Klinische Pharmakologie in der psychotherapeutischen Arbeit PDF
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RWTH Aachen
Stingl/Just/Paulzen (Hrsg.)
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This textbook provides a patient-centered approach to clinical pharmacology in psychotherapy. It's suitable for use in undergraduate studies.
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Lizenziert für RWTH Aachen Universitätsbibliothek am 08.06.2024 um 15:08 Uhr W. Kohlhammer GmbH Lizenziert für RWTH Aachen Universitätsbibliothek am 08.06.2024 um 15:08 Uhr W. Kohlhammer GmbH ...
Lizenziert für RWTH Aachen Universitätsbibliothek am 08.06.2024 um 15:08 Uhr W. Kohlhammer GmbH Lizenziert für RWTH Aachen Universitätsbibliothek am 08.06.2024 um 15:08 Uhr W. Kohlhammer GmbH Die Herausgebenden Univ.-Prof. Dr. med. Julia C. Stingl ist Lehrstuhlinha- berin für das Fach Klinische Pharmakologie an der Uni- klinik RWTH Aachen. Vor Ihrem Ruf an die RWTH Aa- chen war sie über sieben Jahre am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte als Leiterin der For- schung und Vizepräsidentin tätig und hat so einen breiten Überblick über die Zulassung und regulatorische Bewer- tung von Arzneimitteln in Deutschland und Europa. Lizenziert für RWTH Aachen Universitätsbibliothek am 08.06.2024 um 15:08 Uhr PD Dr. med. Katja S. Just ist Fachärztin und Privatdo- zentin für Klinische Pharmakologie an der Uniklinik RWTH Aachen. Einen Teil ihrer fachärztlichen Weiterbil- dung absolvierte sie am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Sie arbeitet wissenschaftlich an re- gulatorisch relevanten Fragestellungen mit dem Fokus auf Vulnerabilitätsprofilen für Nebenwirkungen der Arznei- mitteltherapie. PD Dr. med. Michael Paulzen ist Ärztlicher Direktor und Chefarzt des Alexianer Krankenhauses Aachen sowie Gastwissenschaftler an der Klinik für Psychiatrie, Psycho- therapie und Psychosomatik der Uniklinik RWTH Aachen. Durch seine Forschung zur Arzneimittelthera- piesicherheit und zum therapeutischen Drug Monitoring bei Psychopharmaka verfügt er über eine breite klinische Erfahrung zu den Themen individualisierte Psychophar- makotherapie, Arzneimittelwechselwirkungen und Ne- benwirkungsmanagement. © Alexianer/Ehling W. Kohlhammer GmbH Julia C. Stingl Katja S. Just Michael Paulzen (Hrsg.) Klinische Pharmakologie in der psychotherapeutischen Lizenziert für RWTH Aachen Universitätsbibliothek am 08.06.2024 um 15:08 Uhr Arbeit Ein patientenzentriertes Lehrbuch für Studium, Ausbildung und Praxis Verlag W. Kohlhammer W. Kohlhammer GmbH Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Pharmakologische Daten, d. h. u. a. Angaben von Medikamenten, ihren Dosierungen und Applikationen, verändern sich fortlaufend durch klinische Erfahrung, pharmakologische Forschung und Änderung von Produktionsverfahren. Verlag und Autoren haben große Sorg- falt darauf gelegt, dass alle in diesem Buch gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Da jedoch die Medizin als Wissenschaft ständig im Fluss ist, da menschliche Irrtümer und Druckfehler nie völlig auszuschließen sind, können Verlag und Autoren hierfür jedoch keine Gewähr und Haftung übernehmen. Jeder Benutzer ist daher dringend angehalten, die gemachten Angaben, insbesondere in Hinsicht auf Arzneimittelnamen, enthaltene Wirk- stoffe, spezifische Anwendungsbereiche und Dosierungen anhand des Medikamentenbei- packzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen und in eigener Ver- antwortung im Bereich der Patientenversorgung zu handeln. Aufgrund der Auswahl häufig Lizenziert für RWTH Aachen Universitätsbibliothek am 08.06.2024 um 15:08 Uhr angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit. Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige ge- schützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind. Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt. Dieses Werk enthält Hinweise/Links zu externen Websites Dritter, auf deren Inhalt der Verlag keinen Einfluss hat und die der Haftung der jeweiligen Seitenanbieter oder -betreiber unterliegen. Zum Zeitpunkt der Verlinkung wurden die externen Websites auf mögliche Rechtsverstöße überprüft und dabei keine Rechtsverletzung festgestellt. Ohne konkrete Hin- weise auf eine solche Rechtsverletzung ist eine permanente inhaltliche Kontrolle der verlinkten Seiten nicht zumutbar. Sollten jedoch Rechtsverletzungen bekannt werden, werden die be- troffenen externen Links soweit möglich unverzüglich entfernt. 1. Auflage 2023 Alle Rechte vorbehalten © W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Print: ISBN 978-3-17-043060-0 E-Book-Formate: pdf: ISBN 978-3-17-043061-7 epub ISBN 978-3-17-043062-4 W. Kohlhammer GmbH Die Autorinnen und Autoren Albrecht Eisert, Priv.-Doz. Dr. rer. nat. Chefapotheker der Apotheke Universitätsklinikum der RWTH Aachen Steinbergweg 20, 52074 Aachen Lizenziert für RWTH Aachen Universitätsbibliothek am 08.06.2024 um 15:08 Uhr und Institut für Klinische Pharmakologie Universitätsklinikum der RWTH Aachen Wendlingweg 2, 52074 Aachen [email protected] Susanne Gilsbach, Dr. med. M.Sc. Oberärztin Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Ju- gendalters Universitätsklinikum der RWTH Aachen Neuenhofer Weg 21, 52074 Aachen [email protected] Ralf Hausmann, Priv.-Doz. Dr. med. Arbeitsgruppenleiter, Biophysikalische Pharmakologie Institut für Klinische Pharmakologie Universitätsklinikum der RWTH Aachen Wendlingweg 2, 52074 Aachen [email protected] Katja Susanne Just, Priv.-Doz. Dr. med. Fachärztin für klinische Pharmakologie Institut für Klinische Pharmakologie Universitätsklinikum der RWTH Aachen Wendlingweg 2, 52074 Aachen [email protected] 5 W. Kohlhammer GmbH Die Autorinnen und Autoren Julian Peter Müller, Dr. rer. nat. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Institut für Klinische Pharmakologie Universitätsklinikum der RWTH Aachen Wendlingweg 2, 52074 Aachen [email protected] Michael Paulzen, Priv.-Doz. Dr. med. Ärztlicher Direktor und Chefarzt Alexianer Krankenhaus Aachen Alexianergraben 33, 52062 Aachen [email protected] Lizenziert für RWTH Aachen Universitätsbibliothek am 08.06.2024 um 15:08 Uhr Julia Carolin Stingl, Prof. Dr. med. Direktorin Institut für Klinische Pharmakologie Universitätsklinikum der RWTH Aachen Wendlingweg 2, 52074 Aachen [email protected] Justyna Wozniak, Dr. rer. nat. Data Scientist Institut für Klinische Pharmakologie Universitätsklinikum der RWTH Aachen Wendlingweg 2, 52074 Aachen [email protected] 6 W. Kohlhammer GmbH Inhalt Die Autorinnen und Autoren........................................... 5 Vorwort.................................................................. 9 Julia Carolin Stingl, Katja Susanne Just und Michael Paulzen Lizenziert für RWTH Aachen Universitätsbibliothek am 08.06.2024 um 15:08 Uhr 1 Einführung in die klinische Pharmakologie................... 13 Julia Carolin Stingl und Justyna Wozniak 2 Pharmakokinetik und Metabolismus........................... 26 Julian Peter Müller 3 Pharmakodynamik und Psychopharmaka..................... 43 Julian Peter Müller 4 Pharmakotherapie bei Kindern................................. 58 Albrecht Eisert und Susanne Gilsbach 5 Pharmakologie im Alter......................................... 73 Katja Susanne Just 6 Antidepressive Wirkstoffe, Therapie von Angststörungen..... 87 Ralf Hausmann und Michael Paulzen 7 Antipsychotische Pharmakotherapie............................ 119 Michael Paulzen und Ralf Hausmann 8 Pharmakologische Aspekte im Rahmen von Suizidalität...... 134 Julia Carolin Stingl und Justyna Wozniak 9 Pharmakologie im Rahmen von Abhängigkeitserkrankungen 142 Katja Susanne Just 10 Pharmakologische Beeinflussung von Schlafstörungen....... 156 Katja Susanne Just 7 W. Kohlhammer GmbH Inhalt 11 Psychoaktive Wirkstoffe......................................... 168 Katja Susanne Just 12 Pharmakologie in der Schmerzmedizin......................... 180 Katja Susanne Just 13 Pharmakologische Aspekte bei Krebspatienten................ 192 Julia Carolin Stingl und Justyna Wozniak Glossar................................................................... 204 Stichwortverzeichnis.................................................... 221 Lizenziert für RWTH Aachen Universitätsbibliothek am 08.06.2024 um 15:08 Uhr 8 W. Kohlhammer GmbH Vorwort Julia Carolin Stingl, Katja Susanne Just und Michael Paulzen Liebe Leserinnen und Leser, in den dreizehn Kapiteln dieses Buches werden Sie wichtige Themen der klinischen Pharmakologie kennenlernen, die für Sie im Rahmen Ihrer Tätigkeit als Psycho- therapeutin oder Psychotherapeut wichtig sein können. Wir leben in einer Gesell- Lizenziert für RWTH Aachen Universitätsbibliothek am 08.06.2024 um 15:08 Uhr schaft, in der immer mehr Menschen regelmäßig Arzneimittel einnehmen, viele darunter sogar mehrere täglich. Dabei kann es sein, dass Sie in Ihrer Arbeit Situa- tionen erleben werden, in denen die Arzneimittel anders wirken als erwartet. Viel- leicht werden Sie Patienten betreuen und sich wundern, dass ein Arzneimittel nicht ausreichend wirkt. Oder Sie werden womöglich Patienten sehen, die Nebenwir- kungen entwickeln. Um eine gute Betreuung der Patienten sicherzustellen, ist es wichtig, dass eine interdisziplinäre und verstehbare Kommunikation mit den Be- troffenen, aber auch zwischen allen an der Behandlung von Patienten beteiligten Berufsgruppen, Ärzten, Apothekern, Psychotherapeuten, Ergotherapeuten, Physio- therapeuten, Sozialarbeitern oder dem Pflegefachpersonal garantiert wird. Da zwi- schen Ihnen als Psychotherapeuten traditionell eine sehr enge Interaktion mit den Patienten erfolgt, sind Sie unter Umständen die ersten, die über Wirkung, Neben- wirkungen oder Nicht-Wirkung einer Arzneimitteltherapie sprechen werden oder diese feststellen. Aber keine Sorge, das können und müssen Sie sicher nicht allein. Dennoch war es unser Anliegen, Ihnen mit diesem Buch einen Eindruck über die Besonderheiten der Pharmakologie mit Relevanz für Patienten, die Sie im Rahmen einer Psychotherapie erleben werden, zu vermitteln. Gerade bei der Behandlung älterer Menschen sind die korrekte und pünktliche Einnahme von häufig vielen Arzneimitteln, aber auch die individuelle Verfassung, Gebrechlichkeit, Mobilität und ausreichende Flüssigkeitszufuhr wichtige Faktoren, die die Pharmakologie von Arzneimitteln beeinflussen. Dies kann sowohl zu Ver- änderungen in der Wirksamkeit, aber auch zu Nebenwirkungen führen. Hier kann ein Gespräch mit den Patienten genutzt werden, darauf aufmerksam zu machen, dass womöglich etwas nicht optimal läuft und vielleicht ein Austausch mit dem verordnenden Arzt die Therapie verbessern. Daher legt dieses Buch viel Wert darauf, die Arzneimitteltherapie im Verlauf der Lebensspanne und vor dem Hintergrund sehr unterschiedlicher Lebenssituationen darzustellen und auf die Besonderheiten, die jeweils auftreten können, mithilfe von Kasuistiken hinzuweisen. So adressiert ein Kapitel die typischen Besonderheiten einer Arzneimitteltherapie bei älteren Menschen, ein anderes die Besonderheiten bei Kindern und Jugendlichen. Einen Überblick über die Einflüsse verschiedener Lebensphasen auf die Arzneimittelthe- rapie verschafft auch das Einführungskapitel zur klinischen Pharmakologie. Hier wird gezeigt, welche Unterschiede in der Arzneimitteltherapie während der 9 W. Kohlhammer GmbH Vorwort Schwangerschaft, bei Kindern, bei Frauen und bei Männern oder bei alten Men- schen bestehen. Anhand von Beispielfällen werden typische Situationen dargestellt, bei denen es oftmals zu Fehlern oder Problemen bei der Arzneimitteltherapie kommt. Gerade bei Therapien mit vielen gleichzeitig eingenommenen Arzneimit- teln, der sogenannten Polypharmazie, können Wechselwirkungen zu Veränderun- gen der Verträglichkeit führen, hier sind Auswirkungen in der Form von Wirkver- stärkung, Wirkverlust oder zuvor nicht beobachtbaren Nebenwirkungen häufig. Die Kasuistiken dienen dazu, prägnante Situationen zu verinnerlichen, um da- durch »typische« Situationen frühzeitig zu erkennen, bei denen in der Arzneimit- teltherapie besondere Risiken auftreten. Gerade in den theorielastigen Kapiteln zur Pharmakokinetik und Pharmakodynamik werden typische Situationen aus der kli- nischen Praxis beschrieben, mit deren Hilfe die Zusammenhänge zwischen Arzn- eimittelwirkung und Patientenbesonderheiten besonders gut zum Ausdruck kom- Lizenziert für RWTH Aachen Universitätsbibliothek am 08.06.2024 um 15:08 Uhr men. Dieses Wissen kann dazu dienen, arzneimittelverursachte Beschwerden besser zu erkennen. Für eine fundierte psychotherapeutische Begleitung ist ein gutes Verständnis der pharmakologischen Wirkmechanismen und Therapieprinzipien gerade bei Psy- chopharmaka wichtig, zumal diese Arzneimittel bei psychischen Erkrankungen oftmals über lange Zeiträume eingenommen werden. So können sich die Psychotherapie und die Psychopharmakotherapie wechsel- seitig ergänzen und unterstützen. Daher widmet sich dieses Buch in vier Kapiteln den Pharmaka, die ihren zentralen Angriffsort im menschlichen Gehirn haben (Antidepressiva, Antipsychotika, Schlafmittel und Schmerzmittel). Diese Arznei- mittelgruppen spielen eine zentrale Rolle bei der Behandlung psychischer Erkran- kungen und werden zudem häufig kombiniert eingenommen. Aufgrund recht ähnlicher Wirkweisen im Gehirn haben auch psychoaktive Suchtstoffe eine große Bedeutung bei psychischen Erkrankungen. So ist der Gebrauch von Drogen und anderen Suchtstoffen bei Menschen mit psychischen Erkrankungen deutlich häu- figer als bei psychisch gesunden Menschen. Verkomplizierend kommt hinzu, dass Arzneimittel und psychoaktive Genussmittel/Suchtstoffe erhebliche Wechselwir- kungen miteinander aufweisen, wenn sie gleichzeitig eingenommen werden. Auf diese wechselseitige Beeinflussung wird in den Kapiteln über halluzinogene Suchtstoffe und Drogen eingegangen, aber auch insbesondere im Kapitel zu Alko- hol, dem am weitesten verbreiteten Sucht- bzw. Genussmittel. Da Suizidalität ein Symptom unterschiedlicher psychischer Erkrankungen sein kann, aber auch als Arzneimittelnebenwirkung auftreten kann, widmet sich ein eigenes Kapitel diesem komplexen Thema, um die unterschiedlichen Bezüge zwi- schen Medikamentenwirkung und Suizidalität darzustellen. Bei bestimmten Erkrankungen kommen zudem ganz besondere Arzneimittel- therapien zum Einsatz, die mit einem erheblichen Einfluss auf die Lebensqualität einhergehen können. Besonderheiten im Zusammenhang mit Arzneimitteln kön- nen schwere oder belastende Nebenwirkungen sein, die für die Patienten zumindest so erträglich sein müssen, dass sie die Therapie durchstehen können, um letztlich einen Therapieerfolg zu erreichen. Da dies bei nahezu allen Krebstherapien der Fall ist, ist insbesondere auch das Fachgebiet der Onkologie, also der Krebsmedizin von besonderer Bedeutung für die Arbeit von Psychotherapeuten. Hier benötigen Psy- 10 W. Kohlhammer GmbH Vorwort chotherapeutinnen und Psychotherapeuten zumindest grundlegende Kenntnisse und ein Verständnis für die Wirkung und die Entstehung von Nebenwirkungen gängiger Krebstherapeutika. Kenntnisse über die Therapieplanung und das Auf- treten von Nebenwirkungen bei den oft lange andauernden Krebstherapien ist in der therapeutischen Arbeit sehr wichtig, zumal sich viele Krebsarten aufgrund besserer Therapieerfolge mehr und mehr in Richtung chronischer Erkrankungen entwickeln. Die moderne Therapieentwicklung und die klinische Pharmakologie berück- sichtigen für die Einschätzung von Wirksamkeit und Sicherheit immer mehr Pati- enteneigenschaften. Die heutzutage angestrebte personalisierte Medizin wendet Therapien an, die ganz spezifisch auf diese Patientencharakteristika fokussiert sind. Dies können Besonderheiten der Erkrankung sein, wie genetische Besonderheiten, der Rezeptorstatus z. B. bei Brustkrebserkrankungen oder Tumormarker. Aber auch Lizenziert für RWTH Aachen Universitätsbibliothek am 08.06.2024 um 15:08 Uhr patientenindividuelle Metabolisierungseigenschaften, die z. B. durch individuelle genetische Besonderheiten im Bereich von arzneimittelmetabolisierenden Enzymen charakterisiert sind, spielen bei der Auswahl und beim Einsatz von Pharmaka eine zunehmend bedeutendere Rolle. Im Falle personalisierter Medizin kann die Wahl der Therapie oder auch die Herstellung einer Therapie auf den Patienten individuell abgestimmt werden, im Fall der Standardbehandlung, erfolgen Dosierung und Einnahmevorschrift standardisiert nach den Vorgaben der Fachinformation des Arzneimittels. Wichtig ist, dass die Medizin immer den betroffenen Patienten in den Mittelpunkt stellt und sich nicht auf ein One-Dose-Fits-All-Prinzip beschränkt. Auch hier sind Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ganz wichtige Schlüssel- personen für die personalisierte Arzneimitteltherapie, da sie die ihnen anvertrauten Patienten per se in den Mittelpunkt stellen und psychotherapeutische Verfahren immer auf die Individualität des Betroffenen eingehen. Hier können psychothera- peutische Verfahren auch die Arzneimitteltherapie unterstützen und im Sinne eines partizipativen Ansatzes auch die Patientensicht und Vorliegen oder Wünsche für eine personalisierte Therapie integrieren. Daher sind die im Kapitel zu onkologi- schen Therapien vorgestellten vier P’s einer personalisierten, partizipativen, prä- ventiven und präzisen, auf Patientenbesonderheiten zugeschnittenen Therapie nicht nur für die Krebstherapie relevant, sondern finden insbesondere bei Langzeitthe- rapien im Rahmen eines personalisierten Medizingesamtkonzeptes Anwendung. Im ausführlichen Glossar am Ende des Buches können Sie Erläuterungen häufig verwendeter medizinischer Fachbegriffe rasch nachschlagen. Wir haben im Buch bewusst medizinische Fachsprache eingeführt, da zwischen den Fachgruppen oft mit dieser kommuniziert wird und Patientinnen und Patienten häufig Erklä- rungsbedarf haben. Mit dem Glossar hoffen wir, die wichtigsten Begriffe verständ- lich erklärt zu haben. Wir hoffen, Ihnen mit diesem neuartigen Lehrbuch einen Überblick zu den relevanten Themen der modernen Arzneimitteltherapie zu geben und ein profundes Wissen zu den relevanten Themengebieten der klinischen Pharmakologie zu ver- mitteln. Schließlich spielt das Wissen um Arzneimittelwirkungen nicht nur im Studium, sondern auch im Berufsleben nach der Aufnahme der Tätigkeit als Psy- chotherapeutin oder Psychotherapeut eine wichtige Rolle. 11 W. Kohlhammer GmbH Lizenziert für RWTH Aachen Universitätsbibliothek am 08.06.2024 um 15:08 Uhr W. Kohlhammer GmbH 1 Einführung in die klinische Pharmakologie Julia Carolin Stingl und Justyna Wozniak Das Fach Pharmakologie untersucht die Wirkung von Substanzen am und im menschlichen Organismus. Unter der pharmakologischen Wirkung versteht man dabei die Wechselwirkungen, die ein Fremdstoff mit dem Organismus des An- wenders eingeht. Diese Wirkungen dienen dem Ziel, die physiologischen Funk- Lizenziert für RWTH Aachen Universitätsbibliothek am 08.06.2024 um 15:08 Uhr tionen des Organismus wiederherzustellen. Im Gegensatz dazu sind Stoffe, die durch rein physikalische Interaktion chemische Prozesse im Körper beeinflussen, wie zum Beispiel die Absorption von Toxinen durch Aktivkohle in Kohlepräparaten, keine pharmakologischen Wirkstoffe. Das Fach Pharmakologie gliedert sich in die Fächer allgemeine und molekulare Pharmakologie, Toxikologie und klinische Pharmakologie. Während sich die ersten drei Teilbereiche vor allem der Erforschung von Substanzeigenschaften und phar- makologischen Wirkungen widmen, beschäftigt sich die klinische Pharmakologie mit der Wirkung von Arzneimitteln, und insbesondere mit der Wirkungsvariabilität von Arzneimitteln bei Patienten aufgrund derer unterschiedlichen Eigenschaften. Für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ist besonders die Beobach- tung der klinischen Wirkung von pharmakologischen Wirkstoffen bei Patienten von Bedeutung, da ein und dieselbe Dosis eines Arzneimittels bei Menschen unter- schiedliche Wirkung haben kann. So profitieren einige Patienten von einer hohen Wirksamkeit und bekommen kaum Nebenwirkungen. Andere dagegen erleben eine geringe oder gar ausbleibende Wirksamkeit des pharmakologischen Wirkstoffes, wenn nicht sogar Nebenwirkungen. Diese Variabilität im Ansprechen auf Arz- neimittel zu untersuchen und vorherzusagen, ist Gegenstand der klinischen Phar- makologie. Patienten unterscheiden sich in ihren physiologischen Eigenschaften, im Krankheitsgeschehen, im Lebensstil und in der Ernährung. Bei über 50.000 zuge- lassenen Arzneimitteln in Deutschland ist es deshalb durchaus wahrscheinlich, dass ein und dieselbe Arzneimitteltherapie zu ganz unterschiedlichen Auswirkungen führen kann. Patienten werden deshalb aufgrund der Empfindlichkeit, mit der sie auf eine Arzneimitteltherapie reagieren, in unterschiedliche Gruppen aufgeteilt. Besonders große Unterschiede zwischen den einzelnen Patienten sieht man vor allem in der Gruppe der Kinder, der älteren Menschen und der Frauen während der Schwan- gerschaft. Ziel dieses Lehrbuches ist es, Ihnen als psychotherapeutische Begleitpersonen eine patientenzentrierte Pharmakologie nahezubringen, die sowohl die pharmako- logische Wirkung als auch Nebenwirkungen im Blick hat. Darüber hinaus wird geschildert, wie diese von Patienten erlebt und wahrgenommen werden. Außerdem 13 W. Kohlhammer GmbH 1 Einführung in die klinische Pharmakologie werden Sie die Grundzüge unseres Gesundheitssystems kennenlernen. Anhand von Fallbeispielen werden Sie auf besondere Situationen geschult und können so le- bendig Einblick gewinnen, welche Erfahrungen Patientinnen und Patienten mit Therapien machen. So sollen Sie in die Lage versetzt werden, arzneimittelbezogene Risiken bei Patienten, die sich in Ihrer psychotherapeutischen Begleitung befinden, einzuschätzen. Dazu müssen Sie Faktoren der Vulnerabilität, also der Empfind- lichkeit von Patienten gegenüber Arzneimittelwirkung und unerwünschten Ne- benwirkungen kennen und verstehen. Wir hoffen, Ihnen so einen Überblick über die Bedeutung von Pharmakologie und Arzneimitteleinnahme geben zu können, der für die psychotherapeutische Begleitung Ihrer Patienten hilfreich ist. Lizenziert für RWTH Aachen Universitätsbibliothek am 08.06.2024 um 15:08 Uhr 1.1 Arzneimitteleinnahme in Deutschland Etwa die Hälfte aller Erwachsenen in Deutschland nimmt regelmäßig ein Arz- neimittel ein. Etwa 40 % der über 65-Jährigen nimmt fünf oder mehr verschrei- bungspflichtige Arzneimittel über längere Zeit ein (1). Dabei ist noch nicht be- rücksichtigt, dass es viele rezeptfreie Arzneimittel gibt, die zusätzlich eingenommen werden. Die Anzahl an Verschreibungen in Deutschland steigt kontinuierlich an. So wird es sehr wahrscheinlich die Regel sein, dass die Patientinnen und Pati- enten, mit denen Sie psychotherapeutisch arbeiten, Arzneimittel einnehmen. Auf- grund dessen sollte man pharmakologische Aspekte, die beim individuellen Pati- enten zum Tragen kommen, auch in einer psychotherapeutischen Begleitung in Betracht ziehen. Dies können zum Beispiel für Patienten beeinträchtigende und schwer zu verkraftende Nebenwirkungen sein. Ein Beispiel wäre der mit einer Krebstherapie verbundene Haarausfall, der einer Patientin in psychoonkologischer Behandlung zu schaffen macht. Ein anderes Beispiel wäre die Beeinträchtigung von Psyche und Stimmung durch die Arzneimitteltherapie. So kann die Behandlung mit Cortison ähnlichen Wirkstoffen zu einer Stimmungsbeeinträchtigung bis hin zu einer der Psychose ähnelnden Symptomatik führen. 1.2 Woher unsere Arzneimittel kommen Viele Wirkstoffe, die in Arzneimitteln enthalten sind, kommen aus der Natur. Die Wirkung von Naturstoffen ist nichts Neues. Schon die antiken Kulturen wussten sich der pharmakologischen Wirkung von Naturstoffen zu bedienen. So diente das Gift der Tollkirsche, Atropa belladonna, bereits im Altertum als Aphrodisiakum, da es die Pupillen erweitert – eine Schönheitseigenschaft, die auch in der Kunst vielfach dargestellt ist. Der pupillenerweiternde Inhaltsstoff Atropin wird heutzutage bei 14 W. Kohlhammer GmbH 1.2 Woher unsere Arzneimittel kommen Augenuntersuchungen zum besseren Betrachten des Augenhintergrundes einge- setzt. Dazu werden Augentropfen, die Atropin enthalten, genutzt. Atropa bella- donna war zudem Ausgangspunkt für weitere auch heute noch verwendete Arz- neimittel. Skopolamin, ebenfalls ein Wirkstoff der Tollkirsche, wird als Pflaster durch Resorption über die Haut gegen Reiseübelkeit eingesetzt. Ein dritter aus der Tollkirsche abgeleiteter Wirkstoff, Ipratropiumbromid, wurde als Arzneimittel gegen Asthma entwickelt. Aber leider fußt nicht alle Arzneimittelforschung auf Erkenntnissen aus der Natur. Die ursprünglich gegen den Menschen eingesetzte Forschung zu Giftgas und chemischen Kampfstoffen hat in der Folge dazu geführt, dass Arzneimittel aus diesen Erkenntnissen entwickelt wurden. So führte die Erforschung und Synthese von Senfgas im Ersten Weltkrieg zur Entwicklung der sogenannten Stickstofflost(N- Lost)-Derivate in der Krebstherapie. N-Lost, benannt nach den Chemikern Lommel Lizenziert für RWTH Aachen Universitätsbibliothek am 08.06.2024 um 15:08 Uhr und Steinkopf, wurde bereits in den dreißiger Jahren als Warzen-Entferner auf der Haut eingesetzt. Später wurden Wirkstoffe für die Chemotherapie von Krebser- krankungen daraus entwickelt, u. a. die Wirkstoffe Bendamustin, Cyclophospha- mid, Ifosfamid, Melphalan und Chlorambucil. Sie werden heute noch zur Be- handlung von Tumorerkrankungen eingesetzt. Ein Arzneimittel, welches millionenfach verwendet wurde und wird, ist durch Zufall entdeckt worden. Steinklee, ein häufiges Blütengewächs in wilden Wiesen, enthält den Wirkstoff Cumarin. Beim Fäulnisprozess des Steinklees bildet sich aus der Cumarinsäure der aktive Wirkstoff Dicumarol. Entdeckt wurde dieser Wirkstoff, weil eine Herde Kühe, die verfaultes Heu gefressen hatte, plötzlich aus unklaren Ursachen gestorben war. Man stellte fest, dass diese Kühe an inneren Blutungen zugrunde gegangen waren. Cumarine wie Dicumarol wirken als Blutverdünner, indem sie die Blutgerinnung hemmen. So wurde bei den Kühen die Blutgerinnung außer Kraft gesetzt, was dazu führte, dass die Tiere auch bei kleinen Verletzungen, wie etwa im Darmtrakt, an inneren, nicht stillbaren Blutungen starben. Womöglich wusste bereits der Neandertaler von Pflanzeneigenschaften wie denen des Steinklees. Analysen der Zahnhälse von Neandertaler-Skeletten ergaben Hinweise darauf, dass sie Cumarine zu sich nahmen. So wurde u. a. das Cumarin- derviat 4-Methylherniarin im Zahnhals (Calculus) des Neandertalers nachgewiesen (2). Untersuchungen des Genoms des Neandertalers haben gezeigt, dass Neander- taler Träger einer genetischen Variante des Blutgerinnungssystems waren. Diese Variante ist heutzutage als Faktor-V-Leiden-Mutation bekannt (3). Die Träger dieser Variante leiden an einer verstärkten Blutgerinnung, der sogenannten Thrombo- philie. Der Neandertaler scheint sich den medizinischen Wert des Steinklees zu Nutzen gemacht zu haben, um seine Blutgerinnung zu regulieren. Somit trägt die moderne Pharmakologie ihre Wurzeln in alten Kulturen, in der Naturbeobachtung und der Beobachtung der Variabilität zwischen Menschen, wie sie unter anderem durch genetische Faktoren zustande kommt. 15 W. Kohlhammer GmbH 1 Einführung in die klinische Pharmakologie 1.3 Was ist ein Arzneimittel? Laut dem Arzneimittelgesetz (AMG) versteht man unter Arzneimitteln Stoffe, die zur Anwendung in oder am menschlichen Körper gedacht sind und zur Heilung, Linderung oder Verhütung menschlicher Krankheiten eingesetzt werden. Sie wer- den verschrieben, um eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung zu erzeugen oder um eine medizinische Diagnose zu stellen. Für Stoffe, die aufgrund dieser Definition unter den Begriff des Arzneimittels fallen, müssen be- sondere rechtliche Vorrausetzungen erfüllt werden, bevor sie zur Anwendung ge- bracht werden können. So legt das Arzneimittelgesetz fest, dass die pharmazeutische Qualität, also die Qualität in der Herstellung des Arzneimittels, gewissen Standards gehorchen muss Lizenziert für RWTH Aachen Universitätsbibliothek am 08.06.2024 um 15:08 Uhr und diesbezüglich kontrolliert wird. Außerdem muss die Wirksamkeit eines Arz- neimittels sowie dessen Unbedenklichkeit bei Einnahme in unterschiedlichen Pa- tientengruppen anhand von klinischen Studien nachgewiesen sein. Für die Über- prüfung der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzneistoffes hat der Gesetzgeber das Verfahren zur Arzneimittelzulassung entwickelt. Nicht zugelassene Arzneimittel dürfen Patienten nicht ohne Weiteres verschrieben werden. Unter den Begriff Arzneimittel fallen auch neue Wirkprinzipien und Wirkstoffe, die unter den Begriff der neuartigen Therapien (Advanced Therapy Medicinal Products, ATMP) einzuordnen sind. Dies sind zum Beispiel Therapeutika wie Stammzellen, die als komplette Zellen im Körper wirken, Wirkstoffe aus genetischem Material, wie z. B. rekombinante Nukleinsäuren, gentechnologisch veränderte körpereigene Zellen, wie z. B. die sogenannten CAR-T-Zellen, technologisch veränderte Gewebeprodukte, z. B. von der Augenhornhaut ab- stammende Hornhautepithelzellen. 1.4 Keine Wirkung ohne Nebenwirkung? Um die Wirksamkeit von Arzneimitteln zu untersuchen, werden z. B. Doppel- blindstudien durchgeführt, in denen die Probanden entweder den Wirkstoff oder ein Scheinpräparat (Placebo) einnehmen. Dabei wird weder den Probanden noch den Verschreibenden gesagt, ob es sich um den Wirkstoff oder das Placebo handelt. Bei der Analyse der Studiendaten wird verglichen, ob die Wirkung unter dem Wirkstoff signifikant stärker ausfällt als unter dem Placebo. Zudem werden auch die Unbedenklichkeit und auftretende Nebenwirkungen untersucht und erfasst. Dabei ist meist auch eine gewisse Wirkung bei den Patienten zu beobachten, die lediglich das Placebo, also das Scheinpräparat erhalten haben. In diesem Fall spricht man vom Placeboeffekt. Analog zum Placeboeffekt beobachtet man auch durch das 16 W. Kohlhammer GmbH 1.4 Keine Wirkung ohne Nebenwirkung? Placebo ausgelöste Nebenwirkungen, auch Noceboeffekt genannt. In der c Abb. 1.1 ist dies für die Entwicklung des COVID-19-Impfstoffes von Biontech dargestellt. Sowohl in der Wirkstoff- als auch in der Placebogruppe traten Nebenwirkungen wie Müdigkeit (Fatigue) und Frösteln (Chills) auf, in der Placebogruppe jedoch weniger häufig als in der Wirkstoffgruppe. % 100 75 58 56 58 80 42 33 60 17 11 8 0 8 40 0 Lizenziert für RWTH Aachen Universitätsbibliothek am 08.06.2024 um 15:08 Uhr 20 0 μg μg μg ebo μg μg μg ebo μg μg μg ebo 10 20 30 lac 10 20 30 lac 10 20 30 lac P P P Fieber Müdigkeit Frösteln Fieber: 38,0 °C–38,4 °C > 38,4 °C–38,9 °C > 38,9 °C– 40,0 °C Müdigkeit und Frösteln: Mild Moderat Schwerwiegend Abb. 1.1: Erfasste systemische Reaktionen nach Impfung mit COVID-19-Impfstoff von Biontech (BNT162b2) in der eingesetzten Dosis (Dosis 2) bei Probanden im Alter von 65–86 Jahren sieben Tage nach Injektion. Es sind Daten zu Fieber, Müdigkeit und Frösteln aufgeführt. Die І-Balken stellen 95 %-Konfidenzintervalle dar. Die Zahlen über den І-Balken zeigen den Gesamtprozentsatz der Teilnehmer in jeder Gruppe, die das angegebene systemische Ereignis meldeten (modifiziert nach (4)). Für die Fragestellung, wer Nebenwirkungen bekommt, ist somit nicht nur die To- xizität des Arzneimittels, sondern auch die Empfindlichkeit und Eigenwahrneh- mung des Patienten von Bedeutung. In c Abb. 1.2 sind schematisch zwei Patienten mit unterschiedlichen Vulnerabilitätsprofilen dargestellt. So bekommen ältere Menschen mit Bewegungseinschränkungen oder Bettlägerigkeit häufiger und manchmal auch andere Arzneimittelnebenwirkungen als jüngere, bewegungsstarke Patienten. Zudem gibt es Unterschiede zwischen Frauen und Männern, zwischen normalgewichtigen und übergewichtigen Patienten, und Unterschiede, die durch andere Erkrankungen des Körpers bedingt sind. So haben Patienten mit einer Einschränkung der Nierenfunktion ein erhöhtes Risiko für Nebenwirkungen bei fast allen Arzneimitteltherapien, da die herabgesetzte Funktion des Ausschei- dungsorgans Niere zu erhöhten Blutkonzentrationen der Arzneimittel nach Ein- nahme führt. Aber auch bei Fieber, Erbrechen oder Durchfallerkrankungen können Arzneimittel aufgrund von unterschiedlicher Absorption oder Elimination zu Ne- benwirkungen führen. 17 W. Kohlhammer GmbH 1 Einführung in die klinische Pharmakologie a) Vulnerabilitätsprofil: b) Vulnerabilitätsprofil: - 83 Jahre alt - 19 Jahre alt - weiblich - männlich - bettlägerig - aktiv - nierenschwach - normalgewichtig - häufiges Erbrechen aufgrund von übermäßigem Alkoholkonsum Abb. 1.2: a) Darstellung des Vulnerabilitätsprofils einer 83 Jahre alten Seniorin. Neben den Lizenziert für RWTH Aachen Universitätsbibliothek am 08.06.2024 um 15:08 Uhr Faktoren Alter und Geschlecht kommen bei dieser Patientin noch Bettlägerigkeit und eine Niereninsuffizienz hinzu. b) Darstellung des Vulnerabilitätsprofils eines 19 Jahre alten jungen Mannes. Hier sollte das Erbrechen durch übermäßigen Alkoholkonsum bei Untersuchungen zu Nebenwirkungen beachtet werden, es kann zu Unwirksamkeit führen, wenn Arzneimittel aufgrund von Erbrechen nicht resorbiert werden. 1.5 Woher kommt unser Wissen zu Nebenwirkungen? Man bezeichnet die Wachsamkeit gegenüber Nebenwirkungen sowie die Risikosi- gnalerkennung als Pharmakovigilanz. Die Pharmakovigilanz befasst sich mit der Aufdeckung, Bewertung, dem Verstehen und der Prävention von Nebenwirkungen oder von anderen Arzneimittel-bezogenen Problemen (5). Dabei ist schon der Verdacht, dass eine Beschwerde oder Symptomatik eine Nebenwirkung sein könnte, ausreichend, um eine Meldung zu generieren. Laut dem Arzneimittelgesetz sind die Hersteller von Arzneimitteln, also die pharmazeutischen Unternehmen, verpflich- tet, Spontanberichte und Verdachtsfälle von Nebenwirkungen ihrer Präparate nachzuverfolgen. Das beinhaltet auch die Aufnahme von Verdachtsfällen in die europäische Spontanberichtserfassung. Dies erfolgt durch Aufnahme sämtlicher Spontanberichte und Verdachtsfälle aller Mitgliedsstaaten in die europäische Da- tenbank »EudraVigilance« der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA. Hierbei wird unterschieden, ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem Auf- treten des Verdachtsfalls und der Einnahme des Arzneimittels möglich, wahr- scheinlich oder sicher ist. Besteht lediglich ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Einnahme des Arzneimittels und dem Auftreten der Nebenwirkung, wird von einem möglichen Zusammenhang gesprochen. Ist der Zusammenhang wahr- scheinlich, so sollte ein zeitlicher Zusammenhang sowie der Rückgang der Be- schwerden nach Absetzen des Arzneimittels beobachtet worden sein. Um einen sicheren Zusammenhang feststellen zu können, muss eine Re-Exposition des Arz- 18 W. Kohlhammer GmbH 1.6 Wie kommen die Informationen zu Nebenwirkungen in den Beipackzettel? neimittels zu einem Wiederauftreten der Nebenwirkung führen. Die nationalen Behörden sowie die europäische Arzneimittelbehörde EMA haben die dauerhafte Verpflichtung, diese Meldungen von Verdachtsfällen auszuwerten und zu beurtei- len, ob es sich um akute und bisher unbekannte Risikosignale von Arzneimitteln handelt. Dies kann bedeuten, dass wenn sich zum Beispiel Spontanberichte zu Einzelfällen aus verschiedenen Ländern häufen, diese zusammengenommen ein Risikosignal darstellen, welchem in der Folge nachgegangen wird. Es wird ein so- genannter Risikobewertungsprozess ausgelöst und gezielt Nachforschungen ange- stellt, die untersuchen, ob ein bestimmtes Arzneimittel die Ursache für die berich- tete Symptomatik sein könnte. Dazu werden sämtliche Daten und Kenntnisse zu den verdächtigten Arzneimitteln betrachtet und der Zusammenhang kausal unter- mauert (oder auch entkräftet). Lizenziert für RWTH Aachen Universitätsbibliothek am 08.06.2024 um 15:08 Uhr 1.6 Wie kommen die Informationen zu Nebenwirkungen in den Beipackzettel? Für die geschilderte kontinuierliche Erfassung und Bewertung von Arz- neimittelnebenwirkungen ist es essenziell, dass bereits der Verdacht auf eine Arz- neimittelnebenwirkung, insbesondere wenn sie bisher unbekannt ist oder von einem neuen Arzneimittel herrührt, gemeldet wird. Gemeldet wird vorwiegend durch die die Arzneimittel verschreibenden Ärzte und Ärztinnen, aber auch durch Apotheker und Apothekerinnen. Pro Jahr werden in Deutschland ca. 3.000 Fälle von unbekannten, schweren oder neuartigen Arzneimittelnebenwirkungen durch ärzt- liches Fachpersonal gemeldet. Dabei sind Patienten des gesamten Altersspektrums in den Meldungen enthalten. Während bei Kindern häufiger Nebenwirkungen durch Impfstoffe gemeldet werden, sind es bei älteren Menschen eher Nebenwirkungen durch Arzneimittel. Seit einigen Jahren ist es möglich und durchaus gewünscht, dass Patienten oder deren Angehörige selbst eine Nebenwirkung melden. Über die Webseiten der na- tionalen Arzneimittelbehörden, des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medi- zinprodukte (BfArM) sowie des Paul-Ehrlich-Institutes (PEI) wird ein gemeinsamer Meldebogen angeboten, über den Patienten und/oder Angehörige den Verdacht auf eine Arzneimittelnebenwirkung melden können (6). Hierbei muss die Beschwerde bzw. die Nebenwirkung beschrieben werden. Die meldende Person gibt an (schriftlich oder anhand eines Bildes), in welchem Organ bzw. welcher Körperre- gion die Nebenwirkung aufgetreten ist und wie sich diese im Verlauf weiterentwi- ckelt hat. In den letzten Jahren ist es europaweit zu einem großen Zuwachs an Meldungen von Nebenwirkungen durch Patienten gekommen. Analysen der eu- ropäischen EudraVigilance-Datenbank zeigen, dass sich die Meldungen von Ne- benwirkungen durch Patienten durchaus von den Meldungen durch Ärzte unter- scheiden. So tendieren Patienten eher dazu, Symptome zu melden, die für sie 19 W. Kohlhammer GmbH 1 Einführung in die klinische Pharmakologie persönlich schwer erträglich sind, wie zum Beispiel Beeinträchtigungen des Ner- vensystems (Kopfschmerzen, Müdigkeit oder Konzentrationsstörungen). Ärztliches Fachpersonal hingegen meldet häufig objektive Parameter wie Laborwerte oder Messwerte von medizinischen Gerätschaften. Somit ergeben die Meldungen durch Patienten und Angehörige eine komplementäre Wissensbasis für den Bereich Pharmakovigilanz und Risikosignalerkennung und ergänzen die bisherigen Mel- dungen durch Ärztinnen und Ärzte auf wichtige Weise. In c Abb. 1.3 ist ein Vergleich der häufigsten Meldungen von Ärzten und Pati- enten bzw. Angehörigen dargestellt. Man sieht, dass insbesondere schwere oder lebensbedrohliche Nebenwirkungen häufiger durch Ärzte und Ärztinnen gemeldet werden. Angehörige bzw. Patienten hingegen melden häufiger subjektiv beein- trächtigende Symptome, wie Kopfschmerzen, Müdigkeit oder Bauchschmerzen. Aus Untersuchungen zu Nebenwirkungen, die zu Spontanvorstellungen in der Lizenziert für RWTH Aachen Universitätsbibliothek am 08.06.2024 um 15:08 Uhr Notaufnahme geführt haben, ist bekannt, dass sich die Nebenwirkungen bei jün- geren und älteren Menschen stark unterscheiden. So wurde zum Beispiel Dehy- drierung (Austrocknung) zehnmal so häufig bei älteren Patienten, die in der Not- aufnahme vorstellig waren, als Nebenwirkung aufgezeichnet als bei jüngeren (7). Wird durch die Risikosignalerkennung eine neue Nebenwirkung bekannt, so ist der Hersteller verpflichtet, diese in den Beipackzettel bzw. in die Gebrauchsinfor- mation des Arzneimittels aufzunehmen, in denen alle bekannten Nebenwirkungen aufgeführt sind. Da alle Nebenwirkungen im Vergleich zur Wirkung selten sind, spricht man bereits von einer sehr häufigen Nebenwirkung, wenn diese bei mehr als 10 % der Einnehmenden auftritt. Die Kategorie »sehr selten« ist hingegen dann zu verwenden, wenn die Nebenwirkung nur bei einer von 10.000 behandelten Perso- nen (0,0001 %) auftritt. Die Häufigkeit einer Nebenwirkung wird im Beipackzettel unter Angabe der Einteilung in Häufigkeitskategorien mit aufgelistet. In c Abb. 1.4 ist als Beispiel die Gebrauchsinformation von Paracetamol, einem häufig eingenommenen Schmerzmittel, dargestellt. Während der Anstieg von Le- berenzymen, also die Beeinträchtigung der Leberfunktion, als Nebenwirkung in die Kategorie »selten« fällt (1:1.000), treten schwere allergische Reaktionen nur sehr selten auf (1:10.000). Bei Paracetamol handelt es sich um ein Arzneimittel, über das schon viele Jahr- zehnte Erfahrung vorliegt. Ein neues Arzneimittel hingegen kann jedoch noch sehr wenig Informationen zu Nebenwirkungen im Beipackzettel enthalten. Dies be- deutet jedoch nicht, dass neue Arzneimittel sicherer sind als bestehende, sondern zeigt lediglich, dass seit Zulassung noch nicht so viele Erfahrungswerte vorliegen und möglicherweise noch nicht sehr viele Patienten mit der Therapie behandelt wurden. Seltene oder gar sehr seltene Nebenwirkungen können zum Zeitpunkt der Zulassung einfach noch nicht bekannt geworden sein. Ein Beispiel aus dem klar wird, dass neu nicht sicher sein muss, stammt aus der Entwicklung der neueren Präparate zur Schwangerschaftsverhütung, der Pille. Es ist bekannt, dass orale Kontrazeptiva das Risiko bergen, Gerinnsel in Venen oder Arterien zu verursachen, sogenannte Thromboembolien – ein Risiko, das auch während einer Schwanger- schaft aufgrund der hormonellen Veränderungen erhöht ist. Die Pillenpräparate der zweiten und dritten Generation haben besonders bei jugendlicher Akne eine positive Wirkung, weshalb sie häufig gerade jungen Pati- 20 W. Kohlhammer GmbH 1.6 Wie kommen die Informationen zu Nebenwirkungen in den Beipackzettel? a) Anteil an Meldungen (%) 100 8 Anteil an Meldungen (%) 80 6 60 4 40