Methoden Und Instrumente Der Sozialen Arbeit I PDF

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This is a course book on social work methods and instruments, specifically, for students of IU Internationale Hochschule and covers topics such as definitions, specialties, goals and more.

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METHODEN UND INSTRUMENTE DER SOZIALEN ARBEIT I DLBSAMISA01-01 METHODEN UND INSTRUMENTE DER SOZIALEN ARBEIT I IMPRESSUM Herausgeber: IU Internationale Hochschule GmbH IU International University of Applied Sciences Juri-Gagarin-Ring 152 D-99084 Erfurt Postanschrift:...

METHODEN UND INSTRUMENTE DER SOZIALEN ARBEIT I DLBSAMISA01-01 METHODEN UND INSTRUMENTE DER SOZIALEN ARBEIT I IMPRESSUM Herausgeber: IU Internationale Hochschule GmbH IU International University of Applied Sciences Juri-Gagarin-Ring 152 D-99084 Erfurt Postanschrift: Albert-Proeller-Straße 15-19 D-86675 Buchdorf [email protected] www.iu.de DLBSAMISA01-01 Versionsnr.: 001-2024-1101 Konzept: IU Internationale Hochschule GmbH Verfasser: N.N. Coverbild: Erstellt mit Midjourney im Auftrag der IU, 2024, unter der Nutzung des Prompts: „A smiling female therapist with blonde hair is sitting in an office and holding a notepad while having a conversation with a man during a one-on-one therapy session, stock photo, close-up. --ar 86:71“. © 2024 IU Internationale Hochschule GmbH Dieses Lernskript ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Lernskript darf in jeglicher Form ohne vorherige schriftliche Genehmigung der IU Internationale Hochschule GmbH (im Folgenden „IU“) nicht reproduziert und/oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet wer- den. Die Autor:innen/Herausgeber:innen haben sich nach bestem Wissen und Gewissen bemüht, die Urheber:innen und Quellen der verwendeten Abbildungen zu bestimmen. Sollte es dennoch zu irrtümlichen Angaben gekommen sein, bitten wir um eine dement- sprechende Nachricht. 2 INHALTSVERZEICHNIS METHODEN UND INSTRUMENTE DER SOZIALEN ARBEIT I Einleitung Wegweiser durch das Studienskript................................................. 6 Basisliteratur..................................................................... 7 Weiterführende Literatur.......................................................... 8 Übergeordnete Lernziele......................................................... 10 Lektion 1 Grundlagen des methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit 11 1.1 Definitionen................................................................. 12 1.2 Besonderheiten des methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit.............. 16 1.3 Nutzen und Ziele methodischen Handelns..................................... 20 Lektion 2 Kritische Fragen an das methodische Handeln in der Sozialen Arbeit 25 2.1 Zur Methodisierbarkeit sozialen Handelns...................................... 26 2.2 Professionsorientierte Aspekte der Methodenreflexion.......................... 28 Lektion 3 Die klassischen Methoden 35 3.1 Gemeinwesenarbeit.......................................................... 36 3.2 Einzelfallhilfe................................................................ 38 3.3 Soziale Gruppenarbeit....................................................... 40 3.4 Errungenschaften und Kritik.................................................. 42 Lektion 4 Methoden der indirekten Intervention 45 4.1 Supervision................................................................. 47 4.2 Kollegiale Beratung.......................................................... 49 4.3 Selbstevaluation............................................................. 51 4.4 Anwendungsbeispiel: Arbeitsfeld Soziale Arbeit mit asylsuchenden geflüchteten Men- schen........................................................................... 52 3 Lektion 5 Gesprächsführung und Beratung 55 5.1 Gesprächsführung und Beratung in der Sozialen Arbeit.......................... 56 5.2 Systemische Beratung/Familientherapie....................................... 60 5.3 Klientenzentrierte Beratung.................................................. 63 5.4 Anwendungsbeispiel: Arbeitsfeld Soziale Altenarbeit............................ 66 Lektion 6 Multiperspektivische Fallarbeit und Lagearbeit nach dem Konzept Integrativer Methodik 69 6.1 Definition und Einordnung nach Müller........................................ 70 6.2 Dimensionen der Fallarbeit................................................... 71 6.3 Der Prozess der Fallarbeit..................................................... 72 6.4 Arbeitsfeld Jugendpsychiatrische Versorgung.................................. 75 6.5 Definition und Einordnung nach Schumann.................................... 78 6.6 Theoretische Grundlagen des Konzepts Integrativer Methodik.................... 81 6.7 Anwendungsbeispiel nach dem Konzept Integrativer Methodik: Arbeitsfeld psychiatri- sche Versorgung................................................................. 88 Lektion 7 Gruppenbezogene Methoden 95 7.1 Erlebnispädagogik........................................................... 96 7.2 Themenzentrierte Interaktion................................................. 98 7.3 Konfrontative Pädagogik.................................................... 100 7.4 Anwendungsbeispiel: Arbeitsfeld Strafvollzug................................. 101 Anhang Literaturverzeichnis............................................................. 106 Abbildungsverzeichnis.......................................................... 111 4 EINLEITUNG HERZLICH WILLKOMMEN WEGWEISER DURCH DAS STUDIENSKRIPT Dieses Studienskript bildet die Grundlage Ihres Kurses. Ergänzend zum Studienskript ste- hen Ihnen weitere Medien aus unserer Online-Bibliothek sowie Videos zur Verfügung, mit deren Hilfe Sie sich Ihren individuellen Lern-Mix zusammenstellen können. Auf diese Weise können Sie sich den Stoff in Ihrem eigenen Tempo aneignen und dabei auf lerntyp- spezifische Anforderungen Rücksicht nehmen. Die Inhalte sind nach didaktischen Kriterien in Lektionen aufgeteilt, wobei jede Lektion aus mehreren Lernzyklen besteht. Jeder Lernzyklus enthält jeweils nur einen neuen inhaltlichen Schwerpunkt. So können Sie neuen Lernstoff schnell und effektiv zu Ihrem bereits vorhandenen Wissen hinzufügen. In der IU Learn App befinden sich am Ende eines jeden Lernzyklus die Interactive Quizzes. Mithilfe dieser Fragen können Sie eigenständig und ohne jeden Druck überprüfen, ob Sie die neuen Inhalte schon verinnerlicht haben. Sobald Sie eine Lektion komplett bearbeitet haben, können Sie Ihr Wissen auf der Lern- plattform unter Beweis stellen. Über automatisch auswertbare Fragen erhalten Sie ein direktes Feedback zu Ihren Lernfortschritten. Die Wissenskontrolle gilt als bestanden, wenn Sie mindestens 80 % der Fragen richtig beantwortet haben. Sollte das einmal nicht auf Anhieb klappen, können Sie die Tests beliebig oft wiederholen. Wenn Sie die Wissenskontrolle für sämtliche Lektionen gemeistert haben, führen Sie bitte die abschließende Evaluierung des Kurses durch. Die IU Internationale Hochschule ist bestrebt, in ihren Skripten eine gendersensible und inklusive Sprache zu verwenden. Wir möchten jedoch hervorheben, dass auch in den Skripten, in denen das generische Maskulinum verwendet wird, immer Frauen und Män- ner, Inter- und Trans-Personen gemeint sind sowie auch jene, die sich keinem Geschlecht zuordnen wollen oder können. 6 BASISLITERATUR Galuske, M. (2013). Methoden der Sozialen Arbeit: Eine Einführung (10. Auflage). Beltz Juventa. http://search.ebscohost.com.pxz.iubh.de:8080/login.aspx?direct=true&db=c at05114a&AN=ihb.47042&site=eds-live&scope=site Stimmer, F. (2020). Grundlagen des methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit (4. Auf- lage). Kohlhammer. http://search.ebscohost.com.pxz.iubh.de:8080/login.aspx?direct= true&db=cat05114a&AN=ihb.51144&site=eds-live&scope=site Wendt, P.-U. (2021). Lehrbuch Methoden der Sozialen Arbeit (3. Auflage). Beltz Juventa. http ://search.ebscohost.com.pxz.iubh.de:8080/login.aspx?direct=true&db=cat05114a&AN =ihb.50492&site=eds-live&scope=site 7 WEITERFÜHRENDE LITERATUR LEKTION 1 Bieker, R. & Floerecke, P. (Hrsg.) (2011). Sozialpädagogik. Träger, Arbeitsfelder und Ziel- gruppen der Sozialen Arbeit. Kohlhammer. LEKTION 2 Meinhold, M. (2012). Über Einzelfallhilfe und Case Management. In W. Thole (Hrsg.), Grund- riss Soziale Arbeit (4. Auflage, S. 635–648). VS Verlag. http://search.ebscohost.com.pxz. iubh.de:8080/login.aspx?direct=true&db=cat05114a&AN=ihb.47785&site=eds-live&sc ope=site Müller, B. (2012). Professionalität. In W. Thole (Hrsg.), Grundriss Soziale Arbeit (4. Auflage, S. 955–974). Springer VS. http://search.ebscohost.com.pxz.iubh.de:8080/login.aspx?di rect=true&db=cat05114a&AN=ihb.47785&site=eds-live&scope=site LEKTION 3 Behnisch, M. & Maierhof, G. (2020). Soziale Gruppenarbeit. Strövesand, S. (2021). Gemeinswesenarbeit. In R. C. Amthor, B. U. Goldberg, P. Hansbauer, I. Mielenz & D. Kreft (Hrsg.), Wörterbuch Soziale Arbeit: Aufgaben, Praxisfelder, Begriffe und Methoden der Sozialarbeit und Sozialpädagogik (9. Auflage, S. 899–901). Beltz Juventa. http://search.ebscohost.com.pxz.iubh.de:8080/login.aspx?direct=true&db=c at05114a&AN=ihb.25118&site=eds-live&scope=site Meinhold, M. (2012). Über Einzelfallhilfe und Case Management. In W. Thole (Hrsg.), Grund- riss Soziale Arbeit (4. Auflage, S. 635–648). VS Verlag. http://search.ebscohost.com.pxz. iubh.de:8080/login.aspx?direct=true&db=cat05114a&AN=ihb.47785&site=eds-live&sc ope=site LEKTION 4 DGSv (2012). Supervision. Ein Beitrag zur Qualifizierung beruflicher Arbeit. (Im Internet ver- fügbar). 8 Keßler, S. (2011). Soziale Arbeit mit Flüchtlingen und Asylsuchenden. In R. Bieker & P. Floerecke (Hrsg.), Träger, Arbeitsfelder und Zielgruppen der Sozialen Arbeit (S. 246– 258). Kohlhammer. http://search.ebscohost.com.pxz.iubh.de:8080/login.aspx?direct=t rue&db=cat05114a&AN=ihb.48328&site=eds-live&scope=site Schindler, W. (2020). Kollegiale Beratung. LEKTION 5 Schlippe, A. v. & Schweitzer, J. (2016). Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung. Vandenhoeck & Ruprecht. http://search.ebscohost.com.pxz.iubh.de:8080/login.aspx? direct=true&db=cat05114a&AN=ihb.48083&site=eds-live&scope=site Widulle, W. (2020). Gesprächsführung in der Sozialen Arbeit: Grundlagen und Gestaltungs- hilfen (3. Auflage). VS Verlag. http://search.ebscohost.com.pxz.iubh.de:8080/login.asp x?direct=true&db=nlebk&AN=2640755&site=eds-live&scope=site LEKTION 6 Müller, B. (2017). Sozialpädagogisches Können: Ein Lehrbuch zur multiperspektivischen Fall- arbeit (8. Auflage). Lambertus. http://search.ebscohost.com.pxz.iubh.de:8080/login.as px?direct=true&db=nlebk&AN=1511836&site=eds-live&scope=site LEKTION 7 Kilb, R., Weidner, J. & Gall, R. (2013). Konfrontative Pädagogik in der Schule: Anti-Aggressivi- täts- und Coolnesstraining (3. Auflage). Pädagogisches Training. Beltz Juventa. Michl, W. (2020). Erlebnispädagogik (4. Auflage). Ernst Reinhardt. http://search.ebscohost. com.pxz.iubh.de:8080/login.aspx?direct=true&db=cat05114a&AN=ihb.48313&site=eds -live&scope=site 9 ÜBERGEORDNETE LERNZIELE Der Kurs Methoden und Instrumente der Sozialen Arbeit I vermittelt Ihnen Kenntnisse über gängige Methodendefinitionen und -verständnisse (Was sind Methoden?), relevante Begrifflichkeiten und den Nutzen methodischen Vorgehens in der Sozialen Arbeit. Neben diesen grundlegenden Informationen wird eine Vielzahl von konkreten Methoden besprochen. Das Spektrum reicht von Methoden für Gruppen über Methoden der Gesprächsführung bis hin zu Methoden der indirekten Intervention. Konkret werden u. a. Multiperspektivische Fallarbeit, Klientenzentrierte Gesprächsführung, Systemische Bera- tung sowie die Erlebnispädagogik thematisiert. Auch die klassischen Methoden der Sozia- len Arbeit (Einzelfallhilfe, Gemeinwesenarbeit und Soziale Gruppenarbeit) lernen Sie ken- nen. Praxisbeispiele konkretisieren die theoretischen Informationen. Durch diese Inhalte erhalten Sie einen umfassenden Einblick in eine Vielzahl von Metho- den der Sozialen Arbeit und ein Verständnis davon, welche Rolle Methoden generell spie- len und wie sie in der Praxis zur Anwendung kommen können. 10 LEKTION 1 GRUNDLAGEN DES METHODISCHEN HANDELNS IN DER SOZIALEN ARBEIT LERNZIELE Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie wissen, … – wie das enge und das weite Verständnis des Begriffs „Methode“ lautet. – wie der Terminus „Methode“ von damit eng zusammenhängenden Begriffen wie „Instrumente“, „Konzept“, „Arbeitsfeld“ und „Arbeitsform“ abgegrenzt wird. – wie sich die Vielfalt der Aufgaben und Multiprofessionalität auf das methodische Han- deln auswirken. – welche Rolle Alltagsnähe und Kompetenzfragen im Kontext des methodischen Han- delns spielen. – inwiefern Sozialarbeitende von Klient:innen abhängig sind. – wie sich Forschungs- von Handlungsmethoden unterscheiden. – welchen Nutzen methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit hat. 1. GRUNDLAGEN DES METHODISCHEN HANDELNS IN DER SOZIALEN ARBEIT Einführung Bevor in diesem Skript konkrete Methoden der Sozialen Arbeit dargestellt, diskutiert und an Beispielen verdeutlicht werden, ist es unerlässlich, zentrale Begriffe zu klären, die in den Fachdiskursen um das methodische Handeln durchaus unterschiedlich verwendet werden. Paradebeispiel für die Vielschichtigkeit von Begriffen ist der Methodenbegriff selbst, der sehr unterschiedlich verstanden werden kann (Galuske, 2013, S. 28–39). Darüber hinaus ist es wichtig, einige Besonderheiten des methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit zu thematisieren, welche das Handeln von Sozialarbeitenden von dem anderer Professionen unterscheidet. Zum Beispiel ist das Handeln von Sozialarbeitenden zumeist in staatliche Vorgaben eingebunden, welche die Handlungsmöglichkeiten der Sozialarbeitenden begrenzen können. Die Kenntnis dieser Besonderheiten ist wichtig, um den Nutzen und die Grenzen der im Weiteren dargestellten Methoden richtig einschätzen zu können. 1.1 Definitionen Die enge Definition des Methodenbegriffs In der Theorie der Sozialen Arbeit sind im Wesentlichen zwei verschiedene Ansätze zur Definition des Begriffs „Methode“ zu finden, wobei die eine den Terminus enger und die andere ihn weiter fasst (Galuske, 2013, S. 29). Die enge Definition wird beispielsweise von Schilling vertreten und lautet folgendermaßen: Methode ist das planmäßige Vorgehen zur Erreichung eines Zieles; der erfolgreiche Weg zum Ziel; eine spezifische Art und Weise zu handeln. Methode ist eine Weise des Vorgehens in Richtung auf ein Ziel. Im Allgemeinen versteht man somit unter Methode eine bewusst gewählte Verhaltens- weise zur Erreichung eines bestimmten Zieles. Methoden sind Formen des Herangehens an Auf- gaben zur Lösung von Zielen und/oder Problemen. Methoden sind erprobte, überlegte und über- tragbare Vorgehensweisen zur Erledigung bestimmter Aufgaben und Zielvorgaben (Schilling, 1993, S. 65–66.). Dieses Verständnis des Terminus „Methode“ betont den Weg, auf welchem ein bestimmtes Ziel erreicht wird. Die Ziele selbst gehören dabei nicht zum Zuständigkeitsbereich und Reflexionsinhalt der Methode selbst, sondern geben nur an, was mit der Methode erreicht werden soll. 12 Diese Auffassung hängt eng zusammen mit der in der Schulpädagogik verbreiteten Diffe- renzierung zwischen Didaktik und Methodik (Galuske, 2013, S. 29). So definiert Klafki die Didaktik als Lehre von den Inhalten, während er unter Methoden Verfahrensweisen ver- steht, mit denen pädagogische Ziele erreicht werden sollen (Klafki, 1970, S. 129). Michael Galuske versteht diese Definition als Trennung der Fragen nach dem Ziel („Was“?), die in den Zuständigkeitsbereich der Didaktik fallen, von den Fragen nach dem Verfahren („Wie“?), die der Methodik zugeordnet werden. Eine solche Differenzierung erscheint zunächst sinnvoll, um eine klare terminologische Abgrenzung zu ermöglichen (Galuske, 2013, S. 27). Tatsächlich wird diese Abgrenzung der Methode von den angestrebten Zielen jedoch auch problematisiert. Galuske erwähnt diesbezüglich den Vorwurf der „Sozialtechnologie“ Sozialtechnologie und thematisiert damit die Gefahr des Missbrauchs von Methoden für beliebige und mögli- Der Begriff der Sozialtech- nologie problematisiert cherweise auch ethisch fragwürdige Zwecke (Galuske, 2013, S. 28). Methoden würden technische, also lineare damit von Fragen nach ihren Anwendungsbereichen und Zielen getrennt und könnten so und stark vereinfachte willkürlich eingesetzt werden. Herangehensweisen an die Arbeit mit Menschen. Die enge Definition von Methoden als „Verfahrensweisen“ oder „Vorgehensweisen“ schafft also auf den ersten Blick eine leicht nachvollziehbare und praktikable Klarheit, führt aber in ihrer Engführung und damit verbundenen Trennung von den Zielen zu theoretischen und praktischen Schwierigkeiten, die mit dem Begriff „Sozialtechnologie“ auf den Punkt gebracht werden. Die weite Definition des Methodenbegriffs Wie bereits deutlich geworden ist, birgt das enge Methodenverständnis schwerwiegende Probleme. Daher haben Geißler und Hege (1991, S. 25) ein umfassenderes, integratives Methodenverständnis definiert, welches Ziele und Rahmenbedingungen miteinbezieht und reflektiert. Dabei unterscheiden die Autor:innen zwischen den drei Ebenen „Konzept“, „Methode“ und „Verfahren/Technik“: „Unter Konzept verstehen wir ein Handlungsmodell, in welchem die Ziele, die Inhalte, die Methoden und die Verfahren in einen sinnhaften Zusammengang gebracht sind“ (Geißler/ Hege, 1991, S. 25). Konzepte sind demnach die oberste, breiteste Ebene, welche noch keine konkreten Vorge- hensweisen, sondern eine bestimmte Sichtweise oder einen gewissen Ansatz der Sozialen Arbeit darstellt – beispielsweise die Lebensweltorientierung (Grundwald & Thiersch, Lebensweltorientierung 2015). Sie beschreiben eine bestimmte Sichtweise sozialer Zusammenhänge und eine Die lebensweltorientierte Soziale Arbeit ist ein Kon- grundsätzliche Orientierung und können als übergeordnetes Leitbild, welchem Methoden zept von Hans Thiersch, und Techniken dienen, verstanden werden. welches die Orientierung der Sozialen Arbeit an der Lebenswirklichkeit und „Methoden sind – formal betrachtet – (konstitutive) Teilaspekte von Konzepten. Die der Autonomie ihrer Kli- Methode ist ein vorausgedachter Plan der Vorgehensweise“ (Geißler & Hege, 1991, S. 25). ent:innen in den Vorder- grund stellt. 13 Die nächstkleinere Ebene ist somit die Methode, welche innerhalb eines bestimmten Kon- zeptes einen konkreten Handlungsplan vorlegt. Im Rahmen des Konzeptes der Lebens- weltorientierung kann zum Beispiel die Methode der Sozialen Netzwerkarbeit zum Einsatz kommen. Die Methode zeigt damit einen praktischen Weg, auf welchem die im Konzept definierten Werte und Ziele umgesetzt werden können. „Während Methoden einen systematisierten Komplex von Vorgehensweisen darstellen, sind Verfahren Einzelelemente von Methoden“ (Geißler & Hege, 1991, S. 29). Die unterste Ebene ist nach diesem Verständnis die Technik oder das Verfahren. Ein weite- rer passender Terminus wäre „Instrument“. Diesen Begriff verwendet auch Brigitta Michel- Schwartze, wenn sie erläutert: „Die Praktikabilität sowohl von Konzepten als auch von Methoden wird erhöht durch Instrumente“ (Michel-Schwartze, 2012, S. 13). Beispiele für Techniken als Teil der Sozialen Netzwerkarbeit sind die Netzwerkkarte oder ein Netzwerkinterview. Folgende Grafik veranschaulicht den Zusammenhang der drei beschriebenen Ebenen: Abbildung 1: Die drei Ebenen nach Geißler und Hege Quelle: Erstellt im Auftrag der IU, 2022, in Anlehnung an Galuske, 2013, S. 32. Die Vorzüge dieses weiteren Methodenverständnisses liegen in der reflexiven Verknüpfung von Verfahrensweisen und den im konkreten Fall vorliegenden Konzepten, Handlungsfel- dern und Zielen (Galuske, 2013, S. 32). Die Rahmenbedingungen, in welchen eine Methode zum Einsatz kommt, beeinflussen methodische Fragestellungen und bestimmen, welche Methoden sinnvoll und aus der jeweiligen Zielperspektive erfolgsversprechend sind. 14 Die Rahmenbedingungen sollten stets in methodische Überlegungen einbezogen werden, da sonst Methoden rein technisch angewandt werden, ohne die ganz individuellen Beson- derheiten und Erfordernisse der jeweiligen Situation zu berücksichtigen (Galuske, 2013, S. 32). Auch die Gefahr der „Sozialtechnologie“, also des möglichen missbräuchlichen Ein- satzes von Methoden zum Erreichen fragwürdiger Ziele, kann damit vermieden oder zumindest deutlich reduziert werden. Sozialform Ein weiterer relevanter Begriff im Bereich der Methodik ist der der „Sozialform“ (Galuske, 2013, S. 38), der zum Teil auch durch den Begriff der Arbeitsform ersetzt wird (Stimmer, 2020, S. 24). Die Sozialform beschreibt die „Form, in der die beteiligten Personen aufeinan- der bezogen sind“(Klafki, 1970, S. 143). Dabei wird meist zwischen drei Sozialformen unterschieden: Arbeit mit Einzelnen, Arbeit mit Gruppen sowie Arbeit mit Sozialräumen beziehungsweise regionalen Einheiten (beispielsweise Stadt- vierteln, Dorfgemeinschaften u. a.). Stimmer (2020, S. 24) nennt zusätzlich die Arbeitsform der Arbeit mit Organisationen. Aus der Angabe der jeweiligen Sozialform kann noch keine Information über die genutzten Methoden und Techniken abgeleitet werden. Im Rahmen der Sozialform „Gruppe“ kann u. a. mit den Methoden der Erlebnispädagogik oder der Themenzentrierten Interaktion gear- beitet werden. Und auch innerhalb einer Methode können mehrere Sozialformen zur Anwendung kommen. So kann im Rahmen der Methode der Konfrontativen Pädagogik sowohl mit Einzelnen als auch mit einer Gruppe gearbeitet werden. Gleichwohl existieren Methoden, die nur für bestimmte Sozialformen geeignet sind. So bezieht sich die Methode der Themenzentrierten Interaktion immer auf die Arbeit mit einer Gruppe und die Mediation benötigt stets die Mitarbeit beider Parteien, kann also nicht im Einzelkontakt erfolgen. Arbeitsfeld Ein weiterer Terminus, der mit Methoden und Instrumenten zusammenhängt, ist der des „Arbeitsfeldes“. In der Sozialen Arbeit existieren unterschiedliche Arbeitsfelder, also Berei- che, in welchen Methoden zum Einsatz kommen können (zum Beispiel Altenhilfe, Opfer- hilfe, Familienbildung, Jugendhilfe, Frühe Hilfen etc.) (für eine Übersicht siehe Bieker & Floerecke, 2011). Je nach Arbeitsfeld werden Methoden unter unterschiedlichen strukturellen, finanziellen und inhaltlichen Rahmenbedingungen angewandt. Der jeweilige Rahmen beeinflusst dabei den Einsatz und die Wirkung der Methode. Während unter einer Methode eine Vor- 15 gehensweise, mit der ein bestimmtes Ziel erreicht werden soll, zu verstehen ist, kann ein Arbeitsfeld definiert werden als „thematisch zentrierte[r], rechtlich und institutionell kon- solidierte[r] Problem- und Arbeitszusammenhang“ (Galuske, 2013, S. 35). Eine Methode kann in unterschiedlichen Arbeitsfeldern zum Gebrauch kommen – bei- spielsweise das Case Management, das u. a. in der Altenhilfe und im Sozialdienst einer Kli- nik genutzt werden kann – und in einem Arbeitsfeld können vielfältige Methoden einge- setzt werden; so wird in der Jugendarbeit auf Klientenzentrierte Gesprächsführung, Erlebnispädagogik und viele weitere Methoden zurückgegriffen. 1.2 Besonderheiten des methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit Vielfalt der Aufgabenbereiche und Multiprofessionalität Die meisten Berufe haben ein klar einzugrenzendes Aufgabengebiet. So liegt es auf der Hand, dass sich eine Pflegekraft um medizinisch-pflegerische Probleme kümmert und ein:e Versicherungsvertreter:in für Fragen der jeweiligen Versicherung zuständig ist. Es ist offensichtlich, dass Ärzt:innen keine Hilfe bei finanziellen Problemen leisten und dass sich eine im Handwerk tätige Person beruflich nicht mit gesundheitlichen Problemen ihrer Kund:innen befasst. Deutlich schwieriger ist die Eingrenzung der thematischen Zuständigkeiten der Sozialen Arbeit. Mit den Begriffen „Allzuständigkeit“ und „geringe[r] Grad an Spezialisierung“ beschreibt Galuske diese Besonderheit, in der sich die Soziale Arbeit von anderen Profes- sionen unterscheidet (Galuske, 2013, S. 40). So können nahezu alle Fragen und Probleme, die sich aus dem alltäglichen Leben erge- ben, zu Aufgaben der Sozialen Arbeit werden: Der psychosoziale Umgang mit einer Erkran- kung, schulische Probleme, Wohnungslosigkeit, familiäre Konflikte, psychische Belastun- gen, berufliche Unzufriedenheit, religiöse Themen, zum Beispiel im Fall von Sektenmitgliedern – die Aufzählung verdeutlicht, wie groß die Vielfalt an Themen ist, für die Sozialarbeitende zuständig sein können. Trotz oder gerade wegen dieser Vielzahl an potenziellen Zuständigkeitsbereichen sind Sozialarbeitende äußerst selten allein verantwortlich. Während viele Themen ausschließ- lich von einer Berufsgruppe bearbeitet werden – beispielsweise Rechtsfragen von Jurist:innen –, besitzt die Soziale Arbeit kein Tätigkeitsfeld, das allein ihrer Profession obliegt. Stets arbeiten Sozialarbeitende mit anderen Professionen – zum Beispiel Ärzt:innen, Lehrer:innen, Therapeut:innen, Rechtsanwält:innen – zusammen. Diese Zusammenarbeit ist oft durch Hierarchien gekennzeichnet, wobei die Sozialarbeitenden durch die anderen Beteiligten sehr häufig eher unten in der Hierarchie verortet werden, etwa in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, in der die Alltagsgestaltung der Sozialarbei- tenden mit den Klient:innen „häufig ‚nur‘ als Phase zwischen den Therapiesitzungen wahrgenommen“ (Galuske, 2013, S. 43) wird. Dies hängt zusammen mit dem geringen 16 gesellschaftlichen Prestige der Sozialen Arbeit, welches sicherlich auch durch ihren diffu- sen Zuständigkeitsbereich verstärkt wird (Galuske, 2013, S. 43). Inwiefern die jeweiligen Methoden einer Profession ihren Status beeinflussen, verdeutlicht Michael Galuske: Methodischem Handeln im Sinne der Verfügung über ein klar konturiertes, und professionell legitimiertes Handlungsinventar kommt in diesen Zusammenhängen die Funktion eines Status- markierers zu, d. h., indem ich in multiprofessionellen Kontexten signalisiere, dass ich als Ver- Multiprofessionell treter einer Profession über ein originäres, reflexiv erzeugtes ,Handwerkszeug‘ verfüge, gewinne Dieser Begriff meint die Zusammenarbeit unter- ich an Ansehen (2013, S. 43–44). schiedlicher Berufsgrup- pen. Alltagsbezüge und Kompetenzfragen Wie bereits angedeutet, ergeben sich aus dem Alltag ganz unterschiedliche Fragen, die in den Zuständigkeitsbereich der Sozialen Arbeit fallen können. Diese Beobachtung verweist auf eine weitere Besonderheit der Sozialen Arbeit: Im Gegensatz zu anderen Berufsgrup- pen generiert sie ihre Aufgaben direkt aus dem Alltag und leistet meist auch Hilfe im kon- kreten Alltag der Klient:innen (Galuske, 2013, S. 44). Abgesehen von einigen Ausnahmen wie den Angeboten in Beratungsstellen findet Soziale Arbeit meist im alltäglichen Kontext der Hilfesuchenden statt – so besucht die Sozialpädagogische Familienhilfe die Familie zu Hause und optimiert Prozesse wie Erziehungsverhalten und Haushaltsmanagement, und in Jugendheimen oder Wohngruppen begleiten Sozialarbeitende die Klient:innen in ihrem jeweiligen Alltag. Aufgrund dieser Alltagsbezogenheit wird der Beruf von Sozialarbeitenden oft als wenig anspruchsvoll angesehen und nicht selten liegt die Auffassung vor, der Beruf wäre mögli- cherweise sogar durch „ein großes Herz und gesunden Menschenverstand“ ersetzbar. Die Soziale Arbeit steht der kritischen Frage gegenüber, warum sie alltägliche Probleme von Menschen besser lösen können sollte als diese selbst oder Freunde und Familienangehö- rige, die schließlich ebenfalls über Erfahrungswissen in Alltagsfragen verfügen und zudem die einzelnen Zusammenhänge ihrer jeweiligen Situation besser kennen als eine fremde sozialarbeitende Fachkraft (Galuske, 2013, S. 44−46). Tatsächlich werden viele Probleme durch die Unterstützung von vertrauten Personen ohne sozialpädagogisches Studium bearbeitet. Was unterscheidet diese Laienhilfe von Sozialer Arbeit? Die Unterschiede sollen im Folgenden in Anlehnung an Michael Galuske (2013, S. 46−48) zusammengefasst werden: Laien verfügen oft über sehr gute Kenntnisse der Situation, weil sie beispielsweise schon lange mit der hilfesuchenden Person befreundet sind. Daraus folgt meist ein ausgeprägtes Vertrauensverhältnis. Andererseits besteht die Gefahr, dass vertraute Laienhelfer:innen nicht neutral handeln. Möglicherweise betrifft die jeweilige Entscheidung, die der oder die Hilfesuchende treffen muss, sie oder er selbst. Deshalb können strategische, selbstbezo- gene Erwägungen die Hilfe und Beratung eines Laien beeinflussen. 17 Zusätzlich sind soziale Beziehungen von einem Anspruch an ein möglichst ausgeglichenes Verhältnis von „Geben und Nehmen“ geprägt (Galuske, 2013, S. 47). Die Inanspruchnahme von der Hilfe einer Freundin führt daher häufig zu dem Gefühl, dieser Freundin etwas „schuldig“ zu sein. Das kann dazu führen, dass Hilfe nicht unbefangen angenommen wer- den kann. Auch verfügen Laien oft nicht über das gleiche umfassende Wissen über Handlungsoptio- nen und hilfreiche Ansprechpartner:innen beziehungsweise Anlaufstellen wie Sozialarbei- tende (Galuske, 2013, S. 48). Letztere können in der Regel in ihrem jeweiligen Tätigkeits- feld (zum Beispiel Schwangerschaftsberatung, Jugendhilfe) auf ausgeprägte Kenntnisse nützlicher Kontaktadressen und Ressourcen (wie finanzielle Unterstützungsformen durch Stiftungen oder öffentliche Leistungen) zurückgreifen. Zudem sind sie nicht in die Lebens- situation der Klient:innen eingebunden. Dadurch können sie neutral beraten und die Kli- ent:innen unabhängig von eigenen Interessen dabei unterstützen, den für sie richtigen Weg zu finden. Darüber hinaus kennen sie im Gegensatz zu Laien spezielle Gesprächs- und Fragetechniken sowie Beratungsmethoden, welche die Entwicklung eines guten Lösungs- weges fördern. Auch die angesprochene Problematik von „Geben und Nehmen“ spielt bei professioneller Hilfe keine Rolle, da diese in der Regel öffentlich finanziert wird und von den Klient:innen ohne die Entstehung von Kosten genutzt werden kann. Hinzu kommt, dass nicht alle Men- schen sozial gut integriert sind und deshalb die Hilfe durch Laien nicht jedem zugänglich ist. Auch kann die jeweilige Thematik des Problems so belastend, intim oder speziell sein, dass die Hilfe von Freunden oder Verwandten nicht gewünscht oder ausreichend ist. Die genannten Differenzen zwischen Laienhilfe und Sozialer Arbeit zeigen, dass beide ihre Berechtigung haben, und so lässt sich die Existenzberechtigung der Sozialen Arbeit als all- tagsbezogene Profession begründen (Galuske, 2013, S. 49). Staatliche Steuerung Eine weitere Besonderheit des methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit stellt die staatliche Steuerung dar. Die Soziale Arbeit agiert zwischen zwei Leitmotiven: dem Wohl ihrer Klient:innen und den staatlichen Interessen. Sie dient einerseits der Autonomie der Lebensführung der Klient:innen und andererseits der Gewährleistung gesellschaftlicher Normalzustände (Galuske, 2013, S. 51−53). Ihre Hilfen enthalten daher zumeist auch Ele- mente von Kontrolle. Dieses Spannungsfeld wird auch als „doppeltes Mandat“ von Hilfe und Kontrolle bezeich- net, welches die Autonomie des professionellen Handelns in der Sozialen Arbeit begrenzt (Galuske, 2013, S. 52). Sozialarbeitende können nicht nur die Wünsche und Ziele ihrer Kli- ent:innen im Blick haben, sondern müssen diese stets mit gesellschaftlichen Normen abgleichen. Damit ist es zum Teil auch Aufgabe der Sozialen Arbeit, das jeweilig geltende gesellschaftliche Normalitätsverständnis gegenüber Einzelnen durchzusetzen und die Ein- fügung der Einzelnen in diesen normativen Rahmen zu fördern. Soziale Arbeit fungiert damit auch als Wächterin über die Stabilität gesellschaftlicher Ordnung (Galuske, 2013, S. 53). Ein Beispiel: Eine größer werdende Gruppe an Jugendlichen skatet mit Begeisterung auf einem zentralen öffentlichen Platz einer Stadt. Zusätzlich zu den vorhandenen Trep- 18 pen beginnen sie Rampen zu bauen. Gleichzeitig empfinden jedoch die Anwohnenden den zunehmend entstehenden Geräuschpegel als störend, sodass die Bürgermeisterin auf die städtische Sozialarbeit zukommt und um Lösung des Problems bittet. Die Sozialarbeiten- den müssen nun einen Weg finden, die Wünsche der Jugendlichen zu berücksichtigen und zugleich dem Auftrag der Bürgermeisterin (gesellschaftliches Normalitätsverständnis) nachzukommen. Eine Lösung könnte ein ansprechender Skatepark an einem Ort sein, an dem der Lärm kein Problem darstellt. Die staatliche Steuerung geht einher mit der Finanzierung Sozialer Arbeit, die eben nur durch staatliche Leistungen und Unterstützung möglich ist. Auch Hilfen, die Sozialarbei- tende anbieten können, bewegen sich stets in den Grenzen des jeweils geltenden Sozial- rechts. Diese Abhängigkeit von staatlicher Förderung wird Sozialarbeitenden besonders dann deutlich, wenn der Hilfebedarf der Klient:innen ihrer Meinung nach durch staatlich vorgesehene Hilfen nicht gedeckt werden kann (Galuske, 2013, S. 52). Neben dieser Dependenz von staatlichen Mitteln ist Soziale Arbeit auch vor Ort eingebun- den in bürokratische Organisationen, die bestimmte Vorgehensweisen und Regeln vor- schreiben (beispielsweise Verfahren zur Leistung von Hilfe, Vorgaben zur Entscheidung über strittige Fälle etc.). Laut Silvia Staub-Bernasconi verfügt die Soziale Arbeit nicht nur über ein doppeltes, son- dern sogar über ein dreifaches Mandat („Tripelmandat“). Sie definiert die wissenschaftli- che Fundierung sowie die ethische Basis, orientiert an Menschenrechten und Gerechtig- keit, als drittes Mandat (Staub-Bernasconi, 2007, S. 13). Methodischem Vorgehen kommt aus dieser Perspektive nicht nur die Funktion zu, das Ver- halten von Klient:innen zu modifizieren, sondern auch, die Selbstreflexion und -kontrolle der Professionellen zu fördern. Angesichts des oben beschriebenen Spannungsfeldes ist eine strukturierte Reflexion des eigenen Handelns unverzichtbar. Gleichzeitig zeigen die Ausführungen zur staatlichen Einbindung Sozialer Arbeit, dass die Wahl einer Methode „nicht in allen Fällen allein das Resultat einer den professionellen Kunstregeln entsprechenden Entscheidung“ (Galuske, 2013, S. 53) ist, sondern oft auch durch bürokratische Vorgaben beeinflusst oder sogar bestimmt wird. Abhängigkeit von den Klient:innen Soziale Arbeit richtet sich in der Regel an individuelle Bedürfnislagen eines bzw. einer Ein- zelnen. Diese:Dieser Einzelne „ist höchst eigensinnig, entwickelt sehr eigene und individu- elle Vorstellungen davon, was sein ,Wohlbefinden‘ kennzeichnet, wofür es sich lohnt, sich einzusetzen“(Wendt, 2017, S. 30). Nur wenn das Angebot von Sozialarbeitenden aus der Perspektive dieses:dieser Einzelnen sinnvoll und der Anstrengung wert ist, wird eine Kooperation zustande kommen. Diese Erkenntnis verweist auf den sogenannten Status des:der „Klient:in als Co-Produzent:in“ (Galuske, 2013, S. 49). Dieser Begriff kennzeichnet die Abhängigkeit des Gelingens von Interventionen Sozialarbeitender von der Kooperation der Klient:innen. 19 Soziale Arbeit als soziale Die Soziale Arbeit kann verstanden werden als personenbezogene soziale Dienstleistung Dienstleistung und weist dabei folgende Merkmale auf (Galuske, 2013, S. 49−51): Im Laufe ihrer Geschichte hat sich die Soziale Arbeit von einer sozialdiszipli- Sie ist größtenteils immateriell (kein Gegenstand). nierenden Intervention Da sie kein Sachgut ist, kann sie nicht gelagert oder in einem Vorrat aufbewahrt werden. hin zu einer sozialen Dienstleistung entwickelt Sie erfordert die parallele Anwesenheit von „Nutzer:in“ und „Produzent:in“ der Dienst- (Böllert, 2012). leistung. Sie ist abhängig von der Kooperation zwischen Dienstleistungsanbieter und Nutzer:in, der:die immer auch Co-Produzent:in ist. Die genannten Eigenschaften personenbezogener sozialer Dienstleistungen lassen die Interventionen hohe Bedeutung der Klient:innen für den Verlauf sozialer Interventionen erkennen. Dies Unter Intervention wird erklärt auch, warum die „Erfolge“ Sozialer Arbeit oft weniger kalkulierbar und messbar das bewusste und geplante Eingreifen in sind als in anderen Professionen wie dem Handwerk oder der Medizin: Wie ein bestimmtes eine Situation verstan- Material optimal bearbeitet wird, lässt sich vorhersagen, und auch körperliche Abläufe den. sind zumindest in großen Teilen inzwischen erforscht und berechenbar. Soziale Arbeit hin- gegen arbeitet mit eigensinnigen Menschen, deren Verhalten oft unberechenbar und wechselhaft ist. Sozialarbeitende können ihre Hilfeleistungen noch so gut planen, umset- zen und reflektieren – solange Klient:innen nicht bereit sind, die Hilfe anzunehmen, kann das gewünschte Ziel nicht erreicht werden (Galuske, 2013, S. 51). Diese Unberechenbarkeit und Unsicherheit im Erfolg erschwert sicherlich die Wahrneh- mung von Sozialarbeitenden als professionelle Berufsgruppe. Gleichwohl bietet sie den Klient:innen einen Schutz gegenüber dem Normalisierungsauftrag der Sozialarbeitenden: Diese versuchen zwar unter Umständen, das Verhalten der Klient:innen gesellschaftlichen Normen anzupassen, sind aber in ihrer Macht durch die Abhängigkeit von den Klient:innen deutlich eingeschränkt. 1.3 Nutzen und Ziele methodischen Handelns Bei der Kategorisierung von Methoden der Sozialen Arbeit und der Frage nach ihrer jewei- ligen Nützlichkeit kann unterschieden werden zwischen Forschungs- und Handlungsme- thoden (Galuske, 2013, S. 36−37). Forschungsmethoden Forschungsmethoden können qualitativer oder quantitativer Art sein. Quantitative For- schung erfolgt beispielsweise durch Fragebögen und ist gekennzeichnet durch ein hohes Maß an Objektivität und Standardisierung. Qualitative Forschung ist weniger standardi- siert, sondern offener und tendenziell mehr an Einzelfällen orientiert (beispielsweise Inter- views) (Thonhauser, 2008, S. 37–38). 20 Forschungsmethoden gehören in den Zuständigkeitsbereich der Sozialen Arbeit als wis- senschaftliche Disziplin. Ihre Ziele liegen in der Generierung neuer Erkenntnisse oder der Überprüfung bestehender Theorien (Galuske, 2013, S. 36). So liefern Forschungsprojekte zum Beispiel wertvolle Informationen über Zielgruppen der Sozialen Arbeit, Probleme bestimmter Sozialräume oder über die Erfahrungen in der Anwendung von Methoden. Letztere Aufgabe wird auch als „Evaluation“ bezeichnet und ist bedeutsam, um die Wirkung von Handlungsmethoden zu erforschen. Wissen über die Wirkung bestimmter Interventionen benötigen Praktiker:innen der Sozialen Arbeit, um zu entscheiden, welche Methode für ihren jeweiligen Fall zielführend ist. Doch auch zur Begründung und Rechtfertigung bestimmter Maßnahmen gegenüber finanziellen Trägern ist Forschung, die evidenzbasierte Informationen über die Praxis liefert, unverzichtbar. Evidenzbasiert Dies bedeutet, dass Erkenntnisse auf empiri- Damit dienen Forschungsmethoden auch der Praxis, indem sie ihr ein theoretisches Fun- schen Untersuchungen dament bieten, sind aber selbst nicht direkt an praktischen Entscheidungen und Interven- basieren. tionen beteiligt (Galuske, 2013, S. 36). Handlungsmethoden Die Handlungsmethoden unterscheiden sich in ihren Zielen deutlich von den Forschungs- methoden der Sozialen Arbeit. Während Forschungsmethoden der wissenschaftlichen Dis- ziplin „Soziale Arbeit“ zuzuordnen sind, werden die Handlungsmethoden im Bereich der berufspraktischen Profession verortet. Ihr Wirkungsfeld liegt „mitten im Geschehen“, im direkten Kontakt mit und im Einfluss auf die Klient:innen, während Forschungsmethoden Erkenntnisse über diese Zusammenhänge liefern, ohne jedoch direkt zu intervenieren (Galuske, 2013, S. 36). Während also Forschungsmethoden der wissenschaftlichen Generierung von Erkenntnis- sen über die Aufgaben, Tätigkeitsfelder, Adressaten und weiteren Aspekte der Sozialen Arbeit dienen, werden Handlungsmethoden „von PraktikerInnen (z. B. der Sozialen Arbeit) verwendet, um ihre Intervention, ihr professionelles Handeln anzuleiten und abzusichern“ (Galuske, 2013, S. 36). Da die jeweiligen Aufgaben in der Praxis der Sozialen Arbeit sehr vielfältig sind, ist der Rah- men der Handlungsmethoden sehr viel weiter als der der Forschungsmethoden. Letztere werden stets mit dem Ziel, Theorien zu überprüfen oder neue Einsichten zu gewinnen, angewandt – sie sind spezialisiert darauf, wissenschaftliche Erkenntnisse zu schaffen. Handlungsmethoden hingegen dienen der konkreten Orientierung in der Berufspraxis, deren Aufgaben und Ziele deutlich vielfältiger sind: Die Bandbreite von Problemen für berufspraktisches Handeln von Sozialarbeitern ist größer: die Lösung von Erkenntnisproblemen dort, wo Sozialarbeiter diagnostisch tätig sind; darüber hinaus die Lösung von Entscheidungsproblemen, Verteilungsproblemen, Organisationsproblemen, usw. Methoden des Erkennens sind nur eine Teilmenge der Methoden des Handelns (Possehl, 1990, S. 265–266). 21 Auch Handlungsmethoden der Sozialen Arbeit beschäftigen sich folglich mit dem Gewinn von Erkenntnissen – nämlich in der diagnostischen Arbeit –, weshalb diese Aufgabe zwar die Forschungsmethoden kennzeichnet, aber nicht nur ihnen vorbehalten ist. Nutzen methodischen Vorgehens in sozialen Handlungsfeldern Nachdem die Abgrenzung zwischen Forschungs- und Handlungsmethoden erläutert wurde, soll nun der generelle Nutzen methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit dar- gestellt werden. Brigitta Michel-Schwartze spricht in diesem Zusammenhang von der „Funktion, Wieder- holbarkeit zu konstruieren“ (2012, S. 12) und thematisiert damit folgenden Aspekt: Das Profession methodische Vorgehen aller Professionen beruht auf der wiederholten Erfahrung mit Damit sind anerkannte bestimmten Handlungsweisen. Eine Blinddarmoperation erfolgt nach dem Schema, wel- Berufe gemeint, die spezi- fische Kriterien erfüllen, ches sich in einer großen Anzahl vorheriger Operationen bewährt hat. Lehrer:innen benut- wie ein hohes Ansehen, zen Unterrichtsmethoden, die bereits von vielen Kollegen erprobt und als zielführend ein eigenes wissenschaft- bewertet wurden. Dieses Lernen aus Erfahrung – wenngleich in der Arbeit mit Menschen liches Fachgebiet oder eine eigene Standesethik natürlich kein Fall mit vorhergehenden Fällen identisch ist – ist unverzichtbarer Bestand- (Müller, 2008, S. 955). teil professionellen Handelns. Die Erarbeitung und Anwendung von Methoden ermöglicht es, bestimmte Vorgehenswei- sen zu wiederholen und damit auch zu überprüfen, zu vergleichen und, wenn nötig, zu optimieren. Dieser Aspekt spielt auch für die Professionalisierung der Sozialen Arbeit eine große Rolle. So bedeutet methodisches Handeln nach Hiltrud von Spiegel, dass Sozialar- beitende „ihre Handlungen berufsethisch rechtfertigen, bezüglich ihrer fachlichen Plausi- bilität unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher und erfahrungsbezogenen Wissensbestände begründen und hinsichtlich ihrer Wirksamkeit bilanzieren“ (2013, S. 118). Galuske verweist außerdem auf die Reduktion von Komplexität, welche durch die orientie- rende Wirkung handlungsleitender Methoden erfolgt und damit Überforderung von Sozi- alarbeitenden, gerade angesichts der großen Bandbreite an Themen und Aufgaben, vor- beugt (Galuske, 2013, S. 58). Da methodisches Vorgehen in der Regel auch die Dokumentation von Handlungsschritten und -ergebnissen vorschreibt, fördert es zudem die Transparenz des Handelns Sozialer Arbeit (Wendt, 2017, S. 71), was sowohl für die Professionalisierung Sozialer Arbeit als auch für die Autonomie und Partizipation der Klient:innen vorteilhaft ist. Letztere profitieren darüber hinaus von methodischem Handeln, weil dieses dazu führt, dass Sozialarbeitende ihr eigenes Vorgehen bewusst reflektieren und damit auch mögli- che unerwünschte Wirkungen eher registrieren, als wenn sie rein emotionsgeleitet han- deln (Galuske, 2013, S. 58). 22 ZUSAMMENFASSUNG Für den Begriff „Methode“ existieren unterschiedliche Definitionsan- sätze. Die enge Definition versteht Methode als geplante Vorgehens- weise, mit der ein bestimmtes Ziel erreicht werden soll, wobei dieses nicht Teil des Zuständigkeitsbereiches der Methode ist. Im Gegensatz dazu betont das weite Methodenverständnis die wechselseitige Bezie- hung zwischen Methode und Ziel. Weitere Termini, die mit dem Begriff „Methode“ in Verbindung stehen, sind „Sozialform“ und „Arbeitsfeld“. „Sozialform“ meint die personelle Zusammensetzung, in welcher eine Methode angewandt wird. „Arbeits- feld“ bezeichnet den jeweiligen Aufgabenbereich oder Rahmen, in wel- chem Methoden zum Einsatz kommen. Im Hinblick auf das methodische Handeln in der Sozialen Arbeit sind einige Besonderheiten zu berücksichtigen. Eine dieser Besonderheiten ist, dass die Soziale Arbeit wenig spezialisiert ist. Hinzu kommt, dass die Soziale Arbeit im Gegensatz zu anderen Professionen über keine Tätig- keitsbereiche verfügt, für die sie allein verantwortlich ist. Sie arbeitet stets mit anderen Berufsgruppen zusammen. Ein weiteres Spezifikum der Sozialen Arbeit ist ihre Beschäftigung mit Problemen aus dem Alltag der Klient:innen. Daher sind Sozialarbeitende nicht selten mit der Frage konfrontiert, warum sie für die Lösung dieser Probleme besser geeignet sein sollten als lebenserfahrene Laien. Es bestehen allerdings gewichtige Differenzen zwischen Laien- und profes- sioneller Hilfe, aufgrund derer die beiden Bereiche einander sinnvoll ergänzen. Durch die Einbettung in bürokratische Zusammenhänge sowie die staat- liche Steuerung wird die Autonomie von Sozialarbeitenden stark einge- schränkt. Sie können sich nicht allein auf die Perspektive ihrer Kli- ent:innen einlassen, sondern haben stets auch den Auftrag, die Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Normen bei ihren Klient:innen zu fördern (Doppeltes Mandat). Diese scheinbare „Macht“ gegenüber den Klient:innen wird jedoch ein- geschränkt durch den Status der Klient:innen als Co-Produzent:innen sozialer Interventionen. Bei der Kategorisierung von Methoden kann zwischen Forschungs- und Handlungsmethoden differenziert werden. Während Handlungsmetho- den konkrete Orientierung in der Praxis bieten sollen, dienen For- schungsmethoden dem wissenschaftlichen Gewinn von Erkenntnissen über Themen und Fragestellungen der Sozialen Arbeit. 23 Grundsätzlich ist methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit unver- zichtbar. Der Nutzen liegt beispielsweise in der Überprüfbarkeit und Wiederholbarkeit bestimmter Vorgehensweisen, welche auch für die Professionalisierung der Sozialen Arbeit eine wesentliche Rolle spielen. Zudem erleichtern Methoden Sozialarbeiter:innen ihre Tätigkeit, indem sie Handlungssicherheit bieten, ordnen und Übersicht schaffen sowie Selbstreflexion fördern. 24 LEKTION 2 KRITISCHE FRAGEN AN DAS METHODISCHE HANDELN IN DER SOZIALEN ARBEIT LERNZIELE Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie wissen, … – welche besonderen Herausforderungen des methodischen Handelns mit den Begriffen „Autonomie“, „Individualität“ und„Technologiedefizit“ verbunden sind. – inwiefern Problemlösungsprozesse zirkulär sind. – inwiefern sich Soziale Arbeit und Therapie unterscheiden und überschneiden. – was sich hinter der Frage nach der Professionalisierung der Sozialen Arbeit verbirgt. – welche Rolle Handlungskompetenzen im Rahmen des methodischen Handelns einneh- men. 2. KRITISCHE FRAGEN AN DAS METHODISCHE HANDELN IN DER SOZIALEN ARBEIT Einführung So paradox es klingt, eine große Herausforderung des methodischen Handelns in der Sozi- alen Arbeit liegt darin, dass Sozialarbeitende mit Menschen arbeiten. Dies hat Folgen, wel- che in der vorliegenden Lektion thematisiert werden: Zum einen dürfen Sozialarbeitende nicht davon ausgehen, dass die Methodisierung des Handelns, also beispielsweise die genaue Ausführung einer Technik auch zum erwünschten Effekt führt. Menschen reagieren unterschiedlich auf Interventionen, sind eigenwillig und verfolgen mitunter ganz andere Ziele als die Sozialarbeitenden. Zum anderen dürfen methodische Abläufe, zum Beispiel das Phasenkonzept des Case Management, nicht zur Annahme führen, dass es in der Pra- xis entsprechend linear verlaufen wird. In der Praxis geht es unterwegs oftmals wieder zurück zum Anfang, wenn sich eine Intervention zum Beispiel als wenig hilfreich herausge- stellt hat und ganz neue Ziele gefunden werden müssen. Weitere kritische und nicht einfach zu beantwortende Fragen, welche im Kontext des methodischen Handelns gestellt werden, und welche ebenfalls in dieser Lektion themati- siert werden, betreffen die Grenzen zwischen Sozialer Arbeit und Therapie, den Professi- onsstatus der Sozialen Arbeit sowie die für Sozialarbeitenden wichtigen Kompetenzen. 2.1 Zur Methodisierbarkeit sozialen Handelns Autonomie und Individualität Der Einsatz von Methoden ist meist eng verbunden mit der Hoffnung, bestimmte Ziele mit größerer Sicherheit zu erreichen. Dies klingt zunächst vielversprechend, gleichwohl wird dieser Ansatz häufig kritisiert. Hintergrund dieser Kritik ist der Vorwurf einer „Machbar- keitsillusion“, die vorgibt, soziale Probleme durch Methoden kalkulierbar und auch über den Willen der Klient:innen hinweg lösen zu können (Galuske, 2013, S. 60). So werden viele Methoden mit dem Ziel eingesetzt, die Anpassung der Klient:innen an gesellschaftliche Normen (zum Beispiel Einhaltung bestimmter Verhaltensregeln, Auf- nahme einer geregelten Arbeit) zu fördern, ohne dass tatsächlich nach den Zielen der Kli- ent:innen gefragt wird (Galuske, 2013, S. 60–61). Einerseits wird in der Sozialen Arbeit und auch von Methodenbegründern wie Alice Salomon durchaus die Autonomie der Kli- ent:innen betont, andererseits geschieht dies selten innerhalb der Methoden selbst, son- dern eher in einer äußeren, ethischen Rahmung (Galuske, 2013, S. 61). 26 In der neueren Methodendiskussion wird die Selbstbestimmung der Klient:innen stärker Alice Salomon berücksichtigt – mit der Begründung, dass die Beachtung der Interessen der Klient:innen Die Wegbereiterin der modernen Sozialen Arbeit nicht nur ethisch, sondern auch ganz pragmatisch notwendig sei, da Interventionen, die lebte von 1872 bis 1948. dem Willen der Klient:innen widersprechen, meist erfolglos sind (Galuske, 2013, S. 62). Sie hat u. a. den Begriff der Sozialen Diagnostik geprägt. Letztlich sind also sowohl Ziel als auch Weg (Methode) der Intervention nie allein von den Sozialarbeitenden definierbar, sondern beides muss mit den Klient:innen abgestimmt werden. Mit dieser Erkenntnis geht auch die These des Technologiedefizits einher. Mit „Technologie“ ist in diesem Rahmen die Fähigkeit gemeint, bestimmte Objekte berechen- bar von einem Zustand in einen anderen zu formen (Galuske, 2013, S. 63). Diese Kompe- tenz besitzen erzieherische Interventionen per se nicht, da eine Person eine andere Per- son nicht gezielt und kalkulierbar verändern kann. Dies liegt aus Perspektive der Systemtheorie zum Ersten an der Selbstreferenzialität von Systemtheorie sozialen Systemen, d. h. menschliche Systeme „handeln primär im Interesse ihrer eigenen Sie umfasst unterschiedli- che theoretische Ansätze Bestandswahrung und Reproduktion“ (Galuske, 2013, S. 65–66). Zum Zweiten wählen diverser Disziplinen, wie Menschen – bewusst oder unbewusst – aus einer großen Vielfalt unterschiedlicher Reakti- zum Beispiel der Soziolo- onsmöglichkeiten, sodass vorher nicht zu ergründen ist, wie genau ein Mensch auf eine gie, die sich in der Sozia- len Arbeit seit den 1970er bestimmte Intervention reagieren wird (Galuske, 2013, S. 65). Das gleiche gilt auch für Jahren verstärkt etabliert noch komplexere Systeme, wie Familien oder Organisationen. Wie eine Intervention, etwa haben. Sie sind u. a. als Grundlage der Systemi- die Ankündigung einer Inobhutnahme, auf eine Familie wirkt, lässt sich nicht vorhersagen. schen Beratung als Hand- Zum Dritten ist bereits die Ebene der Beobachtung sehr subjektiv (Galuske, 2013, S. 66). So lungsmethode in der sind die Beobachtungen, auf deren Basis Sozialarbeitende Interventionen auswählen, nie- Sozialen Arbeit präsent. mals objektiv, sondern stets beeinflusst von den persönlichen Erfahrungen, Wertungen und Vorannahmen der jeweiligen Sozialarbeitenden. Des Weiteren wird das methodische Handeln zusätzlich durch die wachsende Pluralität von Lebensentwürfen begrenzt, da klare gesellschaftliche Zielvorgaben fehlen (Galuske, 2013, S. 69–70). Während noch vor einigen Jahrzehnten eindeutige Verhaltenserwartun- gen und gesellschaftliche Normen herrschten, ist unsere Gesellschaft heutzutage deutlich freier und gestattet Menschen eine individuellere Gestaltung ihres Lebens – was mehr Unabhängigkeit, aber auch mehr Eigenverantwortung und gelegentlich auch Überforde- rung bedeuten kann (Galuske, 2013, S. 69–71). Für die Soziale Arbeit bedeutet diese Unsi- cherheit aber auch eine Chance, die Orientierung an der Autonomie ihrer Klient:innen zu verstärken. Letztlich führen die Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem Technologiedefizit und der Unklarheit von Zielen zu dem Schluss, dass Methoden primär Sozialarbeitenden selbst dienen, und zwar in Form von „Kontrolle und Handhabung ihrer (unbeabsichtigten Neben-)Wirkungen, ihrer organisatorischen und institutionellen Settings, der Angstreduk- tion angesichts komplexer Anforderungen sowie der Bearbeitung des Status- und Professi- onalisierungsproblems“ (Galuske, 2013, S. 73). Methoden sollten demnach nicht als „Instrumente gezielter Verhaltens- und Persönlich- keitsveränderung der Klienten“ (Galuske, 2013, S. 73) betrachtet werden, sondern viel- mehr als unterstützende Orientierungsmuster für das Handeln von Sozialarbeitenden selbst. 27 Zirkularität von Problemlösungsprozessen Ein weiterer Aspekt, welcher beim Einsatz von Methoden zu berücksichtigen ist, ist die sogenannte „Zirkularität“ von Problemlösungsprozessen. Problemlösung ist laut Stimmer (2020, S. 37) ein „zirkulärer Prozess, d. h., dass Evaluation eine ständige Aufgabe im Gesamtverlauf ist und unter Umständen dazu führt, auch nach Beginn der Intervention wieder zur Problemanalyse zurückzukehren usw.“ Der Begriff der „Zirkularität“ verweist also darauf, „dass methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit nicht unilinear sein kann, sondern, dass es viele Schleifen gibt, Neuanfänge auf allen Stationen dieses Prozesses“ (Stimmer, 2020, S. 37). Methoden können den Anschein erwecken, als würden sie einen strukturierten, stets in eine Richtung weiter fortschreitenden Prozess ermöglichen – zum Beispiel im Rahmen der klassischen Methode der Einzelfallhilfe, welche Phasen wie Anamnese, Diagnose und Intervention definiert (Meinhold, 2012, S. 637). In der Praxis findet aber solch ein linearer Prozess selten statt. Vielmehr entstehen immer wieder Umwege, Sackgassen oder auch Rückschritte in einem Hilfeprozess. Möglicher- weise erweisen sich Vorgehensweisen, obwohl sie zwischen Sozialarbeitenden und Kli- ent:innen abgestimmt und einvernehmlich geplant wurden, als doch nicht kompatibel mit dem Alltag der Klient:innen, oder es entstehen unerwartete Veränderungen (zum Beispiel eine Schwangerschaft, eine Trennung o. Ä.), welche die gesamte Situation verändern. Sozialarbeitende sollten sich daher stets bewusst sein, dass Methoden, besonders in ihrer strukturellen Abfolge, nur eine sehr grobe Orientierung für die Praxis bieten können. Sozi- alarbeitende sollten Methoden flexibel anwenden – nicht als starres Schema, sondern als Grundlage –, die auf den je konkreten Fall individuell angepasst werden sollten. Auch die Bereitschaft, Beobachtungen, Diagnosen und gewählte Methoden immer wieder zu hinter- fragen und – wenn nötig – scheinbare Rückschritte in Kauf zu nehmen, ist vor dem Hinter- grund der Zirkularität ein wichtiger Aspekt des professionellen methodischen Handelns. 2.2 Professionsorientierte Aspekte der Methodenreflexion Soziale Arbeit und Therapie Menschen in belastenden Lebenssituationen erhalten häufig den Rat, Therapie oder Bera- tung in Anspruch zu nehmen. In Erziehungsberatungsstellen, Heimen, Kliniken und ande- ren Arbeitsfeldern arbeiten Psychotherapeut:innen und Sozialarbeitende häufig eng zusammen. Zudem bedient sich die Soziale Arbeit vieler Methoden, bei welchen die Gren- zen zwischen Therapie und Sozialer Arbeit häufig verschwimmen, zum Beispiel: Systemische Beratung/Therapie, Klientenzentrierte Gesprächsführung sowie Konfrontative Pädagogik. 28 Auch die Einzelfallhilfe mutet medizinisch-therapeutisch an, wenn von Anamnese oder Diagnose die Rede ist. Galuske spricht gar von einem „Psychoboom“ in der Sozialen Arbeit und verweist auf eine Befragung, laut der knapp 29 Prozent der teilnehmenden Sozialar- beitenden die Chance, den beruflichen Status durch therapeutische Zusatzausbildungen zu optimieren, für groß halten (Galuske, 2013, S. 135–136). Wie lässt sich diese Affinität der Sozialen Arbeit zur Therapie erklären? Galuske (2013, S. 136) erwähnt den deutlichen Statusunterschied – bezogen auf Vergütung und gesell- schaftliches Prestige – zwischen Sozialer Arbeit und Therapie. Außerdem bieten therapeu- tische Methoden oft sehr konkrete Erklärungsmodelle und Handlungsempfehlungen, wäh- rend die Soziale Arbeit tendenziell vager ist. Für Sozialarbeitende mag die klare Orientierung, welche therapeutische Methoden bieten, daher sehr verlockend sein (Galuske, 2013, S. 137). Als weitere Ursache für das Interesse von Sozialarbeitenden an therapeutischen Ansätzen wird die besondere psychische Belastung genannt, welcher Sozialarbeitende durch ihre Arbeit häufig ausgesetzt sind und aufgrund derer sie im Grunde in therapeutischen Model- len Entlastung und Hilfe für sich selbst suchen (Galuske, 2013, S. 137). Auf den ersten Blick weisen Soziale Arbeit und Therapie durchaus Gemeinsamkeiten auf, beispielsweise durch gemeinsame Arbeitsfelder (kinder- und jugendpsychiatrische Ein- richtungen, Beratungsstellen, Heime) oder das gemeinsame Ziel, die Lebenssituation der Klient:innen durch die jeweiligen Interventionen zu verbessern (Galuske, 2013, S. 137). Bei genauerer Betrachtung überwiegen jedoch deutlich die Unterschiede zwischen Thera- pie und Sozialer Arbeit. So richtet sich Therapie an Menschen mit psychischen Erkrankun- gen, während Soziale Arbeit potenziell alle Menschen anspricht, die Probleme in der Lebensbewältigung haben. Während Therapie Menschen im Umgang mit psychischen Lei- den anleitet, legt Soziale Arbeit eher den Schwerpunkt auf die Klärung von Problemen und das Erlernen von hilfreichen Bewältigungsfähigkeiten (Wendt, 2017, S. 46–47). Professionalisierung Immer wieder wird – gerade im Zusammenhang mit Methoden und Instrumenten – die Frage nach der Professionalisierung der Sozialen Arbeit gestellt. Galuske definiert Profes- sion als „eine spezielle Ausprägung beruflicher Tätigkeit, die mit einem besonders hohen Ansehen verbunden ist“ (2013, S. 125). Burkhard Müller (2012) nennt folgende Merkmale einer Profession: lange Ausbildung (Studium), eigenes wissenschaftliches Fachgebiet als Bezugssystem, hohes gesellschaftliches Prestige und hohe Vergütung, besonderer Schutz ihrer Tätigkeit vor fremden Einflüssen (zum Beispiel Unabhängigkeit der Richter:innen, ärztliche Schweigepflicht), eigene Standesethik und Monopol der Berufsausübung in ihrem Fachbereich. 29 Diese Kriterien orientieren sich an klassischen Professionen wie des Arztes bzw. der Ärztin oder des Rechtsanwaltes bzw. der Rechtsanwältin und treffen keinesfalls alle uneinge- schränkt auf die Soziale Arbeit zu. Dementsprechend wurde zu Beginn der Debatte die Frage nach dem Professionsstatus der Sozialen Arbeit häufig verneint – maßgeblich aus zwei Gründen (Galuske, 2013, S. 127): Die Soziale Arbeit verfüge über kein eigenes wissenschaftliches Bezugssystem, sondern bediene sich in ihrer Theorie und Wissenschaft anderer Fachgebiete, beispielsweise der Psychologie. Soziale Arbeit sei von rechtlichen und bürokratischen Strukturen abhängig und eng mit diesen verbunden und damit kein „freier Beruf“, sodass die Handlungsautonomie deut- lich geringer sei als bei Ärzt:innen oder Rechtsanwält:innen. Dieser Ansicht nach kann Soziale Arbeit höchstens als „Semiprofession“ gelten, die einige, aber nicht alle Kriterien einer Profession erfüllt. Allerdings hat sich zunehmend Kritik an derartigen klassischen Kriterien entwickelt. So sei die Relevanz und Notwendigkeit der genannten „klassischen“ Professionskriterien unklar – beispielsweise, ob Standesorganisationen ebenso wichtig seien wie die wissenschaftli- che Ausbildung und Fundierung der Tätigkeit (Galuske, 2013, S. 129). Des Weiteren wird kritisiert, dass die klassischen Professionen sich in deutlich anderen historischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen und daher unter gänzlich anderen Bedingungen entwickelt haben, als es für die Soziale Arbeit der Fall ist. Galuske (2013, S. 129) nennt als Beispiel die Profession der Rechtsanwältin bzw. des Rechtsanwaltes, wel- che heutzutage in der öffentlichen Verwaltung durchaus auch an bürokratische Vorschrif- ten gebunden ist oder die des Arztes, der im Krankenhaus ebenfalls nicht autonom han- delt. Ob also der „freie Beruf“ tatsächlich aktuell noch ein sinnvolles Professionskriterium ist, erscheint vor diesem Hintergrund fragwürdig. Einen weiteren Standpunkt zum Thema „Professionalisierung“ stellt die Ansicht dar, dass Soziale Arbeit gar keine Professionalisierung anstreben sollte, da sie dadurch ihre Kli- ent:innen entmündigen würde (Galuske, 2013, S. 129). Das besondere Wissen und die besondere gesellschaftliche Stellung, die mit einer Profession einhergehen, würden eine Interaktion von Sozialarbeitenden und Klient:innen auf Augenhöhe ausschließen und daher die Autonomie der Klient:innen einschränken. So wie Ärzt:innen die Krankheiten ihrer Patient:innen behandeln, würden auch Sozialarbeitende dann die Probleme der Kli- ent:innen lösen, statt Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Der Frage nach dem Professionsstatus gewissermaßen vorgeordnet ist die Frage, ob die soziale Arbeit überhaupt professionalisierungsbedürftig ist. Professionalisierungsbedürf- tig „ist eine Tätigkeit, die mit hoher Erfolgswahrscheinlichkeit nur von Personen ausgeübt werden kann, welche über einen wissenschaftlich abgestützten professionellen Habitus verfügen, der sie befähigt, auch in Situationen ohne klare Vorgaben unabhängig, sachge- recht und menschendienlich zu handeln und dafür über wissenschaftlich geprüfte Orien- tierungsinstrumente verfügen“ (Müller, 2008, o. S.). 30 Sozialarbeitende durchlaufen eine wissenschaftliche Ausbildung und stehen in der Praxis vor genau der Herausforderung, die oben genannt wurde: auch ohne konkrete Anweisun- gen handlungsfähig zu sein und mithilfe der Kenntnisse aus ihrer wissenschaftlichen Aus- bildung situativ angemessen zu entscheiden. Dieser Ansicht ist auch Müller (2008, o. S.), wenn er postuliert: Es ist kaum zu bestreiten, dass in diesem Sinne Soziale Arbeit professionalisierungsbedürftig ist. Der Begriff des Habitus verweist darauf, dass es in ihren Feldern weder genügt, wissenschaftliche Erkenntnisse rezeptartig anwenden zu können, noch genügt, über eine rein praktische Ausbil- dung den Habitus eines Handwerkers erworben zu haben, der seine Berufsroutinen beherrscht. Professionell kann Soziale Arbeit vielmehr nur dann genannt werden, wenn sie zwar auch ihr Handwerkszeug beherrscht (durch praktische Erfahrung, Gesetzeskenntnisse, methodisches know how [sic] etc.), zugleich aber fähig ist, wie Alice Salomon einst sagte, ,Verschiedenes für ver- schiedene Menschen zu tun‘, d. h. Routinen zu verlassen, unorthodoxe Lösungen zu finden, gegen mächtige andere Interessen standfest zu sein, zu enge Handlungsspielräume mit Geduld und Geschick auszubauen etc. Der Anspruch der Sozialen Arbeit, sich zu professionalisieren, ist also klar ersichtlich und gut begründbar. Handlungskompetenz Während die Professionalisierungsbestrebungen der 1970er-Jahre zu einem großen Teil mit dem Wunsch nach mehr gesellschaftlichem Ansehen und besserer Bezahlung, also der eigenen beruflichen Position von Sozialarbeitenden einhergingen, entstand in den 1980er- Jahren eine vermehrte Beschäftigung mit der Frage nach der sogenannten Handlungs- kompetenz der Sozialen Arbeit. Diese verweist weniger auf die Positionierung der Berufs- gruppe, sondern vielmehr auf die Frage, ob Sozialarbeitende ausreichend Wissen und Können sowie angemessene persönliche Eigenschaften besitzen, um die Aufgaben ihres Berufes wirkungsvoll zu erfüllen (Galuske, 2013, S. 130). Diese Frage kann als Variante der Professionalisierungsdebatte betrachtet werden, die jedoch ihren Fokus „von dem Ver- gleich mit klassischen Professionen zu den eigenen Handlungsbedingungen und Hand- lungsmöglichkeiten lenkt“ (Galuske, 2013, S. 131). Es wird also analysiert, welche Eigenschaften, Kenntnisse und Fähigkeiten Handlungsfel- der der Sozialen Arbeit erfordern. Nieke (1981, S. 17) benennt die folgenden: Wahrnehmungskompetenz: die Fähigkeit, auf der Grundlage von Wissen Situationen angemessen zu interpretieren; Interaktions- und Kommunikationskompetenz: zum Beispiel Empathie, angemesse- nes Rollenverstehen und -handeln, sprachliche Ausdrucksfähigkeit sowie Reflexionskompetenz: analytisches, (selbst-)kritisches Denken. Staub-Bernasconi hingegen unterscheidet zwischen folgenden Handlungskompetenzen beziehungsweise Handlungswissen (2004, S. 27–62): 31 Gegenstandswissen: Die Fähigkeit, ein Anliegen in raumzeitlicher Hinsicht zu verstehen (beispielsweise: Woraus genau besteht das Problem? Welche Ereignisse in welcher Rei- henfolge haben zu dem Problem geführt? Inwiefern spielen kulturelle und geografische Bedingungen eine Rolle?). Erklärungswissen: Die Kompetenz, die Entstehung und Aufrechterhaltung oder Verän- derung eines Problems zu verstehen (beispielsweise Motive der beteiligten Personen einschätzen). Wert- oder Kriterienwissen: Das philosophisch-ethische Wissen, das die Einordnung und Beurteilung eines Problems sowie die Entwicklung wünschenswerter Veränderun- gen und Ziele ermöglicht. Verfahrens- oder Veränderungswissen: Die Kenntnisse darüber, wie problematische Situationen positiver gestaltet und verändert werden können. Funktionswissen: Das empirische Wissen darüber, welche Interventionen welche Ergebnisse erzielen (beispielsweise: Wie kann eine bestimmte Situation wirkungsvoll verändert oder stabilisiert werden?). Die Vermittlung von Handlungskompetenz kann dabei nicht in Form konkreter Handlungs- regeln erfolgen, sondern nur als reflexives, grundlegendes Wissen, welches Sozialarbei- tende dann individuell auf die jeweilige Situation und ihre spezifischen Erfordernisse anpassen müssen (Galuske, 2013, S. 132–133). Wenngleich die breite Thematisierung der Handlungskompetenz recht schnell wieder endete, trug sie doch gemeinsam mit der frü- heren Professionalisierungsdebatte dazu bei, die Strukturen und Handlungslogiken der Sozialen Arbeit zu beleuchten und legte damit ein hilfreiches Fundament für die Entwick- lung professionstauglicher Methoden. ZUSAMMENFASSUNG Die vorliegende Lektion thematisiert grundsätzliche Kritikpunkte an der Methodisierbarkeit sozialen Handelns sowie professionsbezogene Fra- gen der Methodisierung des Handelns in der Sozialen Arbeit. Methoden wecken leicht den Eindruck, als ermögliche ihr Einsatz einen vorhersehbaren, kalkulierbaren Hilfeprozess – einen planbaren Weg zu einem konkreten Ziel. Tatsächlich ist dies aber nicht möglich, da der Eigensinn und die Autonomie der Klient:innen den praktischen Verlauf eines Hilfeprozesses bestimmen und nicht vorhergesehen werden kön- nen. Eng verknüpft mit dieser Tatsache ist das sogenannte Technologiedefi- zit, welches besagt, dass soziales Handeln Personen oder Situationen nicht gezielt und verlässlich verändern kann. Eine weitere Problematik des methodischen Handelns ist die Zirkularität von Problemlösungsprozessen: Methoden beschreiben eine feste lineare Abfolge von Handlungsschritten, an deren Ende das Ziel steht. In der Praxis jedoch verlaufen Hilfeprozesse in der Regel nicht linear, sondern 32 weisen Umwege, Rückschritte und Neubeginne auf. Hierin unterscheidet sich die Soziale Arbeit auch von der Therapie, die häufig stärker linear arbeitet und arbeiten kann. Die Grenzen zwischen Therapie und Sozialer Arbeit jedoch sind Laien, gelegentlich auch Fachleuten, nicht immer bewusst und scheinen in einigen Bereichen zu verschwimmen. Dennoch existieren deutliche Unterschiede zwischen diesen Bereichen, da Thera- pie psychische Leiden behandelt und damit psychisch erkrankte Men- schen zur Zielgruppe hat, während Soziale Arbeit sich an potenziell alle Menschen wendet, die bestimmte Fragen oder Probleme bezüglich ihrer Lebensbewältigung haben. Auch die Vorgehensweisen von Therapie und Sozialer Arbeit sind unterschiedlich. Die hohe Attraktivität psychotherapeutischer Ansätze hängt auch mit der schwierigen Professionalisierung der Sozialen Arbeit zusammen. Wenngleich die Verberuflichung gelungen ist, wird der Status der Sozia- len Arbeit als Profession nach wie vor diskutiert, da sie nicht alle Krite- rien einer klassischen Profession erfüllt. Allerdings kann hinterfragt wer- den, ob diese Maßstäbe noch zeitgemäß sind. Während die Professionsdebatte vor allem den Status der Sozialen Arbeit im Blick hat, fokussiert der Diskurs über die Handlungskompetenz auf die Eignung und Fähigkeiten von Sozialarbeitenden, um die Heraus- forderungen ihres Berufes erfolgreich bewältigen zu können. Beide Debatten sind wichtige Grundlagen für ein Verständnis des methodi- schen Handelns in der Sozialen Arbeit. 33 LEKTION 3 DIE KLASSISCHEN METHODEN LERNZIELE Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie wissen, … – welche drei Methoden in der historischen Entwicklung des methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit im Vordergrund standen. – was die klassische Gemeinwesenarbeit auszeichnet. – was die klassische Soziale Gruppenarbeit in der Sozialen Arbeit kennzeichnet. – was die Einzelfallhilfe in ihrer „Urform“ ausmacht. – wo Errungenschaften und Kritikpunkte dieser klassischen Methoden liegen. 3. DIE KLASSISCHEN METHODEN Einführung In der Vergangenheit der Sozialen Arbeit – damals verstanden als Sozialarbeit oder Sozial- pädagogik – wurde das methodische Handeln weniger differenziert betrachtet als heute. Die heute vorhandenen vielfältigen Konzepte, Methoden und Techniken standen noch nicht zur Verfügung und mussten sich erst noch entwickeln. Unterschieden wurden lange Zeit ausschließlich die drei Methoden der Gemeinwesenarbeit, Einzelfallhilfe und Sozialen Gruppenarbeit. Sie alle sind heute theoretisch und auch in der Praxis noch relevant, wur- den jedoch umfangreich erweitert, in Teilen revidiert oder umfangreich ergänzt. Zum Bei- spiel haben sich heute in Ergänzung zum klassischen Ansatz der Einzelfallhilfe zahlreiche Methoden der Beratung, wie die Systemische Beratung, etabliert. Aufgrund dieser Ausdif- ferenzierung des methodischen Handelns wurde daher überwiegend dazu übergegangen, die ehemals klassische Methodenunterteilung heute als Unterscheidung der Sozialformen zu verstehen. Zum Beispiel wurde aus der Methode der Einzelfallhilfe die Sozialform „Arbeit mit Einzelnen“, die dann u. a. mit den unterschiedlichen Methoden der Beratung konkret gefüllt werden kann. Dennoch bieten die klassischen Methodenverständnisse der Sozialen Arbeit, Einzelfallhilfe und Gemeinwesenarbeit für die heutige Praxis wichtige Reflexionsgrundlagen und hilfreiche Instrumente, und unterstützen ein Verständnis der heutigen Methodenvielfalt und sollen daher im Folgenden näher erläutert werden. 3.1 Gemeinwesenarbeit Der auch heute in der Praxis der Sozialen Arbeit noch praktizierte Ansatz der Gemeinwe- Gemeinwesenarbeit senarbeit gehört zu den drei klassischen Methoden der Sozialen Arbeit und hat seine Wur- Sie gilt als eine der klassi- zeln sowohl in England als auch in den USA: schen Methoden der Sozi- alen Arbeit und zielt im Kern auf die Optimierung Durch gemeinschaftliche Hilfe strebte das Ehepaar Barnett in London in den 1870er- und der Lebensbedingungen 80er-Jahren eine Verbesserung der Lebenssituation der Arbeiter an, und in der Toynbee von Menschen innerhalb eines sozialen Raumes. Hall, einer Außenstelle der Universität von Oxford, sollten Studierende im Umgang mit armen Menschen Felderfahrung sammeln und kulturelles sowie fachliches Wissen an die Bevölkerung der Armenviertel vermitteln (Wendt, 2017, S. 296). 1889 gründete Jane Addams in Chicago das Hull House, einen Treffpunkt für die verarmte, oft verwahrloste Bevölkerung des Stadtviertels Near Westside. Durch Nachbarschaftshilfe und Hilfe zur Selbsthilfe durch gebildete und engagierte Frauen sowie Bildungs- und Kul- turangebote leistete das Hull House Unterstützung bei der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Wendt, 2017, S. 297). Grundsätzlich zielt Gemeinwesenarbeit auf die „Verbesserung der Lebensbedingungen in Sozialen Räumen im Sinne der dort lebenden Menschen“ (Lüttringhaus, 2011, S. 263) sowohl durch die Arbeit vor Ort mit den Bewohnern als auch durch die Kooperation mit Politik, Verwaltung und Wirtschaft (Lüttringhaus, 2011, S. 263). 36 Gemeinwesenarbeit schließt zwar in der Praxis die Beratung Einzelner nicht aus, sondern integriert sowohl Gruppen als auch Einzelfallarbeit, jedoch verwirft sie eine „Individuali- sierung sozialer Probleme und nimmt diese aus einer gesellschaftlichen Perspektive wahr“ (Galuske, 2013, S. 106). Hauptfokus ist stets das Gemeinwesen und seine Wirkung auf den oder die Einzelne:n, was heute meist als Sozialraum bezeichnet wird. In Deutschland gewann die Gemeinwesenarbeit erst in den 1960er-Jahren im Zuge der Studentenbewegung und der Wirtschaftskrise zunehmend Aufmerksamkeit, wobei sich zwei unterschiedliche Verständnisse von Gemeinwesenarbeit gegenüberstanden (Wendt, 2017, S. 298–299): Bewahrende Konzepte: Demnach sollte Gemeinwesenarbeit die Integration von Men- schen in die Gesellschaft verbessern. Die Gesellschaft an sich wurde nicht als problema- tisch oder veränderungsbedürftig eingestuft, weshalb diesem Ansatz auch teilweise vor- geworfen wurde, dass er weniger die Stärkung von Menschen, sondern nur deren Anpassung an bestehende Normen bewirke. Verändernde Konzepte: Diese Form der Gemeinwesenarbeit kann auch als systemkri- tisch oder als „aggressive Gemeinwesenarbeit“ definiert werden. Ihr Ziel war die Verän- derung der vorhandenen gesellschaftlichen Strukturen und Machtverhältnisse durch politische Einmischung und Aufbegehren der Bürger:innen. Dabei sollten Sozialarbei- tende die Bürger:innen durch Informationen, Beratung und Aktivierung unterstützen. Galuske (2013, S. 107–110) differenziert darüber hinaus auch im Hinblick auf heutige Ansätze der Arbeit im Gemeinwesen/Sozialraum: 1. wohlfahrtsstaatliche Ansätze der Gemeinwesenarbeit, welche primär das Ziel einer besseren Ausstattung von Sozialräumen haben und weniger die politische Akti- vierung; 2. integrative Ansätze der Gemeinwesenarbeit, welche es zum Ziel haben, die in einem Sozialraum vorhandenen Bedürfnisse zu erheben und diese mit den zur Verfü- gung stehenden Mitteln zu befriedigen, indem Mittel aktiviert oder anders verteilt wer- den; 3. aggressive Ansätze der Gemeinwesenarbeit, welche es zum Ziel haben, die gesell- schaftlichen Rahmenbedingungen im Sinne der Menschen zu verändern; 4. katalytische/aktivierende Ansätze der Gemeinwesenarbeit, welche die Zielrichtun- gen der anderen Ansätze zu verbinden suchen. Es geht dementsprechend um die bedürfnisorientierte Veränderung von Sozialräumen und zugleich um einen Prozess der Veränderung der Rahmenbedingungen. Der Hilfeprozess der klassischen Gemeinwesenarbeit, insbesondere wohlfahrtsstaatlicher und integrativer Ansätze, kann in folgende Phasen strukturiert werden (Galuske, 2013, S. 110): Erkundungsphase: Prüfung der Durchführbarkeit des Projekts und Wecken von Auf- merksamkeit im Sozialraum; Diagnostische Phase: genaue Problemanalyse und Entwicklung von Lösungsideen; Planung: konkrete Planung eines Lösungsweges durch Diskussion verschiedener Mein- ungen und Zusammentragen von Informationen; 37 Aktion: Durchführung des Plans. Sozialarbeitende übernehmen in der Gemeinwesenarbeit unterschiedliche Rollen, welche folgendermaßen spezifiziert werden können (Galuske, 2013, S. 111–112): Leiter:in: Übernahme von Verantwortung für die jeweiligen Vorhaben, Initiation und Überwachung von Prozessen. Befähiger:in: Unterstützung der Bewohner hinsichtlich ihrer Fähigkeit, eigene Bedürf- nisse auszudrücken, solidarisch zu sein und angemessen miteinander umzugehen. Sachverständige:r: Recherche und Vermittlung von relevanten Informationen, zum Beispiel Forschungsergebnisse, technisches Wissen etc. Sozialtherapeut:in: Analyse und Hilfe beim Abbau von Störungen des Gemeinwesens durch Vorurteile und Konflikte. 3.2 Einzelfallhilfe Allgemein kann Einzelfallhilfe mit Wendt (2013, S. 227) folgendermaßen definiert werden: Einzelfallhilfe „bezeichnet unspezifisch den Handlungsbereich der direkten Sozialen Arbeit mit einzelnen Menschen. Die Betonung liegt hier auf der dienstlichen ,Hilfe im Ein- zelfall‘. Als spezifischer Begriff bezeichnet Einzelfallhilfe die professionelle Arbeitsform (Methode im Sinne einer planmäßigen Vorgehensweise) in personenbezogenen Sozial- diensten“. Entwickelt wurde die Methode der Einzelfallhilfe ursprünglich von Mary Richmond, welche 1917 in den USA das Buch „Social Diagnosis“ veröffentlichte. Ihr Werk bot Sozialarbeiten- den erstmalig Vorschläge zu einer systematischen Handlungsmethode, um sich so von ehrenamtlichen Laien abgrenzen zu können (Meinhold, 2012, S. 635). Besonderes Augen- merk legte Richmond dabei, wie bereits der Titel ihres Buches vermuten lässt, auf die sogenannte Diagnose, welche die Problemlage und Hilfsbedürftigkeit von Klient:innen analysieren soll. Trotz dieser medizinischen Begrifflichkeiten, welche heute in der Sozialen Arbeit eher vorsichtig genutzt werden, finden sich in Richmonds Ansätzen bereits viele Gedanken und Prinzipien des Handelns, die auch aktuell eine große Rolle spielen, bei- spielsweise „Hilfe zur Selbsthilfe“ oder „Ressourcenerschließung“ (Meinhold, 2012, S. 635). In Deutschland wurde Richmonds Werk vor allem durch Alice Salomon aufgegriffen, wel- che 1926 das Buch „Soziale Diagnose“ veröffentlichte und sich damit direkt auf Rich- monds „Social Diagnosis“ bezog. Während dieser Phase der Einzelfallhilfe wurden Sozial- arbeitende als soziale Ärzt:innen betrachtet, und die Erkenntnis, dass Klient:innen die Expert:innen ihrer eigenen Lebenswelt sind, stand noch aus (Meinhold, 2012, S. 637). Fol- gende Vorgehensweise prägten die Einzelfallhilfe in ihren Anfängen (Meinhold, 2012, S. 637–638): Anamnese: Die Hilfebedürftigen schildern ihre Situation, wobei Probleme nur in ihrer Symptomatik und nicht in ihrer eigentlichen Ursache oder „sozialen Erkran- kung“erkannt werden. 38 Soziale Untersuchung: Die wechselseitige Beeinflussung der Persönlichkeit der Kli- ent:innen und ihres Umfeldes und seine generelle Vernetzung (beruflich, familiär etc.) werden analysiert. Soziale Diagnose und Prognose: In diesem Schritt werden alle „Behandlungsnotwen- digkeiten“ aus finanzieller, pädagogischer und gesundheitlicher Sicht zusammengetra- gen und der zu erwartende Behandlungserfolg prognostiziert. Während Meinhold die Prognose betont, hängt diese aber auch eng mit der Diagnose als der zusammenfassen- den Problembeschreibung zusammen. Soziale Therapie: Diese soll die ökonomische Selbstständigkeit und eigenverantwortli- che Lebensführung der Klient:innen wiederherstellen beziehungsweise stärken, was nur gelingen kann, wenn die Hilfesuchenden mitwirken. Der Nationalsozialismus bewirkte dann eine Zäsur in der Entwicklung der Sozialen Arbeit, welche auch durch die Mittäterschaft bei der Verfolgung sogenannten „lebensunwerten Lebens“ (beispielsweise Menschen mit Behinderungen) geprägt war (Meinhold, 2012, S. 638). Und erst nach dem Zweiten Weltkrieg blühte die Einzelfallhilfe in Deutschland dann erneut auf. Deutsche Sozialarbeitende lernten in den USA die damals vorherr- schende Methode der Einzelfallhilfe kennen, welche stark von der Psychoanalyse sowie der Klientenzentrierten Gesprächsführung nach Carl Rogers beeinflusst war. Im Fokus Klientenzentrierte stand die helfende Beziehung und das Ziel der Veränderung von individuellen Eigenschaf- Gesprächsführung Sie ist ein auf humanisti- ten und Verhaltensweisen der Klient:innen (Meinhold, 2012, S. 638). schen Grundannahmen fußendes Konzept der Seit 1970 wurden, u. a. angeregt durch Marianne Hege, die Wechselwirkungen zwischen Gesprächsführung, wel- ches sowohl in berateri- sozialen, psychischen und ökonomischen Aspekten sowie institutionelle Zwänge der Sozi- schen, als auch in thera- alarbeitenden in den Blick genommen. Durch die starke Konzeption familientherapeuti- peutischen Kontexten zur Anwendung kommt. scher Ansätze in der Sozialen Arbeit war die Einzelfallhilfe auch in dieser Zeit weiterhin sehr therapeutisch orientiert (Meinhold, 2012, S. 639). Die 1970er-Jahre läuteten allerdings auch eine kritische Auseinandersetzung mit der Ein- zelfallhilfe ein. Zunächst wurden vor allem unklare Begrifflichkeiten und die fehlende Beachtung der Kontexte der Klient:innen kritisiert und seit 1980 wurde die Methode dann selbst hinterfragt. So lege die Arbeit im Rahmen der Einzelfallhilfe bereits von vornherein fest, dass mit Einzelnen höchstens unter Einbezug ihrer Familienmitglieder gearbeitet wird. Dies sei eine ungünstige Verengung, da die Anlässe von Klient:innen durchaus auch die Arbeit mit ihrem Sozialraum erforderlich machen können (Meinhold 2012, S. 640). Generell vernachlässige die Perspektive der Einzelfallhilfe die heute anerkannte Aufgabe der Sozialen Arbeit, Probleme Einzelner in öffentliche Themen zu übertragen, die sozial- politischer und wirtschaftlicher Lösungen bedürfen (Meinhold, 2012, S. 640). Eng verbunden mit der Kritik an der Einzelfallhilfe ist die „Fall-Feld-Diskussion“, welche zwischen fall- und feldbezogener Sozialer Arbeit differenziert. Fallbezogenes Vorgehen, das bis heute die Soziale Arbeit dominiert, fokussiert primär Einzelne und deren Familien- angehörige. Feldbezogene Arbeit konzentriert sich dagegen vor allem auf den Sozialraum und schafft dort Vernetzungen, Selbsthilfegruppen, Bürgerinitiativen etc., welche in der Fallarbeit, die natürlich auch stattfindet, hilfreich sein können. Meinhold betont die Vor- züge feldbezogenen Arbeitens: 39 Die Vorteile feldbezogener Arbeitsweisen bestehen darin, dass sich immer mehr Handlungsmög- lichkeiten für die Sozialarbeit eröffnen, als wenn der Blick auf den Einzelnen beschränkt bleibt. Indem die SozialarbeiterInnen auch jene Menschen in die Arbeit einbeziehen, die den Einzelfall mit Forderungen oder Mängeln belasten, entsteht in diesen Bereichen allmählich ein Bewusst- sein für die Schwierigkeiten von benachteiligten Bevölkerungsgruppen, welches präventiv auch Menschen in vergleichbaren Lebenslagen zugutekommen könnte (Meinhold, 2012, S. 640–641). Dennoch sind die Systeme der Sozialen Dienste, in welchen Soziale Arbeit fungiert, nach wie vor fallorientiert, sodass wenig finanzielle und zeitliche Ressourcen für feldbezogene Arbeit zur Verfügung stehen (Meinhold, 2012, S. 641). 3.3 Soziale Gruppenarbeit Auch die Soziale Gruppenarbeit gehört zu den drei klassischen Methoden der Sozialen Arbeit. Dennoch ist sie auch heute noch sehr präsent in Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit. Michael Behnisch und Gudrun Maierhof (2020, o. S.) definieren sie wie folgt: Soziale Gruppenarbeit bildet neben der Einzelfallhilfe und der Gemeinwesenarbeit eine der drei klassischen Methoden beziehungsweise Arbeitsformen der Sozialen Arbeit und meint die päda- gogische und sozialarbeiterische Tätigkeit mit Adressat*innen Sozialer Arbeit in professionell gestalteten Gruppenzusammenhängen. Im Rahmen dieser Methode wird die soziale Gruppe zum Ort und Medium von Hilfe und Unterstützung sowie von Erziehungs- und Bildungsprozessen. Ihre Wurzeln liegen in unterschiedlichen Strömungen, beispielsweise der Jugendbewe- gung und der Reformpädagogik (Wendt, 2017, S. 233). Eine maßgebliche Rolle für ihre Etablierung als Methode der Sozialen Arbeit spielten zudem die Forschungen zur Grup- pendynamik von Kurt Lewin. Dieser erforschte in den 1930er-Jahren in den USA die Dyna- mik von Kleingruppen und lieferte wertvolle Erkenntnisse über den Einfluss von Führungs- stilen der Gruppenleitung auf die Entwicklung der Gruppe. Soziale Gruppenarbeit findet heute in allen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit statt, was die Aktualität dieser klassischen Methode zeigt, zum Beispiel sowohl in wenig problembe- lasteten beziehungsweise eher freizeitorientierten Kontexten wie Jugendverbänden oder der Erwachsenenbildung als auch im Rahmen sozialer Interventionen für sozial benachtei- ligte Menschen. Entsprechend reicht sie heute „in diesem Verständnis weit über die nach § 29 SGB VIII (Sozialgesetzbuch Achtes Buch) kodifizierte soziale Gruppenarbeit mit Kindern und Jugendlichen hinaus“ (Benisch & Maierhof, 2020, o. S). Grundsätzlich war und ist Soziale Gruppenarbeit verbunden mit dem Anspruch, „dass Anliegen und auch Notlagen nicht nur individualisiert angegangen, sondern in Gruppen kollektiv einer Lösung (Bewältigung) zugeführt werden können. Dabei nutzt sie die Res- sourcen der Vielen“ (Wendt, 2017, S. 233). Die Interaktion mit anderen soll wertvolle Lernerfahrungen und neue Anregungen bieten und auf diese Weise die Entwicklung und Problembewältigung der Einzelnen fördern (Wendt, 2017, S. 233). 40 Je nachdem, welcher aktuelle Ansatz der Gruppenarbeit heute genutzt wird, unterschei- den sich die notwendige Qualifikation der Leitung, die Rollen und auch Aufgaben der Lei- tung sowie die vorgesehenen Entwicklungsverläufe der Gruppenprozesse. Die folgende Darstellung skizziert zentrale Theoriebestände der klassischen Sozialen Gruppenarbeit, die noch heute als gültig betrachtet, aber nicht in allen Ansätzen genutzt werden, bezie- hungsweise z. T. ersetzt, modifiziert oder differenziert werden. Soziale Gruppenarbeit benötigt, so Galuske (2013, S. 97), unbedingt eine in gruppendyna- mischem Wissen geschulte Leitung. Nur unter dieser Voraussetzung könne bei einem Gruppenangebot von Sozialer Gruppenarbeit die Rede sein. Als Aufgabe der Leitung beschreibt Wendt folgende Funktionen (2017, S. 233): Motivator:in (entwicklungsfördernde Anregungen bieten), Moderator:in (Vermittlung, beispielsweise bei Unstimmigkeiten in der Gruppe), Hilfs-Ich (Einnahme verschiedener Rollen, beispielsweise als Gegenüber von Einzelnen in bestimmten Prozessen) und Kontrolleur:in (Einhalten von Gruppenregeln sicherstellen). In diesen Funktionen begleitet und unterstützt die Leitung die Gruppe in ihren verschiede- nen Entwicklungsstufen. Diese können idealtypisch wie folgt beschrieben werden (Wendt, 2017, S. 245–246): Forming (Gründungsphase: Zusammenfinden der Gruppe), Storming (Streitphase: Diskussion der jeweiligen Erwartungen und Ziele), Norming (Vertragsphase: Bestimmung von Gruppenregeln), Performing (Arbeitsphase: Arbeiten an der gemeinsamen Aufgabe; hier verhält sich die Leitung möglichst passiv und hilft gegebenenfalls inhaltlich) sowie Re-Forming (Bilanzphase: Umgang mit sich unterschiedlich entwickelnden Interessen). Bezüglich des Führungsstils kann unterschieden werden zwischen folgenden idealtypi- schen Ausprägungen (Wendt, 2017, S. 246): autoritärer Stil (strenge Kontrolle), Laissez-faire-Stil (passives, nachgiebiges Verhalten), demokratischer Stil (die Gruppe hat Mitspracherecht und die Leitung versucht, sich zunehmend entbehrlich zu machen) sowie Führung durch die Gruppe (Abgabe der Führungsaufgabe an die Gruppe selbst). Um Lernprozesse innerhalb einer Gruppe zu fördern, existieren diverse Techniken der Sozialen Gruppenarbeit, beispielsweise soziometrische Verfahren (Analyse der wechsel- seitigen Beziehungen in Gruppen, u. a. durch Fragebögen), Gesprächstechniken, Brainstor- ming, Rollenspiele, Podiumsgespräche und Interaktionsspiele (Galuske, 2013, S. 100–101). 41 3.4 Errungenschaften und Kritik Die Studenten- und Sozialarbeiterbewegung lösten ab Ende der 1960er-Jahre zuneh- men

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