Gesundheitskommunikation PDF
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This document provides a detailed overview of health communication, including its learning objectives, definition, functions, and examples. Information is categorized into different sections such as health communication, functions, and definition. It analyzes the importance and applications of health communication from different perspectives in terms of communicating health issues and risks.
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B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 3 1 3 Gesundheitskommunikation Lernziele Nach der Lektüre dieses Kapitels kennen Sie eine Arbeitsdefinition und die Funktionen von Gesundheitskommunikation, können Sie unterschiedliche Anbietende von G...
B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 3 1 3 Gesundheitskommunikation Lernziele Nach der Lektüre dieses Kapitels kennen Sie eine Arbeitsdefinition und die Funktionen von Gesundheitskommunikation, können Sie unterschiedliche Anbietende von Gesundheitskommunikation unterscheiden, haben Sie sich mit Basisdimensionen gesundheitlicher Risiken vertraut gemacht, besitzen Sie Kenntnisse darüber, welche Bedeutung Furchtappelle in der Kommunikation gesundheitlicher Risiken haben, wissen Sie, welche Schritte die Planung, Umsetzung und Evaluation einer Gesundheitskampagne umfassen, kennen Sie unterschiedliche Aktivitätsebenen von Gesundheitskommunikation im Internet, können Sie professionelle Kompetenzen in der Gesundheitsberatung benennen. Gesundheitskommunikation gewinnt in den letzten Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung und hat sich als wichtiges Betätigungsfeld für die gesundheitspsychologische Forschung und Praxis herausgebildet. Im Zuge kontinuierlicher, schnell auftretender Veränderungen in nahezu allen Lebensbereichen und der damit einhergehenden zunehmenden Komplexität alltäglicher Probleme vergrößert sich der Bedarf an Informationen und Unterstützung auch in Bezug auf Gesundheit und Krankheit. Für eine erfolgreiche Umsetzung gesundheitsfördernder Interventionen ist es wichtig, die Prozesse zu kennen, die der Kommunikation gesundheitsbezogener Informationen, und hier insbesondere der Kommunikation gesundheitlicher Risiken, zugrunde liegen. 3.1 Gesundheitskommunikation In den frühen 1970er Jahren hat sich Gesundheitskommunikation als eigenständige Disziplin zunächst in den USA etabliert; seit einigen Jahren ist sie auch in Europa ein wachsendes Forschungs- und Anwendungsthema (Schulz & Hartung, 2014). Gesundheitskommunikation setzt sich als interdisziplinäres Fach aus Elementen gesundheitsbezogener Wissenschaften sowie der Kommunikationswissenschaften zusammen und nutzt Vorgehensweisen aus verschiedenen Disziplinen. So wird beispielsweise sozialpsychologisches Wissen für die Gestaltung effektiver Massenkommunikation bei der Verbreitung von Informationen zu gesundheitsförderlichen und schädlichen Verhaltensweisen in der Bevölkerung im Rahmen von Gesundheitskampagnen angewendet (Nöcker, 2016). 3.1.1 Definition von Gesundheitskommunikation Eine einheitliche Definition von Gesundheitskommunikation hat sich bisher noch nicht formulieren lassen. Baumann und Hurrelmann (2014) schlagen daher eine breit angelegte Arbeitsdefinition vor (siehe Kasten 3.1). B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 3 2 Gesundheitskommunikation bezeichnet die Vermittlung und den Austausch von Wissen, Erfahrungen, Meinungen und Gefühlen, die sich auf Gesundheit oder Krankheit, Prävention oder den gesundheitlichen Versorgungsprozess, die Gesundheitswirtschaft oder Gesundheitspolitik richten. Die Kommunikation kann auf interpersonaler, organisationaler oder gesellschaftlicher Ebene stattfinden und direktpersönlich oder medienvermittelt erfolgen. Gesundheitsbezogene Kommunikation schließt dabei alle Kommunikationsinhalte ein, die sich auf Gesundheit, Krankheit oder deren Determinanten beziehen; gesundheitsrelevante Kommunikation umfasst alle Formen symbolvermittelter sozialer Interaktion, die – auch unabhängig von der Intention der Kommunikationspartner – das Gesundheitsverhalten direkt oder indirekt beeinflussen oder durch dieses initiiert werden. Kasten 3.1. Arbeitsdefinition von Gesundheitskommunikation (Baumann & Hurrelmann, 2014, S. 13). Der letzte Halbsatz dieser Arbeitsdefinition verweist auf die Wechselseitigkeit von Kommunikation: Auch Informationen über gesundheitsbezogenes Verhalten (z. B. Berichte über Erfahrungen mit Aktivitätstrackern in entsprechenden Foren im Internet) können wiederum Kommunikation in Form von Kommentaren oder anderen Formen des Austauschs initiieren. 3.1.2 Funktionen von Gesundheitskommunikation Ausgehend von dem von Baumann und Hurrelmann (2014) formulierten Verständnis von Gesundheitskommunikation lassen sich deren wesentliche Ziele oder Funktionen ableiten: Dies sind nach Renner und Gamp (2014): die Informationsdarbietung über gesundheitsrelevante Inhalte auf verschiedenen Kanälen, die dadurch angestoßene Veränderung gesundheitsbezogener Wahrnehmungen, Einstellungen und Überzeugungen sowie die direkt oder indirekt resultierende Veränderung von Verhalten. Die Informationsdarbietung kann in verschiedener Form und mit unterschiedlicher Spezifität hinsichtlich der Inhalte und der Zielgruppen erfolgen (Renner & Gamp, 2014). Die Spannbreite reicht von Beipackzetteln bei Medikamenten oder Aufklärungsformblättern vor medizinischen Eingriffen (als wenig bis gar nicht zielgruppenspezifische Informationen) bis hin zu personalisierten Informationen über eine individuelle gesundheitliche Gefährdung und Behandlungsmöglichkeiten in einem Beratungsgespräch nach einer eingehenden Diagnostik. Die Inhalte können als neutral formulierte Sachinformationen dargeboten werden oder als persuasive (d. h. „überzeugende“) Botschaften, die vor allem Emotionen (häufig, aber nicht immer Furcht) ansprechen (Perloff, 2003) und durch deren Induzierung gesundheitsbezogene Einstellungen und Verhaltensweisen beeinflusst werden sollen. Weiterhin können Informationen mit mehr oder weniger Selbstbezug gestaltet werden. Ein stärkerer Selbstbezug wird unter anderem durch die Verwendung von Narrativen, das heißt Erzählungen oder Erlebnisberichten von tatsächlichen oder fiktiven Personen zu einem gesundheitsbezogenen Thema, erreicht, die häufig als Anekdoten oder Zeugenberichte (engl.: testimonial) gestaltet sind (Hinyard & Kreuter, 2007). Durch die Erfahrungen und Berichte dritter (oft auch prominenter) Personen, die aufgrund einschlägiger eigener Erfahrungen in Bezug auf das fokussierte Gesundheitsthema oder auch nur aufgrund ihrer Bekanntheit kompetent und vertrauenswürdig wirken, sollen die Rezipient:innen der Informationen dazu motiviert werden, diese Einstellungen oder das Verhalten zu übernehmen. Video 3.1 zeigt ein Beispiel dafür. B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 3 3 Video 3.1. Nimm Dir Zeit, geh zur Krebsvorsorge! Verfügbar unter https://youtu.be/XAC3SV9NTuo Die Veränderung von Wahrnehmungen, Einstellungen und Überzeugungen erfolgt zum einen durch das Beseitigen von Wissensdefiziten, wodurch ein verbesserter Umgang mit gesundheitsrelevanten Situationen und Anforderungen ermöglicht werden soll (Renner & Gamp, 2014). So kann zum Beispiel die Vermittlung von Wissen über die Übertragung von Grippeviren dazu führen, dass sich die wahrgenommene Wahrscheinlichkeit einer Infektion verändert und eigene Schutzmöglichkeiten in Betracht gezogen werden. Weiter können Überzeugungen und Einstellungen durch Informationen so verändert werden, dass ein breiteres Wissen über den Nutzen und die Nachteile medizinischer oder therapeutischer Maßnahmen resultiert und individuelle Entscheidungsprozesse abgewogener ablaufen können. Auch individuelle Werte und Normen sind durch dargebotene Informationen potenziell modifizierbar, indem sie mit Einstellungen tatsächlicher oder fiktiver anderer Personen kontrastiert werden. Ein Beispiel für eine so gestaltete Gesundheitskommunikation illustriert Abbildung 3.1. Abbildung 3.1 Plakat aus der Kampagne zum Welt-AIDS-Tag 2014. Verfügbar unter https://www.aidshilfe.de/shop/archiv/wurdest-hiv-positiven-arzt-gehen-klar-krank Im dargestellten Beispiel werden Einstellungen gegenüber Menschen mit einer HIV-Infektion thematisiert, indem eine als Narrativ (bzw. Testimonial) verfasste, explizit nicht-stigmatisierende Haltung einer Person, die in dem Plakat als Ich-Erzähler:in in Erscheinung tritt, als Verhaltensnorm postuliert wird. Die Konfrontation mit dieser Norm ermöglicht eine Überprüfung der eigenen Normen und Werte hinsichtlich des Umgangs mit Menschen mit einer HIV-Infektion und gegebenenfalls eine Veränderung der eigenen Normen in Richtung der Normen der fiktiven Person. Vermittelt über Veränderungen von Einstellungen, Wahrnehmungen und Überzeugungen wird mittels Gesundheitskommunikation letztendlich eine Veränderung von Verhalten angezielt (Fishbein & Capella, 2006; siehe auch Kurs 2, Kapitel 6 und 7 „Intervention Mapping I und II“). Erwünschtes gesundheitsbezogenes Verhalten (z. B. Wahrnehmung von Vorsorgeuntersuchungen, geschützter Geschlechtsverkehr, kontrollierter Umgang mit Alkohol oder vorurteilsfreier Umgang mit HIV-positiven Menschen) soll aufgebaut und aufrechterhalten B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 3 4 und gesundheitsschädigendes Verhalten (z. B. Rauchen, Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit oder Komatrinken) gesenkt werden (siehe auch Kurs 1, Kapitel 2 „Gesundheitsbezogenes Verhalten“). Durch entsprechend gestaltete Gesundheitskommunikation sollen verhaltensrelevante Kognitionen (z. B. hinsichtlich der individuellen Anfälligkeit für eine gesundheitsbezogene Bedrohung oder bezüglich der eigenen Selbstwirksamkeit zur Ausführung von präventiven Maßnahmen) so verändert werden, dass die Intention zur Ausführung des angezielten gesundheitsfördernden Verhaltens steigt (siehe Kurs 1, Kapitel 9 und 11 „Gesundheitsverhaltensmodelle I und II“ sowie Kurs 2, Kapitel 6 und 7 „Intervention Mapping I und II“). 3.1.3 Anbietende von Gesundheitsinformationen Es existieren unterschiedliche Quellen beziehungsweise Anbietende, die Gesundheitskommunikation in Form gesundheitsbezogener Informationen an potenzielle Rezipient:innen initiieren. Neben der individuellen Vermittlung von Informationen in einer Beratungssituation unterscheiden Loss und Nagel (2009) vier Klassen von Anbietenden bevölkerungsbezogener Informationen mit jeweils unterschiedlichen Motivlagen und Zielsetzungen. Dies sind erstens staatliche und halbstaatliche Institutionen mit mehr oder weniger enger Anbindung an das Bundesministerium für Gesundheit (BMG; http://www.bundesgesundheitsministerium.de) wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA; http://www.bzga.de), das Robert Koch-Institut (RKI; http://www.rki.de) oder das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG; http://www.iqwig.de). Diese Institutionen führen Studien zu aktuellen gesundheitsbezogenen Themen durch und informieren die Fachöffentlichkeit und die Bevölkerung durch unterschiedliche Medien über die Ergebnisse und daraus abgeleitete Empfehlungen. Ebenfalls zu dieser Gruppe von Anbietenden gesundheitsbezogener Informationen zählen Krankenkassen und Stiftungen oder Vereine, die staatlich unterstützt werden (z. B. Deutsche AIDS-Stiftung; http://www.aids- stiftung.de). Zum zweiten nutzen private Stiftungen und Vereine ebenfalls Formen der Gesundheitskommunikation. Es gibt eine Reihe solcher Gesundheitsstiftungen und -vereine, die von Privatpersonen oder privatwirtschaftlichen Institutionen gegründet wurden und zumeist durch ebenfalls private oder auch staatliche Partner (beispielsweise Landesministerien) Programme und Aktionen zur Gesundheitsförderung mit begleitender Gesundheitskommunikation initiieren. Hier ließe sich als ein Beispiel die Dietrich Grönemeyer Stiftung (siehe https://worldmedicine.eu) nennen. Eine weitere Anbietende ist die pharmazeutische Industrie. Gesundheitskommunikation durch diese Anbietenden erfolgt in Deutschland in Form von aufwändig gestalteten Informationen zu bestimmten Krankheitsbildern (z. B. Multiple Sklerose), die mit dem Namen des jeweiligen Konzerns verbunden werden und die Rezipient:innen der Informationen möglichst dazu anregen sollen, bestimmte pharmazeutische Produkte gezielt nachzufragen (Diekwisch & Schaaber, 2009). Auf einer etwas anderen Ebene als die drei bisher genannten Anbietenden sind Print- und sonstige Medien angesiedelt. In Kurs 1, Kapitel 1 „Einführung in die Gesundheitspsychologie“ wurde bereits auf die hohe Attraktivität der Themen Gesundheit und Krankheit für die Massenmedien eingegangen. Mit journalistischen Berichten über einzelne Krankheitsbilder sowie deren Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten werden Informationen an ein breites Publikum vermittelt. Diesen Informationen wird im Allgemeinen eine hohe Glaubwürdigkeit zugeschrieben (ohne dass dies im Einzelfall immer nachprüfbar ist). Sie haben daher nachweisbaren Einfluss auf das gesundheitsbezogene Verhalten der Konsumierenden (z. B. in Bezug auf das Ernährungsverhalten; Carducci et al., 2011). B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 3 5 In Abhängigkeit von den Zielsetzungen, mit denen Gesundheitsinformationen von den verschiedenen Klassen von Anbietenden vermittelt werden, unterscheiden sie sich in ihrer Ausgewogenheit, Vollständigkeit, Korrektheit und der Art der Gestaltung. 3.2 Kommunikation gesundheitlicher Risiken Kommunikation über Gesundheit und Krankheit enthält zumeist explizit oder implizit Informationen über mögliche Einbußen der Gesundheit oder Gefahren, die mit Krankheiten oder gesundheitlichen Bedrohungen verbunden sind. 3.2.1 Beschreibungsmerkmale von Risiken Eine Situation, die ein Gefährdungspotential enthält, wird als Risiko bezeichnet. Ein Risiko wird definiert durch die Wahrscheinlichkeit eines schädigenden Ereignisses und das negative Ausmaß seiner Konsequenzen (Rayner & Cantor, 1987). Merkmale, anhand derer sich die Schwere oder Gefährlichkeit eines Risikos beschreiben lassen, sind beispielsweise die Kontrollierbarkeit, die Bekanntheit oder die Freiwilligkeit oder Unfreiwilligkeit des Eingehens eines Risikos. Nach Slovic (1987) können die Charakteristika von Gefahrenquellen durch zwei Basisfaktoren beschrieben werden (siehe Kasten 3.2). Slovic (1987) unterscheidet zwei übergeordnete Dimensionen, deren Ausprägungen eine aussagekräftige Charakterisierung von Risiken ermöglichen: 1. Schrecklichkeit der Gefahr (engl.: dread risk). Diese Dimension beschreibt, inwieweit ein Risiko als unkontrollierbar, Furcht induzierend, zu einer globalen Katastrophe führend, potenziell tödlich, ungerecht verteilt, viele Personen schädigend, künftige Generationen betreffend, schwer reduzierbar, zunehmend und unfreiwillig wahrgenommen wird. 2. Unbekanntheit der Gefahr (engl.: unknown risk). Diese Dimension beschreibt, inwieweit ein Risiko als neu, wissenschaftlich ungeklärt, den Betroffenen unbekannt, durch die Sinne nicht wahrnehmbar und in seinen Wirkungen verzögert einsetzend bewertet wird. Kasten 3.2. Basisdimensionen zur Beschreibung von Risiken. Je stärker eine potenzielle gesundheitliche Gefährdung von Laien als schrecklich und unbekannt im Sinne der genannten Merkmale bewertet wird, desto eher wird sie als hohes Risiko eingeschätzt. Die Befürchtung von schwerwiegenden gesundheitlichen Gefahren durch den Gebrauch von Mobiltelefonen, die zu Beginn der flächendeckenden Nutzung dieser Technologie relativ häufig thematisiert wurden, ließe sich zum Beispiel durch die anfänglich hohe Ausprägung der beiden Dimensionen erklären. Epidemiologische Studien haben seitdem wenig oder widersprüchliche Hinweise auf gesundheitliche Gefährdungen durch den Gebrauch von Mobiltelefonen, wie etwa ein erhöhtes Krebsrisiko, erbracht (Lönn et al., 2005). An diesem Beispiel lässt sich auch die Veränderung von Risikoeinschätzungen im Verlauf der Zeit demonstrieren. Seit einigen Jahren werden in der Forschung weniger die Risiken der elektromagnetischen Strahlung von Mobiltelefonen, sondern stärker die wahrgenommenen und tatsächlichen Gefährdungen durch den Gebrauch während des Führens eines Fahrzeugs in den Blick genommen (White et al., 2004). 3.2.2 Furchtappelle Die Wahrnehmung einer Gefährdung ist eine notwendige Voraussetzung dafür, um diese Gefahr abwenden zu können und die eigene Unversehrtheit und das Wohlbefinden zu schützen. B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 3 6 Daher ist das Bedrohungsempfinden durch eine gesundheitliche Gefährdung eine zentrale Komponente einiger der einflussreichsten Theorien zum Gesundheitsverhalten (siehe Kurs 1, Kapitel 9 und 11 „Gesundheitsverhaltensmodelle I und II“). Die wahrgenommene eigene Anfälligkeit für eine gesundheitliche Beeinträchtigung ist auch der Ansatzpunkt für Interventionen in Form von Furchtappellen, durch die die schädlichen Konsequenzen von Risikoverhalten und die Folgen des Unterlassens gesundheitsförderlicher Verhaltensweisen offensiv kommuniziert werden, um so das Bedrohungserleben gezielt zu erhöhen und eine Veränderung des Verhaltens in die intendierte Richtung zu begünstigen (Rogers, 1983). Wenn aber solche Kommunikationsinhalte zu bedrohlich sind und sehr starke unangenehme und belastende Gefühle wie Angst und Furcht (eventuell auch Ärger) auslösen (Slovic & Peters, 2006), wie es bei gesundheitsbezogener Risikokommunikation oft der Fall ist, wird neben der Wahrnehmung und Verarbeitung der Informationsinhalte („risk as analysis“) auch die Bewältigung der Gefühle („risk as feelings“) erforderlich. Diese Prozesse können sich gegenseitig behindern. In dem Fall, dass das durch die Kommunikationsinhalte ausgelöste Bedrohungserleben allzu intensive negative Gefühle auslösen, greifen Mechanismen zu deren Abwehr oder Abmilderung, die der intendierten verhaltensbezogenen Wirkung der Gesundheitskommunikation entgegenwirken. Dies kann zum Beispiel durch eine Veränderung des wahrgenommenen Ausmaßes eines Risikos, zumindest in Bezug auf die eigene Person, geschehen. Diese kognitiv-emotionale Urteilsverzerrung wird als optimistischer Fehlschluss bezeichnet (Weinstein, 1989). Ein optimistischer Fehlschluss zeigt sich in einer systematischen Unterschätzung der eigenen gesundheitlichen Gefährdung im Vergleich zu anderen Menschen, die der eigenen Person ähnlich sind. Abbildung 3.2 zeigt ein für einen optimistischen Fehlschluss typisches Ergebnismuster der Antworten auf die Frage: „Im Vergleich zu anderen Personen Ihres Alters und Ihres Geschlechts, wie wahrscheinlich ist es, dass Sie einen Herzinfarkt bekommen werden?“ in einer Untersuchung von Renner et al. (2000). Abbildung 3.2 Optimistischer Fehlschluss bei der Wahrnehmung des individuellen Risikos für einen Herzinfarkt. Aus Renner et al., 2000, S. 151 3.2.3 Einsatz von Furchtappellen in der Gesundheitskommunikation Vor allem zu Beginn der wissenschaftlichen Beschäftigung mit induzierten gesundheitsbezogenen Verhaltensveränderungen wurden Furchtappelle als Mittel der Wahl B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 3 7 angesehen, um Menschen in teilweise drastischer Form auf die Konsequenzen von gesundheitsschädigendem Verhalten aufmerksam zu machen. Video 3.2 zeigt einen australischen Fernsehspot zur HIV-/AIDS-Prävention aus den 1980er Jahren, der aufgrund seiner exzessiven Verwendung von Furchtappellen bekannt geworden ist (was zumindest heutzutage eher in einer unfreiwilligen Komik resultiert). Video 3.2. AIDS prevention (Australian ad) 1987. Verfügbar unter https://youtu.be/mJzT4XDwfFc In der Forschung zu Prozessen der Risikokommunikation gab es jedoch von Beginn an Ergebnisse, die zeigten, dass drastische Furchtappelle ohne gleichzeitig präsentierte umsetzbare Handlungsalternativen die Herausbildung von kognitiven und emotionalen Abwehrprozessen begünstigen können (Witte & Allen, 2000; siehe Kurs 1, Kapitel 9 „Gesundheitsverhaltensmodelle I“). Das erweiterte parallele Prozessmodell (zu parallelen Prozessmodellen siehe auch Kurs 1, Kapitel 8 „Regulation gesundheitsbezogenen Verhaltens“) von Maloney et al. (2011) versucht, die Wirkung von Furchtappellen in der Gesundheitskommunikation differenziert zu erklären (siehe Abbildung 3.3). Abbildung 3.3 Erweitertes paralleles Prozessmodell. Nach Renner und Gamp, 2014, S. 75 Das Modell postuliert zwei gleichzeitig ablaufende kognitive Prozesse, die durch explizite oder implizite Furchtappelle, zum Beispiel auf Plakaten oder in Broschüren und Videos einer Gesundheitskampagne, angestoßen werden. Einer dieser Prozesse beinhaltet die Bewertung des Risikos und der persönlichen Anfälligkeit oder Verletzbarkeit für die im Furchtappell thematisierte Gefahr. Der andere Prozess beinhaltet die Einschätzung der Kontrollierbarkeit des Risikos durch geeignete Maßnahmen und darüber, ob diese wirkungsvoll und persönlich realisierbar sind. Kommt jemand zu dem Ergebnis, dass eine die eigene Person betreffende Gefahr (z. B. eine HIV- Infektion) durch wirkungsvolles und umsetzbares Verhalten (z. B. Kondomgebrauch) verhindert werden kann, so resultiert nach dem Modell die Motivation, die eigene Unversehrtheit zu schützen. Diese geht mit der Akzeptanz der Informationen einher und erleichtert die Herausbildung einer Intention zum Ausüben von Verhalten, das die Gefahr kontrollieren soll. Lösen die Inhalte einer Gesundheitskommunikation überwiegend Furcht und/oder Angst aus, dann werden defensive Mechanismen (z. B. Ablenkung von der Nachricht, aber auch kognitive Strategien wie der oben angesprochene optimistische Fehlschluss) aktiviert, die der Furchtkontrolle dienen und unter anderem eine Abwertung oder Ablehnung der Informationen B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 3 8 beinhalten. Werden die Gefahr und auch die Gegenmaßnahmen als persönlich irrelevant wahrgenommen, dann führen sie zu keinen weiteren Verarbeitungsprozessen und nachfolgenden Verhaltensweisen. Gesundheitskommunikation sollte nach dem erweiterten parallelen Prozessmodell daher möglichst so gestaltet sein, dass in der angesprochenen Zielgruppe die Bildung einer Schutzmotivation durch die gleichzeitige Vermittlung von Informationen zu den negativen Folgen gesundheitsschädigenden Verhaltens und den wirksamen und realisierbaren Schutzmaßnahmen unterstützt wird. Über die Wirksamkeit von Furchtappellen, ob alleine oder in Kombination mit anderen Maßnahmen, gibt es nach wie vor kontroverse Diskussionen. So erbrachte eine neuere Meta- Analyse (Tannenbaum et al., 2015) Hinweise für die generelle Wirksamkeit von Furchtappellen in der Gesundheitskommunikation, verweist jedoch auch auf spezifische Bedingungen, unter denen sie besonders effektiv sind (z. B. eher bei einmaligem Verhalten wie Impfungen, weniger bei kontinuierlichem Verhalten wie Ernährung). 3.3 Gesundheitskommunikation durch Gesundheitskampagnen Eine sehr umfassende und aufwändige Form der Gesundheitskommunikation sind groß angelegte Gesundheitskampagnen, durch die in der Öffentlichkeit die Bedeutung spezifischer gesundheitsbezogener Themen salient gemacht werden soll und Veränderungen gesundheitsbezogener Verhaltensweisen in Richtung von Gesundheitsförderung und/oder Prävention angezielt werden. 3.3.1 Definition und Entwicklung von Gesundheitskampagnen Nach Bonfadelli und Friemel (2010) beinhalten Gesundheitskampagnen die Konzeption, Realisierung und Evaluation von systematischen, zielgerichteten und zeitlich begrenzten kommunikativen Aktivitäten zur Verbreitung von gesundheitsrelevanten Informationen und zur Förderung von Wissen, Motivation und Intention zu Verhaltensänderungen bei bestimmten Zielgruppen in einem gesellschaftlich gewünschten Sinn. Die häufig teuren und viele Kommunikationskanäle nutzenden Kampagnen erfordern eine sorgfältige Planung und eine umfassende Evaluation (siehe Kurs 2, Kapitel 5 „Evaluation gesundheitspsychologischer Maßnahmen“), um ihre Wirksamkeit bewerten zu können. Bei der Kampagnenentwicklung unterscheidet Nöcker (2016) sieben Schritte (siehe auch Kurs 2, Kapitel 6 und 7 „Intervention Mapping I und II“): 1. Bestimmung der epidemiologischen Ausgangssituation (z. B. Inzidenzraten von HIV- Neuinfektionen), 2. Herleitung der Ziele der Kampagne (z. B. Verringerung von Neuinfektionen), 3. Zielgruppenanalyse (z. B. besondere Risikogruppen, Bedarfe und Bedürfnisse), 4. Rückgriff auf theoretische Modelle zur Problementstehung (z. B. Modell der Gesundheitsüberzeugungen; siehe Kurs 1, Kapitel 9 „Gesundheitsverhaltensmodelle I“), 5. Rückgriff auf theoretische Modelle zur Verhaltensänderung beziehungsweise Interventionsplanung (z. B. Transtheoretisches Modell der Verhaltensänderung; siehe Kurs 1, Kapitel 11 „Gesundheitsverhaltensmodelle II“), 6. Planung der Maßnahmen zur Durchführung und Implementierung (Projektplanung), 7. Evaluation der Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit (Soll-Ist-Abgleich mit Zieldefinition). B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 3 9 3.3.2 Beispiel einer umfassenden Gesundheitskampagne: Gib AIDS keine Chance Ein sehr bekanntes Beispiel einer deutschsprachigen Gesundheitskampagne der 1980er und 1990er Jahren ist die Kampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung „Gib AIDS keine Chance“, die viel Aufmerksamkeit durch die Verwendung vielfältiger Massenkommunikationskanäle erhalten und so die Sensibilität für das Thema geschützter Geschlechtsverkehr zur Prävention einer Infektion mit dem HI-Virus in Deutschland geschärft hat. Einige der Fernseh- und Kinospots haben über die Kampagne hinaus Bekanntheit erlangt (siehe Video 3.3). Video 3.3. Tina, was kosten die Kondome? Verfügbar unter https://youtu.be/XEe2t3nRB9U Abbildung 3.4 verdeutlicht die Zielsetzung, die durchgeführten Maßnahmen und die Evaluationsansätze der „Gib AIDS keine Chance“-Kampagne. Abbildung 3.4 Ziele, Maßnahmen und Evaluation der „Gib Aids keine Chance“-Kampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Aus Nöcker, 2016 Anmerkungen. AV = Audiovisuell, E-Cards = Electronic Cards. Um die Wirksamkeit der „Gib AIDS keine Chance“-Kampagne und die der Nachfolgekampagne „Liebesleben“ (https://www.liebesleben.de/fuer-alle/), die ebenfalls von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung durchgeführt wird, sicherzustellen, werden unter anderem regelmäßige repräsentative Umfragen zur Einstellung gegenüber dem Gebrauch von Kondomen und zu ihrer tatsächlichen Nutzung durchgeführt (Jordan et al., 2011). Im Zuge der Kampagnen zeigte sich ein Rückgang negativer Einstellungen zu Kondomen und ein anfänglicher Anstieg des Kondomgebrauchs. Es fanden sich aber auch Hinweise darauf, dass die Häufigkeit der Verwendung von Kondomen Schwankungen unterliegt, die nicht unmittelbar mit den Kampagnen zusammenzuhängen scheinen. B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 3 10 In einem Review zu der Frage nach der Wirksamkeit öffentlicher Gesundheitskampagnen bei der Veränderung gesundheitsbezogenen Verhaltens ziehen Wakefield et al. (2010) eine insgesamt positive Bilanz. Allerdings scheinen multimediale öffentliche Kampagnen eher bei einmaligem oder episodisch auftretendem Verhalten wirksam zu sein (z. B. Screening-Untersuchungen, Impfungen) und weniger bei gewohnheitsmäßigem Verhalten (z. B. Ernährung, Bewegung). Weiterhin hängt der Erfolg der Kampagnen davon ab, ob es Angebote im Umfeld der angesprochenen Personen gibt, durch die die erwünschte Verhaltensänderung erlernt und gefestigt werden kann, und ob das Ziel der Kampagne auch politisch (und damit im Sinne einer Verhältnisprävention, siehe Kurs 2, Kapitel 2 „Krankheitsprävention“), etwa durch gesetzliche Regelungen wie der Erhöhung der Tabaksteuer, unterstützt wird. 3.4 Gesundheitskommunikation im Internet Gesundheitskommunikation erfolgt auf unterschiedlichen Kanälen. Lange Zeit waren dies vor allem Printmedien und anderes gedrucktes Material (z. B. Plakate oder Broschüren), Fernsehen, Film und Rundfunk. Mittlerweile ist das Internet aufgrund seiner umfassenden Verfügbarkeit einer der wichtigsten Kanäle für gesundheitsbezogene Informationen geworden (Baker et al., 2003). Alle der unter 3.1.3 genannten Anbietenden von Gesundheitskommunikation nutzen teilweise, gelegentlich auch ausschließlich, internetbasierte Technologien zur Vermittlung gesundheitsbezogener Informationen. 3.4.1 Qualitätskriterien für Gesundheitsinformationen im Internet „Dr. Google“ stellt eine erste Anlaufstelle für viele Ratsuchende dar. Allerdings ist die Qualität der Gesundheitsinformationen dabei nicht immer direkt nachvollziehbar. Bis Dezember 2022 konnten Rezipient:innen über Health on the Net (HON)-Labels (HON Code) prüfen, ob eine Webseite mit Gesundheitsinformationen den internationalen Qualitätsstandards für solche Onlinedienste entspricht. Seit ihrer Gründung im Jahr 1995 wurde das HON-Gütesiegel durch die Nichtregierungsorganisation „Stiftung Health on the Net“ mit Sitz in der Schweiz (engl.: Health on the Net Foundation) für Internetseiten, die festgelegten Qualitätskriterien entsprechen, vergeben. Trotz Einstellung der Zertifizierung gibt es noch Webseiten, die sich auf diese Kriterien beziehen. Weitere Tipps und Orientierungshilfen bietet das 2003 vom Bundesministerium für Gesundheit initiierte „Aktionsforum Gesundheitsinformationssystem (afgis)“ (https://www.afgis.de; siehe Kurs 2, Kapitel 8 „eHealth“). Ein Beispiel für eine für die Öffentlichkeit entwickelte und staatlich finanzierte Webseite für Gesundheitsinformationen ist das vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen betriebene Online-Portal gesundheitsinformation.de (http://www.gesundheitsinformation.de). Des Weiteren beschäftigen sich Institutionen, Vereine und Interessenvertretungen wie das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin (DNEbM; http://www.ebm-netzwerk.de/) in Kooperation mit weiteren Institutionen im Gesundheitswesen mit der Erstellung von Leitlinien für verständliche, umfassende und evidenzbasierte Gesundheitsinformationen für Bürger:innen und geben hierzu entsprechende Handlungsempfehlungen heraus. Die aktuelle Version von „Gute Praxis Gesundheitsinformation, Version 2.0“ aus dem Jahr 2016 ist auf der Internetseite des Netzwerks abrufbar (https://www.ebm-netzwerk.de/de/veroeffentlichungen/weitere-publikationen). Aus gesundheitspsychologischer Sicht ist das Internet neben einschlägiger wissenschaftlicher Literatur eine der potenziellen Quellen zur fachlichen Informationssuche (etwa bei der Begleitung von Patient:innen mit seltenen Erkrankungen). Vor der Nutzung der dort verfügbaren Informationen ist allerdings die Beurteilung der Qualität gesundheitsbezogener Internetseiten B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 3 11 anhand fundierter und transparenter Kriterien eine unabdingbare Voraussetzung. Im Rahmen einer individuellen Beratung oder auch bei einer gruppenbasierten Patientenschulung (siehe Kurs 2, Kapitel 9 „Patientenschulungen“) kann die Vermittlung von Informationen über die Vertrauenswürdigkeit und wissenschaftliche Absicherung unterschiedlicher gesundheitsbezogener Internetangebote Teilaspekt einer Intervention sein, durch die Ratsuchende bei einem kompetenten Umgang mit ihrer Gesundheit und Krankheit unterstützt werden. Das international angewandte DISCERN-Instrument (http://www.discern.org.uk) stellt hierbei für Gesundheitspsycholog:innen eine Hilfe dar, um Empfehlungen zur Einschätzung der Qualität von Gesundheitsangeboten und -informationen im Internet zu fundieren. 3.4.2 Informations- und Aktivitätsebenen bei Gesundheitskommunikation im Internet Bei den Gesundheitsdiensten und Angeboten zu Gesundheitsthemen im Internet können unterschiedliche Aktivitätsgrade und Themenfelder unterschieden werden (siehe Abbildung 3.5 und Kurs 2, Kapitel 8 „eHealth“). Abbildung 3.5 Aktivitäts- und Informationsebenen von Gesundheitskommunikation im Internet. Aus Ludwigs und Nöcker, 2015 Anmerkung. Q&A-Sites = Question- & Answer Sites (Frage-Antwort-Portale). So kann die erste Stufe als reine Informationsebene bezeichnet werden, bei der Rezipient:innen auf Webseiten zu Gesundheitsthemen, die von Institutionen, Verbänden, Verlagen sowie sonstigen Institutionen und Unternehmen (siehe oben) bereitgestellt werden, zugreifen können, ohne Änderungen an den Inhalten vornehmen oder mit anderen Nutzenden auf der Internetseite interagieren zu können. Auf der nächsten Aktivitätsebene ist eine, wenn auch eingeschränkte, Interaktion möglich, wenn zusätzlich zu der Informationsvermittlung zum Beispiel die Möglichkeit von Selbsttests angeboten wird. Die höchste Aktivitätsebene ermöglicht die Vernetzung mit B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 3 12 anderen Personen, die an denselben gesundheitsbezogenen Themen interessiert sind (Ludwigs & Nöcker, 2015). Auch professionelle Gesundheitsberatung im Internet ist auf dieser Ebene zu verorten. 3.5 Gesundheitsberatung Ein weiterer Teilbereich der Gesundheitskommunikation ist die Gesundheitsberatung, die der Vermittlung gesundheitsbezogener Informationen und Fertigkeiten dient. 3.5.1 Definition und Formalisierungsgrade von Gesundheitsberatung Um einem ganzheitlichen Verständnis von Gesundheit gemäß der Weltgesundheitsorganisation gerecht zu werden (siehe Kurs 1, Kapitel 1 „Einführung in die Gesundheitspsychologie“ und Kurs 2, Kapitel 1 „Gesundheitsförderung“), sollte der Anspruch von Gesundheitsberatung darin bestehen, sowohl psychisches und körperliches Wohlbefinden zu fördern als auch die soziale Situation (und das Setting) der ratsuchenden Person einzubeziehen, um passende Handlungsempfehlungen oder Ratschläge zu gesundheitlichen Belangen bereitstellen zu können (Domsch & Lohaus, 2009). Im Einklang damit wurde folgende Arbeitsdefinition für Gesundheitsberatung vorgeschlagen (siehe Kasten 3.3). Gesundheitsberatung kann […] als eine professionelle Beratung verstanden werden, die sich auf Gesundheitsthemen und -probleme bezieht und das Ziel hat, über psychologische und soziale Veränderungsmethoden Krankheiten zu verhindern, Gesundheit zu fördern und die Bewältigung einer Krankheit zu unterstützen. Insofern lässt sich Gesundheitsberatung vor allem in die Praxisfelder der Prävention, Gesundheitsförderung und Rehabilitation einordnen. Kasten 3.3. Arbeitsdefinition von Gesundheitsberatung (Faltermaier, 2004, S. 1064). Gesundheitsberatung bezeichnet im weitesten Sinne jegliche Beratung, die gesundheitliche Belange betrifft. Unter diese Definition fallen beispielsweise auch gesundheitliche Ratschläge in der Nachbarschaft, Ratgeberliteratur und Beratung in Lebensfragen (Domsch & Lohaus, 2009). Zur Unterscheidung professioneller Gesundheitsberatung von alltäglichen Interaktionen mit Beratungselementen schlägt Nestmann (2004) drei Formalisierungsgrade der Beratung vor: informelle Beratung im Alltag, zum Beispiel im Rahmen spontaner Nachbarschaftshilfe und Ratschlägen aus dem beruflichen oder familiären Kontext (häufig basierend auf persönlichen Erfahrungen, etwa mit einer Behandlungsmethode), halbformalisierte Beratung zu Fachfragen durch Professionen des Bildungs-, Gesundheits- oder Sozialwesens (z. B. zu Fragen nach Informationsbroschüren in der Arztpraxis), formalisierte, professionelle Beratung (z. B. Ernährungsberatung in Kliniken). Während bei der halbformalisierten Beratung die Grenzen zur informellen Beratung durch Laien im Alltag fließend sein können und hierbei eher die Kompetenz bezüglich einzelner Sachverhalte (z. B. Fragen zu Nebenwirkungen eines Medikaments) und weniger die Beratungskompetenz im Vordergrund steht, zeichnet sich die formalisierte professionelle Beratung durch eine Verbindung von Fachexpertise und spezifischen Beratungskompetenzen aus. Allgemein lässt sich Gesundheitsberatung von sonstiger psychologischer Beratung weniger durch ihre Methoden, sondern vielmehr durch ihre Ziele und Inhalte abgrenzen (Faltermaier, 2004; siehe auch Kap. 3.5.2 und 3.5.3.). Zwar ist es in der Praxis nicht immer ganz leicht, Beratung und Psychotherapie voneinander zu unterscheiden, jedoch ist Gesundheitsberatung keine Psychotherapie: Während Psychotherapie auf Heilung abzielt, lässt sich Beratung dem Helfen B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 3 13 zuordnen (Berking, 2012). Der wesentliche Unterschied besteht also darin, dass Psychotherapie der Behandlung psychischer Störung dient, während sich Beratung mit der Bearbeitung schwieriger Lebenslagen, wie zum Beispiel Krisen, oder mit der Bewältigung von Konflikten ohne Krankheitswert befasst. Darüber hinaus erfordert das Einholen sachkundiger Informationen sowie das Befolgen von Ratschlägen in einer Beratung bei den Ratsuchenden ein höheres Maß an Einsichts- und Handlungsfähigkeit, als dies üblicherweise (zumindest zu Beginn) bei einer Psychotherapie der Fall ist. 3.5.2 Zielgruppen und Settings von Gesundheitsberatung Gesundheitsberatung zielt darauf ab, Wissen und Handlungsoptionen zu vermitteln, dadurch die Selbstbestimmung und Partizipationsmöglichkeiten der beratungssuchenden Personen zu stärken und so auch soziale Ungleichheiten in Bezug auf Gesundheitsrisiken zu reduzieren (Brinkmann-Göbel, 2001). Dafür benötigen Ratsuchende ausgewogene Informationen zu verschiedenen Gesundheitsdienstleistungen und Leistungserbringern sowie Orientierungshilfen bei deren Qualitätsbeurteilung (Behnke et al., 2001). Da konkrete Beratungsziele je nach Zielgruppe variieren können, sollte eine Bedürfnis- und Bedarfsermittlung der Gesundheitsberatung vorausgehen. Als Zielgruppen einer Gesundheitsberatung kommen sowohl gesunde als auch erkrankte Menschen infrage. Bei Gesunden kann eine Beratung aus einer allgemeinen Motivation zur Beschäftigung mit gesundheitsbezogenen Themen, Beschwerden, Risikofaktoren und -verhalten oder aufgrund einer spezifischen Lebensphase (z. B. Schwangerschaft) erfolgen. Die Anliegen von akut Erkrankten können sich von den Fragen chronisch Erkrankter gegebenenfalls erheblich unterscheiden (Faltermaier, 2004). Geht es bei akuten Erkrankungen vor allem um eine schnelle und vollständige Wiederherstellung der Gesundheit und die Vermeidung von Rückfällen und Begleitschäden, sind bei einer chronischen Erkrankung die Integration der Krankheit in den Alltag und das Selbstbild sowie der Umgang mit den konkreten krankheitsbedingten Belastungen und Beeinträchtigungen wichtige Themen einer Gesundheitsberatung. Sowohl für akut als auch chronisch kranke Menschen kann das Aufgabenspektrum von Gesundheitsberatung – neben Information und Aufklärung, Koordination, Unterstützung und persönlicher Beratung – ebenso die Stärkung der Beziehung zwischen der ratsuchenden Person und der professionell beratenden Person umfassen (Brinkmann-Göbel, 2001). Deshalb besteht eine Aufgabe von Gesundheitsberatung auch darin, die Asymmetrie in der Kommunikationsstruktur zwischen den Expert:innen des Gesundheitssystems und den Betroffenen zu verringern. Dies kann durch Informationsvermittlung, Aufklärung über Patientenrechte, Orientierungshilfen oder durch Stärkung der personalen und sozialen Kompetenzen erfolgen. Bezogen auf das Setting und Format können Einzel- und Gruppenberatung unterschieden werden. Des Weiteren besteht in den letzten Jahren vermehrt die Möglichkeit, als Ergänzung zu konventionellen face-to-face-Beratungsangeboten eine Vielzahl an professionellen, gemeinnützig finanzierten psychosozialen Online-Beratungsangeboten (eHealth-Angebote; siehe auch Kurs 2, Kapitel 8 „eHealth“) anonym und unabhängig von Ort und Zeit in Anspruch zu nehmen (Eichenberg & Ott, 2012). Allerdings wird von Fachkräften kritisiert, dass die Zugänglichkeit und Niedrigschwelligkeit von elektronischen Gesundheitsdienstleistungen im Internet auch mit Risiken durch eine ungefilterte Flut an Informationen und Gesundheitsangeboten einhergehen können (Domsch & Lohaus, 2009). Daher sind, wie oben beschrieben, Informationen über Kriterien zur Beurteilung der Qualität von Gesundheitsangeboten im Internet ein wichtiger Bestandteil gesundheitsbezogener Beratung. B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 3 14 3.5.3 Gestaltung von Gesundheitsberatung Für die Gesundheitsberatung stellt das Salutogenese-Modell einen geeigneten Ansatz zur Förderung von Schutzfaktoren und gesundheitlichen beziehungsweise psychosozialen Ressourcen dar (siehe Kurs 2, Kapitel 1 „Gesundheitsförderung“ und Kurs 2, Kapitel 10 „Ressourcenförderung“). So kann eine salutogenetisch orientierte Gesundheitsberatung dazu beitragen, Menschen im Sinne eines Empowerments zu helfen, vielfältige und stabile gesundheitliche Ressourcen aufzubauen und dadurch Kompetenzen zur Bewältigung von Belastungen (z. B. Stressbewältigungsstrategien) und das Kohärenzgefühl einer Person zu stärken (Faltermaier, 2004). Auch die Berücksichtigung subjektiver Krankheitstheorien (siehe Kurs 1, Kapitel 8 „Regulation gesundheitsbezogenen Verhaltens“) der ratsuchenden Personen hat sich bei der Gesundheitsberatung als bedeutsam erwiesen, da sie die Verarbeitung und Interpretation von Informationen während des Kommunikationsprozesses beeinflussen können (Domsch & Lohaus, 2009). Für die Gestaltung der Gesundheitsberatung qualifizieren sich weiterhin diejenigen Ansätze, die sich insgesamt in der psychologischen und psychosozialen Beratung bewährt haben. Darunter fallen klientenzentrierte, systemische, biographische, verhaltensorientierte, lebensweltorientierte wie auch ressourcenorientierte Beratungskonzepte (Faltermaier, 2004). Im Besonderen eignet sich eine auf Gesundheitsressourcen ausgerichtete Beratung (vgl. den Mehrebenen-Ansatz der Weltgesundheitsorganisation in Kurs 2, Kapitel 1 „Gesundheitsförderung“ und Kurs 2, Kapitel 10 „Ressourcenförderung“). Diese orientiert sich an dem Idealbild der informierten Patient:innen, die eine autonome Rolle bei Gesundheitsentscheidungen einnehmen (Heesen et al., 2006). So sollen chronisch Kranke, etwa bei Diabetes mellitus, dazu befähigt werden, selbstständig informierte Entscheidungen zu treffen, indem ihre Selbstwirksamkeit und ihr Selbstmanagement gefördert werden (Anderson & Funnell, 2010). Zwar existieren diverse Ansätze zur praktischen Umsetzung des Empowerment-Konzepts, aber noch kein Konsens bezüglich grundlegender Methoden (Domsch & Lohaus, 2009). Außerdem herrschen trotz der hohen Akzeptanz von Empowerment- Ansätzen im Gesundheitswesen in der Praxis der Gesundheitsversorgung in der Regel traditionelle (d. h. eher paternalistische) Auffassungen zur Beziehung zwischen Erkrankten und ärztlichem Fachpersonal (Anderson & Funnell, 2010) vor. Hier müsste also ein Umdenken in vielen Bereichen stattfinden, um Gesundheitsberatung zielführender gestalten zu können. 3.5.4 Professionelle Kompetenzen in der Gesundheitsberatung Professionelle Gesundheitsberatung setzt auf Seiten der Beratenden zunächst fundierte Kenntnisse über (gesundheits-)psychologische Theorien und einschlägige empirische Forschung zu den Prozessen gesundheitsbezogener Einstellungs- und Verhaltensveränderungen sowie Erfahrungen mit der validen Diagnostik gesundheitsrelevanter Verhaltensweisen, Kognitionen und Emotionen voraus. Weiterhin sind umfassende Fertigkeiten in den oben angesprochenen Beratungskonzepten notwendig. Von großer Bedeutung sind diejenigen Methoden, die der non- direktiven klientenzentrierten Beratung nach Carl Rogers (Rogers & Nosbüsch, 2007) entlehnt sind. Die non-direktive klientenzentrierte Beratung zeichnet sich durch eine humanistische Grundhaltung aus, die mit der Realisierung von Kongruenz, Empathie und Akzeptanz in der Beratungssituation einhergeht, und durch die Nutzung entsprechender Techniken der Gesprächsführung unterstützt wird (Domsch & Lohaus, 2009). Bei dieser Form der Beratung sollen die Klient:innen mithilfe professioneller Unterstützung lernen, eigenständig Lösungen für die anstehenden Probleme zu generieren (Lundahl & Burke, 2009). Psycholog:innen, die B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 3 15 Gesundheitsberatungen durchführen, benötigen daher als Basiskompetenz vertiefte Kenntnisse und Fertigkeiten in non-direktiver Beratung. Eine andere Form der Gesprächsführung, die sich auch in der Gesundheitsberatung als hilfreich erwiesen hat, ist die Motivierende Gesprächsführung (engl.: Motivational Interviewing). Bei der Motivierenden Gesprächsführung nach Miller und Rollnick (2013) handelt es sich um eine klientenzentrierte Interventionsmethode zur Förderung der intrinsischen Motivation zur Verhaltensänderung, insbesondere zur Reduktion schädlichen Gesundheitsverhaltens (Demmel, 2011; siehe Kasten 3.4). Durch Motivierende Gesprächsführung sollen Klient:innen mithilfe spezifischer Gesprächstechniken nicht nur ihr Problemverhalten erkennen, sondern auch neue, alternative Einstellungen dazu entwickeln (Küver et al., 2008). Hierfür werden Klient:innen nicht als per se unmotiviert, sondern als ambivalent bezüglich einer Verhaltensänderung angesehen (Mechtcheriakov & Rettenbacher, 2012). Auch wird die Bedeutung einer guten therapeutischen Arbeitsallianz betont, in der die ratsuchende Person als Expert:in des eigenen Lebens betrachtet wird. Durch das Einräumen von Eigenverantwortung sollen Veränderungswiderstände vermindert und die Motivation erhöht werden (Lundahl & Burke, 2009). Die Basis der Interventionen bilden das Ausdrücken von Empathie durch aktives Zuhören, die Vermeidung von Konfrontationen, das Bestärken von Selbstwirksamkeit, das Aufzeigen von Dissonanzen zwischen dem aktuellen Verhalten und Lebenszielen sowie das Erarbeiten von Bewältigungsstrategien in Bezug auf die intendierte Verhaltensänderung (Küver et al., 2008). Video 3.4 illustriert ausschnittweise das Vorgehen bei der Motivierenden Gesprächsführung. Video 3.4. Motivational interviewing in brief consultations: role-play focussing on engaging. Verfügbar unter https://youtu.be/bTRRNWrwRCo Kasten 3.4. Grundhaltungen und Kennzeichen der Motivierenden Gesprächsführung. Die Motivierende Gesprächsführung wurde basierend auf der klientenzentrierten Beratung in den 1970er Jahren ursprünglich für die Behandlung von Menschen mit Alkoholabhängigkeit in den USA entwickelt (Miller & Rollnick, 2013). Die Handlungsfelder haben sich seitdem auf verschiedene Problembereiche des Gesundheitsverhaltens und unterschiedliche Settings ausgeweitet. Laut einer Übersichtsarbeit von Rubak et al. (2005) hat sich die Motivierende Gesprächsführung in der Behandlung von verhaltensbedingten Gesundheitsproblemen in Dreiviertel der einbezogenen Studien als wirksame Interventionsmethode erwiesen. Motivierende Gesprächsführung wurde auch zur Verbesserung der Behandlungsadhärenz bei chronischen Erkrankungen (Rau & Petermann, 2008) – zumindest kurzfristig – erfolgreich eingesetzt. Ferner ergaben klinische Studien zum Einsatz der Motivierenden Gesprächsführung in der Primärversorgung, dass bereits ab einer 15- bis 20-minütigen Sitzung kurzzeitige Verbesserungen in verhaltensbezogenen Problembereichen erzielt werden (VanBuskirk & Wetherell, 2014). Literaturverzeichnis Anderson, R. M., & Funnell, M. M. (2010). Patient empowerment: Myths and misconceptions. 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