Gantner VO ÖG 1 Handout Einheit 2 PDF
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This handout details the Christianization of the Roman state, focusing on Severin and early medieval Austria before the Carolingian period. It discusses the transformation of the Roman world and the various groups involved, using the example of the peoples' movement and the changing boundaries.
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1 Gantner, VO ÖG 1, Handout Einheit 2 18. März 2024: Christianisierung der Römischen Staatlichkeit, Severin; Österreich im Frühmittelalter vor der Karolingerzeit Prüfungsfragen Bsp Ende der römisch...
1 Gantner, VO ÖG 1, Handout Einheit 2 18. März 2024: Christianisierung der Römischen Staatlichkeit, Severin; Österreich im Frühmittelalter vor der Karolingerzeit Prüfungsfragen Bsp Ende der römischen Herrschaft an der Donau um ca. 400, um diese Zeit wird der Beginn der sog. „Völkerwanderung angesetzt: 375 Hunneneinfall; 378 Ansiedlung von „barbarischen“ (s.u.) Verbündeten, foederati auf dem Boden des Römischen Reichs. Auch schon vorher machen Angehörige „barbarischer“ Gruppen Karriere im römischen Militärdienst; 395: Goten ziehen durch das Gebiet des heutigen Österreich. Aufgrund der letzten großen Christenverfolgungen unter Diocletian und seinen Nachfolgern gibt es die ersten Hinweise auf christliche Gemeinden im heutigen Österreich: 304 Martyrium des (Hl.) Florian, ehem. röm. Provinzialbeamten, und 40 anderer Christen (ertränkt bei Lauriacum (Lorch) in der Enns; in Lorch und Enns gibt es die ältesten frühchristlichen Kirchen Österreichs) Während des 4. Jh. (unter Kaiser Konstantin 313 Religionsfreiheit, wenig später wird das Christentum offizielle Religion!) und breitet sich in den meisten größeren Siedlungen aus; erste kirchliche Organisation: Ufernoricum mit Bischofsitz in Lauriacum (Lorch); Binnennoricum mit Bischofsitz in Virunum; (Bilder VO 1: Grabstein Ursa, Mosaik Teurnia) TRANSFORMATION dieser römischen Welt PPP Raum und Bewegungen Karte Wolfram 1995, 59 Unterschiede zwischen modernen Grenzen (Orte, Linien: Flughafen, Staatsgrenze) und "vormodernen" Grenzen: Grenzen sind Grenzräume, Kontaktzonen. Das betrifft nicht zuletzt die 5 Jahrhunderte zwischen 400 und 900, wo diese Grenzräume immer wieder grundlegenden Veränderungen unterworfen sind. (vgl. Zeitraum ist länger als der Bestand der gesamten Habsburgermonarchie) Begriffe: „Völkerwanderung“ ist problematisch – besser ist „Transformation der römischen Welt“ (res publica, imperium Romanum): nachhaltig wirksame Bewegungen größerer Gruppen gab es bereits vorher; Auslöser sind immer multikausal und aufgrund der Quellenlage sehr schwer festzustellen; Wichtig: Bei den „Wanderungen“ – ein Begriff, der zielgerichtete Bewegungen suggeriert – handelt es sich vielmehr um größere und kleinere Eroberungen, langfristige Bevölkerungsverschiebungen und v.a. um vielschichtige Integrationsprozesse. Die Gruppen, über die wir im Folgenden sprechen, sind längerfristig sichtbar und in unserem Raum politisch wie sozial bedeutsam geworden (es gab aber auch viele kleinere Verbände!) Begriffe: Römer und "Barbaren" – Fremd- und Abgrenzungsbezeichnung aus römischer Perspektive, alle nicht-römischen Verbände und Gruppen, innerhalb und außerhalb des Imperium Romanum. „Barbarische“ gentes werden als das „Andere“ zur römischen Identität, zum populus Romanus wahrgenommen. Wichtig: Identitäten sind immer solche Konstruktionen, in denen Abgrenzungen eine zentrale Rolle spielen. 2 Wer sind die "Völker"? Alle genannten Gruppennamen (mit Ausnahme der Römer) suggerieren in Verbindung mit dem Begriff "Volk" moderne Vorstellungen, die v.a. die Geschichtswissenschaft des 19. Jh. prägte, von Kohärenz, Stabilität und Kontinuität (gemeinsame Abstammung, Tradition, Recht, Sprache, Kultur, etc.); für die Zeit, von der hier die Rede ist, handelt es sich meist um ethnisch gemischte Personenverbände, deren Zusammenhalt manchmal wenige Jahrzehnte, manchmal deutlich länger hielt. Die Forschung ist daher heute sehr viel vorsichtiger mit den Bezeichnungen für solche Gruppen, fragt eher danach, wie sie sich selbst bezeichneten und bezeichnet wurden, fragt nach den deutlich offeneren Kategorien von Ethnizität und Identität und nach den historischen Prozessen, innerhalb derer diese ausgebildet werden. Vita Severini siehe auch Moodle und PPP Wichtigste Quelle zur Veränderung der Sozial- und Siedlungsstrukturen im 5. Jh. bis zum Abzug der romanischen Bevölkerung aus dem Donauraum 488 ist die Vita St. Severini – singulär (und zwar im gesamten europäischen Raum), weil diese Quelle uns auch etwas über das "alltägliche Leben" der Menschen im Grenzgebiet an der Donau berichtet; Ort der Handlung: romanische Siedlungen an der Donau, Heiliger Severin wirkt in 2. Hälfte des 5. Jh. in Ufernorikum, vor allem in Favianis. Gest. 482. Vita Severini verfasst vom Mönch Eugippius, im Jahr 511 in Lucullanum. Eugippius hat Severin nicht mehr persönlich gekannt, aber andere Mitglieder der Gemeinschaft Achtung! – hagiografische Quelle: d.h. der Heilige wird im christlichen Sinn als „Held“ stilisiert; man kann die Vita nicht wie einen „Tatsachenbericht“ lesen. Wenn z.B. der Heilige Wunder gegen die Gewalt der Natur vollbringt, geht es für die Forschung weniger darum, ob das Wunder als solches stattgefunden hat, sondern die Geschichte erzählt uns über die zeitgenössischen Lebensbedingungen, die Ängste und Bedrohungen, denen die Menschen durch Schnee, Überschwemmungen, wilde Tiere etc. ausgesetzt waren. Daher ist sie eine hervorragende Quelle für frühes Christentum und seine Organisation, Frömmigkeit bei der lokalen Bevölkerung; Zusammenleben dieser romanischen Bevölkerung mit den benachbarten Rugiern Konfliktkultur: einerseits Schutz gegenüber anderen Verbänden, andererseits auch Übergriffe, Severin als Vermittler; wieder andererseits lebt man einfach zusammen, die Romanen besuchen z.B. die rugischen Wochenmärkte; schließlich erfahren wir, wie die römischen Verwaltungsstrukturen nicht mehr zu halten sind (476 Absetzung des letzten weströmischen Kaisers durch den skirischen Fürsten Odoaker) und die romanische Bevölkerung nach Italien evakuiert wird – auf Befehl desselben Odoaker im Jahr 488. Die Ausgangssituation: der Heilige Severin kommt aus dem Osten nach Favianis (wohl Mautern an der Donau) und macht sich bald mit seinen Predigten einen Namen. Asturis wird trotz seiner Warnungen zerstört, Comagenis aber vor den ‚Barbaren‘ gerettet. Die Bürger von Favianis rufen ihn zur Hilfe, weil die Stadt unter einer Hungersnot leidet und der Heilige kommt in die Stadt, um die helfen. Durch Eingabe Gottes erfährt er, dass die Witwe Procula Getreide hortet. Er ließ sie öffentlich vorführen und machte ihr heftige Vorwürfe. »Warum«, sprach er, »zeigst du, eine Dame von vornehmster Herkunft, dich als Magd der Begierde und wirst eine Sklavin des Geizes, der nach der Lehre des Apostels Götzendienst ist? Siehe, während der Herr voll Mitleid für seine Diener sorgt, wirst du mit deinem auf unrechte Weise erworbenen Besitz nichts anzufangen wissen, es sei denn, du schüttest das hartherzig verweigerte Getreide in die Fluten der Donau und erweist so den Fischen die Menschlichkeit, die du den Menschen verweigert hast. Deshalb hilf lieber dir selbst als den Armen mit den Vorräten, die zu horten du noch für richtig hältst, 3 während Christus hungert.« Durch diese Worte wurde die Frau von großer Furcht erfaßt und begann, ihre Vorräte bereitwillig unter die Armen zu verteilen. Nachdem Severin so die Gemeinde diszipliniert hat, erscheinen auch Schiffe mit Hilfslieferungen aus der Provinz Raetia, da Gott nun die Passage eisfrei werden lässt. Wie passt der Auszug zu den letztes Mal besprochenen Punkten? Erwähnt werden in der Episode ausdrücklich folgende Punkte: richtige Religion, Caritas! vs cupiditas, moralisch korrekte Lebensweise, und die christlich-römische Gemeinschaft. Wichtigste Rahmendaten zur Transformation der römischen Welt Hunnen, Steppenkultur, ab 375 aus Zentralasien nach Europa, wechselnd Übergriffe auf und Bündnisse mit dem Imperium Romanum; im 5. Jh. Machtschwerpunkt im Karpatenbecken, 452 Höhepunkt und Ende der Herrschaft Attilas – Bedeutung auch an der mythischen mündlichen Tradition ersichtlich, die um 1200 im Nibelungenlied ihren Ausdruck fand, das in unserem Raum spielt. Goten: einer der die gesamte „Völkerwanderungszeit“ bestimmenden, ausgesprochen heterogenen Verbände, mit mythischer Gründungsgeschichte; mehrere Bewegungen aus dem Osten des Römischen Reichs nach Italien; für unseren Raum wichtig ist der Durchzug der Goten 395 (410 „Westgoten“ plündern Rom und ziehen nach Spanien); sowie 493-526 Theoderich der Große („Ostgote“), dessen Heer Odoaker besiegt; sein Reich hat Mittelpunkt in Ravenna, Schutzherrschaft auch über den Ostalpen- und Donauraum; ab 536/37 geht die ostgotische Herrschaft an die Franken über (Herrschergeschlecht: Merowinger) Langobarden: Siedlungsgebiete im Donauraum: Gräberfelder um Hollabrunn und Krems um 500, ab 568 nach Oberitalien, Reich mit Zentrum in Pavia Längerfristig spielen in unserem Raum ab dem 6. Jhdt. v.a. vier Gruppen eine Rolle: Awaren, Slawen, Bayern, Alemannen Awaren, Steppenkultur, Reiterkrieger wie die Hunnen, 558 am byzantinischen („oströmischen“) Hof Kaiser Justinians fassbar; politische Dominanz im pannonischen Raum bis Beginn 9. Jh.; gutes Bsp. dafür, dass längerfristige Besiedlung und politische Herrschaft nicht immer parallel laufen müssen; 568 treffen sie in Pannonien und and der Donau ein, Abzug der Langobarden nach Italien. In heutigem Österreich eher Randgebiet des Reichs, Kern im heutigen Ungarn. Exkurs zu den Awaren: Zahlreiche Siedlungen in unserem Raum vor allem im Osten, NÖ, W, Burgenland. Beispiele: Mödling (an der goldenen Stiege), Leobersdorf. Projekt HistoGenes, ERC Synergy Grant (siehe Film!) untersucht historische Genetik und hat viele Zusammenhänge deutlicher gemacht, Frage Slawen oder Awaren? Antwort: sowohl als auch – und ‚vorige‘ Bevölkerung.