, 1992). In Anlehnung an die Systematiken von Weinstein und Mayer (1986) sowie der Arbeitsgruppe um Pintrich (z. B. VanderStoep & Pintrich, 2003) haben Friedrich und Mandl (2006) eine Systematisierung vorgeschlagen, die die Umfassendste zu sein scheint und daher im Folgenden näher vorgestellt wird. Die Autoren unterscheiden in: 1. kognitive Lernstrategien, 2. Motivations- und Emotionsstrategien, Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus B. Brünken, S. Münzer und B. Spinath: Pädagogische Psychologie – Lernen und Lehren (9783840922145) © 2019 Hogrefe Verlag, Göttingen. Selbstreguliertes Lernen 217 Universitätsbibliothek FernUniversität Hagen / 132.176.170.178 (2023-10-03 16:41) 3. Strategien für das kooperative Lernen und 4. Strategien zur Ressourcennutzung. Die Autoren weisen aber auch darauf hin, dass die Unterschiede zwischen den einzelnen Strategiegruppen nicht als absolut betrachtet werden können, da die Strategien häufig „multifunktionalen Charakter“ besitzen (Friedrich & Mandl, 1992, S. 2). 1. Kognitive Lernstrategien: Hierzu zählen alle Strategien, die für die Verarbeitung von Informationen angewendet werden (Informationsaufnahme, Verarbeitung, Speicherung, Abruf, Transfer etc.) sowie metakognitive Lernstrategien zur Steuerung und Kontrolle des Lernprozesses. Etwas differenzierter können diese noch in Wiederholungs-, Elaborations- und Organisationsstrategien unterteilt werden. Wiederholungsstrategien dienen dabei hauptsächlich der Aufrechterhaltung einer Information im Arbeitsgedächtnis und der Überführung ins Langzeitgedächtnis – das wiederholte Aufsagen einer Telefonnummer zählt z. B. dazu. Elaborationsstrategien, bei denen neue Informationen in bestehende Wissensstrukturen integriert werden (wie z. B. Fragen stellen, Analogien herstellen, Visualisierungen, Notizen machen, Vorwissen aktivieren), und Organisationsstrategien, bei denen die Informationen in eine sinnvolle Struktur gebracht werden (z. B. Zusammenfassungen von Texten erstellen, Überschriften bilden, Mind Maps erstellen) dienen eher der tieferen Verarbeitung und dem dauerhaften Behalten von Informationen. Metakognitive Strategien werden zur Planung („Wie gehe ich am besten vor?“), Überwachung („Habe ich das wirklich verstanden?“), Bewertung („Das habe ich noch nicht richtig gelöst“) und Steuerung („Da muss ich jemanden fragen“) des Lernprozesses eingesetzt. Des Weiteren nennen Friedrich und Mandl (1992) noch Strategien zur Wissensnutzung, die hauptsächlich eingesetzt werden sollen, wenn Inhalte auch in anderen Bereichen eingesetzt und genutzt werden sollen (Anwendung und Transfer; z. B. Schreiben von Texten, Argumentieren/Diskutieren im sozialen Kontext). 2. Motivations- und Emotionsstrategien dienen hauptsächlich zur Aktivierung und Aufrechterhaltung der Motivation zum Lernen (z. B. Anreize setzen, realistische Zielsetzung, persönlichen Bezug zum Lerngegenstand herstellen). Motivationale Bedingungen des Lerners beeinflussen den Lernprozess dabei indirekt z. B. durch das aufgewendete Maß an Anstrengung und Ausdauer oder die Auswahl der Aufgaben und der Lernstrategien (Schiefele & Streblow, 2006; Schreiber, 1998). Emotionale Lernprobleme, wie z. B. Prüfungsangst, können mit eigenen Strategiemaßnahmen beeinflusst werden, wie z. B. das Herbeiführen eines entspannten Zustandes, die positive Verschiedene Lernstrategien zielen auf unterschiedliche Effekte Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus B. Brünken, S. Münzer und B. Spinath: Pädagogische Psychologie – Lernen und Lehren (9783840922145) © 2019 Hogrefe Verlag, Göttingen. Universitätsbibliothek FernUniversität Hagen / 132.176.170.178 (2023-10-03 16:41) 218 Kapitel 8 Uminterpretation der Situation als kontrollierbar etc. (Mandl & Friedrich, 2006; Pekrun & Götz, 2006). 3. Zu Strategien für kooperatives Lernen zählen z. B. Kooperationsskripts, durch die Hilfestellungen für das Lernen in interaktive Lernformen gegeben werden oder auch das sogenannte Academic Help Seeking (Mandl & Friedrich, 2006). Kooperative Lernsituationen wirken lern- und motivationsförderlich, wenn der soziale Austausch adäquat gestaltet wird. 4. Strategien zum Ressourcenmanagement beziehen sich auf Aktivitäten, die es dem Lerner ermöglichen, die zur Verfügung stehenden Ressourcen wie Zeit, Lernorte und -materialien usw. effektiv für den Lernprozess zu nutzen. So sollten Lerner ihre Arbeitszeit effektiv planen und einteilen, die Lernsituation oder den Arbeitsplatz angenehm und lernförderlich gestalten oder auch die externen Wissensspeicher (Bücher, selbst erstellte Dokumente, Notizen, Datenbanken etc.) sinnvoll organisieren und strukturieren (Mandl & Friedrich, 2006). Strategien zur Gestaltung von Lernsituationen können weiterhin auch zur Aufrechterhaltung des Lernprozesses förderlich sein (volitionale Strategien), wie sich typische Ablenkungen bewusst machen und fernhalten, Abwechslung schaffen usw. Kann man den Einsatz von ernstrategien messen? L Um festzustellen, ob und inwieweit ein Lerner dazu in der Lage ist, Lernstrategien zur Durchführung und Aufrechterhaltung von Selbstregulationsprozessen anzuwenden, ist es zunächst von entscheidender Bedeutung, diese angemessen erfassen zu können. Grundsätzlich lassen sich dabei zwei verschiedene Gruppen von Methoden zur Erfassung selbstregulierter Lernaktivitäten unterscheiden: (1) Selbstbeurteilungen, d. h. solche, bei denen der Lerner selbst Auskunft über seine Aktivitäten gibt und (2) Fremdbeurteilungen, d. h. solche, bei denen das Lernerverhalten durch einen Dritten (z. B. einen Lehrer oder ein technisches System) beobachtet und erfasst wird (vgl. auch Kap. 2). Wie auch in anderen Bereichen der Lehr-Lernforschung diskutiert (vgl. Ericsson & Simon, 1980; Brünken, Plass & Leutner, 2003) haben beide Verfahrenstypen spezifische Vor- und Nachteile. So sind Selbstauskünfte eher mit Reliabilitäts- und Validitätsproblemen behaftet, Fremdbeurteilungen haben häufig den Nachteil eines erhöhten Erfassungsaufwandes, zudem können sie nur beobachtbares Verhalten erfassen, was gerade bei internen kognitiven Prozessen (z. B. der mentalen Animation von Vorstellungen; vgl. Park, Münzer, Seufert & Brünken, 2016) nicht immer möglich ist. In der Lernstrategieforschung überwiegen national wie international eindeutig Selbstberichtsverfahren zur Erfassung des Lernstrategiegebrauchs. Besonders beliebt sind dabei Fragebogenverfahren, wie z. B. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus B. Brünken, S. Münzer und B. Spinath: Pädagogische Psychologie – Lernen und Lehren (9783840922145) © 2019 Hogrefe Verlag, Göttingen. Selbstreguliertes Lernen 219 Universitätsbibliothek FernUniversität Hagen / 132.176.170.178 (2023-10-03 16:41) im deutschsprachigen Raum das Kieler Lernstrategie-Inventar (Baumert, Heyn & Köller, 1992) und das Inventar zur Erfassung von Lernstrategien im Studium (LIST; Wild & Schiefele, 1994; Wild et al., 1992). International verbreitet sind das Learning and Study Strategies Inventory (LASSI; Weinstein, 1987) und der Motivated Strategies for Learning Questionnaire (MSLQ; Pintrich & de Groot, 1990). Ein Überblick über und eine methodenkritische Bewertung verschiedener Verfahren findet sich z. B. bei Artelt (2000a, b). Allerdings sind die Lernstrategiefragebögen mit einigen methodischen Schwierigkeiten behaftet, die oft nur zu geringer prädiktiver Validität führen können (siehe Kasten). Vorzüge und Probleme von Fragebögen zur Erfassung von Lernstrategien Methodische Probleme von Lernstrategiefragebögen Retrospektivität: In Lernstrategiefragebögen werden die Lerner dazu aufgefordert, sich daran zu erinnern, welche Strategien sie einsetzen; hier stellt sich die Frage, wie gut Lernende dazu in der Lage sind, dies zu listen und inwieweit die Antworten von gedächtnispsychologischen Effekten (z. B. primacy und recency-Effekte) beeinflusst werden. Inhaltsunabhängigkeit: Lernstrategiefragebögen fragen allgemein nach dem Strategieeinsatz und nicht in Bezug auf bestimmte Lerninhalte. Zumindest implizit wird hier also unterstellt, dass der Einsatz bestimmter Strategien für jede Form von Lerninhalten gleichermaßen angemessen ist. Bewusstheit und Reaktivität: Wie alle subjektiven Befragungsverfahren setzen auch Lernstrategiefragebögen voraus, dass sich die Lerner der entsprechenden (kognitiven) Aktivitäten in hinreichendem Ausmaß bewusst sind. Ist dies nicht oder nur unzureichend der Fall, ist es durchaus vorstellbar, dass die Lernenden erst durch die Beschreibung der Lernstrategie im Fragebogen auf die entsprechende Aktivität hingewiesen werden, das Verfahren also die Antwort erst hervorruft (Reaktivität). Quantifizierung: Die Aufforderung zur Quantifizierung des Lernstrategieeinsatzes in den Fragebögen geht von einer „je mehr umso besser“-Hypothese aus, d. h. hier liegt die Annahme zugrunde, dass Lernen umso effektiver erfolgt, je mehr Lernstrategien möglichst oft eingesetzt werden. Dem steht, wie in Abschnitt 8.2.2 erwähnt, die Annahme entgegen, dass es nicht auf die Menge, sondern auf die Qualität des Lernstrategieeinsatzes ankommt, wie etwa vom EPOS-Modell angenommen (Leutner & Leopold, 2005). Neben den verschiedenen Lernstrategiefragebögen, die insbesondere wegen ihrer ökonomischen Form in den meisten Forschungsarbeiten eingesetzt werden, gibt es noch eine Reihe weiterer Verfahren zur Erfassung von Lernstrategien. Spörer und Brunstein (2006) führen hier Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus B. Brünken, S. Münzer und B. Spinath: Pädagogische Psychologie – Lernen und Lehren (9783840922145) © 2019 Hogrefe Verlag, Göttingen. 220 Kapitel 8 Universitätsbibliothek FernUniversität Hagen / 132.176.170.178 (2023-10-03 16:41) in erster Linie Interviews zum Lernverhalten, Lautes Denken und Lerntagebücher auf (vgl. auch Kap. 2). In Studien, in denen gleichzeitig verschiedene Erfassungsverfahren eingesetzt wurden, zeigen sich jedoch nur geringe korrelative Zusammenhänge zwischen den Verfahren (Spörer & Brunstein, 2006), was den Schluss nahelegt, dass verschiedene Verfahren verschiedene Aspekte selbstregulierten Lernens erfassen, sodass Spörer und Brunstein für eine multimethodale Erfassung von Lernstrategien plädieren (siehe auch Otto, Perels & Schmitz, 2011). Allerdings bleibt auch dann die gemeinsame Varianzaufklärung verschiedener Verfahren in Bezug auf den Lernerfolg als Maß prognostischer Validität eher gering. 8.4 Lernstrategien als Schlüsselkompetenzen zum lebenslangen Lernen Training selbstregulierten Lernens Der Fähigkeit zum selbstregulierten Lernen wird in der modernen empirischen Bildungsforschung zentrale Bedeutung zugemessen (Baumert et al., 2003). Dies wird insbesondere mit den schnellen (technologischen) Veränderungsprozessen moderner postindustrieller Wissensgesellschaften begründet, die (Stichwort „Lebenslanges Lernen“) die individuelle Anpassung an sich schnell ändernde berufliche Anforderungen notwendig machen. Selbstregulationsfähigkeiten werden dabei zu Schlüsselkompetenzen, insbesondere dann, wenn schulische Bildungsprozesse, in denen die Vermittlung zentraler Kompetenzen von Lehrpersonen initiiert, überwacht und bewertet werden (vgl. Kap. 11), abgeschlossen sind (Schreiber, 1998; Schmitz & Schmidt, 2007). Seit Langem wird in der Pädagogischen Psychologie daher die Frage untersucht, ob und wie die Fähigkeit zur Selbstregulation gefördert werden kann, ob man also „das Lernen lehren“ kann. Neben unzähligen Primärstudien zur empirischen Überprüfung der Wirkung einzelner Trainingsmaßnahmen, liegen dazu mittelweile neben älteren (Hattie, Biggs & Purdie, 1996) auch neuere Metaanalysen (Dignath & Büttner, 2008; Dignath, Büttner & Langfeldt, 2008; Donker, de Boer, Kostons, Dignath van Ewijk & van der Werf, 2014; Seidel & Shavelson, 2007), sowie die bekannte Meta-Metaanalyse von Hattie (2009) vor. Typischerweise erfolgt die empirische Prüfung der Wirkung von Fördermaßnahmen im Rahmen von Trainingsstudien (vgl. auch Kap. 12). Dabei wird meist in quasi-experimentellen Zwei-Gruppenstudien mit (trainierter) Experimental- und (untrainierter) Kontrollgruppe die Wirkung eines spezifischen Trainingsprogramms auf (häufig artifizielle) Lehrmaterialien untersucht, wobei man davon ausgeht, dass die trai- Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus B. Brünken, S. Münzer und B. Spinath: Pädagogische Psychologie – Lernen und Lehren (9783840922145) © 2019 Hogrefe Verlag, Göttingen. Universitätsbibliothek FernUniversität Hagen / 132.176.170.178 (2023-10-03 16:41) Selbstreguliertes Lernen 221 nierten Probanden einen höheren Lernerfolg (in einer Prä-Post-Messung) aufweisen, als untrainierte Probanden. Dieses, auch in anderen Bereichen der Pädagogischen Psychologie (z. B. der Forschung zum Lernen mit neuen Medien, vgl. Kap. 9) durchaus übliche Vorgehen, hat zur Beurteilung der generellen Wirksamkeit selbstregulationsbezogener Trainingsmaßnahmen eine Reihe von Schwierigkeiten: In der Regel handelt es sich bei den untersuchten Trainingsprogrammen um von den Autoren der Evaluationsstudien selbst konstruierte Interventionen. Die experimentelle Überprüfung erfolgt meist an nur einer Trainingsgruppe, häufig durch die Trainingsautoren selbst. Die Auswahl und Anwendung einzelner Trainingselemente basiert auf verschiedenen theoretischen Modellen der Selbstregulation (vgl. Abschnitt 8.2), die eine Vergleichbarkeit erschwert. Meist beziehen sich die Trainings auf spezifische Teilprozesse, sodass die Generalisierbarkeit der Trainings oft fraglich ist. Der Trainingserfolg wird durch verschiedene Selbst- und Fremdauskunftsverfahren oder durch objektive Maße erhoben, bei denen es sich meist (etwa in Bezug auf die Steigerung des Lernerfolgs) um unstandardisierte, selbst konstruierte Lerntests handelt, die zudem oft von ungeprüfter psychometrischer Güte sind. In Metaanalysen versucht man, diesen Problemen zumindest teilweise dadurch zu begegnen, dass man die verwendeten Trainings konzeptuell zu Gruppen zusammenfasst, die Gruppengrößen, Inhaltsdomänen und Messinstrumente bei der Effektschätzung berücksichtigt und die Ergebnisse der Leistungsmaße standardisiert (Donker et al., 2014). Letztendlich können aber auch Metaanalysen nur so gut sein, wie die darin analysierten Primärstudien. In ihrer Metaanalyse klassifizieren Donker et al. (2014) die zusammengestellten Primärstudien zunächst nach verschiedenen Kriterien: (1) der trainierten Strategie; (2) Eigenschaften der untersuchten Probanden; (3) den verwendeten Messinstrumenten und (4) den untersuchen Schulfächern. Tabelle 10 zeigt die diesbezüglichen mittleren Effektstärken (Hedges’ g). Bei diesem Vorgehen werden einzelne Primärstudien natürlich mehrfach berücksichtigt. Insgesamt gingen in die Metaanalyse 58 Primärstudien mit 95 Trainingsinterventionen ein. Welche Lernstrategien sind effektiv? Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus B. Brünken, S. Münzer und B. Spinath: Pädagogische Psychologie – Lernen und Lehren (9783840922145) © 2019 Hogrefe Verlag, Göttingen. 222 Kapitel 8 Tabelle 10: Ergebnisse (Effektstärken) einer Metaanalyse zu Lernstrategietrainings (nach Donker et al., 2014, S. 9) Anzahl Interventionen Effektstärke Hedges’ g Wiederholung Elaboration Organisation 10 50 32 1.39.75.81 Metakognitive Strategien Planung Monitoring Evaluation 68 81 54.80.71.75 Management-Strategien Anstrengung Gruppe Umwelt 15 21 6.77.83.59 Motivationale Aspekte Self-efficacy Aufgabenwert Zielorientierung 13 6 6.72 1.84.59 Metakognitives Wissen Allgemein Personal 35 13.97.94 67 7.61.72 14 7.89.72 122 Effektstärken 50 Effektstärken 8 Effektstärken.78.45 23 16 449 3.36 1.25.66.73.23 Variablen Strategien Universitätsbibliothek FernUniversität Hagen / 132.176.170.178 (2023-10-03 16:41) Kognitive Strategien Personencharakteristiken Normal Geringer SÖS und ethnische Minderheit Besonderer Hilfebedarf Hochbegabt und hoher SÖS Messinstrumente Selbst entwickelt Interventionsunabhängig Unbekannt Fachinhalt Lesen Schreiben Mathematik Naturwissenschaften Andere Anmerkungen: SÖS = sozioökonomischer Status Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus B. Brünken, S. Münzer und B. Spinath: Pädagogische Psychologie – Lernen und Lehren (9783840922145) © 2019 Hogrefe Verlag, Göttingen. Universitätsbibliothek FernUniversität Hagen / 132.176.170.178 (2023-10-03 16:41) Selbstreguliertes Lernen 223 In einem zweiten Schritt vergleichen die Autoren nun mittels Regressionsanalysen gruppenweise, ob sich die gefundenen Effekte für verschiedene Probandengruppen, in den verschiedenen Inhaltsdomänen und unter Berücksichtigung verschiedener Messinstrumente unterscheiden. Die Ergebnisse zeigen, dass sich Lernstrategien grundsätzlich erfolgreich trainieren lassen. Es zeigen sich aber auch erhebliche Unterschiede, sowohl hinsichtlich der trainierten Strategien als auch der trainierten Domänen. So deuten die Ergebnisse darauf hin, dass neben einfachen kognitiven Strategien (Rehearsal) insbesondere motivationale, aufgabenbezogene Strategien (Task value) besonders effektiv sind. Dies deckt sich auch mit Ergebnissen der Meta-Metaanalyse von Hattie (2009), bei der metakognitive Strategien ebenfalls einen bedeutenderen Effekt (d =.69) als Lerntechniken aufwiesen (d =.59). Allerdings zeigt die Studie von Donker et al. (2014) auch, dass der Effekt deutlich größer ist, wenn der Lernerfolg mit ad hoc konstruierten Tests gemessen wurde, als mit standardisierten Verfahren, was möglichweise für ein hohes Maß an Spezifität der Effekte spricht. Schließlich scheint auch die trainierte schulische Domäne einen Einfluss auf die Effektstärke zu haben. Insgesamt sprechen die Studien also für eine Trainierbarkeit von Methoden und Techniken des selbstregulierten Lernens, allerdings fehlen insbesondere Studien zu weiten Transfereffekten, etwa auf den Lernerfolg im Studium und im Beruf. Strategien sind erlernbar Auch wenn die Bedeutung der Förderung selbstregulierten Lernens mittlerweile in der Forschung anerkannt ist, ist die Vermittlung von Techniken selbstregulierten Lernens nach wie vor keine Selbstverständlichkeit im schulischen Alltag. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Schülerinnen und Schüler nach wie vor große Defizite im Wissen und im Gebrauch von Strategien aufweisen. Vor diesem Hintergrund ist es interessant, der Frage nachzugehen, wie kognitive Strategien generell erworben werden. Hier lohnt sich vor allem ein Blick auf die entwicklungspsychologische Forschung zum Strategieerwerb (Flavell, 1970; Flavell, Miller & Miller, 2001; Hasselhorn, 1996). Flavell (1970) und später Hasselhorn (1996) unterscheiden vier Stufen des Strategieerwerbs, die typischerweise durchlaufen werden, wenn Kinder eine neue Strategie erwerben. Diese sind dabei durch spezifische Charakteristika bzw. spezielle Defizite gekennzeichnet: 1. Mediationsdefizit: In dieser ersten Phase zeigen die Kinder noch keinerlei Strategiegebrauch, auch dann nicht, wenn dieser von einem kompetenten und vertrauten Modell vorgeführt wird. Als Erklärung Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus B. Brünken, S. Münzer und B. Spinath: Pädagogische Psychologie – Lernen und Lehren (9783840922145) © 2019 Hogrefe Verlag, Göttingen. Universitätsbibliothek FernUniversität Hagen / 132.176.170.178 (2023-10-03 16:41) 224 Kapitel 8 hierfür nehmen die Autoren an, dass es den Kindern zu diesem Zeitpunkt noch an den kognitiven Voraussetzungen (den Mediatoren) zur Strategieausführung fehlt. Mediationsdefizite treten daher typischerweise eher bei jungen Kindern auf. 2. Produktionsdefizit: Ein Produktionsdefizit liegt vor, wenn die Lernenden zwar prinzipiell dazu in der Lage wären, eine Strategie auszuführen, diese aber nicht spontan zeigen. Werden sie jedoch dazu explizit angeleitet, zeigen sie diese Strategie durchaus mit Erfolg, allerdings behalten sie die Strategie noch nicht längerfristig bei. 3. Nutzungsineffizienz: Das Stadium der Nutzungsineffizienz (Hasselhorn, 1996) stellt die nächste Phase des Strategieerwerbs dar. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass die Lernenden eine Strategie durchaus selbstständig und spontan anwenden, diese jedoch noch nicht zu einer Leistungsverbesserung führt. Hierbei handelt es sich wohl um ein Zwischenstadium, das auf der noch ungewohnten und kognitiv aufwendigen Anwendung einer neuen Strategie beruht. Dies führt in der Praxis zu einem häufig zu beobachtenden Phänomen, das als mathematantischer Effekt bezeichnet wird (Clark, 1990): Typischerweise führt die Vermittlung einer neuen Lernstrategie zunächst dazu, dass die Leistung der Lernenden sinkt, statt wie erhofft zu steigen. Der Effekt lässt sich einfach mit der in Kapitel 2 beschriebenen Cognitive Load Theory (Plass, Moreno & Brünken, 2010) erklären: Da die neue Strategie für den Lernenden zunächst noch ungewohnt und nicht eingeübt ist, erfordert ihre Anwendung kognitive Ressourcen, die dann für den eigentlichen Lernprozess nicht mehr zur Verfügung stehen. Dieser Effekt verschwindet mit zunehmender Automatisierung des Strategiegebrauchs. 4. Kompetenter Strategiegebrauch: Schließlich erreicht der Lernende das Stadium des kompetenten Strategiegebrauchs, bei dem er nicht nur dazu in der Lage ist, eine Lernstrategie kompetent einzusetzen, sondern auch über entsprechende metakognitive Kompetenzen verfügt, die es ihm ermöglichen, einzuschätzen, wann und unter welchen Bedingungen der Einsatz einer bestimmten Strategie zielführend ist. Das Generieren von Bildern als Lernstrategie In einer Studie zum Lernen mit selbst generierten Bildern haben Seufert, Zander und Brünken (2007) zeigen können, dass das Phasenmodell des Strategieerwerbs nicht nur zur Erklärung basaler kognitiver Strategien bei Kindern geeignet ist, sondern sich auch beim Erwerb neuer, komplexer Strategien bei Erwachsenen nachweisen lässt. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus B. Brünken, S. Münzer und B. Spinath: Pädagogische Psychologie – Lernen und Lehren (9783840922145) © 2019 Hogrefe Verlag, Göttingen. Selbstreguliertes Lernen 225 In einer ersten Studie wurden zwei Gruppen miteinander verglichen, die unterschiedlich instruiert wurden; während eine Gruppe aufgefordert wurde, den Text in irgendeiner Form zu repräsentieren (neutrale Instruktion), wurde die zweite Gruppe aufgefordert, dies in Form von Visualisierungen zu tun (Bildinstruktion). Es zeigte sich, dass die Probanden der Visualisierungsgruppe mehr Bilder anfertigten als die der neutralen Gruppe und auch einen höheren Lernerfolg erzielten. In der zweiten Studie wurden zusätzlich Anzahl und Qualität der Visualisierungen erfasst sowie das räumliche Vorstellungsvermögen der Lernenden erhoben(vgl. Abb. 23). 2 6 5 1,5 4 Bildgüte Bildanzahl Universitätsbibliothek FernUniversität Hagen / 132.176.170.178 (2023-10-03 16:41) In zwei experimentellen Studien gingen die Autoren dabei der Frage nach, ob sich die Lernleistung beim Erwerb von Wissen aus komplexen Texten dadurch verbessern lässt, dass die Lernenden die Textinhalte zusätzlich grafisch visualisieren. Dazu wurden Texte verwendet, deren Inhalte eine Visualisierung nahelegten (z. B. in einem Text, der den Verlauf einer Schulnotenentwicklung über mehrere Jahre zum Gegenstand hatte). 3 2 1 0,5 1 0 0 neutrale Instruktion Bildinstruktion geringere räumliche Fähigkeiten Abbildung 23: neutrale Instruktion Bildinstruktion höhere räumliche Fähigkeiten Ergebnisse der Studie 2: Bildanzahl und -güte in Abhängigkeit von der Instruktion und dem räumlichen Vorstellungsvermögen (aus Seufert et al., 2007) Die Ergebnisse des zweiten Experimentes zeigten, dass durch die Instruktion zwar die Anzahl der Bilder erhöht werden konnte, nicht jedoch deren Güte. Für die räumlichen Fähigkeiten zeigte sich ein Interaktionseffekt: Lernende mit geringeren räumlichen Fähigkeiten verbessern den funktionalen Bildeinsatz durch die Instruktion nicht, was im Sinne eines Mediationsdefizits interpretiert werden kann, wohingegen Lernende mit höheren räumlichen Fähigkeiten unabhängig von der Instruktion häufigen Strategieeinsatz und gute Leistungswerte zeigten. Ihre ausgeprägteren Fähigkeiten wirken sich hier also kompensierend auf den fehlenden Strategieeinsatz aus, was für ein Produktionsdefizit spricht. Insgesamt zeigt die Studie exemplarisch zweierlei: zum einen, dass der Einsatz von Lernstrategien nicht bedingungslos erfolgreich ist, sondern vor dem Hintergrund der individuellen Lernervoraussetzungen und der Phase des Strategieerwerbs zu unterschiedlichen Effekten führen kann. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus B. Brünken, S. Münzer und B. Spinath: Pädagogische Psychologie – Lernen und Lehren (9783840922145) © 2019 Hogrefe Verlag, Göttingen. 226 Kapitel 8 Und zweitens, dass es weniger das quantitative Ausmaß des Strategieeinsatzes ist, das über den Erfolg entscheidet, als vielmehr dessen Qualität – ein Umstand, auf den auch Elzen-Rump und Leutner (2007) in ihrem EPOS-Modell (vgl. Abschnitt 8.2.2) hinweisen. Universitätsbibliothek FernUniversität Hagen / 132.176.170.178 (2023-10-03 16:41) Zusammenfassung Dem selbstregulierten Lernen wird als Voraussetzung für die Bewältigung der Anforderungen moderner Wissensgesellschaften eine Schlüsselrolle zugewiesen. Demensprechend vielfältig und umfangreich ist die pädagogisch-psychologische Forschung zu diesem Thema. Diese befasst sich mit der Analyse der Struktur, des Prozesses, der Förderung und den Voraussetzungen selbstregulierten Lernens. Regulation wird dabei aus einer kybernetischen Perspektive als ein Steuerungsprozess aufgefasst, der auf einem permanenten Vergleich des aktuell erreichten Ist-Zustandes mit einem normativen Soll-Zustand eines Systems beruht. Wird dieser Prozess external (z.B durch Lehrer) durchgeführt, spricht man von Fremdregulation, erfolgt er durch das System (den Lerner), handelt es sich um Selbstregulation. Die Regulation kann dabei auf verschiedenen Ebenen erfolgen, die durch Strukturmodelle der Selbstregulation beschrieben werden. Prozessmodelle hingegen beschreiben die einzelnen Schritte im Regulationskreislauf. Selbstregulation erfordert den Einsatz von Strategien, d. h. planmäßig eingesetzten Verhaltensmustern zur Erreichung der Regulationsziele. Diese Strategien lassen sich, je nach Regulationsziel, in verschiedene Kategorien einteilen. Verbreitet ist die Unterscheidung in (lernprozessbezogene) kognitive Strategien, (lernzielbezogene) metakognitive Strategien, ressourcenbezogene Strategien sowie motivationale und emotionale Strategien. Selbstreguliertes Lernen erfolgt ebenso wie der Einsatz von Lernstrategien nicht automatisch durch den Lerner, sondern ist selbst Ergebnis eines Lernprozesses. Das heißt einerseits, dass selbstreguliertes Lernen gelernt (und gelehrt) werden kann, andererseits, dass die Ausführung selbstregulierten Lernens und der Einsatz von Lernstrategien beim Lerner selbst einen Lernprozess durchläuft. Letzteres kann man anhand charakteristischer Defizite beim Strategiegebrauch in Phasen einteilen (Mediationsdefizit, Produktionsdefizit, Nutzungsineffizienz, kompetenter Strategiegebrauch). Dass Lernstrategien grundsätzlich erfolgreich vermittelt werden können, Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus B. Brünken, S. Münzer und B. Spinath: Pädagogische Psychologie – Lernen und Lehren (9783840922145) © 2019 Hogrefe Verlag, Göttingen. Selbstreguliertes Lernen 227 Universitätsbibliothek FernUniversität Hagen / 132.176.170.178 (2023-10-03 16:41) belegen Metaanalysen, die aber auch zeigen, dass die Stärke des zu erwartenden Effektes von vielen Rahmenbedingungen abhängt (Art des trainierten Prozesses, Lernervoraussetzungen, Inhaltsdomäne, Art des Messinstruments). Eine derzeit noch kontrovers diskutierte Frage dreht sich um die Domänenspezifität bzw. den zu erwartenden Transfer beim Training von Lernstrategien. Aus einer pädagogisch-praktischen Perspektive wäre es natürlich wünschenswert, wenn es gelänge, Lernstrategien unabhängig von spezifischen Domänen generell zu trainieren (z. B. in speziellen Unterrichtsstunden wie dem Seminarfach). Dies würde aber nur dann Sinn machen, wenn zu erwarten wäre, dass die dort trainierten Fähigkeiten auf den Einsatz in allen Schulfächern und darüber hinaus im Sinne einer allgemeinen Kompetenz transferiert werden könnten. Forschungsergebnisse zum Transfer gemahnen hier jedoch zur Vorsicht (Mähler & Stern, 2010). Ebenso sprechen die vorliegenden Metaanalysen eher für eine domänenspezifische Wirkung. Dies mag jedoch auch damit zusammenhängen, dass die meisten Lernstrategietrainings im Kontext spezifischer Inhaltsdomänen (z. B. Deutsch, Mathematik oder Naturwissenschaften; vgl. Landmann & Schmitz, 2007) entwickelt und evaluiert wurden. Schließlich stellt sich die Frage, wie domänenunabhängige Lernstrategietrainings aussehen könnten und wie sich diese von allgemeinen kognitiven Trainings (Klauer, 2001a) unterscheiden würden (vgl. Kap. 12). Ein deutlicher Schwerpunkt der Trainingsprogramme zu Aspekten selbstregulierten Lernens der letzten Jahre lag auf der Vermittlung kognitiver und metakognitiver Lernstrategien, die sich auch meist als wirksam und effektiv herausgestellt haben. In jüngster Zeit kann man – wie auch in anderen Bereichen der pädagogisch-psychologischen Lehr-Lernforschung – ein zunehmendes Interesse zur Erweiterung dieses „kognitiven“ Fokus hin zur Berücksichtigung motivationaler und emotionaler Einflussfaktoren erkennen (z. B. Götz & Nett, 2011). Hier besteht jedoch noch erheblicher Forschungsbedarf. Weiterführende Landmann, M. & Schmitz, B. (Hrsg.). (2007). Selbstregulation erfolgreich fördern. Literatur Stuttgart: Kohlhammer. Mandl, H. & Friedrich, H. F. (Hrsg.). (2006). Handbuch Lernstrategien. Göttingen: Hogrefe. Schunk, D. H. & Greene, J. A. (2017). Handbook of Self-regulation of Learning and Performance (2nd ed.). New York: Routledge. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus B. Brünken, S. Münzer und B. Spinath: Pädagogische Psychologie – Lernen und Lehren (9783840922145) © 2019 Hogrefe Verlag, Göttingen. 228 Kapitel 8 Universitätsbibliothek FernUniversität Hagen / 132.176.170.178 (2023-10-03 16:41) Fragen 1. Welche drei Komponenten liegen dem selbstgesteuerten Lernen nach Brunstein und Spörer (2001) zugrunde? 2. Welche Modelle der Selbstregulation lassen sich grundlegend unterscheiden? Wie sind diese gekennzeichnet? 3. Welche Phasen unterscheidet das Prozessmodell von Schmitz (2001), welches auf Zimmerman basiert? 4. Wie lassen sich Lernstrategien klassifizieren? 5. Was versteht man unter kognitiven Strategien, Motivations- und Emotionsstrategien, Strategien für das kooperative Lernen und Strategien zur Ressourcennutzung? 6. Welche Verfahren bieten sich zur Erfassung selbstregulierten Lernens an? Was sind Vor- und Nachteile? 7. Nach Hasselhorn (1996) werden typischerweise vier Stufen des Strategieerwerbs beim Erlernen einer neuen Strategie durchlaufen. Durch welche Charakteristika sind diese gekennzeichnet? Lösungshinweise finden Sie unter www.hogrefe.de/buecher/lehrbuecher/psychlehrbuchplus Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus B. Brünken, S. Münzer und B. Spinath: Pädagogische Psychologie – Lernen und Lehren (9783840922145) © 2019 Hogrefe Verlag, Göttingen.