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user experience interaction design digital interfaces design theory

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USER EXPERIENCE DLBMIUEX01 USER EXPERIENCE IMPRESSUM Herausgeber: IU Internationale Hochschule GmbH IU International University of Applied Sciences Juri-Gagarin-Ring 152 D-99084 Erfurt Postanschrift: Albert-Proeller-Straße 15-19 D-86675 Buchdorf media@iu....

USER EXPERIENCE DLBMIUEX01 USER EXPERIENCE IMPRESSUM Herausgeber: IU Internationale Hochschule GmbH IU International University of Applied Sciences Juri-Gagarin-Ring 152 D-99084 Erfurt Postanschrift: Albert-Proeller-Straße 15-19 D-86675 Buchdorf [email protected] www.iu.de DLBMIUEX01 Versionsnr.: 001-2023-0726 N. N. © 2022 IU Internationale Hochschule GmbH Dieses Lernskript ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Lernskript darf in jeglicher Form ohne vorherige schriftliche Genehmigung der IU Internationale Hochschule GmbH (im Folgenden „IU“) nicht reproduziert und/oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet wer- den. Die Autor:innen/Herausgeber:innen haben sich nach bestem Wissen und Gewissen bemüht, die Urheber:innen und Quellen der verwendeten Abbildungen zu bestimmen. Sollte es dennoch zu irrtümlichen Angaben gekommen sein, bitten wir um eine dement- sprechende Nachricht. 2 PROF. DR. KATHARINA BREDIES Frau Bredies vertritt die Professur für Interaktionsdesign an der IU Internationale Hoch- schule. Ihre Schwerpunkte liegen in den Bereichen Designtheorie und -methodik, der Kon- zeption und Gestaltung digitaler Interfaces sowie der Entwicklung neuer Benutzerschnittstel- len mit innovativer Technologie. Frau Bredies arbeitete mehrere Jahre in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung der Deutschen Telekom AG, den Deutsche Telekom Laboratories, bevor sie als Forscherin an den Lehrstuhl Designforschung an der Universität der Künste Berlin wechselte. Dort initiierte und betreute sie praxisgeleitete Forschungsprojekte im Bereich der Mensch-Maschine-Interaktion mit innovativer Informations- und Kommunikationstechnik. Nach ihrer Promotion im Fach Designwissenschaften etablierte und leitete Frau Bredies die Forschungsgruppe „Connected Textiles“ an der Universität der Künste Berlin. Sie lehrt und forscht zu innovativen taktilen Interfaces und Wearables für mobile Anwendungen und in smarten Wohn- und Arbeitsumgebungen. 3 INHALTSVERZEICHNIS USER EXPERIENCE Wissenschaftliche Kursleitung...................................................... 3 Einleitung Wegweiser durch das Studienskript................................................. 8 Basisliteratur..................................................................... 9 Weiterführende Literatur......................................................... 10 Übergeordnete Lernziele......................................................... 13 Lektion 1 Grundlagen der User Experience 15 1.1 Begriffe, Konzepte, Geschichte................................................ 16 1.2 User Experience Design und Management...................................... 26 1.3 Ausgewählte Szenarien aus der Praxis......................................... 36 Lektion 2 Analyse 41 2.1 Contextual Inquiry........................................................... 45 2.2 Touchpoint-Analyse.......................................................... 55 2.3 Customer Journey Map....................................................... 59 2.4 Persona..................................................................... 63 Lektion 3 Ideenfindung 71 3.1 Use Cases................................................................... 73 3.2 User Stories................................................................. 80 3.3 Storyboards................................................................. 85 Lektion 4 Entwurf und Prototyping 93 4.1 Die menschliche Wahrnehmung............................................... 95 4.2 Card Sorting................................................................ 101 4.3 Skizzen und Scribbles....................................................... 104 4.4 Wireframes................................................................. 106 4.5 Prototyping................................................................ 111 4.6 Guidelines und Styleguides.................................................. 118 4 Lektion 5 Evaluation 123 5.1 Usability Testing............................................................ 125 5.2 Beobachtungstechniken..................................................... 136 5.3 Befragungstechniken und Fragebögen........................................ 139 Lektion 6 UX „im Großen“ 151 6.1 UX in Services und Geschäftsprozessen....................................... 152 6.2 UX von Unternehmen....................................................... 159 Verzeichnisse Literaturverzeichnis............................................................. 170 Abbildungsverzeichnis.......................................................... 177 5 EINLEITUNG HERZLICH WILLKOMMEN WEGWEISER DURCH DAS STUDIENSKRIPT Dieses Studienskript bildet die Grundlage Ihres Kurses. Ergänzend zum Studienskript ste- hen Ihnen weitere Medien aus unserer Online-Bibliothek sowie Videos zur Verfügung, mit deren Hilfe Sie sich Ihren individuellen Lern-Mix zusammenstellen können. Auf diese Weise können Sie sich den Stoff in Ihrem eigenen Tempo aneignen und dabei auf lerntyp- spezifische Anforderungen Rücksicht nehmen. Die Inhalte sind nach didaktischen Kriterien in Lektionen aufgeteilt, wobei jede Lektion aus mehreren Lernzyklen besteht. Jeder Lernzyklus enthält jeweils nur einen neuen inhaltlichen Schwerpunkt. So können Sie neuen Lernstoff schnell und effektiv zu Ihrem bereits vorhandenen Wissen hinzufügen. In der IU Learn App befinden sich am Ende eines jeden Lernzyklus die Interactive Quizzes. Mithilfe dieser Fragen können Sie eigenständig und ohne jeden Druck überprüfen, ob Sie die neuen Inhalte schon verinnerlicht haben. Sobald Sie eine Lektion komplett bearbeitet haben, können Sie Ihr Wissen auf der Lern- plattform unter Beweis stellen. Über automatisch auswertbare Fragen erhalten Sie ein direktes Feedback zu Ihren Lernfortschritten. Die Wissenskontrolle gilt als bestanden, wenn Sie mindestens 80 % der Fragen richtig beantwortet haben. Sollte das einmal nicht auf Anhieb klappen, können Sie die Tests beliebig oft wiederholen. Wenn Sie die Wissenskontrolle für sämtliche Lektionen gemeistert haben, führen Sie bitte die abschließende Evaluierung des Kurses durch. Die IU Internationale Hochschule ist bestrebt, in ihren Skripten eine gendersensible und inklusive Sprache zu verwenden. Wir möchten jedoch hervorheben, dass auch in den Skripten, in denen das generische Maskulinum verwendet wird, immer Frauen und Män- ner, Inter- und Trans-Personen gemeint sind sowie auch jene, die sich keinem Geschlecht zuordnen wollen oder können. 8 BASISLITERATUR Buxton, B. (2007): Sketching User Experiences. Getting the Design Right and the Right Design. Morgan Kaufmann, San Francisco. Cooper, A. et al. (2014): About Face: The Essentials of Interaction Design. 4. Auflage, Wiley, Hoboken (NJ). Hartson, R./Pyla, P. (2019): The UX Book: Agile UX Design for a Quality User Experience. Mor- gan Kaufmann, Cambridge. [E-Book]. Jacobsen, J./Meyer, L. (2019): Praxisbuch Usability und UX. 2. Auflage, Rheinwerk Compu- ting, Bonn. Kuniavsky, M. (2003): Observing the User Experience. A Practitioner's Guide to User Research. Morgan Kaufmann, San Francisco. Moggridge, B. (2007): Designing Interactions. MIT Press, Boston. Norman, D. (2016): The Design of Everyday Things. Psychologie und Design der alltäglichen Dinge. 2. Auflage, Franz Vahlen, München. 9 WEITERFÜHRENDE LITERATUR LEKTION 1 Hernández-Ramírez, R. (2019): On the Origins and Basic Aspects of User-Centered Design and User Experience. In: Ayanoğlu, H./Duarte, E. (Hrsg.): Emotional Design in Human- Robot Interaction. Theory, Methods and Applications. Springer Nature, Cham, S. 71– 92. Mayhew, D. J. (2008): User Experience Design: The Evolution of a Multi-disciplinary Approach. In: Journal of Usability Studies, 3. Jg., Heft 3, S. 99–102. Sand, F. v. d. (2017): Digitale Produkte mit Identität und der Mehrwert von markengetriebe- nem User Experience Design. In: Sand, F. v. d. (Hrsg.): User Experience Identity. Mit Neu- ropsychologie digitale Produkte zu Markenbotschaften machen. Springer Gabler, Wiesbaden, S. 71–88. LEKTION 2 Bednar, P. (2010): Contextual Inquiry as a Critical Perspective in Research. In: Esteves, J. (Hrsg.): the 9th European Conference on Research Methodology for Business and Management Studies 2010. Academic Publishing, Reading, S. 61–69. Beyer, H./Holtzblatt, K./Baker, L. (2004): An Agile Customer-Centered Method: Rapid Contex- tual Design. In: Zannier, C./Erdogmus, H./Lindström, L. (Hrsg.): Extreme Programming and Agile Methods – XP/Agile Universe 2004. Springer, Berlin, S. 50–59. Coorevits, L. et al. (2016): Bringing personas to life: User experience design through interac- tive coupled open innovation. In: Persona Studies, 2. Jg., Heft 1, S. 97–114. Keller, B./Ott, C. S. (2017): Touchpoint Management. Entlang der Customer Journey erfolg- reich agieren. Haufe, Freiburg. Moon, H. et al. (2016): A Design Process for a Customer Journey Map: A Case Study on Mobile Services. In: Human Factors & Ergonomics in Manufacturing & Service Industries, 26. Jg., Heft 4, S. 501–514. Nielsen, L. (2019): Personas – User-Focused Design. Springer, London. 10 LEKTION 3 Jacobson, I./Spence, I./Kerr, B. (2016): Use-Case 2.0. In: Communications of the ACM, 59. Jg. Heft 5, S. 61–69. Ludewig, J./Lichter, H. (2013): 16.7.3 Anwendungsfälle. In: Ludewig, J./Lichter, H. (Hrsg.): Software Engineering : Grundlagen, Menschen, Prozesse, Techniken. d.punkt-Verlag, Heidelberg, S. 387–391. Mollá, R. et al. (2018): Storyboarding as a Means of Requirements Elicitation and User Inter- face Design: An Application to the Drones’ Industry. In: Santamarina-Campos, V./ Segarra-Oña, M. (Hrsg.): Drones and the Creative Industry: Innovative Strategies for European SMEs. Springer, Cham, S. 83–97. Oshana, R. (2013): A User Interface: Police Command and Control System. In: Oshana, R./ Kraeling, M. (Hrsg.): Software Engineering for Embedded Systems – Methods, Practical Techniques, and Applications. Elsevier, Waltham (MA), S. 1043–1087. Peng, Q./Martens, J. B. (2018): Requirements gathering for tools in support of storyboarding in user experience design. In: Proceedings of the 32nd International BCS Human Com- puter Interaction Conference (HCI 2018). British Computer Society, S. 1–10. Wautelet, Y. et al. (2016): Bridging User Story Sets with the Use Case Model. In: Lecture Notes in Computer Science 9975. Springer, New York, S. 127–138. LEKTION 4 Danielsson, P.-H. (2010): Exploring the effects of different fidelities in an early design process of mobile prototyping. Bachelor-Thesis, Södertörns Högskola, Institutionen för Kom- munikation, Uppsala. [Im Internet verfügbar]. Gill, S./Dix, A. (2012): The Role of Physicality in the Design Process. In: Adenauer, J./Petru- schat, J. (Hrsg.): Prototype! physical, virtual, hybrid, smart – tackling new challenges in design and engineering.Form und Zweck, Berlin, S. 56–81. Pratt, A./Nunes, J. (2012): Building Sitemaps, Wireframes and Prototypes. Interactive Design: An Introduction to the Theory and Application of User-centered Design. Rockport Publishers, Beverly (MA). Schenk, P. (2014): Inspiration and Ideation: Drawing in a Digital Age. In: Design Issues, 30. Jg., Heft 2, S. 42–55. Sundt, A. J./Eastman, T. (2019): Informing Website Navigation Design with Team-Based Card Sorting. Utah State University Libraries. Library Faculty & Staff Publications, Taylor & Francis. 11 Tagabergenova, D. (2018): Wireframes und Click-Prototypen als Gestaltungsmethode. In: Wiesche, M. et al. (Hrsg.): Management digitaler Plattformen. Springer Gabler, Wiesba- den, S. 347–358. Traynor, B. (2012): Rapid Paper Prototyping: 100 Design Sketches in 10 Minutes, 18 Designs Presented, 6 Prototypes Tested, Student Engagement – Priceless! In: IEEE International Professional Communication Conference (IPPC). LEKTION 5 Barnum, C. M. (2011): Usability Testing Essentials: Ready, Set... Test! Morgan Kaufmann, Burlington (MA). Hartson, R./Pyla, P. S. (2012): UX Book – Process and Guidelines for Ensuring a Quality User Experience. Morgan Kaufmann, Waltham (MA). Pratt, A./Nunes, J. (2012): „What Can You Learn From Usability Testing?“ In Interactive Design. An Introduction to the Theory and Application of User-Centered Design. Rock- port Publishers, Beverly (MA). LEKTION 6 Ries, E. (2011): The Lean Startup. How Today’s Entrepreneurs Use Continuous Innovation to Create Radically Successful Businesses. Currency, New York. Stickdorn, M. et al. (2018): This is Service Design Doing. Applying Service Design and Design Thinking in the Real World.: O'Reilly Media, Sebastopol (CA). Tiffert, A. (2019): Customer Experience Management in der Praxis: Grundlagen – Zusammen- hänge – Umsetzung. Springer Gabler, Wiesbaden. Weichert, S./Quint, G./Bartel, T. (2018): Quick Guide UX Management. So verankern Sie Usa- bility und User Experience im Unternehmen. Springer Gabler, Wiesbaden. 12 ÜBERGEORDNETE LERNZIELE Der Kurs User Experience vermittelt Ihnen einen Überblick über die Grundlagen, Prozesse und Methoden des User Experience Design. Sie erfahren, welchen Mehrwert User Experi- ence Design bei der Produktentwicklung einbringt und wie ein benutzerzentrierter User- Experience-Designprozess strukturiert ist. Zudem erfahren Sie mehr über gängige Metho- den, die in den unterschiedlichen Phasen eingesetzt werden können, um eine gute User Experience zu erreichen. Abschließend werden die Integration von User Experience Design in Entwicklungsprozesse auf Managementebene sowie die Einbettung von User Experi- ence in die Unternehmenskultur thematisiert. 13 LEKTION 1 GRUNDLAGEN DER USER EXPERIENCE LERNZIELE Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie wissen, … – wie der Fachbereich User Experience entstanden ist. – was User Experience bedeutet und welche Begriffe damit zusammenhängen. – wie der UX-Designprozess aufgebaut ist. – wie User Experience in Unternehmen integriert werden kann. 1. GRUNDLAGEN DER USER EXPERIENCE Einführung Der tägliche Umgang mit Dingen und Menschen ist nicht nur eine Frage des rationalen Handelns. Beim Besuch in einem Café freuen wir uns über das in den Milchschaum gerührte Herz auf dem Cappuccino. Oder wir ärgern uns über den unfreundlichen Kom- mentar, mit dem ein Busfahrer unseren Geldschein beim Kauf eines Tickets abgewiesen hat. Wir lieben unseren Staubsauger dafür, dass er den Staub so sicher aufsaugt, und geben doch die Suche nach einem Ersatzteil für ihn frustriert auf, wenn wir die Modell- nummer nicht finden können, die die Herstellerwebsite für die Ersatzteilsuche verlangt. Die Bedeutung von Dingen und Ereignissen ist geprägt durch unsere Erlebnisse, unsere Erfahrung mit ihnen. Diese Erfahrungen prägen unser Bild von Produkten und Services und führen letztlich dazu, dass wir bestimmte Dinge gerne tun und andere vermeiden. Die Freude oder der Frust, den wir beim Umgang mit einem Gerät empfinden, beeinflusst auch, wie wir eine Tätigkeit wahrnehmen oder wie wir die Hersteller des Geräts oder eine bestimmte Marke beurteilen. In den meisten Fällen sind nicht natürliche Gegebenheiten, sondern gestaltete Gegen- stände oder Services die Grundlage für unsere Erfahrungen. Hier setzt das Feld des User Experience (UX) Design an, indem das Augenmerk auf das ganzheitliche Erleben eines Pro- dukts oder Services gesetzt wird. Der Begriff der User Experience bezieht sich grundsätz- lich auf alle Arten von Services und Gegenständen. Im Kontext von Softwareentwicklung, den wir hier betrachten, ist damit jedoch in der Regel ein digitales Produkt, ein Software- produkt für ein analoges physisches Gerät mit digitaler Interaktionsschnittstelle oder ein digitaler Service gemeint. Beispiele solcher digitaler Produkte sind ganze Betriebssys- teme, Software und Programme, Applikationen, Software as a Service (SaaS) und rein digi- tale device-unabhängige Services und Webanwendungen wie z. B. Onlinebanking, Versi- cherungen, Vergleichsportale, Musik- und Videostreaming oder Onlineshopping. 1.1 Begriffe, Konzepte, Geschichte User Experience Design stellt heutzutage ein interdisziplinäres Feld innerhalb der Mensch- Mensch-Maschine-Inter- Maschine-Interaktion (MMI) dar, das Aspekte des Interaktions- und Servicedesigns aktion umfasst und sich auf Erkenntnisse aus der Psychologie sowie der Markt- und Nutzerfor- In der Mensch-Maschine- Interaktion werden neue schung sowohl im praktischen als auch im akademischen Umfeld stützt. Entstanden ist Technologien, Ein- und User Experience Design im Zuge der Verbreitung von Computern im Arbeitsumfeld und Ausgabemedien sowie schließlich auch für den Privatgebrauch. Der Begriff des User Experience Design wird dabei Interaktionsformen getes- tet und auf ihre Auswir- seit den 1980er-Jahren verwendet, um eine menschzentrierte und holistische Sichtweise kungen hin überprüft auf MMI zu beschreiben. (Richter/Flückiger 2016, S. 7). 16 Entstehung Die grundlegende Thematik der User Experience, also das menschenfreundliche Anordnen von Dingen, Prozessen und Abläufen ist ein altes Menschheitsthema. So lässt sich der Gedanke der menschzentrierten Gestaltung bis auf Leonardo da Vinci zurückführen (Rich- ter/Flückiger 2016, S. 18). Die eigentliche Entwicklung des Themas User Experience fand jedoch im letzten Jahrhundert statt und ist enger mit digitaler Technologie verknüpft: In den 1940er-Jahren investierte das amerikanische Militär in die Verbesserung der Schnitt- stelle zwischen Mensch und Maschine. Es entstand das Fachgebiet Human Factors. Ziel ist Human Factors es, Fehlbedienungen zu vermeiden, die durch die Möglichkeiten und Grenzen menschli- Bei der Betrachtung menschlicher Einflussgrö- cher Wahrnehmung verursacht werden (ebd., S. 8). Inhaltlich ist Human Factors darin der ßen in der Interaktion von Ergonomie verwandt, die eine stark quantitativ geprägte Herangehensweise an mensch- Menschen mit komplexen zentriertes Systemdesign darstellt. In den 1940er- und 1950er-Jahren stellten beide Fächer Maschinen spricht man von Human Factors. Der wichtige Grundlagen des sich entwickelnden Felds der MMI dar, das durch die Gründung Begriff wird insbesondere des Forschungsinstituts HUSAT (Human Sciences and Advanced Technology) durch Biran im Zusammenhang mit sicherheitskritischen Sys- Shackel 1970 zur anerkannten Wissenschaft avancierte (ebd., S. 18). Gleichzeitig transpor- temen (z. B. Atomkraft- tierten sie ihre naturwissenschaftlich orientierte Methodik in die MMI, die diese bis heute werk, Flugüberwachung, prägt. MMI bezieht sich auf alle Mensch-Maschine-Systeme, setzt jedoch nicht automa- Flugzeugcockpits, Wei- chensteuerung von tisch eine nutzerzentrierte Perspektive voraus. Zügen) verwendet. Ergonomie Mitte der 1980er-Jahre wurden Computer vermehrt auch von Menschen genutzt, die selbst Die Wissenschaft der keine technische Ausbildung hatten, vor allem im beruflichen Kontext, was zum Auf- menschlichen Arbeit wird Ergonomie genannt und schwung des Bereichs MMI und mit ihm dem Thema der Software-Ergonomie beitrug. In befasst sich damit, wie diesem Zeitraum wurde auch der Begriff des User Experience Design geprägt. Die Begriff- Arbeitsbedingungen an lichkeit selbst wird auf den Kognitionspsychologen Don Norman zurückgeführt, 1993 ein die physischen und kogni- tiven menschlichen Mitglied des Produktdesign-Teams bei Apple. In seinem 1988 erschienenen Buch „The Psy- Eigenschaften angepasst chology of Everyday Things“ beschäftigt er sich mit der Bedeutung psychologischer Fakto- werden können. ren für die Entwicklung von technischen Systemen (Norman 1988). Ein weiterer prägender Wegbereiter des User Experience Design und ein Fürsprecher nutzerzentrierter Methoden bei der Produkt- und Softwareentwicklung ist Jakob Nielsen, der 1993 sein Buch „Usability Engineering“ (Nielsen 1993) veröffentlichte und zusammen mit Don Norman die Nielsen Norman Group betreibt (Richter/Flückiger 2016, S. 18). Zwischen den 1980er- und 2000er-Jahren lassen sich zudem drei Entwicklungen identifi- zieren, die zu einem weiteren Ausbau des Fachgebiets beigetragen haben: die zuneh- mende Verbreitung von PCs in Privathaushalte seit den 1980er-Jahren, die intensivere Nutzung des Internets in den 1990er-Jahren und die Dotcom-Blase in den 2000er-Jahren. Mit dem Einzug von Computern in Privathaushalte änderte sich auch die Nutzergruppe für Computer und Softwareanwendungen: Beides musste von da an so gestaltet werden, dass jeder Nutzer sie verwenden konnte. Der Aspekt der User Experience veränderte in der Folge die Sichtweise innerhalb der MMI: Es ging nun nicht mehr darum, die Nutzer ange- messen für das technische Interface zu trainieren, sondern darum, das technische Inter- face für die Nutzer angemessen zu gestalten (Hartson/Pyla 2019, S. 6). Die Web-Revolution zwischen 1990 und 2000 veränderte in der Folge das Kaufverhalten für Softwareprodukte. War es zuvor noch notwendig gewesen, Software zu kaufen, um sie zu benutzen zu kön- nen, drehte sich diese Reihenfolge um: Auf den Webseiten der Softwarehersteller konnte man sich nun im Vorfeld über die Software informieren und seine Kaufentscheidung von 17 der Bedienbarkeit der Software abhängig machen. Die User Experience und die Inhalte der Produktseite und des Check-out-Prozesses wurden zunehmend entscheidend dafür, ob ein Softwareprodukt gekauft wird. Gute User Experience wurde für Softwareunternehmen so zu einem zentralen Kriterium für die Attraktivität ihrer Produkte. In den 2000er-Jahren erlebte das Thema User Experience durch die Dotcom-Blase und die Berichterstattung darüber in der Presse verstärkte Aufmerksamkeit, was Unternehmen dazu veranlasste, auf den User-Experience-Trend aufzuspringen (Nielsen 2017). Wichtige Begriffe Im Zusammenhang mit User Experience Design gibt es eine Reihe von Begriffen und Kon- zepten, die immer wieder zur Sprache kommen. Eine häufig herangezogene Quelle zur DIN EN ISO 9241 Begriffsdefinition stellen hierbei die relevanten Normen aus der DIN EN ISO 9241 dar. Im Das Deutsche Institut für Folgenden werden die wichtigsten dieser Begriffe eingeführt und erläutert. Normung (DIN) hat unter der Nummer 9241 eine Reihe an Standards zu Erfahrung Themen der Usability for- muliert, unter anderem zu menschzentrierten Ein zentraler Begriff im Bereich der User Experience ist der der Erfahrung. Der Begriff ist Prozessen und Interakti- sehr weit gefasst und damit kaum auf eine allgemeingültige Definition zu reduzieren. So onsprinzipien. kann man Erfahrung als Wissen betrachten, „das aus persönlichen Erlebnissen oder berichteten Erlebnissen anderer gesammelt wurde. Es beeinflusst die eigenen Erwartun- gen, da durch dieses Wissen besser eingeschätzt werden kann, was möglich ist, wo Gren- zen liegen und was der Wert von etwas ist“ (Moser 2012, S. 6). Mit „Erfahrung“ ist häufig gleichermaßen der andauernde Strom von Erlebnissen gemeint, in dem wir uns kontinuierlich befinden, und die Erfahrung als ein abgeschlossenes, herausragendes Ereignis in der Erinnerung, das wir im Nachhinein reflektieren (Hassen- zahl 2010, S. 1). Um den Erfahrungsbegriff besser nachvollziehbar zu machen, bezieht sich Hassenzahl in seiner Darstellung auf psychologische Theorien zum emotionalen Erleben und stellt Erfahrung als eine Verbindung von Wahrnehmung, Handlung, Motivation, Emo- tion und Kognition in Auseinandersetzung mit der Umwelt dar. Damit schließt er sich auch einer Sichtweise an, die Emotionen als Grundlage für Erfah- rung und rationales Handeln betrachtet, da sie maßgeblich die Beurteilung von erlebten Situationen beeinflussen. Dieser Einfluss geht so weit, dass positive Emotionen im Umgang mit ästhetisch angenehmen Dingen dazu führen, dass diese bei gleichem Funkti- onsumfang besser zu bedienen sind (Norman 2016, S. 17–20). Hassenzahl nennt fünf grundlegende Aspekte von Erfahrung: Sie sei subjektiv, holistisch, situationsabhängig, dynamisch und positiv (Hassenzahl 2010, S. 9–31): Subjektiv: Die Erfahrung, die ein Mensch in einer Situation macht, lässt sich kaum objektivieren. Außerdem können zwei Menschen in derselben Situation vollkommen unterschiedliche Erfahrungen machen. Es ist daher schwierig, einen genauen Zusam- 18 menhang zwischen einem gestalteten Gegenstand und der Erfahrung herzustellen, die er hervorruft. Dennoch existieren gewisse Gemeinsamkeiten oder wiederkehrende Mus- ter, die als Anhaltspunkte für die Gestaltung dienen können. Holistisch: Erfahrungen sind nicht nur rein instrumenteller Natur, das bedeutet, sie sind beeinflusst und gesteuert von übergeordneten Absichten und Motivationen. Während klassische Ergonomie und Usability sich in der Interfacegestaltung häufig mit Proble- men der konkreten Ausführung beschäftigt, muss User Experience Design die Beweg- gründe der Nutzerinnen als Ausgangspunkt hinzuziehen. Situationsabhängig: Eine Erfahrung ist an die physische Umgebung und den Zeitpunkt gebunden, an dem sie gemacht wird. Sie lässt sich nicht wiederholen, wohl aber kate- gorisieren und vergleichen. Hassenzahl plädiert hier für eine Sichtweise auf Erfahrung, die eine Reduktion von Erfahrungen auf ihre Essenz zulässt und so Gemeinsamkeiten zwischen wiederkehrenden Situationen herstellt. Dynamisch: Erfahrungen verändern sich in der Erinnerung und unterscheiden sich von dem kontinuierlichen Strom an Erfahrung während eines Ereignisses. Erfahrungen sind demnach konstruiert, was bedeutet, dass sie auch gestaltbar sind. Es bedeutet außer- dem, dass bereits gemachte Erfahrungen sich weiter verändern können und das User Experience Design auf längere Zeitspannen des Erlebens und Gebrauchs schauen muss. Positiv: Gute Erfahrungen entstehen nicht nur aus der Abwesenheit von schlechten Erfahrungen. Hassenzahl verweist hier auf den Unterschied von Basisfaktoren (Dissatis- fiers), deren Fehlen zu Unzufriedenheit führt, und Begeisterungsfaktoren (Satisfiers), deren Vorhandensein zu Zufriedenheit führt. User Experience Die Benutzererfahrung oder User Experience bezieht sich auf den Teilbereich der Erfah- rung, der aus dem Umgang mit Technologie jeder Art – also auch Digitaltechnologie – ent- steht (Hassenzahl 2010, S. 2). Für den Begriff „User Experience“ existieren daher stärker eingegrenzte Definitionen, unter anderem im Zusammenhang mit der Norm DIN EN ISO 9241-210: Hier wird User Experience oder auch Benutzererlebnis erläutert als „Wahrneh- mungen und Reaktionen einer Person, die aus der tatsächlichen und/oder der erwarteten Benutzung eines Produkts, eines Systems oder einer Dienstleistung resultieren“ (DIN Deut- sches Institut für Normung e. V. 2010, S. 7). Weitere Erläuterungen beziehen außerdem sämtliche Emotionen und Reaktionen ein, die sich aus der Nutzung ergeben, und gehen auf die Aspekte eines interaktiven Systems ein, die diese Wahrnehmung beeinflussen. Hartson und Pyla beschreiben User Experience als Ergebnis einer direkten oder indirekten Interaktion und als Gesamtheit der Effekte, die diese subjektiv vom Nutzer gefühlt hervor- bringt (Hartson/Pyla 2019, S. 3). Die Nutzererfahrung oder User Experience beschreibt also das Erlebnis und das Gefühl, das ein Mensch vor, während und nach der Verwendung eines Produktes durchlebt, auch im Unterschied zur Gebrauchstauglichkeit, die sich auf das Erlebnis während der Nutzung konzentriert. Auch bei User Experience spielt die ganz- heitliche Sichtweise auf Erfahrung eine wichtige Rolle, weil sie im Falle eines Produkts oder Services alle Ereignisse umfasst, die mit dem Produkt im Zusammenhang stehen: Das geht vom Einkauf über die Inbetriebnahme, Reparatur oder Fehlerkorrektur bis hin zum „Lebensende“ des Produkts. Daher sind von User Experience neben der Marketingab- teilung auch z. B. der Kundenservice, Support und Vertrieb betroffen. Vermehrt betrifft 19 dies auch Aspekte der Zweitnutzung und Entsorgung, die gerade im Zusammenhang mit materiellen Produkten eine zunehmend wichtige Rolle spielen und mittlerweile verstärkt bereits im Designprozess vorweggenommen und berücksichtigt werden. Nutzer Im Zentrum der User Experience (UX) stehen die „User“, also die Nutzer. Laut DIN EN ISO 9241-110 handelt es sich bei Nutzern um eine „Person, die mit einem System, einem Pro- dukt oder einer Dienstleistung interagiert“ (DIN Deutsches Institut für Normung e. V. 2019, S. 9). Dabei verweist die Norm ebenfalls darauf, dass es für dasselbe System mehrere Arten von Nutzern geben kann, die das System betreiben, anwenden oder unterstützen. Mit dem Begriff „Nutzer“ ist daher nicht nur der Kunde gemeint, der ein Produkt oder einen Service einkauft und einsetzt, sondern auch Mitarbeiterinnen innerhalb eines Unternehmens, die diese Nutzung unterstützen. Jeder Nutzer ist geprägt durch seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten, sein soziales Umfeld, die Gesellschaft und die Kultur, in der er lebt, seine Bildung, seine persönliche Situation und aktuelle Stimmungen. Aus dieser Gesamtheit an Einflüssen hat jeder Nutzer ein persönliches „Mindset“, also eine Vorstellung von der Welt, die auch seine Interaktio- nen mit Produkten und Services bestimmen. Diese persönliche Ausprägung steht dabei im Spannungsverhältnis zu den verallgemeinerbaren Handlungsabläufen und Erwartungen, die für eine bestimmte Aktion bei vielen Nutzern trotz individueller Unterschiede auf ähn- liche Weise entstehen. Kontext Laut DIN EN ISO 9241-110 besteht der Nutzungskontext aus einer „Kombination von Benutzern, Zielen, Aufgaben, Ressourcen und Umgebung“ (DIN Deutsches Institut für Nor- mung e. V. 2019, S. 8), wobei die Umgebung wiederum als „technische, physikalische, sozi- ale, kulturelle und organisationsbezogene Umgebung“ aufgefasst wird. Diese Darstellung macht deutlich, dass es von vielen Faktoren abhängen kann, ob die Interaktion mit einem Produkt oder Service erfolgreich und angenehm ist oder nicht. Dieselbe Benutzerin kann in derselben physischen Umgebung mit derselben Aufgabe eine andere Nutzungserfah- rung haben, wenn sich ihr Ziel ändert. Wer z. B. am Automaten ein Zugticket erwerben möchte, tut dies anders, wenn der Zug in fünf Minuten oder in einer Stunde abfährt. Mit einem Wocheneinkauf und einem Kleinkind an der Hand ist es eine andere Erfahrung, auf einen Telefonanruf zu reagieren, als am Schreibtisch im Büro. Für die Gestaltung eines Produktes bedeutet es also einen Unterschied, ob es in einer ent- spannten Situation, in einer Arbeitsumgebung oder eventuell sogar kritischen Situation verwendet werden soll. Die Nutzungssituation wirkt sich konkret auf die Auswahl der Bedienmodalitäten, die Art der Interaktion und den Funktionsumfang aus. Wie muss z. B. eine App gestaltet sein, um in einer vollen U-Bahn bei schlechtem Mobilempfang einem Nutzer zu erlauben, schnell und zuverlässig ein Ticket zu buchen? Physische Faktoren sind z. B. die Hardware, Ein- und Ausgabemedien, mit denen eine Soft- ware bedient werden kann oder aber auch die Lichtsituation, die im Raum vorherrscht und die Sichtbarkeit des Designs auf dem Bildschirm beeinflussen kann. Beispiele sind 20 Bildschirm, Maus, Tastatur und Touchscreen. Die Software muss also so gestaltet sein, dass sie mit der vorhandenen Hardware in der Nutzungssituation verwendet werden kann. Soziale Faktoren sind Umgangsformen, (gesellschaftliche) Regeln, innerhalb derer Nutzer mit einem Produkt interagieren, und daraus entstehende Bedürfnisse z. B. nach Privatsphäre, Information oder Sicherheit. So ist z. B. die Funktion, Benachrichtigungen auf dem Smartphone in der Vorschau nur verdeckt anzeigen zu lassen, besonders für Situ- ationen geeignet, in denen man das beiläufige Mitlesen der Nachrichten durch andere ver- meiden will (Moser 2012, S. 9). Die Besonderheiten des Nutzungskontexts machen das aus, was Hassenzahl als „situationsgebunden“ bezeichnet, also die starke Abhängigkeit der Erfahrungsqualität von den äußeren Umständen. Neben der Nutzungssituation wird auch die Nutzerin als Teil des Kontexts bewertet, weil das Vorwissen der Nutzer und ihre emoti- onale Verfassung eine wichtige Rolle dabei spielen, wie die Interaktion erlebt wird. Ziel Im Zusammenhang mit Gebrauchstauglichkeit entscheidet das Nutzungsziel über die Aus- wahl des Gebrauchsgegenstands, der idealerweise dazu taugt, das Handlungsziel zu errei- chen. In der Norm DIN EN ISO 9241-11 wird das Ziel kurz und knapp als „angestrebtes Arbeitsergebnis“ charakterisiert (DIN Deutsches Institut für Normung e. V. 2018, S. 6). Kann ein Nutzer das gewählte Produkt erfolgreich im Nutzungskontext einsetzen und sein Handlungsziel erreichen, so ist das Produkt gebrauchstauglich und erfüllt die Bedürfnisse des Nutzers. Abbildung 1: Modell der Zielebenen nach Hassenzahl Quelle: Katharina Bredies, 2020, in Anlehnung an Hassenzahl 2010, S. 12, 44. 21 In Bezug auf User Experience greift eine Charakterisierung des Ziels als Arbeitsergebnis jedoch zu kurz, weil sie keinen Blick auf die Motivation zulässt, die überhaupt zur Interak- tion führt. Eine hohe Gebrauchstauglichkeit ist daher nicht gleichbedeutend mit einem positiven Benutzungserlebnis, auch wenn sie häufig die Voraussetzung hierfür ist. Hassen- zahl präsentiert daher ein dreischichtiges Modell von Handlungszielen, um darauf hinzu- weisen, dass User Experience auch übergeordnete Ziele einbeziehen sollte: Er unterschei- det darin motorische Ziele, Handlungsziele und Seinsziele. Motorische Ziele betreffen die Operation eines Gegenstands, das konkrete Ausführen von Handlungen. Handlungsziele betreffen ebenfalls konkrete Ziele und Aktionen und sind den motorischen Zielen überge- ordnet: So kann man ein Messer auf unterschiedliche Art und Weise nutzen, um Gemüse zu schneiden. Beiden Zielen übergeordnet sind die Seinsziele, die sich auf Aktivitäten und Motive beziehen. Auch hier ist es möglich, dass für ein bestimmtes Motiv – z. B. mehr Sport treiben – unterschiedliche Aktionen gewählt werden, die auf unterschiedlichen Technolo- gien basieren (Schwimmen, Fitnessgeräte im Fitnessstudio, Yoga, …). Seinsziele beschäfti- gen sich mit dem „Warum“ einer Tätigkeit, Handlungsziele mit dem „Was“ und motorische Ziele mit dem „Wie“. Hassenzahl betont, dass für positive User Experience der Bezug zu den Seinszielen hergestellt werden muss, der mit einem zu engen Blick auf die Gebrauchs- tauglichkeit vernachlässigt wird (Hassenzahl 2010, S. 43–45). Touchpoint User Experience bezieht sich auf die Gesamtheit der Erlebnisse mit einem Produkt oder Service. Diese Erlebnisse können über die gesamte Zeit, die man mit dem Produkt ver- bringt, sehr unterschiedlich sein: Vom Kauf über eine Website oder im Ladengeschäft über das Auspacken, Ausprobieren, Wegräumen, Wiederbenutzen, Reparieren und Wegwerfen können die Erfahrungen mit einem Produkt und damit mit dem Unternehmen, das das Produkt anbietet, stark variieren. Die unmittelbare Nutzung eines Produktes ist selten die erste und einzige Gelegenheit, bei dem ein Nutzer mit einem Produkt in Berührung kommt. In der Regel treffen Nutzer auch vor und nach der Verwendung auf das Produkt, z. B. durch Werbung und Marketingmaßnahmen in verschiedenen Medien (TV, Magazine, Radio, soziale Medien usw.), bei der eigenen Recherche im Internet oder im stationären Handel, der Bestellung und Lieferung, beim Kontakt mit dem Support oder Servicecenter, im Kundenportal oder auch bei der Deinstallation. Die Gelegenheiten, in denen ein Nutzer Erfahrungen mit einem Unternehmen über dessen Produkte und Services sammelt, werden Touchpoints (deutsch: Kontaktpunkte) genannt. Jedes Produkt hat andere und teils sehr unterschiedliche Touchpoints, und nicht alle Nut- zer kommen mit allen Touchpoints gleichermaßen in Berührung. Alle Touchpoints tragen jedoch zum Produkt- und Markenerlebnis bei und vermitteln dem Nutzer idealerweise eine konsistente und durchgängig positive User Experience (Moser 2012, S. 10). User Experience, Usability und Customer Experience User Experience Design gilt als Nachfolger von Interface und Interaction Design und wird häufig in einem Atemzug mit Usability und Customer Experience genannt. Daher ist es wichtig, die Unterschiede zwischen den drei Konzepten zu verstehen. 22 Interface Design Die Abgrenzung von User Experience Design gegenüber älteren Begriffen wie Interface Design oder Interaction Design ist auch deswegen schwierig, weil UX Design diese Begriffe in vielen Bereichen erfolgreich abgelöst hat (Buxton 2007, S. 127). Beide Vorgängerbegriffe wurden in einer Zeit geprägt, als der Umgang mit digitaler Technologie noch sehr viel stär- ker auf einige wenige Formen wie den Desktop beschränkt war und hierbei die Ausgestal- tung der grafischen Benutzerschnittstelle tatsächlich den Umgang mit der Technologie weitgehend prägen konnte. Mittlerweile hat sich die Technologie weiterentwickelt und ist wesentlich vielfältiger sowie ein fester Teil des Alltags geworden. In gleicher Weise wird unter Interaktion sehr grund- sätzlich die Auseinandersetzung von Mensch und Artefakt im Rahmen einer bestimmten Umwelt verstanden. Damit bezieht sich der Begriff auf alle Arten gestalteter Artefakte – also nicht ausschließlich technologische Artefakte – und berücksichtigt die wichtige Rolle des Kontexts bei der Interaktion (Hartson/Pyla 2019, S. 4). User Experience Design beinhaltet daher auch Interface Design, lässt sich aber nicht auf dieses reduzieren. Ein einzelnes User Interface stellt nicht die Menge an Kontaktpunkten und damit auch die Summe der Erfahrungen dar, die ein Benutzer mit einem Produkt oder Unternehmen hat. Das User Interface dient beim User Experience Design als Medium und damit Vermittler einer bestimmten Erfahrung, deren Qualitäten durch das Design beein- flusst werden können. Es handelt sich also um den materiellen oder technischen Teil, der dem gestalterischen Einfluss unterliegt (Hassenzahl 2010, S. 2). Usability Usability und User Experience werden häufig in einem Atemzug genannt und stehen in einem so engen Zusammenhang zueinander, dass der Eindruck entstehen kann, eine gute Usability sei gleichbedeutend mit guter User Experience. Usability wird im Deutschen häufig mit Gebrauchstauglichkeit übersetzt. Usability Engi- neering ist der methodische Prozess zur Analyse der Anforderungen an die Verwendbar- keit interaktiver Systeme, deren Umsetzung und Überprüfung. Das regelmäßige Einbezie- hen potenzieller und tatsächlicher Nutzer ist dabei ein wesentliches Merkmal dieses Prozesses. Es gibt hier zwei wesentliche Unterschiede zu User Experience Design: zum einen die Zielsetzung beider Bereiche, zum anderen ihre zeitliche Dimension. Obwohl auch im Bereich der Usability die Freude am Gebrauch („Joy of Use“) zunehmend als Kriterium betrachtet wird, bezieht sie sich überwiegend darauf, dass ein Produkt in einer bestimmten Situation gut benutzt werden kann. Der Schwerpunkt des Usability Engineering liegt auf der reibungslosen Performance eines Artefakts während der Bedie- nung. Grundlegende Kriterien für Usability stellen deswegen nach wie vor Effizienz, Effek- tivität und Zufriedenstellung dar. Eine gute Performance ist meistens Voraussetzung für ein positives Benutzererlebnis, aber nicht gleichbedeutend mit diesem. User Experience Design bezieht sich auf komplexere Emotionen, die als Handlungsmotivation dienen kön- nen, und damit letztlich auf die gesamtheitliche Attraktivität eines Produkts (Hartson/Pyla 23 2019, S. 11–14). Zudem geht es bei User Experience Design weniger darum, negative Emo- tionen zu vermeiden, als darum, positive Erlebnisse zu ermöglichen (Hassenzahl 2010, S. 28). User Experience geht mit ihrem Fokus auf das ganzheitliche Erleben eines Produkts über die vereinzelte Nutzungssituation hinaus und betrachtet die Gesamtheit der Interaktionen über den gesamten Lebenszyklus hinweg (Jacobsen/Meyer 2019, S. 35). Auch wenn im Usability Engineering Langzeitstudien durchgeführt werden, beschränkt sich ein Großteil der Aktivitäten auf Kurzzeit- und Laborstudien. Customer Experience Management Customer Experience Management beschäftigt sich mit User Experience aus Unterneh- menssicht und mit den Managementaspekten, die damit zusammenhängen. Der Schwer- punkt liegt hierbei auf dem Benutzer als Kunden, also in seiner Rolle vor, während und nach dem Kauf. Customer Experience Management nimmt die gesamtheitliche Gestaltung eines Firmen- und Markenauftrittes für mehrere Produkte und Dienstleistungen aus der Kundenperspektive in den Blick. Vordergründiges Ziel des Customer Experience Manage- ments ist daher auch die erfolgreiche Kundenbeziehung, also die, die letztlich zum Kauf und zu einer hohen Kundenloyalität führt. Hierbei sind die Berührungspunkte des Kunden mit dem Unternehmen der Ausgangs- punkt dafür, das Kundenerlebnis positiv zu beeinflussen. Customer Experience Manage- ment bezieht sich ebenfalls darauf, wie das Unternehmen als Marke von Käufern wahrge- nommen wird, und hat damit auch eine inhaltliche Nähe zur Brand Experience, die sich diesem Thema vordergründig widmet. Für Customer Experience Management ist ebenfalls bedeutend, wie die Unternehmensmarke in ihrer Gesamtheit wahrgenommen wird und wie die Beziehung zu einem Produkt dadurch beeinflusst wird (Hartson/Pyla 2019, S. 14). UX kann damit als ein Teil der übergeordneten Customer Experience betrachtet werden (Moser 2012, S. 10). Gleichzeitig beschäftigt sich Customer Experience Management deut- lich weniger mit den Phasen nach dem Kaufabschluss als mit dem Entscheidungsprozess, der dem Kauf eines Produkts vorausgeht. User Experience Design User Experience Design hat die Gestaltung des Benutzererlebnisses in seiner Gesamtheit zum Gegenstand und hierbei eine möglichst positive und anregende Benutzererfahrung zum Ziel. Im Kern ist die Einstellung, die User Experience Design ausmacht, nicht neu und in ähnlicher Weise schon im Interface und Interaction Design der frühen Mensch- Maschine-Interaktion vertreten gewesen. Eine vergleichbare holistische Perspektive findet sich auch bei menschzentrierter Gestaltung generell. Das Gewicht, das im UX Design dabei dem positiven emotionalen und gesamtheitlichen Erleben zuspricht, ist dabei jedoch ein neuer Aspekt in der MMI. Zudem umfasst UX Design sehr deutlich auch managementrelevante Aspekte der Gestal- tung und nimmt für sich auch Einfluss auf die Geschäftsstrategien und Geschäftsmodelle von Unternehmen in Anspruch. Ähnlich wie der menschzentrierten Gestaltung gelingt es 24 Unternehmen mithilfe von User Experience Design, ihre Produkte und Services qualitativ von denen der Konkurrenz abzuheben, was über Funktionen kaum noch möglich ist. Hart- son und Pyla stellen hierbei heraus, dass der Wert von UX sich am besten durch sein Feh- len verdeutlichen lässt, das hohe und dauerhafte wirtschaftliche und soziale Kosten verur- sachen kann, und beziehen sich u. a. auf schlechte Architektur als Beispiel (Hartson/Pyla 2019, S. 7f.). User Experience Design baut spürbar auf Interaction Design und Usability Engineering auf, geht aber darüber hinaus. In welcher Weise es dies tut, lässt sich auch an den Aspekten nachvollziehen, die UX Design zugesprochen werden. Eine bekannte Darstellung der inhaltlichen Facetten von UX stellt die sogenannte „User Experience Honeycomb“ von Peter Morville dar, einem einflussreichen Pionier der Informationsarchitektur im Internet. Morville beschreibt sieben Aspekte, die als Kriterien herangezogen werden können, um die Qualität der User Experience im Designprozess einschätzen zu können: Usability, Use- fulness, Desirability, Value, Findability, Credibility und Accessibility (Morville 2010). Nützlich (useful): Das zu gestaltende Produkt muss für den Verwender einen Zweck oder ein Bedürfnis erfüllen. Es ist nützlich, um diese Aufgabe zu erledigen. Verwendbar (useable): Der Nutzer kann ohne großen Aufwand das Produkt verwenden, es passt zu seinem Können und Verständnis sowie Möglichkeiten. Im Vergleich zur Nütz- lichkeit ist die Verwendbarkeit (Usability) zwar notwendig für ein Produkt, aber nicht ausreichend. Erstrebenswert/erwünscht (desirable): Die Desirability fokussiert sich auf das ästheti- sche Erleben und die Emotion. Es spricht das Verlangen in uns, das Gefühl „das muss ich haben“, an. Auffindbar (findable): Produkte, Anwendungen und Services müssen so gestaltet sein, dass der Nutzer sie leicht und einfach findet. Zugänglich (accessible): Funktionen und das gesamte Produkt sollte so gestaltet wer- den, dass Anwendungen auch für Nutzer mit Einschränkungen zugänglich bleiben (z. B. optische Einschränkungen wie Blindheit oder Farbenblindheit, Bewegungseinschrän- kungen wie Einhändigkeit). Glaubwürdig (credible): Das Produkt muss glaubwürdig, verlässlich gestaltet sein und im Nutzer das Vertrauen wecken, dass das genau das richtige Produkt ist, um sein Bedürfnis zu erfüllen. Wertvoll (valuable): Das Produkt oder die Anwendung muss im Gesamten sowohl dem Nutzer wie auch dem Hersteller einen Mehrwert bieten. Morvilles Heuristik ist dabei deutlich die Nähe zum klassischen Usability Engineering anzumerken: Die drei Kriterien nützlich, verwendbar und erstrebenswert stellen hier eine direkte Beziehung zu Usability her. Die weiteren vier Kriterien lassen sich sowohl auf den Gebrauchs- als auch auf den Geschäftswert eines Artefakts beziehen. Hartson und Pyla nennen als vier Komponenten von User Experience Usability, Useful- ness, Emotional Impact und Meaningfulness (2019, S. 9–11): 25 Usability (Gebrauchstauglichkeit): beinhaltet eine einfache Benutzung, Produktivität, Effizienz, Vermeidung von Fehlern, Erlernbarkeit, Wiedererkennbarkeit; Usefulness (Nützlichkeit): der tatsächliche Nutzen, den eine Anwendung im praktischen Alltag für die Nutzerin hat; Emotional Impact (emotionale Auswirkungen): die Art und Weise, wie ein Nutzer eine Interaktion empfindet, einschließlich der Benutzerzufriedenheit; Meaningfulness (Bedeutsamkeit): Ergebnis der persönlichen Beziehung eines Nutzers mit einem Produkt über einen längeren Zeitraum hinweg. Auch Hartson und Pyla nehmen Bezug auf Usability als ein Kernkriterium von User Experi- ence, gehen aber darüber hinaus auch auf die weniger klar umrissenen und stärker sub- jektiv geprägten Kriterien der Erfahrungsqualität ein. 1.2 User Experience Design und Management User Experience Design gilt heutzutage als feste Größe für Unternehmen mit digitalen Pro- dukten und Services. Als Erfolgsfaktor kann User Experience jedoch nur dann gelten, wenn sie nicht als isolierte Aktivität für einzelne Produkte oder Services verstanden wird, son- dern in allen Bereichen eines Unternehmens Unterstützung findet. Dies bedeutet, dass eine konsequente Ausrichtung auf die Benutzer und Kunden häufig auch Auswirkungen auf die interne Organisation eines Unternehmens hat. Zum einen ist eine benutzerorien- tierte Perspektive in der Regel mit einem bestimmten Prozessmodell verbunden, das damit auch innerhalb eines Unternehmens Akzeptanz und Unterstützung finden muss. Zum anderen betrifft User Experience Design mehrere Professionen und Abteilungen innerhalb von Unternehmen – der Einfluss geht von der unmittelbaren Umsetzung durch Softwareentwickler, Informationsarchitekten und Kommunikationsdesigner bis hin zu Entscheidungen über Geschäftsmodelle in der Unternehmensführung. Die erfolgreiche Ausrichtung eines Unternehmens auf User Experience ist deswegen ein schrittweiser Pro- zess, bei dem ein enger Zusammenhang von UX-Maßnahmen und Geschäftsstrategie her- gestellt werden muss. UX als Erfolgsrezept User Experience kann für ein Unternehmen den Unterschied zwischen Erfolg und Schei- tern bedeuten. Den Einfluss von User Experience Design auf den Unternehmenserfolg zeichnet Bill Buxton anhand der Firma Apple und ihrer Produkte nach (2007, S. 41–53). Der Fokus auf qualitativ hochwertiges Industriedesign, den Steve Jobs bei seinem Wechsel zu Apple 1997 veranlasste, brachte für die angeschlagene Firma die Trendwende. In der Folge gelang es insbesondere auch durch eine ganz eigene und herausragende User Experience, Apple-Produkte zu Statussymbolen zu machen. Buxton weist im Zusammenhang mit dem Aufstieg Apples zur UX-Vorbildfirma auf einige Punkte hin, die das Zusammenspiel von Management und Design berühren. Er beginnt damit, dass das Design des iMac, der als erster Produkterfolg Apple aus der Krise verhalf, 26 von denselben Mitarbeitern entwickelt wurde, die bereits vorher bei der Firma beschäftigt waren. Diese konnten jedoch erst mit der Unterstützung der Managementebene ihr Talent gewinnbringend einsetzen. Der iMac steht zudem am Anfang einer Unternehmensstrategie, die in der Folge auf schnelle und kontinuierliche Innovation setzte und so dafür sorgte, dass jede neue Pro- duktgeneration als schärfste Konkurrenz der bestehenden Produktpalette gelten konnte. Auch die Entwicklung des Apple iPod setzte laut Buxton ein gemeinsames Handeln von Management und Design voraus und bestand zudem in einem Ökosystem von Produkten und Services, die zum Erfolg des Produkts beitrugen. Ein weiterer Aspekt der User Experience, den Buxton nennt, ist der des symbolischen Pro- duktwerts. Dieser lag beim iPod derart hoch, dass praktische Erwägungen im Gebrauch dahinter zurückstehen konnten. So war der iPod weder das erste noch das beste Gerät sei- ner Art auf dem Markt. Sein auffälliges Design setzt jedoch stark auf modische und stilisti- sche Aspekte und wurde durch die begleitende Medienkampagne erfolgreich aufgenom- men: Buxton weist darauf hin, dass die weißen Kopfhörer als Zeichen vollkommen ausreichten, um einen Bezug zur Marke und zum Produkt herzustellen. Über die Erfolge vieler Apple-Produkte gerät dabei auch in Vergessenheit, dass die Firma ebenfalls einige Misserfolge produzierte, die die Funktion der Produkte beeinträchtigen, wie z. B. das hochästhetische, aber unglücklich gestaltete Gehäuse des PowerMac G4 Cube. Buxton stellt heraus, dass solche Misserfolge Teil einer Unternehmensstrategie sind, die Risiko vor Sicherheit stellt und so auf lange Sicht erfolgreicher ist. 27 Abbildung 2: Aktivitäten und Phasen im Designprozess nach Jonas Quelle: Katharina Bredies, 2020, in Anlehnung an Jonas 2006, S. 5f. Der UX-Designprozess Grundsätzlich lassen sich bei jedem Designprozess drei Arten von Aktivitäten – Analyse, Projektion und Synthese – unterscheiden, die sich wiederum in je vier unterschiedliche Phasen unterteilen lassen: Recherche, Analyse, Synthese und Realisierung (Jonas 2006). Nicht alle Aktivitäten sind in jedem Designprozess gleich wichtig. So fokussiert ein benut- zerorientierter Designprozess in der Regel auf eine ausführliche Analyse des Ist-Zustands und geht dann schnell zur Synthese über, in der konkrete Vorschläge entwickelt und umgesetzt werden – es geht dabei also selten darum, Visionen zu entwickeln, die mehrere Jahre in die Zukunft reichen. Die Projektion oder Ideengenerierung bewegt sich bei nutz- erzentrierten Anwendungsprojekten ganz klar im Bereich des technisch Machbaren und unmittelbar Akzeptierbaren. Ein benutzerorientierter Designprozess ist zudem in der Regel durch eine iterative Vorgehensweise geprägt, d. h., dass Rechercheergebnisse, Ideen und Entwürfe immer wieder mithilfe unterschiedlicher Methoden mit potenziellen Benutzern evaluiert werden. Auch die Phasen von Recherche, Analyse, Synthese und Realisierung werden in allen drei Aktivitäten nicht immer gleich gewichtet und können sich bei stark iterativen Prozessen auch mehrmals wiederholen. Die Recherchephase dient dabei dem Sammeln relevanter Daten über die Stakeholder, darunter auch die Nutzer. In der Analysephase werden die zuvor gesammelten Daten aus unterschiedlichen Quellen analysiert und zu einem Anforderungsprofil verdichtet oder können in einer alternativen Beschreibung des Designproblems aus Nutzersicht münden. In der Ideenfindungs- oder Synthesephase werden neue Konzepte erstellt, die in der Reali- sierungsphase umgesetzt werden. Häufig kommt bei benutzerzentrierten Prozessen nach 28 einer Umsetzungsphase eine weitere Analysephase, bei der die umgesetzten Lösungen ausführlichen Benutzertests unterzogen werden. Die Evaluation von Zwischenergebnissen stellt also häufig schon die Analysephase für die nächste Iteration dar. Je mehr Iterationen erfolgt sind, desto weiter entwickelt ist das Produkt. Typische UX-Designprozesse Es existieren viele unterschiedliche Modelle für benutzerzentrierte Designprozesse im All- gemeinen und UX-Designprozesse im Besonderen. Jonas’ generisches Prozessmodell soll an dieser Stelle dazu dienen, die Gemeinsamkeiten dieser unterschiedlich dargestellten Prozesse zu verdeutlichen. So betont das vom britischen Design Council veröffentliche Modell des „Double Diamond“ (Design Council 2019) konvergente und divergente Design- phasen, bei denen also Momente, in denen viele Ideen generiert werden, solchen gegen- übergestellt werden, wo man sich wieder auf bestimmte Konzepte für die Weiterarbeit festlegt und andere ausschließt. Obwohl das ursprüngliche Modell des Double Diamond erst 2005 veröffentlicht wurde, gibt es mittlerweile eine revidierte Version, die den Pro- zessphasen weitere Aspekte hinzugesellt – eine „Methods Bank“, also methodische Grund- lagen, ebenso wie Designprinzipien. Dies weist darauf hin, dass nicht allein die Prozessdy- namik von Divergenz und Konvergenz prägend für den Designprozess ist. Das von Bouniq-Mercier veranschaulichte Phasenmodell des UX-Prozesses stellt den Zusammenhang zwischen den Aktivitäten im Designprozess und geeigneten Methoden her (Bouniq-Mercier o. J.) und illustriert so weitergehend diesen Aspekt, der im Double Diamond lediglich angedeutet wird. Das bekannte und viel zitierte Modell benutzerzent- rierter Gestaltung nach DIN EN ISO 9241-210 betont die iterative Arbeitsweise, die durch Tests und Anpassungen geprägt ist (DIN Deutsches Institut für Normung e. V. 2010, S. 15), und geht nicht auf die genutzten Methoden oder die Prozessdynamik der Problem- und Lösungsdefinition ein. Strukturell sind sich alle Prozesse aber ähnlich, auch wenn sich die Benennung der Phasen und Aktivitäten unterscheidet. 29 Abbildung 3: Vereinfachte Darstellung des Double-Diamond-Prozessmodells Quelle: Katharina Bredies, 2020, in Anlehnung an Design Council 2019. Abbildung 4: UX-Designprozess nach Bouniq-Mercier Quelle: Katharina Bredies, 2020, in Anlehnung an Bouniq-Mercier o. J. 30 Abbildung 5: Menschzentrierter Designprozess nach DIN EN ISO 9241-210 Quelle: Katharina Bredies, 2020, in Anlehnung an DIN Deutsches Institut für Normung e. V. 2010, S. 19. Abbildung 6: Nutzerzentrierte Prozessmodelle im Vergleich Quelle: Katharina Bredies, 2020,. 31 Ein benutzerorientierter UX-Designprozess zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass über die gesamte Entwicklung Methoden zur Anwendung kommen, um die bisher gewon- nenen Erkenntnisse oder Ergebnisse daraufhin zu testen, ob sie die Nutzerperspektive treffend wiedergeben und dem Nutzerverständnis entsprechen. Eine Übersicht über häu- fig verwendete Methoden in den unterschiedlichen Phasen gibt die folgende Tabelle. Tabelle 1: Phasen und Methoden im UX-Prozess nach Bouniq-Mercier Aufgaben und Methodenbei- Phase Ziel spiele Entdecke/Discover Sammle Erkenntnisse, um das Prob- Für wen wollen wir warum was (Recherche) lem besser zu verstehen. machen? Nutzerinterviews, Umfragen, Fokusgruppen, Datenanalyse, Wettbewerbs- analyse, Content Inventory Definiere/Define Habe Klarheit über das zu lösende Verstehe die Nutzer: Personas, (Analyse) Problem, das zu erreichende Ziel und Empathy Maps, User Journey, wer die Nutzer sind. Touchpoint-Analyse, Storybo- ards, User Stories, Problem Statements Ideate Finde eine Lösung auf Basis der vor- Brainstorming, Mind Maps, (Synthese) handenen Erkenntnisse. Card Sorting, Szenarien, Story- boards, Future User Journey, Information Architecture Prototype schnelle Umsetzung von Ideen, Paper Prototype: schnelle Skiz- (Realisierung) schnelle Tests, frühes Scheitern, zen per Hand, Interaktionssi- schnelles Lernen mulation, Tests und Feedback Wireframes: Black & White Screens, Detailed User Flows, Interaktionen, Tests und Feed- back Hi-Fi-Prototype: UI Research, Mockups, Interactive Proto- type, Micro Interactions Bewerte/Evaluate Finde heraus, ob die Lösung die Ant- Usability Tests: Beobachtungs- (Analyse) wort auf das ursprüngliche Problem techniken, Interview- und ist. Befragungstechniken, A/B Tes- ting Quelle: Katharina Bredies, 2020, in Anlehnung Bouniq-Mercier o. J. Der UX-Designprozess ist in dieser Form weitverbreitet und wird in unterschiedlichen, aber immer ähnlichen Variationen vielfach angewendet. UX als interdisziplinäres Feld Da die User Experience eines Service oder Produkts über viele unterschiedliche Touchpo- ints hinweg positiv sein soll, erfordert User Experience eine abteilungsübergreifende inter- disziplinäre Zusammenarbeit. Die User Experience eines Produkts findet auf unterschiedli- chen Abstraktionsebenen statt, die sowohl die verschiedenen Designaktivitäten als auch die unterschiedlichen Aspekte der Nutzererwartungen widerspiegeln. Idealerweise kann 32 man den Nutzererwartungen auf allen Gestaltungsebenen treffend begegnen. Hierzu ist jedoch ein gutes Zusammenspiel der einzelnen Gestaltungsaspekte Voraussetzung. Erkenntnisse aus der Recherche- und Analysephase eines Projekts müssen zudem den ein- zelnen Ebenen zugeordnet werden können, um zielgerichtet Änderungen vornehmen zu können. Moser stellt hierzu ein Modell vor, das die Erwartungen der Nutzer in Beziehung zu den Produkteigenschaften setzt. Er erklärt: „Auf verschiedenen Ebenen treffen Eigenschaften des Benutzers auf Merkmale des Produkts. Für eine positive User Experience müssen die Erwartungen auf jeder Ebene erfüllt werden“ (Moser 2012, S. 12). Jede Erwartungsebene entspricht dabei einem anderen Designaspekt der User Experience wie Funktionsumfang, Komplexität der Anwendung, Informationsarchitektur, Interaktions- und Grafikdesign. Abbildung 7: Berührungspunkte, Benutzereigenschaften und Produktmerkmale nach Moser Quelle: Katharina Bredies, 2020, in Anlehnung an Moser 2012, S. 13. In ähnlicher Weise differenziert Jesse James Garrett die fünf Elemente der User Experi- ence. Garrett unterscheidet hierbei zwischen Strategie, Umfang, Struktur, Raster und Oberfläche. Die Definition und der Aufbau dieser fünf Ebenen erfolgt von unten nach oben und bewegt sich von abstrakten Bereichen wie der Strategie hin zur konkreten gestalteri- schen Problemlösung (2012, S. 21). Die Strategieebene legt dabei fest, welchen Zweck die Anwendung für die Nutzer und für das Unternehmen haben soll (Nutzerbedürfnisse befriedigen, Unternehmensziele errei- chen) und welches strategische Ziel damit verfolgt wird (ebd., S. 20). Die Umfangsebene definiert, welche Features, Merkmale und Funktionen eine Anwendung anbietet. Die Strukturebene beschreibt die innere Struktur der Anwendung, die Verlinkung zwischen ihren Inhalten und definiert z. B. die Einteilung von Inhalten in Kategorien. Die Raster- ebene beschreibt die Platzierung und Anordnung der Elemente und Inhalte, die wir in der Oberflächenebene sehen. Die Oberflächenebene zeigt die sichtbare Oberfläche des Pro- dukts mit seinen Bildern, Texten, Buttons und Links oder Interaktionsmöglichkeiten. 33 Abbildung 8: Die Elemente der User Experience nach J. J. Garrett Quelle: Katharina Bredies, 2020, in Anlehnung an Garrett 2012, S. 29. Garrett differenziert die fünf Ebenen außerdem nach Funktionen und Informationen. Auf der Funktionsseite liegt der Fokus auf den vom Nutzer zu erledigenden Aufgaben. Auf der Informationsseite liegt das Augenmerk darauf, welche Informationen dem Nutzer zur Ver- fügung stehen und was diese für den Nutzer bedeuten (Garrett 2012, S. 25, 29). 34 Anhand von Garretts Modell lassen sich in der Praxis bei bereits bestehenden Produkten strukturiert Probleme der Nutzererfahrung erkennen und an der richtigen Stelle bearbei- ten: Handelt es sich um ein grafisches Problem oder muss die Navigationsarchitektur überdacht werden? Zahlt die Anwendung auf die Strategie des Unternehmens ein? Kön- nen mit diesen Funktionen die gesteckten Ziele erreicht werden? Insgesamt müssen alle fünf Ebenen zusammenwirken, um eine angenehme und erfreuende Nutzererfahrung zu erreichen (Garrett 2012, S. 31). Integration von benutzerorientierten Prozessen in Unternehmen Benutzerzentriertes Design, so wie es auch beim User Experience Design praktiziert wird, versteht sich als ganzheitlicher interdisziplinärer Ansatz. Es beruht damit auch auf einer Reihe an Prinzipien, auf denen benutzerzentrierte Designprozesse aufbauen. So nennt der Design Council Nutzerzentrierung, visuelle und inklusive Kommunikation, Kollaboration und Co-Creation sowie Iteration (Design Council 2019). Es ist daher kaum möglich, inner- halb eines Unternehmens benutzerzentriert zu arbeiten, wenn dies nicht vonseiten des Managements gefördert und durch eine passende Unternehmenskultur gestützt wird. Nutzerzentriertheit ist eine zentrale Voraussetzung dafür, User Experience als Ansatz in einem Unternehmen zu etablieren. Dies umfasst zum einen ein umfassendes Verständnis der Benutzer, ihrer Arbeitsaufgaben und -umgebungen, und setzt zum anderen voraus, dass die Benutzer während der Gestaltung und Entwicklung aktiv einbezogen werden, z. B. durch die fortlaufende Evaluation von Gestaltungslösungen (Richter/Flückiger 2016, S. 28). Um Benutzerorientierung im Unternehmen zu verankern, ist es daher notwendig, das Wissen über die Nutzer über mehrere Abteilungen hinweg zu konsolidieren und zu integ- rieren. Benutzerorientierte Methoden sollten dazu genutzt werden, um Unternehmensent- scheidungen in den frühen Phasen der Businessanalyse und des Requirements Enginee- ring zu informieren. Die bestehenden Entwicklungsprozesse innerhalb des Unternehmens sollten zudem darauf geprüft werden, wo es möglich ist, stärker iterativ zu arbeiten und so Feedbackschleifen einzubauen. Eine enge Zusammenarbeit im Team und eine gemein- same Sprache, die durch konkrete Beispiele und Visualisierungen gestützt wird, ist die Voraussetzung dafür, dass Missverständnisse in der Entwicklung vermieden werden. Dies erfordert auch, dass benutzerzentrierte Methoden und Werkzeuge Eingang in die Entwick- lungsprozesse finden und die Rollen und Tätigkeiten klar verteilt werden (Richter/Flücki- ger 2016, S. 147–149). Die Entwicklung hin zu einem nutzerzentrierten Unternehmen stellt daher einen länger- fristigen Prozess dar. Es benötigt Zeit, um ein Verständnis für User Experience aufzubauen und die notwendigen methodischen Kompetenzen im Unternehmen zu entwickeln. Dies geschieht nur schrittweise. Den Einstieg in eine benutzerzentrierte Arbeitsweise stellen dabei häufig kleinere Projekte dar, anhand derer sich auch mit wenig Aufwand und ohne eigenes Budget der Wert von User Experience verdeutlichen lässt. Eine nutzerzentrierte Unternehmenskultur ist jedoch mittel- und langfristig auf Unterstützung von der Manage- mentebene angewiesen (Moser 2012, S. 20f.). Dafür ist es in der Regel notwendig, den Wert von User Experience konkret nachzuweisen, indem man den sogenannten Return on Investment aufzeigt. 35 Return on Investment Der Return on Investment (ROI, deutsch: Kapitalrentabilität) dient als numerische Ver- gleichsgröße dafür, wie wirtschaftlich lohnend bestimmte Maßnahmen sind – wie viel Gewinn also eine bestimmte Investition verspricht (Jacobsen/Meyer 2019, S. 265f.). Dieser Nachweis ist für die Verbesserung der User Experience nicht immer einfach zu erbringen. Zwar müssen Benutzererlebnisse die Erwartungen der Kunden erfüllen, um ein Return on Investment zu erreichen, und eine schlechte User Experience verursacht kon- krete Kosten für ein Unternehmen, z. B. in Form von Anrufen beim Kundendienst (Dono- gue 2002, S. 4). Es ist daher sinnvoll, die geplanten UX-Maßnahmen an den Geschäftszielen auszurichten, z. B. dem Senken der Kosten beim Support. Nicht in allen Fällen ist der Zusammenhang von User-Experience-Qualität und Kosten jedoch so klar: So wirkt sich eine gute User Experience vermeintlich oder tatsächlich auf die Zufriedenheit der Kunden insgesamt und damit die Weiterempfehlungsrate (Net Pro- moter Score oder NPS) aus, die als einfache, aber umstrittene Metrik für die Qualität von UX häufig herangezogen wird. Bessere UX führt zu besserer Usability, durch die Benutzer effizienter und produktiver werden, und ein benutzerzentrierter UX-Prozess stellt für Unternehmen eine kosteneffiziente Art der Projektarbeit dar (Moser 2012, S. 21). Hohe Kundenzufriedenheit ist jedoch kein Unternehmensziel an sich, sondern ein Mittel, um Profit zu machen, wenn sich die Ziele der Kunden und des Unternehmens decken. Gutes User Experience Design trägt zu einer positiven Kundenbeziehung bei, die sich jedoch häufig erst nach längerer Zeit in den Bilanzen eines Unternehmens niederschlägt. Wenn es darum geht, UX in Unternehmen zu etablieren, spielt sowohl der kurzfristige ROI als auch die langfristige Qualität der Kundenbeziehungen eine Rolle. Dies muss man bei der strategischen Planung von UX-Aktivitäten beachten, da diese häufig bedeutende Investitionen erfordern (Donogue 2002, S. 12–15). 1.3 Ausgewählte Szenarien aus der Praxis User Experience Design stützt sich als benutzerorientierter Gestaltungsansatz auf die Bedürfnisse und Wünsche der Benutzer. Die Nutzererfahrung mit einem Produkt oder Ser- vice ist dabei der Ausgangspunkt für die Gestaltung, während das Produkt selbst das Medium darstellt, das diese Erfahrung vermittelt, wie man am Beispiel des Philips Wakeup Light nachvollziehen kann. Der Zusammenhang zwischen dem Produkt und der Erfah- rung, die es ermöglicht, ist dabei nicht vollkommen festgelegt – er ist aber auch nicht voll- kommen willkürlich, sondern gestaltbar. Diese Ausgestaltung von positiven Nutzererfah- rungen ist keinesfalls das Ergebnis des Zufalls, sondern eines sorgfältigen Prozesses, der die Details der Interaktion berücksichtigt, wie das Beispiel der Saftpresse OrangeX belegt. Dabei ist eine positive User Experience für Unternehmen kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, um den Umsatz zu steigern. Dies gelingt dann, wenn ein Unternehmen seine Ange- bote zum richtigen Zeitpunkt machen kann und so für den Kunden ein Mehrwert entsteht, wie das Beispiel der Amazon Website zeigt. 36 Philips Wakeup Light Materielle Produkte können bei gleicher Funktionalität ein vollkommen anderes Nut- zungserlebnis bieten. Sie treten damit laut Marc Hassenzahl als Vermittler einer Erfahrung auf, die von ihrer konkreten Form abhängig ist. Als Beispiel für ein Produkt, das die Nutzer- erfahrung als Ausgangspunkt der Gestaltung heranzieht, nennt er das Philips Wakeup Light (Hassenzahl 2011). Dabei handelt es sich um einen Wecker, der Licht und natürliche Geräusche verwendet, um die Nutzer aufzuwecken. Er stellt ein Beispiel dafür dar, wie das Erlebnis des Aufwachens als Ausgangspunkt genommen wird, um die ästhetische Erschei- nungsform des Produkts „Wecker“ grundlegend zu überdenken. Traditionelle Wecker sind mechanische Geräte und die Erfahrung des Gewecktwerdens hängt zunächst einmal von ebendieser mechanischen Form ab: eine Uhr, die beim Errei- chen einer bestimmten Uhrzeit ein Signal produziert. Diese etablierte Form des Weckers wurde auch dann weiter beibehalten, als die technischen Möglichkeiten bereits andere Erfahrungen ermöglicht hätten. Strukturell ist das Erlebnis des Gewecktwerdens also ähn- lich geblieben, unabhängig davon, ob ein Wecker piept oder das Radio anschaltet, wenn die Weckzeit erreicht ist. Die Funktionsweise eines solchen Weckers hat wenig mit der Erfahrung des natürlichen Aufwachens zu tun. Zwar erfüllt ein lautes Geräusch hier seinen Zweck. Idealerweise wür- den wir jedoch von alleine aufwachen dadurch, dass es in unserer Umgebung hell wird und wir ganz allmählich Geräusche hören, die den Schlaf sanft und allmählich beenden. Dieses Aufwacherlebnis ist beim Philips Wakeup Light der Ausgangspunkt der Nutzerer- fahrung: Die Lampe imitiert die Umstände des natürlichen Aufwachens mit technischen Mitteln. Die Aufwachphase beginnt bereits einige Minuten vor der eigentlichen Weckzeit mit sanftem, immer heller werdendem Licht und Naturgeräuschen. Das Aufwachen wird so zu einer angenehmen Erfahrung, das Aufstehen fällt leichter. Hassenzahl weist darauf hin, dass das Produkt visuell eher unspektakulär ist und sich in der Erscheinung nicht auffällig von anderen Leuchten unterscheidet. In der Erfahrung, die es ermöglicht, liegt jedoch ein großer Unterschied und eine deutliche Verbesserung für die Nutzer. Hier sieht Hassenzahl eine Herausforderung für zukünftige Gestaltung: das Mate- rial zu „transzendieren“ und die positive Erfahrung als Ausgangspunkt für Design zu neh- men (Hassenzahl 2011). Bill Buxtons Saftpresse Der Zusammenhang von Nutzererfahrung und Produkt ist nicht immer so offensichtlich wie beim Philips Wakeup Light und darüber hinaus Teil der Performance eines Produkts. Die Erfahrungsqualität hängt bisweilen von Details ab, die bei der Betrachtung des Materi- als nicht offensichtlich sind. Die Erfahrung selbst wird nur im Umgang mit dem Objekt deutlich. 37 Eine positive User Experience beim Umgang mit Produkten kann zwar auch zufällig entste- hen, ist aber sehr viel häufiger das bewusste Ergebnis sorgfältiger Gestaltungsarbeit. Dies illustriert Bill Buxton anhand dreier unterschiedlicher Saftpressen und geht hierbei darauf ein, wie sich die Unterschiede in der Ausgestaltung von funktional gleichen Gegenständen auf die User Experience auswirken (Buxton 2007, S. 127–131). Buxtons Saftpressen erfüllen hierbei alle die gleiche Funktion in ähnlicher Qualität, näm- lich das Auspressen von Orangen für frischen Orangensaft. Der Unterschied liegt darin, wie sie dies tun: Die erste Presse, die Buxton vorstellt, ist eine elektrische Saftpresse, die bei der Bedienung ein unangenehm lautes Geräusch von sich gibt. Die zweite Saftpresse, eine Handpresse, tut dies nicht, sondern presst die Orangen angenehm geräuschlos aus. Dabei wird jedoch das Pressen zum Ende hin immer anstrengender. Die dritte Saftpresse mit dem Namen OrangeX, die Buxton vorstellt, stellt die anderen zwei daher auch dadurch in den Schatten, dass sie diesen Kraftaufwand anders orchestriert: Aufgrund eines klug gestalteten Mechanismus ist der Kraftaufwand, den man beim Aus- pressen aufbringen muss, zum Ende hin niedriger als am Anfang. Buxton beschreibt, wel- che Freude dieses Detail ihm selbst bei der Benutzung macht und wie wichtig dies für die Qualität der Nutzererfahrung ist. Gleichzeitig zeichnet Buxton den Gestaltungsprozess seiner Lieblings-Saftpresse nach, aus dem deutlich wird, dass das positive Nutzererlebnis bei der Konstruktion sorgfältig geplant und geprüft wurde. Eine Reihe an Skizzen und Modellen bezeugen hierbei den Auf- wand, den die Gestaltung einer solchen User Experience mit sich bringt. Amazon Website Im Umgang mit Produkten kann eine gute oder schlechte User Experience Einfluss darauf haben, ob Kunden ein Produkt weiterempfehlen oder nicht – jedoch haben sie es zu die- sem Zeitpunkt in der Regel schon gekauft. Bei digitalen Interfaces, z. B. Websites oder mobilen Anwendungen, kann aber die User Experience darüber entscheiden, ob ein Kunde einen Kauf überhaupt abschließt oder nicht. User Experience Design hat deswegen besonders bei digitalen Interfaces eine hohe Bedeutung, weil hier der Zusammenhang zwischen Benutzungsqualität und Umsatz für ein Unternehmen deutlich spürbar wird. Anders als bei materiellen Produkten ist es bei digitalen Benutzerschnittstellen aber auch möglich, die User Experience kontinuierlich anzupassen, wenn Probleme auftreten oder um das Kundenerlebnis zu verbessern. Amazon ist dafür bekannt, die User Experience seiner Website kontinuierlich zu kontrollie- ren und zu optimieren. Dies geschieht einerseits durch eine Reihe von Maßnahmen, die dazu dienen, das Online-Kauferlebnis für Kunden möglichst einfach und angenehm zu gestalten. Andererseits testet Amazon jede Veränderung seiner Website im Live-Betrieb in Form von sogenannten A/B-Tests. Der gewünschte Effekt solcher Eingriffe ist eine höhere Konversionsrate, also eine Steigerung der Website-Besuche, die am Ende zu einem Kauf führen. 38 Für ein angenehmes Kauferlebnis bietet Amazon für angemeldete Kunden ein schnelles Kaufen per 1-Click, für das keine weitere Eingabe der Daten notwendig ist. Der Kaufpro- zess ist für Kunden übersichtlich und transparent gestaltet. Auch Reklamationen werden von Amazon schnell und unkompliziert durchgeführt. Gleichzeitig benutzt Amazon den Kaufprozess, um gezielt für eigene Angebote und Services zu werben. So bekommen Kun- den den Hinweis auf kostenlose Probeabos als Prime-Mitglieder genau an dem Schritt des Kaufprozesses, an dem die Lieferzeit und Lieferkosten dargestellt werden. Diese passge- naue Platzierung erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Kunden den Service in Anspruch nehmen und das Angebot als hilfreich empfinden. Der Einsatz von A/B-Tests ist bei Amazon ein routiniert eingesetztes Mittel, um die User Experience im laufenden Betrieb zu verbessern. Bei solchen Tests werden zwei Varianten einer Website implementiert und veröffentlicht, die sich jeweils in einer einzelnen Eigen- schaft unterscheiden. Das Testen im Live-Betrieb sorgt dafür, dass schnell eine hohe Zahl an Testergebnissen zustande kommt, teilweise schon nach einigen Stunden. Diese Ergeb- nisse können dann wiederum aufgrund der hohen Fallzahlen statistisch ausgewertet wer- den und führen zu verlässlichen Resultaten, sofern der Test angemessen gestaltet wurde. Die erfolgreichere Variante wird anschließend übernommen (Jacobsen/Meyer 2019, S. 254). Das Beispiel von Amazon verdeutlicht, wie bei User Experience Design Geschäftsinteres- sen und eine hohe Erlebnisqualität für die Nutzer ineinandergreifen können. ZUSAMMENFASSUNG User Experience Design ist als interdisziplinäres Feld im Bereich der Mensch-Maschine-Interaktion entstanden, nachdem sich Computer wei- ter in den privaten Anwendungsbereich verbreitet hatten. Bei UX steht die positive Nutzererfahrung im Vordergrund, die mittlerweile für Unter- nehmen zu einem zentralen Erfolgskriterium geworden ist, da Produkte und Services sich funktional kaum noch unterscheiden. Erfahrung ist, anders als Gebrauchstauglichkeit, nur schwer objektivier- bar. Sie ist per Definition subjektiv, ganzheitlich, situationsabhängig und dynamisch. Dies gilt auch für die User Experience, die sich auf den Umgang mit Technologie fokussiert. Für UX spielt deswegen der Kontext einer Technologie, zu der auch der Nutzer gehört, eine wichtige Rolle für die Gestaltung. Die Handlungsziele der Nutzer werden hierbei nicht nur auf instrumenteller oder operativer Ebene betrachtet, sondern auch auf Ebene der Motivationen, der sogenannten Seinsziele. Die ganzheitliche User Experience wird durch die Summe aller Kontakte zwischen einem Unternehmen und einem Benutzer, die sogenannten Touchpoints, geprägt. 39 User Experience Design ist eng verwandt mit Interface Design, nimmt jedoch eine übergeordnete Perspektive ein, die über das einzelne User Interface hinausgeht. Dies bedeutet auch, dass gute Usability zwar in vielen Fällen Voraussetzung für eine positive User Experience ist, jedoch nicht ausreichend. UX steht zudem im engen Zusammenhang mit Custo- mer Experience Management, das UX-Maßnahmen aus Managementper- spektive betrachtet. Den Einfluss auf den Geschäftserfolg, den UX haben kann, kann man anhand des Beispiels der Firma Apple nachvollziehen, deren konsequenter Fokus auf hochwertiges Industriedesign die Firma einst erfolgreich machte. Der UX-Designprozess ist ein benutzerorientierter und iterativer Prozess, der von Praktikern in unterschiedlicher Form, aber immer ähnlicher Struktur dargestellt wird und eine konsequente Einbeziehung der Benut- zer voraussetzt. UX findet damit auch auf mehreren planerischen Ebe- nen statt, die von der strategischen Ausrichtung an Unternehmenszielen bis hin zur konkreten Umsetzung der Benutzeroberfläche reichen. Um UX-Prozesse erfolgreich in einem Unternehmen zu etablieren, ist eine schrittweise Integration der notwendigen Methoden in bestehende Abläufe notwendig, die häufig längere Zeit beansprucht. Um die Unter- stützung auf Managementebene zu erlangen, ist es hierfür häufig not- wendig, den konkreten geschäftlichen Mehrwert von UX aufzeigen zu können. 40 LEKTION 2 ANALYSE LERNZIELE Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie wissen, … – was die Rolle von empirischer Nutzerforschung in der Analysephase des Gestaltungs- prozesses ist. – was eine Contextual Inquiry ist, wie sie durchgeführt und wie ihre Ergebnisse analysiert werden. – worum es sich bei einer Touchpoint-Analyse handelt und welche Daten sich hierfür eig- nen. – wie man eine Customer Journey Map herstellt und was man mit ihr herausfinden kann. – was Personas sind, wie sie erstellt und im Designprozess angewandt werden. 2. ANALYSE Einführung Ein benutzerzentrierter Designprozess, wie er auch im User Experience Design verwendet wird, beginnt meistens mit einer Analysephase, in der der Anwendungskontext, die Hand- lungsabläufe und die wichtigsten Benutzergruppen untersucht und beschrieben werden. Eine umfangreiche und präzise Analyse dieser Aspekte ist eine wichtige Grundlage für aus- sagekräftige Benutzeranforderungen, die für die Auswahl und Weiterentwicklung von Lösungsideen eine zentrale Rolle spielen. Hilfreiche Methoden stellen in diesem Zusam- menhang unter anderem die Contextual Inquiry, die Touchpoint-Analyse und das Mapping der Customer Journey sowie die Generierung von Personas dar. In der Analysephase des Gestaltungsprozesses dient Nutzerforschung dazu, die Bedürf- nisse und Intentionen der Nutzer und Probleme mit bestehenden Systemen zu identifizie- ren. Ein benutzerzentrierter Prozess setzt voraus, dass es zu einer direkten Auseinander- setzung kommt und nicht nur zu einer Repräsentation von Nutzern über bereits vorhandene Daten. Der direkte Austausch mit potenziellen oder tatsächlichen Nutzern ist hierbei eine unersetzliche Quelle für Beobachtungen und Einsichten im Umgang mit einem Produkt, Service oder System. Der Umfang und die Tiefe von Nutzerforschung im Rahmen der Analysephase sind abhängig von den zeitlichen, finanziellen und personellen Ressourcen, die für das Projekt zur Verfügung stehen. Diese bestimmen z. B., ob und in welchem Umfang eine Befragung und Beobachtung stattfinden kann. Dabei heben Usabi- lity-Experten immer wieder hervor, dass selbst eine kurze und oberflächliche Untersu- chung der Nutzer besser ist als gar keine. Aber auch ohne oder mit nur wenig Ressourcen für eigene empirische Nutzerforschung ist es sinnvoll, eine Datenbasis zusammenzustellen, die bei der Entscheidungsfindung im Design unterstützt. Methoden, die eigens erhobene empirische Daten benötigen, lassen sich hierfür mit solchen kombinieren, die mit vorhandenen Daten arbeiten oder beide Datenarten einsetzen. Dabei bezeichnet Empirie „ein auf systematischen Erfahrungen sowie auf theoretischen Modellen basierendes Wissen. Bei der Empirie handelt es sich um eine spezifische Form von Aussagen zur Beschreibung der Wirklichkeit. Im Unterschied zur Theorie haben sich diese jedoch noch nicht (ausreichend und umfassend) in der Praxis bewährt“ (Häder 2019, S. 32). Man unterscheidet im Wesentlichen zwei Arten von empirischen Daten: Quantitative Daten, die darauf abzielen, Phänomene quantifizierbar und dadurch vergleichbar zu machen; und qualitative Daten, die eine fokussierte qualitative Beschreibung von Sach- verhalten liefern. Quantitative Daten eignen sich aus diesem Grund gut, um bestehende Annahmen zu bestätigen oder zu verwerfen, während qualitative Daten Hinweise auf Gründe und Ursachen liefern können. Untersuchungen, die quantitative Daten liefern, 42 haben in der Regel hohe Fallzahlen, damit sie valide, also wissenschaftlich aussagekräftig sind. Gute qualitative Forschungsdaten lassen sich dagegen auch mit Einzelfallstudien oder kleinen Teilnehmerzahlen generieren. Außerdem kann man in der Erhebung von Nutzerdaten zwischen Befragung, Beobachtung und Inhaltsanalyse unterscheiden. Befragungsmethoden nutzen sprachliche Aussagen und Gespräche als Datengrundlage. Beobachtungsmethoden fokussieren stärker auf non- verbale Phänomene. Beide Ansätze lassen sich gut kombinieren. Die Inhaltsanalyse eignet sich, um beliebige Informationsträger (also Texte genauso wie Gegenstände) auf ihre manifesten und latenten Sinnstrukturen zu untersuchen. Viele Analysemethoden im Bereich des User Experience Design haben ihren Ursprung in wissenschaftlichen empirischen Untersuchungsmethoden. Einige Eigenschaften einer wis- senschaftlichen Untersuchung sollte man daher auch im Kontext eines Designprozesses beibehalten. Andere Eigenschaften, die im wissenschaftlichen Kontext wichtig sind – z. B. die Validität einer Stichprobe –, sind gute Vorgaben, um möglichst verlässliche Daten zu erhalten. Ein Designprozess ist jedoch keine wissenschaftliche Untersuchung: Das Ziel ist es, ein System zu verbessern und nicht eine objektiv wahre Aussage zu treffen. Es ist daher vertretbar, z. B. mit kleineren Fallzahlen zu arbeiten, weil das Spektrum möglicher Verhal- tensweisen wichtiger ist als die Fallzahl, in der ein Verhalten letztlich auftritt. Wo man im Designprozess jedoch auf wissenschaftliche Daten zurückgreift, wie z. B. Umfrageergeb- nisse oder Marktforschungsdaten, ist eine hohe Validität wichtig für die Glaubwürdigkeit des Designprojekts. Die Kombination unterschiedlicher Datenquellen und Datentypen ist auch deswegen sinn- voll, weil auf diese Weise Erkenntnisse, die auf einer Datenform beruhen, mit Erkenntnis- sen aus einer anderen Datenform abgeglichen werden können. So ist es z. B. möglich, die qualitative Aussage eines Probanden aus einem Interview im Rahmen einer Beobachtung zu überprüfen: Tut der Studienteilnehmer das, was er im Interview gesagt hat, oder wei- chen seine Handlungen im Kontext von der eigenen Darstellung ab? Zudem ist es möglich, durch quantitative Studien die Bedeutung einer qualitativen Aussage zu gewichten, also z. B. herauszufinden, ob es sich bei einem beschriebenen Problem um ein verbreitetes Phä- nomen oder einen Einzelfall handelt. Empirische Nutzerforschung als Teil der Analysephase sollte auch dann sorgfältig geplant werden, wenn nur wenig Zeit dafür vorhanden ist. Nur dann ist es möglich, Daten zu gene- rieren, die später im Designprozess auch relevant sind. Auch wenn die jeweilige Vorge- hensweise sich von Methode zu Methode leicht unterscheidet, kann man im Ablauf empiri- scher Untersuchungen eine Grundstruktur ausmachen, die man in acht Schritte gliedern kann (Moser 2012, S. 58): 1. Einarbeitung in das zu erforschende Thema, 2. Bestimmen der Ziele, 3. Rahmenbedingungen abklären, 4. Untersuchungsdesign ausarbeiten, 5. planen und rekrutieren, 6. durchführen und protokollieren, 43 7. interpretieren und diskutieren, 8. dokumentieren und modellieren. Jede empirische Untersuchung setzt ein Mindestmaß an Kenntnis über den Untersu- chungskontext voraus, damit man bei der eigentlichen Untersuchung effizient vorgehen kann. Dann ist es notwendig, sich auf ausgewählte Ziele und Aspekte zu beschränken, also eine sinnvolle Auswahl dessen zu treffen, was man über die Situation oder die Teilnehmer erfahren will. Anschließend sollte man die Rahmenbedingungen innerhalb des Projekts sowie die notwendigen methodischen Kompetenzen und die vorhandenen Ressourcen klären, da sie die Grundlage für das Untersuchungsdesign bilden. Das Untersuchungsde- sign beschreibt die konkrete Fragestellung, das methodische Vorgehen und die anvisierte Zielgruppe. Erst mit diesen Angaben können geeignete Testpersonen rekrutiert und der zeitliche Rahmen sowie das Setting geplant werden. Auch ein Testlauf der Untersuchung ist hier anzusiedeln. Erst dann finden die eigentlichen empirischen Untersuchungen statt. Hierbei ist es wich- tig, die Untersuchungen selbst angemessen zu protokollieren, sei es durch Audio- oder Videomitschnitte, Notizen, Fotos oder Skizzen. Die für die Untersuchung notwendige Aus- stattung wie Kamera, Aufnahmegerät, Fragebögen und andere Formalien sollten hierfür vorher getestet und vorbereitet werden. Zu einer empirischen Studie gehört auch das Ein- holen von Einwilligungen für die Nutzung der Daten sowie die Vorbereitung von Incenti- ves, die den Teilnehmern anschließend ausgehändigt werden können. Teil der Durchfüh- rung ist auch, angemessen und respektvoll mit den Teilnehmern einer Studie zu kommunizieren, d. h. sie über den Ablauf und Zweck der Untersuchung ausreichend zu informieren und darauf hinzuweisen, dass die Teilnahme freiwillig ist. Nach der Untersuchung werden die erhobenen Daten aufbereitet und ausgewertet. Wel- che Vorgehensweise bei der Interpretation gewählt wird, ist abhängig von den Daten und der Auswahl der Methode. Quantitative Daten werden mit statistischen Verfahren ausge- wertet. Qualitative Daten können nach unterschiedlichen Verfahren interpretiert werden. Manche Methoden wie die Contextual Inquiry sehen hierbei ganz bestimmte Analyse- und Interpretationsmuster vor. Aufgrund der Analyse und Interpretation ist es dann wiederum notwendig, die Fülle an Daten auf relevante Aspekte zu reduzieren und die Daten zu modellieren. Auch hierfür stehen unterschiedliche Modelle zur Verfügung. Ziel ist jeweils, Erkenntnisse für den Designprozess zu generieren, sei es in Form von Handlungspotenzia- len oder als Problembeschreibung. Die Interpretation von Nutzerdaten im Rahmen eines Designprojekts ist u. a. deswegen notwendig, weil man auch dann, wenn man die Probleme und Fallstricke eines existieren- den Systems kennt, nicht sicher vorhersagen kann, welche Veränderungen diese Pro- bleme lösen könnten. Ein Aspekt dieses Dilemmas ist die vermeintliche oder tatsächliche Unfähigkeit von Nutzern, ihre Bedürfnisse an ein verändertes System klar zu formulieren. In der Interpretation und Modellierung empirischer Nutzerdaten wird mit diesem Grund- konflikt zwischen Analyse und Gestaltung daher unterschiedlich umgegangen, vor allem dadurch, dass die Kompetenz, ein Nutzerbedürfnis zu erkennen und Designlösungen vor- zuschlagen, unterschiedlichen Akteuren zugesprochen wird. So wird im partizipativen Design Wert darauf gelegt, dass die Nutzer selbst grundsätzlich in der Lage sind, eigene 44 visionäre Lösungsansätze zu entwickeln und das dazu notwendige Hintergrundwissen Partizipatives Design zum Anwendungsbereich gleich mitbringen. Zudem steht der partizipative Designansatz Ein Prozess, bei dem in allen Phasen des Gestal- für einen radikal demokratischen Zugang zu Design, bei dem potenzielle Benutzer in allen tungsprozesses möglichst Phasen der Gestaltung direkt beteiligt werden müssen. Im benutzerzentrierten Design viel Gestaltungsverant- liegt die Interpretation dagegen stärker bei Designerinnen und Entwicklerinnen. Die Inter- wortung direkt an die späteren Benutzer dele- pretationsergebnisse werden dann idealerweise wieder mit Benutzerinnen evaluiert, giert wird, wird als partizi- bevor weitere Entwicklungsschritte stattfinden. patives Design bezeich- net. Designer haben hierbei eine moderie- Der Fokus auf tatsächliche, vermeintliche oder sogenannte latente Bedürfnisse ist dabei rende Rolle. nicht das einzige Kriterium, nach dem Anforderungen für einen erfolgreichen User-Experi- ence-Designprozess entwickelt werden können. Methoden wie Contextual Inquiry, Touch- point-Analyse, Customer Journey Map und Personas bieten hier andere und differenzierte Kriterien wie Ziele, Intentionen, Motivationen oder Probleme. 2.1 Contextual Inquiry Contextual Design bezeichnet eine spezifische Ausprägung des benutzerorientierten Gestaltungsprozesses, bei dem empirische Daten aus dem Anwendungskontext eines Pro- dukts oder einer Software generiert und als Grundlage für Designentscheidungen model- liert werden. Entwickelt haben das Verfahren Hugh Beyer und Karen Holtzblatt für die Gestaltung von Benutzerschnittstellen, Software und Hardware, die im Arbeitskontext ein- gesetzt werden. Der Prozess des Contextual Design bietet damit eine struktierte und syste- matische Herangehensweise, um verschiedene Facetten des relevanten Arbeitsbereichs zu beobachten, zu dokumentieren

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