Einführung in die Verwaltungswissenschaft PDF

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This document provides an introduction to public administration. It examines the role of public administration in the political process and its historical development in Germany. The text also explores connections between administrative practice and theory, placing administrative science within the broader context of social science.

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22 Verwaltungswissenschaft(en) in Deutschland 2 Verwaltungswissenschaft(en) in Deutschland...

22 Verwaltungswissenschaft(en) in Deutschland 2 Verwaltungswissenschaft(en) in Deutschland Lernziele am Ende dieses Kapitels sollten Sie einen Eindruck gewonnen haben, welche Rolle die öffentliche Verwaltung im politischen Prozess einnimmt und warum sie daher ein wichtiger Gegenstand der Forschung ist; einen Überblick über die historische Entwicklung der Verwaltungswissenschaft bzw. der Verwaltungswissenschaften in Deutschland haben; Zusammenhänge zwischen Verwaltungspraxis und Verwaltungswissenschaft erkennen; die Verwaltungswissenschaft im Kanon sozialwissenschaftlicher Konzepte und Disziplinen einordnen können. 2.1 Die Rolle der Verwaltung im politischen Prozess 2.1.1 Politik als Policy-Making Grundlegend für das politik- und sozialwissenschaftliche Verständnis der öffentlichen Verwaltung ist eine bestimmte Interpretation von Politik, nämlich Politik als „Policy-Making“, als Versuch der Be- und Verarbeitung gesellschaftlicher Probleme. In einer klassischen Definition von Fritz W. Scharpf „als den Prozess also, in dem lösungsbedürftige Probleme artikuliert, politische Ziele for- muliert, alternative Handlungsmöglichkeiten entwickelt und schließlich als verbindliche Festlegung gewählt werden“ (Scharpf 1973b, S. 15). Politik wird logisch als eine Abfolge von Schritten kon- zipiert, die mit der Artikulation und Definition von Problemen anfängt und irgendwann mit der verbindlichen Festlegung von politischen Programmen und Maßnahmen und deren Umsetzung beendet wird (vgl. zu diesem Abschnitt ausführlich und mit weiteren Hinweisen Jann/Wegrich 2014). In diesem Prozess spielt die öffentliche Verwaltung ohne Zweifel eine wichtige Rolle, die Frage ist nur welche? Mit genau dieser Frage beschäftigt sich die Verwaltungswissenschaft. Ausgangspunkt dieser Fragestellung ist ein einfaches und schon beinahe banales Systemmodell des politischen Prozesses, wie es ursprünglich von David Easton vorgeschlagen wurde (Easton 1965). Danach reagiert das politisch-administrative System (PAS) auf „Inputs“, z.B. Anforderun- gen und Unterstützung durch Wähler, Parteien und Interessengruppen, und wandelt diese in „Outputs“, z.B. Entscheidungen, Gesetze und andere staatliche Aktivitäten um. Diese systemthe- oretische Betrachtung ist in der Politikwissenschaft seit den sechziger Jahren vor allem deshalb populär, weil alle anderen Versuche analytisch überzeugend zu bestimmen, was eigentlich „Poli- tik“, „Verwaltung“ oder „Staat“ ausmacht und unterscheidet, unbefriedigend blieben. In einer systemtheoretischen Betrachtung wird das PAS als ein Teilsystem der Gesellschaft betrachtet, das für dieses wichtige Funktionen zur Erhaltung oder auch Weiterentwicklung des Gesamtsystems übernimmt. Einfach ausgedrückt: Das PAS übernimmt diejenigen notwendigen Funktionen (etwa Konfliktschlichtung, Sicherheit, Umverteilung), ohne die jede Gesellschaft zusammenbrechen würde. Dabei wurde ganz bewusst, wie das Kürzel PAS andeutet, nicht zwischen den Teilsystemen gF0GKPBvHHsDUZEcp2q2R43sLjrzDyFzsU0uUvGGRpZAfdXWJIm/CS7Ny06SrFEzxPQURgDDKV0= Urheberrechtlich geschützt. Persönliche Kopie für Matrikelnummer 8302812 Verwaltungswissenschaft(en) in Deutschland 23 Politik und Verwaltung unterschieden, weil angenommen wurde, dass beide viel zu eng verfloch- ten seien, um sie – zumindest auf einfache Weise – sinnvoll zu trennen. Zunächst bedeutete dies vor allem, dass die Politikwissenschaft die Verwaltung (wieder)entdeckt hatte. Abbildung 1: Eastons „Simplified Model of a Political System“ – Quelle: nach Easton 1965 Nun ist allerdings auch einleuchtend, dass Politik als Prozess der Problemverarbeitung für das ge- samtgesellschaftliche System nicht die einzig mögliche oder sinnvolle Auffassung von Politik ist. Man kann den Prozess aus dem Blickwinkel der Problemverarbeitung analysieren, etwa wie diese Problemverarbeitung organisiert ist und gelingt, wer in welcher Rolle dabei beteiligt ist und was ggf. zu verbessern wäre, aber dies bedeutet nicht, dass Politik nach Anlass und Ergebnis und auch im Verständnis der beteiligten Akteure nur oder auch nur vorrangig ein Problemverarbeitungspro- zess ist (so schon Mayntz 1982, S. 74ff). In der Politik geht es, wie jeder Blick in die Zeitung, das Fernsehen oder ins Internet zeigt, auch um Machtgewinn oder –erhalt, um Selbstdarstellung oder gelegentlich auch nur um Unterhaltung. Dies wird deutlich, wenn man sich die unterschiedlichen Bedeutungen des Terminus „Politik“ in der deutschen Sprache vor Augen führt. Zum besseren Verständnis dieser unterschiedlichen Dimensionen des Politikbegriffs ist es hilfreich, an der Mehr- deutigkeit des deutschen Wortes „Politik“ in der englischen Sprache anzuknüpfen, was in der Politik wahlweise mit Politics, Polity oder Policy übersetzt werden kann (Böhret/Jann/Kronenwett 1988, S. 3ff): Politics bezeichnet den durch Interessengegensätze gekennzeichneten Prozess der Austra- gung von Konflikten und der Verteilung von Macht und Einfluss. Diese Dimension ist die sichtbarste und wird, zumal im Deutschen, oft mit dem vieldeutigen Politikbegriff gleichge- setzt. Die klassischen Fragen der Politikwissenschaft (Wer kann seine Interessen artikulieren und durchsetzen? Welchen Einfluss haben politische Institutionen und Organisationen? Wel- che Mechanismen der Konfliktregelung gibt es?) wie auch zentrale Begriffe (Macht, Konflikt, Konsens, Herrschaft) sind hier zentral. RAEBqJwM+PdnBdzbs6uXH7l1r+4YoOLmpKJ1KAlUbDO77dlclNfmiwL4/Fb/2op/5qyZDBF5Lq0= Urheberrechtlich geschützt. Persönliche Kopie für Matrikelnummer 8302812 24 Verwaltungswissenschaft(en) in Deutschland Polity meint demgegenüber die formale Dimension der Politik, d.h. die Ordnung des politi- schen Systems, des Normengefüges und der Institutionen, in denen politische Prozesse ab- laufen. 1 Es geht hier um Verfahren und Regeln, und zwar sowohl formelle wie informelle Institutionen und Normen (z.B. Verfassungen, Gesetze, Vorschriften, aber auch politische Kul- tur und politische Traditionen), die sowohl Voraussetzung (Weichenstellung) wie Ergebnis (geronnene Politik im Sinne von Politics) sein können. Policy meint schließlich die inhaltliche Dimension von Politik, d.h. die Art und Weise der poli- tischen Problemverarbeitung, der staatlichen Aktivitäten, kurz: die Politikinhalte. Im Deut- schen wird diese Bedeutung vor allem in zusammengesetzten Ausdrücken deutlich, wenn man etwa von Sozialpolitik, Arbeitsmarkt- oder Klimapolitik spricht. Im Zentrum steht hier die Frage nach den Gegenständen, Zielen und Instrumenten von Politik, es geht um die verschie- denen Möglichkeiten der Aufgabenerfüllung und der Gestaltung gesellschaftlicher Verhält- nisse durch Staat und Politik. Tabelle 1: Dimensionen des Politikbegriffs – Quelle: nach Böhret/Jann/Kronenwett 1988, S. 7. Bezeichnung Dimension Zentrale-Konzepte Erscheinungsformen Politics Prozess Macht Interessenkonflikte Konflikt und Konsens Machtkämpfe Durchsetzung Polity Form Normen Verfahrensregeln Institutionen Verfassungen Ordnung Recht Policy Inhalt Problemlösung Programme Ziele Budgets Gestaltung Aktivitäten Offensichtlich hängen diese drei Dimensionen der Politik eng miteinander zusammen. Policies sind Ergebnis politischer Konflikte in bestimmten institutionellen Rahmen, und beeinflussen wiederum diese Auseinandersetzungen und Rahmenbedingungen. Dennoch ist es sinnvoll, diese drei Dimen- sionen zu unterscheiden, weil ansonsten oft unklar ist, was mit „Politik“ eigentlich gemeint ist. Im Englischen kann man von „the politics of labour market policy“ sprechen, und meint damit die Auseinandersetzungen über die Inhalte der Arbeitsmarktpolitik, während diese Unterscheidung im Deutschen (wie übrigens auch in den romanischen Sprachen) umgangssprachlich nicht möglich ist. _________________________________________________ 1 So lautet der Titel eines der bekanntesten englischen Lehrbücher über das deutsche politische System „The German Polity“ (Conradt 2005). y4zwNpm/UVtsUlKPfhB8eoB/VbkwxwSWB2Vj9Li4BqznLcXUnIeZdvd4+MK6BfPnBOsj9nJ3rec= Urheberrechtlich geschützt. Persönliche Kopie für Matrikelnummer 8302812 Verwaltungswissenschaft(en) in Deutschland 25 Die „Entdeckung“ von Policies und Policy-Making als Gegenstand der Politikwissenschaft hat aber nicht nur zur Etablierung eines eigenen, sehr produktiven Teilbereichs der Politikwissenschaft ge- führt, nämlich der Policy-Forschung oder auf Deutsch Politikfeldforschung (als deutsche Lehrbü- cher siehe Schubert/Bandelow 2014; Schneider/Janning 2006), sondern war auch entscheidende Inspiration für die Entwicklung der modernen Verwaltungswissenschaft (als Übersicht Jann 2009). Hintergrund war – in Deutschland Anfang der siebziger Jahre, in den USA schon einige Zeit früher – ein doppeltes Unbehagen an klassischen Vorstellungen und Vorgehensweisen sowohl der Poli- tikwissenschaft wie der juristischen Staats- und Verwaltungslehre. An der Politikwissenschaft wurde kritisiert, dass sie sich zu sehr auf die Input-Seite des politischen Systems konzentriere, also im Sinne von Eastons Systemmodell (s.o.) fast ausschließlich auf demands and support, auf Unter- stützung des politischen Systems und die an es herangetragenen Anforderungen. Problematisiert und untersucht wurden so Wahlen, Parteien, Interessengruppen, Eliten, Parlamente, Pluralismus bis hin zur politischen Kultur, während der eigentliche Output, also beispielsweise Gesetze, Pro- gramme, Budgets, politische und/oder administrative Maßnahmen nicht in das Interesse der Poli- tikwissenschaft gerieten – genauso wenig wie die Prozesse und Strukturen von Regierung und Verwaltung, der black box, in der demands and support in decisions and actions umgewandelt werden. Eine ähnliche Kritik richtete sich gegen die traditionelle, normative – in weiten Teilen juristisch geprägte – Verwaltungslehre, die der öffentlichen Verwaltung in diesem Prozess lediglich ausfüh- rende Funktionen zuwies. Nach diesem weitgehend instrumentellen Verständnis der Verwaltung sind prinzipiell nur die politisch verantwortlichen Organe – Parlamente, Regierungen, Gemeinde- räte, Bürgermeister – mit politischen Entscheidungen befasst. Verwaltung hat und soll in dieser Perspektive mit Politik nichts zu tun haben. Gegenüber dieser normativen – und wirklichkeitsfrem- den – Annahme, die allein die formelle Entscheidungskompetenz betrachtet, erlaubt der Politik- begriff des Policy-Making die Untersuchung und Identifikation der tatsächlichen Entscheidungen in diesem Auswahlprozess. Wiederum in der klassischen Formulierung von Scharpf: „In so angelegten Untersuchungen kann der Entscheidungsbeitrag der Bürokratie her- aus gearbeitet werden; es kann gezeigt werden, welche Probleme verdrängt, welche Ziele vernachlässigt und welche Handlungsalternativen in der Phase der Entschei- dungsvorbereitung von der Verwaltung bereits ausgeschieden wurden, ehe irgendein verantwortlicher Politiker mit dem Entscheidungsvorschlag befasst war. Untersuchun- gen dieser Art brauchen auch nicht bei der formellen Entscheidung einer gesetzge- benden Körperschaft oder eines Ministers ihr Ende finden, sondern sie können in die Durchführungsphase hinein ausgedehnt werden und dann zeigen, wie viele Fragen durch die formelle politische Entscheidung noch nicht entschieden wurden und wie nun der engere oder weitere Handlungsrahmen durch die Verwaltung inhaltlich aus- gefüllt oder verändert wird“ (Scharpf 1973b, S. 16). Die besondere Bedeutung der Verwaltung ergibt sich also aus der plausiblen Vermutung, dass in einem modernen, hoch komplexen und differenzierten öffentlichen Sektor die „Politik“ mit ihren Akteuren und Institutionen in Regierungen, Parlamenten und Parteien nur einen kleinen Teil – und bei quantitativer Betrachtung vermutlich den weitaus kleineren Teil – der insgesamt produzierten XtKSbhyGBL9USZTVuqniEf3m6NwniPOyLVgxjGEPqpJYxuBFg6t3fGTOJ3hXnQjR1NWdWXal8dg= Urheberrechtlich geschützt. Persönliche Kopie für Matrikelnummer 8302812 26 Verwaltungswissenschaft(en) in Deutschland Entscheidungen bestimmen kann. Programmatisch wurde so „Verwaltungswissenschaft als Teil der Politikwissenschaft“ definiert und etabliert (siehe ausführlich unten 2.2.4). 2.1.2 Der Policy Cycle und die Verwaltung Eine einfache, aber hilfreiche Grundlage ist in diesem Zusammenhang die Unterteilung des politi- schen Prozesses in unterschiedliche Phasen (als Überblick Jann/Wegrich 2014; Cairney 2012, 35ff). Inspiriert durch eine frühe Unterscheidung von Lasswell (1956) werden gewöhnlich folgende Pha- sen unterschieden: Problemwahrnehmung und Agenda Setting, also die Wahrnehmung, Auswahl und Festle- gung derjenigen sozialen Phänomene, die vom politischen System als zu bearbeitende Prob- leme (issues) betrachtet werden: Was kommt wie auf die politische und administrative Tages- ordnung? Politikformulierung und Entscheidung, d.h. der Prozess, in dem politische Ziele und Pro- gramme formuliert und schließlich verbindlich beschlossen werden: Welche politischen Ziele sollen künftig wie erreicht werden? Politikdurchführung und Implementation, d.h. die Umsetzung politischer Zielsetzungen und Programme mit Hilfe unterschiedlicher Instrumente (etwa Recht, Geld, Information etc.): Wie werden politische Inhalte umgesetzt? Evaluation und Wirkungsforschung, also die Überprüfung der direkten Wirkungen (impact) und die indirekten Auswirkungen staatlicher Aktivitäten (outcomes), einschließlich nicht-in- tendierter und negativer Ergebnisse: War die Policy erfolgreich? Was hat sich eigentlich wa- rum geändert? Schließlich die mögliche (aber seltene) Terminierung, d.h. die Beendigung einer Politik, ent- weder weil sie erfolgreich war (Problem beseitigt) oder gerade auch nicht (Ziele verfehlt). Dabei können diese verschiedenen Phasen des Policy-Making zum einen als logisch und zeitlich lineare Folge aufgefasst werden (erst werden Probleme definiert und auf die Agenda gesetzt, dann werden Politikinhalte formuliert, umgesetzt, evaluiert, und schließlich, wenn die Policy er- folgreich war – oder auch gerade wenn sie nicht erfolgreich war –, wird sie terminiert). Denkbar ist aber auch die Darstellung als Kreis, als Policy-Cycle, der ohne eindeutigen Anfang oder Ende fortwährend stattfindet (vgl. Jann 1981). Beides sind allerdings, und das ist wichtig zu erkennen, offenkundig idealtypische Darstellungen, die helfen sollen, politische Prozesse besser zu beschrei- ben, zu analysieren und zu verstehen, und keineswegs realistische Abbildungen der Wirklichkeit, zumal diese Phasen im Kern die klassischen Schritte eines „rationalen“ Entscheidungsprozesses nachvollziehen (siehe Jann/Wegrich 2014, S. 100ff). Die kreisförmige Betrachtung verdeutlicht diese idealtypische und modellhafte Auffassung, denn Policy-Prozesse weisen eher selten eindeutige Anfänge und Abschlüsse auf. Zum einen werden Policies nur ausnahmsweise einer systematischen Evaluierung unterzogen, die dann zu einer Re- formulierung oder gar Terminierung führen würde, zum anderen werden Policies auch ohne sys- tematische Evaluation „schon immer“ überprüft, kontrolliert und verändert – gelegentlich sogar abgeschafft, allerdings in einem vielfältig verflochtenen, nicht eindeutig abgrenzbaren und durch- schaubarem Prozess, der prinzipiell nie abgeschlossen ist. oaewA447y0pCpjSIdjLrml5c2itqkg2ibCK5U+LPvcS3GgqZA+Ykm6+MUL+zJJ0dDtwjzqmInsA= Urheberrechtlich geschützt. Persönliche Kopie für Matrikelnummer 8302812 Verwaltungswissenschaft(en) in Deutschland 27 Abbildung 2: Der idealtypische Policy-Cycle – Quelle: Jann 1981 Die Betrachtung des politischen Prozesses als eines nie – oder doch nur selten durch Termination – endenden Prozesses lenkt die Aufmerksamkeit allerdings auch auf die Bedeutung der Verwal- tung. Denn es ist offenkundig, dass die öffentliche Verwaltung, also öffentliche Organisationen und ihr Personal, in allen diesen Phasen eine wichtige, wenn nicht entscheidende Rolle spielen. Verwaltungsorganisationen und ihre Mitglieder sind wichtige Akteure in allen Phasen des Policy Cycle. Gleichzeitig sind Strukturen und Prozesse der Verwaltung wichtige Einflussfaktoren für die Inhalte und Ergebnisse politischer Prozesse und staatlichen Handelns (siehe ausführlich 4.3): So werden Probleme nicht allein durch die Politik, sondern sehr oft durch professionelle Mit- arbeiter (und Interessen) der Verwaltung definiert und auf die politische Tagesordnung ge- setzt (etwa im Bereich der Sozial- oder Bildungspolitik), man spricht hier von politischem vs. bürokratischem, oder inside vs. outside Agenda Setting. Offenkundig spielt die Verwaltung (z.B. in der Form der Ministerial- oder Kommunalverwal- tung) auch eine entscheidende Rolle im Rahmen der Politikformulierung, also bei der Formu- lierung, Aushandlung und Auswahl politischer Alternativen, bis hin zu „Formulierungshilfen“ gegenüber parlamentarischen Gremien. Gesetzes-, Satzungs-, und Haushaltsentwürfe kom- men in aller Regel aus der Verwaltung, auch und gerade auf der kommunalen Ebene. Zudem gibt es das Phänomen der dezentralen Programmentwicklung (Alternativen werden weitge- hend vom Apparat, nicht von der politischen Führung ausgewählt und bewertet), oder auch b7jaLk92/tgA9wt/DQEL6K2rTSRg02xxYoDJllV+52vpkr/QonZsu83O1LCq3Ut7KRdgeSbBeSk= Urheberrechtlich geschützt. Persönliche Kopie für Matrikelnummer 8302812 28 Verwaltungswissenschaft(en) in Deutschland der „eisernen Dreiecke“ (enge Verbindungen und Übereinstimmungen zwischen Interessen- gruppen, den jeweiligen Fachpolitikern und den zuständigen Behörden, etwa im Bereich der Agrar-, Sport- oder Umweltpolitik). Auch bei der Umsetzung politischer Programme verfügt die Verwaltung über erhebliche Handlungsspielräume, man spricht hier z.B. von street-level-bureaucrats, die politische Pro- gramme ggf. ganz anders interpretieren und implementieren als ursprünglich intendiert, die aber vielleicht auch erst dadurch den Erfolg dieser Maßnahmen gewährleisten. Ein modernes Schlagwort ist die „kooperative Verwaltung“, die z.B. mit Adressaten Lösungen aushandelt, obwohl sie eigentlich in der Lage wäre, Entscheidungen einfach juristisch durchzusetzen (etwa im Umweltschutz). Und schließlich werden Erfolg oder Misserfolg eines politischen Programms auch und vor allem durch die beteiligte Verwaltung wahrgenommen, definiert und damit evaluiert, da sie am ehesten über die relevanten Daten verfügt und diese auch analysieren und interpretieren kann. Wissenschaftliche Gutachten und Expertisen werden in aller Regel von der Verwaltung vorbereitet, in Auftrag gegeben und ausgewertet, Politikberatung ist daher oft vorrangig Ver- waltungsberatung (vgl. 4.4). Eine weitere Besonderheit unterstreicht die Bedeutung der Verwaltung, dass nämlich Policies in aller Regel nicht im luftleeren Raum entstehen, sondern fast immer schon auf bestehende Pro- gramme und Organisationen treffen, diese ergänzen, modifizieren, mit ihnen konkurrieren oder mit negativen und nicht vorhergesehenen Folgewirkungen interagieren. Wenn der öffentliche Sektor, wie in den letzten Jahrzehnten offenkundig, seine Aktivitäten ausweitet, ist zu erwarten, dass Policy-Making schwieriger wird, denn bereits bestehende Politikinhalte, Aktivitäten und Or- ganisationen werden zu einem zentralen Element der Systemumwelt, nicht selten zu einer wich- tigen Restriktion. Policies werden zur Ursache neuer Probleme (der Ausbau der Verkehrswege verstärkt etwa die Umweltverschmutzung), auf die wiederum mit neuen Policies reagiert wird. In allen diesen Prozessen spielt die öffentliche Verwaltung eine entscheidende und wichtige Rolle. Moderne politische Systeme können ohne eine intensive Beschäftigung mit den Strukturen und Prozessen der Verwaltung und ihrer Entwicklung nicht analysiert und verstanden werden. Gleich- zeitig sind dies alles keineswegs vollständig neuartige Phänomene. Man kann sogar argumentie- ren, dass zumindest in Europa die Verwaltung als der professionelle Staatsapparat, als der „arbei- tende Staat“, eine weitaus längere Geschichte hat, als die Politik, zumindest als das, was heute als demokratische Politik und deren Institutionen wahrgenommen wird. In Europa gab es erst Bürokratie und dann, viel später, Demokratie, in den USA war die Entwicklung eher umgekehrt. Um die Geschichte der wissenschaftlichen Beschäftigung mit diesen Entwicklungen geht es im nächsten Abschnitt. ppNHV+iABhzWkJPwiJ2PmtxfYyEbOVbQV/V0U7Dwlp6129pFbkXXvcG9irWd1K9baIKieReON4g= Urheberrechtlich geschützt. Persönliche Kopie für Matrikelnummer 8302812 Verwaltungswissenschaft(en) in Deutschland 29 2.2 Kurze Geschichte der Verwaltungswissenschaft in Deutschland 2.2.1 Historische Grundlagen: Staats- und Policeywissenschaft Historisch ist Verwaltungswissenschaft in Deutschland untrennbar mit der Entwicklung der Staats- wissenschaften verbunden. Normalerweise wird angenommen, dass Staatslehre und Staatsrechts- lehre in Deutschland eine lange Tradition haben, während die Politik- und erst recht die Verwal- tungswissenschaft erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch den Druck der Alliierten und nach dem Vorbild der angelsächsischen Political Science und Public Administration im Rahmen der „Re-edu- cation“ eingeführt wurden. Diese Auffassung verkennt aber die lange Tradition dieser Wissen- schaften in Deutschland. Zwar kann hier die Geschichte der Staats- und Politikwissenschaft nicht im Detail nachvollzogen werden, aber im Folgenden soll in groben Strichen kurz skizziert werden, welche Traditionslinien bestehen und welche unterbrochen wurden (zur gesamten Staats- und Politikwissenschaft ausführlich Bleek 2001; s.a. Jann 1989 als Grundlage dieses Abschnitts und Schuppert 2003, insbesondere S. 345ff.). Ausgangspunkt der Geschichte der Verwaltungswissenschaft ist, wie fast immer im christlichen Abendland, der Rückgriff auf den antiken Philosophen Aristoteles. Im Fächerkanon der alten, mit- telalterlichen Universität gab es ein Fach Politik, das neben Ethik und Ökonomik ein Teilgebiet der praktischen Philosophie war und auf der Grundlage Aristoteles‘ Nikomachischen Ethik von Aristo- teles gelehrt wurde (vgl. zum Folgenden Maier 1966, hier in der Taschenbuchausgabe 1986 zi- tiert). Es ging um das „gute“ und „gerechte“ Leben. Im Vordergrund stand das normative Ziel und weniger die empirische Realität (Bleek 2001, S. 46f). Dies änderte sich in der Frühen Neuzeit, also etwa ab dem 16. Jahrhundert. Ausgangspunkt waren sozio-ökonomische Veränderungen. Mit der Krise der mittelalterlichen Ständeherrschaft entwi- ckelte sich der moderne Territorialstaat als Ordnungsstifter, „der mit seiner Polizei immer tiefer in die bis dahin autonomen, jetzt aber zur Selbst- ordnung mehr und mehr unfähigen Sozialbereiche vordringt und so allmählich das gesamte innere Leben der Gesellschaft seinem Gebot unterwirft“ (Maier 1986, S. 259). Polizei (normalerweise geschrieben als Policey) wurde in diesem Zusammenhang Inbegriff sämtli- cher staatlicher Aktivitäten, also praktisch synonym mit Staat und Verwaltung. Es ist offenkundig, dass damit genau das gemeint war, was heute mit dem Begriff Policy umschrieben wird, die in- haltliche Dimension des Staatshandelns: „In der Frühen Neuzeit unterschieden sich die deutsche ‚Policey‘ und das englische ‚policy‘ nur durch einen Vokal und meinten weitgehend das gleiche, nämlich die öffentliche Tätigkeit“ (Bleek 2001, S. 73f; s.a. Heidenheimer 1986). Dies war die große Zeit der deutschen Policeywissenschaft im Sinne einer umfassenden Staats- und Verwaltungswis- senschaft des absolutistischen Wohlfahrtsstaates, die mit Namen wie von Osse (1506-1577), von Seckendorf (1626-1692), und später dann von Sonnenfels (1733-1817) und vor allem von Justi (1717-1771) verbunden ist. Policeywissenschaft war in diesem Verständnis sowohl Gesetzge- bungs-, Regierungs- und Verwaltungslehre, gleichzeitig auch „Staatswirtschaftslehre“, denn es qbkkxWhISQaGdRRTvBNFMfs+SdWSD1AppvJFJEB9FHm++ZnsvgLpFla+13RDq5rZDygTkzb8mYs= Urheberrechtlich geschützt. Persönliche Kopie für Matrikelnummer 8302812 30 Verwaltungswissenschaft(en) in Deutschland ging insbesondere nach 1648 um die umfassende wirtschaftliche und soziale Entwicklung der durch den Dreißigjährigen Krieg verwüsteten Territorialstaaten, allerdings nicht als Verwaltungs- technik, sondern als Lehre von der inneren Staatsgestaltung zum Zweck des „guten Lebens“. Gleichzeitig gab es eine enge Verbindung zum sich entwickelnden Berufsbeamtentum. Die Poli- ceywissenschaft wurde im 18. Jahrhundert als das neue Fach „Kameralistik“ über den Umweg besonderer Akademien an fast allen deutschen Universitäten eingeführt (den ersten Lehrstuhl gab es in Halle 1727), nachdem im Rahmen des aufgeklärten Absolutismus deutlich wurde, dass Be- amte nicht nur juristische, sondern vor allem auch wirtschaftliche und verwaltungstechnische Kenntnisse benötigen. Die Orientierung an der Praxis staatlichen Handelns sorgte für Ansehen und Nachfrage, führte aber schließlich dazu, dass der Stoff der alten Kameralistik immer weiter- wuchs. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich zunehmend eine Spezialisierung und Differen- zierung durchsetzte. Im 19. Jahrhundert spaltete sich die alte Policeywissenschaft in drei Bereiche auf. Ein Zweig wurde die Kameralistik i.e.S. als umfassende Lehre staatlichen Wirtschaftens, die Vorgängerin der heuti- gen Finanzwissenschaft (und noch heute werden öffentliche Haushalte, zumindest in Deutschland mit Ausnahme der Kommunen, weitgehend nach dem kameralistischen System aufgestellt). Ein weiterer Zweig wurde die Ökonomik, die technische Fächer wie Land- und Forstwirtschaft, aber auch praktische Fächer wie Gewerbe-, Agrar- und Handelspolitik entwickelte und damit der Ur- sprung der modernen Volkswirtschaftslehre und der späteren Wirtschaftspolitik ist. Der dritte Be- reich war schließlich noch einmal der Versuch der Rettung einer einheitlichen Policey- und Staats- wissenschaft, wie er mit den Namen Robert von Mohl (1799-1875) und schließlich Lorenz von Stein (1815-1890) verbunden ist. Insbesondere bei von Mohl wird die entscheidende politische Neuerung des 19. Jahrhunderts deutlich, nämlich die Entwicklung des Liberalismus und damit des Rechtsstaats. Sein großes Werk heißt „Policeywissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaates“ (1831ff.), und hier wird nicht nur das wohlfahrts- und sicherheitspolitische Handeln des modernen Staates noch einmal in seiner ganzen Breite dargestellt, sondern es werden gleichzeitig materielle und formale Rechts- staatsgedanken ausformuliert. Der Staat soll die Bürger nicht bevormunden, sondern unterstützen und sich dabei auf den Vollzug von Gesetzen beschränken. Damit wird gleichzeitig der Grund zu einem rechtsstaatlichen Verwaltungsrecht gelegt. Lorenz von Stein hat mit seiner „Verwaltungslehre in 8 Theilen“ (1866-1884) und dem Konzept des „arbeitenden Staates“ noch einmal etwas Ähnliches versucht, aber im Prinzip ging die Ent- wicklung in eine andere Richtung. Die einheitliche Policey- und Staatswissenschaft, die durch von Mohl noch durch die Gründung der „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft“ (1844) 2 ver- sucht wurde zusammenzuhalten, zerfiel in einen ökonomischen und einen rechtlichen Teil, d.h. _________________________________________________ 2 Die Zeitschrift gibt es immer noch, sie heißt inzwischen „Journal of Institutional and Theoretical Econo- mics“ (JITE). UAHWeilX6vsU4z3tNcj3gHhIzYYrR0bkIug8MDQiA8qZr5D2/VVLgPJG7b9EHCfYjMNgwXafLw8= Urheberrechtlich geschützt. Persönliche Kopie für Matrikelnummer 8302812 Verwaltungswissenschaft(en) in Deutschland 31 in Volkswirtschafts- und Staats(rechts)lehre. Regierungs- und Verwaltungslehre verschwanden o- der wurden als extrem praxisorientierte „Kunde“ Beifächer der juristischen Fakultät, und auch Politik als Fach fand keinen festen Platz mehr an der Universität. 2.2.2 Siegeszug des Staats- und Verwaltungsrechts Man muss sich verdeutlichen, dass dieses Verschwinden der Policey- und Verwaltungswissenschaft nur gut 160 Jahre zurückliegt. Es hängt zusammen mit der spezifisch deutschen Entwicklung im vorletzten Jahrhundert und der Etablierung des preußisch-deutschen Obrigkeitsstaates, in dem es dem Bürgertum nicht gelang, seine Interessen parlamentarisch durch eine verantwortliche Regie- rung durchzusetzen, sondern allein im Rahmen des formellen Rechtsstaats. Die Gründe können hier nicht diskutiert werden, aber das Ergebnis ist wichtig: Gefragt waren „staatstragende“, d.h. auch staatsbildende Wissenschaften, insbesondere Staats- und Verwaltungsrecht, die die alte Po- liceywissenschaft und die Stein‘sche Verwaltungslehre zurückdrängten bzw. gar nicht zur Entfal- tung kommen ließen (ausführlich Stolleis 1988ff.). Gleichzeitig, und sicherlich nicht unabhängig davon, wurden im Zuge des sich entwickelnden Li- beralismus und Positivismus praktische Fragen nach Zielen, Zwecken und Inhalten politischer Ge- staltung im Prinzip als unwissenschaftlich angesehen. Politik wurde als willkürliche Einmischung in gegebene Ordnungen aufgefasst, und schließlich wurden Politik und Ethik als „unwissenschaft- lich“ und „bloß praxisbezogen“ aus der wissenschaftlichen Staatslehre verbannt (Kriele 1981, S. 16). Nach und nach verselbständigten sich die „empirischen“ Fragestellungen in einer Reihe selbstständiger Disziplinen (zunächst Ökonomie, dann Soziologie), die aufgrund des Postulats der Methodenreinheit gar kein Interesse daran hatten, sich mit Fragen praktischer Politik, d.h. mit Wertungen zu befassen. Gefragt waren normative Staatslehren, aber nicht empirische Verwal- tungs- oder gar Politikwissenschaft. Die Trennung zwischen normativen, d.h. vor allem juristischen, und empirischen, d.h. „seinswis- senschaftlichen“ Fragen, wird in den Staatslehren des deutschen Kaiserreichs deutlich, vor allem bei Laband (1876ff.), dem Begründer des staatsrechtlichen Positivismus (vgl. Friedrich 1986) und bei Jellinek (1900), der Rechtslehre und Soziallehre vom Staat unterschied. Im Sinne des Rechts- positivismus sollte das Recht als lückenloses System von Normen entwickelt werden, unabhängig von der gesellschaftlichen Realität. Das gesamte konkrete staatliche Handeln wurde damit in Rechtsverhältnisse aufgelöst, d.h. statt um Agrar-, Sozial- oder Verkehrspolitik (im Sinne von Poli- cies) ging es zukünftig um Agrar-, Sozial- und Verkehrsrecht. Dies ist der Ausgangspunkt des Siegeszugs des speziellen Verwaltungsrechts in Deutschland, das praktisch als Ersatz für eine em- pirische Verwaltungswissenschaft diente. Dabei ist die Leistung der deutschen Rechtswissenschaft, nämlich Staatstätigkeit unter rechtlichem Aspekt faktisch oder zumindest vermeintlich systema- tisch erschließbar gemacht und gleichzeitig den Staat als „Rechtsstaat“ unter dem (von ihm ge- schaffenen) Recht etabliert zu haben, ohne Zweifel bemerkenswert. Der ideologische Hintergrund dieser Auffassungen ist allerdings auch offenkundig. Nur nach der in Deutschland gescheiterten bürgerlichen Revolution und unter den stabilen und von oben regu- lierten Verhältnissen des wilhelminischen Kaiserreichs konnte die Vorstellung entstehen, dass 2M96MEkaFKU+BVLy6OVAUncewr+Bh5w9I30lONvtmdBWzqpgDsUbTyXLbw3XY4NsKhDsgKlA5lA= Urheberrechtlich geschützt. Persönliche Kopie für Matrikelnummer 8302812 32 Verwaltungswissenschaft(en) in Deutschland Staatshandeln in erster Linie Recht und nicht Politik ist (Sontheimer 1976, S. 75). Legitimations- probleme, z.B. Willensbildung und Demokratie, aber auch Fragen nach Effektivität oder Effizienz staatlichen Handelns wurden von dieser Staats(rechts)lehre ignoriert. Der abstrakte Staat, nicht das politische Handeln der Bürger und erst recht nicht der Verwaltung standen im Zentrum der Aufmerksamkeit, Politik war „Kunst“ (wenn nicht „schmutzig“), und man sollte sich lieber von ihr fernhalten. Erst gegen Ende der Weimarer Republik wurden diese eindeutig an einen un- oder vor-demokra- tischen Obrigkeitsstaat gebundenen Vorstellungen infrage gestellt. Staatsrechtslehrer dieser Zeit schrieben Staats- und Verfassungslehren, die nichts anderes als Politikwissenschaft waren. Carl Schmitt, Rudolf Smend und Hermann Heller, um nur die bedeutendsten zu nennen, waren nicht nur Staatsrechtslehrer, sondern politische Staatstheoretiker, ohne sich allerdings unbedingt als solche erkennen zu geben. 3 Eine etablierte Politikwissenschaft gab es nicht, und das Prestige der juristischen Staatsrechtslehre war natürlich nicht unwillkommen. Das Gleiche gilt für die Verwal- tung: Normatives Verwaltungsrecht war die Königsdisziplin, empirische Verwaltungslehre allen- falls „Hilfswissenschaft“. Auf die sehr problematische Rolle, die Staats- und Verwaltungsrechtler bei der Zerschlagung der Weimarer Republik und der Etablierung, Rechtfertigung und Stabilisierung der Nazi-Diktatur ge- spielt haben, kann hier nicht gesondert eingegangen werden (vgl. z.B. Staff 1978: 147ff. m.w.A.). Erwähnt werden soll nur, dass die These, der Niedergang der Weimarer Republik sei vor allem durch den juristischen Positivismus unterstützt worden, zumindest zweifelhaft ist. Es waren nicht Positivisten wie Anschütz und Kelsen, die die Diktatur mit Hilfe fragwürdiger Theorien vorbereite- ten und schließlich unterstützten und rechtfertigten, sondern gewissenlose und/oder opportunis- tische Ideologen vom Schlage eines Carl Schmitt, die für jegliches Unrecht, von der totalitären Diktatur bis hin zum brutalen Antisemitismus und unbedingten Führerbefehl, eine „rechtliche“, in Wirklichkeit aber politische Begründung lieferten (zur „Demokratietheorie“ Carl Schmitts siehe Böhret/Jann/Kronenwett 1988, S. 222ff. m.w.A.). Interessanter- und auch merkwürdigerweise spielte die bis heute wichtigste und grundlegendste sozialwissenschaftliche Verwaltungstheorie, nämlich Max Webers Bürokratietheorie, die 1922 posthum in dem berühmten Werk „Wirtschaft und Gesellschaft“ veröffentlicht wurde, in der deutschen Verwaltungswissenschaft der Zwischenkriegszeit kaum eine Rolle. Sie wurde vorrangig als Herrschaftssoziologie wahrgenommen, und die hatte für Juristen für das Verständnis von Ver- waltung keine praktische Relevanz. Tatsächlich haben sich die grundlegenden Einsichten Webers daher auch erst nach dem Zweiten Weltkrieg, zum Teil über den Umweg der USA, in Deutschland durchgesetzt (siehe zu Weber unten 4.1). _________________________________________________ 3 Dies gilt nicht für Herman Heller, der für die erste Encyclopaedia of the Social Sciences (E.R.A. Seligman et a1. 1934) den Beitrag über „Political Science“ verfasste, und der in seiner Staatslehre häufig den Aus- druck „Political Science“ verwendet. Er wollte diesen offensichtlich vor Drucklegung durch ein deutsches Pendant ersetzen, ist aber vorher verstorben. Der Herausgeber hatte dafür den etwas unbeholfenen Be- griff „Politikologie“ eingesetzt, der aber in der Neuausgabe durch „politische Wissenschaft“ ersetzt wurde (Heller 1971, Gesammelte Schriften, 93ff.). db7B7niXEBV0+f6uh3YXf5C+tU1Rflbg36FFGmRx+KORzhKyUlc5Zb3APoce2EXZlrZmeH4YFgk= Urheberrechtlich geschützt. Persönliche Kopie für Matrikelnummer 8302812 Verwaltungswissenschaft(en) in Deutschland 33 2.2.3 Lehren aus dem Nationalsozialismus Vor diesem sicherlich sehr knapp skizzierten Hintergrund muss die Entwicklung der Politik- und Verwaltungswissenschaft in der Nachkriegszeit gesehen werden. Dabei geht es im Folgenden vor allem um die Entwicklung in Westdeutschland. In der DDR war die Abkehr vom alten System zunächst viel drastischer und gründlicher, die Orientierung an der Sowjetunion führte allerdings auch dazu, dass es keine eigenständige Politik- oder gar Verwaltungswissenschaft gab, und auch bis in die achtziger Jahre kein eigenständiges Verwaltungsrecht. In der DDR wurde eine zentralis- tische Kaderverwaltung nach sowjetischem Vorbild aufgebaut, die sich möglichst umfassend von der alten Verwaltung und damit auch Staatsrechtslehre unterscheiden sollte (Stolleis 2017, siehe auch unten 5.3). In Westdeutschland gab es auf der einen Seite eine beinahe ungebrochene Traditionslinie auf juristischem Gebiet, die sich durch Namen wie Maunz (Staatsrecht), Forsthoff (Verwaltungsrecht) und Koellreutter (Staatslehre) veranschaulichen lässt, die alle aktive Apologeten und Ideologen des Nationalsozialismus gewesen waren. Aktive wissenschaftliche und politische Unterstützung des Faschismus war, außer in einigen wenigen extremen Fällen, kein Hinderungsgrund für die Fortsetzung einer staats- und/oder verwaltungsrechtlichen Karriere in der Bundesrepublik. Gerade deshalb wurde von den Alliierten, aber besonders auch von den zurückkehrenden Emigranten, die Einführung einer unbelasteten, empirischen Politikwissenschaft und eines unbelasteten Be- rufsbeamtentums für so wichtig gehalten (s.a. unten 5.1). Diese Orientierung führte allerdings dazu, dass sich Staatslehre, Staats- und Verwaltungsrecht auf der einen und Politik- und Verwal- tungswissenschaft auf der anderen Seite weitgehend unabhängig voneinander entwickelten (vgl. zum Folgenden Jann 1989 m.w.A.). 2.2.3.1 Staatsrechtslehre, Allgemeine Staatslehre und Verwaltungsrecht Im Staats- und Verwaltungsrecht ging es, wie im gesamten öffentlichen Recht, weiter um Aufbau, Organisation und rechtliche Ausgestaltung von Staat und Verwaltung. Ausgangspunkt war die Interpretation der neuen Verfassung, also des Grundgesetzes. Allerdings können Verfassungsnor- men nicht ohne politische Leitideen und ohne Berücksichtigung der sozialen Realität interpretiert werden. Das Grundgesetz ist „alles andere als ein offenes Buch, das jeder des (juristischen) Lesens Kundige“ nur zu studieren brauchte, um klare und eindeutige Aussagen zu enthalten. Hier wurde daher an die Weimarer Verfassung angeknüpft, aber auch immer wieder an ‚Recht und Gesetz‘ der Nazizeit und vor allem an das alte Verwaltungsrecht. Ein richtiger Staatslehrer wie der spätere Bundespräsident Herzog war sich dabei sicher, dass es bei den Sozialwissenschaften nichts zu lernen gibt: „Es gibt kaum eine Frage des Staatslebens und der Staatsgestaltung, die nicht zumin- dest unter rechtlichen Gesichtspunkten schon einmal erörtert worden wäre und deren Lösung durch die Rechtsdogmatik infolgedessen nicht unmittelbar in die Überlegun- gen der Staatslehre eingebracht werden könnte. Deshalb ist eine auf der Rechtsdog- matik als Erfahrungsgrundlage aufbauende Staatslehre wohl noch auf Generationen O7pXnNpDpgJ4QkspIdJ3Kni+YqK505OajRyGl5LZo6bo3+s32ab6V9LCzAOw1lPTIJzMgSa27LU= Urheberrechtlich geschützt. Persönliche Kopie für Matrikelnummer 8302812 34 Verwaltungswissenschaft(en) in Deutschland hinaus zu detaillierten und exakteren Aussagen über die Probleme des Staates im- stande als die notwendigerweise auf empirischen Erfahrungen beruhende Politikwis- senschaft“ (Herzog 1971, S. 32). Rechtsdogmatik als Erfahrungsgrundlage ist aus dieser Sicht rein empirischen Aussagen überle- gen, auch und gerade für Verwaltungshandeln. Nun ist gegen juristische Begründungen des Staa- tes, seiner Organisationen und Aktivitäten nichts einzuwenden, aber diese dürfen nicht als empi- rische Wahrheiten angesehen werden. Die Bedeutung der juristischen Staatslehre für die Verwaltung lag also insbesondere darin, dass hier eine normative politische Theorie von Staat und Verwaltung entwickelt wird, die qua vielfältiger Verbindungen zwischen Staats(rechts)lehre, Ver- fassungs- und Verwaltungsrecht und -justiz und der führenden Stellung von Juristen in Politik und öffentlicher Verwaltung dazu führt, dass „eine Art demokratisch nicht kontrollierte Nebengesetzgebung entstanden (ist). Die Wissenschaftler entwerfen Denkmuster, Doktrinen und Ideologeme, die von schlich- ten Erfindungen über Auslegungen contra legem bis zu echten Interpretationen rei- chen. Als zur herrschenden Meinung formierten Ansicht im Schrifttum wird sie von der Justiz mit höchstem Geltungsanspruch in vielen (...) Fällen in die Rechtspraxis um- gesetzt“ (Fangmann 1981, S. 215, zitiert bei Hammans 1987; vgl. auch Wesels Essay über Entstehung und Bedeutung der „herrschenden Meinung“ in der Jurispru- denz). Die Einübung solcher theoretischen Denk- und Argumentationsmuster in der öffentlich-rechtli- chen Ausbildung und Tätigkeit und die permanente Produktion von Kommentaren und anderen Publikationen verschafften den Staats(rechts)lehrern daher einen weit über ihren Wissenschafts- bereich hinausgehenden Einfluss auf die politische Entwicklung, insbesondere aber auch der Ver- waltung (vgl. Voigt/Luthardt 1986, S. 135). Verwaltungswissenschaft der Nachkriegszeit bestand im Kern aus Staats- und Verwaltungsrecht. Auffallend ist, dass diese Aufgabe, nämlich zukünftigen „Staatsdienern“ eine solide Grundbildung zu vermitteln, in anderen Kulturkreisen von der Politik- und Verwaltungswissenschaft wahrge- nommen wird. In den USA ist es z.B. der normale Weg, dass ein zukünftiger Jurist auf dem College seinen BA in Political Science macht, um dann z.B. an eine Law School zu wechseln. Zukünftige Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes studieren allerdings i.d.R. nicht Jura, sondern z.B. Public Ad- ministration oder Public Policy an einer Graduate School. Warum dies in der Bundesrepublik nicht durchgesetzt werden konnte, warum es bei uns lange zwei politische Grundbildungen und damit auch Verwaltungs-Wissenschaften gab, eine für Juristen (Staatslehre, öffentliches Recht und Ver- waltungslehre) und eine andere vor allem für alle anderen Interessierten (Politik- und Verwaltungs- wissenschaft), soll im nächsten Abschnitt skizziert werden. 2.2.3.2 Politikwissenschaft, Innenpolitik und Regierungslehre Die nach der faschistischen Diktatur in der Bundesrepublik etablierte Politikwissenschaft knüpfte im Prinzip nicht an die Traditionen der politischen Staatslehre der Weimarer Republik oder an Qhr4tOOcUI7wD+9uaUhKYlGbV2191NSr6kKK/w8mtBD+ySHWKTXmIegAcpq0IwmEshUOVnZSS+U= Urheberrechtlich geschützt. Persönliche Kopie für Matrikelnummer 8302812 Verwaltungswissenschaft(en) in Deutschland 35 ältere deutsche Traditionen an, sondern orientierte sich in erster Linie am Vorbild der angelsäch- sischen Political Science. Diese Ausrichtung ist aus mehreren Gründen nur zu verständlich. Zum einen waren führende Vertreter der neuen westdeutschen Politikwissenschaft dort in der Emigra- tion gewesen, hatten diese Wissenschaft kennengelernt und zum Teil sogar mitgeprägt (obwohl die meisten von ihnen ursprünglich Juristen waren, z.B. Fraenkel, Kirchheimer, Loewenstein, Her- mens, Neumann; s.a. insbesondere in Bezug auf öffentliche Verwaltung Seckelmann/Platz 2017). Verständlicherweise hatten sie ein brennendes Interesse, an der Errichtung eines demokratischen Deutschlands mitzuwirken, nicht zuletzt dadurch, dass das alte Gerede von der dem deutschen Wesen fremden westlichen Staatsform endlich aus der Welt geschafft wurde. Zum anderen war die Staatsrechtslehre durch die Mitwirkung ihrer führenden Vertreter an der faschistischen Dikta- tur zumindest in den Augen dieser Wissenschaftler gründlich diskreditiert. Aber die Vorbehalte gegen die Staatslehre gingen tiefer, denn selbst, wenn sie nicht offen faschistisch gewesen war, so schien sie doch Ausdruck einer kritikwürdigen Fixierung auf den Staat und dessen Überhöhung zu sein. Mit Staat verbanden sich Konzepte wie Obrigkeitsstaat oder Staatsräson, und damit wie- derum Voraussetzungen des Faschismus. Die neu etablierte Politikwissenschaft nahm daher nicht das Konzept des Staates als Ausgangs- punkt, sondern orientierte sich am angelsächsischen Konzept des Government. Nicht der ahisto- rische und übergesellschaftliche Staat, sondern gerade die konkrete Ausgestaltung der politischen Organisationen zum Zwecke der Wahrnehmung allgemeiner Aufgaben wurde problematisiert. In diesem Sinne haben auch die politikwissenschaftlichen „Gründerväter“ Staatslehren geschrieben, aber sie nannten sie nicht Staatslehren, sondern eher „Verfassungslehren" (Loewenstein 1959; Hermens 1964) bzw. „Verfassungsstaat der Neuzeit“ (Friedrich 1953). Friedrich drückt die gewollt andere Orientierung deutlich aus: „Gegenstand und Methode der Wissenschaft von der Politik sind in Kürze schwer zu kennzeichnen. Ihr Gegenstand ist natürlich der ‚Staat‘, aber man darf sich nicht mehr darunter vorstellen, als das, was das englische government meint. Es handelt sich um die Formen der Herrschaft. Jede metaphysische Verabsolutierung des Staatsbegriffs ist der Betrachtungsweise entgegengesetzt, mit der der Gegenstand in diesem Buch untersucht wird; ein metaphysisches Absolutum kann nicht Objekt kritischer Tatsa- chenforschung sein. Um diese aber geht es“ (Friedrich 1953, S. VII). Staatslehre war für die Gründer der Politik- und Verwaltungswissenschaft zu belastet, zu statisch, zu ahistorisch und zu undemokratisch. Stattdessen war Verfassungs- und noch mehr Demokratie- lehre gefragt, obwohl sich niemand traute, eine „Demokratielehre“ zu schreiben (siehe aber Fried- rich 1959 und Ellweins „Politische Verhaltenslehre“ aus dem Jahre 1964). Wichtig sind nach die- sem Verständnis Institutionen, und praktisch alle „Klassiker“ der deutschen Politikwissenschaft haben sich daher mit der Begründung, Erklärung und Beschreibung von politischen Institutionen auseinandergesetzt, z.T. sogar „Institutionenlehren“ vorgelegt (Gablentz 1965; vgl. zum folgen- den die Zusammenfassung von Göhler 1987, S. 31ff.). Zunächst ist anzumerken, dass das Programm der Gründerväter weitgehend erfüllt wurde. Die fünfziger und sechziger Jahre zeichnen sich durch eine Fülle von Studien über die Funktionsbedin- gungen eines demokratischen Staates, konkret der pluralistischen parlamentarischen Demokratie oIRBojbg4XZaRToNOcdzsGB/G0JxJYlUPVcHtxPTACsHSZtndERmSx58Yhw+34yIcppEKtxcH7w= Urheberrechtlich geschützt. Persönliche Kopie für Matrikelnummer 8302812 36 Verwaltungswissenschaft(en) in Deutschland in der Bundesrepublik, aus (siehe die Übersicht von Ellwein 1986a und auch Göhler 1987). Diese wurden auch in repräsentativen Lehrbüchern zusammengefasst, wobei aber i.d.R. das „Regie- rungssystem“ (Ellwein 1963) bzw. das „politische System“ (Sontheimer 1971) der Bundesrepublik Deutschland im Vordergrund standen. Es etablierte sich das Feld, das dann Regierungssystem oder etwas unglücklich Innenpolitik 4 genannt wurde, in dem es um die Institutionen und Verfahren der politischen Herrschaft und Willensbildung geht. Die weitere Ausdifferenzierung und Zersplitterung der Politikwissenschaft in den sechziger und siebziger Jahren kann hier nicht weiterverfolgt werden (vgl. Ellwein 1986a; Bleek 2001). Festzu- halten ist, dass sowohl die vorherrschende empirische Ausrichtung wie eine gewisse normative Orientierungslosigkeit, die mit der Methode des kritischen Rationalismus zusammenhängt, dazu führten, dass von der Politikwissenschaft keine repräsentativen Staats- oder Regierungslehren ver- fasst wurden. Und auch die Verwaltung, der „arbeitende Staat“, geriet noch nicht richtig in ihr Aufmerksamkeitsfeld. Zunächst ging es um Demokratie, die Input-Faktoren des politischen Sys- tems im Sinne des eastonschen Modells, seine politische und demokratische Legitimation standen eindeutig im Vordergrund. Dabei wurde im Rahmen der Demokratie-, Parteien- oder Pluralismus- theorie durchaus normativ im Sinne einer liberalen Staatstheorie argumentiert, allerdings war nicht klar, ob diese Bemühungen eher im Bereich „Politische Theorie“ oder „Regierungssystem“ zu verorten waren. 5 Natürlich wurde dieses Manko bemerkt, und es ist nicht weiter verwunderlich, dass gerade ein normativ engagierter Politikwissenschaftler wie Wilhelm Hennis das Fehlen einer expliziten Regie- rungslehre in einem viel beachteten programmatischen Aufsatz 1965 anprangerte. Hennis nimmt seinen Ausgangspunkt in der Beobachtung, dass sich moderne Staaten durch drei Kriterien aus- zeichnen. Sie sind, wie von den Gründervätern herausgearbeitet, Verfassungsstaaten, sie sind de- mokratisch, aber hinzukommt, dass sie soziale und wirtschaftliche Leistungen erbringen, sie sind „arbeitender Staat“, Leistungsstaat oder mit einem modernen Begriff Wohlfahrtsstaaten (Hennis 1965, S. 423f.). Genau hier sieht er das größte Versäumnis der politischen Wissenschaft. Bisher wurde Government nur als institutionalisierte Ordnung, nicht als Inbegriff von Tätigkeiten aufge- fasst, „aber nicht das Regierungssystem, sondern das Regieren scheint mir unter den mo- dernen Bedingungen zum zentralen Problem der Politischen Wissenschaft avanciert zu sein und die Analyse seiner Technik ihre vordringliche Aufgabe“ (ebd., S. 424). Hennis fragt, wie es kommt, dass Regieren von der Politikwissenschaft bisher weitgehend ignoriert worden war. Für ihn ist „Regieren das Erbringen einer Leistung“, und im Prinzip verlangt er nichts anderes, als dass sich die Politikwissenschaft nicht nur mit den Strukturen und Prozessen der mo- dernen Regierung beschäftigen soll, sondern auch mit den durch sie hervorgebrachten Inhalten. _________________________________________________ 4 Der Begriff ist insofern unglücklich, als darunter auch spezielle Politikbereiche verstanden werden können („domestic policies“), also Sozial-, Gesundheits-, Familienpolitik usw. 5 Das Lehrbuch „Innenpolitik und politische Theorie“ (Böhret/Jann/Junkers/Kronenwett, zuerst 1979) ver- sucht genau diesen Punkt aufzugreifen, indem es unterschiedliche theoretische Ansätze zum Regierungs- system präsentiert und gleichzeitig die Bandbreite normativer Positionen illustriert. UQLsoQMQtyWQvcWguDbENhTGfH77YBvlD/U5cGHWzqkuKxG1zrOwVQLDNBxu0DtfJpnNVZSQH9g= Urheberrechtlich geschützt. Persönliche Kopie für Matrikelnummer 8302812 Verwaltungswissenschaft(en) in Deutschland 37 Mit den oben eingeführten Begriffen geht es ihm also um eine Ausweitung von Polity und Politics hin zu Policies. Wenn Hennis als zentrale Fragestellung formuliert „Wie gewinnt ein Staat Hand- lungsfähigkeit, wie organisiert er seine Arbeit, welches sind die optimalen Instrumente zur Erfül- lung seiner Aufgaben?“ (ebd., S. 429), ist damit nichts anderes als das Programm einer modernen Verwaltungswissenschaft formuliert, und es gibt auch schon Anklänge an die moderne Gover- nance-Diskussion (siehe 2.4.4). Es ist eher tragisch-komisch, dass aufgrund nicht zu verleugnender unterschiedlicher normativer und wissenschaftstheoretischer Grundüberzeugungen (und daraus folgender Abneigung der jeweiligen Nome

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