Forschungsmethoden I - Sitzung 2 PDF

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Philipps-Universität Marburg

Prof. Dr. Julia Gorges

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research methods social sciences education

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This lecture presents an overview of research methods in education, covering topics such as research standards, epistemology, critical rationalism, and social constructivism.

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Forschungsmethoden I Sitzung 2 Prof. Dr. Julia Gorges Was Sie heute erwartet.... Kurzer Rückblick Ein Beispiel aus der empirischen Bildungsforschung Zentrale Begriffe – Wiss. Standards und Gütekriterien – Erkenntnistheorie Kritischer Rationalismu...

Forschungsmethoden I Sitzung 2 Prof. Dr. Julia Gorges Was Sie heute erwartet.... Kurzer Rückblick Ein Beispiel aus der empirischen Bildungsforschung Zentrale Begriffe – Wiss. Standards und Gütekriterien – Erkenntnistheorie Kritischer Rationalismus Sozialkonstruktivismus – Forschungsprozess 2 Prof. Dr. Julia Gorges Teil 1 Erinnern Sie sich? RÜCKBLICK 3 Prof. Dr. Julia Gorges Wissenserwerb – wie geht das? Der „Fachbegriff“ als Schlüssel (auch „Terminus“ genannt) Fach-Begriff = Bezeichnung (Wort) + Bedeutungsinhalt in einem bestimmten Fachgebiet Bsp.: Hypothese => wörtl. übersetzt „Unterstellung“ Eine in Form einer logischen Aussage formulierte Annahme, deren Gültigkeit nicht bewiesen bzw. verifiziert ist. 4 Prof. Dr. Julia Gorges Wissenserwerb – wie geht das? 5 Prof. Dr. Julia Gorges Woher kommt nicht-wissenschaftliche Erkenntnis? Religion Autoritätspersonen Intuition Tradition Anekdotische Evidenz... Aus: Döring, N., & Bortz, J. (unter Mitarbeit von Pöschl, S.) (2016). Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. 6 Prof. Dr. Julia Gorges Woher kommt wissenschaftliche Erkenntnis? Wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn durch empirische Forschung: – Systematischen Sammlung, Aufbereitung und Analyse von empirischen Daten – Anwendung sozialwissenschaftlicher Methoden – im Rahmen eines geordneten, dokumentierten und theoriebasierten Forschungsprozesses Erst mit Bezug auf Theorien sind empirische Daten sinnvoll interpretierbar. Aus: Döring, N., & Bortz, J. (unter Mitarbeit von Pöschl, S.) (2016). Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. 7 Prof. Dr. Julia Gorges Teil 2 Die PISA-Studie EIN BEISPIEL 8 Prof. Dr. Julia Gorges Die PISA-Studie(n) PISA – Programme for the International Assessment of Student Competencies Seit 2000 regelmäßige Erfassung von Lesekompetenz usw. von Neuntklässler*innen https://bildungsforschung.hhu.de/pisa-studie/ 9 Prof. Dr. Julia Gorges Ist das dann wissenschaftlich? 10 https://www.mpib-berlin.mpg.de/Pisa/PISA_im_Ueberblick.pdf Prof. Dr. Julia Gorges Standards der Wissenschaftlichkeit 1. Wiss. Fragestellung – bearbeitet die Studie ein Forschungsproblem, das sich in den wiss. Diskurs einordnen lässt? 2. Wiss. Forschungsprozess – wird die Studie mit wiss. Methoden durchgeführt? 3. Wiss. Ethik – werden ethische Standards eingehalten? 4. Dokumentation – sind Vorgehen und Ergebnisse nachvollziehbar dokumentiert? 11 Prof. Dr. Julia Gorges Wissenschaft – oder nicht? Wissenschaft erhebt den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit und erfüllt alle vier Standards der Wissenschaftlichkeit Nicht-Wissenschaft adressiert ähnliche Fragestellungen wie Wissenschaft, aber ohne wissenschaftlichen Forschungsprozess, und erhebt keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit Parawissenschaft beschäftigt sich mit Phänomenen und Sachverhalten, deren Existenz und Beschaffenheit nach aktuellem Stand der Wissenschaft nicht gesichert ist, und erhebt den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit Pseudowissenschaft erhebt den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, ohne den gängigen Standards der Wissenschaft zu folgen; abzugrenzen sind unbeabsichtigte, vorsätzliche und ideologische Pseudowissenschaft Aus: Döring, N., & Bortz, J. (unter Mitarbeit von Pöschl, S.) (2016). Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. 12 Prof. Dr. Julia Gorges Standards – was ist „wissenschaftlich“? Tab. 3.1 Abgrenzung der Wissenschaft von Nicht-, Pseudo- und Parawissenschaft anhand der vier Standards der Wissenschaftlichkeit sowie dem selbsterklärten Anspruch der Wissenschaftlichkeit 1. Sind die Standards der Wissenschaftlichkeit erfüllt? 2. Wie gut ist die Qualität der Forschung (i.S.d. Gütekriterien)? Aus: Döring, N., & Bortz, J. (unter Mitarbeit von Pöschl, S.) (2016). Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. 13 Prof. Dr. Julia Gorges Standards und Gütekriterien 1. Wiss. Fragestellung – bearbeitet Inhaltliche Relevanz die Studie ein Forschungsproblem, das sich in den wiss. Diskurs einordnen lässt? 2. Wiss. Forschungsprozess – wird die Studie mit wiss. Methoden Methodische Strenge durchgeführt? 3. Wiss. Ethik – werden ethische Ethische Strenge Standards eingehalten? 4. Dokumentation – sind Vorgehen Präsentationsqualität und Ergebnisse nachvollziehbar dokumentiert? 14 Prof. Dr. Julia Gorges Teil 3 Was denke ich, woher Wissen kommt? ERKENNTNISTHEORIEN 15 Prof. Dr. Julia Gorges Rationalismus versus Empirismus https://www.youtube.com/watch?v=6S20klAH32o 16 Prof. Dr. Julia Gorges Rationalismus versus Empirismus Induktion: Schlussfolgerung von einem Einzelfall auf das Allgemeine „Ich sehe einen weißen Schwan, d.h. alle Schwäne sind weiß.“ Deduktion: Schlussfolgerung von einer allgemeinen Überlegung auf den Einzelfall „Ich habe durch logische Schlussfolgerungen die Erkenntnis gewonnen, dass alle Schwäne weiß sind. Ich weiß daher, bevor ich einen Schwan sehe, welche Farbe er hat.“ 17 Prof. Dr. Julia Gorges Rationalismus versus Empirismus Grundlegendes Problem: – Induktion ist (zu) unsicher, was wenn ich zufällig den einen weißen Schwan beobachtet habe und alle anderen schwarz sind? – Deduktion beruht (auch) auf Erfahrung, irgendwie muss ich auf die Idee gekommen sein, das alle Schwäne weiß sind… Synthese („Mittelweg“): – Kritischer Rationalismus – Sozialkonstruktivismus 18 Prof. Dr. Julia Gorges Was ist das Gegenteil von Empirie? Forschungszugang Sinneserfahrungen Empirie System wissenschaftlich begründeter Aussagen zur Erklärung bestimmter Tatsachen oder Erscheinungen und der ihnen zugrunde liegenden Gesetzlichkeiten Handlung, Ausübung Verschiedene Typen Praxis Theorie von Theorien Forschungspraxis / pädagogische Praxis? Das Gegenteil von Praxis? 19 Prof. Dr. Julia Gorges Theorie als ein „slippery term“ Theorie als Gegenteil von etwas: – Theorie versus Praxis – Theorie versus Fakten – Abstrakt versus konkret – Möglich, aber unwahrscheinlich („theoretisch“) – Generell versus spezifisch – Theoretisch versus nützlich Theorie als… – Meinung oder Überzeugung – Vorsichtige Erklärung Cohen et al. (2018). Research Methods in Education (8th ed.). Routeledge. 20 Prof. Dr. Julia Gorges Theorie – ein zentraler Begriff für empirische Forschung Eine Theorie ist ein System wissenschaftlich begründeter, aufeinander bezogener, abstrakter Aussagen. Eine Theorie dient dazu, Ausschnitte der Realität und die zugrundeliegenden Gesetzmäßigkeiten zu erklären und Prognosen über die Zukunft zu erstellen. „Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie“ (Lewin, 1951) Aus: Döring, N., & Bortz, J. (unter Mitarbeit von Pöschl, S.) (2016). Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. 21 Prof. Dr. Julia Gorges Bestandteile von Theorien Nicht direkt beobachtbarer Sachverhalt, z.B. Motivation Definitionen der Konstrukte und Konzepte legen deren Bedeutung und Relationen eindeutig fest Axiome: nicht-bewiesene Aussagen zum Zusammenhang mind. zweier theoretischer Konstrukte Theoreme bzw. Propositionen: aus Definitionen und Axiomen abgeleitete inhaltliche Aussagen zur Verknüpfung von mindestens zwei Konstrukten für festgelegten Objektbereich Wenn-Dann-Aussagen Je-Desto-Aussagen Hypothesen, d.h. noch unbewiesene Aussagen (i.S.v. Vorhersagen, Annahmen) Funktion: Beschreibung, Erklärung, Vorhersage Aus: Döring, N., & Bortz, J. (unter Mitarbeit von Pöschl, S.) (2016). Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. 22 Prof. Dr. Julia Gorges Theorien unterscheiden sich… „Grand Theory“ Hoher Abstraktionsgrad, nicht empirisch überprüfbar, bietet einen bestimmten „Blick“ auf die Welt (z.B. Habitustheorie von Bourdieu) Theorie mittlerer Reichweite Fokussiert bestimmtes Thema, adressiert (größeren) Ausschnitt der sozialen Wirklichkeit, empirisch prüfbar (z.B. Erwartungs-Wert-Theorie von Eccles et al.) Normative Theorie Aussagen darüber, wie etwas sein sollte Grounded Theory Aus Datenanalyse aufgebaut durch qualitativen Forschungsprozess Empirische Theorie Basiert auf und leitet empirische Forschung, fokussiert (kleineren) Ausschnitt aus Wirklichkeit, ist empirisch prüfbar und damit falsifizierbar, ist vorläufig gültig (vgl. Krit. Rationalismus, Teil 3) Cohen et al. (2018). Research Methods in Education (8th ed.). Routeledge. 23 Prof. Dr. Julia Gorges Bsp. Selbstbestimmungstheorie Motivation kann nicht nur quantitativ (weniger – mehr) sondern auch qualitativ unterschiedlich ausgeprägt sein. Je mehr ein Verhalten als selbstbestimmt (versus fremdbestimmt) erlebt wird, desto höher das Wohlbefinden und desto besser verhaltensbezogene Leistungsmerkmale. Motivation kann so als extrinsisch (eine Handlung ist auf die damit verbundenen Handlungsfolgen ausgerichtet) bis hin zu intrinsisch (die Handlung selbst motiviert die Handlung) erlebt werden („reguliert“ sein). Eine selbstbestimmte Motivation ist abhängig von der Befriedigung der drei psychologischen Grundbedürfnisse nach Kompetenz, sozialer Eingebundenheit und Autonomie. Deci, E. L. & Ryan, R. M. (1993). Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. Zeitschrift für Pädagogik, 39(2), 223-238. URN:urn:nbn:de:0111-pedocs-111739 24 Prof. Dr. Julia Gorges Bsp. Selbstbestimmungstheorie Internalisierung durch Befriedigung der psych. Grundbedürfnisse https://wuecampus2.uni-wuerzburg.de/moodle/mod/book/view.php?id=322112&chapterid=5263 25 Prof. Dr. Julia Gorges Qualitätsmerkmale von (empirischen) Theorien Innere Widerspruchsfreiheit Äußere Widerspruchsfreiheit (mit Blick auf bewährte Theorien) Falsifizierbarkeit (vgl. Krit. Rationalismus, Teil 3) Hoher Informationsgehalt (vgl. empirischer Gehalt von Hypothesen) – Breiter Geltungsbereich – Präzise Vorhersagen Erklärungskraft, möglichst kausal Praktische Anwendbarkeit Einfachheit und Sparsamkeit Empirischer Bewährungsgrad Aus: Döring, N., & Bortz, J. (unter Mitarbeit von Pöschl, S.) (2016). Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. 26 Prof. Dr. Julia Gorges Woher kommt eine Theorie? Im quantitativen Ansatz eine Frage der Kreativität Einteilung des Erkenntnisprozesses und Intuition ohne logisch stringente Methode – Entdeckungszusammenhang In vielen qualitativen Paradigmen zentrale Entdeckung / Entwicklung neuer Theorien Aufgabe von Wissenschaft – Begründungszusammenhang Begründung / Rechtfertigung der Beibehaltung einer Hypothese / Theorie Hauptanliegen quantitativer Forschung – Verwertungszusammenhang Verwertung / Nutzung von Theorien innerhalb und außerhalb der Wissenschaft Aus: Döring, N., & Bortz, J. (unter Mitarbeit von Pöschl, S.) (2016). Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. 27 Prof. Dr. Julia Gorges Teil 4 KRITISCHER RATIONALISMUS 28 Prof. Dr. Julia Gorges Was ist „wahr“ - überall? Die Vernunft basiert auch auf Erfahrungen – wie kann ich meine Erfahrungen prüfen? (Wie) Kann ich wissen, dass meine logischen Schlussfolgerungen allgemein gültig sind? 29 Prof. Dr. Julia Gorges Kritischer Rationalismus als Wissenschaftstheorie grundlegende wissenschaftliche Denkweise Wissenschaftstheoretische Basis des quantitativen Paradigmas Erkenntnisgewinn kommt dadurch zustande, dass man zunächst Theorien formuliert (rationalistisch), daraus Hypothesen ableitet und diese in nachvollziehbarer Weise anhand von Daten prüft (kritisch). Ursache => Wirkung (hypothesenprüfendes Vorgehen) „Modellhafter Blick“ auf Wirklichkeit, v.a. Kausalbeziehungen relevant Die Erfahrungswirklichkeit wird anhand ihrer einzelnen Merkmale (Variablen) und deren Relationen untereinander anhand größerer Stichproben von Untersuchungseinheiten analytisch untersucht. Aus: Döring, N., & Bortz, J. (unter Mitarbeit von Pöschl, S.) (2016). Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. 36 Prof. Dr. Julia Gorges Wie gelangt man zu Erkenntnis? Induktion => Wir beobachten Deduktion => Wir haben eine einen Einzelfall und schließen Theorie und schließen von daraus auf eine dieser auf Einzelfälle (unsere Gesetzmäßigkeit. Hypothese). Problem: Wir können selten alle Wir prüfen, ob unsere Einzelfälle beobachten! Wie Hypothese in der Wirklichkeit valide ist dann die Bestand hat. Wenn ja, dürfen Schlussfolgerung? wir sie (vorerst) behalten. => Darum ist auch unsere Theorie immer nur vorläufig gültig! 37 Prof. Dr. Julia Gorges Deduktiv-nomologisches Erklärungsmodell Explanans ("das Erklärende") Allgemeine Gesetzesaussage (nomologische Aussage, meist kausal) als Teil einer wiss. Theorie Bsp. Selbstbestimmungstheorie (Ryan & Deci, 2000): Der Mensch hat drei psychologische Grundbedürfnisse: Autonomie-Erleben, Kompetenz-Erleben und soziale Eingebundenheit. Die Befriedigung der Grundbedürfnisse steigert das Wohlbefinden. Ableitung einer empirischen Hypothese "Wenn in einem Seminar Wahlmöglichkeiten gegeben werden (= Erleben von Autonomie)..." Explanandum ("das zu Erklärende") "...dann steigt die Zufriedenheit mit dem Seminar (= Wohlbefinden).“ Verifikation und Falsifikation Sichere Erkenntnis durch Bestätigung von Theorien anhand von Daten (Verifikation) ist im Verständnis des Kritischen Rationalismus nicht möglich, da ein Induktionsschluss nicht logisch zwingend ist. Lediglich die Widerlegung von Theorien durch Daten (Falsifikation) ist – unter bestimmten Bedingungen – zu rechtfertigen auf der Basis des Deduktionsschlusses. Ziel einer empirischen Untersuchung ist daher die FALSIFIKATION der Hypothese! Wenn dies nicht gelingt, hat die Hypothese und die zugehörige Theorie eine (weitere) Prüfung „überlebt“! Gleichwohl ist jede Hypothesenprüfung ist mit einer gewissen (quantifizierbaren) Unsicherheit behaftet. Aus: Döring, N., & Bortz, J. (unter Mitarbeit von Pöschl, S.) (2016). Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. 38 Prof. Dr. Julia Gorges Grundprinzip des Kritischen Rationalismus Wir sortieren ungültige Theorie aus und nähern uns so der Wahrheit in kleinen Schritten! Viele Runden = hoher Bewährungsgrad einer Theorie! Huber, 2013, S. 49 40 Prof. Dr. Julia Gorges Weiterentwicklung von Theorien Raffinierter Falsifikationismus: Eine falsifizierte Hypothese bedeutet noch nicht das Ende der Theorie (das wäre naiver Falsifikationismus) Es gibt vielfältige Gründe für widersprüchliche Daten Phänomene sind häufig multikausal erklärbar, d.h. nicht ein Faktor ist ursächlich Hilfs- und Instrumententheorien (z.B. dass ein Text wirklich das interessierende Wissen messen kann) stehen ebenfalls auf dem Prüfstand Widersprüchliche Befundlage führt zu theoretischer Weiterentwicklung (z.B. weitere Bedingungsfaktoren) Befunde (und Methode) werden in scientific community kritisch diskutiert 35 Prof. Dr. Julia Gorges Teil 5 SOZIALKONSTRUKTIVISMUS 36 Prof. Dr. Julia Gorges Was ist „real“? Die Sinneswelt könnte eine Illusion sein. Jeder und jede erlebt seine (soziale) Umwelt anders – sie ist und wird ständig konstruiert Wir konstruieren – gemeinsam – die Bedeutung von Sprache, Farbe, Symbolen, Gesten etc. 37 Prof. Dr. Julia Gorges Welche Bedeutung hat…? Katze 38 Prof. Dr. Julia Gorges Was ist „real“? Wir konstruieren – gemeinsam – die Bedeutung von Sprache, Farbe, Symbolen, Gesten etc. Wir sind uns aber nicht immer einig! Bsp.: – Gesten werden kulturell unterschiedlich interpretiert – Sind 3 Euro für einen Milchkaffee teuer? – Als wie „schlimm“ erleben Sie die Corona-Pandemie? 39 Prof. Dr. Julia Gorges Sozialkonstruktivismus als Erkenntnistheorie Jeder und jede erlebt seine Umwelt höchst subjektiv – wie können wir dann empirisch (= auf Sinneserfahrung basierend) forschen? Wir suchen einen Zugang zu dem subjektiven Erleben der Anderen Ziel ist die Rekonstruktion der Sinnkonstruktion Anderer 5 Grundprinzipien qualitativer Forschung 40 Prof. Dr. Julia Gorges Prinzip der ganzheitlichen und rekonstruktiven Untersuchung lebensweltlicher Phänomene Soziale Wirklichkeit wird auf der Ebene der alltäglichen Lebenswelt der Individuen angesiedelt. Menschliches Erleben und Handeln lässt sich nicht durch allgemeine Gesetzmäßigkeiten kausal erklären, sondern nur anhand der jeweils individuellen Weltsichten und Sinngebungen der Beteiligten in ihren jeweiligen Alltagszusammenhängen verstehen und intentional erklären. (In der objektiven Hermeneutik versucht man, über die Sinngebungen der Beteiligten hinauszugehen.) Durch diese Gegenstandsbestimmung befinden sich nicht- lebensweltliche Makro- und Mikro- Phänomene außerhalb des Fokus der qualitativen Sozialforschung. Aus: Döring, N., & Bortz, J. (unter Mitarbeit von Pöschl, S.) (2016). Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. 41 Prof. Dr. Julia Gorges Prinzip der reflektierten theoretischen Offenheit zwecks Bildung neuer Theorien Erkenntnisgewinn zielt vor allem auf die Bildung neuer Hypothesen und Theorien ab, die passgenau auf den jeweiligen Untersuchungsgegenstand (d. h. ein lebensweltliches soziales Phänomen) zugeschnitten sind. Forschende nähern sich daher nicht mit einer bereits im Vorfeld ausgewählten fertigen Theorie und vordefinierten theoretischen Konstrukten. Forschende hinterfragen ihr (immer in gewisser Weise vorhandenes und auch notwendiges) Vorverständnis kritisch und sind ausdrücklich offen für Fälle, Situationen und Daten, die ihren Vorannahmen widersprechen und somit über die bisherigen theoretischen Vorstellungen hinaus neue Kenntnisse über den Untersuchungsgegenstand vermitteln. Aus: Döring, N., & Bortz, J. (unter Mitarbeit von Pöschl, S.) (2016). Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. 42 Prof. Dr. Julia Gorges Prinzip der Zirkularität und Flexibilität des Forschungsprozesses zwecks Annäherung an den Gegenstand Der Forschungsprozess wird idealerweise flexibel gestaltet. In mehreren Untersuchungszyklen innerhalb einer Studie sollen anhand der Zwischenergebnisse jeweils das Untersuchungsdesign, die Auswahl der Fälle und/oder die Datenerhebungs- und Datenanalyse-Hilfsmittel überarbeitet (Flexibilität des Vorgehens) und dem untersuchten Gegenstand somit schrittweise immer besser angepasst werden (Zirkularität bzw. Spiralförmigkeit der verstehenden Annäherung an den Untersuchungsgegenstand). Aus: Döring, N., & Bortz, J. (unter Mitarbeit von Pöschl, S.) (2016). Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. 43 Prof. Dr. Julia Gorges Prinzip der Kommunikation und Kooperation zwischen Forschenden und Beforschten Die direkte (zuweilen auch medienvermittelte) Kommunikation zwischen Forschenden und Beforschten ist das zentrale Erkenntnismittel. Damit diese Kommunikation ein möglichst weitreichendes Fremdverstehen ermöglicht, ist eine kooperative Haltung auf beiden Seiten notwendig. Die Beforschten müssen sich vertrauensvoll öffnen und die Forschenden müssen sich persönlich in den Kontakt einbringen und ein dem jeweiligen Gegenüber und dem Forschungsziel angemessenes Arbeitsbündnis aufbauen, dieses reflektieren und dokumentieren. Zur Qualitätssicherung wird zuweilen eine kommunikative Validierung eingesetzt. Aus: Döring, N., & Bortz, J. (unter Mitarbeit von Pöschl, S.) (2016). Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. 44 Prof. Dr. Julia Gorges Prinzip der Selbstreflexion der Subjektivität und Perspektivität der Forschenden Subjektivistische Erkenntnistheorie => der Erkenntnisprozess ist immer untrennbar mit der Person der Forschenden – ihrer Subjektivität und Perspektivität – verknüpft (um sich davon zu lösen werden z.B. bei der objektiven Hermeneutik Lesarten verglichen, um argumentativ die beste, „objektivste“ Lesart zu identifizieren) Reflexion der Subjektivität und Perspektivität gilt als zentrale Erkenntnisquelle und muss entsprechend auch dokumentiert werden Das betrifft nicht zuletzt die Position und Perspektive der Forschenden im Kontext sozialer Hierarchien und gesellschaftlicher Machtverhältnisse Aus: Döring, N., & Bortz, J. (unter Mitarbeit von Pöschl, S.) (2016). Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. 45 Prof. Dr. Julia Gorges Sozialkonstruktivismus als Erkenntnistheorie Je nach qualitativem Forschungsfeld wird mit unterschiedlichen Erkenntnistheorien gearbeitet. => Erkenntnisgewinn kommt dadurch zustande, dass man zunächst den Untersuchungsgegenstand in seinem Kontext sowie die Sichtweisen der Beteiligten detailliert rekonstruiert, um daraus dann schrittweise Hypothesen und Theorien abzuleiten und in mehreren Überarbeitungsschleifen mit den Daten abzugleichen. Dabei wird die Erfahrungswirklichkeit anhand der Detailbetrachtung weniger Fälle möglichst ganzheitlich untersucht. Qualitative Forschung kann rekonstruktiv oder subsumptiv ausgerichtet sein. Letztere gilt auch als „quantifizierende“ qualitative Forschung (z.B. Qualitative Inhaltsanalyse). Aus: Döring, N., & Bortz, J. (unter Mitarbeit von Pöschl, S.) (2016). Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften 46. Prof. Dr. Julia Gorges Charakterisierung Qualitativer Sozialforschung „Allenfalls kann man sagen, dass bei fast allen qualitativen Ansätzen ‚Sinn‘ (Gegenstand der Forschung) und ‚Rekonstruktion‘ (Anspruch der Forschung) als Grundtöne immer wieder aufklingen. Weil das so ist, macht es aus meiner Sicht keinen Sinn, von der qualitativen Sozialforschung zu sprechen, sondern, wenn überhaupt, sollte man das Ganze das Feld der qualitativen Methoden nennen, in dem die Hinwendung zum menschlich erzeugten ‚Sinn‘ immer wieder zu hören ist und in dem diese Orientierung als wesentliche Währung gehandelt wird. Zusätzlich soll gelten, dass sie empirisch arbeiten und ihre Theoriebildung auf die Daten beziehen, sie möglicherweise sogar aus ihnen emergieren lassen wollen, dass sie also etwas ‚Sinnhaftes‘ (re-) konstruieren wollen.“ (Reichertz, 2007, S. 197, zit. nach Döring & Bortz, 2006, S. 64) 47 Prof. Dr. Julia Gorges Teil 6 Wie läuft Forschung (ab)? DER EMPIRISCHE FORSCHUNGSPROZESS 48 Prof. Dr. Julia Gorges Empirische Daten Empirische Daten sind gezielt im Hinblick auf das Forschungsproblem ausgewählte und dokumentierte Informationen über die Erfahrungswirklichkeit. Sie werden mit wissenschaftlichen Datenerhebungsmethoden unter Nutzung entsprechender standardisierter oder nicht-standardisierter Erhebungsinstrumente gesammelt. Aussagekräftig sind die Daten nur, wenn sie im Rahmen eines dem Forschungsproblem angemessenen Forschungsprozesses und Untersuchungsdesigns an einer passenden Stichprobe (oder an der gesamten Population) erhoben wurden, sachgerecht ausgewertet und theoriebezogen interpretiert werden. Aus: Döring, N., & Bortz, J. (unter Mitarbeit von Pöschl, S.) (2016). Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. 49 Prof. Dr. Julia Gorges Das Studien- oder Untersuchungsdesign Das „empirische Vorgehen“ bei einer Studie Kann auf mehreren Abstraktionsebenen ausdifferenziert werden; üblicherweise wird mittlere Ebene gemeint Erkenntnistheoretischer Zugang z.B. Experiment Auswahl und Anordnung der Methoden zur Datenerhebung Details der Datenerhebung 50 Prof. Dr. Julia Gorges Wissenschaftliche Methoden Verfahren bzw. Techniken der Datenerhebung und Datenanalyse. Bsp. Datenerhebung: psychologische Testverfahren wie der Intelligenztest, physiologische Messungen wie die EKG-Messung Interviewtechniken wie das Leitfaden-Interview. Bsp. Datenanalyse: statistische Varianzanalyse qualitative Inhaltsanalyse Wissenschaftliche Methoden sind notwendig, aber nicht hinreichend für Erkenntnisgewinn! Aus: Döring, N., & Bortz, J. (unter Mitarbeit von Pöschl, S.) (2016). Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. 51 Prof. Dr. Julia Gorges Forschungsprozess Quantitative Sozialforschung steht in der wissenschaftstheoretischen Tradition der Naturwissenschaften. Sie bedient sich im Zuge eines sequenziell strukturierten Forschungsprozesses quantitativer d. h. strukturierter Methoden der Datenerhebung (z. B. standardisierte Fragebogenerhebungen, psychologische Testverfahren, physiologische Messungen), aus denen quantitative bzw. numerische Daten (Messwerte) resultieren, die statistischen Methoden der Datenanalyse Abb. 1.1: Schematische Darstellung des unterzogen werden. quantitativen und qualitativen Forschungsprozesses. Mit Hervorhebung (Fettdruck) der meist besonders arbeitsintensiven Phasen. (Mod. nach Witt, 2001. Mit freundlicher Genehmigung des Forums Qualitativer Sozialforschung) Aus: Döring, N., & Bortz, J. (unter Mitarbeit von Pöschl, S.) (2016). Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. Prof. Dr. Julia Gorges Forschungsprozess Qualitative Sozialforschung steht in der wissenschaftstheoretischen Tradition der Geisteswissenschaften. Sie bedient sich im Zuge eines zirkulär bzw. iterativ strukturierten Forschungsprozesses qualitativer d. h. unstrukturierter Methoden der Datenerhebung (z. B. teilnehmende Feldbeobachtung, narratives Interview), aus denen qualitative bzw. nichtnumerische Daten (d. h. Text-, Bild-, Videomaterial) resultieren, die interpretativen Methoden der Datenanalyse unterzogen werden. Abb. 1.1: Schematische Darstellung des quantitativen und qualitativen Forschungsprozesses. Mit Hervorhebung (Fettdruck) der meist besonders arbeitsintensiven Phasen. (Mod. nach Witt, 2001. Mit freundlicher Genehmigung des Forums Qualitativer Sozialforschung) Aus: Döring, N., & Bortz, J. (unter Mitarbeit von Pöschl, S.) (2016). Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. Prof. Dr. Julia Gorges Zwei zentrale Ansätze Quantitativer Zugang Qualitativer Zugang Kritischer Rationalismus Sozialkonstruktivismus Positivistisch Konstruktivistisch Objektivistisch Subjektivistisch Normativ Interpretativ Hypothesenprüfend Hypothesengenerierend Nomothetisch Idiografisch (gesetzfindend) (einzelfallbeschreibend) 54 Prof. Dr. Julia Gorges Ziele empirischer Forschung Erkenntnisgewinn aus empirischen Daten – Phänomene beschreiben und verstehen – Phänomene beschreiben, erklären und vorhersagen, d.h. Regeln und Einflussfaktoren identifizieren der Wahrscheinlichkeit nach Vorhersagen? Ja, aber: Empirische Sozialforschung arbeitet mit probabilistischen Theorien zur Erklärung von Phänomenen (anders als deterministische Theorien in den Naturwissenschaften) 55 Prof. Dr. Julia Gorges Teil 7 Zentrale Begriffe WHAT‘S NEW? 56 Prof. Dr. Julia Gorges What‘s new? Erkenntnistheorie Standards und Gütekriterien von Wissenschaft Rationalismus und Empirismus Induktiv und deduktiv Theorie und Hypothese Kritischer Rationalismus Verifikation, Falsifikation und Falsifizierbarkeit Sozialkonstruktivismus Linearer / zirkulärer Forschungsprozess Quantitative / qualitative Forschung Entdeckungs-, Begründungs- und Verwertungszusammenhang 57 Prof. Dr. Julia Gorges ÜBUNGSAUFGABEN FINDEN SIE ONLINE VIELEN DANK! 58 Prof. Dr. Julia Gorges

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