Reading with Texts and Media: A Competence Model (PDF)
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Juliane Köster/Cornelia Rosebrock
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This document is an educational text about the development of reading comprehension. It describes the different educational methods that should be considered when teaching reading skills. The text explains how to assess children’s competency by using simple exercises, also mentioning the importance of social contexts .
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104 6 Lesen – mit Texten und Medien umgehen Juliane Köster/Cornelia Rosebrock 6.1 Der Kompetenzbereich Lesen – mit Texten und Medien umgehen „Gut lesen können“ – das ist bekanntlich eine Schlüsselkompetenz, und es ist eine, wenn nicht die zentrale Aufgabe der Grundschule, diese Kompetenz zu vermi...
104 6 Lesen – mit Texten und Medien umgehen Juliane Köster/Cornelia Rosebrock 6.1 Der Kompetenzbereich Lesen – mit Texten und Medien umgehen „Gut lesen können“ – das ist bekanntlich eine Schlüsselkompetenz, und es ist eine, wenn nicht die zentrale Aufgabe der Grundschule, diese Kompetenz zu vermitteln. Vielleicht ist es diese elementare kognitive und kulturelle Bedeutung des Lesens, die dazu führte, dass die KMK-Standards für die Primarstufe nur vergleichsweise vage und generelle Vorgaben liefern (vgl. Köster, 2008) und voneinander schlecht abgegrenzt sind. Entsprechend lassen sich auch relativ wenige der Standards im Unterricht oder mit standardisierten Testverfahren zuverlässig überprüfen. Die meisten Standards benennen Kompetenzen. Nur vier beziehen sich dagegen auf Kenntnisse, die erworben werden müssen. Diese vier fordern ein basales Textsortenwissen, nämlich: ■ „verschiedene Sorten von Sach- und Gebrauchstexten kennen“, ■ „Erzähltexte, lyrische und szenische Texte kennen und unterscheiden“, ■ „Kinderliteratur kennen: Werke, Autorinnen und Autoren, Figuren, Handlungen“, ■ „Angebote in Zeitungen und Zeitschriften, in Hörfunk und Fernsehen, auf Ton- und Bildträgern sowie im Netz kennen“. Diese vier wissensorientierten Standards sind im Prinzip leicht überprüfbar, wenn man sich einmal einigt, welche Werke und Autoren, welche Textsorten, welche Internetseiten usw. gekannt werden sollen. Zum größeren Teil beziehen sich die Standards aber auf Fähigkeiten, die durch den Umgang mit Texten erworben werden sollen und die für den Umgang mit Texten notwendig sind. Das sind Kompetenzen, die ■ die kognitiven Leistungen im konkreten Lesevorgang betreffen, sogenannte Prozessleistungen, z. B. „altersgemäße Texte sinnverstehend lesen“ oder „gezielt Informationen suchen“, ■ sich auf die Fähigkeit zur subjektiven Beteiligung an Texten und zur individuellen Reflexion über Texte beziehen, z. B. „bei der Beschäftigung mit literarischen Texten Sensibilität [... ] für Gedanken und Gefühle [...] zeigen“ oder „eigene Gedanken zu Texten entwickeln [...]“, und die schließlich Kompetenzaufbau im Unterricht 105 ■ mit der Fähigkeit zu tun haben, über Texterfahrungen mit anderen zu kommunizieren und den kulturellen Umgang mit Textmedien einzuüben, z. B. „ein Kinderbuch [...] vorstellen“, „[...] zu Texten Stellung nehmen und mit anderen über Texte sprechen“, „Texte begründet auswählen“, „sich in einer Bücherei orientieren“ oder „Informationen in Druck- und [...] elektronischen Medien suchen“. Damit sind in den Standards die drei Ebenen angesprochen, auf denen sich die kindlichen Lesefähigkeiten und Lesebedürfnisse im Laufe der Grundschulzeit entwickeln. Das sind 1. die Ebene der Prozessleistungen, 2. die persönliche und 3. die soziale Ebene (s. u. Abschnitt Lesekompetenz). Lehrkräfte sollten diese systematisierenden Kategorien für die Aufgabenstellungen in ihrem Leseunterricht nutzen; denn es gilt, professionelle Aufmerksamkeit für die Fähigkeiten und Möglichkeiten der Schülerinnen und Schüler auf allen drei Ebenen zu entwickeln und auf allen drei Ebenen das Lernen zu fördern. Literarisches Lesen und das Lesen von informierenden Texten sind in den Standards nicht voneinander getrennt; das ist auch sinnvoll, denn die verschiedenen Lesehaltungen für die unterschiedlichen Textgruppen und die damit verbundenen Leseziele differenzieren sich erst im Verlauf der Grundschulzeit und darüber hinaus aus. 6.2 Kompetenzaufbau im Unterricht 6.2.1 Entwicklung von Schülerkompetenzen im Bereich Lesen – mit Texten und Medien umgehen Literale Vorläuferfähigkeiten und Anfangsunterricht Zum Zeitpunkt des Schuleintritts sind viele Kinder in der Regel schon relativ kompetente Textverarbeiter: Je nach den häuslichen Bedingungen haben sie konzeptuell schriftsprachliche Texte im Medium des Mündlichen kennengelernt. Ihnen wurden Bilder- und Kinderbücher vorgelesen, vielleicht auch Sachtexte für Kinder, sie haben Hörbücher oft in großer Menge und vielen Wiederholungen gehört, es wurden Witze und Geschichten erzählt, Kinderverse und Abzählreime haben sie selbst gelernt, sie kennen auch Lieder. Schließlich bietet das Fernsehen – je nach Programm – schriftsprachliche Texte in mündlicher Form, es unterstützt und entlastet das Verstehen durch die bewegten Bilder. Beim Eintritt in die Schule bringen die Kinder also einige Vorläuferfähigkeiten des Lesens mit. Sie verfügen in der Regel über Textsortenkenntnisse, können beispielsweise ein Märchen mustergerecht zu Ende erzählen. Sie haben auch schon Wortkonzepte, sie können bereits Wortbilder ganzheitlich 106 Lesen – mit Texten und Medien umgehen „lesen“, eigentlich wiedererkennen, etwa die Logos von Firmen, die sie auch meist „schreiben“ oder vielmehr malen können (sogenannte logographemische Strategie). Im Unterricht wird ihnen zunächst die Zuordnung von Buchstaben und Lauten nahegebracht, die Graphem-Phonem-Korrespondenz, sodass sie im Prinzip jedes Wort erlesen können. Hier steht, auch wegen der Langsamkeit solcher Dechiffrier-Prozesse, das Schreiben unterrichtlich im Vordergrund. Das Konzept „Lesen durch Schreiben“ von Reichen (2001) ist sogar ganz auf die Aneignung dieser alphabetischen Strategie hin ausgerichtet. Aber auch Fibel-Lehrgänge setzen das eigenständige Schreiben oder das Abschreiben von Wörtern bevorzugt ein. Wie erfolgreich und schnell sich die Sechsjährigen diese alphabetische Strategie aneignen und sie für das eigenständige Lesen und Schreiben nutzen, ist wiederum u. a. von dem Ausmaß an Erfahrungen mit Schriftlichkeit in der Vorschulzeit abhängig. Kinder aus bildungsnahen Elternhäusern können oft besser Laute in gehörten Wörtern diskriminieren (sie erkennen z. B. die lautlichen Differenzen in Haus–Maus, Berg–Burg), weil sie mehr bewusste Erfahrungen mit sprachlichen Gestaltungen aus ihrer familiären Sozialisation mitbringen. Diese Fähigkeit zur Lautdiskriminierung (die sogenannte phonologische Bewusstheit) hilft ihnen natürlich beim eigenständigen Schreiben oder Erlesen von Wörtern. Aber schon bei der Erarbeitung der Buchstaben-Laut-Beziehungen in den ersten Schulwochen beginnen die Kinder eine weitere Strategie einzusetzen, insbesondere bei kurzen bzw. häufigen Wörtern (z. B. „in“, „und“, „Mama“, der eigene Name usw.): Sie erkennen nämlich diese Wörter bzw. einzelne Silben ganzheitlich wieder, d. h., sie müssen sich nicht umständlich und entsprechend langsam mit der alphabetischen Strategie ein solches Wort buchstabenweise laut vorlesen und ihm dann über das gehörte Lautbild eine Bedeutung zuordnen. Mit dem viel schnelleren ganzheitlichen Wiedererkennen von Morphemen und Wörtern haben sie die sogenannte orthographische Strategie entdeckt, die nach der unmittelbaren Alphabetisierung das Lesen-Lernen die ganze Grundschulzeit über bestimmt: Neue Wörter müssen etwa vier Mal bewusst erlesen werden, um aktiv in den Sichtwortschatz aufgenommen und künftig automatisiert wiedererkannt zu werden (Honig 1996, Levy et al. 1995). Am Ende der Grundschule wird den Standards zufolge erwartet, dass die Kinder Texte im Rahmen des Grundwortschatzes flüssig, also in dieser automatisierten Weise, lesen können („Texte genau lesen“, „Texte präsentieren: selbstgewählte Texte zum Vorlesen vorbereiten und sinngestaltend vorlesen“). Weiterführendes Lesen Der „technische“ Leselehrgang tritt nach der unmittelbaren Alphabetisierung in den Hintergrund; die Leseflüssigkeit entwickelt sich nun durch Üben weiter, das an Texten in den verschiedenen schulischen Sachfeldern gewissermaßen Kompetenzaufbau im Unterricht 107 beiläufig praktiziert wird. Die Fähigkeit, auch komplexe Geschichten zu verstehen, und die Freude daran hat ein guter Grundschulunterricht auch in der Phase der unmittelbaren Alphabetisierung unabhängig vom Buchstabieren beispielsweise durch Vorlese-Geschichten, Lieder, Filme usw. unterstützt. Fast alle Kinder sind bei Schuleintritt sehr motiviert, das Lesen zu lernen. Aber der Schritt vom verstehenden Hören schriftsprachlicher Texte zum eigenständigen Lesen ist anspruchsvoll, und die Kluft zwischen den Textverstehensfähigkeiten von Sechs-, Sieben- und noch Achtjährigen auf der einen Seite und ihren technischen Lesefähigkeiten auf der anderen bleibt groß. Man kann grob schätzen, dass sich diese Kluft etwa mit 9 Jahren, also in der dritten Klasse, schließt; dann können gute kindliche Leserinnen und Leser nämlich die Texte, die ihren intellektuellen Bedürfnissen entsprechen, auch selbstständig und genuss- bzw. interessenorientiert lesen. Der Dechiffriervorgang der Zeichen ist nunmehr über weite Strecken automatisiert, sodass die „technische“ Seite des Lesens, die Schriftentzifferung, müheloser und schneller geworden ist und mehr kognitive Ressourcen für die geistige Verarbeitung des Textes frei geworden sind, die die inhaltliche Beteiligung an Figuren und Handlungen in Geschichten eröffnen und das Lesen erst genussvoll machen. So kommt eine Dynamik zustande, bei der das intellektuelle und emotionale Engagement für das Gelesene bewirkt, dass mehr gelesen wird, was seinerseits bewirkt, dass besser gelesen wird, was wiederum dazu führt, dass noch mehr gelesen wird. Diese Dynamik mündet in die aus der Lesesozialisationsforschung bekannte Viellese-Phase in der späten Kindheit, die bis zur Pubertät anhält: In dieser Phase ist bei glückenden Verläufen der Lesesozialisation Lesen ein selbstbelohnender Zugang zur Welt geworden, die Kinder lesen auch in der Freizeit viel und gerne und sie entwickeln lesebezogene Interessen. Typische Leseprobleme nach dem Anfangsunterricht Das gilt aber nur für die Kinder, deren Leseentwicklung in den ersten Grundschuljahren gute Fortschritte macht. Ein erheblicher Teil von etwa 20 % verlässt dagegen gegenwärtig die Grundschule, ohne ausreichend Leseflüssigkeit erworben zu haben. Diese schlechten Leserinnen und Leser lesen auch beim Übergang in die weiterführende Schule zu langsam (nämlich nur etwa 100 Wörter pro Minute oder langsamer bei altersangemessenen Texten), sie lesen nicht ausreichend genau (nur 95 % der Wörter oder weniger werden genau gelesen), sie lesen nicht ausreichend automatisiert (immer wieder müssen Wörter einzeln erlesen werden, was sich am typischerweise stockenden Lesefluss zeigt) und sie sequenzieren schließlich die Sätze beim Lesen nicht sinnorientiert (was sich an Wort-für-Wort-Lesungen, unangemessenen Pausen und falscher Intonation beim Vorlesen zeigt) (vgl. Rosebrock/Nix 2008). Das 108 Lesen – mit Texten und Medien umgehen sind alles Merkmale mangelnder Leseflüssigkeit, das letztgenannte, die ungenügende sinnhafte Einteilung der Sätze, weist schon darauf hin, dass diese Kinder zu wenig auf das Textverstehen hin orientiert und zu stark mit dem Dechiffrieren beschäftigt sind. Sichtbar ist aber zunächst, dass sie insgesamt nicht ausreichend flüssig lesen, was sich als gravierendes Hindernis für das „reading engagement“, also für die aktive Weiterverarbeitung des Gelesenen während des Leseprozesses, und damit für das Textverstehen insgesamt, erweist. Deshalb werden diese Kinder mit zunächst nur leicht verzögerter Leseentwicklung schnell von der Progression in allen Fächern abgehängt und sind in ihrer gesamten Lernentwicklung erheblich behindert. Statt sich beim Lesen auf die höheren mentalen Leistungen, nämlich auf die aktive Herstellung von Zusammenhängen, hin zu orientieren, vermeiden sie das Lesen, wo es geht, üben zu wenig und bleiben dann, wenn sie lesen müssen, notwendigerweise vor allem auf das Entziffern der Wörter konzentriert. Deshalb wachsen sie im Verlauf der Grundschulzeit auch nicht aus der oben genannten Diskrepanz heraus, die zwischen unzureichender Dechiffrierfähigkeit und entwickeltem Sprachverstehen besteht und die in der Schuleintrittsphase für alle Kinder gilt. Vielmehr bleibt das Dechiffrieren für diese schwachen Leser und Leserinnen so mühsam, dass sie zu den belohnenden Seiten dieser Anstrengung – der spannenden oder lustigen Geschichte, dem interessanten Sachgebiet – gar nicht vordringen. Zugleich werden die Texte, deren Verständnis von ihnen gefordert wird, länger und komplexer, und darüber hinaus werden Textsortenkenntnisse verlangt. Auch in ihrer Freizeit lesen diese schwachen Leserinnen und Leser in der späten Kindheit wenig. Sie erfahren im außerschulischen Umfeld meist wenig Ermutigung und Unterstützung. Wenn sie lesen, sind die Texte wenig anspruchsvoll und kurz. Zwischen den Extremen von glückenden und problematischen Verläufen beim Erwerb von Lesefähigkeit, wie sie hier kontrastiv entfaltet wurden, gibt es natürlich viele Zwischenstufen: Faktisch gibt es beispielsweise Kinder, die gute Lesefähigkeiten mit relativ wenig Lesepraxis erwerben, andere, bei denen auch intensives Üben nur langsam zu einer Verbesserung der Leseflüssigkeit führt; es gibt Kinder, die trotz eines anregenden, buchorientierten Unterrichts kaum zum eigenständigen Lesen motiviert sind, und solche, bei denen die Leseentwicklung rasch und scheinbar ohne äußere Unterstützung auf der Basis einer hohen Motivation vorankommt – jede Grundschullehrkraft weiß das. Trotzdem mag es hilfreich sein, sich diese beiden Extreme der Leseentwicklung zu vergegenwärtigen, um daraus Unterrichtsprinzipien abzuleiten, die guten Leseunterricht die Grundschulzeit hindurch bestimmen. Das soll im folgenden Absatz Thema sein. Kompetenzaufbau im Unterricht 109 6.2.2 Merkmale eines kompetenzfördernden Unterrichts im Bereich Lesen – mit Texten und Medien umgehen Guter Unterricht im Bereich Lesen in der Grundschule zeichnet sich durch folgende Merkmale aus: 1) Förderung von Leseflüssigkeit Guter Unterricht schafft regelmäßig und häufig Situationen, in denen die „einfachen“ Dechiffrierprozesse und das gute Laut-Lesen bei neuen Texten geübt werden. Vor allem bei anspruchsvollen Texten mit neuen Wörtern und/oder vergleichsweise grammatisch komplexen Sätzen sollte – in allen Fächern – darauf geachtet werden, dass tatsächlich jedes Kind den Text möglichst mehrmals hintereinander laut liest. Das laute „Rundum-Lesen“, bei dem ein Schüler jeweils ein Stück eines neuen Textes ungeübt vorträgt, während die anderen dieser Lesung zuhören sollen, ist nachweislich lesedidaktisch wirkungslos (Opitz/Rasinski 1998). Dagegen ist zu empfehlen, dass die Lehrperson den Text zunächst gut laut vorliest, während die Schülerinnen und Schüler in ihrer eigenen Textfassung mit den Augen folgen. Wenn der Text länger als eine halbe Seite ist, sollte das abschnittweise erfolgen. Nach Hinweisen der Lehrperson auf besondere Leseschwierigkeiten (z. B. neue Wörter, besondere Betonungen, Sequenzierung bei komplexen Sätzen) liest sie den Text erneut laut vor, während alle Schülerinnen und Schüler chorisch (halb)laut mitlesen. Anschließend lesen die Kinder diesen Text abwechselnd ihrem Banknachbarkind vor, gegebenenfalls mehrmals, wobei das zuhörende und mitlesende Kind Fehler und falsche Betonungen bemerken und ggf. korrigieren muss. Nun können alle Schülerinnen und Schüler diesen Text flüssig und akzentuiert lesen, alle haben die neuen Wörter in ihren Sichtwortschatz aufgenommen. Ein Kind darf seine Lesung präsentieren, es wird gelobt und eventuelle kleine Lesefehler werden von den Zuhörern bemerkt. Eine Verlesung, auf die eine Selbstkorrektur folgt, ist prinzipiell kein Fehler! Solche Routinen sollten mehrmals wöchentlich installiert werden. Sie mögen, weil sie die Veränderung von Unterrichtsgewohnheiten fordern, zunächst aufwändig erscheinen, sind aber lesedidaktisch außerordentlich wirkungsvoll: Die eben beschriebene „Fluency Development Lesson“ als Programm zur Entwicklung von Leseflüssigkeit wurde in den USA als eindeutig und nachhaltig positiv evaluiert, was die Steigerung der Leseflüssigkeit und des Textverstehens betrifft (Rasinski et al. 1994). Das gilt auch für verwandte lesedidaktische Unterrichtsroutinen zur Steigerung der Flüssigkeit, bei denen es immer darauf ankommt, dass ein Lese-Lerner den Text nicht einmalig, sondern mehr- 110 Lesen – mit Texten und Medien umgehen mals hintereinander (halb)laut vorliest und sich dabei auf ein kompetentes Lesemodell und/oder auf einen (gleichaltrigen) Tutor stützen kann. Das können auch einfache Lautleseverfahren sein, bei denen Schülertandems miteinander chorisch oder nacheinander neue Texte mehrfach erlesen (vgl. „Lautleseverfahren“ in Rosebrock/Nix 2008). Die Effekte solcher Übungen für die Leseflüssigkeit sind, wie gesagt, vielfach belegt: Schon die überfällige Abschaffung des berüchtigten „round robin“, des Reihum-Lesens eines neuen Textes, und dessen Ersatz durch die Installation einer Lautlese-Routine, bei der jedes Kind zum Zuge kommt, verspricht einen außerordentlichen Gewinn im Bereich des weiterführenden Lesens. Lautlesungen sind einerseits wirkungsvolle Lernaufgaben zur Entwicklung von Leseflüssigkeit, sie bereiten aber auch die Fähigkeit zur Präsentation von Texten vor. Die Standards verlangen gutes Vorlesen, etwa mit den Forderungen „selbstgewählte Texte zum Vorlesen vorbereiten und sinngestaltend vorlesen“ oder „bei Lesungen und Aufführungen mitwirken“. Guter Unterricht bietet entsprechend in ausreichendem Maß anregende Übungsphasen. Es gilt vor allem Anlässe für das (gute) Laut-Lesen zu schaffen. Das leistet z. B. das „Lesetheater“ (Nix 2006), weitere Ideen finden sich beispielsweise in Spinner (2006). Der Band bietet Unterrichtsmodelle, in denen es häufig um das gute Vorlesen von literarischen Texten geht, wie es die Standards auch einfordern: „Geschichten, Gedichte und Dialoge vortragen, auch auswendig“. 2) Lesen als belohnenden Prozess erleben Guter Leseunterricht zielt auf die Gratifikationen des Lesens. Diese Belohnungen stellen sich nur ein, wenn Erfolge des Lesens spürbar werden. Dafür muss das Leseinteresse der Kinder bewahrt und entwickelt werden, einerseits indem sie die Lernerfolge wahrnehmen, die eine ggf. anstrengende Lektüre gewährt, andererseits indem kontinuierlich genussorientierte Lesesituationen geschaffen werden. Leseinteresse hängt sowohl von der Beschaffenheit der Texte als auch von der Anregungsqualität des Unterrichts ab. Textmerkmale, die für Grundschulkinder im fiktionalen Bereich Lesegenuss mit sich bringen, sind vermutlich jeder Lehrperson bekannt; trotzdem folgen hier einige Hinweise. Erzählende Texte sollten wunscherfüllende Themen inszenieren, also solche Motive und Szenarien, bei denen die Entwicklungsaufgaben von Kindern dieser Altersstufe erfolgreich gemeistert werden. Dabei geht es um kindliche Selbstständigkeit, um die Eingebundenheit in Freundschaften und Kindergruppen, um Bewährung angesichts von (großen) Aufgaben, oft bei Abwesenheit von Erwachsenen; auch die Vertauschung von „Oben“ und „Unten“ (Aschenputtel-Motiv) mit endlicher Belohnung kommt oft vor. Kompetenzaufbau im Unterricht 111 Wichtige Stilmerkmale sind ■ Lustiges (Witze), Komisches, Verdrehtes ■ Spannung, Geheimnisvolles, Rätselcharakter ■ Wohl dosierte Fremdheit [Kinder aus anderen Ländern], Seltsames ■ Die Wiederkehr von Figuren und Szenarien (vor allem bei Reihenliteratur) Leseinteresse kann und muss auch unterrichtlich erzeugt werden. Das heißt z. B., ■ dafür zu sorgen, dass die Erfahrungen der Kinder und die Textpotenziale zueinander passen; eigene Erfahrungen der Schüler zum Thema oder Zusammenhang des Textes vorstellen zu lassen (Standard „die eigene Leseerfahrung beschreiben und einschätzen“) und damit das Interesse am Text zu fördern; ■ den Text unvollständig zu präsentieren, Vermutungen über den Fortgang/ Ausgang des Geschehens äußern zu lassen (Standard „handelnd mit Texten umgehen: z. B. illustrieren, inszenieren, umgestalten, collagieren“) und damit Neugier auf die Originallösung zu erzeugen; ■ den individuellen Leseinteressen der Kinder ein Forum zu bieten (Standard „ein Kinderbuch selbst auswählen und vorstellen“). Gratifikation kann natürlich auch in der Befriedigung über Lernzuwachs bestehen, z. B. in dem Stolz, ein ganzes Buch eigenständig gelesen zu haben oder Lernfortschritte selbst zu erfahren. 3) Vorwissen und Strategiewissen stärken und beim Lesen zur Wirkung bringen Guter Leseunterricht berücksichtigt den Zusammenhang zwischen „Kennen“ und „Können“ (Köster 2008), er vermittelt also gezielt Vorwissen, mit dessen Hilfe anspruchsvolle Texte selbstständig bewältigt werden können, und Strategien, mit denen Verstehensprobleme ins Bewusstsein treten und überwunden werden können. Gute lesebezogene Aufgaben liefern oder aktivieren entsprechend zum einen das zum Text passende Vorwissen, zum anderen geben sie dem Kind Anregung, ein Verstehensproblem bewusst wahrzunehmen, und Hinweise, wie es zu überwinden ist. Im Unterricht geht es dabei um den Wechsel von Aufgabenbearbeitung und Gespräch. Das bedeutet: Guter Unterricht ist aufgabenbasiert und wertet Arbeitsergebnisse im Gespräch aus. Natürlich können Aufgaben auch aus dem Gespräch erwachsen. Es gilt Aufgaben anzubieten, die mentale Strategien zur Texterschließung anregen. Im Grundschulalter kommen v. a. folgende Texterschließungsstrategien zum Tragen: ■ sich der textgeforderten Vorkenntnisse bewusst vergewissern; ■ vor diesem Hintergrund den Text genau lesen und 112 Lesen – mit Texten und Medien umgehen ■ den inhaltlichen Zusammenhang des Textes konstruieren (globale Kohärenz herstellen). Das ist einfach, wenn der Zusammenhang zwischen den Textteilen ein additiver ist und die Textteile keiner zwingenden Anordnung folgen müssen (z. B. bei Informationstexten über Tierpflege); das ist aber beispielsweise schwieriger bei Erzähltexten (weil es da sowohl um eine bestimmte Abfolge der Textteile geht als auch um Ursachen bestimmter Handlungen und Ereignisse sowie um Motive und Ziele der handelnden Figuren) oder bei argumentierenden Sachtexten; ■ dabei z. T. sehr komplexe Schlussfolgerungen ziehen, indem Textinformationen mit Vorwissen verknüpft werden, Textinformationen zwischen den Abschnitten verknüpft werden, Leerstellen im Text mit Vorwissen gefüllt werden (z. B., dass der Ausschluss eines Lebewesens von der Wasserstelle den Tod bedeutet, siehe Aufgaben S. 127). Schlussfolgerungen im Rahmen des Textverstehens sind umso komplexer, je mehr Informationen miteinander verknüpft werden müssen. Auch hier ist viel Üben erforderlich, damit die Notwendigkeit mentalen Engagements beim Lesen anerkannt wird und sich Geläufigkeit und Sicherheit einstellen. Textverstehen erschöpft sich weder in der Ermittlung von Einzelinformationen noch in lebensweltlich gestützten Urteilen über Gelesenes. Textverstehen heißt in erster Linie: Sicherung des inhaltlichen Zusammenhangs (Herstellung globaler Kohärenz). Die Ermittlung von Einzelinformationen ist dabei unerlässlich, aber sie garantiert noch kein Globalverstehen. Auch die Kommentierung von Gelesenem ist nicht notwendig an ein Gesamtverständnis gebunden. Oft sind es erst Schülerkommentare, die der Lehrperson ein Nichtverstehen oder Missverstehen des Gesamtzusammenhangs signalisieren. Folglich kommt es darauf an, dass kompetenzorientierter Unterricht Aufgaben stellt, die auf Globalverstehen (Herstellung globaler Kohärenz) gerichtet sind. Folgende Standards lassen sich auf diesen wichtigen Bereich beziehen: ■ „altersgemäße Texte sinnverstehend lesen“, ■ „zentrale Aussagen eines Textes erfassen und wiedergeben“, ■ „Texte mit eigenen Worten wiedergeben“. 4) Ein breites Spektrum von Textsorten und verschiedene Lesehaltungen kennenlernen Auf Textsortenkenntnis beziehen sich diejenigen Standards, die fordern, verschiedene literarische Gattungen und verschiedene Typen von Sachtexten auch in diversen weiteren Medien zu kennen: „verschiedene Sorten von Sachund Gebrauchstexten kennen“, „Erzähltexte, lyrische und szenische Texte kennen und unterscheiden“, „Kinderliteratur kennen: Werke, Autoren und Autorinnen, Figuren, Handlungen“. Kompetenzaufbau im Unterricht 113 Verschiedene Texte und Textsorten in verschiedenen Gebrauchszusammenhängen verlangen unterschiedliche Formen des mentalen Engagements: So macht es einen Unterschied, ob aus einem Text gelernt werden muss oder ob er zum Vergnügen konsumiert wird, ob seine Organisationsform einfach oder komplex, bekannt (wie z. B. beim klassischen Märchen) oder neu ist, ob ein Text überfliegend gelesen wird, um sich (zunächst) einen Überblick zu verschaffen, oder ob er auf eine Fragestellung hin gelesen wird. Entsprechend fordern die Standards z. B. unter dem Oberbegriff „Texte erschließen“: ■ „Verfahren zur ersten Orientierung über einen Text nutzen“, ■ „gezielt einzelne Informationen suchen“, ■ „Texte genau lesen“ und ■ „bei Verständnisschwierigkeiten Verstehenshilfen anwenden [...]“. Solche Lesehaltungen kann guter Unterricht explizit machen und einüben. Generell ist Textsortenwissen ein erheblicher Teil von Lesekompetenz (siehe Abschnitt „Lesekompetenz“). Eine möglichst genaue Erwartung zu haben, wie ein Text aufgebaut ist, welche Elemente und Strukturen möglich und wahrscheinlich sind, bietet eine außerordentlich wirksame Unterstützung der konkreten Leseprozesse. Entsprechend hohen Wert legt guter Unterricht darauf, dass Kinder Strategien anwenden, die auf die Organisationsform von Texten gerichtet sind, beispielsweise das Gliedern durch Zwischenüberschriften. Zunächst ein Beispiel für gutes Textsortenwissen: Kinder im Grundschulalter kennen in der Regel Märchen und können ein ihnen unvollständig angebotenes unbekanntes Märchen meist mustergerecht zu Ende führen. Damit verfügen sie einerseits über textsortenspezifische Objektschemata (z. B. „böse Stiefmutter“, „magisches Helfertier“), die in diesen Textsorten vorkommen und dort bestimmte Funktionen haben. Andererseits kennen sie auch sogenannte Ereignisschemata, im Beispiel die spezielle Handlungsabfolge beim Märchen (Exposition, Aufgabe für den Helden, Auszug, Bewältigung der Aufgabe, Heimkehr/Belohnung). Das Ereignisschema für beispielsweise realistische Geschichten (z. B. Kurzgeschichten) unterscheidet sich charakteristisch davon. Solches Textsortenwissen lässt sich auch für andere Texttypen erwerben und z. B. über solche Schreibaufgaben stabilisieren, bei denen nach dem Muster eines Textes ein strukturell gleicher, aber thematisch anderer Text produziert wird. Bei den bekannten „Elfchen“ geht man so vor. Geeignet ist der Aufgabentyp (nach einem gegebenen Textmuster schreiben) für alle Textsorten, auch aus dem Sachtextbereich (z. B.: Hier ist ein Text über Eisbären – Aussehen, besondere Fähigkeiten, Fortpflanzung, Lebensraum. Schreibe so einen Text über Mäuse! Informiere dich darüber folgendermaßen ...). Legitimiert wird das durch den Standard „nach Anregungen (Texte, Bilder, Musik) eigene Texte schreiben“. 114 Lesen – mit Texten und Medien umgehen Es gibt überzeugende Gründe dafür, solche Strukturen von Textsorten explizit mit Grundschulkindern zu erarbeiten und anhand von einfachen Strukturschemata an der Tafel transparent zu machen: Ein Text, der nach dem Muster der Liste aufgebaut ist (additiv), lässt sich schematisch anders darstellen als einer, der einen zentralen Gegenstand anhand einer Anzahl von Eigenschaften beschreibt (z. B. der oben genannte Eisbären-Text), und wiederum anders als einer, der eine Reihenfolge als zeitliche (z. B. „Vom Ei zum fertigen Küken“) oder kausale oder logische usw. beschreibt; narrative Texte dagegen folgen der „Story Grammar“, wie sie oben für das Märchen skizziert wurde. Solche Schemata mit Kindern zu erarbeiten und die Rhetorik von Texten damit mit einfachen Mitteln ins Bewusstsein zu rücken und damit auch erwartbar zu machen, ist außerordentlich sinnvoll. (Für Beispielgrafiken und eine detaillierte Diskussion vgl. Rosebrock/Nix 2008, S. 74 ff.) 5) Orientierungskompetenzen in der Welt der Schriftlichkeit vermitteln Die Standards betonen besonders das „Verfügen über Leseerfahrungen“: Abgesehen von verschiedenen Textsorten, deren Kenntnis in einer Anzahl von Standards gefordert wird, sollen die Schülerinnen und Schüler „Texte begründet auswählen“, „sich in einer Bücherei orientieren“, Angebote in den verschiedenen Medien „kennen, nutzen und begründet auswählen“ und „Informationen suchen“ können. Erworben werden solche Fähigkeiten durch Aufgaben, die allesamt über den engen Rahmen des Unterrichts hinausweisen: Unterricht, der hier aktiv ist, hält das Freizeit-Lese- und Medienverhalten der Schülerinnen und Schüler gewissermaßen „in Rufweite“ des Deutschunterrichts. Er schafft viele Gelegenheiten, zu denen sich die Kinder mit Unterstützung oder selbstständig Texte und Bücher besorgen, über ihre lesebezogenen Vorlieben und Abneigungen sprechen, miteinander Bücher und Bewertungen austauschen, im Netz nach Informationen und Anregungen suchen. Er knüpft an Lese- und Medienerfahrungen aus dem außerschulischen Feld an und sucht aktiv solche Erfahrungen zu ermöglichen, etwa durch gemeinsame Theaterbesuche, Verabredungen zum Fernsehprogramm, Bezug auf populäre PC-Spiele usw. Kindliche Aktivität auf der Leseförder-Plattform „Antolin“ wird beispielsweise schon vielerorts vonseiten der Grundschule gefördert. Auch die Einführung von „Lesepässen“, auf denen die Kinder alle selbst gelesenen Bücher mit einer kurzen Bewertung eintragen, ist sinnvoll; die Vielleser dokumentieren ihre Leistungen, und auch die anderen werden angeregt und in ihrer Lesesozialisation schulisch begleitet. Ein Kompetenzmodell im Bereich Lesen – mit Texten und Medien umgehen 115 6.3 Ein Kompetenzmodell im Bereich Lesen – mit Texten und Medien umgehen Die kognitionspsychologisch orientierten Kompetenzmodelle aus den großen Schulleistungsstudien der letzten zehn Jahre messen ausschließlich die Leseprozessleistungen, über die Schülerinnen und Schüler zu einem gegebenen Zeitpunkt verfügen. Über den Verlauf des Erwerbs, also die Entwicklung der Lesekompetenzen, können sie kaum Auskunft geben. In der pädagogischen Praxis ist aber alltäglich zu erfahren, dass die Genese dieser gemessenen mentalen Leistungen – Wie schnell liest jemand?, Wie gut erfasst er die Gesamtthematik?, Wie gut reflektiert er? – in andere Persönlichkeitsdimensionen sozusagen verwickelt ist: Das sind insbesondere individuelle Faktoren auf der Ebene des einzelnen Subjekts, die seine Lesegeschichte prägen, also die Motivation, sich einem bestimmten Lesestoff zuzuwenden, die Bereitschaft, einerseits Vorwissen für die Leseprozesse zu aktivieren und den Text prozessbegleitend aktiv zu verarbeiten, andererseits sich vor allem bei literarischen Texten auch affektiv zu beteiligen und schließlich die reflexive Weiterverarbeitung des Textes aktiv zu betreiben. Solches mentale Engagement in der Lesegeschichte von Kindern ist vorausgesetzt, wenn in den Standards als Endleistung gefordert wird, „lebendige Vorstellungen beim Lesen und Hören literarischer Texte [zu] entwickeln“: Die Vorgeschichte dieser Fähigkeiten hat die aktive Beteiligung der ganzen Person beim Lesen und bei der kommunikativen Verarbeitung des Gelesenen mit anderen gefordert. Auf der Ebene des einzelnen Subjekts ist also ein entwicklungsbegleitendes Engagement für das Lesen erforderlich, um diese Prozessleistungen erbringen zu können. Weil Lesen ein hochgradig eigenständig gesteuerter mentaler Prozess ist, ist dieses Engagement nicht verzichtbar oder ersetzbar, sondern muss unabdingbar von jedem Schüler, jeder Schülerin aufgebracht werden. Solches Engagement ist aber auch über die Subjekt-Ebene hinaus für die soziale Ebene des Austauschs über Gelesenes wichtig, in der gegenseitige Anregung stattfindet und Vorbilder wirksam sind. Engagement für das Lesen auf allen drei genannten Ebenen ist ein Merkmal guten Unterrichts, ebenso wie es ein Aspekt des förderlichen familiären Umgangs mit Geschriebenem oder des unterstützenden kommunikativen Klimas in den Freundschaften der Kinder untereinander ist. Entsprechend sind diese drei Ebenen in den Standards berücksichtigt, wie eingangs ausgeführt. Ein Kompetenzmodell des Lesens in didaktischer Absicht wird also alle drei Dimensionen – die Prozessebene, die subjektive und die soziale Ebene – angemessen berücksichtigen, um Empfehlungen für guten Unterricht formulieren zu können. Wir fassen zunächst ein Kompetenzmodell, 116 Lesen – mit Texten und Medien umgehen das diese verschiedenen Ebenen des Lesens berücksichtigt, in einer Grafik zusammen. Im Anschluss daran formulieren wir Kompetenzstufen, die sich für die Lesedidaktik der Grundschule daraus ableiten lassen, und konkretisieren die Anforderungen jeder Kompetenzstufe durch inhaltliche Hinweise auf entsprechende Aufgaben. Abb. 1: Die verschiedenen Ebenen des Lesens (In: Rosebrock/Nix 2008, S. 16) Die Prozessebene des Lesens ist durch die Kognitionspsychologie relativ gut erforscht. Die verschiedenen Leistungen, die während des Leseprozesses simultan erbracht werden müssen, sind diesen Modellen zufolge untereinander gestuft, d. h., sie bauen aufeinander auf in dem Sinn, dass die niedrigere Stufe Voraussetzung der folgenden ist. Von dieser Prozessebene des Lesens und von Aufgabenformaten, die gezielt einzelne Dimensionen dieser Prozessebene unterstützen, soll zunächst die Rede sein. Leistungen und Aufgabentypen auf der Prozessebene: Level 11 Auf dieser Ebene können Kinder Wörter und Sätze erlesen; wenn nach diesen Wörtern oder kurzen Sätzen gefragt wird, sind sie in der Lage, sie wieder aufzufinden, insbesondere, wenn es sich um Informationen an zentralen Stellen (nicht in der Mitte eines längeren Absatzes) handelt. Sie sind in der Lage, ein1 Die folgende Beschreibung der Fähigkeiten auf den einzelnen Levels von Lesefähigkeit folgt der Modellierung von Kompetenzsstufen in der letzten IGLU-Studie (vgl. Bos et al. 2007, S. 100 f.) und einem Entwurf von Bremerich-Vos, A. vgl. Böhme/Bremrich-Vos/Robitsch 2009. Ein Kompetenzmodell im Bereich Lesen – mit Texten und Medien umgehen 117 zelne konkrete Informationen wie Personen, Plätze, Gegenstände, Beträge, Handlungen, Eigenschaften zu erkennen und wiederzugeben, solange diese Informationen an leicht auffindbaren Stellen direkt gegeben werden. Dieser Level von Textverstehen ist im Unterrichtsgespräch mit den bekannten „W-Fragen“ oder schriftlich gut mit Multiple-Choice-Aufgaben oder kleinen Schreibaufgaben zu überprüfen, wobei ein Wort zu schreiben ist oder auch ein Satz, der in annähernd gleicher Form im Text vorkommt. Die Kinder finden bei Aufgaben auf diesem Level solche Informationen wieder, die auf der Textoberfläche gegeben sind. Das gelingt auch den Kindern, die nicht über ausreichend Leseflüssigkeit verfügen bzw. die einzelne Gedanken und/oder den Gesamtzusammenhang des Textes nicht verstanden haben; auch sie können elementare Stichwörter aus dem Text wiedergeben. Leistungen und Aufgabentypen auf der Prozessebene: Level 2 Das Herstellen von lokaler Kohärenz hat Level 1, also die Identifikation von manifest gegebenen Einzelinformationen, zur Voraussetzung. Kinder, die lokale Kohärenz herstellen können, können auch weniger offensichtliche Informationen entnehmen oder einfache Schlüsse ziehen; ihr Verstehen bezieht sich auf Informationen, die über einen oder zwei inhaltlich zusammenhängende Sätze gegeben werden, also noch nicht durchgängig auf den Gesamtzusammenhang des Textes. Die Kinder können in ihrer Lesefähigkeit auf dieser zweiten Stufe der Prozessebene nicht nur einzelne konkrete Informationen erkennen und wiedergeben, die isoliert und eindeutig aufzufinden sind, sondern sie verfügen außerdem über die Fähigkeit, zwei oder mehr Informationen zu lokalisieren und plausible, aber falsche (verwandte) Informationen auszuschließen. (Vor allem in Multiple-Choice-Aufgaben werden solche naheliegenden, aber falschen Antwortmöglichkeiten oft als Distraktoren verwendet.) Sie verfügen auf diesem Level über die Kompetenz, einzelne Informationen auch miteinander so in Beziehung zu setzen, wie der Text das vorgibt, z. B. eine Kausalbeziehung, die mit „weil“ angezeigt ist, in anderer Formulierung (z. B. mit „denn“) zu erkennen, solange sie sich nur auf ein bis zwei Sätze bezieht. Dabei greifen sie ggf. auf verbreitetes und basales Weltwissen zurück und können damit beispielsweise Handlungsmotive von Figuren und Ursachen von Vorgängen angeben, die im Text deutlich angezeigt sind. Auf diesem Level werden Aufgaben gestellt, deren Lösungen auf den inhaltlichen Zusammenhang zweier Sätze oder eines kleinen Abschnitts zielen. Die Formulierung in der Aufgabenstellung sollte auf diesem Level nahezu identisch sein mit der Formulierung der gesuchten Information. Eventuell können auch wenig leseflüssige Kinder solche Aufgaben noch bewältigen, indem sie eine kleine Passage des Textes fokussieren und isoliert bearbeiten. 118 Lesen – mit Texten und Medien umgehen Leistungen und Aufgabentypen auf der Prozessebene: Level 3 Auf der nächsten, der dritten Prozessebene wird „globale Kohärenz“, also die Konstruktion eines den gesamten Text umspannenden inhaltlichen Verständnisses verlangt, dem die verschiedenen Einzelinformationen zugeordnet werden können (aber gegebenenfalls noch nicht sämtliche Detail-Informationen des Textes). Die Kinder können nun mehrere konkrete Informationen im Text erkennen, wiedergeben und der Thematik des Textes zuordnen. In Aufgaben auf diesem Level kann die Lokalisierung deutlich erschwert sein durch Verstreuung der gesuchten Informationen über den Text und den Ausschluss vieler konkurrierender Informationen in Multiple-Choice-Aufgaben. Unter Nutzung textbasierter Schlüsse und verbreiteten Weltwissens können Informationen miteinander verknüpft werden, obwohl sie ggf. im Text in verschiedenen Abschnitten stehen. Auf diesem Level verfügen die Kinder über die Fähigkeit, den inhaltlichen Gesamtzusammenhang des Textes zu verstehen und über seine zentrale Aspekte zu reflektieren sowie nicht explizit genannte, aber erschließbare Verhaltensweisen, Motive, Erklärungen usw. anzugeben. Auf diesem Level kann bereits angegeben werden, welchen „groben“ Textsorten einzelne Texte angehören, welche Hauptintention ein Text hat (informieren, unterhalten, belehren, belustigen .... ) und welches von mehreren genannten Textthemen das am ehesten zutreffende ist; die eigene Formulierung des globalen Textzusammenhangs wird hier noch nicht verlangt. Im Rahmen von Schreibaufgaben können auf wenigen Merkmalen basierende Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen kurzen Texten erläutert werden. Es handelt sich insgesamt um Aufgaben, deren Lösung die Herstellung des inhaltlichen Gesamtzusammenhangs erfordert oder voraussetzt. Leistungen und Aufgabentypen auf der Prozessebene: Level 4 Als das Herstellen von „Superstrukturen“ wird in der Leseforschung die Art und Weise bezeichnet, in der die Organisationsform eines Textes verstanden und verarbeitet wird; man kann den Begriff grob mit Aufmerksamkeit für Gestaltungsformen von Sprache – etwa uneigentliche Rede – und mit Textsortenwissen umschreiben. Entsprechend bildet die Beherrschung der drei niedrigeren Kompetenzstufen die Grundlage, um über das Verstehen des Gesamtzusammenhanges hinaus den Text auch in seinen zentralen Strukturen und argumentativen Gängen erfassen zu können. Die erfahrungsbasierte Kenntnis von formalen Merkmalen von Schriftsprache ermöglicht Schülerinnen und Schülern auf diesem Level, auch in relativ langen Texten wichtige Details zu erkennen, von konkurrierenden und weniger wichtigen Informationen zu unterscheiden und in den Zusammenhang einzuordnen. Sie verfügen über die Kompetenz zu textbasierten Schlüssen und können dazu textexternes Vorwissen heranziehen. Dabei können sie Ein Kompetenzmodell im Bereich Lesen – mit Texten und Medien umgehen 119 mehrere Informationen integrieren, wobei es nicht nur um Ähnlichkeiten und Unterschiede geht, sondern z. B. auch um Ursache-Wirkungs-Relationen, Problem-Lösungs-Beziehungen, zeitliche Beziehungen usw. Thematisches Vorwissen ist auf diesem Level erforderlich. Es handelt sich um Aufgaben, deren Lösung auch kategoriales Wissen voraussetzt: Es kann z. B. darum gehen, zu zeigen, warum ein Text keine Fabel, sondern eine Tiergeschichte ist. Die Kinder können sprachliche Mittel, die der Text einsetzt, in eigenen Texten variierend einsetzen, z. B. eine gegebene Beschreibung für einen anderen Gegenstand oder Zusammenhang formal imitieren. Leistungen und Aufgabentypen auf der Prozessebene: Level 5 Die höchste Leistungsdimension, die Identifikation von Darstellungsstrategien, umfasst alle zuvor genannten und beinhaltet darüber hinaus, dass solche Informationen erschlossen werden können, die so indirekt gegeben sind, dass sie nur über die Zusammenschau von Form und Inhalt des Textes und durch den Einbezug von Vorwissen erkannt werden können. Kinder, die sich auf diesem Level befinden, beherrschen mit hoher Wahrscheinlichkeit die Fähigkeiten der darunterliegenden Stufen. Darüber hinaus sind sie fähig, in wiederum relativ langen Texten komplexe vorwissensbasierte Informationen und Beziehungen auf abstrakter Ebene zu verstehen. Sie erfassen nicht nur den thematischen, sondern auch den pragmatischen Gesamtzusammenhang des Textes, d. h., sie können beispielsweise die unausgesprochenen Botschaften von Werbetexten oder Fabeln erkennen. Auf der Basis von thematischem Vorwissen und textuellen Erfahrungen erkennen sie auch dann, in welcher Absicht der Text geschrieben ist, wenn dies nicht expliziert wird. Sie können komplexe Schlüsse ziehen, ihre Reflexion mit ihrem Vorwissen in Beziehung setzen und somit Aussagen, die den Text als ganzen betreffen, selbst erzeugen (z. B. eine Zusammenfassung, ein Textthema oder eine textbasierte Bewertung formulieren). Die in den Aufgabenstellungen auf diesem Level gesuchten Informationen bzw. die geforderten Verknüpfungen von Informationen sind „abstrakt“, also nicht im Text selbst genannt, sie können von den Leserinnen und Lesern aufgrund ihrer Befähigung zum Abstrahieren, Verallgemeinern, Kategorisieren und Bewerten aber erkannt und dargestellt werden. Manchmal geht es z. B. darum, einen Text auf Informationen hin abzusuchen, die ein nicht ausdrücklich genanntes, sondern zu erschließendes Merkmal gemeinsam haben. So weit die Stufung der Prozessebene des Lesens. Die Basis der auf dieser Ebene beschriebenen Leistungen sind eigenständige und reflektierte Erfahrungen mit Schriftsprache. Lernaufgaben zum Erwerb dieser Kompetenzen müssen entsprechend auf anderen Ebenen, auf der des kindlichen Subjekts und der kommunikativen Interaktionen im Unterricht, beschrieben werden. 120 Lesen – mit Texten und Medien umgehen Aufgabentypen auf der Subjektebene und auf der sozialen Ebene Die Kompetenzen auf der subjektiven und auf der sozialen Ebene des Lesens sind natürlich schwieriger formal zu testen als die verschiedenen Verstehensleistungen auf Prozessebene; die standardisierten Lesetests und Vergleichsarbeiten für die Grundschule erfassen fast nur diese Prozessebene. Aber für die Lernwege, also für den Erwerb von Kompetenzen auf der Prozessebene, sind, wie bereits gezeigt, die anderen beiden Ebenen zentral, sie sind in den Standards auch angesprochen. Der subjektiven Ebene sind beispielsweise die folgenden Standards zuzuordnen: ■ „lebendige Vorstellungen beim Lesen und Hören literarischer Texte entwickeln“, ■ „die eigene Leseerfahrung beschreiben und einschätzen“, ■ „bei der Beschäftigung mit literarischen Texten Sensibilität und Verständnis [...] zeigen“, ■ „eigene Gedanken zu Texten entwickeln [...]“, ■ „handelnd mit Texten umgehen: z. B. illustrieren, inszenieren [...]“. Mit dem letzten Standard sind bereits die handlungs- und produktionsorientierten Verfahren der Literaturdidaktik genannt, mit deren Aufgabentypen generell die Vorstellungsgenauigkeit beim (literarischen) Lesen und das Engagement dafür gefördert werden sollen. Denn handlungsorientierte Aufgaben vermeiden prinzipiell das abstrakte Reden „über“ den Text, sie verlangen von den Schülerinnen und Schülern vielmehr ein mentales Sichbewegen in den Textwelten. Solche Aufgaben spielen im Unterricht der Grundschule eine zentrale Rolle, weil sie die genaue Lektüre und die eigenständige Weiterverarbeitung insbesondere beim Umgang mit literarischen Texten herausfordern. Viele der handlungs- und produktionsorientierten Verfahren fördern neben dieser intensiven Bezugnahme auf das Subjekt der Lektüre zugleich Kompetenzen auf der Prozessebene, indem sie beispielsweise die genaue WiederLektüre von Textpassagen einfordern; außerdem sind viele der Verfahren integrativ in den verschiedenen Bereichen des Deutschunterrichts wirksam. Das sind beispielsweise all die Umgangsformen mit Texten, für die Schreiben verlangt wird: das Restaurieren und Antizipieren von Text(teil)en, wobei beispielsweise ausgelassene Wörter, Sätze oder Text-Enden hinzugefügt werden müssen, oder das Zusammenfügen eines zerlegten Textes oder das Transformieren von Texten, also beispielsweise eine Fortsetzung oder Vorgeschichte von Texten schreiben, Briefe an Figuren schreiben, Paralleltexte verfassen, die Erzählerposition verändern, eine Hörszene schreiben usw. Verschiedene Bereiche des Deutschunterrichts werden auch bei Aufgaben aus den ver- Ein Kompetenzmodell im Bereich Lesen – mit Texten und Medien umgehen 121 schiedenen Verfahren im Bereich „Szenische Gestaltung“, durch visuelle Umsetzung oder durch das Herstellen von Hörfassungen von Texten integriert – insbesondere der Bereich „Sprechen und Zuhören“. Mit diesen handlungsorientierten Verfahren wird generell auf Texterfahrungen mit unterschiedlichen Textsorten, auf ihre Vertiefung und Reflexion gezielt. Insofern sind dies Lernaufgaben zum Textverstehen auf einem mittleren Level. Die Lese- und Textverarbeitungskompetenzen auf der sozialen Ebene sind womöglich noch unschärfer auf singuläre Kompetenzen und Standards zu beziehen und noch schwerer objektivierend zu überprüfen. Die Standards benennen hier zum einen den Bereich „Texte präsentieren“, im Einzelnen: ■ „Texte [...] sinngestaltend vorlesen“, ■ „Geschichten, Gedichte und Dialoge vortragen, auch auswendig“, ■ „ein Kinderbuch selbst auswählen und vorstellen“, ■ „verschiedene Medien für Präsentationen nutzen“ und ■ „bei Lesungen und Aufführungen mitwirken“. Mit dieser Ebene von Lesekompetenz ist die sogenannte Anschlusskommunikation angesprochen, also all die Situationen, in denen eben nicht gelesen, sondern über Gelesenes gesprochen wird. Es ist sinnvoll, sich zu vergegenwärtigen, dass das die Ebene ist, auf der Unterricht prinzipiell stattfindet; man kann sogar die ganze Schule als Institution zur Inszenierung von Anschlusskommunikation an Texte beschreiben. Der Standard „eigene Gedanken zu Texten entwickeln, zu Texten Stellung nehmen und mit anderen über Texte sprechen“ benennt die erwarteten Kompetenzen auf der sozialen Ebene am deutlichsten. Hier Aufgabentypen zu benennen, wäre banal; es geht um Gespräche im Unterricht und an dessen Rand, in denen Texten noch einmal neue und weitere Dimensionen abgewonnen werden und in denen andere als Leserinnen und Leser erfahrbar werden. Es geht aber auch um Lesevorbilder, um kompetente andere, die den Schülerinnen und Schülern dabei helfen, ihre u. U. unklaren Texterfahrungen zum Ausdruck zu bringen. Diese Vorbilder präsentieren im Gespräch auch ihre eigenen Annahmen zum Thema des Textes, zu seinen Gestaltungsmitteln und seinen Intentionen, sodass die kindliche Texterfahrung erweitert und differenziert werden kann. Schließlich geht es um Beiläufiges wie die diffuse, aber wichtige allgemeine Wertschätzung von Büchern und Geschriebenem, die Integration des Lesens in die alltäglichen Verrichtungen und Umgangsformen miteinander, die anregenden materiellen Bücher-Umwelten.