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Klinische Psychologie (7. Termin) PDF

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StunnedTerbium

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Universität Bern

Tobias Krieger

Tags

clinical psychology personality psychology mental health psychology

Summary

This document details a clinical psychology lecture on differential psychological aspects and their use in clinical psychology. The lecture covers topics including the difference between traits and states, the Big Five personality factors, and models of how personality and mental disorders are linked.

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Klinische Psychologie (7. Termin) Differentialpsychologische Aspekte und ihr Nutzen für die Klinische Psychologie PD Dr. Tobias Krieger Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie 10.04.2024 Vorlesung 1 ...

Klinische Psychologie (7. Termin) Differentialpsychologische Aspekte und ihr Nutzen für die Klinische Psychologie PD Dr. Tobias Krieger Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie 10.04.2024 Vorlesung 1 „Flashback“ 1. Frage zu Mediation - z.B. Zilcha-Mano et al. (2014) Link 2. Frage zu „Efficacy“ und „Effectiveness“ 2 Fragen, die Sie beantworten können sollten Was ist der Unterschied zwischen Trait und State? Was sind die Big Five? Wie erklärt das Tripartite-Modell Depression und Angststörungen? Welche Big Five Persönlichkeitsfaktoren korrelieren gemäss Metaanalysen mit Depression und Angststörungen? Erklären Sie die verschiedenen Modelle, die beschreiben, wie Persönlichkeit und psychische Störungen zusammenhängen können Welche Implikationen kann die Forschung zum Zusammenhang von Persönlichkeit und psychischen Störungen haben? Nennen Sie Merkmale einer Persönlichkeitsstörung (PS) nach DSM-5 In Bezug auf welche Aspekte gibt es im Kriterium A des Alternativen Modells der PS (AMPS) nach DSM-5 mögliche Funktionsbeeinträchtigungen? Nennen Sie die 5 Domänen (siehe Kriterium B) im AMPS nach DSM-5? Was bedeutet „ich-synton“ und „ich-dyston“? Was sind mögliche Probleme mit dem Begriff/der Diagnose Persönlichkeitsstörung? Was ist mit Treatment-Aptitude-Ansätzen gemeint? Nennen Sie ein Beispiel eines solchen Ansatzes Was versteht man unter „direktivem“ resp. „nicht-direktivem“ Therapeut:innenverhalten 3 Differentielle Psychologie Allgemeine Psychologie: Fokus auf allgemeine Gesetzmässigkeiten und Gemeinsamkeiten im Erleben und Verhalten Differentielle Psychologie: Fokus auf die Beschreibung, Erklärung und Vorhersage interindividueller Unterschiede im Erleben und Verhalten Wichtiges Konstrukt zur Beschreibung, Erklärung und Vorhersage interindividueller Unterschiede: Persönlichkeit bzw. Persönlichkeitsmerkmale (Traits) è Persönlichkeit = die Gesamtheit aller überdauernden individuellen Besonderheiten im Erleben und Verhalten eines Menschen 4 „Trait“ vs. „State“ Ø Von den relativ stabilen Persönlichkeitseigenschaften (= Traits) abzugrenzen ist der Begriff des aktuellen Zustandes einer Person (= State), der sich über die Zeit und Situationen deutlicher verändert. Beispiel Unterscheidung State-Trait-Angst nach Spielberger (1973) 5 Die „Big Five“ im letzten Jahrhundert wurden verschiedenste Persönlichkeitsklassifikationen vorgeschlagen seit den 1980er Jahr wurde vieles im Fünf-Faktoren-Modell (FFM) integriert FFM nimmt an, dass verschiedene spezifische Persönlichkeitsmerkmale letztlich 5 generellen Faktoren zugeordnet werden können (the „Big Five“) – Neurotizismus – Extraversion – Offenheit für Erfahrungen – Gewissenhaftigkeit (‚conscientiousness‘) – Verträglichkeit (‚agreeableness‘) Diese “Superfaktoren“ (oder „Faktoren 2. Ordnung“) entsprechen der höchsten Hierarchieebene und ergeben sich faktoranalytisch aus noch miteinander korrelierenden Subskalen / Dimensionen / Facetten / spezifischeren Persönlichkeitsmerkmalen (Faktoren 1. Ordnung). 6 Neurotizismus (auch „Negative Emotionalität“) Neurotizismus bezeichnet die stabile Tendenz, negative Emotionen und damit einhergehende Beschwerden und Kognitionen (z.B. Grübeln) zu erfahren Facette/Dimension Belastbarkeit Negative Emotionalität (tiefer Neurotizismus) (hoher Neurotizismus) Ängstlichkeit unbesorgt, entspannt ängstlich, besorgt Reizbarkeit ruhig, gelassen reizbar, erregbar, frustriert Depressivität optimistisch pessimistisch Soziale Befangenheit ungezwungen, unbefangen befangen, gehemmt Impulsivität beherrscht, kontrolliert ungezügelt, exzessiv Vulnerabilität stressresistent vulnerabel, verletzlich Facetten / Dimensionen / Faktoren 1. Ordnung von Neurotizimus 7 Extraversion (auch „Positive Emotionalität“) Extraversion zeichnet sich durch eine nach aussen gewandte Haltung aus (im Gegensatz zu Introversion). Extraversion und Introversion sind zwei Pole einer Persönlichkeitseigenschaft Facette/Dimension introvertiert extravertiert Freundlichkeit eher reserviert, formell herzlich, freundlich Geselligkeit zieht Zurückgezogenheit vor gesellig Durchsetzungsfähigkeit zurückhaltend bestimmt; durchsetzend Aktivität weniger Aktivität, mehr Ruhe hoher Grad von Aktivität Risikofreude, Abenteuerlust, geringer Bedarf an liebt Erregung und Aufregung Erlebnishunger Aufregungen, selbstgenügsam Heiterkeit nüchtern, trocken heiter, fröhlich 8 Offenheit für Erfahrungen Offenheit für Erfahrungen: Mit diesem Faktor wird das Interesse und das Ausmass der Beschäftigung mit neuen Erfahrungen, Erlebnissen und Eindrücken beschrieben Facette/Dimension konservativ, beharrlich, offen, kreativ, beweglich, unbeweglich, traditionell neugierig, liberal Fantasie pragmatisch, im Hier und Jetzt imaginativ, kreativ, visionär Ästhetik künstlerisch wenig Interesse; schätzt Kunst, z.B. Malerei, schnörkellos, ungekünstelt Musik, Poesie Emotionalität ignoriert Gefühle; Gefühle spielen erlebt Gefühle intensiv, keine Rolle; eher trocken- Gefühle spielen eine Rolle sachlich Unternehmungslust, konservativ – konventionell; zieht Neues vor, schätzt Neugier verharrt im Vertrauten Vielfalt und Veränderung Intellektualismus eher konkret und pragmatisch eher intellektuell, abstrakt, spekulativ Liberalismus konservativ, traditionell offen für die Infragestellung von Werten, liberal 9 Verträglichkeit Verträglichkeit beschreibt die Neigung zum Altruismus, zur Kooperation und Nachgiebigkeit Facette/Dimension kompetitiv, antagonistisch kooperativ, verträglich Vertrauen misstrauisch und vorsichtig vertrauensvoll gegenüber gegenüber anderen anderen Moral hält sich „bedeckt“, ist vorsichtig, aufrichtig, geradeheraus zeigt seine Karten nicht offen Altruismus egozentrisch, auf die eigenen altruistisch, um das Wohl des Ziele gericht Gegenübers bemüht Entgegenkommen kompetitiv, aggressiv kooperativ, entgegenkommend, anpassend Bescheidenheit überlegen, Anspruchshaltung bescheiden Mitgefühl distanziert zurückhaltend mitfühlend teilnehmend 10 Gewissenhaftigkeit Gewissenhaftigkeit beschreibt in erster Linie den Grad der Selbstkontrolle, Genauigkeit und Zielstrebigkeit Facette/Dimension nachlässig, locker gewissenhaft Kompetenz irritierbar, verunsicherbar selbstüberzeugt, sicher, fähig und effektiv Ordnung unorganisiert, unmethodisch, gut organisiert, systematisch, chaotisch ordentlich Pflichtbewusstsein flüchtig, unzuverlässig, locker gewissenhaft, zuverlässig Leistungsstreben geringes Bedürfnis nach Erfolg, ehrgeizig - erfolgsorientiert gleichgültig Selbstdisziplin nachlässig, zerstreut, ablenkbar Fokus auf Erledigung der Aufgabe, konzentriert Sorgfalt, Umsicht hastig, planlos, spontan Sorgfalt, Unbeirrtheit, Nachhaltigkeit Bei Interesse è Link zu Selbsttest mit Feedback: https://de.outofservice.com/bigfive/ 11 Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und psychischen Störungen Bekanntes Tripartite-Modell von Clark und Watson (1999): Depression gekennzeichnet durch hohe negative Emotionalität und tiefe positive Emotionalität (Angststörungen: nur negative Emotionalität plus Hyperarousal) Tiefe positive Hohe negative Hyperarousal Emotionalität / Emotionalität / Extraversion Neurotizismus Angststörungen Depression 12 Tripartite-Modell empirisch nicht vollständig bestätigt Metaanalyse (Kotov et al., 2010): Zusammenhang von Big-Five mit Depression und Angststörungen Geringe Hohe negative Gewissenhaftig- Geringe Emotionalität / keit positive Neurotizismus Emotionalität / Extraversion starker stärkster Zusammenhang nur mittelstarker Zusammenhang Zusammenhang Depression Ø Ähnliches Muster auch bei Angststörungen gefunden 13 Modelle, wie Persönlichkeit und psychische Störungen zusammenhängen können (Klein et al., 2011) 1. Common Cause Modell: Persönlichkeit und psychische Störungen haben gemeinsame Ursachen, sind aber nicht „direkt“ miteinander verbunden (Zusammenhang erklärt sich aus der gemeinsamen Ursache) z.B. gemeinsame genetische Risikofaktoren hohe Neurotizismuswerte Depression Empirische Evidenz: Zwillingsstudien, in welchen gezeigt wurde, dass Neurotizismus und Depression mit geteilten genetischen Risikofaktoren verbunden sind (z.B. Kendler et al., 2006) 14 Modelle, wie Persönlichkeit und psychische Störungen zusammenhängen können (Klein et al., 2011) 2. Kontinuum-Modell: Spezifische Persönlichkeitsmerkmale und spezifische psychische Störungen bilden ein Kontinuum. Psychische Störungen entsprechen Extremwerten auf diesem Kontinuum. Cut-Off Depression geringer Neurotizismus hoher Neurotizismus Empirische Evidenz spricht eher dagegen: Persönlichkeitsvariablen (z.B. Neurotizismus) hängen typischerweise nicht spezifisch mit einer spezifischen Störung zusammen. Zum Beispiel sind Neurotizismuswerte sowohl bei Depression, als auch Angst- und anderen Störungen erhöht (= Multifinalität). 15 Modelle, wie Persönlichkeit und psychische Störungen zusammenhängen können (Klein et al., 2011) 3. Vorläufermodell: Persönlichkeitsmerkmale sind Vorläufer psychischer Störungen. Spricht nicht gegen Modell 1 oder 2, aber es wird eine klare zeitliche Sequenz angenommen (hohe Ausprägung eines Traits è fördert die spätere Entwicklung einer psychischen Störung) Zeitpunkt 1: Zeitpunkt 2: hoher Neurotizismus Depression Empirische Evidenz: Verschiedene Längsschnittstudien zeigen, dass höhere Neurotizismuswerte das Auftreten einer späteren Depression voraussagen (z.B. de Graaf et al., 2002) 16 Modelle, wie Persönlichkeit und psychische Störungen zusammenhängen können (Klein et al., 2011) 4. Prädispositionsmodell: Bestimmte Persönlichkeitsmerkmale prädisponieren zur Entwicklung psychischer Störungen (= Vulnerabilitäts-Stress-Modell) Ø Wie im Vorläufermodell wird angenommen, dass die Persönlichkeitsmerkmale schon vor dem Auftreten der psychischen Störung da sind. Ø Im Gegensatz zum Kontinuumsmodell wird aber angenommen, dass die Persönlichkeit nur ein Risikofaktor darstellt und es keine phänomenologische Ähnlichkeit oder ein Kontinuum von Persönlichkeit zu psychischen Störungen gibt. Empirische Evidenz stützt eher das Prädispositions- als das Kontinuumsmodell, weil die gleichen Persönlichkeitsmerkmale mit unterschiedlichen Störungen zusammenhängen können 17 Modelle, wie Persönlichkeit und psychische Störungen zusammenhängen können (Klein et al., 2011) 5. Pathoplastizität: bezieht sich auf die sich gegenseitig beeinflussende, nicht- ätiologische Beziehung zwischen Psychopathologie und Persönlichkeit. Auf diese Weise beeinflussen Psychopathologie und Persönlichkeit die Ausprägung des jeweils anderen (z.B. Persönlichkeit beeinflusst das Ausmass und das Muster an Symptomen); aber keine der beiden verursacht ausschliesslich die andere. Neurotizismus Ausprägung, Verlauf der Depression (auch Ansprechen auf Behandlung) Empirische Evidenz: Verschiedene Studien zeigen, z.B. dass höhere Neurotizismuswerte und geringere Extraversionswerte mit einem schlechteren Verlauf einer Depression und einem schlechteren Ansprechen auf die Behandlung zusammenhängen (z.B. Tang et al., 2009) 18 Modelle, wie Persönlichkeit und psychische Störungen zusammenhängen können (Klein et al., 2011) 6. Begleiterscheinungsmodell: Die psychische Störung verändert/“färbt“ die Persönlichkeit während der Phase der psychischen Störung. Ist die psychische Störung abgeklungen, kehrt die Persönlichkeit wieder auf den prämorbiden Zustand zurück. Empirische Evidenz: Ø Individuen geben in einer Depression höhere Neurotizismuswerte an, als wenn sie nicht in einer Depression sind (z.B. Kendler et al., 1993) Ø Aber: Extraversion geringer bei „remittierten“ Depressiven als bei gesunden Kontrollen (Personen, die nie depressiv waren). Kann dagegen sprechen, dass Persönlichkeitsmerkmale wieder auf den prämorbiden Zustand zurückkehren 19 Modelle, wie Persönlichkeit und psychische Störungen zusammenhängen können (Klein et al., 2011) 7. Konsequenzmodell: Die psychische Störung hat einen anhaltenden Effekt auf die Persönlichkeit. Veränderungen in der Persönlichkeit bleiben auch postmorbid bestehen, also auch wenn psychische Störung „geheilt“ ist. Empirische Evidenz: Ergebnisse inkonsistent. Einige Studien, die Neurotizismuswerte vor und nach einer depressiven Episode verglichen haben, fanden eine Erhöhung des Neurotizismus (Kendler et al., 1993), andere nicht (Ormel et al., 2004) 20 Zusammenfassung zu Modellen, wie Persönlichkeit und psychische Störungen zusammenhängen können Assoziationen zwischen Persönlichkeitstraits wie Neurotizimus und psychischen Störungen sind vielfältig und komplex (bis auf das Kontinuum-Modell gibt es für alle Modelle empirischen Support): Ø Persönlichkeitsmerkmale (insb. Neurotizismus) und psychische Störungen haben teils gemeinsame Ursachen (Common Cause Modell) Ø Sie sagen das Auftreten psychischer Störungen voraus (Vorläufermodell) Ø Sie prädisponieren (sind Risikofaktoren) für die Entwicklung psychischer Störungen Ø Sie beeinflussen die Ausprägung, die Art der Symptomatik und den Verlauf psychischer Störungen und deren Behandlung (Pathoplastizität) Ø Psychische Störungen wiederum verändern die Persönlichkeit während der Phase der psychischen Störung (Begleiterscheinungsmodell) und haben möglicherweise auch längerfristige Konsequenzen auf die Persönlichkeit (Konsequenzmodell) 21 Mögliche Implikationen der Forschung zum Zusammenhang von Persönlichkeit und psychischen Störungen Persönlichkeitsmerkmale können helfen Menschen zu identifizieren, die gefährdet sind, eine psychische Störung zu entwickeln und von Präventionsmassnahmen profitieren könnten (selektive Prävention) Persönlichkeitsmerkmale können helfen, den Behandlungserfolg vorauszusagen und die Behandlung frühzeitig anzupassen (siehe später: differentielle Indikation) Die Erforschung von Persönlichkeit kann helfen die Ätiologie psychischer Störungen besser zu verstehen, Subgruppen bei Störungen zu identifizieren und möglicherweise auch ein ätiologisch fundierteres Klassifikationssystem aufzubauen (siehe später) 22 Kontinuum von Stil zu Störung (wenn stark ausgeprägt und unflexibel über viele Situationen) Stil Störung 23 Persönlichkeitsstörung (PS; DSM-5) A. Ein überdauerndes Muster von innerem Erleben und Verhalten, das merklich von den Erwartungen der soziokulturellen Umgebung abweicht. Dieses Muster ist unflexibel und tiefgreifend in einem weiten Bereich persönlicher und sozialer Situationen. Es manifestiert sich in mindestens zwei der folgenden Bereiche: 1. Kognition 2. Affektivität 3. Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen 4. Impulskontrolle B. Das überdauernde Muster führt in klinisch bedeutsamer Weise zu Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. C. Das Muster ist stabil und lang andauernd, und sein Beginn ist mindestens bis in die Adoleszenz oder ins frühe Erwachsenenalter zurückzuverfolgen. D. Das überdauernde Muster lässt sich nicht besser als Manifestation oder Folge einer anderen psychischen Störung erklären. E. Das überdauernde Muster ist nicht Folge der physiologischen Wirkung einer Substanz oder eines medizinische Krankheitsfaktors. 24 Persönlichkeitsstörungen - Übersicht (DSM-5) Cluster-A-Persönlichkeitsstörungen (sonderbar oder exzentrisch) Bei der Paranoiden Persönlichkeitsstörung findet sich ein Muster von Misstrauen und Argwohn und zwar in dem Sinne, dass die Motive anderer als böswillig ausgelegt werden. Bei der Schizoiden Persönlichkeitsstörung findet sich ein Muster von Distanziertheit in sozialen Beziehungen und von eingeschränkter Bandbreite emotionaler Ausdrucksmöglichkeiten. Bei der Schizotypen Persönlichkeitsstörung findet sich ein Muster von starkem Unbehagen in nahen Beziehungen, von Verzerrungen des Denkens und der Wahrnehmung sowie von Eigentümlichkeiten des Verhaltens. Cluster-B-Persönlichkeitsstörungen (dramatisch, emotional oder launisch) Bei der Antisozialen Persönlichkeitsstörung findet sich ein Muster von Missachtung und Verletzung der Rechte anderer. Bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung findet sich ein Muster von Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten sowie von deutlicher Impulsivität. Bei der Histrionischen Persönlichkeitsstörung findet sich ein Muster von übermässiger Emotionalität und von Heischen nach Aufmerksamkeit. Bei der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung findet sich ein Muster von Grossartigkeitsgefühlen, einem Bedürfnis nach Bewundertwerden sowie mangelnder Empathie. Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen (ängstlich oder furchtsam) Bei der Vermeidend-Selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung findet sich ein Muster von sozialer Hemmung, Unzulänglichkeitsgefühlen und Überempfindlichkeit gegenüber negativer Bewertung. Bei der Dependenten Persönlichkeitsstörung findet sich ein Muster von unterwürfigem und anklammerndem Verhalten, das in Beziehung zu einem übermässigen Bedürfnis nach Umsorgtwerden steht. Bei der Zwanghaften Persönlichkeitsstörung findet sich ein Muster von ständiger Beschäftigung mit Ordnung, Perfektion und Kontrolle. 25 „Parking Lot of the Personality Disordered“ 1 paranoid „Schon wieder zugeparkt!!!“ 2 narzisstisch größtes Auto, imposante Kühlerfigur 3 dependent braucht andere Autos zum Schutz 4 passiv-aggr. Parkt quer, um zwei Parkplätze zu b 5 borderline fährt ins Auto des Ex-Lovers 6 antisozial blockiert andere Autos 7 histrionisch parkt im Zentrum mit dramatischer. Wirkung. 8 zwanghaft hat perfekt eingeparkt! 9 selbstunsicher versteckt sich in der Ecke 10 schizoid kann keine Nähe ertragen 11 schizotypisch «intergalaktisches parken» 26 Prävalenzen von PS (Allgemeinbevölkerung und klinischer Kontext) Allgemeinbevölkerung (aus Volkert et al. 2018; Klinischer Kontext (z.B. Zimmerman et al. 2005) Expertenrating) Selbstunsichere PS 1.2% 14.7% Zwanghafte PS 2.4% 8.7% Narzisstische PS 0.3% 2.3% Dependente PS 0.2% 1.4% Paranoide PS 1.0% 4.2% Histrionische PS 0.2% 1.0% Schizoide PS 1.8% 1.4% Schizotype PS 0.7% 0.6% 9.3% Borderline PS 0.9% (in anderen Studien bis 24%!) 27 PS sind oft ich-synton Ich-Syntonie: Eigenes Verhalten und Erleben wird selbst nicht als störend, abweichend oder normverletzend empfunden. Es wird als Ich-zugehörig wahrgenommen. Ich-Dystonie: Phänomene, Zustände, Symptome psychischer Störungen werden als fremd, störend, nicht zu einem gehörig erlebt (z.B. Panikattacken) eher ich - dyston Ø Unterschiede zwischen den verschiedenen PS eher ich - synton 28 Zwei Beispiele von Persönlichkeitsstörungen 29 Narzisstische Persönlichkeitsstörung (nach DSM-5) „Nur wenn mich alle toll finden und auch so behandeln, geht es mir gut“ Ein tiefgreifendes Muster von Grossartigkeit (in Fantasie oder Verhalten), Bedürfnis nach Bewunderung und Mangel an Empathie. Der Beginn liegt im frühen Erwachsenenalter, und das Muster zeigt sich in verschiedenen Situationen. Mindestens fünf der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein: 1. Hat ein grandioses Gefühl der eigenen Wichtigkeit (z.B. übertreibt die eigenen Leistungen und Talente; erwartet, ohne entsprechende Leistungen als überlegen anerkannt zu werden). 2. Ist stark eingenommen von Fantasien grenzenlosen Erfolgs, Macht, Glanz, Schönheit oder idealer Liebe. 3. Glaubt von sich, „besonders“ und einzigartig zu sein und nur von anderen besonderen oder angesehenen Personen (oder Institutionen) verstanden zu werden oder nur mit diesen verkehren zu können. 4. Verlangt nach übermässiger Bewunderung. 5. Legt ein Anspruchsdenken an den Tag (d.h. übertriebene Erwartungen an eine besonders bevorzugte Behandlung oder automatisches Eingehen auf die eigenen Erwartungen). 6. Ist in zwischenmenschlichen Beziehungen ausbeuterisch (d.h. zieht Nutzen aus anderen, um die eigenen Ziele zu erreichen). 7. Zeigt einen Mangel an Empathie: Ist nicht willens, die Gefühle und Bedürfnisse anderer zu erkennen oder sich mit ihnen zu identifizieren. 8. Ist häufig neidisch auf andere oder glaubt, andere seien neidisch auf ihn/sie. 9. Zeigt arrogante, überhebliche Verhaltensweisen oder Haltungen. 30 Narzisstische Persönlichkeitsstörung (NPS) Typische Schemata, Motive und interpersonelles Verhalten Kernmotiv Was möchte er/sie erreichen? Selbstbild nach aussen Selbstbild erhalte Anerkennung und Wie möchte er/sie Dysfunktionales Bestätigung, vermeide Kritik wahrgenommen werden? Selbstschema „Ich bin toll, ich bin „Ich bin ein Versager, ich erfolgreich, ich bin genüge nicht, ich bin allein“ kompetent, ich habe Sonderrechte“ VERHALTEN Fordern einer besonderen Behandlung, setzen von Regeln, nutzen anderer für das Erreichen eigener Ziele in Anlehnung an Sachse und Frank 31 Subtypen der NPS? z.B. „offener“ und „verdeckter“ Narzissmus (z.B. Gabbard, 2005; Wink, 1991) «Offener»(‘overt’) Typus «Verdeckter»(‘covert’) Typus Exhibitionistische Darstellung der erlebten Gehemmt, schüchtern und bescheiden auftretend Grandiosität, ansprüchlich-fordernd hypersensitiv bezüglich Kritik und Zurückweisung, arrogant, kühl, selbstsicher bis aggressiv auftretend Minderwertigkeitsgefühle sind bewusstseinsnah will im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen vermeidet, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen sucht Bewunderung von anderen chronischer Neid, oberflächliche Empathie ausgeprägter Empathiemangel fühlt sich leicht gekränkt; neigt dazu sich beschämt Unempfindlich gegenüber Kränkungen durch andere oder gedemütigt zu fühlen 32 Zwanghafte Persönlichkeitsstörung (nach DSM-5) „Nur wer strengen Regeln folgt, kann Katastrophen verhindern“ Ein tiefgreifendes Muster von starker Beschäftigung mit Ordnung, Perfektion und psychischer sowie zwischenmenschlicher Kontrolle auf Kosten von Flexibilität, Aufgeschlossenheit und Effizienz. Mindestens vier der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein: 1. Beschäftigt sich übermässig mit Details, Regeln, Listen, Ordnung, Organisation oder Plänen, sodass der wesentliche Gesichtspunkt der Aktivität dabei verlorengeht. 2. Zeigt einen Perfektionismus, der die Aufgabenerfüllung behindert (z.B. kann ein Vorhaben nicht beendet werden, da die eigenen überstrengen Normen nicht erfüllt werden). 3. Verschreibt sich übermässig der Arbeit und Produktivität unter Ausschluss von Freizeitaktivitäten und Freundschaften (nicht auf offensichtliche finanzielle Notwendigkeit zurückzuführen). 4. Ist übermässig gewissenhaft und rigide in Fragen von Moral, Ethik oder Werten (nicht auf kulturelle und religiöse Orientierung zurückzuführen). 5. Ist nicht in der Lage, verschlissene oder wertlose Dinge wegzuwerfen, selbst wenn sie nicht einmal Gefühlswert besitzen. 6. Delegiert nur widerwillig Aufgaben an andere oder arbeitet nur ungern mit anderen zusammen, wenn diese nicht genau die eigene Arbeitsweise übernehmen. 7. Ist geizig sich selbst und anderen gegenüber; Geld muss im Hinblick auf befürchtete künftige Katastrophen gehortet werden. 8. Zeigt Rigidität und Halsstarrigkeit. 33 Zwanghafte Persönlichkeitsstörung Typische Schemata, Motive und interpersonelles Verhalten Selbstbild nach aussen Selbstbild Kernmotiv Wie möchte er/sie Dysfunktionales Was möchte er/sie wahrgenommen werden? Selbstschema erreichen? „kompetent, „Inkompetent, nicht Ich muss perfekt sein, pflichtbewusst, wichtig, nichts zu bieten, Kontrolle behalten moralisch überlegen, keine Kontrolle“ distanziert“ VERHALTEN Regeln genau beachten, kontrollieren, bewerten, kritisieren, alles selbst machen in Anlehnung an Sachse und Frank 34 Exkurs: Klinischer Perfektionismus (Shafran et al. 2002) Problem mit Begriff/Diagnose Persönlichkeitsstörung Stigmatisierung („Charakterdefizit“, schwere Störung) Beinhaltet die Idee einer unveränderbaren Disposition, die therapeutisch wenig/nicht beeinflussbar ist (mittlerweile überholt, s. später) Ø PS als Arbeitshypothese in der Psychotherapie hilfreich, aber Zurückhaltung bei der Diagnose Ø PS als Beziehungs-/Interaktionsstörung Ø Verhaltensmuster sind in den „passenden“ Umgebungen auch immer eine Ressource (z.B. histrionische Menschen sind gute Schauspieler:innen, narzisstische Menschen erfolgreiche Manager:innen etc.) 36 Probleme mit Klassifikationssystem von PS Gruppierung der einzelnen Kriterien zu den 10 Kategorien ist empirisch nicht haltbar – Mind. 10 publizierte Studien, in denen alle 79 DSM-IV Kriterien von PS (explorativ) faktoranalysiert wurden: auf der Mehrheit der extrahierten Faktoren luden Kriterien von 3 (oder mehr) verschiedenen PS – Schweregrad der Beeinträchtigung wird nicht berücksichtigt – Zugrundeliegendes normatives Modell einer „gesunden“ Persönlichkeit ist unklar u.a. daraus entstand das Bedürfnis nach einer anderen Art der Klassifikation von PS è Umsetzung im Alternativen Modell von PS im DSM-5 (siehe nächste Folien) und im ICD-11 37 Persönlichkeitsstörungen (PS): Alternatives Modell im DSM-5 Kriterium A: Schweregrad der Funktionsbeeinträchtigung betreffend des Selbst (1. Identität und 2. Selbststeuerung) und Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen (3. Empathie und 4. Nähe) – 5-stufige Schweregradskalierung (0) = gesundes, adaptives Funktionsniveau; (1) = etwas beeinträchtigt; (2) = mittelgradig; (3) = schwer beeinträchtigt; (4) = extrem beeinträchtigt Sechs spezifische PS mit Kriterium B: 5 pathologische Persönlichkeitsdomänen (s.u.) prototypischen Mustern (siehe 25 feingliedrige Merkmalsfacetten (siehe nächste & übernächste Seite) Beispiel übernächste Folie): (erfasst mit Fragebogen: Persönlichkeitsinventar für DSM-5; PID-5) Antisoziale PS 1. Negative Affektivität Vermeidende PS 2. Verschlossenheit Borderline PS 3. Antagonismus Narzisstische PS 4. Enthemmtheit Zwanghafte PS 5. Psychotizismus Schizotype PS Alternativ: „traitspezifizierte PS“ è Kompromiss zw. kategorialer und dimensionaler Diagnostik 38 Exemplarisches individuelles PID-5-Persönlichkeitsprofil; die Balken repräsentieren standardisierte Abweichungen vom Mittelwert der Vergleichsstichprobe (aus Zimmermann et al. 2014) 39 Mind. 2 von 4 Fähigkeitsbereichen von Kriterium A Beispiel: „Vermeidende PS“ mind. „mittelgradig“ (z.B. Nähe und Identität, s.u. rechts für Identität) Deutliche Ausprägung bei mind. 3 von 4 Persönlichkeits spez. Persönlichkeitsfacetten aus Kriterium B (s.u. -probleme links) Bsp. für «Identität» aus Kriterium A; Auszug aus «mittelgradige Negative Verschlossen- Beeinträchtigung» (2) Antagonismus Enthemmtheit Affektivität heit Psychotizismus (vs. Emotionale (vs. (vs. Gewissen- - Übermässige Abhängigkeit von Verträglichkeit) haftigkeit) (vs. Adäquatheit) Stabilität) (vs. Extraversion) anderen bei der Definition der eigenen Identität [...]; - Vulnerabler Selbstwert, der von - übertriebener Sorge um Bewertung - durch andere geprägt ist [...] - [...] Bedrohungen des Selbstwerts können starke Emotionen Überzeugungen u. Erlebnisse Denk- und Wahrnehmungs- Neigung zu Manipulation Verantwortungslosigkeit wie Wut oder Scham auslösen. Rigider Perfektionismus Vermeidung von Nähe Neigung zu riskantem Emotionale Labilität Sozialer Rückzug Aufmerksamkeit Trennungsangst Unterwürfigkeit Perseveration Ungewöhnliche Feindseligkeit Ablenkbarkeit Depressivität Unehrlichkeit Ängstlichkeit Gefühlskälte Exzentrizität Grandiosität Suche nach Affektarmut Impulsivität Misstrauen Anhedonie störungen Verhalten 40 Persönlichkeitsstörungen im DSM-5 (alternatives Modell) und im ICD-11 Klassifikation im ICD-11 teilweise ähnlich wie im Alternativen Modell von PS im DSM-5 è Borderline Persönlichkeitsstörung bleibt als einzige diskrete Störung in ICD-11 erhalten 41 Nutzen für die Psychotherapie: Empirische Hinweise Persönlichkeitszüge beeinflussen die Wirksamkeit von Behandlungen (Bucher et al. 2019) Personen mit einer PS sprechen schlechter auf psychotherapeutische Behandlungen an (z.B. depressive Störungen: Newton-Howes et al. 2014) scheinbar kein Unterschied in Bezug auf Pharmakotherapie (Cave: bisher sehr wenige Studien; Cavanagh et al. 2021) Persönlichkeitsaspekte lassen sich verändern (z.B. Brent et al. 2017) Persönlichkeitsstörungen lassen sich behandeln (z.B. BPD: Rameckers et al. 2021) (sofern eine Änderungsmotivation vorhanden ist) 42 Forschung zu differentieller Indikation Ø „WHAT treatment, BY WHOM, is most effective for THIS individual with THAT specific problem and under WHICH set of cirumstances?“ (Gordon Paul, 1967) Ø Treatment-Aptitude Forschung und Ansätze: Welche Merkmale einer Person interagieren mit der Wirksamkeit einer Intervention und wie muss das therapeutische Vorgehen an die/den spezifische/n Patient:in angepasst werden 43 Bekanntester Treatment-Aptitude Ansatz in der klinischen Psychologie: Systematic Treatment Selection (STS) (Beutler & Clarkin, 1990) Modell zur differentiellen Selektion von Interventionen auf der Basis von individuellen Patient:innenmerkmalen Atheoretisch à Basis sind empirische Studien zur Frage, bei welchen Patient:innen welche Interventionen besser oder weniger gut wirken (Studien zu Patient-Behandlungs-Interaktionen) – Patient x treatment - Interaktionen wurden z.B. bei Depressiven, Angst- und Suchtpatient*innen, sowie gemischten Stichproben ambulanter Patient*innen untersucht und validiert Präskriptive Therapie, die daraus entstanden ist, berücksichtigt die wichtigsten Patient:innenmerkmale, auf die sich ein:e Therapeut:in differentiell einstellen sollte Modell wurde von APA als «empirically supported» anerkannt (Norcross, 2002) 44 Logik der präskriptiven Therapie erfolgreiches Patient:innenmerkmale Therapeut*innenverhalten (Indexing Cues) Ø Erschliessbar aus: - Lebensgeschichte wenig erfolgreiches - aktuellem Verhalten - Fragebogendaten Therapeut*innenverhalten -… Bsp: zentrale Patientenmerkmale (Beutler & Harwood, 2000) (1) Grad der Funktionsbeeinträchtigung (2) Bewältigungsstile: insb. Externalisierung/Impulsivität (3) Widerstandspotential (4) Leidensdruck 45 Beispiel Patient:innenmerkmal «Widerstandspotential» Widerstand tritt auf, wenn das Gefühl von Freiheit (Autonomie), Macht oder Kontrolle bei Patient:innen gefährdet ist (z.B. Beutler & Clarkin, 1990) Beispielhafte Hinweise für ein hohes Widerstandspotential: wirkt dominierend, fordernd und kontrollierend in interpersonalen Beziehungen «geniesst» kompetitive Situationen «kämpft» für ihre/seine Meinung (vermeidet bei Unstimmigkeiten als «Verlierer:in» aus der Situation zu gehen) ist glücklich, wenn er oder sie Verantwortung hat spricht oft negativ von anderen 46 Patient:innenmerkmal «Widerstandspotential» Beispielhafte Hinweise für ein geringes Widerstandspotential: eher submissiv (wenig dominant), wenig kontrollierend, wenig Konflikte mit anderen, vermeidet Konfrontationen mit anderen ist in seiner/ihrer Geschichte oft akzeptierend der Meinung von anderen Personen gefolgt 47 Anpassen des Therapeut:innenverhaltens am Beipspiel Erfolgreich: Hohes Non-direktive Interventionen Widerstands- potential Wenig erfolgreich: Direktive Interventionen Erfolgreich: Direktive Interventionen Geringes Widerstands- potential Wenig erfolgreich: Non-direktive Interventionen 48 Erfolgreiches Therapeut:innenverhalten (Was bedeutet nicht-direktiv/direktiv?) Widerstandspotential HOCH Widerstandspotential GERING à Non-direktives Gesprächsverhalten à Direktives Gesprächsverhalten viele offene Fragen geschlossene Fragen Patient:innen wenig unterbrechen Patient:innen unterbrechen Empathisch reflektierend nicht nur reflektierend, durchaus Patient:innen neue Themen, und konfrontierend Informationen einbringen lassen neue Themen, Informationen und wenig strukturierend von Therapeut:in Instruktionen einbringen stark strukturierend von Therapeut:in 49 Zur Vertiefung Ø Kapitel 6 in Hoyer & Knappe zu „Differentialpsychologische Perspektive in der Klinischen Psychologie “ 50 Klinische Psychologie (8. Termin) Lernpsychologische Grundlagen & (kognitive) Verhaltenstherapie PD Dr. Tobias Krieger Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie 17.04.2024 Vorlesung 1 Fragen, die Sie beantworten können sollten Durch welche Kernmerkmale zeichnet sich kognitive Verhaltenstherapie aus? Was ist der Unterschied zwischen Kompetenz und Performanz? Beschreiben Sie zwei alltägliche Beispiele für klassische Konditionierungsprozesse. Nennen Sie eine therapeutische Anwendung der klassischen Konditionierung. Nennen Sie ein Beispiel für positive und negative Verstärkung, sowie für direkte und indirekte Bestrafung. Nennen Sie bekannte Theorien zur lerntheoretischen Erklärung von Angststörungen und/oder Depression. Beschreiben Sie die Komponenten und ein Beispiel einer SORC(K)-Analyse. Nennen Sie verschiedene Arten von Expositionsverfahren. Was sind mögliche Wirkmechanismen der Konfrontationsbehandlung? Was wird bei der Systematischen Desensibilisierung gemacht? Was ist ein Schema nach Beck? Beschreiben Sie die Kognitive Triade nach Beck Was ist mit der A-B-C-Analyse nach Ellis gemeint? Was sind Selbstinstruktionen? Was sind die prototypischen Phasen einer (kognitiven) Verhaltenstherapie? 2 Kernmerkmale der Kognitive Verhaltenstherapie Orientierung an der empirischen Psychologie Orientierung an aktuellen Problemen Bezug auf prädisponierende, auslösende, und aufrechterhaltende Bedingungen der Störung, sowie Ressourcen Zielorientierung (gemeinsam festgelegt) Handlungsorientierung (z.B. aktive Mitarbeit und Bereitschaft alternatives Verhalten auszuprobieren) Alltagsbezug (Transfer z.B. mittels Hausaufgaben) Transparenz (bezüglich des Vorgehens) „Hilfe zur Selbsthilfe“ Evaluation und Weiterentwicklung 3 Etablierte Prinzipien der Lerntheorien = Basis der Verhaltenstherapie (VT) Klassisches lerntheoretisches Verständnis der VT später durch rege Forschungstätigkeit und neue empirische und theoretische Erkenntnisse erweitert (à insb. durch die Kognitive Wende: heute Kognitive Verhaltenstherapie) Heute wird VT oft als eine auf der empirischen Psychologie basierende Therapie definiert, die sich in ständiger Entwicklung befindet und den Anspruch hat, ihre Effektivität empirisch abzusichern (Margraf, 2009) Das Verständnis „klassischer“ Lerntheorien ist aber immer noch sehr zentral 4 Lernen - Definition Kompetenz: Fähigkeiten, die wir „theoretisch“ haben (was wir tun können) = deshalb Verhaltensdisposition. Nicht sichtbar. Performanz: Das zu einer Kompetenz zugehörige Handeln nennt man Performanz. Was wir tatsächlich tun. Ø Kompetenzveränderungen sind nicht direkt beobachtbar, sondern nur indirekt aus Veränderungen der Performanz erschliessbar. 5 Kompetenz und/oder Performanzproblem? Beispiel Soziale Phobie In den 70er Jahren wurden Soziale Phobien häufig mit sozialen Kompetenzdefiziten erklärt (z.B. Trower, Bryant & Argyle, 1978) Heisst: Soziale Phobiker:innen verfügen nicht über das nötige soziale Verhaltensrepertoire. Die Folge sind ungünstige soziale Konsequenzen und Ängste. è Konsequenz für therapeutisches Vorgehen: Soziales Kompetenztraining. Heute geht man eher davon aus, dass bei Sozialphobiker:innen sozial kompetentes Verhalten („Performanz“) durch die Angst unterdrückt wird (= Kompetenz eigentlich vorhanden, aber adäquate Verhaltensweisen können in der Situation nicht gezeigt werden; Stangier et al., 2003). Therapeutische Konsequenzen: Fokus auf Veränderung der Angst und von Sicherheitsverhaltensweisen, die sozial kompetentes Verhalten „unterdrücken“. 6 Lernmechanismen Klassische Konditionierung Lernen von Signalen und Assoziationen 7 Klassische Konditionierung Pawlow Funktion: Signallernen und Assoziationslernen „Lieber schon beim Brüllen eines Löwen auf den Baum, als erst beim Anblick“ 8 Alltägliche Beispiele für klassische Konditionierungsprozesse Grundlegendes Muster (NS)CS UCS UCR (CR) Nach einem Autounfall erregt der Anblick Anblick eines Autos eines Autos Angst Autounfall und Verletzung Angst Kind weint beim Anblick des Babysitter, ehe Babysitter kommt Eltern fortgehen Eltern verlassen das Kind Weinen Anblick einer Katze ruft Keuchen hervor, Anblick einer Katze noch ehe ein Haar den Körper berühren kann allergische Reaktion Katzenhaar z.B. Keuchen Ständige Sorgen um die Arbeit, auch in der an die Arbeit denken (Sorgen machen) Freizeit, führen zu Magengeschwüren Anspannung und Angst Produktion von (bei der Arbeit) Säure im Magen 9 Bedingungen für (schnellere) klassische Konditionierung Wenn CS und UCS wiederholt und verlässlich (kontingent) kombiniert werden (z.B. auf Ton (CS) folgt immer Schock (UCS) und keine Schocks ohne Ton) Rescorlas (1968) Experiment mit Ratten: Gruppe A: Vor jedem Schock ein Ton Gruppe B: Auch Schocks ohne Ton (aber gleich viele Schocks nach Ton) Ratte zeigt CR Ratte zeigt keine CR 10 Bedingungen für (schnellere) klassische Konditionierung Wenn der US oder die UR sehr intensiv sind, reicht manchmal eine Kopplung (Beispiel Nahrungsvermeidungslernen: wird uns übel, vermeiden wir die Speise in der Folge) Wenn zu konditionierende Reize und Reaktionen funktional zusammenpassen (z.B. Futter mit Übelkeit statt Futter mit Schmerz) „Preparedness“-Annahme (Seligman): Bestimmte Reiz- Reaktionsverbindungen werden leichter gelernt, weil sie biologisch „vorbereitet“ (prepared) sind: z.B. Spinnen, Schlangen und Höhen werden häufiger gefürchtet als Steckdosen und Autos 11 Therapeutische Anwendungen der klassischen Konditionierung I „Klingelhose“ oder „Klingelmatte“ bei nächtlichem Einnässen (Enuresis) Ø Klingelsignal bei erstem Tropfen Urin Ø Kind kann urinieren stoppen und auf die Toilette Ø Mit der Zeit wird Kind schon vor dem Urinieren wach und kann auf die Toilette 12 Therapeutische Anwendungen der klassischen Konditionierung II Ø Stimuluskontrolle bei Schlafstörungen Häufiges Problem bei Schlafstörungen: Bett ist mit aktivierenden Tätigkeiten wie Grübeln oder Fernsehen assoziiert (zeigt sich z.B. in erhöhtem Blutdruck beim Anblick des Bettes bei Menschen mit Schlafstörungen) Ziel der Stimuluskontrolle: Bett soll wieder zum Ort werden, der mit Schlafen assoziiert ist: 1. Patienten dürfen nur ins Bett, wenn ausreichend müde 2. Bett darf nur zum Schlafen genutzt werden 3. Bett wieder verlassen, wenn man nicht innerhalb von 10 Minuten eingeschlafen ist 13 Operante Konditionierung: Das Lernen von Konsequenzen Operante oder instrumentelle Konditionierung bedeutet, dass Verhaltensweisen (oder physiologische Reaktionen) häufiger auftreten, wenn diesen ein verstärkender Reiz folgt; resp. weniger auftreten, wenn diesen ein bestrafender Reiz folgt. Ø Aufgrund unterschiedlicher Verstärker (negative oder positive Verhaltenskonsequenzen) gibt es vier verschiedene Formen des instrumentellen Lernens (s. nächste Folien). 14 Formen der operanten Konditionierung 1. Positive Verstärkung: Verhalten + positive Konsequenz Ø Verhalten häufiger Beispiel: Taschengeld bekommen, wenn man den Müll rausträgt 2. Direkte Bestrafung: Verhalten + negative Konsequenz Ø Verhalten seltener Beispiel: Kinder bekommen einen Klaps, wenn sie unanständige Wörter verwenden 15 Formen der operanten Konditionierung 3. Negative Verstärkung: Verhalten + Ausbleiben oder Enden eines unangenehmen Ereignisses Ø Verhalten häufiger Beispiel: Kopfschmerztabletten einnehmen reduziert Kopfschmerzen: „Kopfschmerztabletten“ einnehmen wird negativ verstärkt 4. Indirekte Bestrafung: Verhalten + Entzug positiver Reize Ø Verhalten seltener Beispiel: Fernsehverbot, wenn Kind Aufgaben nicht macht 16 Faktoren, die die Wirksamkeit von Verstärkung beeinflussen? Ø kurzfristige Konsequenzen sind verhaltenswirksamer als langfristige Konsequenzen Beispiel Rauchen: kurzfristig angenehm und verstärkend (z.B. Spannungsreduktion); negative langfristige Konsequenzen = wenig verhaltensbestimmend In Programmen zur Raucherentwöhnung oder zur Reduktion von Übergewicht wird deshalb das Belohnen von Zwischenzielen systematisch geplant (z.B. Theaterbesuch, neues Kleidungsstück kaufen, wenn eine Woche nicht geraucht wurde) 17 Verstärkerpläne Verstärkerplan = Variation in der Häufigkeit, mit der ein Verstärker auf das fragliche Verhalten folgt kontinuierliche vs. intermittierende Verstärkung: das Verhalten wird jedes Mal vs. nicht jedes Mal verstärkt Ø Kontinuierliche Verstärkung besonders günstig für den Aufbau neuen Verhaltens Ø Verhalten, das intermittierend verstärkt wurde, ist besonders löschungsresistent (Beispiel siehe nächste Folie)! 18 Beispiel Glücksspielautomat Intermittierende Verstärkung nach variablem Quotenplan (z.B. im Durchschnitt erfolgt jedes 5. Mal ein Gewinn; wann genau ist aber variabel) Ø Verhalten „Geld einwerfen“ = sehr löschungsresistent 19 Drei bekannte Theorien zur lerntheoretischen Erklärung psychischer Störungen Ø Zwei-Faktoren-Theorie von Mowrer (1947) (v.a. Angststörungen) Verbindung von klassischer und operanter Konditionierung zur Erklärung der Entstehung und Aufrechterhaltung von Angststörungen 1. Klassische Konditionierung: „Traumatische“ Erfahrung mit Objekt oder Situation 2. Operante Konditionierung: Vermeidungsverhalten wird negativ verstärkt (aversive Reaktion wird durch Vermeidung beendet), was zur Aufrechterhaltung der Angst beiträgt 20 Depression: Erlernte Hilflosigkeit (Seligman, 1975) Hunde, die einen unvermeidbaren Schock erhalten hatten, verhielten sich „hilflos, passiv (depressiv)“, auch wenn sie in der Folge den Schock vermeiden konnten Annahme von Seligman: Menschen werden depressiv, wenn sie die Überzeugung entwickeln, dass sie keine Kontrolle über Verstärkungen in ihrem Leben haben Später Ergänzung durch Attributionstheorien (z.B. Abramson, 1978): Nur wenn der Kontrollverlust global, stabil und internal attribuiert wird („Es ist in allen Situationen und immer so und es liegt an mir“) fühlt sich eine Person hilf- und hoffnungslos 21 Depression: Verstärker-Verlust-Theorie nach Lewinsohn (1974) Depression hängt mit einer geringen Rate an verhaltenskontingenten, positiven Umweltverstärkungen zusammen. Gründe hierfür können sein: 1. Geringe Anzahl und niedrige Qualität potentiell zu verstärkender Ereignisse oder Aktivitäten 2. Mangelnde Erreichbarkeit und Verfügbarkeit von Verstärkern (z.B. nach Scheidung, Arbeitsplatzverlust, Umzug) 3. Mangelnde Fähigkeiten führen zu einer niedrigen Verstärkungsrate (z.B. mangelnde soziale Kompetenzen) à Theorie ist v.a. heuristisch wertvoll (Was sind Gründe für geringe Verstärkung? Wie kann vermehrte Verstärkung gefördert werden? è Verhaltensaktivierung, s. nächste Seite) 22 Zentrale Intervention bei Depressionstherapien: Verhaltensaktivierung/Aktivitätsaufbau Erfassen von Ereignissen und Aktivitäten, die Verstärkerwert haben Erkennen des wechselseitigen Einflusses von Aktivitäten und Befinden geplante und abgestufte Heranführung an angenehme Aktivitäten Identifizieren und Kontrollieren depressionsfördernder Verhaltensweisen und Aktivitätsmuster Vermittlung von Fertigkeiten zur Aufrechterhaltung eines ausgeglichenen Aktivitätsniveaus 23 Weitere Anwendungen von Lerntheorien in der Verhaltenstherapie SORC(K)- bzw. situative Verhaltensanalysen bauen auf Lerntheorien auf (Kanfer, 1969): Zentrales diagnostisches Verfahren in der Verhaltenstherapie (Beispiel siehe nächste Folie) Ø Welche situativen und individuellen Merkmale hat eine (problematische) Reaktion und welche Konsequenzen und somit aufrechterhaltenden Faktoren hat die Reaktion? Ø Wo kann/sollte in der Therapie angesetzt werden? 24 SORC(K)-Analyse (Kanfer, 1969) S (Stimulus): Auslösende Situation O (Organismusvariable): Individuelle biologischen und lerngeschichtliche Ausgangsbedingungen, die die Klassische S-R Reaktion auf den Stimulus beeinflussen Konditionierung R (Reaktion): Reaktion auf den Stimulus (nach der Verarbeitung durch den Organismus) auf kognitiver, motorischer, physiologischer und emotionaler Ebene Operante C (Konsequenz): Was folgt auf das Verhalten? Konditionierung Verstärkung oder Bestrafung des Verhaltens? (K (Kontingenz): Regelmässigkeit des Auftretens der Konsequenz nach der Reaktion) 25 Beispiel SORC(K)-Analyse Patientin mit Kontrollzwang S: Patientin verlässt Wohnung O: Sich Sorgen zu machen, gehört zum habituellen Denkstil der Patientin R (kognitiv): „Das Haus könnte abbrennen, wenn ich vergessen habe, den Herd abzuschalten“ R (emotional): Angst, starke Beunruhigung R (physiolog.): Anspannung, Unruhe R (motorisch): Geht zurück in Wohnung und kontrolliert den Herd C-/(kurzfristig): Spannungs- und Angstreduktion; jedoch verstärkt sich der Kontrollzwang (negative Verstärkung C-/) C+/(langfristig): Das Vermeiden aus dem Haus zu gehen, bestraft sie langfristig indirekt (C+/; Entzug positiver Reize; Verlust sozialer Kontakte) 26 Konfrontationsrationale (bei Kontrollzwang z.B. Exposition mit Reaktionsverhinderung = Patientin muss Haus verlassen und darf nicht zurück) SubjekNve Erwartung Abnahme der Angst: eines weiteren AnsNegs Habituation; „Parasympathisches der Angst Nervensystem“ stellt „Normalzustand wieder her“ 27 Mögliche Wirkmechanismen der Konfrontationsbehandlung Extinktion (Löschung): Die gelernte Reaktion (Angst, Anspannung) nimmt im Verlauf der Konfrontation ab. Sie ist mit der Zeit nicht mehr mit Stimulus (Haus verlassen) assoziiert. è Moderne Lerntheorien und neurowissenschaftliche Modelle gehen allerdings davon aus, dass die Assoziation nicht gelöscht wird. Die Assoziation bleibt bestehen. Der Organismus hemmt die Reaktion erfolgreich durch inhibitorisches Lernen, durch vielfältige neu gesammelte und gespeicherte Erfahrungen in angstauslösenden Situationen. Dafür sprechen zum Beispiel Befunde, dass einmal erfolgreich bewältigte Ängste sehr schnell wieder erworben werden. Kognitive Neubewertung: Kognitionen (Befürchtungen, Erwartungsangst) werden durch Erfahrungen hinterfragt (Angst steigt nicht ins Unendliche, sondern nimmt ab; „ich kann die Situation bewältigen“, „es passiert nichts Schlimmes“ etc.) 28 Verschiedene Expositionsverfahren Exposition in vivo (Konfrontation mit Orten, Situationen oder Objekten, z.B. Phobien) Exposition in sensu (Konfrontation in der Vorstellung, z.B. PTSD, GAD) Cue exposure (Konfrontation mit Stimulus, z.B. BED) Interozeptive Exposition (Konfrontation mit Körperempfindungen, z.B. Panikstörung, Hypochondrie, è s. nächste Folie) Systematik der Expositionsverfahren: 29 Interozeptive Exposition: Beispiele der Symptomprovokation Symptom/ Übung Befürchtung Herzrasen, Herzklopfen Laufen, Rumpfbeugen machen, auf der Stelle rennen, Treppensteigen, Kniebeugen, Energydrink/Kaffee trinken Schwindel, Kopf für 30 Sekunden schnell von links nach rechts bewegen, Kopf für 30 Benommenheit Sekunden zwischen die Beine legen und dann rasch nach oben heben, auf einem Drehstuhl drehen, Schwindelbilder betrachten, Hyperventilation Schwitzen Laufen, Sit-ups machen, auf der Stelle rennen, Treppensteigen, Kniebeugen, warm anziehen und körperlich betätigen, scharfe Speisen essen Kribbelgefühle in Körperteil eiskalt abduschen, abtrocknen, 3 Minuten warten Körperteilen Atemlosigkeit, Atemnot Hyperventilation, atmen durch einen engen und/oder langen Strohhalm (dabei die Nase zuhalten), Kleidungsstücke eng um den Hals legen, Atem anhalten Übelkeit, Erbrechen Auf einem Drehstuhl drehen, Schaukeln, Holzspatel auf die Zunge drücken, viel essen und dann auf der Stelle laufen, fettige oder abgelaufene Lebensmittel verzehren, in einem sich bewegenden Fahrzeug lesen 30 Systematische Desensibilisierung – Eines der ersten und bekanntesten Verfahren der Verhaltenstherapie (Wolpe, 1958) 1. Systematische gesteigerte Reizkonfrontation in sensu (= in der Vorstellung) 2. kombiniert mit Entspannung (z.B. Progressive Muskelrelaxation; PMR) 31 Systematische Desensibilisierung (Wolpe, 1958) Therapeutisches Vorgehen: 1. Patient:in wird aufgefordert einen entspannten Zustand herzustellen (mit Entspannungsübung) 2. Anschliessend soll sie/er sich die am wenigsten angstbesetzte Situation vorstellen und dabei genau auf psychische und physiologische Reaktionen achten 3. Erst wenn es der/dem Patient:in gelingt, die jeweilige Situation in der Vorstellung angstfrei und entspannt zu erleben, wird die nächstschwierigere Situation vorgestellt 4. Zwischen den Durchgängen wird immer wieder Entspannung hergestellt 32 Systematische Desensibilisierung (Wolpe, 1958) Wirkung der systematischen Desensibilisierung gut belegt Wirkmechanismus nicht eindeutig belegt Mögliche Wirkmechanismen: Reziproke Hemmung (Annahme von Wolpe): Hemmung einer Reaktion (Angst) durch eine dadurch inkompatible Reaktion (Entspannung) Aber: Entspannung keine notwendige Bedingung (gestufte Darbietung von Angst- Items ohne Entspannung bewirkt bereits eine Angstreduktion; Florin et al., 1975) Heutige Annahme: Konfrontation in sensu funktioniert genau gleich wie Konfrontation in vivo (siehe frühere Folien) à Entspannung erleichtert psychophysiologische Habituation, Kognitive Neubewertung und Inhibitorisches Lernen 33 Modelllernen als ein Ursprung der kognitiven Wende Banduras Arbeiten über Lernen durch Nachahmung lenkte die Aufmerksamkeit auf kognitive Faktoren in der Verhaltenstherapie Lernprozess der 4 Phasen durchläuft: (1) Aufmerksamkeit: Modell muss attraktiv sein, damit ihm Beachtung geschenkt wird (z.B. hoher sozialer Status; emotionale Beziehung) (2) Behalten und Albert Bandura (3) Reproduktion („abspeichern und einüben“) (4) Motivation: Ist das Modell erfolgreich mit seinem Verhalten (z.B. Modell hatte Spass) oder wird Verhalten des Modells verstärkt, ahmt der Beobachter das Verhalten häufiger nach (è stellvertretende Verstärkung) 34 Modelllernen wird in der VT häufig eingesetzt Ø Besonders zum Erlernen komplexer Verhaltensweisen, zum Beispiel sozialer Interaktionen nützlich Zentraler Bestandteil von VT sind Rollenspiele (z.B. im Rahmen sozialer Kompetenztrainings) Ø Therapeut:in als Modell Ø Mitpatient:innen oder Gruppenmitglieder als Modell Ø Identifikationsfiguren aus Büchern oder Filmen als Modell 35 „Kognitive Wende“ Seit den 50er Jahren wurde die Relevanz kognitiver Variablen immer mehr anerkannt Fokus auf die systematische Veränderung irrationaler/dysfunktionaler/negativer Wahrnehmungs-, Denk- und Einstellungsmuster Mit Begriffen wie „irrationale“ (Ellis) oder „dysfunktionale“ (Beck) Gedanken sind nicht-hilfreiche Gedanken bezüglich eigener Ziele gemeint (irrationale/dysfunktionale Wahrnehmungs-, Denk- und Einstellungsmuster hindern eine Person eigene Ziele zu erreichen) 36 Kognitive Modelle psychischer Störungen (nach Aaron T. Beck) Dysfunktionale kognitive Schemata sind entscheidend für die Entwicklung und Aufrechterhaltung psychischer Störungen Als Verarbeitungsmuster führen sie zu... A.T. Beck (1921-2021) 1. störungsspezifischen Verzerrungen im Denken und Verhalten 2. verzerrten/fehlerhaften Prozessen der Informationsverarbeitung, insbesondere der Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses und der Interpretation von Erfahrungen 37 Dysfunktionale kognitive Schemata (nach Beck) „A schema is a structure for screening, coding and evaluating the stimuli that impinge on the organism“ (Beck, 1967, p. 283) Generalisierte Wissensstruktur, in welcher unsere Sicht der Welt, der Zukunft, und des Selbst repräsentiert ist (bei Depressiven negativ = kognitive Triade) Steuert Informationsverarbeitungsprozesse wie z.B. unsere Aufmerksamkeit (auf was fokussiert wird), Interpretation (welche Bedeutung einem Stimulus zugeschrieben wird), und Gedächtnis (welche impliziten und expliziten Erinnerungen getriggert werden) 38 Veränderung kognitiver Schemata: Kognitive Modelle psychischer Störungen beziehen sich auch auf Piaget (1923) Zwei Wege, wie Menschen mit Informationen verfahren, die mit einem bestehenden Schema nicht kompatibel sind (nach Piaget): – Assimilation (Standardmodus): Eine neue Erfahrung wird so transformiert, dass sie zu einem bestehenden Schema passt – Akkommodation: Wenn Diskrepanz zwischen Schema und neuer Erfahrung zu gross, wird das Schema transformiert, so dass es besser zur Erfahrung passt Ø Grundannahme kognitiver Theorien (nach Beck): Psychische Störungen werden deshalb aufrechterhalten, weil Menschen zu stark assimilieren, statt Schemata an die Realität anzupassen (Akkommodation) Ø Aufgabe von Psychotherapien: Akkommodation der dysfunktionalen Schemata 39 Das kognitive Modell der Depression nach Beck (1967) Latente depressive Schemata (inaktiv in depressionsfreien Phasen) Dysfunktionale depressive Schemata durch Stress aktiviert 40 Grundüberzeugungen, -annahmen und automatische Gedanken Grundüberzeugung: Ich bin unfähig Grundannahmen: Ich muss immer mein Bestes geben. Wenn ich mich nicht stark anstrenge, dann werde ich versagen Automatische Ich schaffe das niemals. Das ist viel zu Gedanken: schwer. Ich werde das niemals alles behalten können. Hautzinger, 1998 41 Automatische negative Gedanken Automatische Gedanken: Bewertende Gedanken, die schnell, nicht als Ergebnis langen Nachdenkens, sondern automatisch, oft gar nicht bewusst, als Reaktion auf eine Situation auftreten Automatische Gedanken haben Einfluss darauf, wie Menschen sich fühlen und Verhalten und sind bei psychischen Störungen oft durch «Denkfehler» verzerrt 42 Rational-emotive Theorie (RET) nach Ellis Ø Nicht ein äusseres Ereignis (A) führt zu emotionalen oder verhaltensmässigen Reaktionen (C), sondern Überzeugungen (Beliefs) sind die Ursache für jede Reaktion. Eine Erfahrung oder ein Ereignis aktiviert eine bestimmte Überzeugung in Bezug auf diesen Auslöser A-B-C-(D)-(E)-Analyse nach Ellis (z.B. 1962) Anschliessend Disputation (Hinterfragen der negativen automatischen Gedanken) Effect: Positive Effekte von hilfreicheren Gedanken spüren lassen 43 Selbstinstruktionstraining (Meichenbaum, 1975) Ø Annahme: Herbeiführen von Verhaltensveränderungen, indem Instruktionen, die sich Patient:innen selbst geben, verändert werden (negative Annahmen und Gedanken sollen in angemessene „Selbstgespräche“ verändert werden) Verschiedene Arten verhaltenssteuernder Selbstverbalisationen: Zur Orientierung und Planung: „Überlege, welche Möglichkeiten Du in dieser Situation hast.“, „Was ist als nächstes zu tun?“ Zur Bewältigung von Symptomen/Problemen: „Entspanne Dich! Du kannst Deine Angst in Grenzen halten.“, „Tue eins nach dem anderen.“ Zur Ermutigung des Aushaltens von Symptomen: „Du kennst diese Angst. Sie wird gleich weniger werden.“, „Was ist in der Situation trotz Angst möglich?“ Zur Bewertung und Verstärkung: „Ich habe durchgehalten. Es hat geklappt.“, „Es ging schon besser als beim letzten Mal.“ 44 Kognitive Therapie nach Aaron T. Beck Hauptziel: Verzerrte/Dysfunktionale Kognitionen, die der psychischen Störung des Klienten zugrunde liegen identifizieren, hinterfragen und verändern („kognitive Umstrukturierung“) Ø Kognitionen in Richtung einer realitätsadäquateren und funktionaleren Wahrnehmung verändern (≠ „rosarote Brille“) z.B. mittels Sokratischem Dialog, Verhaltensexperimenten, Tagebuch führen (mit Hilfe dessen Klienten selbständig lernen, negative Kognitionen im Alltag zu identifizieren und zu hinterfragen) In einem 1. Schritt werden automatische Gedanken identifiziert und hinterfragt und in einem 2. an Grundüberzeugungen gearbeitet 45 Kognitive Umstrukturierung: Sokratischer Dialog Geleitetes Entdecken: Als Therapeut:in nicht eigene Meinung einbringen, z.B. sagen was «richtig» oder «falsch» ist, sondern fragend Klienten zum eigenen Nachdenken anregen – Nicht: Denken Sie nicht auch, dass dieses negative Denken auf Dauer schädlich für Sie ist? – Sondern: Welche Vor- und Nachteile hat dieses Denken für Sie? Wie fühlen und verhalten Sie sich, wenn Sie diese Gedanken glauben? Ø Wie Sokrates nehmen Therapeut:innen die Rolle der «Unwissenden» ein und stellen Patient:innen «naive» und offene Fragen Ø Klienten wird auf prozessualer Ebene geholfen, selbständig Einsichten zu gewinnen 46 Kognitive Umstrukturierung mit Tagebüchern 47 Strategien der Verhaltenstherapie mit typischen, ausgewählten Einzelmethoden 48 Prototypische Anordnung der Phasen einer (kognitiven) Verhaltenstherapie 49 Zur Vertiefung Ø Kapitel 4 & 14 in Hoyer & Knappe zu „Lernpsychologische Grundlagen“ und „Verhaltenstherapie“ 50 Klinische Psychologie (10. Termin) Systemische Psychotherapie PD Dr. Tobias Krieger Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie 01.05.2024 Vorlesung 1 Video zu struktur- vs. konfliktorientiertem Arbeiten 2 Fragen, die Sie beantworten können sollten Was ist mit System, komplexem Verhalten, Selbstorganisation und Attraktor gemeint? Was sind die Prozessziele einer Psychotherapie aus einer systemischen Perspektive? Was bedeutet Kybernetik? Was versteht man unter (radikalem und sozialem) Konstruktivismus? Nennen Sie einige potenziell problematische transgenerationale familiäre Muster. Was bedeuten sie? Was macht eine Struktur nach Minuchin aus? Welche Arten von Grenzen in Systemen gibt es? Wie unterscheiden sich nach Satir vitale von hilfesuchenden Familien? Was sind Gemeinsamkeiten von systemischen Ansätzen? Nennen Sie zentrale systemische Grundannahmen und Haltungen und beschreiben Sie, was darunter zu verstehen ist. Nennen Sie einige Beispiele für systemische Interventionen. 3 Systemische Therapie 1....als eine Metatheorie zum Beschreiben von (psychologischen) Phänomenen und Ableiten von Interventionen 2....als ein von anderen abgrenzbares spezifisches Psychotherapieverfahren 4 Wichtige Begriffe Ein System wird definiert als ein »Satz von Elementen und Objekten zusammen mit den Beziehungen zwischen diesen Objekten und deren Merkmalen« (Hall & Fagan, 1965). Wichtige Parameter bei der Beschreibung von Systemen sind Grenzen und Regeln. Komplexität kann sich auf die Systemelemente oder das Verhalten resp. die Dynamik eines Systems beziehen. Komplexes Verhalten bedeutet, dass Prozesse nur begrenzt vorhersagbar sind und sich sprunghaft und nicht-linear verändern können. Selbstorganisation beschreibt den Vorgang, dass sich Muster spontan und ohne ordnenden Eingriff von aussen bilden können. Attraktor meint einen (relativ zu anderen Zuständen) stabilen Zustand. 5 Selbstorganisationsmodelle Kleines Experiment: Synchronisation der Finger = ein Attraktor des Systems = stabiler Zustand, in welchen das System aus verschiedenen Anfangszuständen gelangt Phänomen kann auch bei nicht-lebenden Objekten gefunden werden: Ø z.B. Bénard-Konvektionen Hitze Konvektionen = stabiler Zustand = Attraktor des Systems Konvektionen = optimale Lösung, um die Temperatur optimal rasch auszugleichen 6 Beispiel Vulnerabilitäts-Stress-Modell Stressmodell zur Auslösung von Panikattacken Vulnerabilität = Panika&acke Schwelle kann höher oder tiefer liegen Stress als allgemeiner Vulnerabilitätsfaktor für die Entwicklung und Aufrechterhaltung eines qualitativ neuen Zustandes (Angst-, Panikanfälle) Neuer qualitativer Zustand (Panikanfall) scheint oft nicht bestimmten Zielen/Bedürfnissen zu dienen, sondern bedroht diese 7 Selbstorganisationsmodelle I System an sich hat keine Repräsentation eines Zieles (z.B. «gleiche die Temperatur optimal rasch aus») Gewisse Phänomene entstehen aufgrund der Interaktion verschiedener Elemente und es gibt keine Instanz, die das Ganze steuert/reguliert das System «sucht» den Attraktor (= stabiles Muster) in einem Prozess der Selbstorganisation auf Selbstorganisation = Musterbildung 8 Selbstorganisationsmodelle II Selbstorganisationsmodelle sind attraktiv, um Phänomene psychischer Störungen zu erklären: Phänomene psychischer Störungen scheinen eine Eigendynamik zu entwickeln (z.B. Teufelskreis bei Panikattacken) und sind oft nicht kontrollierbar Eigendynamische Phänomene scheinen nicht bestimmten Zielen/Bedürfnissen zu dienen, sondern können diese bedrohen Menschen mit psychischen Störungen geraten immer wieder in die gleichen Zustände, die relativ stabil sind (z.B. depressive Zustände) 9 Relative Ähnlichkeit von psychischen Störungen Relative Ähnlichkeit im Verhalten und Erleben von Menschen nimmt bei akuten psychischen Störungen zu (qualitativ neuer Zustand bei Menschen mit gleichen Störungen oft ähnlich) è Musterbildung Grawe (1998) spricht in diesem Zusammenhang von Störungsattraktoren, in die Menschen mit psychischen Störungen geraten sind. Weshalb? (s. nächste Folien) 10 Spannungslandschaft Konzeption psychischer Störungen nach z.B. Caspar et al. (1992) Muster, in denen Elemente wie Kognitionen, Emotionen, Verhalten, biologische Zustände, und Umwelt gut zusam- menpassen è relativ weniger Spannung è wahrscheinlicher, stabiler lokale Minima Störungsattraktor z.B. Depression Spannung verbleibende Spannung globales Minimum 11 Beispiel «Depressives Muster» Muster, in dem die Elemente eines Systems “gut” zusammenpassen, Gleichgewicht è weniger Spannung è wahrscheinlicher, stabiler 12 13 Idiografisches Systemmodell Wechselwirkungen zwischen den Elementen des Systems è Bsp. aus Buchkapitel 14 Abbau des Störungsattraktors und Aufbau eines Alternativattraktors mittels Interventionen « Ich habe vieles « Niemand kann « Ich bin gut gemacht » mir helfen » ein Versager » Inaktivität, pos. Rückzug Stimmung Nieder- Aktivitäten Spannung Hilflosigkeit geschlagen- heit Abbau des Störungsattraktors Aufbau eines

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