Lehrpersonen als Erziehende Ib PDF
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Universität Tübingen
Martin Harant
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This document covers lecture notes on the subject of education. It touches upon theoretical, philosophical, and historical aspects. The material engages in discussions about freedom and compulsion in the context of education.
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Institut für Erziehungswissenschaft Abt. Schulpädagogik Vorlesung Mesoebene: Schule und Profession Lehrpersonen als in Theorie und Forschung Erziehende Ib 02. Sitzung PD Dr. Dr. Martin Harant 3. Theoretische, p...
Institut für Erziehungswissenschaft Abt. Schulpädagogik Vorlesung Mesoebene: Schule und Profession Lehrpersonen als in Theorie und Forschung Erziehende Ib 02. Sitzung PD Dr. Dr. Martin Harant 3. Theoretische, philosophische, geschichtliche Überlegungen 1. Freiheit und Zwang „Es ist leicht zu beobachten, dass auf jedem Gebiet des seelischen Erlebens … ein passiv empfangener Eindruck beim Kind die Tendenz zu einer aktiven Reaktion hervorruft. Es versucht das selbst zu machen, was vorhin an oder mit ihm gemacht worden ist. Es ist ein Stück der Bewältigungsarbeit an der Außenwelt, die ihm auferlegt ist, und kann selbst dazu führen, dass es sich um die Wiederholung solcher Eindrücke bemüht, die es wegen ihres peinlichen Inhalts zu vermeiden Anlass hätte“ (S. Freud, GW XIV, S. 529) „Identifikation mit dem Angreifer, Wendung der Selbst aggressiver Moment Aggression gegen sich selbst“ (S. 148) Man fragt Kind: Willst du Apfel oder Birne? Das ist von Anfang an mit Statt „Apfel-oder-Birne-Autonomie“ (S. 151) Formen von Wahlfreiheit konfrontiert - von sich Heraus spontan handeln ist nicht möglich - Antwort Pudding nicht möglich (es kommt „Spontanautonomie“ (Selbstbestimmung ohne nichts eigenes) vorhergehende Fremdbestimmung) (S. 149) EsAusgibtSichtkeine Option zur Selbsttätigkeit, wenn es nicht gegeben ist der Antipädagogik werden viel zu schnell irgendwelche Bahnen analysiert #2 3. Theoretische, philosophische, geschichtliche Überlegungen 1. Freiheit und Zwang Wie beurteilen Sie die Überlegungen der „Antipädagogik“ als Reaktion auf die aus v. Braunmühls Sicht falschen Synthese von Freiheit und Zwang in jeglicher Pädagogik? Welche dieser Überlegungen haben aus Ihrer Sicht bleibende Relevanz? Welche sind aus Ihrer Sicht problematisch oder gar widersinnig und warum? #3 3. Theoretische, philosophische, geschichtliche Überlegungen 1. Freiheit und Zwang Reaktionen auf antiautoritäre und antipädagogische Entwicklungen: Mut zur Erziehung (1978) Gegenbewegung zur Antipädagogik Große Sorgen, dass man Heranwachsenden nicht das gibt, was sie brauchen „Man muss auch lernen sich selbst disziplinieren zu können“ - z.B. Robert Spaemann Thesen (unterzeichnet u.a. von Hermann Lübbe, Robert Spaemann und Golo Mann) Haben Thesen entwickelt, die aufschlussreich sind - die auf Linkspädagogische Bewegung Gegenbewegungen formulieren 1. „Wir wenden uns gegen den Irrtum, die Mündigkeit, zu der die Schule erziehen soll, läge im Ideal einer Zukunftsgesellschaft vollkommener Befreiung aus allen herkunftsbeding- ten Lebensverhältnissen.“ Um überhaupt sich emanzipieren zu können, muss man zunächst in spezifische vorXX etabliert werden - Inkulturation Kritik einer emanzipatorischen Pädagogik #4 3. Theoretische, philosophische, geschichtliche Überlegungen 1. Freiheit und Zwang Reaktionen auf antiautoritäre und antipädagogische Entwicklungen: Mut zur Erziehung (1978) Thesen (unterzeichnet u.a. von Hermann Lübbe, Robert Spaemann und Golo Mann) 2. „„Wir wenden uns gegen den Irrtum, die Schule könne Kinder lehren, glücklich zu werden, indem sie sie ermuntert, ,Glücksansprüche’ zu stellen …“ Verziehungsprogramm - fördert den Aspekt der Neigung zu sehr - alles von der Lustempfindung abhängig 3. „Wir wenden uns gegen den Irrtum, die Tugenden des Fleißes, der Disziplin und der Ordnung seinen pädagogisch obsolet geworden, weil sie sich als politisch misbrauchbar erwiesen haben …“ Wendet sich gegen Pauschale ab, dass Disziplin, Tugenden, etc. problematisch sei, da es für politische Sachen missbraucht werden kann Kann missbraucht werden, aber missbrauch macht dem richtigen Gebrauch nicht obsolet War sehr aufgewühlte Zeit -> Große Fragen: Wie kam es dazu, dass Menschen sich von #5 3. Theoretische, philosophische, geschichtliche Überlegungen 1. Freiheit und Zwang Reaktionen auf antiautoritäre und antipädagogische Entwicklungen: Mut zur Erziehung (1978) Thesen (unterzeichnet u.a. von Hermann Lübbe, Robert Spaemann und Golo Mann) 4. „Wir wenden uns gegen den Irrtum, die Schule könne Man kann in gewissem Alter manche Dinge nicht in Kinder ,kritikfähig’ machen, indem sie sie dazu erzieht, Frage Kinder stellen, in erster Linie geht es um Sozialisation der keine Vorgegebenheiten unbefragt gelten zu lassen …“ 5. „Wir wenden uns gegen den Irrtum, die Schule hätte die Kinder anzuleiten, ,ihre Interessen wahrzunehmen‘ …“ 7. „„Wir wenden uns gegen den Irrtum, man könne über die Schule Reformen einleiten, die die Gesellschaft über ihre Randkritik an Pädagog. Überlegungen Idee: Mit der Gesellschaft stimmt was nicht politischen Institutionen nicht selber einleiten will …“ Illusion gegen alle gesellschaftlichen XY entgegenzuwirken #6 Gegenbewegung zur Antipädagogik Problemstellungen: Glücksansprüche: Schulische Wirklichkeit kann das offensichtlich nicht bereitstellen, dafür zu sorgen Es geht darum, dass man den Kindern Tools in die Hand gibt, mit denen sie erlernen können, wie sie selbst glücklich werden 3. Theoretische, philosophische, geschichtliche Überlegungen 1. Freiheit und Zwang Generationenkonflikt der Lehrkräfte Durch Zwang zur Freiheit?Schlichtweg gar nicht so leichte Frage auf dem Weg zur Freiheit gibt es aus Sicht (neuhumanistischer) Pädagogik Grenzsetzungen: Sie sollen für Disziplin sorgen, solange Kind zur Selbstdisziplin unfähig ist. Werden von außen vorgegeben Wirft die Frage nach dem pädagogischen Takt auf An welcher Stelle wird es überzogen und zum Selbstzweck? in dem Maße, in denen sich beim Kind die eigene Urteilsfähigkeit Klassische Idee bildet, machen sich Grenzen überflüssig Wirft die Frage auf, was als ‚eigene‘ Urteilsfähigkeit gilt und wieweit dieselbe durch den sozialen Raum und entsprechende Machtkonstellationen, in dem sich das Kind bewegt, beeinflusst ist #7 3. Theoretische, philosophische, geschichtliche Überlegungen 2. Menschenbilder im Erziehungsprozess Was ist unter einem Menschenbild zu verstehen? Menschenbilder = Wertvorstellungen, die ein Einzelner vom Wesen eines Menschen hatWas den Menschen als Menschen ausmacht Menschenbild wird von jedem einzeln entwickelt, individuell wichtige Werte haben eine hohe persönliche Gültigkeit (aus der Erziehung und Erfahrung entstandene persönliche Konstruktionen und Interpretationen der Welt) Menschenbilder sind zentral für pädagogische Ziele und pädagogische Maßnahmen (Meinberg, 1988) Menschenbilder sind im Wesentlichen von eigener Historie und Ausbildung und damit von individuellem und kulturell bedeutsamen Wertekanon abhängig #8 3. Theoretische, philosophische, geschichtliche Überlegungen 2. Menschenbilder im Erziehungsprozess Was ist unter einem Menschenbild zu verstehen? Flechsigs Kernmodell der Didaktik (1996) verdeutlicht den Zusammenhang zwischen individuellem Menschenbild und dem gesellschaftlichen Einfluss auf diese Erziehungshandeln ist immer in spezifische subsituelle Hintergrundannahmen eingebettet #9 3. Theoretische, philosophische, geschichtliche Überlegungen 2. Menschenbilder im Erziehungsprozess Konfligierende Menschenbilder in der (klassischen) Pädagogik In DDR Erziehungsprogrammatik wieder zu finden ‚blank slate‘ oder ‚tabula rasa‘ Vorstellungen: Der Mensch kommt als unbeschriebenes Blatt auf die Welt. Erziehung und Sozialisation sind die wesentlichen Einflussgrößen (z.B. Rousseau, aber später auch Grundannahme des Behaviorismus). In der Pädagogik häufig mit dem Slogan versehen: „Der Mensch ist von Natur aus gut“ (vgl. Rousseaus Emile) Wir sind, was die Gesellschaft aus uns macht Triebhaft + ungehemmt Soll N-A Überformen oder bändigen Der Mensch ist ‚Bürger zweier Welten‘ (Naturhaft-Animalisches versus Geistiges). Aufgabe der Erziehung wird hier mehr in der ‚Bändigung‘ des (vermeintlich) Naturhaften bzw. Triebhaften gesehen. Der Erziehung sind gewisse Grenzen gesetzt. Das Geistig-Vernunftartige ist bzw. wird bei Menschen (anlagebedingt und z.T. umweltbedingt) unterschiedlich ausgeprägt. Aktuelle Entwicklungen z.B. im Bereich der Lebenswissenschaften stellen sowohl die Dichotomie von Natur und Geist als auch einseitige Zuschreibungen (Anlage versus Umwelt) in Frage. Vielmehr wird mit vielseitigen Wechselwirkungen gerechnet. # 10 AGENDA 1. Einführung 2. Begriffliche Überlegungen 1. Erziehungsbegriff(e) 2. Strukturmodelle der Erziehung 3. Theoretische, philosophische, geschichtliche Überlegungen 1. Freiheit und Zwang 2. Menschenbilder im Erziehungsprozess 4. Erziehung in Schule und Unterricht # 11 4. Erziehung in Schule und Unterricht 1. Fehlformen des Tadels (Mägdefrau, 2013) Vor allem geeignet, das zu tun, wenn man ggü. als feindlich angesehen wird, weniger auf sozialen Kontext Der totale Tadel: „… bewertet die gesamte Person, nicht etwa ihr Fehlverhalten allein“. Situation in Schule: Aussagen wie „Du bist immer so unaufmerksam“ - das bist du, das zeichnet dich aus „Du bist ein Schlägertyp“ „Du bist ein Mathegenie“ Der permanente Tadel: „richtet sich auf einen Verhaltens- oder Totalaussagen Leistungsbereich und fixiert verbal den Mangel in Leistung oder Verhalten als dauerhaft“. „Das wird nichts mit dir in Mathe“ Der Tadel aus enttäuschter Erwartung: „Verschiebung von Sachaspekt auf Gefühlsaspekt“ „Ihr zieht einfach nicht mit“ und nicht in Kontext stellen (8. Stunde z.B.) -> „Ich hab mir so viel Mühe für euch gegeben & ihr seid so“ Studien legen nahe, dass „kränkendes, verletztendes und ungerechtes Lehrer(innenverhalten)“ häufig stattfindet. Aus Stressreaktion heraus Viele Reaktionen resultieren aus enttäuschten Erwartungen heraus - vom Fachaspekt auf Gefühlsaspekt verschoben Moment des Unprofessionellen # 12 4. Erziehung in Schule und Unterricht 2. Loben und Strafen im Unterricht (Mägdefrau, 2013) Nach Mägdefrau ‚Erziehungsmittel‘, aber häufig pädagogisch problematisch: Können unerwünschtes Verhalten und Trotzreaktionen provozieren Können Bildungsanstrengungen konterkarieren (z.B. Arbeit und Lernen als Strafmaßnahme) Problem negativer Konnotationen durch ‚Reizassoziation‘ und unklarer Zusammenhang von Verhalten und Strafe z.B. als Strafe vom Rauchen - Matheaufgaben Ambivalenz des Lobens ‚fixed mindset‘ versus ‚growth mindset‘ „Du kannst es schaffen, wenn du dich anstrengst“ Inflationäres Lob bzw. Lob bei zu leichten Aufgaben # 13 4. Erziehung in Schule und Unterricht 2. Fragen der Wirksamkeit von Erziehungsabsichten (Mägdefrau, 2013) Einstellungsänderung durch direkte Unterweisung auf der Verhaltensebene unwirksam (macht Wissen oder Moralisierung tugendhaft?) Bedeutung des Modelllernens Bedeutung habitualisierter Skripte, die die willentlichen Kontrolle unterlaufen (-> statt Moralisierung Frage nach geeigneten ‚Lerngelegenheiten‘) Willensraft ist auch ein Muskel, der irgendwann, wenn man ihn überanstrengt schlaff wird Geduld und Hoffnung als pädagogische Tugenden? # 14 4. Erziehung in Schule und Unterricht 3. Ordnungsmaßnahmen in Abgrenzung zur Erziehung Schulgesetz für Baden-Württemberg (SchG) in der Fassung vom 1. August 1983 § 90 Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen (1) Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen dienen der Verwirklichung des Erziehungs- und Bildungsauftrags der Schule, der Erfüllung der Schulbesuchspflicht, der Einhaltung der Schulordnung und dem Schutz von Personen und Sachen innerhalb der Schule. (2) Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen kommen nur in Betracht, soweit WICHTIG ! pädagogische Erziehungsmaßnahmen nicht ausreichen; hierzu gehören auch Vereinbarungen über Verhaltensänderungen des Schülers mit diesem und seinen Erziehungsberechtigten. Bei allen Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Die Schule kann von Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen absehen, wenn der Schüler durch soziale Dienste Wiedergutmachung leistet. Ordnungsmaßnahmen z.B. Nachsitzen Oft aber nur Mittel der Wahl und nicht ausgeschöpfte Erziehungsmaßnahmen # 15 4. Erziehung in Schule und Unterricht 3. Ordnungsmaßnahmen in Abgrenzung zur Erziehung (3) Folgende Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen können getroffen werden: 1. durch den Klassenlehrer oder durch den unterrichtenden Lehrer: Nachsitzen bis zu zwei Unterrichtsstunden; 2. durch den Schulleiter: a) Nachsitzen bis zu vier Unterrichtsstunden, b) Überweisung in eine Parallelklasse desselben Typs innerhalb der Schule, c) Androhung des zeitweiligen Ausschlusses vom Unterricht, d) Ausschluss vom Unterricht bis zu fünf Unterrichtstagen, bei beruflichen Schulen in Teilzeitform Ausschluss für einen Unterrichtstag, nach Anhörung der Klassenkonferenz oder Jahrgangsstufenkonferenz, soweit deren Mitglieder den Schüler selbstständig unterrichten: e) einen über den Ausschluss vom Unterricht nach Buchstabe d) hinausgehenden Ausschluss vom Unterricht bis zu vier Unterrichtswochen, f) Androhung des Ausschlusses aus der Schule, g) Ausschluss aus der Schule. # 16 Literatur v. Braunmühl, E. (1976). Antipädagogik. Studien zur Abschaffung der Erziehung. 2. Aufl. Weinheim und Basel, Beltz. Gudjons, H. (2006). Pädagogisches Grundwissen. Stuttgart: UTB. Kiel, E. (2012). Einleitung: Was ist Erziehung. In ders. (Hrsg.), Erziehung sehen, analysieren und gestalten (S. 9-16). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Lerche, T. (2012). Menschenbilder im Erziehungsprozess. In E. Kiel (Hrsg.), Erziehung sehen, analysieren und gestalten (S. 81-122). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Liebenwein, S. (2012). Milieuspezifische Erziehungsstile. In E. Kiel (Hrsg.), Erziehung sehen, analysieren und gestalten (S. 161-182). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Litt, Th. (1967). Führen oder Wachsenlassen. 13. Aufl., Stuttgart, Klett. Mägdefrau, J. (2013). Erziehung in Schule und Unterricht. In L. Haag, S. Rahm, H. J. Apel & W. Sacher (Hrsg.), Studienbuch Schulpädagogik (5. Aufl., S. 345-365). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Saalfrank, W.-T. (2012). Erziehung zwischen Familie und Schule. In E. Kiel (Hrsg.), Erziehung sehen, analysieren und gestalten (S. 123-160). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Steinherr, E. (2012). „Wie kultiviere ich die Freiheit bei dem Zwange?“. In E. Kiel (Hrsg.), Erziehung sehen, analysieren und gestalten (S. 45-80). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Weiß, S. (2012). Denken in Systemen. In E. Kiel (Hrsg.), Erziehung sehen, analysieren und gestalten (S. 17-44). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Wolfgang Brezinka: Grundbegriffe der Erziehungswissenschaft. (5., verbesserte Auflage, S. 95). Ernst Reinhardt Verlag, München 1990.