2-2 Krankheitsprävention.pdf

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

Full Transcript

B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 2 1 2 Krankheitsprävention Lernziele Nach der Lektüre dieses Kapitels  kennen Sie eine Definition von Prävention,  können Sie begründen, warum chronische Krankheiten ein zentraler Ansatzpunkt präventiver...

B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 2 1 2 Krankheitsprävention Lernziele Nach der Lektüre dieses Kapitels  kennen Sie eine Definition von Prävention,  können Sie begründen, warum chronische Krankheiten ein zentraler Ansatzpunkt präventiver Maßnahmen sind,  sind Ihnen die wesentlichen Unterscheidungsmerkmale von Präventionsmaßnahmen vertraut,  haben Sie einen ersten Überblick über die gesetzliche Einbettung von Prävention und über das Präventionsgesetz erhalten,  sind Ihnen Möglichkeiten und Schwierigkeiten bei der Erfassung der Kosten und der Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen bekannt,  kennen Sie Beispiele für die Anwendung und Evaluation von Präventionsprogrammen. In Kapitel 1 „Gesundheitsförderung“ von Kurs 2 wurde bereits deutlich, dass es neben den dort beschriebenen prägnanten Unterschieden auch viele Überschneidungen zwischen den Inhalten der Gesundheitsförderung und der Prävention von Krankheiten und gesundheitlichen Gefährdungen gibt. Auch in der Praxis sind die Grenzen zwischen Prävention und Gesundheitsförderung inklusive ihrer Ansatzpunkte und Prinzipien manchmal fließend, insbesondere in jenem Bereich der Prävention, der auf die Verhinderung der Entstehung von Krankheiten abzielt und daher vor allem bei (relativ) gesunden Menschen mit Verbesserungspotenzialen bezüglich ihres gesundheitsbezogenen Verhaltens ansetzt. 2.1 Definition und Gegenstand der Prävention „Vorbeugen ist besser als Heilen“ oder „Vorsorge ist besser als Nachsorge“ können als die Leitprinzipien der Krankheitsprävention aufgefasst werden. Der Begriff Prävention leitet sich vom lateinischen praevenire ab, das so viel wie „zuvorkommen“, „verhindern“ oder „vereiteln“ bedeutet. Prävention umfasst alle Eingriffs- beziehungsweise Interventionshandlungen, die der Vermeidung des Eintretens, der Verschlimmerung oder des Ausbreitens von Krankheiten durch die Beeinflussung und/oder Reduktion von krankheitsspezifischen Risikofaktoren dienen. Eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung solcher gezielten, effektiven und evidenzbasierten Interventionen sind Kenntnisse zur Entwicklung des Krankheitsgeschehens beziehungsweise der pathogenetischen Dynamiken der jeweiligen Erkrankung, auf die die Präventionsmaßnahme abzielt (Hurrelmann et al., 2010). Prävention zielt auch auf die Verhinderung akuter Erkrankungen und gesundheitlicher Beeinträchtigungen, zum Beispiel durch unfallpräventive Maßnahmen in Betrieben oder Impfkampagnen zur Verhinderung von Grippeepidemien. Viele präventive Maßnahmen werden aber speziell mit dem Ziel entwickelt, chronische Krankheiten zu verhindern oder eine Verschlechterung des Gesundheitszustands bei chronisch Kranken zu vermeiden. Wie bereits im Kapitel 1 „Einführung in die Gesundheitspsychologie“ von Kurs 1 angesprochen, dominieren chronische Erkrankungen seit mehreren Jahrzehnten das Krankheitsspektrum. Sie werden oft in Zusammenhang mit schädigenden Verhaltensweisen und veränderten Umweltbedingungen gebracht und herrschen vor allem in westlichen Industrienationen vor, werden aber mittlerweile auch in Ländern mit geringem und mittlerem Einkommen immer häufiger (Bengel et al., 2003). In Kasten 2.1 werden zentrale Kennzeichen chronischer Krankheiten aufgeführt. B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 2 2 Unter der Kategorie „chronische Krankheit“ wird eine Vielzahl einzelner Erkrankungen zusammengefasst, wobei kardiovaskuläre Erkrankungen, Krebs, chronische Atemwegserkrankungen, Diabetes mellitus und psychische Erkrankungen (wie beispielsweise bestimmte Formen der Depression oder Sucht) besonders häufig auftreten (Maske et al., 2013). Obwohl somit sehr unterschiedliche Erkrankungen in diese Kategorie fallen, gibt es einige Gemeinsamkeiten. Bei allen chronischen Erkrankungen ist eine echte, das heißt die Ursachen vollständig beseitigende Heilung nicht möglich, sondern nur eine symptombezogene Behandlung. In vielen Definitionen wird in Bezug auf ihre Heilbarkeit beziehungsweise Unheilbarkeit die Einschränkung gemacht, dass eine Heilung mit den bis heute verfügbaren Methoden nicht möglich ist (Schüßler, 1993), aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden kann. Eine weitere wichtige Gemeinsamkeit chronischer Erkrankungen ist ihre langfristige, zumeist lebenslange Dauer und ein für die Betroffenen häufig schwer vorhersagbarer Verlauf (Bengel et al., 2008). Kasten 2.1. Merkmale chronischer Erkrankungen. Aus diesen Kennzeichen chronischer Krankheiten lässt sich erschließen, dass sich diejenigen, die unter einer chronischen Erkrankung leiden, mit einer Vielzahl von krankheitsbedingten Anforderungen auseinandersetzen müssen. Die Verarbeitung der Diagnosestellung, der Umgang mit den Symptomen und den täglichen Behandlungsvorschriften, die Anpassung oder auch Umstellung des Lebensrhythmus an die Erfordernisse der Krankheit sowie die Integration der Erkrankung in das eigene Selbstkonzept sind Aufgaben, die chronisch kranke Menschen bewältigen müssen, um ihr Leben im Einklang mit ihrer Krankheit führen zu können. Gelingt chronisch kranken Menschen diese Bewältigung nicht, dann können daraus ein schlechter körperlicher Zustand aufgrund von vernachlässigten Behandlungsvorschriften oder negative psychische Folgeerscheinungen wie Angst und depressive Erkrankungen resultieren (Zaumseil, 2000; siehe auch Kurs 2, Kapitel 9 „Patientenschulungen“). Neben der Verhinderung individueller Beeinträchtigungen durch die Entstehung oder Verschlechterung einer Krankheit ist die Prävention chronischer Krankheiten auch aufgrund der hohen Kosten, die diese für das Gesundheitssystem verursachen, ein wichtiges Anliegen. 2.2 Unterscheidungsmerkmale von Präventionsmaßnahmen Je nach Eingriffszeitpunkt, Zielgruppe, Spezifität und generellen Wirkrichtungen von Maßnahmen lassen sich verschiedene Präventionsformen unterscheiden. 2.2.1 Primäre, sekundäre und tertiäre Prävention Tabelle 2.1 veranschaulicht die zeitlichen Ansatzpunkte von Präventionsmaßnahmen und stellt sie der Gesundheitsförderung gegenüber. Als primäre Prävention werden alle krankheitsvorbeugenden Maßnahmen bezeichnet, die auf den Erhalt der Gesundheit von einzelnen Personen oder einer Population abzielen (Rosenbrock & Michel, 2007). Das Ziel ist dabei die Verringerung von Neuerkrankungen. Typische Inhalte der primären Prävention sind die Aufklärung über gesundheitlich beeinträchtigende Verhaltensweisen oder Risikofaktoren (z. B. Rauchen, ungeschützter Geschlechtsverkehr, Drogenmissbrauch) beziehungsweise das Aufzeigen von Möglichkeiten zum Erhalt der Gesundheit (z. B. Stressbewältigung; siehe auch Präventionsprinzipien im Leitfaden Prävention des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, GKV-Spitzenverband, 2014), noch bevor spezifische Risikofaktoren oder die Erkrankung identifizierbar sind. (Massen-)Impfungen werden B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 2 3 üblicherweise ebenfalls der primären Prävention zugeordnet. Dies sind zum Beispiel die im Rahmen der empfohlenen Vorsorgeuntersuchungen für Kinder (U1-9) durchgeführten Impfungen sowie die alljährlichen bevölkerungsübergreifenden Grippe-Impfungen vor allem für Risikogruppen wie ältere und chronisch kranke Menschen. Impfungen werden nicht nur wegen des individuellen Nutzens, sondern auch als ein Instrument der bevölkerungsweiten Absicherung gegen Infektionskrankheiten empfohlen. Hierfür wurde der Begriff der Herdenimmunität geprägt. Dieses Konzept beschreibt den Effekt, dass in einer Gruppe, in der ausreichend Personen gegen einen Krankheitserreger aufgrund von Impfung oder einer vorherigen Infektion immun sind, auch nicht-immune Menschen vor einer Infektion geschützt sind, da die durch den Erreger ausgelöste Erkrankung nicht auftritt (Betsch et al., 2017; Robert Koch-Institut [RKI], 2015). Unter dem Link https://www.impfen-info.de/wissenswertes/gemeinschaftsschutz/ wird das Prinzip des Gemeinschaftsschutzes (Herdenimmunität) am Beispiel der Masern durch eine Animation erklärt. Tabelle 2.1 Phasen der gesundheitsbezogenen Prävention und Gesundheitsförderung Primärprävention Phase Sekundärprävention Tertiärprävention Gesundheitsförderung (nicht medizinisch) Über die gesamte Le- Nach Manifestation einer bensspanne, unabhängig Zeitpunkt der Vor Erstauftreten einer In Frühstadien einer Krankheit, vielfach schon von Gesundheitszustand/ Intervention Erkrankung Krankheit chronische Erkrankungen jeweiliger Präventions- stufe Medizinische Diagnose Verhütung von Krank- Verhütung der Entste- von zum Teil noch kli- heitsverschlechterung hung von biologischen nisch symptomlosen und Rückfällen sowie Schädigungen bzw. Frühstadien einer Erkran- Vermeidung von bleiben- Förderung der Gesund- Krankheiten, Risikofakto- kung; ggf. Einleitung ef- den Funktionsverlusten heit durch Stärkung der Ziel ren identifizieren und eli- fektiver Interventions- sowie Folge- und Be- Ressourcen, Stärkung von minieren, Senkung der maßnahmen (Behand- gleiterkrankungen (Chro- Schutzfaktoren, Aufbau Erkrankungswahrschein- lung) mit dem Ziel, die nifizierung), Vermeidung von Lebenskompetenz lichkeit bei Individuen, Krankheit auszuheilen der Ausgliederung aus Minimierungsstrategien oder zum Stillstand zu Arbeit, Beruf, Gesell- bringen schaft Noch gesunde Personen mit manifesten, bereits Unabhängig vom Ge- Gesunde bzw. Personen auftretenden unklaren sundheitszustand; auf der ohne Symptome, Ge- Symptomen oder noch Patient:innen mit chroni- Ebene des Individuums, samtbevölkerung bzw. ohne Symptome; famili- Zielgruppen schen Beeinträchtigun- der Organisation/der Le- Teilpopulationen sowie äre Disposition von Er- gen benswelt (Setting-Ansatz) potenzielle bzw. mani- krankungen, die dann bzw. der Gesamtbevölke- feste Risikogruppen schon im jungen Erwach- rung senenalter auftreten kön- nen §20 Prävention und Selbsthilfe, §20a Betrieb- Leistungen §20a Betriebliche Ge- liche Gesundheitsförde- §20c Förderung der gesetzlicher sundheitsförderung, im rung, §20b Prävention ar- Selbsthilfe, §23 und §24 Krankenver- §20c Förderung und Leitfaden der gesetzli- beitsbedingter Gesund- Medizinische Vorsorge- sicherungen Selbsthilfe chen Krankenkassen er- heitsgefahren, §20d leistungen, §25 Gesund- im Rahmen weitert um den Setting- Schutzimpfungen, §21 heitsuntersuchungen des SGB V Ansatz und §22 Verhütung von Zahnerkrankungen Minimierung von Lebens- Früherkennungsuntersu- Kur- und Heilbehandlun- Gesundheitstage, psycho- stilfaktoren wie Alkohol-/ chungen auf Gebärmut- gen, Palliativpflege, be- soziale Beratung, betrieb- Tabakmissbrauch, Ernäh- terhals-, Haut- und Darm- triebliche Wiedereinglie- liche Gesundheitsförde- rung und Bewegungsför- krebs, arbeitsmedizini- derung (Case Manage- Beispiele rung als Organisations- derung, Allergiemanage- sche Vorsorgeuntersu- ment), Netzwerk psychi- entwicklung, Arbeitskreis ment, Stressbewältigung, chungen (Erkennen/Mini- sche Gesundheit, Selbst- Gesundheitsfördernde Fluorid-Prophylaxe, mieren von psychischen hilfegruppen, soziale und Hochschulen Schutzimpfungen* Belastungen im Setting) berufliche Rehabilitation Anmerkung. * Medizinische Primärprävention. SGB V = Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch. Nach Techniker Krankenkasse, 2014. Original verfügbar unter https://docplayer.org/42164688- Gesundheitsfoerderung-an-hochschulen.html, S. 49 B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 2 4 Als sekundäre Prävention werden Maßnahmen bezeichnet, die der Früherkennung und damit der Möglichkeit einer rechtzeitigen Behandlung von Erkrankungen dienen (Leppin, 2010). Ziel ist die Senkung von Prävalenzraten, also die Verringerung des Auftretens bestimmter Krankheiten. Somit sollen eine Verschlimmerung oder Unheilbarkeit der Krankheit aufgrund eines zu späten Behandlungsbeginns verhindert werden. Typische Bestandteile der sekundären Prävention sind Screening- oder Vorsorgeuntersuchungen, die eine Aufdeckung symptomloser Erkrankungen bei scheinbar gesunden Menschen ermöglichen sollen. Konkrete Beispiele umfassen Check-up- Untersuchungen und Screenings, insbesondere zu Krebserkrankungen, wie den Papanicolaou- Test (Pap-Test) zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs oder die Darmspiegelung zur Früherkennung von Darmkrebs. Einen Überblick über Früherkennungsuntersuchungen gibt die Webseite des Gemeinsamen Bundesausschusses unter dem Link: https://www.g- ba.de/institution/themenschwerpunkte/frueherkennung/ueberblick/. Die tertiäre Prävention fällt in den Bereich der Rehabilitation und der kurativen Medizin. Sie umfasst Maßnahmen, die der Verhinderung des Fortschreitens oder des Auftretens von Komplikationen bei einer bereits manifesten Erkrankung dienen (Leppin, 2010). Ziel ist es, eine Verschlechterung des Zustandes, Folgeerkrankungen und Rückfälle zu verhindern sowie damit verbundene Krankheitsfolgen (v. a. chronische Verläufe) abzumildern. Typische Beispiele der tertiären Prävention sind Rehabilitationsmaßnahmen bei chronischen Schmerzen und Anschlussheilbehandlungen nach einem Herzinfarkt. Als eine Erweiterung der von Caplan (1964) vorgeschlagenen zeitlich orientierten Kategorisierung von Präventionsmaßnahmen in primäre, sekundäre und tertiäre Prävention wurde zusätzlich die Klassifizierung quartäre Prävention vorgeschlagen, um dem Phänomen unnötiger medizinischer Eingriffe und Maßnahmen insbesondere bei älteren und komorbid chronisch erkrankten Menschen Rechnung zu tragen (Jamoulle, 2015). Ein Beispiel aus jüngerer Zeit ist die Identifizierung einer hohen Zahl von fälschlicherweise gestellten Diagnosen bei unterschiedlichen Screening-Verfahren und die darauf folgenden belastenden und kostenintensiven weiteren Diagnose- oder sogar Behandlungsschritte. Quartäre Prävention soll dazu dienen, solche Fehlbehandlungen zu vermeiden. 2.2.2 Präventionsmaßnahmen nach Zielgruppen und Spezifität Neben dem Interventionszeitpunkt lassen sich Präventionsmaßnahmen danach unterscheiden, ob sie universell wirken sollen oder für bestimmte Zielgruppen entwickelt werden. Universelle Präventionsmaßnahmen zielen darauf ab, bevölkerungsweit präventiv zu wirken. Es erfolgt somit keine Auswahl der Adressaten aufgrund spezifischer Kriterien (Leppin, 2010). Mit zielgruppenspezifischen Präventionsmaßnahmen werden hingegen bestimmte Gruppen der Bevölkerung angesprochen, die aufgrund ihrer Lebenssituation oder Vorerkrankungen überdurchschnittlich ausgeprägte oder spezifische Risikofaktoren aufweisen. Bestimmte Zielgruppen für die Primärprävention umfassen unter anderem Kinder und Jugendliche, Schwangere, Arbeitssuchende, Alleinerziehende, Berufstätige mit Stressbelastungen, ältere Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund und chronisch Erkrankte. Zielgruppenspezifische Maßnahmen sollen dazu beitragen, Gesundheitskompetenzen zu verbessern und so die gesundheitlichen Handlungsmöglichkeiten für Risikogruppen zu erhöhen. Daraus ableitbare Programme zur Krankheitsprävention lassen sich somit nicht nur nach dem jeweiligen Krankheitsrisiko, sondern auch nach Lebensphasen beziehungsweise Übergangsphasen unterscheiden (Schön, 2007). Zielt eine Präventionsmaßnahme auf Personen ab, die Risikofaktoren aufweisen, aber noch nicht erkrankt sind, handelt es sich um selektive Präventionsstrategien (Leppin, 2010). Bei B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 2 5 entsprechender familiärer Vorbelastung können präventive Maßnahmen zur Verringerung des Erkrankungsrisikos eingesetzt werden, um den Ausbruch der Krankheit zu verhindern oder eine frühzeitige Behandlung zu ermöglichen. So wird bei einer familiären Häufung bestimmter Krebserkrankungen empfohlen, regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen schon vor der üblichen Altersgrenze in Anspruch zu nehmen. Werden Personen angesprochen, die bereits Vorstufen einer Erkrankung aufweisen, werden indizierte Präventionsstrategien genutzt (Leppin, 2010). Diese können etwa bei Personen mit hohem Blutdruck angewendet werden, um manifeste Herz-Kreislauferkrankungen zu verhindern. 2.2.3 Verhaltens- und Verhältnisprävention Weiterhin lassen sich Präventionsmaßnahmen hinsichtlich ihrer generellen Umsetzungsstrategien und Ansatzpunkte in Verhaltensprävention und Verhältnisprävention unterscheiden (Rosenbrock & Michel, 2007). Verhaltensprävention umfasst Maßnahmen, die eine Krankheitsvermeidung durch die Veränderung des Verhaltens von Personen erreichen sollen. Ziel ist demnach die Einflussnahme auf individuelles Verhalten, sei es auf direktes (Risiko-)Verhalten wie Rauchen und Bewegungsmangel oder indirektes Gesundheitsverhalten wie die Inanspruchnahme medizinisch- technologischer Interventionen (z. B. Impfungen, Früherkennungsuntersuchungen). Verhältnisprävention beschreibt die Vermeidung von Krankheiten durch eine Veränderung der Lebensverhältnisse beziehungsweise strukturelle Veränderungen der Lebenswelten von Personen. Ziel ist es, eine Lebensumwelt zu schaffen, die direkt (z. B. durch Rauchverbote in öffentlichen Räumen) oder indirekt durch die Anregung von Gesundheitsverhalten infolge externer Anreize (z. B. Vorsorgeangebote im Betrieb, Bonusheft bei zahnärztlichen Behandlungen) krankheitsvermeidend wirkt. Video 2.1 illustriert verhältnispräventive Maßnahmen im Setting Schule (siehe auch Kurs 3, Kapitel 1 „Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen/Setting Schule“). Video 2.1. Präventionsinitiative fit4future – Modul Verhältnisprävention. Verfügbar unter https://youtu.be/s0pLfoRw3wY 2.3 Gesetzliche Rahmenbedingungen der Prävention in Deutschland Steigende Fallzahlen vor allem bei chronischen Krankheiten erfordern vom Gesundheitswesen die langfristige Bereitstellung umfangreicher Ressourcen bei zugleich strukturell bedingten, fortbestehenden Mängeln und Barrieren in der Versorgungssituation (Brinkmann-Göbel, 2001; Rosenbrock & Kümpers, 2006). Die für die Krankheitsprävention wichtigen gesetzlichen Grundlagen finden sich vor allem im Sozialgesetzbuch (SGB). 2.3.1 Das deutsche Sozialversicherungsmodell – historische Entwicklung Das Sozialversicherungsmodell in Deutschland geht auf die Einführung einer Krankenversicherung durch den damaligen Reichskanzler Otto von Bismarck zurück. Das sogenannte Bismarck-Modell wurde am 15. Juni 1883 eingeführt und bildete den Grundstein der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Deutschland. Der Großteil der sozialen Absicherung in Deutschland wird durch die fünf gesetzlichen Sozialversicherungen abgedeckt, bestehend aus der GKV (seit 1883), der gesetzlichen Unfallversicherung (seit 1884), der gesetzlichen Rentenversicherung (seit 1889), der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung (seit 1927) und der gesetzlichen Pflegeversicherung (seit 1995). Ihr gemeinsames Kernelement stellt das Versicherungsprinzip dar. In der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung besteht kein B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 2 6 Äquivalenzprinzip, also keine Entsprechung von Beitragshöhe und Leistungsansprüchen. So erfolgt die Erhebung der zu entrichtenden Beiträge an die Sozialversicherung nach Maßgabe der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (v. a. auf Grundlage des Gehalts), während die Leistungen (z. B. Behandlungskosten) bedarfsgerecht gewährt werden (Bundeszentrale für Politische Bildung, 2012). In Deutschland sind gegenwärtig rund 88 % der Bürger:innen (ca. 73 Millionen Menschen) Mitglied in einer Gesetzlichen Krankenversicherung (Bundesministerium für Gesundheit [BMG], 2021). 2.3.2 Das Präventionsgesetz Das Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention (Präventionsgesetz – PrävG, §20 SGB V) wurde am 10. Juli 2015 im Bundesrat beschlossen und trat in seinen wesentlichen Teilen am 25. Juli 2015 in Kraft (BMG, 2019). Die wesentlichen Inhalte beziehungsweise Handlungsfelder des Präventionsgesetzes umfassen vor allem die Prävention von sehr häufigen und kostenintensiven chronischen somatischen Krankheiten und psychischen Störungen, von Risikoverhaltensweisen (z. B. Alkohol- und Nikotinkonsum) sowie die Förderung von Gesundheitskompetenzen über die Lebensspanne als Voraussetzung für die „Hilfe zur Selbsthilfe“. Beide Strategien, Prävention und Gesundheitsförderung, wurden zu Pflichtleistungen der gesetzlichen Krankenversicherungen erklärt und werden daher von ihnen mitfinanziert. Unter Einbeziehung aller gesetzlichen und privaten Sozialversicherungsträger sowie unter Berücksichtigung vorhandener Strukturen soll die Gesundheit insbesondere in den Lebenswelten von Menschen gestärkt werden (siehe Kurs 2, Kapitel 1 „Gesundheitsförderung“). Weiterhin sollen Angebote zur Krankheitsfrüherkennung weiterentwickelt und Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung und des Arbeitsschutzes besser aufeinander abgestimmt werden. Die Schwerpunkte des Präventionsgesetzes beziehen sich auf folgende Themen (BMG, 2019):  Typ-2-Diabetes mellitus: Erkrankungsrisiko senken, an Diabetes mellitus Erkrankte frühzeitig erkennen und die Erkrankung behandeln (siehe auch Kurs 2, Kapitel 9 „Patientenschulungen“),  Brustkrebs: Sterblichkeit vermindern und Lebensqualität erhöhen,  Tabakkonsum reduzieren,  Gesund aufwachsen: Lebenskompetenz, Bewegung, Ernährung,  Gesundheitliche Kompetenz erhöhen, Souveränität der Patient:innen stärken,  Depressive Erkrankungen verhindern, früh erkennen, nachhaltig behandeln,  Gesund älter werden,  Alkoholkonsum reduzieren. 2.4 Kosten und Wirksamkeit präventiver Maßnahmen Prävention wird dann als ökonomisch vorteilhaft bewertet, wenn sie Kosten spart oder ein positives Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweist (Kosteneffizienz oder Kosteneffektivität, siehe auch Kurs 2, Kapitel 5 „Evaluation gesundheitspsychologischer Maßnahmen“). Die Datenlage dazu, inwieweit Präventions- und auch Gesundheitsförderungsinterventionen tatsächlich kosteneffektiv sind, ist in Deutschland relativ schmal, vor allem dann, wenn es sich um nicht-klinische Interventionen handelt. Allerdings kann mit Hilfe von gesundheitsökonomischen Modellrechnungen, die klinische und epidemiologische Parameter berücksichtigen, auch ohne empirische Befunde die Kosteneffektivität von Präventions- und Gesundheitsförderungsmaßnahmen abgeschätzt werden. Ebenfalls kann damit ermittelt werden, B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 2 7 für welche Zielgruppe sich eine bestimmte Maßnahme zur Krankheitsprävention als besonders effektiv erweisen kann (Plamper & Stock, 2010). Diese Prinzipien können anhand einer systematischen Übersichtsarbeit von Cohen et al. (2008) zur Kosteneffektivität veranschaulicht werden (siehe Kasten 2.2). In einem Review mit dem Titel „Does preventive care save money? Health economics and the presidential candidates“ wurden die Ergebnisse von 599 zwischen 2000 und 2005 publizierten Studien zur Kosteneffektivität von Präventionsmaßnahmen in den USA zusammengefasst. Als kosteneffektiv wurde eine Maßnahme dann angesehen, wenn sie Kosten einsparen half und zugleich die Gesundheit der Zielgruppe signifikant verbesserte. Die systematische Auswertung der Forschungsliteratur ergab, dass die Kosteneffektivität von Präventionsmaßnahmen eine breite Streuung aufweist. Es gibt auf der einen Seite Maßnahmen, die in der Tat die Gesundheit verbessern und dabei wenig finanzielle Kosten verursachen oder zumindest langfristig Kosten im Gesundheitswesen einsparen helfen können. Dazu gehören beispielsweise Grippeimpfungen, Screening-Programme zur Erkennung von Dickdarmkrebs und kognitiv-behaviorale (verhaltenstherapeutische) Familieninterventionen für Patient:innen mit diagnostizierter Demenz vom Alzheimer-Typus. Auf der anderen Seite existieren aber auch Maßnahmen, die trotz hoher Kosten keine oder nur kleine Effekte auf die Gesundheit ausüben. Beispiele hierfür sind die prophylaktische Gabe von Antibiotika an Kinder mit mittelschweren Herzschädigungen, wenn sie einen Harnkatheter erhielten, und das Screening auf Diabetes mellitus bei allen 65-Jährigen im Vergleich zu den 65-Jährigen mit Hypertonie. Weiterhin zeigte sich, dass die Kosteneffektivität einer Maßnahme in starkem Maße von der Zielgruppe abhängig ist. Präventionsmaßnahmen, die auf Hochrisikogruppen abzielen, sind im Allgemeinen kosteneffektiver als Maßnahmen, die auf die gesamte Bevölkerung gerichtet sind. Kasten 2.2. Ergebnisse eines systematischen Reviews zur Kosteneffektivität von Präventionsmaßnahmen in den USA (Cohen et al., 2008). Mit der Frage nach den Kosten präventiver Maßnahmen ist die nach der generellen Wirksamkeit und Nützlichkeit eng verbunden (siehe Kurs 2, Kapitel 5 „Evaluation gesundheitspsychologischer Maßnahmen“). Insgesamt gibt es für Maßnahmen, die am Verhalten und an der Lebensweise von Menschen ansetzen, kaum klar definierte, aussagekräftige Wirksamkeitsnachweise. Dies ist auf mehrere Gründe zurückzuführen: Zum einen werden in der Praxis oftmals verschiedene Maßnahmen kombiniert, so dass keine eindeutigen Aussagen zur Effektivität einzelner Maßnahmen erfolgen können. Zum anderen treten die Effekte teilweise mit einer großen zeitlichen Verzögerung ein, so zum Beispiel eine längere Lebensdauer und die Verminderung von Erblindung oder Dialyse im hohen Alter bei Menschen mit Diabetes mellitus. Ein empirischer Nachweis der Wirksamkeit würde also viele Jahre in Anspruch nehmen. Lediglich für einzelne Verhaltensbereiche konnte bisher die Effektivität von verschiedenen Präventionsmaßnahmen vergleichend beurteilt werden. Bei Raucherentwöhnungsprogrammen etwa ergab sich über mehrere Studien hinweg eine höhere Wirksamkeit bei solchen Interventionen, die in Form einer längeren Beratung (über 10 Minuten) durchgeführt wurden. Sehr kurze Beratungen von unter 3 Minuten oder allgemein gehaltene ärztliche Ratschläge erzielten dagegen fast keine Effekte (Lancaster et al., 2000). Häufig besteht weiterhin ein gewisses Maß an Unklarheit darüber, wie solche Interventionen am sinnvollsten mithilfe psychometrischer Verfahren und sowohl geeigneter als auch gut umsetzbarer Studiendesigns evaluiert werden sollten. B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 2 8 Bei der Evaluation primärpräventiver Maßnahmen ergeben sich außerdem gerade für den Bereich der Verhältnisprävention einige Unsicherheiten bei der Auswahl und Umsetzung von geeigneten Vorgehensweisen (z. B. bezüglich der Operationalisierung von Outcome-Maßen oder valider Messinstrumente), wodurch es momentan an einer empirischen Fundierung verhältnispräventiver Interventionen in Deutschland mangelt (RKI, 2015). 2.5 Präventionsprogramme in der Anwendung Um die Umsetzung von Präventionsprogrammen in unterschiedlichen Settings zu demonstrieren, werden zwei Interventionen vorgestellt: Das Projekt „Landesbutton – Sturzpräventive Pflegeeinrichtung Nordrhein‐Westfalen“ sowie ein Programm zur Prävention kindlicher Verhaltensstörungen durch ein Elterntraining. 2.5.1 Landesbutton „Sturzpräventive Pflegeeinrichtung Nordrhein‐Westfalen“ Der Landesbutton „Sturzpräventive Pflegeeinrichtung Nordrhein‐Westfalen“ wurde als Teil der Landesinitiative „Sturzprävention bei Seniorinnen und Senioren“ vom Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen ins Leben gerufen, um die Häufigkeit und Schwere von Stürzen bei älteren Menschen in Pflegeeinrichtungen zu verringern. Ältere Menschen haben ein höheres Sturzrisiko als junge Menschen und als Folge eines Sturzes vielfältige und häufig gravierende Folgen zu erleiden, wie lange Rekonvaleszenz mit Bettlägerigkeit, stärkerer Hilfebedürftigkeit sowie körperliche oder psychische Folgebeeinträchtigungen. Das Risiko eines Sturzes mit schwerwiegenden Konsequenzen ist bei pflegebedürftigen Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, noch stärker ausgeprägt (Wingenfeld, 2014). Um stationäre und teilstationäre Pflegeeinrichtungen dazu zu motivieren, sich um eine fachgerechte Sturzprävention zu bemühen, wurde eine Auszeichnung in Form des Landesbutton „Sturzpräventive Pflegeeinrichtung Nordrhein-Westfalen“ ausgelobt. Pflegeeinrichtungen konnten durch den Erwerb dieser Auszeichnung ihre Bemühungen sichtbar machen, dass sie eine fachgerechte Sturzprävention in ihrer Einrichtung umsetzen und in Bezug auf die Sturzprophylaxe vorab definierten Qualitätsstandards genügen. Der Landesbutton wurde vergeben, wenn bei der sich bewerbenden Institution Maßnahmen implementiert worden waren, die eine individuelle Diagnostik des Sturzrisikos erlaubten, Bewegungstrainings zum Erhalt und zur Steigerung der Muskelkraft und der Koordination angeboten wurden, die Ausstattung (z. B. in den Badezimmern oder hinsichtlich der Beleuchtung) sturzvermindernd gestaltet worden war und wenn auftretende Sturzereignisse dokumentiert und analysiert wurden. Video 2.2 gibt einen Einblick in das Projekt und die einzelnen sturzpräventiven Maßnahmen. Video 2.2. Sturzprävention bei Senioren. Verfügbar unter https://youtu.be/kgvyK2GnqJU In Pflegeeinrichtungen werden auch aktivitätseinschränkende Maßnahmen wie die Fixierung mit Gurten in der Nacht oder das Anbringen von Bettseitenteilen angewendet. Die Verwendung solcher Maßnahmen ist aus ethischen Gründen problematisch und der sturzprophylaktische Nutzen nicht eindeutig erwiesen (Wingenfeld, 2014). Der Landesbutton „Sturzpräventive Pflegeeinrichtung Nordrhein‐Westfalen“ sollte bei den teilnehmenden Pflegeheimen möglichst zu einer Verringerung aktivitätseingrenzender Eingriffe führen. Zur Prüfung der Wirksamkeit des Präventionsprojekts wurden 23 Pflegeheime, die den Landesbutton erhalten hatten, mit 74 Referenzeinrichtungen ohne Landesbutton hinsichtlich folgender Kriterien verglichen (Wingenfeld, 2014): 1. Häufigkeit gravierender Sturzfolgen, 2. B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 2 9 Erhalt oder Verbesserung der Mobilität und 3. Einsatz aktivitätsbegrenzender Maßnahmen (Gurtfixierungen und Bettseitenteile). Der Vergleich der beiden Gruppen von Pflegeeinrichtungen in Bezug auf die drei Kriterien ergab im Durchschnitt keine Unterschiede bei der Häufigkeit gravierender Sturzfolgen und dem Erhalt oder der Verbesserung der Mobilität. In Bezug auf aktivitätsbegrenzende Maßnahmen zeigte sich, dass sie in Pflegeeinrichtungen mit Landesbutton deutlich seltener verwendet wurden (Wingenfeld, 2014). Auch dieses sehr stark auf organisatorische und medizinische Aspekte ausgerichtete Präventionsprojekt hat verschiedene gesundheitspsychologische Implikationen. So kann zum Beispiel die Motivation zur Teilnahme (und deren Erhöhung) bei den angezielten Institutionen ein Ansatzpunkt für wissenschaftlich fundierte Interventionen sein (z. B. durch den bewussten Einsatz von Anreizen). Die Mitarbeiter:innen in den Pflegeheimen sind außerdem eine Zielgruppe für gesundheitspsychologisch basierte Schulungsmaßnahmen, durch die sie lernen, das angezielte verbesserte Bewegungsverhalten bei den Bewohner:innen der Pflegeheime anzuleiten, zu implementieren und zu erhalten. 2.5.2 Prävention kindlicher Verhaltensstörungen durch ein Elterntraining Inhalt dieses Projekts ist die langfristige Wirkung eines Elterntrainings, das bei den Eltern von Kindergartenkindern durchgeführt wurde. Das Elterntraining Triple P (engl.: „Positive Parenting Program“; Sanders, 1999) zielt auf verschiedene Bereiche elterlichen Verhaltens, in denen die Progammteilnehmer:innen neue und verbesserte Fertigkeiten und Fähigkeiten im Umgang mit ihren Kindern erlernen sollen (siehe Kasten 2.3). In Video 2.3 werden die wesentlichen Elemente des Triple-P-Trainings zusammenfassend vorgestellt.  Fähigkeit zur genauen Beobachtung des kindlichen und eigenen Verhaltens  Ausüben von Verhalten, mit dem die Eltern-Kind-Beziehung positiv beeinflusst wird (z. B. mit dem Kind sprechen)  Erwerb neuer Verhaltensmöglichkeiten (z. B. Setzen positiver Beispiele durch eigenes elterliches Verhalten)  Umgang mit Problemverhalten (z. B. Setzen und Einhalten von Regeln)  Verhinderung von Problemverhalten in riskanten Situationen (z. B. Aufstellen und Diskutieren von Verhaltensregeln für riskante Situationen, etwa im Straßenverkehr)  Unterstützung von selbstregulativem Verhalten (z. B. durch die Gegenüberstellung von Stärken und entwicklungsbedürftigen Verhaltensbereichen)  Gefühlsregulation und Bewältigungsverhalten (z. B. Erlernen von Entspannung)  Stärkung der Unterstützung durch die Partner:innen und Erwerb von Kommunikationstechniken (z. B. Geben und Akzeptieren von konstruktivem partnerschaftlichem Feedback) Kasten 2.3. Angezielte Verhaltensbereiche des Triple-P-Elterntrainings. Video 2.3. Triple P – Positive Parenting Program. Verfügbar unter https://youtu.be/6OWoyHOktE0 (bzw. https://www.triplep.de) Das Triple-P-Training wurde im Rahmen einer Präventionsstudie allen Eltern in insgesamt 17 Kindertagesstätten einer norddeutschen Großstadt angeboten. Wenn sie das Angebot wahrnahmen, wurden ihnen in vier jeweils zweistündigen Sitzungen Erziehungsstrategien für die oben aufgeführten Verhaltensbereiche vermittelt (Heinrichs et al., 2006). Anschließend an diese Gruppensitzungen hatten die Eltern die Möglichkeit, vier individuelle wöchentliche B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 2 10 Telefonkontakte zur Festigung und Generalisierung der erlernten Strategien wahrzunehmen. Insgesamt 280 Familien wurden per Zufall der Interventions- oder einer Kontrollgruppe zugewiesen. Bei den Müttern der Interventionsgruppe zeigte sich im Vergleich zur Kontrollgruppe kurz- und mittelfristig eine Abnahme dysfunktionalen und eine Zunahme positiven Erziehungsverhaltens. Bei Vätern ließen sich solche Effekte nicht feststellen. Dies wird unter anderem damit erklärt, dass Väter eher selten an dem Training teilnahmen. Eine Follow-up- Untersuchung ergab, dass die Reduktion des dysfunktionalen Erziehungsverhaltens auch drei Jahre später noch beobachtet werden konnte (Heinrichs et al., 2009). 2.5.3 Unterscheidungsmerkmale von Präventionsprogrammen in der Anwendung Anhand dieser beiden exemplarisch vorgestellten Präventionsprogramme lässt sich demonstrieren, dass die oben angeführten Unterscheidungsmerkmale von Präventionsprogrammen (primär, sekundär, tertiär; universell, zielgruppenspezifisch, selektiv, indiziert; verhaltens- oder verhältnisbezogen) bei der Anwendung von konkreten Präventionsprogrammen nicht immer eindeutig zu benennen sind. So ist bei beiden Programmen ein primärpräventives Anliegen ersichtlich (Verhinderung von Stürzen, Vorbeugung von Verhaltensstörungen). Je nachdem, wie ein Einzelfall gelagert ist, kann jedoch auch ein sekundärpräventives Ziel durch die Maßnahmen erreicht werden (Verhinderung von Folgeschäden bei bereits bestehender Pflegebedürftigkeit, Vermeidung von zunehmenden Verhaltensdefiziten bei schon vorhandenen kindlichen Verhaltensstörungen vor Durchführung der Intervention). Gerade das zweite Beispiel verdeutlicht zudem die teilweise schwierige Zuordnung eines Programms in Bezug auf die Zielgruppe. Die Autor:innen der Studien zur Wirksamkeit (Heinrichs et al., 2006, 2009) des Elterntrainings bezeichnen das gewählte Vorgehen als universelle Prävention. Das wird damit begründet, dass alle einbezogenen Eltern dasselbe Programm durchlaufen. Aus einer anderen Perspektive ist das Programm jedoch zielgruppenspezifisch, da es auf Eltern und als Folge auf Kinder und ihre Entwicklung ausgerichtet ist und auch nur in diesem Kontext angewendet wird. Es ist ebenfalls nicht ganz klar zu trennen, inwieweit es sich dabei ausschließlich um ein verhaltenspräventives Programm handelt. Das Programm ist zunächst explizit auf das elterliche Verhalten und seine Veränderung ausgerichtet; da sich aber im positiven Fall die nicht-materielle Umwelt des Kindes durch das verbesserte Erziehungsverhalten ändert, wäre es ebenso gerechtfertigt, eine verhältnispräventive Wirkung anzunehmen. Die Unterscheidungsmerkmale und -ebenen präventiver Maßnahmen sind ausgesprochen hilfreich bei der Beschreibung und Abgrenzung konkreter Programme und Interventionen. In jedem Einzelfall muss dann geprüft werden, durch welche Charakteristika ein Programm besonders zutreffend beschrieben werden könnte. Literaturverzeichnis Bengel, J., Beutel, M., Broda, M., Haag, G., Härter, M., Lucius-Hoene, G., Muthny, F. A., Potreck-Rose, F., Stegie, R., & Weis, J. (2003). Chronische Erkrankungen, psychische Belastungen und Krankheitsbewältigung – Herausforderungen für eine psychosoziale Versorgung in der Medizin. Psychosomatik, Psychotherapie, Medizinische Psychologie, 53/2), 83-93. https://doi.org/10.1055/s- 2003-36964 Bengel, J., Wirtz, M., & Zwingmann, C. (2008). Einleitung – Assessmentverfahren in der Rehabilitation. In J. Bengel, M. Wirtz, & C. Zwingmann (Eds.), Diagnostische Verfahren in der Rehabilitation (pp. 9-15). Hogrefe. B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 2 11 Betsch, C., Böhm, R., Korn, L., & Holtmann C. (2017). On the benefits of explaining herd immunity in vaccine advocacy. Nature Human Behavior, 1(3), 0056. https://doi.org/10.1038/s41562-017-0056 Brinkmann-Göbel, R. (2001). Gesundheitsberatung – zur Relevanz eines „neuen“ Elements im Gesundheitswesen. In R. Brinkmann-Göbel (Ed.), Handbuch für Gesundheitsberater (pp. 13-32). Hans Huber. Bundesministerium für Gesundheit (2021). Geschichte der gesetzlichen Krankenversicherung. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/krankenversicherung/grundprinzipien/geschic hte.html Bundesministerium für Gesundheit (2019). Präventionsgesetz. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/p/praeventionsgesetz/ Bundeszentrale für politische Bildung (2012). Die gesetzliche Krankenversicherung im System der sozialen Sicherung. http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/gesundheitspolitik/72496/gkv-soziale- sicherung?p=all Caplan, G. (1964). Principles of preventive psychiatry. Basic Books. Cohen, J. T., Neumann, P. J., & Weinstein, M. C. (2008). Does preventive care save money? Health economics and the presidential candidates. The New England Journal of Medicine, 358(7), 661-663. https://doi.org/10.1056/NEJMp0708558 GKV-Spitzenverband (2014). Präventions- und Gesundheitsförderungsziele der GKV aus dem Leitfaden Prävention. Handlungsfelder und Kriterien des GKV-Spitzenverbandes zur Umsetzung der §§ 20, 20a und 20b SGB V. https://www.gkv- spitzenverband.de/krankenversicherung/praevention_selbsthilfe_beratung/praevention_und_bgf/leitfa den_praevention/leitfaden_praevention.jsp Heinrichs, N., Hahlweg, K., Bertram, H., Kuschel, A., Naumann, S., & Harstick, S. (2006). Die langfristige Wirksamkeit eines Elterntrainings zur universellen Prävention kindlicher Verhaltensstörungen: Ergebnisse aus Sicht der Mütter und Väter. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 35(2), 82-96. https://doi.org/10.1026/1616-3443.35.2.82 Heinrichs, N., Hahlweg, K., Naumann, S., Kuschel, A., Bertram, H., & Ständer, D. (2009). Universelle Prävention kindlicher Verhaltensstörungen mithilfe einer elternzentrierten Maßnahme: Ergebnisse drei Jahre nach Teilnahme. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 38(2), 79-88. https://doi.org/10.1026/1616-3443.38.2.79 Hurrelmann, K., Klotz, T., & Haisch, J. (2010). Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung. In K. Hurrelmann, T. Klotz, & J. Haisch (Eds.), Lehrbuch Prävention und Gesundheitsförderung (pp. 13-23). Huber. Jamoulle, M. (2015). First do not harm. Journal of Mid-Life Health, 6(2), 51-52. Lancaster, T., Stead, L., Silagy, C., & Sowden, A. (2000). Effectiveness of interventions to help people stop smoking: Findings from the Cochrane Library. British Medical Journal, 321(7257), 355-358. https://doi.org/10.1136/bmj.321.7257.355 Leppin, A. (2010). Konzepte und Strategien der Prävention. In K. Hurrelmann, T. Klotz. & J. Haisch (Eds.), Lehrbuch Prävention und Gesundheitsförderung (pp. 35-44). Huber. Maske, U., Busch, M., Jacobi, F., Riedel-Heller, S., Scheidt-Nave, C., & Hapke, U. (2013). Chronische somatische Erkrankungen und Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit bei Erwachsenen in Deutschland: Ergebnisse der bevölkerungsrepräsentativen Querschnittsstudie Gesundheit in Deutschland aktuell (GEDA) 2010. Psychiatrische Praxis, 40(4), 207-213. https://doi.org/10.1055/s- 0033-1343103 B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 2 12 Plamper, E., & Stock, S. (2010). Kosten und Finanzierung von Prävention und Gesundheitsförderung. In K. Hurrelmann, T. Klotz, & J. Haisch (Eds.), Lehrbuch Prävention und Gesundheitsförderung (pp. 402-414). Huber. Robert Koch-Institut (Ed.) (2015). Gesundheitsberichterstattung des Bundes, gemeinsam getragen vom RKI und Destatis. Rosenbrock, R., & Kümpers, S. (2006). Zur Entwicklung von Konzepten und Methoden der Prävention. Psychotherapeut, 51(6), 412-420. https://doi.org/10.1007/s00278-006-0511-0 Rosenbrock, R., & Michel, C. (2007). Primäre Prävention – Bausteine für eine systematische Gesundheitssicherung. MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft. Sanders, M. R. (1999). Triple P-Positive Parenting Program: Towards an empirically validated multilevel parenting and family support strategy for the prevention of behavior and emotional problems in children. Clinical Child and Family Psychology Review, 2(2), 71-90. https://doi.org/10.1023/A:1021843613840 Schön, M. (2007). Medizinische Psychologie und Soziologie. Springer. Schüßler, G. (1993). Bewältigung chronischer Krankheiten. Vandenhoeck & Ruprecht. Techniker Krankenkasse (2014). Gesundheitsförderung an Hochschulen. https://docplayer.org/42164688- Gesundheitsfoerderung-an-hochschulen.html Wingenfeld, K. (2014). Ergebnisse der Sturzprävention in Einrichtungen der stationären Langzeitpflege. Abschlussbericht zur Begleitforschung im Projekt „Landesbutton – Sturzpräventive Pflegeeinrichtung Nordrhein‐Westfalen“. Institut für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld. Zaumseil, M. (2000). Ein neues Verständnis von chronischer Krankheit? In A. Hermann, I. Schürmann, & M. Zaumseil (Eds.), Chronische Krankheit als Aufgabe. Betroffene, Angehörige und Behandler zwischen Resignation und Aufbruch (pp. 7-20). dgvt-Verlag.

Use Quizgecko on...
Browser
Browser