Einführungsvorlesung Geschichte der Neuzeit PDF
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Die Vorlesung "Einführungsvorlesung Geschichte der Neuzeit" bietet einen Überblick über die Geschichte der Neuzeit und thematisiert verschiedene Aspekte wie die Anfänge, die europäische Expansion und die Folgen der Modernisierung. Sie umfasst eine Gliederung in Vorlesungen, die verschiedene Themen behandeln, und stellt somit eine Zusammenfassung wichtiger Ereignisse der Neuzeit bereit.
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Einführungsvorlesung Geschichte der Neuzeit **Inhaltsverzeichnis** {#inhaltsverzeichnis.Inhaltsverzeichnisberschrift} ====================== [Vorlesung 1 Einführung 5](#vorlesung-1-einf%C3%BChrung) [Überblick Vorlesungsinhalte 5](#%C3%BCberblick-vorlesungsinhalte) [(Frühe) Neuzeit 5](#fr%C3%BChe...
Einführungsvorlesung Geschichte der Neuzeit **Inhaltsverzeichnis** {#inhaltsverzeichnis.Inhaltsverzeichnisberschrift} ====================== [Vorlesung 1 Einführung 5](#vorlesung-1-einf%C3%BChrung) [Überblick Vorlesungsinhalte 5](#%C3%BCberblick-vorlesungsinhalte) [(Frühe) Neuzeit 5](#fr%C3%BChe-neuzeit) [19. Jahrhundert 5](#jahrhundert) [Moderne 6](#moderne) [Vorlesung 2 Wann ist Neuzeit 7](#vorlesung-2-wann-ist-neuzeit) [Wann war Neuzeit? 7](#wann-war-neuzeit) [Buchdruck ca. 1450 7](#buchdruck-ca.-1450) [Eroberung Konstantinopels 1453 7](#eroberung-konstantinopels-1453) [Kolumbus' Reise über den Atlantik 1492 7](#kolumbus-reise-%C3%BCber-den-atlantik-1492) [Erreichung Indiens auf dem Seeweg durch Vasco da Gama 1498 8](#erreichung-indiens-auf-dem-seeweg-durch-vasco-da-gama-1498) [Reformation 1517 8](#reformation-1517) [Renaissance & Humanismus 8](#renaissance-humanismus) [Epochalisieren 8](#epochalisieren) [Ablösung von der Antike 8](#abl%C3%B6sung-von-der-antike) [Nachträglichkeit von Epochenbildungen 8](#nachtr%C3%A4glichkeit-von-epochenbildungen) [Neuzeit als Selbstzuschreibung 9](#neuzeit-als-selbstzuschreibung) [Kann Neuzeit enden? 9](#kann-neuzeit-enden) [Vorlesung 3 Wo ist Neuzeit 10](#vorlesung-3-wo-ist-neuzeit) [Eingrenzen 10](#eingrenzen) [Ausgreifen 10](#ausgreifen) [Europa als Neuzeit und «Neuraum» 10](#europa-als-neuzeit-und-neuraum) [Voraussetzungen der Expansion 10](#voraussetzungen-der-expansion) [Auswirkungen der europäischen Expansion 11](#auswirkungen-der-europ%C3%A4ischen-expansion) [Rückwirken 11](#r%C3%BCckwirken) [Veränderungen Europas durch die Expansion 11](#ver%C3%A4nderungen-europas-durch-die-expansion) [Europäisierung des Globus -- Globalisierung Europas 11](#europ%C3%A4isierung-des-globus-globalisierung-europas) [Ausgrenzen 12](#ausgrenzen) [Europa entscheidet über die Zugehörigkeit zur „Neuzeit" 12](#europa-entscheidet-%C3%BCber-die-zugeh%C3%B6rigkeit-zur-neuzeit) [Vorlesung 4 Wer ist Neuzeit? 13](#vorlesung-4-wer-ist-neuzeit) [Überleben 13](#%C3%BCberleben) [Subsistenzwirtschaft 13](#subsistenzwirtschaft) [Hans Haberle 13](#hans-haberle) [Wirtschaften 13](#wirtschaften) [Marktwirtschaftliche Verflechtungen 13](#marktwirtschaftliche-verflechtungen) [Kapitalistische Dynamisierungen 13](#kapitalistische-dynamisierungen) [Wirtschaftsethik 14](#wirtschaftsethik) [Zusammenleben 14](#zusammenleben) [Ständegesellschaft 14](#st%C3%A4ndegesellschaft) [Gesellschaftliche Differenzierung 14](#gesellschaftliche-differenzierung) [Bürgerliche Werteordnung 14](#b%C3%BCrgerliche-werteordnung) [Vermehren 15](#vermehren) [Demographische Entwicklung 15](#demographische-entwicklung) [Vorlesung 5 Was ist Neuzeit? 16](#vorlesung-5-was-ist-neuzeit) [Raum machen 16](#raum-machen) [Organisation des Globus 16](#organisation-des-globus) [Zeit machen 16](#zeit-machen) [Organisation des Kalenders 16](#organisation-des-kalenders) [Staat machen 16](#staat-machen) [Wachstum der Staatsgewalt 16](#wachstum-der-staatsgewalt) [Staat als Monarchie 17](#staat-als-monarchie) [Staat im Alltag 17](#staat-im-alltag) [Glauben machen 17](#glauben-machen) [Pluralisierung der Heilsgewissheiten 17](#pluralisierung-der-heilsgewissheiten) [Konfessionalisierung und Krise 17](#konfessionalisierung-und-krise) [Wissen machen 18](#wissen-machen) [Buchdruck 18](#buchdruck) [Buchdruck & Reformation 18](#buchdruck-reformation) [Auswirkungen des Buchdrucks 18](#auswirkungen-des-buchdrucks) [„Wissenschaftliche Revolution" 18](#wissenschaftliche-revolution) [Aufklärung 18](#aufkl%C3%A4rung) [Revolution machen 19](#revolution-machen) [Revolutionen in Nordamerika, Frankreich, Haiti 19](#revolutionen-in-nordamerika-frankreich-haiti) [Vorlesung 6 Moderne & Revolution 20](#vorlesung-6-moderne-revolution) [Prozesse der Modernisierung 20](#prozesse-der-modernisierung) [Funktionale Differenzen 20](#funktionale-differenzen) [Diskurs und Macht 20](#diskurs-und-macht) [Begriffsdefinition 21](#begriffsdefinition) [Bewusstsein von Modernität 21](#bewusstsein-von-modernit%C3%A4t) [Projekte der Moderne 21](#projekte-der-moderne) [Ambivalenz der Moderne 21](#ambivalenz-der-moderne) [Sattelzeit 22](#sattelzeit) [Wann war das 19. Jahrhundert 22](#wann-war-das-19.-jahrhundert) [Zeitalter der Revolutionen 22](#zeitalter-der-revolutionen) [Was ist eine Revolution 22](#was-ist-eine-revolution) [Französische Revolution 23](#franz%C3%B6sische-revolution) [Krise des Ancien Régime 23](#krise-des-ancien-r%C3%A9gime) [Rechtsstaatlichkeit 23](#rechtsstaatlichkeit) [Verlauf 24](#verlauf) [Bilanz 24](#bilanz) [Beziehung 24](#beziehung) [Vergleich 24](#vergleich) [Vorlesung 7 Nation und Imperium 25](#vorlesung-7-nation-und-imperium) [Revolutionäre Nationsbildung 25](#revolution%C3%A4re-nationsbildung) [Nationen oder Imperien? 25](#nationen-oder-imperien) [Nationen 26](#nationen) [Griechenland 26](#griechenland) [Imperien 27](#imperien) [Britisches Empire 27](#britisches-empire) [Frankreich 27](#frankreich) [Bildung und Auflösung von Imperien 28](#bildung-und-aufl%C3%B6sung-von-imperien) [Konvergenz 28](#konvergenz) [Frankreich 28](#frankreich-1) [Vorlesung 8 Wirtschaft und Gesellschaft 30](#vorlesung-8-wirtschaft-und-gesellschaft) [Industrialisierung 30](#industrialisierung) [Begriffe und Periodisierung 30](#begriffe-und-periodisierung) [Ursache und Folgen 31](#ursache-und-folgen) [Akteure und Dynamiken 32](#akteure-und-dynamiken) [Vernetzung 33](#vernetzung) [Globalisierung 33](#globalisierung) [Vernetzung 34](#vernetzung-1) [Regionale Vernetzung 34](#regionale-vernetzung) [Nationale Integration 35](#nationale-integration) [Vorlesung 9 Hochmoderne: Wirtschaft und Gesellschaft 37](#vorlesung-9-hochmoderne-wirtschaft-und-gesellschaft) [Die Moderne 37](#die-moderne) [Hochmoderne 37](#hochmoderne) [Grundlegende Strukturen der Hochmoderne 37](#grundlegende-strukturen-der-hochmoderne) [Henry Ford 37](#henry-ford) [Versailler Vertrag 38](#versailler-vertrag) [USA und Weltwirtschaftskrise 38](#usa-und-weltwirtschaftskrise) [Globalisierungsschub seit 1970 39](#globalisierungsschub-seit-1970) [Club of Rome 39](#club-of-rome) [1950er Jahre Syndrom 39](#er-jahre-syndrom) [Vorlesung 10: Moderne: Kultur und Religion 40](#vorlesung-10-moderne-kultur-und-religion) [Medialisierung 40](#medialisierung) [Begriffsdefinition 40](#begriffsdefinition-1) [Telegraphie 40](#telegraphie) [Zeitung 40](#zeitung) [Nachrichtenagenturen und globale Vernetzung 41](#nachrichtenagenturen-und-globale-vernetzung) [Photographie: 41](#photographie) [Kino 41](#kino) [Säkularisierung 41](#s%C3%A4kularisierung) [Prozess 41](#prozess) [Projekt 41](#projekt) [Religiöse Erneuerung 42](#religi%C3%B6se-erneuerung) [Kulturkämpfe 42](#kulturk%C3%A4mpfe) [Religion und Moderne 44](#religion-und-moderne) [Judentum 44](#judentum) [Zionismus 46](#zionismus) [Zusammenfassung 46](#zusammenfassung) [Vorlesung 11 Zeitalter der Extreme und Gewaltjahrhundert 47](#vorlesung-11-zeitalter-der-extreme-und-gewaltjahrhundert) [Politik und Gewalt 47](#politik-und-gewalt) [Erster Weltkrieg 47](#erster-weltkrieg) [Bruch von 1914 47](#bruch-von-1914) [Gewaltkultur 48](#gewaltkultur) [Nach dem Krieg 48](#nach-dem-krieg) [Wertewandel 48](#wertewandel) [Herrschaft: Das Zeitalter der Extreme versus ein Gewaltjahrhundert 48](#herrschaft-das-zeitalter-der-extreme-versus-ein-gewaltjahrhundert) [Kongo Gräuel (1888-1908) 48](#kongo-gr%C3%A4uel-1888-1908) [Kennzeichen des „totalen Krieges" 49](#kennzeichen-des-totalen-krieges) [„Blutbilanz"des gesamten 20. Jahrhunderts 49](#blutbilanzdes-gesamten-20.-jahrhunderts) [Gewaltkonflikte nach 1945 49](#gewaltkonflikte-nach-1945) [Kalter Krieg als Auseinandersetzung auf fünf unterschiedlichen Ebenen 49](#kalter-krieg-als-auseinandersetzung-auf-f%C3%BCnf-unterschiedlichen-ebenen) [Ursachen des Kalten Krieges 49](#ursachen-des-kalten-krieges) [Vietnamkrieg (1965-1973) 50](#vietnamkrieg-1965-1973) [Erklärungen für den Untergang der Sowjetunion 50](#erkl%C3%A4rungen-f%C3%BCr-den-untergang-der-sowjetunion) [Prozesse der Demokratisierung und Autokratisierung 50](#prozesse-der-demokratisierung-und-autokratisierung) [Vorlesung 12 51](#vorlesung-12) Vorlesung 1 Einführung ====================== Überblick Vorlesungsinhalte --------------------------- ### (Frühe) Neuzeit Wann ist frühe Neuzeit? - 1500 - Buchdruck 1450 - Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen 1453 - Entdeckung Amerikas 1492 - Indien auf Seeweg 1498 - Beginn der Reformation 1517 - Geistesgeschichtliche Bewegungen wie Renaissance und Humanismus - Aber: Epochenbildungen immer als nachträgliche Kategorisierungen verstehen Wo ist (frühe) Neuzeit? - Ausschliesslich europäische Angelegenheit - Neuzeitliche Veränderungen vo allem in städtischen Kontexten (in Europa) - Organisiert nicht nur die Zeit, sondern auch den Raum (bspw. Benennung der Kontinente, Eigentumsmodelle) Wer ist (frühe Neuzeit? - Selbstwahrnehmung vor allem innerhalb gesellschaftlicher Eliten - In ländlichen Gesellschaften / wirtschaftlich und sozial schwächeren Gegenden = Epochenumbruch spielt zumeist keine Rolle Was ist (frühe) Neuzeit? - Neuorganisation von Zeit und Raum (europäische Zeitmodelle, fortschrittsdenken, europäische Expansion) - Wachstum der Staatsgewalt - Transformation von Gesellschaft und Wirtschaft (Ausdifferenzierung sozialer Gruppen, Ausbildung einer Marktwirtschaft, ökonomische Verflechtungen im globalen Glaubensformen, Desakralisierung (Prozess, etwas weniger heilig zu machen), Begegnung mit 'dem Fremden') ### 19. Jahrhundert Wann war das 19. Jahrhundert? - Teilepochen zwischen früher Neuzeit und Zeitgeschichte - Modern history / storia contemporanea / histoire contemporaine - Langes 19. Jahrhundert: 1789-1914 -\> 1770er-1920er - Verwandlung der Welt, Aufstieg Europas -\> Eurozentrismus Was war das 19. Jahrhundert? Ambivalenz der Moderne - Politik und Recht - Emanzipation, Repression - Gewalt, Militarisierung, Politische Unterdrückung - Reform und Revolution - Konstitutionalisierung - Demokratisierung - Wirtschaft und Gesellschaft - Globalisierung - Auflösung der Feudalgesellschaft, Sklaverei - Wandel des Kapitalismus - Kultur und Religion - Institutionalisierung und Popularisierung - Medialisierung durch Zeitung, Telegraphie, Fotographie,... ### Moderne Differenzierung (Struktur) Rationalisierung (Kultur) ----------------------------- --------------------------- Individualisierung (Person) Domestizierung (Natur) Paradoxien: - Weil spezialisierte Arbeitsteilung zu mehr Zusammenarbeit führte und neue Integrationsmechanismen verlangte - Weil pluralisiertes Expertenwissen neue Fragen nach Sinn und Ganzheitlichkeit aufwarf - Weil die *Individualisierung* das neue Problem der Identität und Zugehörigkeit schuf - Weil die *Domestizierung* auch die Abhängigkeit des Menschen von technischen Hilfsmitteln verdeutlichte Hochmoderne - Industrialisierung, Verstädterung, Demokratie, Individualisierung -\> Fortsetzung dieser Prozesse Vorlesung 2 Wann ist Neuzeit ============================ Wann war Neuzeit? ----------------- - Historische Darstellungen lassen die Neuzeit üblicherweise um **1500** beginnen - Aktuelle, gegenwärtige Darstellung - Argumente: **Renaissance, Buchdruck, Eroberung Konstantinopels, europäische Expansion, Reformation** - Frage ist aber nicht nur, wann die Neuzeit begann, sondern **für wen sie wann begann** - Historische Umwälzungen = werden zu dieser nicht immer so wahrgenommen ### Buchdruck ca. 1450 - Erfindung des Buchdrucks [mit beweglichen] Lettern durch Johannes Gensfleisch zum Gutenberg in Mainz - Buchdruck an sich ist schon viel älter - Neue Erfindung = ging sehr viel schneller (Anzahl der Bücker innerhalb von 50 Jahren gleich gross wie alle Bücher, die es davor gab) - 'Erfindung' konnte bereits auf zahlreiche ältere technische Entwicklungen zurückgreifen - Frühere Buchdruckereien = Bemühung, dass Produkte wie handschriftliche Manuskripte aussehen - Soll aussehen, wie das vorher (Vermeidung, dass es neu aussieht, alles was neu ist = könnte auf Zukunft hinweisen welche eh immer schlechter wird) ### Eroberung Konstantinopels 1453 - Belagerung und Eroberung Konstantinopels durch das Osmanische Reich, 6. April 29. Mai 1453 - Reich war aber schon davor kaputt (Eroberung = symbolischer Wert) - Osmanisches Reich = neue Grossmacht - Aus Europäischer Sicht = eher Niederlage und Untergang als Neuanfang - Letzter Rest des antiken römischen Reiches: seit Jahrhunderten zentraler Referenzpunkt europäischen Selbstverständnisses - Konstantinopel - Bessere Textüberlieferung wurde von Flüchtlingen nach Europa gebracht = passte gut - Osmanisches Reich = hat Kontrolle über Handel von Luxusware, kann mitbestimmen - Spanien & Portugal -\> beginnen sich Alternativen zu überlegen - Suchen direkten Weg nach Indien - Nur deswegen Kolumbus etc. - Menschen der frühen Neuzeit wollen keine Veränderungen, nichts neues! - Siehe bsp. Kaisertum - Bis 1806: nur 1 Kaiser in Europa - Danach Wahlkaisertum - Davor: nur 1 Nachfolger des römischen Reiches ### Kolumbus' Reise über den Atlantik 1492 - wollte nie auf amerikanischen Kontinent gelangen (geht nicht darum, etwas neues zu finden) - hat sich bis zu seinem Lebensende geweigert, die Existenz dieser Landmasse zu akzeptieren - Neben der Eröffnung neuer Handelswege ging es Kolumbus um ein sehr altes Vorhaben: Mit dem Gold aus ‚Westindien' sollte die **Rückeroberung Jerusalems** finanziert werden - Idee = Kreuzzug, sieht sich in missionarischen Aktion („Christoferens" Kolumbus) - Europa = ‚neue' Kontinent stellten ein kulturelles Problem dar - intensive Auseinandersetzung fand erst mit Jahrzehnten Verspätung statt - Expansionsbewegungen machen offensichtlich, dass ‚Neuzeit' ein ausschließlich europäisches Phänomen war - Nachfrage nach Information (Bücher) = steigt nach 1492 stark an, nach 1510 wieder zurück, ab 1570 erst wieder hoch - Problem: möchte nicht, dass es Amerika gibt, schaut lieber nach Asien (steht in der -Bibel) ### Erreichung Indiens auf dem Seeweg durch Vasco da Gama 1498 - Vasco da Gama :Auftrag, keinen ‚neuen', sondern einen anderen Weg nach Asien zu finden - Handelsbeziehungen mit Ostasien waren seit Jahrhunderten etabliert - Portugal = bereits seit dem frühen 15. Jahrhundert Versuche unternommen, eine Seeroute um Afrika nach Indien zu finden - Suche nach Alternativen ### Reformation 1517 - Luthers ausdrückliches Ziel war es, keine Neuerungen einzuführen, sondern die christliche Kirche zu ihren Ursprüngen zurückzuführen (daher: Re-Formation) - Gegen die Neuerungen der Papstkirche -\> ausdrücklich alte Antworten als Lösung für die Glaubens- und Frömmigkeitskrise anbieten - ‚Neuerung' galt in Glaubensfragen (wie im 16. Jahrhundert insgesamt) eher als Vorwurf und Schimpfwort ### Renaissance & Humanismus - Renaissance: Versuch im Zeitraum zwischen 1300 und 1600 die Antike wiederzubeleben - Nachahmung antiker Vorbilder in Architektur, Bildhauerei, Malerei, Dichtung, politischer Theorie, Militärtechnik... - Verehrung der Antike -\> Überzeugung: Was früher richtig war, kann heute unmöglich falsch sein - nicht nur Elemente der Vergangenheit wieder aufgegriffen, sondern durch die Wiederherstellung des Alten sollte die Gegenwart verbessert und erneuert werden - eher Beleidigung, wenn jemand etwas neues macht Epochalisieren -------------- ### Ablösung von der Antike - erst seit 17. Jahrhundert -\> allmähliche Ablösung vom Vorbild der Antike beobachten - Zeitraum 1500-1650: Periode, die ihre Neuzeitlichkeit noch nicht wahrhaben wollte - ab 1650: Blick wendet sich langsam von Vergangenheit zur Zukunft; eigene Leistungen werden als Innovationen dargestellt - Vergangenheit wirkt nicht mehr unmittelbar in die Gegenwart hinein - Fortschrittsidee; Naturwissenschaften, Wachstumsdenken - Seit dem späten 17. Jahrhundert trennt man die Neuzeit von Mittelalter und Antike: Christoph Cellarius „Historia universalis" (1685-1696) #### Querelle des Anciens et des Modernes - Streit zwischen Antiken und Gegenwärtigen - Exemplarisches Ereignis für die Selbsterfindung der Neuzeit: Querelle des Anciens et des Modernes - - Sitzung der Académie française am 27. Januar 1687: Charles Perrault vs. Nicolas Boileau - Folge = europaweite Debatte, die sich bis ins frühe 18. Jahrhundert hinzog Es war das letzte Mal, dass sich eine Gegenwart gegenüber der Antike rechtfertigen musste -- seither ist es umgekehrt (Heute = Begründung wieso man etwas altes lernt, früher: Begründung weshalb man etwas neues lernen) ### Nachträglichkeit von Epochenbildungen - Epochenbezeichnungen zumeist erst im Nachhinein etabliert - „Der Mensch des Mittelalters" wusste gar nicht, dass er ein mittelalterlicher Mensch war - Epochen -\> werden notorisch kürzer, je näher sie sich der eigenen Gegenwart annähern - Epochenbildungen dienen vornehmlich der Selbstvergewisserung einer Jetzt-Zeit - Neuzeit / Moderne neigt zum Epochalismus, zur beständigen Ausrufung immer neuer (kurzlebiger) Epochen ### Neuzeit als Selbstzuschreibung - Neuzeit = kein objektiv gegebener Zustand - kulturelle Ordnungsleistung - Veränderungen müssen als Neuerung bezeichnet, akzeptiert und sogar eingefordert werden - Neues muss als Möglichkeitsraum erst geöffnet werden - Zukunft muss als gestaltbarer Zeitraum erscheinen. - Neuzeit ist da, wo sich diejenigen verorten, die sich selbst als ‚neuzeitlich' beschreiben ### Kann Neuzeit enden? - Üblicherweise endet Neuzeit 1789 - Danach beginnen Neueste Geschichte, Moderne, Zeitgeschichte... - Aber kann die Neuzeit überhaupt jemals enden? Wie soll ein epochaler Zusammenhang überwunden werden, der davon lebt, sich beständig selbst zu überholen und sich immer in einem „Noch-Nicht" zu entwerfen? - Möglicherweise sind das zentrale geschichtswissenschaftliche Fragen angesichts von Klimakrise und Anthropozän: Gibt es die Möglichkeit für ein Ende der Neuzeit? Und können wir stattdessen andere historische Erzählungen anbieten? Vorlesung 3 Wo ist Neuzeit ========================== Eingrenzen ---------- - Verdankt sich keinem übergeordneten Plan (-\> Zufall) - Ergebniseiner spezifischen, nicht intendierten Konstellation - War nicht «ausgemacht» das Europa Zentrum von Neuzeit wurde (um 1500) - Hätte auch Reiche in China, Indien, Islamischer Mittelmeerraum sein können - Haben ebenfalls Expansion betrieben - Europäische Expansion = traut sich, in Gebiete vorzustosse, obwohl man diese nicht kannte Ausgreifen ---------- ### Europa als Neuzeit und «Neuraum» - Frage, weshalb Europa zum Zentrum eines weltweiten Expansionsprozesses = historisch immer noch nicht abschliessend geklärt - Prozess der Expansion = ging zunächst von Portugal / Spanien aus, danach auch von anderen Ländern (E, F, N) - 2 grosse geographische Schulen - Erde = Kugel - dachten, dass Äquator schmaler ist - Portugal = genau beim Erstellen von Karten (werden geheim gehalten) ### Voraussetzungen der Expansion - Eroberung Konstantinopels (1453) und dadurch Erschwerung des Handels mit asiatischen Waren - Abschluss der sog. „Reconquista" in Spanien (1492) - Rückeroberung der Monarchie gegen die Kalifate - Hat dadurch Mittel frei (da sie nicht mehr innerhalb des Landes gebraucht werden) - Bevölkerungswachstum - Platz zuhause wird knapp - Kreuzzugsgedanke - Missionierungsgedanken (Christentum) - Finanzstarke Handelshäuser als Financiers - Kapitalistische Wirtschaftsgesinnung - Kann mehr Geld verdienen, als wenn man es nicht macht - Städtische Autonomie - Geld, Ideen, Bildungseinrichtungen, Interessen -\> lassen Gedanken an Expansionsbewegung zu - Entdeckungsgeist - Wissenschaftliche Interessen - Problem: Viele dieser Aspekte sind nicht exklusiv europäisch, sondern finden sich abgewandelt auch in anderen Regionen - Nach Beginn des europäischen Expansionsprozess -\> nahm aussergewöhnliche Formen an - Vertrag von Tordesillas 1494 -\> Spanien & Portugal teilen den gesamten Planeten unter sich auf (unter päpstlicher Billigung) - Genuin europäischen Hegemonialansprung - Formaler **Weltherrschaftsanspruch** = weder zuvor noch danach jemals so erhoben worden - Fast kein Fleck der Erde von diesem Kolonialismus unberührt - Neuzeit schafft auch Neuraum zwei Formen des Kolonialismus europäische Kolonialmächte: - **Informelle Herrschaft** - entsteht durch das Ausnutzen überlegener wirtschaftlicher Positionen, auch mit militärischen Interventionen; regionale politische und administrative Strukturen blieben bestehen - war oft ausreichend, um politische und ökonomische Interessen durchzusetzen und abzusichern - häufig von Kolonialmächten eingesetzt, die nicht über große Bevölkerungen verfügten und/oder vor allem an Handelsvorteilen interessiert waren (z.B. Portugal, Niederlande) - versucht erst gar nicht, die Herrschaftsstrukturen auszulöschen, hält diese Aufrecht, einzelne Stützpunkte - **Formelle Herrschaft** - indigene Machthaber werden gestürzt; der Aufbau eines neuen, fremdbestimmten Herrschaftssystems wird angestrebt - viele der indigenen Bevölkerunge gestorben aufgrund „fremder" Krankheiten - vor allem von Kolonialmächten betrieben, die über ausreichend Bevölkerung zur Emigration verfügten und die aufgrund regionaler Gegebenheiten weniger auf Handel, sondern eher auf großflächige Agrarwirtschaft setzen mussten (z.B. Spanien, England, Frankreich) ### Auswirkungen der europäischen Expansion - Europäischer Kolonialismus und Imperialismus führen zu zahlreichen Konkurrenzen unter den europäischen Mächten - Europäische Expansion führt auch zu Konkurrenzen in den kolonisierten Gebieten - Koloniale Herrschaft bleibt stets prekär - Kolonialismus führt ebenso zu Kooperationen und engen Beziehungsgeflechten zwischen Erobernden und Eroberten - Europäische Expansion war zu keiner Zeit frei von Gewalt, Krieg, Despotismus, Willkür und Rechtlosigkeit - Gleichzeitigkeit und Vielzahl europäischer Kolonialismen und Imperialismen - Koloniale gebiete: wackliges Gebilde, Hungersnöte, Kriege, keineswegs einseitig - Etablierung weltumspannender Schifffahrtsrouten - sich dauerhaft verdichtende Globalwirtschaft - Handelsmächte,... - Intensivierung der Landwirtschaft - Ausbeutung natürlicher Ressourcen (Bergbau etc.) - Globaler Sklavenhandel - Ausformung stabiler Staatsgewalten - Diffusion von Pflanzen, Tieren, Technologien, Kultur- und Religionsmustern Rückwirken ---------- ### Veränderungen Europas durch die Expansion - Aber auch wenn die Expansion durch Europa vorangetrieben wurde, ist die Schaffung eines „Neuraums" in der „Neuzeit" das Ergebnis dynamischer **Wechselbeziehungen** - Kolonialreiche und einzelne Kolonien beeinflussten die historische Entwicklung ihrer europäischen \"Mutterländer\" massiv - z.b. auf Münzen (nicht nur Spanien, sondern auch neue Gebiete) ### Europäisierung des Globus -- Globalisierung Europas - Globalisierung beginnt nicht erst mit der Neuzeit - Zahlreiche ältere Kontakte zu Wasser und zu Land gab es bereits im Mittelalter zwischen Asien und Europa - Auch Teile Afrikas waren über den Indischen Ozean oder die Sahara bereits im Mittelalter mit anderen Erdteilen verbunden - Globalisierung = kein einseitiger Vorgang, der durch Europa oder „den Westen" dominiert worden wäre - Ohne die vielfältigen Rückkopplungen aus den kolonisierten Gebieten wäre Europa nicht das, was es ist - Nicht der Globus wurde europäisiert, sondern Europa wurde (wie andere Erdteile auch) globalisiert - Kein Einseitiger Vorgang Ausgrenzen ---------- ### Europa entscheidet über die Zugehörigkeit zur „Neuzeit" - Trotz zuweilen geäußerter **Kritik** an Kolonialismus und Imperialismus in Europa (und zwar seit Bartolomé de las Casas 1552) wurde selten der grundsätzliche Wert einer europäischen Zivilisierungsmission in Zweifel gezogen -- und zwar bis weit ins 20. Jahrhundert hinein („Entwicklungspolitik") - Grundlage solcher Ausgrenzungsformen war ein **eurozentrischer Rassismus**, der sich selbst die höchste Entwicklungsstufe attestierte - Eine weitere Grundlage dieser Ausgrenzungen war ein europäischer Chronozentrismus - Auf der Basis eines singulären Begriffs von „Geschichte" glaubte man sich selbst auf dem höchsten Stand des historischen Prozesses Vorlesung 4 Wer ist Neuzeit? ============================ Überleben --------- - Wie lebt / überlebt diese Gesellschaft - Steht an erster Stelle (keine Selbstverständlichkeit) ### Subsistenzwirtschaft - 75-80% der Menschen leben von der Bewirtschaftung von Grund und Boden (21. Jh.: ca. 3%) - Ausrichtung des Arbeitseinsatzes auf Aufrechterhaltung des Existenzminimums: „Überlebensgesellschaft" - **Subsistenzwirtschaft: Einheit von Produktion und Konsumtion** - Arbeitet, bis Ernährungssicherung hergestellt ist - Gebrauchswert der Produktion steht im Vordergrund, nicht Tauschwert auf dem Markt - Europa = agrarischer Raum - Dominanz einer familien- und hauswirtschaftlichen Produktionsweise („Hausnotdurft") - Demonstrative Verschwendung zur Pflege sozialer Netze - Z.B. Hochzeiten -\> Netzwerkbildung (da im Notfall auf Hilfe angewiesen) - Für einen Großteil der ländlichen Bevölkerung Europas spielt „Neuzeit" bis zum 18. Jahrhundert keine Rolle ### Hans Haberle - u behaupten, für die ländliche Bevölkerung habe „Neuzeit" keine Rolle gespielt, bedeutet nicht, dass diese in dumpfer Ignoranz existiert habe! - Gegenbeweis: Hans Heberle (1597-1677), schwäbischer Schuster und Bauer aus der Nähe von Ulm - Ist zeit seines Lebens mit „Überleben" beschäftigt - Registriert in seiner Chronik („Zeytregister") mittels Flugblätter aber sehr genau, was „in der Welt" geschieht - Kann lesen & schreiben -\> konsumiert Medien Wirtschaften ------------ ### Marktwirtschaftliche Verflechtungen - Dynamik marktwirtschaftlicher Spezialisierung - Tauschwert der Waren beginnt Produktion zu dominieren; Geldwirtschaft setzt sich durch - Geht nicht mehr nur ums Überleben (Mehrwert) - Außenhandel - Bestimmte Regionen spezialisieren sich auf die Produktion bestimmter Güter, andere Waren werden über Handel erworben - Europäische Weltwirtschaft - Um zentrale Handelsplätze (Venedig, Genua, Sevilla, Amsterdam, London) bilden sich Handelsimperien aus - Protoindustrialisierung - Exportorientierte gewerbliche Warenproduktion durch ländliche Bevölkerung - (nicht Maschinen, aber z.B. im Textilbereich = Verleger (legt Produktionsmittel vor, Rohstoffe)) ### Kapitalistische Dynamisierungen - Aufkommen handelskapitalistischen Wirtschaftens = wesentlich vorangetrieben durch Textilgewerbe, Metallverarbeitung und Bergbau - Textilien - immer nachgefragtes Produkt, gut transportierbar, weitgehend unabhängig von Produktionsorten, erfordert wenige Grundkenntnisse für die Herstellenden - Hemmungen durch städtische Zünfte werden durch das sog. Verlagssystem durchbrochen (Interessegemeinschaften -\> Substizen Sicherung) - Bergbau: Metalle für Münzen und Waffen - Frühkapitalistische Entwicklung durch Geldbedürfnis der Fürsten für Krieg und Staatsausbau vorangetrieben - Für marktwirtschaftlich Orientierte spielen die neuen Verhältnisse der „Neuzeit" eine erhebliche Rolle ### Wirtschaftsethik - traditionelle Wirtschaftsethik bleibt in der Frühen Neuzeit weiterhin sehr bedeutsam, kann aber kaum als „neuzeitlich" gelten - Orientierung am Haus (Haus = wirtschaftliche Einheit) (griech. *oikos*) und untersagt Erwerb um des Erwerbs willen - Abwertung von Arbeit - neuzeitliche Wirtschaftsethik wird im Verlauf der Frühen Neuzeit immer wichtiger und honoriert Gewinnstreben und Eigennutz - Aufwertung der Arbeit - (Beispiel: Bernard Mandeville: Die Bienenfabel oder Private Laster, öffentliche Vorteile, erstmals 1714) - Erzeugung von Mehrwert, Fortschritt, Wachstum -\> Steigerung von Gewinn Zusammenleben ------------- ### Ständegesellschaft - traditionelle ständegesellschaftliche Dreiteilung auch in der Frühen Neuzeit gültig - Idealvorstellung (Gültig bis Französischer Revolution) - Stände - soziale Großgruppen, die sich in **wirtschaftlicher politischer, rechtlicher und kultureller** Hinsicht unterscheiden - Formen ständischer Gliederung: Klerus - Adel - Bauern oder auch Adel -, Bauern - Bürger - Unterschied zwischen ständischen und funktional differenzierten Gesellschaften - Frage des Zugangs zu knappen materiellen und immateriellen Gütern - Wichtig: Geschlechtsungleichheit liegt quer zu allen anderen Ungleichheitsstrukturen - Zusätzlich dazu, innerhalb der einzelnen Stände klare Abgrenzung zwischen Mann & Frau - Wenn Mann stirbt = Frau übernimmt z.B. Betrieb - Anders als moderne Schichtzugehörigkeit ist vormoderne Standeszugehörigkeit ein Rechtsstatus - rechtlich festgelegten sozialen Ungleichheit liegt eine unhinterfragte Legitimität zugrunde - Stände sind nicht nur objektive Sozialgruppen, sondern werden auch subjektiv gelebt - Bewusstsein, Normen, Habitus, soziale Praktiken - Das normierte Ständemodell ist alles andere als „neuzeitlich" ### Gesellschaftliche Differenzierung - rechtliche Fixierung der Ständegesellschaft stimmte in der Frühen Neuzeit aber immer weniger mit den tatsächlichen sozialen Verhältnissen überein - In allen drei Ständen existierten erhebliche soziale, wirtschaftliche und kulturelle Unterschiede - Nicht so klare Abgrenzungen - Differenzierung durch das Bürgertum - Aufstieg einer gut ausgebildeten Funktionselite - Bürgerliche mit Tätigkeiten in Handel, Textilverlag, Banken, Verwaltung erlebten sozialen Aufstieg, grenzten sich von Menschen aus dem Handwerk ab und absolvierten nicht selten eine Aristokratisierung ### Bürgerliche Werteordnung - Bürgertum verdankt seinen Status der eigenen Ausbildung und Arbeit - Bürgertum propagiert im 18. Jh. offensiv die eigenen Normen und Werte - Hochschätzung von Arbeitsamkeit und Fleiß; Sparsamkeit; Zeitökonomie; Nüchternheit des Verhaltensstils; Bescheidenheit; Einfachheit im gesellschaftlichen Umgang - Bürgerliche Familie - Trennung von Erwerbsarbeit und Hausarbeit; Aufwertung der Liebe als Kern der Ehe; Erziehung der Kinder als programmatische Aufgabe; Bildung als „neue Religion" - Eine soziologische Analyse frühneuzeitlicher Gesellschaft, insbesondere neuer Eliten, zeigt stark „neuzeitliche" Züge Vermehren --------- ### Demographische Entwicklung - Insgesamt ist in der Frühen Neuzeit ein deutliches Bevölkerungswachstum zu verzeichnen - Regeneratives Verhalten - Höhere Geburten- und Sterberaten; niedrige Lebenserwartung - „Deutschland" um 1500: ca. 11 Mio. Einwohner - „Deutschland" um 1800: ca. 25 Mio. Einwohner - Verstädterung - um 1500 lebten im Alten Reich ca. 3% der Bevölkerung in Städten mit mehr als 10.000 Einwohnern; um 1800 waren es 5,4% - Regionen mit hoher Verstädterung: Norditalien, Niederlande, Teile Englands, Teile Frankreichs - Starke Bevölkerungszunahme und eine damit einhergehende Ressourcenverknappung treiben „neuzeitliche" Prozesse an - = erhöht Druck, Expansion voranzutreiben Vorlesung 5 Was ist Neuzeit? ============================ Raum machen ----------- ### Organisation des Globus - Mit der Beginn der Neuzeit macht sich der europäische Kontinent daran, **globale Raumvorstellungen** zu prägen - Testfrage: Welche Kontinente haben sich selbst ihren Namen gegeben? (Und wer kam überhaupt auf die Einteilung der Kontinente?) - Machen zu Weltstandards - Alle Kontinentennamen = von Europa - Nordausrichtung von Karten und Globen: etabliert durch Gerhard Mercator (1512-1594) und Abraham Ortelius (1527- 1598, „Theatrum orbis terrarum" 1570), sog. Mercator-Projektion - Europa: ziemliche mittig auf Karte - «Orientierung» -\> kommt von Osten-\> könnte genauso gut an Osten ausgerichtet sein Alternative Kartographien: ![](media/image2.png)Zeit machen -------------------------------- ### Organisation des Kalenders - 1582: Einsetzung des Gregorianischen Kalenders durch Papst Gregor XIII. Danach ist die Frühe Neuzeit kalendarisch zweigeteilt (bis Mitte 18. Jhd.) , weil protestantische Territorien den päpstlichen Kalender ablehnen - Doppeldatierung - 1643: (Gescheiterter) Versuch zur Festlegung des Nullmeridians auf der kanarischen Insel Hierro - 1884: Internationale Meridiankonferenz in Washington: - Festlegung auf Greenwich (Standort der englischen Sternwarte) als Nullmeridian -- Greenwich Mean Time (GMT) Staat machen ------------ ### Wachstum der Staatsgewalt - Der ‚moderne' Staat (bestimmt durch abgegrenztes Staatsgebiet, definiertes Staatsvolk, zentrale Staatsgewalt) entsteht allmählich in der Frühen Neuzeit (-\> europäische Erfindung) - Braucht Militär (um überhaupt behalten zu können) - Politische Auseinandersetzung -\> gehörte klar Militär dazu - Braucht Steuern - Kirche - Verwaltung - Kirche = schon da, nutzt sie - Anerkennung - Klare Grenzen markieren - Zentralisierung von Staatsgewalt - diskursives Gebilde - existiert nur, so lange über ihn geredet wird / als Staat behandelt wird / alle überzeugt sind, dass es einen Staat gibt - Staat wurde als Organisationsform durch die Kolonialmächte erdenweit exportiert ### Staat als Monarchie - Frühneuzeitliche Monarchie ist das erfolgreichste Staatsmodell (Grossteil sind Monarchien) - Ausnahme z.B. Schweiz (Vereinigung, kommunale Verbindung) - Erfolgreiche monarchische Staatsbildung ist abhängig von dynastischer Kontinuität - Monarchie hatte fast immer **religiösen Charakter** - Geistliche und weltliche Macht stützen sich (zumeist) gegenseitig - Paulinische Obrigkeitsformel (Neues Testament, Römer 13,1): - „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet." ### Staat im Alltag - Staatsgewalt in der Frühen Neuzeit steht vor vier wesentlichen - Herausforderungen: - Finanzierung von Kriegen - Organisation von Steuermitteln - Aufbau einer Verwaltung - Durchsetzung gegen politische Konkurrenten: Kirche, Adel, Ständevertretungen, Kommunen - Monarch = abhängig von allen anderen (z.B. Steuern, braucht Stände) - Glauben machen -------------- ### Pluralisierung der Heilsgewissheiten - Zentrales Anliegen für Angehörige christlicher Glaubensgemeinschaften: Sicherung des Seelenheils - Mit dem Beginn der Reformation durch Martin Luther 1517 und mit den zahlreichen nachfolgenden Reformationsbewegungen stellt sich die Frage: Welcher Weg zum Seelenheil ist der richtige? - Konfessionalisierung: Ausbildung von Konfessionskirchen seit dem 16. Jahrhundert als sozialer Fundamentalvorgang - Konfessionalisierung ist untrennbar verbunden mit Ausbildung frühneuzeitlicher Staatlichkeit sowie gesellschaftlichen und kulturellen Transformationen ### Konfessionalisierung und Krise - Verbindung von Staat, Poltik und Kirche - Gibt keine Alternative zu Religion = weiss sonst gar nichts mehr, deshalb ist Religion so stark verankert in Gesellschaft - Erschütterung von Glaubensgewissheiten verband sich ab Mitte des 16. Jhs. mit weiteren Krisenphänomenen: - ‚Kleine Eiszeit' seit den 1570er Jahren (Weniger Ernten -\> mehr Krankheiten) - Zunahme von Seuchen seit den 1560er Jahren - Bevölkerungswachstum und Preisanstiege - Bedrohung durch das Osmanische Reich ab 1593 - Gewaltsame Ausbrüche der konfessionellen Krise: - Höhepunkt der Hexenverfolgung 1570-1630 - Bürger- und Bauernaufstände - Judenpogrome - Konfessionskriege (z.B. Frankreich 1562-1587, Niederlande 1568-1648, Britische Inseln 1642-1649, Dreißigjähriger Krieg 1618-1648) Wissen machen ------------- ### Buchdruck - Johannes Gensfleisch vom Gutenberg gründet 1448 in Mainz Druckwerkstatt - Buchdruck mit [beweglichen] Lettern - um 1500: ca. 250 Druckorte mit ca. 1100 Druckereien in Europa - 1450-1500 entstehen so viele Buchexemplare wie in den 1000 Jahren zuvor: die erste Massenproduktion gleichartiger Güter - Ab 1480: Sättigung des gelehrten Buchmarkts - Themen früher Druckschriften: - Religiöse und moralische Erbauungsschriften - Ratgeberliteratur - sog. Neue Zeitungen - Kalender - Formulare (z.B. für Ablassbriefe) ### Buchdruck & Reformation - ab 1517: Anstieg der Buchproduktion parallel zur Reformation - Das Medium findet seinen Autor: Martin Luther - Die reformatorische Öffentlichkeit nutzt das Medium für Propaganda und Polemik - Nur ca. 5% der Buchproduktion der Reformationszeit sind nicht religiösen Inhalts - Zahl gedruckter Luther-Schriften ist doppelt so hoch wie die der 20 nächsten wichtigsten Reformatoren zusammen ### Auswirkungen des Buchdrucks - Standardisierung von Sprache und Schrift - Wandel der Wissenskultur: Explosion des gespeicherten Wissens - Wandel der religiösen Kultur: Aufwertung der Schrift gegenüber dem Ritus (gedrucktes und geschriebenes Wort zählen gleich viel) - Wandel der Rechtskultur: Gesetzesrecht verdrängt Gewohnheitsrecht - Buch wird im Verlauf der Frühen Neuzeit zur Massenware - Breitere Zugänglichkeit des Mediums durch Lesegesellschaften und Bibliotheken ### „Wissenschaftliche Revolution" - Naturwissenschaften -- Naturphilosophie - Innovationen in der Astronomie: Nikolaus Kopernikus (1473-1543), Galileo Galilei (1564-1642) - Entzauberung des Himmels: Es existieren nicht zwei getrennte Naturen (irdisch und himmlisch), sondern nur eine -- die Erde ist ein Himmelskörper unter vielen - Beweis des heliozentrischen Weltbildes als erste fundamentale - Kränkung des Menschen (gefolgt von Evolutionstheorie und Psychoanalyse) - Doppelte Bewegung der „wissenschaftlichen Revolution" in den Makrokosmos und in den Mikrokosmos (Teleskop -- Mikroskop) - Wissenschaftliche Entwicklungen können mit der Theologie nicht mehr in Einklang gebracht werden ### Aufklärung - Aufklärung als Antwort auf konfessionelle Auseinandersetzungen - Wachstum der Staatsgewalt - Forderung nach „vernünftiger Religion", zuweilen auch nach völliger Religionsfreiheit; Tugend wird zur diesseitigen Ersatzreligion - Absolutistische Macht wird mit Unvernunft und Unmoral gleichgesetzt: Aufklärer:innen suchen entweder Kooperation mit oder Widerstand gegen den Staat - Begriff „Aufklärung" bringt Anspruch der eigenen Epoche auf den Punkt: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit" (Immanuel Kant: Was ist Aufklärung? 1784) - Aufklärung ist charakterisiert durch - methodischen Zweifel - Prinzip der Kritik - Aufforderung zum eigenen Denken - Forderung nach einer „Vernunftreligion" - Forderung nach Toleranz und Gewissensfreiheit - Aufklärung: Geistige und gesellschaftliche Reformbewegung, die sich von der Klarheit des Denkens eine Besserung sämtlicher Verhältnisse versprach Revolution machen ----------------- ### Revolutionen in Nordamerika, Frankreich, Haiti - Vor dem Hintergrund solcher Transformationen erscheinen die Revolutionen in Neu-England (1775-1783), Frankreich (1789-1799) und Haiti (1791-1804) nicht mehr als Zufall - Neben konkreten politischen und wirtschaftlichen Anlässen waren diese Revolutionen strukturell schon längst vorbereitet: - Pluralisierung der Weltsichten lässt Alternativen denkbar werden - Delegitimation einer einst sakralen Monarchie - Aufstieg eines selbstbewussten Bürgertums - Zugang zu kritischen Inhalten gedruckter Medien - Naturwissenschaftliches Weltbild zeigt Machbarkeit von - Zuständen auf (anstatt deren Gottgegebenheit hinzunehmen) Vorlesung 6 Moderne & Revolution ================================ Begriff - Moderne = Konstruktion - Wann taucht der Begriff überhaupt auf & wie wird er verwendet - Zeitgenössische Verwendung - Muss historisiert werden Prozess - Modernisierungsprozesse Erfahrung - Erfahrung einer neuen Zeit (schon im 18.jhd.) Projekt - Etwas, das sich hinter dem Rücken der Akteure abspielt - Z.B. Reformen Ambivalenz - Prozess der Befreiung vs. Gewalt Periodisierung - Wann Anfange / Ende Prozesse der Modernisierung --------------------------- - Neuartiger Zustand der Gesellschaft - Transformation traditioneller in moderne Gesellschaften - **Soziales** - Aufstieg der bürgerlichen Gesellschaft, Bevölkerungswachstum, Urbanisierung - **Ökonomie** - Kapitalismus, Marktwirtschaft, Industrialisierung - **Politik** - Verrechtlichung, Bürokratisierung, Demokratisierung, Verwaltung - **Kultur** - Säkularisierung, Pluralisierung, Medialisierung, Verwissenschaftlichung - Prozesse = lange positiv konnotiert - Moderne als Ziel der historischen Entwicklung - Gibt aber auch soziale Kosten ### Funktionale Differenzen - Niklas Luhmann -\> Systemtheorie - Trennung von Sphären - Einzelne System der Gesellschaft differenzieren sich aus - Unterschiedliche Logiken für einzelne Sphären - Differenzierung - Führt aber nicht zu Befreiungen des Menschen = kritisch, distanzierter Blick auf Moderne ### Diskurs und Macht - Michel Foucault - Diskontinuität - Ordnung der Dinge - Exklusion - Wahnsinn und Gesellschaft - Disziplinierung - Geburt der Klinik, Überwachen und Strafen - Technologien des Selbst - Sexualität und Wahrheit - Gouvernementalität - Biopolitik, Neoliberalismus - Mensch = gefangen im Diskurs - Düsteres Bild der Moderne Begriffsdefinition ------------------ - Schon um 1700 als Adjektiv verwendet - Mitte 19 Jhd. -\> Ancien Regime - Begriff auf gesamtes vormodernes Europa verwendet - Zentralisierung als Erbe des Staates - Altes wird nicht nur überwunden, sondern gibt auch Überschneidungen - Kontinuität & Aneigungn - 1873: Kunst, Rimbaud - Normativität & Selbstreflexivität des Begriffes Bewusstsein von Modernität -------------------------- Neue Erfahrung von Zeit und Raum - **Bruch und Traditionsverlust** - Auseinandertreten von „Erfahrungsraum und Erwartungshorizont" (Reinhart Koselleck) - Revolutionen als Beginn einer neuen Zeit - **Neues Zeitregime** - Messung: Vom Chronometer zur Stechuhr - Exakte Messung der Zeit, Messung der Arbeitszeit (-\> auch Optimierung) - Beschleunigung von Transport und Kommunikation, Arbeit und Konsum - **Verdichtung des Raumes** - Nationalisierung und imperiale Expansion Globalisierung ### Projekte der Moderne Ideologien → Transformation - Liberalismus → bürgerliche Gesellschaft - Freiheit und Eigentum - Kommunismus → klassenlose Gesellschaft - Gleichheit und Kollektivierung - Nationalismus → Nationsbildung - Brüderlichkeit und vorgestellte Gemeinschaft - Säkularismus → Säkularisierung - Differenzierung von Politik und Religion - Entstehen im 19. Jahrhundert, mit dem Ziel, die Menschheit zu befreien ### Ambivalenz der Moderne Emanzipation und Repression - Industrielle Revolution - Zerstörerisches Wachstum - Französische Revolution - Emanzipation und Terror - Liberalismus und bürgerliche Gesellschaft - Exklusive Freiheit - Nationalismus und Nationsbildung - Partizipationsverheißung und Gewaltbereitschaft Sattelzeit ---------- Beginn der Moderne - 1750 (beschleunigt nach 1770) bis 1850: - neues Verhältnis des Menschen zur Welt - veränderte Erfahrung der Zeit - Umdeutung und Neuprägung geschichtlicher Grundbegriffe - Historische Bewegungsbegriffe - Entwicklung, Fortschritt, Revolution - Sprache als Indikator und Faktor des Wandels - Menschen orientierten sich z.B. an neuen Begriffen, nicht nur Indikator sondern auch Faktor - Sattel = Metapher, davor z.B. Pferdezeitalter Wann war das 19. Jahrhundert ---------------------------- - Braucht sinnvolle Brücke - Langes 19. Jahrhundert - 1789-1914 Doppelrevolution - Französische Revolution und Industrialisierung in England - 1780-1914 - Aufstieg Europas - Problem: Europäisierung - Geht von europäische Überlegenheit - 1770-1920 - Zentralität Europas - So grosser Einfluss Europas - Andere = nahmen Mass an Europa **Überblick** - 1770-1830 Sattelzeit - 1830-1890 Viktorianismus - 1890-1920 Fin de Siècle (Ruck durch Gesellschaft) - 1920-1930 Scharnierperiode ### Zeitalter der Revolutionen - Kriege, Gesellschaftsordnungen geändert - Neue Ordnungen, traditionelle Ordnungen waren verloren, keine Wiederherstellungen - National, transatlantisch oder global? - 1755 Korsika → Frankreich - 1776 Nordamerika - 1789 Frankreich - 1791 Saint-Domingue - 1810 Lateinamerika - Sind voneinander abhängig, unterstützen sich gegenseitig bzw. sahen es als Vorbilde ### Was ist eine Revolution 1. Ideengeschichte: 1776 und 1789 als Geburtsstunden der politischen Moderne -- lokale Ereignisse mit universalem Geltungsanspruch 2. Strukturgeschichte: Mobilisierung von Massen (Gewaltgebrauch) → Auswechselung der Eliten → Umsturz der Sozial- und Herrschaftsstruktur - Konservationismus / Universalismus - Begriffsgeschichte - Rückkehr → Neues - Zyklus → Linearität - Statik → Entwicklung **Aufklärung** Naturrechtstheorie - Gleiche, unveräußerliche Rechte - Rechtmäßige Form der Gemeinschaft - Freiwilliger Vertrag mit der Herrschaft - Grundprinzip der Natur **Korsische Revolution** - Geschriebene Verfassung (erstes Mal niedergeschrieben) - Gewaltenteilung und Volkssouveränität - Annexion und Vergessen - Noch heute auf Insel Freiheitsbewegung & Autonomie **Nordamerikanische Revolution** - 1765-1783 - Siebenjähriger Krieg (Erhöhung der Steuern) - Ende = Staat Amerika - Finanzielle Folgen (Verlust der Kolonien (nicht nur in USA) Französische Revolution ----------------------- ### Krise des Ancien Régime - Reformbereitschaft - Reformunfähigkeit - Inflation - Kann keine höheren Einnahmen generieren - Politisierung der Öffentlichkeit - Flut von Schriften - Kritik der Ständegesellschaft - Nationalversammlung (beanspruchten für sich selbst Legislative) - 14\. Juli 1789 -\> Sturm der Bastille - Neue Eigentumsordnung - 5\. Oktober 1789 -\> Protest, politisierte Massen ### Rechtsstaatlichkeit - Konstitutionelle Monarchie - Menschenrechte - Rechte der Bürger gegenüber dem Staat - Rechte der Bürger im Staat - Citoyen vs. Bourgeois - Staatsbürger vs. Ökonomischer Bürger - Interne Konflikte ### Verlauf *I. Revolution der Freiheit (1789-92)* - Wohlhabende Bürger profitierten - Sansculotten (forderten höhere Steuern + staatliche Lenkung) *II. Revolution der Gleichheit (1792-94)* - Abschaffung der Monarchie, Gründung der Republik - Hinrichtung des Königs - Äusserer Druck - Äußerer Angriff: Revolutionskriege (1792-1815) - Wehrpflicht - Innerer Widerstand: Krieg in der Vendée (1793-99) - Terror - Denunziationen und Verhaftungen - Tribunale und Hinrichtungen - Soziale Grundrechte *III. Direktorium (1794-99)* - Napoleonisches Europa - Rückkehr zur Monarchie - Fortsetzung und Export der Revolution - Transformation Kontinentaleuropas ### Bilanz - Abschaffung adliger Privilegien - Befreiung der Bauern aus feudalen Zwängen - Entmachtung und Enteignung der Kirche - Schaffung rechtlicher und administrativer Bedingungen -\> Entstehung bürgerlich-kapitalistischer Wirtschaftsformen - Ägypten-Expedition (1798-1801) - Haitianische Revolution (1792-1804) - Lateinamerikanische Revolutionen 1808 ### Beziehung - Geopolitik - Großmachtstatus - Kolonialbesitz - Beherrschung von Land und Meer - Transfer - Aneignung, Nachahmung, Export - Saint-Domingue - Tochterrepubliken - Abgrenzung - Schreckbilder - Feindbilder ### Vergleich - Ideen: Naturrechte, Freiheit, Volkssouveränität - Motive: Steuern, Repräsentation, Abolition - Medialisierung, Massenmobilisierung, Fundamentalpolitisierung - Gewalt (Krieg, Bürgerkrieg, Vertreibung, Massenmord) - Herrschaft: Gewaltenteilung/Rechtsstaatlichkeit, Demokratie/Diktatur, Republik/Monarchie - Sozialer Elitenwechsel und Ausschluss - Raum- und Zeiterfahrung (Stunde 0 bei Sturm auf Bastille, neue Monatsbenennung, Experiment gescheitert) - Nationsbildung und Dekolonisation Vorlesung 7 Nation und Imperium =============================== **Periodisierung**: Späte Neuzeit - Bereichs- und Raumabhängigkeit - Sattelzeit als Übergangsperiode - Teilepochen der Neuzeit - Neuere Geschichte - Frühe und Späte Neuzeit - Neueste Geschichte (=Moderne) - langes 19. Jahrhundert: 1789-1914 oder - 1770er-1920er? - kurzes 20. Jahrhundert: 1914-1989 - Zeitgeschichte - Geschichte noch lebender Zeitgenossen, - Beginn verschiebt sich daher generationell: 1930er, 1945, 1960er.... - Ende der Moderne? Revolutionäre Nationsbildung ---------------------------- - Prozess der Nationsbildung ![](media/image4.png)Überblick ### Nationen oder Imperien? Narrative der Moderne 1. Nation als Telos 2. Nation als Erfindung 3. Imperium als Norm 4. Konvergenz Nationen -------- - **Tägliche Plebiszite** - Zugehörigkeitsgefühl der Bevölkerung - Nicht durch Sprache - Gemeinsamer Besitz - Erinnern - Solidarität - ein tägliches Plebiszit (Wille der Mehrheit, zusammen zu lesen) - Vergessen - Solidargemeinschaft - **Produkte des Nationalismus** - Menschliche Erschaffung - Artefakt - Erfindung - Nationalismus - **Vorgestellte Gemeinschaften** - Imagination - Begrenztheit (gibt Grenzen, auch Nationalismus (z.B. bei Fussballspielen) - Souveränität - Gemeinschaft - **Erfundene Traditionen** - - - ### Griechenland Nationaler Befreiungskampf - - - - - - - Errichtung unabhängiger Republik - - Romantische Vorstellung von antikem Griechenland, setzten sich für Befreiung von Griechenland ein - Erst durch europäische Invention zu eigener Nation - - Dissens und Diversität, was ist eigentlich Griechisch? - - Regierungsform, ständiger Wechsel - - Auf welche Vergangenheit soll sie die Nationalgeschichte beziehen? - Antikes Erbe / Mittelalterliches Erbe versöhnen - - Alle Gebiete, in welchen Griechisch gesprochen wurde - - Bevölkerungsaustausch mit Türkei -\> ethnisch / religiöse Verteilung Imperien -------- **Normalfall der Geschichte** - Allgegenwart - Dauerhaftigkeit (im Gegensatz zu Nationalstaat) - Inkorporationsfähigkeit - Handhabung kultureller Differenzen - Differenzmanagement - Regieren unterschiedliche Völker auf unterschiedliche Weisen **Moderne Spezifika** - Gewalt - Enteignung - Exklusion - Vertreibung - Vernichtung - Informal Empire -\> ungleiche Handlungsverträge, Unterschiede - 19\. Jahrhundert = zweites Zeitalter der europäischen Expansion ### Britisches Empire - erste Phase (Atlantisches Gebiet) - zweite Phase (Pazifikgebiete) - hat sich eher dezentralisiert vollzogen - England: stellte Prozess als freiwillige Unterwerfung dar - Handelswege als «Adern» - Meerumspannende Lebensform ### Frankreich - Scharfe Brüche **Erstes Kolonialreich** - Nordamerika: Nouvelle France - Karibik: Saint-Domingue u.a. - Indischer Ozean: Ile Bourbon & Ile de France - ![](media/image6.png)Südostasien: Indien **Zweites Kolonialreich** - Afrique du Nord, Occidentale et Équatoriale - Madagascar - Indochine - Nouvelle Calédonie **Niederländisches Kolonialreich** - Südafrika / Indonesien **Deutsches Kolonialreich** - Südwestafrika - Togo, Kamerun, Nigeria,... **Italienisches Kolonialreich** - Ostafrikanische Kolonien **Russisches Reich** - Pazifik bis Alaska **Osmanisches Reich** - Wurde zurückgedrängt von Europäischen Staaten **Globaler Imperialismus** - Hohe Bilanz von Gewalt ### ![](media/image8.png)Bildung und Auflösung von Imperien Konvergenz ---------- Wandel der Impirien - Aufgeklärt-liberale Empire-Kritik - Trennung von Metropole und Kolonie - Metropole -\> Nationalstaat - schärfere Grenze zwischen Metropole und Kolonie - Rassismus vs. Zivilisierungsmission - Widersprüche -\> Antikolonialismus - Nationalisierende Imperien -- imperiale Nationalstaaten - Innere Kolonialismen - Versöhnung mit Idee des Fortschritts (Erklärung / Ausrede für Aufzwingung) ### Frankreich Galt lange als Vorzeigebeispiel für Nationalstaatenbildung -\> gibt aber auch Kritik - **Nation** - "Postrevolutionary France seems like \[...\] the founding point of the genealogy of the modern state, the modern nation, and the export of those concepts to parts of the world that had not asked to receive them." - **Unsicherheit** - "look at France not as a French \"nation\" extending its power and sense of destiny outward, but from uncertainty and conflict over what sort of polity France actually was, from the revolution through the final crisis of the French colonial empire in the 1950s." - **Imperium** - "the concept of empire -- as a polity that conjugates incorporation and differentiation -- does some useful work in helping us understand how France was defined as a polity and what it meant for people in Greater France to work within and against those terms." **Französisch Algerien** - Assimilation - Ablenkung von innenpolitischen Problemen - Eroberung - Erklärung von Algerien als Teil des Landes, wird aber weiterhin als Kolonie behandelt - Assoziation - Wechsel von Nationalem -- zu Imperialem Modus - Algerien als Arabisches Reich - Als Untertanen - Intergration - Algerienkrieg - Stellten Rechte gleich -\> war aber zu spät - Algerien = wird zu eigenständigem Nationalstaat - Frankreich = Ansehen sinkt, Widerstand gegen Dekolonisation - Frankreich als Hexagon - Innere Dekolonisierung - Kulturelle Eigentümlichkeiten wollte man auslöschen - Korsika: antikolonialer Widerstand - Separatistische Bewegung, nationale Befreiung Korsika wird gegründet - Differenzierung zwischen Imperium / Nationalstaat = sehr schwierig Vorlesung 8 Wirtschaft und Gesellschaft ======================================= Industrialisierung ------------------ ### Begriffe und Periodisierung - Erste Unternehmer = in England -\> 1776 Fabrik in Birmingham - Erstes Maschinen für Massenproduktion - James Watt - Dampfmaschine, neue Kraft zur Bewegung von Gegenständen - Erste Fabrikanten = Baumwolltuchfabrikanten, enorme Verringerung der Produktionszeit (200h auf 20 Minuten) - Fabrik - Erste Spinnerei mit 100% Dampfkraft = 1785 - Schaffung von Arbeitsplätzen - Profite explodierten, da Märkte expandierten - Baumwollindustrie = Schlüsselindustrie - Plantagen - USA: Goldenes Zeitalter der Sklaverei - Ausweitung der Baumwollproduktion = Jagd auf Arbeitskräfte - Migration und Deportation von Sklaven - Kapitalisten - Bourgeoise Klasse von Unternehmern entstand - Kapitalismus -\> war dominant, mehr Profit als Lohn - Sozialpolitische Reformen = setzten Ausbeutung der Arbeit ein Ende - Freihandel - Ideologie - Theorie des komparativen Kostenvorteils für industriell Schwache und Starke (David Ricardo) - Ein Produzent exportiert Waren in ein Land, das sie besser herstellen könnte. - Beide Länder profitieren durch den Handel. - Löhne: Landwirtschaft sinkt, Industrie steigt. - Trotzdem wurde die Theorie in den 1840ern wichtig - Angebot & Nachfrage - Braucht Nachfrage damit wirtschaftlich überhaupt mögliche - England = Opiumverkauf an China (da hohe Nachfrage) - Deshalb auch grosses Angebot - Gewalt - In China: Kriegsschiffe als Entschädigung - China wird gezwungen, Grenzen für ausländische Händler und Missionare zu öffnen - Ungleiche Verträge - Industrialisierung = brach nicht nur wirtschaftliche, sondern auch militärische Überlegenheit wesentlicher Mächte mit sich - Pax Britannica - Britische Selbstdarstellung - Globale Produktion und Handel als friedlicher, freiwilliger Prozess (Pax Britannica). - Industrielle Revolution und Moderne: - Verbindung mit Europas zweiter Expansion und Kolonialreichen. - Kolonisierung oft initiiert durch Kaufleute und Industrielle. - Ökonomische Motive im Vordergrund, staatliche Übernahme später. - Auswirkungen der Industriellen Revolution: - Stimulierte und beschleunigte europäische Expansion. - Europäisierung der Welt auf wirtschaftlicher, politischer und kultureller Ebene. ### Ursache und Folgen Warum Europa? - **Interne** Faktoren - Protestantische Ethik - Max Weber: Calvinismus förderte Kapitalakkumulation und Reinvestition. - Innerweltliche Askese motivierte zu einem arbeitsamen Leben und begünstigte Unternehmertum und Arbeitsdisziplin. - **Externe** Faktoren - Nutzung von Kohle als entscheidender Energieressource. - Koloniale Ausbeutung: Rohstoffe und Plantagenprodukte aus der Neuen Welt (Holz, Zucker, Baumwolle). - Versorgung Englands mit bodenintensiven Gütern ermöglichte Bevölkerungswachstum und Industrialisierung. - Zusammenspiel - Transnationale Verbindungen und Technologietransfers betonen Zusammenspiel innerer und äußerer Faktoren. - Historiker wie Kenneth Pomeranz erklären die „Great Divergence" zwischen England und China mit externen Einflüssen und Ressourcen aus Übersee. Warum England - Binnennachfrage - Mittelschichten -\> wurden Träger von Konsum - Konsum - Rohstoffe - Grosser Absatzmarkt - Institutionen - Technikkultur - Transfers Warum nicht Deutschland? - Großbritannien: „Werkstatt der Welt", Technologietransfers durch Handel, Spionage und Nachahmung. - „Made in Germany" (1887): Zunächst als Warnung, später Symbol für Qualität. - Beispiel für Dynamiken der Industrialisierung. **Periodisierung industrielle Revolution** Periodisierung 1750-1850 Industrielle Revolution 1800-1850 *Inkubationszeit* der britischen Industrialisierung Transnationale *Verflechtungen* und nationale *Pfade* 1820 Belgien und Schweiz 1830 Frankreich 1850 Deutschland 1851 Great Exhibition in London *Durchbruch* der britischen Industrialisierung Great Exhibition - 1851: Symbol der Industriellen Revolution. - Kristallpalast: Moderne (Transparenz, Solidität). - 1 Mio. Besucher, britische Überlegenheit gefeiert. - Natur, Kultur und Industrie als Einheit dargestellt. - Wurde zum Modell der Weltausstellungen (v.a. 1900 in Paris gross, ansonsten eher klein und kurzfristig) **Zweite Industrielle Revolution** 1851 Great Exhibition in London *Durchbruch* der britischen Industrialisierung 1850-1900 Verlagerung wirtschaftlicher Macht - USA und Deutschland Wirtschaftlicher Strukturwandel: - Konzernbildungen - Kapitalgesellschaften - Big Business Kohle - Energiequelle der Industrialisierung - 19\. Jahrhundert = Zeitalter der Kohle - Kohlebergbau = Schlüsselsektor der Industrialisierung - Transport, Produktion, Wärme, Energie - Schlüssel für Wohnstand - Ungleiche Verteilung Erdöl - Erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. - Standard Oil Company - Monopolisierte globalen Erdölbarkt Elektrizität - Großtechnische Nutzung ab 1891 (Fernübertragung Lauffen-Frankfurt). - Anwendung: Zunächst Beleuchtung, später Antrieb in Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft. - Innovation: Elektromotoren ersetzten Dampfmaschinen und Transmissionsriemen. Anthropozän - Begriff von 1873, beschreibt den Einfluss des Menschen auf die Erde. - Beginn: Umstritten, teils mit Ackerbau, teils mit Atombombentests. - Industrielle Revolution: Ab 1800, Beginn massiver ökologischer Veränderungen. - Globale Auswirkungen: Beschleunigte Naturveränderungen, verstärkt durch spätere Industrialisierung in Asien ### Akteure und Dynamiken Klassische Theorien - Übergang von Feudalismus zu Kapitalismus - Verselbständigung des Ökonomischen - Wechselspiel von Innovation und Nachfrage - Institutionelle Rahmenordnung - Endogene und exogene Faktoren **Kapitalismus** Industrielle Revolution - Lohnarbeit - Klassengegensatz - Kapitalakkumulation - Innovationsbeschleunigung - Globale Dominanz - Finanzkapitalismus der Banken und Börsen - Integration von Geld und Finanzmärkten = machten Kapital mobil - Agrarkapitalismus - Mechanisierung der Landwirtschaft - Agro-Industrie, Warnketten von Erzeugung bis Vermarktung - Staatliche Ordnungspolitik - **Rolle des Staates**: Lange unterschätzt, aber entscheidend für die Globalisierung von Industrie und Kapitalismus. - **Staatliche Maßnahmen**: Schaffung von institutionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen, z. B. durch Laisser-faire-Politik. - **Wichtige Gesetze**: Code Civil (1804) und Bürgerliches Gesetzbuch (1900) sicherten privates Eigentum. - **Freihandel**: Vereinbarung zwischen Frankreich und Großbritannien (1860) leitete eine Ära des globalen Freihandels ein. - Staatliche Infrastrukturpolitik - **Staat als Unternehmer**: Beteiligung an Infrastrukturprojekten für Industrialisierung und Vernetzung. - **Transsibirische Eisenbahn**: 19. Jahrhundert, finanziert vom russischen Staat, förderte sibirische Wirtschaft und Marktzugang. Vernetzung ---------- - **Vernetzung**: Begriff, der in der digitalen Globalisierung (World Wide Web) populär wurde, aber auch ältere Prozesse beschreibt. - **Netzwerkgesellschaft**: Konzept von Manuel Castells, betont die Bedeutung von Netzwerken. - **Netzformen**: Netzwerke können polyzentrisch oder monozentrisch sein, mit Zentren und Peripherien. - **Lücken im Netz**: Historiker:innen müssen auch die nicht oder anders vernetzten Gesellschaften berücksichtigen. - 19\. Jahrhundert bis Erster Weltkrieg: Periode intensiver Netzwerkbildung und Globalisierung, eng verbunden mit imperialer und kapitalistischer Expansion. ### Globalisierung **Historische Dimensionen** - Weltwirtschaft und Weltsystem - Fernand Braudel - Immanuel Wallerstein - Janet Abu-Lughod - Netzwerke und Interaktionsräume - Reichweite und Bedeutung - Intensität und Geschwindigkeit - Dauer und Frequenz - Umkehrbarkeit **Periodisierung** Vor 1500 Anläufe 1500-1750 Verfestigung 1750-1880 Verdichtung 1880-1945 Politisierung 1945-1975 Halbierung Vor 600 Frühe Zivilisationen 600-1350 Geteilte Welten 1350-1750 Weltreiche und Weltmeere 1750-1870 Wege zur modernen Welt 1870-1945 Weltmärkte und Weltkriege 1945- Die globalisierte Welt **Kritik** - Teleologie - Globalisierung ersetzt Modernisierung - Globalität - Afrikanische Geschichte - Siegergeschichte - Gewinner globaler Verflechtung Globalisierung im 19. Jahrhundert - Prozess - Projekt - Akteure - Normativität - Reichweite -- Diskonnektivität - Perspektive - Imperiale Expansion und industrieller Kapitalismus - Infrastrukturelle Vernetzung - Beschleunigung der Zeit und Vernichtung des Raumes ### Vernetzung Saint-Simonisten - Frühsozialisten, setzten auf Meritokratie und Abschaffung des Erbens. - Neue Lebensformen: Gründung der ersten Wohngemeinschaft, „neue Religion". - Exil: 1832 verboten, viele gingen nach Nordafrika. - Technikaffinität: Vorreiter in infrastruktureller Vernetzung. - Einfluss im Kaiserreich: Führende Rollen in Politik und Wirtschaft, förderten kapitalistische Transformation. Euromediterranes System - Vernetzung Europas mit dem Mittelmeerraum - Banken - Eisenbahnen - Dampfschiffe - Telegraphen - Kanäle - Entwicklung des Südens durch den Norden - Technisch-wirtschaftliche Kooperation von Imperien - Befriedung des Mittelmeerraumes und der Welt Raum-Zeit-Verdichtung „Wenn ein Reisender, der morgens in Havre losfährt, in Paris zu Mittag essen, in Lyon zu Abend essen und am selben Tag in Toulon ein Dampfschiff nach Algier oder Alexandria nehmen kann, \[...\] wird sich ein gewaltiger **Wandel der Verfassung der Welt** vollziehen; dann wird, was heute eine **riesige Nation** ist, nur noch eine **Provinz mittlerer Größe** sein." Effektivere Regierbarkeit „Die Einführung von Eisenbahnen auf den Kontinenten und von Dampfschiffen auf den Meeren wird nicht nur eine industrielle, sondern auch **eine politische Revolution** sein. Denn mit diesen Mitteln und anderen modernen Entdeckungen wie dem Telegraphen wird es leicht sein, den Großteil der Kontinente, die das Mittelmeer säumen, mit der gleichen **Einheitlichkeit** und **Augenblicklichkeit** zu regieren, die heute in Frankreich besteht." ### Regionale Vernetzung **Dampfschifffahrt** - begann um 1800 und revolutionierte den Transport auf Flüssen und Ozeanen. - ersetzten zunehmend Segelschiffe, da sie regelmäßiger und schneller operieren konnten. *Technologische Fortschritte:* - Dampfschiffe ermöglichten eine schnellere und effizientere Verbindung zwischen wichtigen Handelszentren. - Die Einführung von Dampfschiffen führte zu einer Verdichtung der Raum-Zeit, was bedeutete, dass Reisen und Handel über große Distanzen schneller und einfacher wurden. *Integration mit Eisenbahnen:* - Dampfschifffahrtslinien wurden oft mit Eisenbahnlinien verknüpft, was die Mobilität und den Warenverkehr weiter verbesserte. - effektive Regierbarkeit und Kontrolle über große geografische Gebiete. *Wirtschaftliche Auswirkungen:* - trug zur Globalisierung bei, indem sie den internationalen Handel erleichterte und neue Märkte erschloss. - Sie spielte eine entscheidende Rolle in der Expansion des europäischen Handels, insbesondere im Mittelmeerraum und zwischen Europa und Asien. *Kulturelle und soziale Auswirkungen:* - Die Dampfschifffahrt förderte nicht nur den wirtschaftlichen Austausch, sondern auch den kulturellen Austausch zwischen verschiedenen Regionen. - Sie beeinflusste die Wahrnehmung von Entfernungen und Zeit, was zu einer neuen Vorstellung von Mobilität und Vernetzung führte. **Eisenbahn** - *Entwicklung*: Erste Linie 1825 zwischen Stockton und Darlington, 40 km. - *Technologische Fortschritte*: Dampflokomotiven revolutionierten den Transport von Passagieren und Gütern. - *Wirtschaftliche Auswirkungen*: Fördert wirtschaftliche Integration, verbesserte Transportkapazitäten und industrialisierte Produktion. - *Soziale Veränderungen*: Erleichterte Mobilität, förderte Urbanisierung und Stadtwachstum. - *Politische/kulturelle Auswirkungen*: Erleichterte Kontrolle und Verwaltung, veränderte Wahrnehmung von Raum und Zeit. ### Nationale Integration **Integration der Netze** - Nationale Effekte der Vernetzung - Entstehung eines französischen Streckennetzs - Integration / Schaffung nationaler Märkte - Z.B. Wein-Markt - Vorangetrieben durch Paulin Talabot (Saint-Simonist) - Integrierte maritime und terristrische Netze -\> stimulus für den Handel - Mittelmeer = wird vom Ozean zum See, hier zum Fluss **Transformation Marseilles** Die Transformation von Marseille im 19. Jahrhundert war geprägt von: - Infrastruktureller Modernisierung: Der Bau des neuen Hafens La Joliette (1857) und die Anbindung an das Eisenbahnnetz förderten das Wachstum. - Nationale Integration: Die Verbindung zu anderen Städten durch Eisenbahnen stärkte die wirtschaftliche Integration. - Spekulation und urbaner Wandel: Städtische Projekte wie die Rue Impériale (1899) gaben der Stadt ein modernes Gesicht. - Mediterrane Einwanderung: Der Hafen zog Einwanderer aus dem Mittelmeerraum an, was zu kultureller Vielfalt führte. - Imperiales Zentrum: Marseille spielte eine zentrale Rolle im kolonialen Handel. - Kulturelle Vielfalt und soziales Leben: Der Mix verschiedener Kulturen prägte die Identität und Wirtschaft der Stadt. **Suezkanal** Forschung: - 1798 begannen Studien im Rahmen von Bonapartes Expedition - 1840er Jahre: Anstieg des europäischen Asienhandels, was das Projekt des Suezkanals vorantrieb Lobbyismus: - 1858: Konzession des Khediven für Ferdinand de Lesseps - 1859-1869: Bau des Kanals durch die Société Universelle du Canal Maritime de Suez Zwangsarbeit: - Der Bau des Kanals wurde teilweise durch Zwangsarbeit von ägyptischen Arbeitern durchgeführt Mechanisierung: - Der Kanalbau setzte auf mechanisierte Verfahren und moderne Technologien, um die Konstruktion zu beschleunigen Staatliche Investitionen: - Ägypten investierte in den Kanalbau, später wurden 44 % der Anteile 1875 an Großbritannien verkauft Europäische Modernität: - Der Suezkanal symbolisierte Fortschritt und europäische Dominanz in der globalen Wirtschaft - Verkürzte Handelsrouten und eröffnete neue Märkte für Europa Verschuldung und Fremdherrschaft: - Ägypten verschuldete sich, um den Bau zu finanzieren, was 1875 zur Teilverkäufung des Kanals an Großbritannien führte - 1882 besetzte Großbritannien Ägypten, um die Kontrolle über den Kanal zu sichern Diskonnektivität: - Der Kanal trug zur Verkürzung von Handelswegen bei, beseitigte jedoch bestehende Verbindungen und verschob geopolitische Machtverhältnisse Religiöse Mobilitäten: - Der Kanal förderte auch religiöse und kulturelle Bewegungen, indem er neue Verbindungen zwischen verschiedenen Teilen der Welt schuf **Telegraphie** - Optische Signalübermittler (Semaphoren) ab 1823, elektrische Telegraphen 1837, Morsecode 1844 - Unterwasserkabel ab späten 1800er Jahren, weltweites Netzwerk bis 1902 Wirtschaftliche und politische Effekte: - Schnellere Entscheidungen im Handel, synchronisierte Märkte, Aufstieg von Big Business Kontrolle und Hierarchien: - Großbritannien besaß 1890 zwei Drittel der Telegraphenleitungen, geringe Technologietransfers Subversive Nutzung: - Einsatz zur Koordination von Protesten und Aufständen Ablösung: - Ersetzt im 20. Jahrhundert durch Telefon, Rundfunk und Internet Vorlesung 9 Hochmoderne: Wirtschaft und Gesellschaft ==================================================== Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts: Die Hochmoderne Die Moderne ----------- Modernisierung - Gerichteter Prozess Shmuel Eisenstadt - Plurale Modernen, ohne westliche Dominanz oder andere Konvergenzannahmen - Kein Rückgang der Religion, sondern stattdessen ihre unterschiedlichen Umformungen Paradoxien: - weil spezialisierte Arbeitsteilung zu mehr Zusammenarbeit führte und neue Integrationsmechanismen verlangte - weil pluralisiertes Expertenwissen neue Fragen nach Sinn und Ganzheitlichkeit aufwarf - weil die Individualisierung das neue Problem der Identität und Zugehörigkeit schuf - weil die Domestizierung auch die Abhängigkeit des Menschen von technischen Hilfsmitteln verdeutlichte. Hochmoderne ----------- Ulrich Herbert: Die Hochmoderne (1880er bis 1970er Jahre) - Durchsetzung der Marktwirtschaft - Industrialisierung - Demographische Expansion - Mobilitätszunahme - Beginnende Demokratisierung der politischen Herrschaft - Bewegung vom Stand zur Klasse - Individualisierung - Durchsetzung eines empirisch-analytischen Wissensverständnisses ### ![](media/image10.png)Grundlegende Strukturen der Hochmoderne ### Henry Ford T-Modell von Henry Ford - Fließband und Werkzeugmaschinen - Neue Effizienzsteigerungen - Schattenseiten: - Dequalifikation der Arbeiter - Segmentierung - Überwachung der Arbeitsabläufe - Strukturelle Arbeitslosigkeit Versailler Vertrag ------------------ Neugliederung Europas nach dem 1. Weltkrieg - Alternative zum Kommunismus formulieren - Deutschland kontrollieren - Neuer Ethnonationalismus: Grenzen der neuen Nationen auf dem ehemaligen Territorium der zerfallenen Imperien festlegen - Innenpolitik der Siegermächte - Einen neuen Krieg verhindern - Leute ohne «Vaterland», fehlende Zugehörigkeit „Wenn man mich fragt, was mein Vaterland ist, antworte ich: Ich bin in Fiume geboren, in Belgrad, Budapest, Pressburg, Wien und München aufgewachsen und habe einen ungarischen Paß; aber ich habe kein Vaterland. Ich bin eine typische Mischung des alten Österreich-Ungarn: Magyare, Kroate, Deutscher und Tscheche zugleich; mein Land ist Ungarn, meine Muttersprache ist Deutsch". **Verteilung der Minderheiten in Europa** - 8,6 Millionen in Westeuropa (ca. fünf Prozent der Gesamtbevölkerung) - 25 Millionen in Mittel- und Osteuropa (ca. fünfundzwanzig Prozent der Gesamtbevölkerung) **Zwangsarbeiter** - 1944 lebten **acht Millionen** überwiegend zivile Arbeiter im Deutschen Reich. - 6 Million waren zivile Arbeiter, 2 Millionen Kriegsgefangene »Männer und Frauen einschließlich Jugendlicher vom 15. Lebensjahr ab werden auf der Straße, von den Märkten und aus Dorffestlichkeiten herausgegriffen und fortgeschafft. Die Einwohner halten sich deshalb ängstlich verborgen und vermeiden jeden Aufenthalt in der Öffentlichkeit \... Zu der Anwendung der Prügelstrafe ist seit Anfang Oktober das Niederbrennen der Gehöfte beziehungsweise ganzer Dörfer als Vergeltung für die Nichtbefolgung der an die Gemeinde ergangenen Aufforderung zur Bereitstellung von Arbeitskräften getreten.« **United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA)** - Gründung: 1943 von 44 Ländern während des Zweiten Weltkriegs. - Ziele: Humanitäre Hilfe, Versorgung von Kriegsopfern, Unterstützung beim Wiederaufbau. - Aufgaben: - Verteilung von Nahrung, Kleidung und Medizin. - Rückführung von Flüchtlingen und Vertriebenen. - Wiederaufbau zerstörter Infrastruktur. - Finanzierung: Vorwiegend durch Mitgliedsstaaten, besonders die USA. - Auflösung: 1947, Aufgaben gingen an Nachfolgeorganisationen wie die IRO. - Bedeutung: Grundstein für spätere UN-Organisationen wie UNHCR und UNICEF. USA und Weltwirtschaftskrise ---------------------------- **Merkmale:** - Bankenkrise - Starker Rückgang der Industrieproduktion, des - Welthandels und der internationalen Finanzströme - Rücknahme der Auslandsanleihen durch die USA **Folgen:** - Abkehr vom Goldstandard - Massenhafte Arbeitslosigkeit, soziales Elend und - politische Krisen - Zahlungsunfähigkeit vieler Unternehmen - Nationaler Protektionismus **Ursachen:** - Börsencrash - Stockende Produktion in den USA - Kredite und Spekulationsboom Globalisierungsschub seit 1970 ------------------------------ - der Welthandel wuchs rascher als die Produktion - die interkontinentalen Bewegungen von Gütern, Kapital und Menschen waren eng verknüpft mit der - institutionellen Einrahmung der Weltwirtschaft - Mit internationalen Organisationen wie UNO, Weltbank, Internationalem Währungsfond, festen Wechselkursen sowie der GATT (General Agreement in Tariffs and Trade), welches ein Forum zur Verhandlungen über umfassende Zollsenkungen bot, kam die Handelsliberalisierung deutlich voran. - Schifffahrt führte die neue Logistik der Containerschiffe ein - in der Energieversorgung führten die Pipelines zu neuen Vernetzungen - die transkontinentalen Flugreisen veralltäglichten sich - mediale Globalisierung wurde durch das TV zum Liveevent - die multinationalen Großkonzerne, die globale Produktionsnetze organisieren, in denen einzelne Produktionsschritte auf die jeweils kostengünstigsten Standorte verteilt werden, sind ein Produkt der Waren- und Kapitalmärkte seit den 1970er Jahren - voll integriert war hier die sogenannte „Dritte Welt", auch die Ölstaaten des Nahen und Mittleren Ostens - Weltölförderung wuchs, je mehr das Erdöl durch den Niedergang der Kohle und den Aufstieg des Automobils zu einer zentralen Entwicklung wurde ### Club of Rome Ab den 1970er Jahren: - Öl zur zentralen Energiequelle - Weiterverarbeitung zum Alltagsgegenstand Plastik - Raffinierung des Öls zum Benzin - Globalisierung von Massenproduktion, Massenkonsum und Massenmedien - Bevölkerungsexplosion (1950: - 2,5 Milliarden Menschen auf der Welt lebten, 1975: 4 Milliarden, heute: 8 Milliarden „Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht." ### 1950er Jahre Syndrom - Definition: Übergang ab den 1950er Jahren zu einem ressourcenintensiven Lebensstil. - Merkmale: - Starker Anstieg des Energieverbrauchs (Kohle, Öl, Erdgas). - Höchster Verbrauch in den USA und Westeuropa. - Folgen: Umweltzerstörung, Klimawandel, Überschreitung planetarer Grenzen. - Kritik: Grundlage für die heutige ökologische Krise. Vorlesung 10: Moderne: Kultur und Religion ========================================== Medialisierung -------------- ### Begriffsdefinition - Prozess der Durchdringung unterschiedlicher Lebensbereiche mit den gegebenen technischen und kulturellen Gesetzmässigkeiten der Medien - Medialität: Ermöglicht Erzeugung und Kommunikation von Sinn - Konstitutiv für Kultur - Formierung der modernen Mediengesellschaft = beginnt im 19. Jahrhundert - Verbreitung und Einfluss auf alle Bereiche des menschlichen Lebens einwirken - Verändern Wahrnehmung der Walt (von Raum und Zeit ### Telegraphie - Telegraph (grundsätzliche Erklärung) - Fernschreiber, der codierte Nachrichten über räumliche Distanzen übermittelte - Ermöglicht dematerialisierte Form der Kommunikation - Optische - Semaphoren (schwenkbare Balken, je nach Stellung = andere Buchstaben) - Frankreich: landesweites Telegrafennetz - Elektrische - Schreibtelegraph - Drücken von Taste = schloss Stromkreis - Morsealphabet - Überlandtelegraphie = begleitete den Ausbau des Eisenbahnnetzen in den USA - Interkontinentale Telegraphie - Globale Vernetzung (auch unter Wasser) - Verkabelung der Welt - Wirtschaftliche Auswirkungen - Welthandel - Informationsvorsprung Kaufleute / Aktienhändler - Angleichung von Preisniveaus, Ermöglichung von Big Business - Politische Auswirkungen - Schnellere Kommunikation - Beschleunigte diplomatische Verhandlungen - Machtasymmetrien - Ungleiche Netzdichte - Wissen & Kontrolle bei wenigen Akteuren - Nachfolgertechnologien: Telefon, Rundfunk, Internet - = Telegrafische Netzwerke = Grundlage für globale Kommuniaktion(sungleichheit) ### Zeitung - Ersetzte Morgengebet -\> morgendliches Ritual - Indiz für Zusammenhang von Prozessen der Medialisierung und der Skularisierung - Redaktion - Unterschiedliche Ressorts-\> Differenzierung der Welt in Sphären - Kapitalistisches Unternehmen, Vermarktung von Produkten - Massenpresse - Sychnronisierung und Vernetzung des Planeten - Journalisten = Figur des öffentlichen Intellektuellen - Meinungs- und Pressefreiheit -\> vierte Gewalt ### Nachrichtenagenturen und globale Vernetzung - 1835: Erste Nachrichtenagentur (Havas, Paris), später Gründung von Reuters, Wolff und Associated Press. - Marktaufteilung durch Kartellverträge; regionale Monopole für globale Nachrichten. - Objektive Berichterstattung und Schaffung einer weltweiten Nachrichtenordnung. ### Photographie: - Abbildung der Realität - 1839: Erfindung (Daguerre und Niépce). - Einsatz in Porträts, Wissenschaft, Propaganda, Alltag; Demokratisierung durch tragbare Kameras und Rollfilm. - Grundlage für moderne Bildkommunikation. ### Kino - Bewegung und neue Wahrnehmung - 1878: Erste bewegte Bilder (Muybridge), 1890er: Erfindung des Kinos (Lumières). - Dokumentarische und künstlerische Filme veränderten Raum- und Zeitwahrnehmung. Verbindung von Telegraphie, Photographie und Kino schuf globale Strukturen und neue Formen der Wahrnehmung. Säkularisierung --------------- ### Prozess - **Entzauberung** der Welt - Im Sinne einer Widerlegung & Entkräftigung religiöser Weltbilder, bei der Glauben durch Wissenersetzt wird - **Privatisierung** der Religion - Zurückdrängung der Religionen aus öffentlichem & politischem Raum (Verinnerlichung der Religion) - **Differenzierung** der Religion - Differenzierung von anderen Sphären wie Politik, Recht, Wissenschaft,... ### Projekt ***Französsiche Revolution:*** **1. Menschen- und Bürgerrechte** - 1789: Religionsfreiheit in Artikel 10 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. - Abschaffung der Staatsreligion, Katholizismus verliert Status als Staatsreligion. - Emanzipation religiöser Minderheiten (Juden, Protestanten). **2. Säkularisation und Eingriffe in Kirche** - Enteignung kirchlicher Güter zur Sanierung des Staatshaushalts. - Auflösung von Klöstern und Orden, Annullierung geistlicher Gelübde. - Einführung der Zivilehe und des Scheidungsrechts. - Zivilverfassung des Klerus: Geistliche wurden Staatsangestellte, Treueid auf den Staat. **3. Dechristianisierung** - Einführung des revolutionären Kalenders, Abschaffung des Sonntags. - Schließung aller Kirchen, Verbot öffentlicher religiöser Zeremonien. - Entweihung von Kirchen (z. B. Notre Dame der Vernunft geweiht). - Antiklerikale Verfolgungen und Massaker, besonders im Kontext der Vendée. **4. Revolutionärer Kult und Reaktionen** - Einführung des „Kults des höchsten Wesens" durch Robespierre (1794). - Ablehnung aggressiver Dechristianisierung durch revolutionäre Eliten. - Napoleon schloss 1801 ein Konkordat mit dem Vatikan, um den Konflikt zu befrieden. - Konflikte mit der Kirche eskalierten erneut (1809 Exkommunikation, 1810 Verhaftung des Papstes). - Katholische Kirche startet im 19. Jahrhundert eine Gegenoffensive, Kulturkämpfe mit Säkularisten. ***Liberale Säkularisten*** - Religion als Privatsache - vs. Prozessionen - **Primat des Staates** - vs. Kirchenjustiz - Emanzipation religiöser Minderheiten - pro Juden und Protestanten - bürgerlich-kapitalistische Gesellschaftsordnung - Autonomie vs. Demut - Reichtum vs. Armut - Arbeit vs. Kontemplation - Konsum vs. Askese - Generative Sexualität vs. Keuschheit ***Radikale Säkularisten*** - **Entzauberung der Welt** - Wissen vs. Glauben - **Befreiung aus klerikaler Bevormundung** - Arme - Frauen - Kinder ### Religiöse Erneuerung *Protestantische Erweckung* - Umkehr - Sündhaftigkeit und Gnade - Antirationale Apokalyptik - Glaubensernst und Sozialarbeit - Massenversammlung und Medialität - Emotionalisierung der Frömmigkeit *Katholischer Ultramontanismus* - Ziel: Erneuerung des Katholizismus - Stärkung päpstlicher Autorität - Zentralisierung der Kirche - Rekatholisierung der Welt - Verlust des Kirchenstaates - Dogmatische Gegenoffensive - Erklärte neue Ideologien wie Liberalismus oder den Nationalismus als moderne Irrtümer, forcierten die Zentralisierung der Kirch - Emotionalisierung der Frömmigkeit ### Kulturkämpfe Definition: Konflikte religiöser und säkularistischer Bewegungen um den Ort und die Bedeutung der Religion in der Moderne **Themen** - Staat vs. Kirche - Kontrolle des Klerus - Zivilstandsregister - Nation vs. Religion - Loyalitätskonflikt - Konfessionen - Glauben vs. Wissen - Historische Kritik vs. wörtliche Auslegung - Schöpfungslehre vs. Evolutionstheorie - Lebensführung - Ehe vs. Zölibat - Arbeit vs. Kontemplation **Kampfplätze** - Stadt und Land - Text und Bild - Parlament und Petition - Kanzel und Synode - Schulen und Universität - Ehe und Familie - Straße und Dorfplatz **Transnationaler Charakter** - Epochenbegriff: Zeitalter der Kulturkämpfe - Ausgangspunkt: Westeuropa und Lateinamerika - **Schweiz** - Spanien - Mexiko - Japan - Piemont und Italien - Baden und Bayern - Preußen und Deutsches Reich - Frankreich **Grenzen** - **Entzauberung der Welt** - Wissen vs. Glauben - **Befreiung aus klerikaler Bevormundung** - Arme - Frauen - Kinder - Kolonisierte **Ergebnisse** - Neujustierung des Verhältnisses von Staat und Kirche, von Gesellschaft und Religion - Spaltung in politisch-konfessionelle Milieus oder klerikal-laizistische Blöcke - Politisch-religiöse Bewegungen -\> Politisierung von Religion **Globalisierung im 20. Jahrhundert** 1912-49 China 1917-41 Sowjetunion **1924-38 Türkei** 1979 Persien -\> Iran **Umstrittener Säkularismus** - Antiliberale Kräfte - Revisionismus - Einwanderung - Diaspora - Vielfalt - Universalismus ### Religion und Moderne *Säkularisierung* - Entzauberung der Welt - Privatisierung der Religion - Differenzierung der Religion *Religiöse Erneuerung* - „Wiederkehr" der Religion - Religiöse Fundamentalismen - Vermischungen von Religion und Politik ### Judentum #### Emanzipation der Juden: - **Rechtliche Gleichstellung:** - Zuvor diskriminierendes Fremdenrecht, später rechtliche Angleichung. - Erste Schritte im Habsburgerreich (josephinische Reformen). - Fortschritt in Frankreich während und nach der Revolution. - **Napoleons Reformen:** - 1807 Einberufung eines Rates mit 71 jüdischen Würdenträgern aus verschiedenen Ländern des Kaiserreichs. - Einführung einer zentralen Organisation der jüdischen Gemeinden. - Zugang zu Berufen über Handel und Geldverleih hinaus. - Verpflichtung der Juden zur Anerkennung staatlicher Autorität und Aufgabe religiöser Gesetze, die säkularem Recht widersprachen (z. B. Polygamie). **Integration ins Vaterland:** - **Verzicht auf nationale Bestrebungen:** - Juden mussten das Land, in dem sie lebten, als Vaterland anerkennen. - Rabbiner sollten nur spirituelle Autorität ausüben, zivile Gesetze hatten Vorrang. **Haskala (Jüdische Aufklärung):** - **Moderne und Religion:** - Unterstützte Reformen zur Vereinbarkeit des Judentums mit der Moderne. - Ziel: Integration jüdischer Gemeinschaften in säkulare Gesellschaften. #### Antijudaismus - **Hep-Hep-Krawalle 1819:** - Antijüdische Gewalt in Würzburg und weiteren Städten (z. B. Hamburg, Danzig). - Zerstörung jüdischer Häuser, Geschäfte, Synagogen; Gewalt gegen Juden. - **Hauptakteure:** Kaufleute und Handwerker, motiviert durch Angst vor Konkurrenz. - **Hintergründe:** Wirtschaftliche Not (Missernten 1817), Vorurteile und christlicher Antijudaismus. #### Begriff Antisemitismus - Begriff „Antisemitismus" entstand im 19. Jahrhundert. - 1857: Ernest Renan kritisierte Juden und Muslime. - 1860: Moritz Steinschneider warf Renan Antisemitismus vor. - 1862: Wilhelm Marr veröffentlichte *Der Judenspiegel* und behauptete, Juden seien assimilationsunfähig. - Entstehung und Bedeutungswandel - 1879-1910 Entstehung und Verbreitung - *Abgrenzung* von traditioneller Judenfeindschaft - *politisches* Problem: *Reaktion* auf Emanzipation der Juden - 1918-1939 Bedeutungswandel - *Kontext*: Mittelosteuropa - Eternalisierung - Psychologisierung - Existenzgefährdung #### Antisemitismus in Deutschland **Berliner Antisemitismusstreit** **Kontexte:** - Börsenkrach - Innere Reichsgründung nach Kulturkampf: antiliberaler Kurswechsel Bismarcks, Kooptierung der Katholiken - Ostjüdische Einwanderung - 1879: Heinrich von Treitschke kritisierte die jüdische „nationale Sonderexistenz" als Bedrohung für die nationale Einheit Deutschlands. **Folgen:** - Verengung des Begriffs Semiten auf Juden - Medialisierung, Mobilisierung, politische Organisation - Biologisierung: Rasse statt Religion - Antisemitismus wird kultureller Code von Eliten und Massenbewegung - 1880: Gründung der Antisemitenliga durch Wilhelm Marr - 1883: Brand der Synagoge von Neustettin - 1885: Massenausweisung von 35.000 Polen, darunter 10.000 Juden #### Antisemitismus in Russland **Pogrome und Exodus** 1881-82 Ermordung Alexanders III. Gerüchte und Pogrome Antisemitische Gesetzgebung Emigration nach Amerika 1903-06 *Protokolle der Weise von Zion* Pogrome - Kishinev (Moldau): 45 Tote, 600 Verletzte, 1.500 Plünderungen #### Antisemitismus in Frankreich - Antisemitismus in Frankreich unter Éduard Drumont - 1886: Veröffentlichung von *La France Juive* (Bestseller, 150 Auflagen) - 1886: Übersetzung ins Deutsche als *Das verjudete Frankreich* - 1889: Gründung der Antisemitenliga (Ligue nationale anti-sémitique de France) - 1892: Gründung der Zeitschrift *La Libre Parole* (Schlüsselrolle in der Dreyfus-Affäre) **Dreyfus-Affäre** - **1894**: Verurteilung von Alfred Dreyfus wegen angeblicher Spionage und Verbannung nach Guyana - **1896**: Enthüllung, dass das Gutachten fehlerhaft war, aber Vertuschung durch Geheimdienst und Armee - **1897**: Medien erzwingen Ermittlungen, doch der eigentliche Spion wird freigesprochen - **1898**: Émile Zola veröffentlicht *J\'accuse!* und klagt Regierung und Armee an - **1899**: Demonstrationen, Pogrome, Putschversuch, Attentat auf den Staatspräsidenten - **1902**: Republikanischer Wahlsieg und verstärkte antikatholische Gesetzgebung - **1905**: Trennung von Staat und Kirche - **1906**: Dreyfus wird endgültig freigesprochen ### Zionismus *Entstehung und Wandel* - Christliche Vorläufer - Idee der „Auto-Emanzipation" - Transnationale Organisation - Palästina als „Eretz Israel" - Zionistische Siedlungskolonisation - Konzept der „Jüdischen Arbeit" Zusammenfassung --------------- - Säkularisierung des christlichen Europas - Emanzipation der Juden -\> Repression ihrer Eigentümlichkeit - Säkularisierung der Judenfeindschaft - Antijudaismus -\> Antisemitismus - Zionismus - Jüdischer Nationalismus - Vermischung von Politik und Religion - Politischer Islam - Politisierung von Religion - Muslimischer Antisemitismus - Geschichte des 19. Jahrhunderts als Geschichte der Gegenwart Die Dynamiken des Judentums, Antisemitismus und Zionismus zeigen die Komplexität der Religion in der Moderne. Durch die Säkularisierung in Europa erhielten die Juden rechtliche Gleichstellung, was einen Fortschritt im Vergleich zum Mittelalter darstellte. Diese Emanzipation setzte jedoch kulturelle Assimilation voraus. Gleichzeitig wuchs der moderne Antisemitismus, der Juden nicht nur als Religion, sondern als „andere Rasse" betrachtete, was den Weg für den Nationalsozialismus ebnete. Als Antwort auf Assimilationsdruck und Antisemitismus entstand der Zionismus, der das Judentum politisierte und als Nation verstand. Diese Entwicklung beeinflusste auch den Islam, der in der Zwischenkriegszeit mit dem Nationalismus politisiert wurde. Das Verhältnis von Altem und Neuem in der Moderne zeigt sich darin, dass das Neue mit dem Alten verbunden wurde, aber auch das Alte durch das Neue verändert wurde. Das Judentum ist heute untrennbar mit Israel verbunden, obwohl es innerhalb Israels und in der Diaspora weiterhin Widerstand gegen den Zionismus gibt, was auf Konflikte des 19. Jahrhunderts zurückgeht. Vorlesung 11 Zeitalter der Extreme und Gewaltjahrhundert ======================================================== Politik und Gewalt ------------------ **Zeitalter der Extreme** - Eric Hobsbawm (1917-2012) - Systemkonkurrenz zwischen Kommunismus und - Kapitalismus/Faschismus - Gewalt und Kriege bis 1945 - Liberalisierungen/Wohlfahrtstaaten nach 1945 - Ein Zweiter Dreißigjähriger Krieg 1914-1945 - hohe Sterblichkeit und Hungersnöte - Gewalt in Permanenz (auch jenseits der Front) in den Zivilgesellschaften - viele Bürgerkriege - Gewalt wirkt weit in die Wirtschaft, Kultur und Politik der Gesellschaften hinein ![](media/image12.png) **Zeitalter der Gewalt** - Martin van Creveld (geb. 1946) - Kriege und Bürgerkriege im gesamten 20. - Jahrhundert - Schwerpunkte in Europa bis 1945 - Schwerpunkte in Asien und Afrika nach 1945 Erster Weltkrieg ---------------- ### Bruch von 1914 - **Friedenszeit vor 1914:** - Rund 100 Jahre kein großer Krieg, der alle wichtigen Staaten involvierte. - Keine Großmacht bekämpfte eine andere außerhalb ihres Machtbereichs (1815--1914). - **Kriegserfahrungen vor 1914:** - Großmacht-Kriege waren meist kurz. - Längster Konflikt: US-amerikanischer Bürgerkrieg (1861--1865). - Feldzüge gegen schwächere Gegner in Übersee (z. B. USA vs. Mexiko 1846--1848, Briten und Franzosen in Kolonialgebieten). - **Erster Weltkrieg (1914--1918):** - Beteiligung aller Großmächte und fast aller europäischen Staaten. - Zum ersten Mal: Einsatz von Truppen aus Übersee in Europa. - **Merkmale des Krieges:** - Beginn eines Zeitalters des Massakers und Massentodes. - Totaler Krieg mit neuen Dimensionen der Zerstörung. ### Gewaltkultur - Wut, Rache, Ohnmacht, Lust an der Gewalt - Mythos des Überlebenden - Überlebenscode wurde zu einer körperlichen und seelischen Erfahrung - Gewalttat und Erlösungswille wurden gleichgesetzt - Die Haltung des Glaubenwollens wurde durch die Unhintergehbarkeit und den dezisionistischen Charakter der politischen Gewalttat nahezu erzwungen. Nach dem Krieg -------------- - Neuordnung der territorialen Landkarte - Umsiedlungs- und Migrationsströme - Mobilisierung/Demobilisierung nicht nur riesiger Streitkräfte, auch der Wirtschaft und Finanzen sowie ganzer Gesellschaften - Hochzeit von Feindschaft, Nationalismus und Rassismus - Massive Opfer an Menschen und Material - Politische Legitimationskrise, neue politische Partizipation und soziale Spannungen - Bürgerkriege ### Wertewandel Herrschaft: Das Zeitalter der Extreme versus ein Gewaltjahrhundert ------------------------------------------------------------------ **Nicht-trinitarische Kriege:** - Keine klare Unterscheidung zwischen Staat, Volk und Armee - Zivilisten wie Soldaten wurden gleichermaßen zu Kriegsopfern - Endemische Gewalt ### Kongo Gräuel (1888-1908) - etwa 10 Millionen Kongolesen sind den Gewaltexzessen zum Opfer gefalle