Philosophie-Mitschrift (Klassiker) WS 2022/2023 - PDF
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2023
Eugen Schuler
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Diese Mitschrift enthält Notizen von der Vorlesung "Klassiker der Philosophie" im Wintersemester 2022/2023. Die Notizen umfassen Themen der Antike, des Mittelalters und der Neuzeit, und beinhalten Texte von Platon und Aristoteles. Sie dienen als Lernunterstützung für Studenten der Philosophie.
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Klassiker der Philosophie Mitschrift der Vorlesung von Prof. Harald Berger WS 2022/2023 Rev. 1 Eugen Schuler 27.02.2023 Mitschrift Kl...
Klassiker der Philosophie Mitschrift der Vorlesung von Prof. Harald Berger WS 2022/2023 Rev. 1 Eugen Schuler 27.02.2023 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 Inhaltsverzeichnis I. Antike 5 1. Sokrates (469 - 399 v. Chr.) 6 2. Platon (427 - 347 v. Chr.) 7 2.1. Leben.......................................... 7 2.2. Kernthemen....................................... 7 2.2.1. Ideenlehre.................................... 7 2.2.2. Wichtige Gleichnisse Platons.......................... 8 2.3. Werke.......................................... 11 2.3.1. Politeia..................................... 11 2.3.2. Timaios - Über die Natur........................... 15 2.3.3. Symposion - Über das Schöne......................... 16 2.3.4. Alkibiades.................................... 17 2.3.5. Phaidros - Über die Liebe........................... 17 2.4. Nachwirkung...................................... 17 3. Aristoteles (384 - 322 v. Chr.) 18 3.1. Literatur......................................... 18 3.2. Leben.......................................... 19 3.3. Werk........................................... 19 3.3.1. Zur Logik (Organon).............................. 22 3.3.2. Naturphilosophie/Physik............................ 27 3.3.3. Seelenlehre (de anima)............................. 29 3.3.4. Metaphysik................................... 30 3.3.5. Ethik....................................... 31 3.4. Wirkungsgeschichte................................... 32 II. Mittelalter 33 4. Vorbereitung und Vorgeschichte des Hoch- und Spätmittelalters (13. und 14. Jh.) 34 4.1. Augustinus (354-430).................................. 35 4.2. Boethius (480-524(?)).................................. 35 4.3. Petrus Abaelardus (1079-1142)............................. 35 5. Thomas von Aquin OP (1225-1274) 36 5.1. Leben.......................................... 36 5.2. Literatur zu Thomas von Aquin............................ 37 2 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 5.3. Werk........................................... 37 5.3.1. De ente et essentia............................... 37 5.3.2. Summa contra gentiles............................. 40 5.3.3. Summa theologiae............................... 40 5.3.4. Philosophie des Thomas von Aquin...................... 41 5.3.5. Metaphysik................................... 43 5.3.6. Ethik....................................... 44 5.4. Nachwirkung...................................... 45 6. Wilhelm von Ockham OFM (1285-1347) 46 6.1. Leben.......................................... 46 6.2. Literatur zu Wilhelm von Ockham.......................... 46 6.3. Werk........................................... 46 III. Neuzeit 49 7. René Descartes (1696-1650) 51 7.1. Literatur zu René Descartes.............................. 51 7.2. Werke.......................................... 51 7.2.1. Discours de la Methode............................. 52 7.2.2. Meditationes de prima philosophia...................... 52 7.2.3. Les passions de l’âme.............................. 55 8. John Locke (1632-1704) 56 8.1. Werke.......................................... 56 9. George Berkeley (1685-1753) 58 9.1. Leben.......................................... 58 9.2. Werk........................................... 58 9.2.1. An Essay towards a New Theory of Vision.................. 58 9.2.2. A Treatise concerning the Principles of Human Knowledge......... 59 A. Glossar 62 3 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 Änderungsverzeichnis Revision Urheber Datum Änderungen 0 SE 14.02.2023 Erstfassung 1 SE 27.02.2023 Glossar, kleinere Korrekturen + neue Links Vorwort Dieses Skriptum basiert im Wesentlichen auf meiner Mitschrift der Vorlesung „Klas- siker der Philosophie“, gehalten von Prof. Harald Berger im WS 2022/23. Zur Un- terstützung habe ich weitere Quellen verwendet, und zwar Originaltexte bei Platon, Aristoteles und Descartes sowie Zusammenfassungen auf Wikipedia. Meine Motivation war, aus der stichwortartigen Mitschrift ein einigermaßen lesba- res, rundes Ganzes zu machen, nicht nur, um leichter auf die Prüfung lernen zu können, sondern vor allem, um eine gute Grundlage für das Philosophiestudium zu bekommen. Alle enthaltenen Fehler sind selbstverständlich die meinen, die Benutzung als Lern- unterlage für die Prüfung erfolgt daher auf eigene Gefahr. An einigen Stellen weise ich mit [78:50] auf die entsprechende Stelle im Mitschnitt der Vorlesung hin. Solche Mitschnitte liegen erst ab November ’22 vor, die Oktober- vorlesungen wurden leider nicht aufgezeichnet. Einträge im Glossar werden wie folgt gekennzeichnet: ↑lumen naturale, Links auf das Internet sind blau dargestellt, und unverlinkte Verweise sind mit →Pfeil gekenn- zeichnet. Graz, 27.02.2023 4 Teil I. Antike Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 1. Sokrates (469 - 399 v. Chr.) Sokrates hinterlässt uns keine Schriften, vielmehr überliefert sein Schüler Platon seine Philosophie im Rahmen seiner Dialoge. Bekannt ist v.a. seine eigentümliche Methode der Dialogführung, mit der Sokrates seine Gesprächspartner aus ihrer an- fänglichen Gewissheit darüber, wie sich die Dinge verhalten, allmählich zum Zweifel und zum Nachdenken führt. Sog. „sokratische Methode“, die auf Protagoras zurück- geht. 6 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 2. Platon (427 - 347 v. Chr.) 2.1. Leben Lebte in Athen; gründete mit ca. 40 Jahren die Akademie, die bis 529 n. Chr. bestand. Wichtig: Politische Ambitionen, Themen: ideales Staatswesen + Gerech- tigkeit. „Politeia“: Philosophen an der Spitze des Staates. Wichtige Figur bei Platon: Sokrates, hingerichtet 399 v. Chr. Schriftstellerisch tätig erst zwanzig Jahre nach Sokrates’ Tod. 35 Dialoge + 13 Briefe sind erhalten. Dialogform wg. der sokratischen Methode, welche darin besteht, Ge- sprächspartner, die bei einem bestimmten Thema über sicheres Wissen zu verfügen scheinen, durch geschickte Fragen zur Einsicht zu bringen, dass sie offensichtlich doch nichts wissen. Während des Dialogs werden immer wieder Versuche unternommen, Dinge neu zu definieren, und fast ebenso oft werden diese Versuche wieder verworfen. Die Gesprächspartner bleiben oft verunsichert, ja geradezu perplex zurück. Seit der Antike ist die Einteilung in neun Vierergruppen (sog. Tetralogien) üblich. Ungeschriebene Lehre in der Akademie. Verweise auf die Ausgabe des Henricus Ste- phanus von 1578 mittels der sog. Stephanus-Paginierung: Wird heute noch beim Zitieren von Platons Werken verwendet. Klassische deutsche Übersetzung: Friedrich Schleiermacher, Rowohlt 2.2. Kernthemen Frühe Dialoge: Es geht oft um Begriffsdefinitionen, z.B. Schönheit, Frömmigkeit, Tapferkeit. Ebenso um Thesen: z.B. „Tugend kann gelehrt werden.“ oder „Es ist besser, Unrecht zu erleiden als Unrecht zu tun.“ 2.2.1. Ideenlehre Die Ideenlehre des Platonismus besagt: Es existieren abstrakte (nicht-raumzeitlich definierte, nicht kausale, nicht sinnlich erfassbare) Gegenstände. Bsp: Zahlen oder 7 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 Ideen. (→ Wolfgang Stegmüller: „Universalienprobleme einst und jetzt“). Eidos bzw. Idea meint im griechischen die äußere Gestalt eines Gegenstandes. Im philosophischen Sinne: Eidos/Idea = das innere Wesen. In der Antike besteht das Wesen (die Idee) des Menschen im Denken. Lat. figura oder forma Engl. form für platonische Idee. Über dem Bereich des Veränderlichen, sinnlich Wahrnehmbaren gibt es die unver- änderlichen, unvergänglichen, ewigen, nur mit dem Geist erfassbaren Ideen. Ideen Urbilder Sinnlich Erfassbares Abbild, das an der Idee teilhat Weitere Gegenstände der Wirklichkeit: Seelen (gleich ewig wie die Ideen, aber im Ggs. zu diesen veränderlich). Strittig ist, ob für Platon auch mathematische Dinge (z.B. Zahlen) existieren. Ideen sind das, was definiert wird. (Gegenstände von Wesensdefinitionen) Ideen sind Maßstäbe des Messens, Bewertens und Vergleichens. Z.B. gezeichnete Gerade wird an der Idee der Geraden gemessen. Ideen sind die Bedeutungen genereller Terme (Abstrakta). Singuläre Terme treffen auf genau ein Ding zu, generelle Terme bezeichnen die Ideen. Semanti- sche Funktion. Ideen sind Gegenstände des Wissens, insofern sie sich auf Notwendiges, Ewiges etc. beziehen. episteme = echtes Wissen, bezieht sich auf Ideen, doxa = bezieht sich auf Veränderliches (also auf Dinge), kann stimmen oder auch nicht (doxa = Glauben, Meinen). Lat. scientia vs. opinio. Ideen sind für Platon Bedingung für die Erkenntnis und das Sein. (Erkenntnisprinzip + Seinsprinzip). Idee = also Bedingung, dass ein Gegenstand erkannt werden kann, und Bedingung, dass er existiert. Helena hat an der Idee Mensch und der Idee Schönheit teil. 2.2.2. Wichtige Gleichnisse Platons Sonnengleichnis (→ 6. Buch der Politeia) Liniengleichnis (→ 6. Buch der Politeia) 8 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 Höhlengleichnis (→ 7. Buch der Politeia) Literatur: Platon, Das Höhlengleichnis, Sämtliche Mythen und Gleichnisse, Insel TB 3428. Platons Gleichnisse, Suavis Verlag, Essen (2016) Sonnengleichnis Eine Idee ist unter allen vorrangig: die Idee des Guten. Die Sonne ist ein Abkömmling des Guten, es besteht eine Analogiebeziehung: Die Sonne verhält sich zum Sehen und Gesehenen so, wie im geistigen Bereich das Gute zum Denken. Die Sonne ist Seins- und Erkenntnisprinzip für die Dinge. Ohne Sonne kann ein Ding nicht sein und nicht erkannt werden. Im intelligiblen Bereich ist die Idee des Guten (summum bonum) Seins- und Erkenntnisprinzip. Liniengleichnis Zuordnung von Gegenstandsarten zu diversen Erkenntnisweisen gleicht der Teilung einer Geraden AB in ungleiche Teilstrecken AC und CB. Die Teile sind: Sinnlicher Bereich AC (doxa bzw. Meinung) - geistiger (intelligibler) Bereich CB (noesis bzw. Erkenntnis). Weitere Teilung von AC in AD - DC (Schatten + Spiegelungen vs. sinnlich wahr- nehmbare Dinge) und CE - EB (intuitives + diskursives Erfassen vs. Ideen) 9 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 Veranschaulichung des Liniengleichnisses; Quelle: Wikipedia Höhlengleichnis Veranschaulichung siehe Wikipedia. Sein und Schein (= Schatten = Abbild der echten Dinge) Philosoph sein = Einsicht haben = Verpflichtung, andere zu unterrichten. Probleme der Ideenlehre: Scharfe Trennung zw. Sinnlichem und Geistigem. Idee des dritten Menschen: infiniter Regress. Frage: Gibt es eine Eigenschaft E, die selber E ist? Antwort: ja, z.B. die Eigenschaft, abstrakt zu sein ist selbst abstrakt. Ideen = ewig, unanschaulich, abstrakt. Lehre vom Erkennen als Wiedererkennen bzw. Wiedererinnern aus früheren Leben. Siehe Menon 81d. Die Seele existierte schon vor der Geburt und wird nach dem Tode weiterexistieren. Die eigentliche Seinsweise der Seele ist außerhalb des Körpers, die Existenz im Körper ist eigentlich ein Abstieg (im wertenden Sinne, und damit etwas Unnatürliches). Siehe Gorgias 493a. Körper = Kerker für die Seele. Wirkt im körperfeindlichen Christentum fort. Eigentliche Heimat der Seele = Reich der Ideen. Platon vertritt die Lehre von den angeborenen Ideen = Innatismus. 10 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 2.3. Werke Gute aufbereitete, mit der griechisch-lateinischen Stephanus-Ausgabe verlinkte klas- sische Übersetzungen findet man unter opera-platonis.de. Als Draufgabe sind hier außerdem die Elemente des Euklid sowie weitere nützliche Texte enthalten. 2.3.1. Politeia Gerechtigkeit ist ein wichtiges Thema Platons → Politeia „Über das Gerechte“ Die Politeia besteht aus zehn Büchern. Buch 1 Buch 1 entstand deutlich früher als der Rest. Es geht darin um die Definition der Ge- rechtigkeit. Es werden mehrere Versuche unternommen, Gerechtigkeit zu definieren, die von Sokrates aber stets hinterfragt werden. 1. Versuch: Gerechtigkeit ist, die Wahrheit zu sagen und fremdes Eigentum zu respektieren. Sokrates darauf: Wie kann es gerecht sein, einem Wahnsinnigen die Wahrheit zu sagen und ihm seine Waffen auszuhändigen? 2. Versuch: Gerecht ist, jedem das ihm Zukommende zu geben, d.h. Freunden (bzw. Guten) Gutes und Feinden (bzw. Schlechten) Schlechtes. Sokrates: Man kann sich darüber täuschen, wer gut ist und wer schlecht, wem also Gutes gebührt und wem Schlechtes. 3. Versuch: Gerecht ist der Vorteil des Stärkeren bzw. - noch radikaler - was der Machthaber gerade will. Die Tyrannis als Urform des ungerechten Herrschens be- weist, dass Ungerechtigkeit im Leben höchstes Glück, reichen Gewinn und größte Macht bietet. Sokrates widerlegt dies alles und postuliert seinerseits: Nur die Gerechtigkeit garan- tiert ein gutes und glückliches Leben. Ungerechte sind nur scheinbar glücklich (wenn überhaupt). Nur Tugend kann Tugend hervorbringen. Ungerechtigkeit bringt keine Tugend her- vor. Gerechtigkeit ist ein Gut an sich. Gerechtigkeit werde nur wegen der Folgen ausgeübt (d.h. Lob von den Menschen und den Göttern). 11 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 Buch 2 Wesentlichstes Thema: Gerechtigkeit des Staates. Entstehung von Staaten: Unterste Stufe: Urstaat = „Schweinestaat“ lt. Glaukon; ursprüngliches, einfa- ches Leben. Arbeitsteiligkeit zum gegenseitigen Nutzen, Entstehung der wich- tigsten Berufe und Geldwirtschaft. Nächste Stufe: Üppiger Staat = Kunst und Kultur entfalten sich, aber auch Lu- xus reißt ein. In der Folge Entstehung neuer Berufe, darunter auch der Wächter- stand. Kriegerstaat: Zweck des Krieges = Erweiterung des Territoriums, um die ge- stiegenen Bedürfnisse der Bürger erfüllen. → Klasse der Krieger (Wächter). Philosophenstaat. Buch 3 Sokrates erzählt einen neuen Mythos - eine edle Lüge - nach der alle Menschen Brüder seien, von der Gottheit seien ihren Seelen jedoch verschiedene Metalle bei- gemischt worden. Je nach diesem Metall seien sie für bestimmte Aufgaben im Staat qualifiziert. Damit ergibt sich eine Hierarchie der drei Stände: Nicht-Wächter, d.h. Arbeiter, Handwerker, Bauern (Eisen) Wächter (Silber) Herrscher (=Philosophen) (Gold) Jeder ist in seinen Stand hineingeboren, es gibt keine soziale Mobilität! Buch 4 Es geht um die Gerechtigkeit zwischen den drei Ständen im Staat, letztlich also um Vollkommene Tugenden, die im idealen Staat praktiziert werden sollen: Weisheit (zeichnet die Herrscher aus) Tapferkeit (zeichnet die Wächter aus) Besonnenheit (als Einmütigkeit aller über die hierarchische Struktur, die das Bessere dem Geringwertigeren überordnet) 12 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 Gerechtigkeit (jeder hat das Seine und tut das Seine, also das, was seiner Be- fähigung entspricht; Übergriffe in andere Kompetenzbereiche sind ungerecht.) Drei Teile der Seele: Wie der Staat aus drei Ständen, so besteht auch die Seele aus drei Teilen: Begehrlichkeit bzw. Begehrungsvermögen epithymetikón → = unterste, trieb- hafte Ebene Muthaftigkeit thymoeidés → Tapferkeit; ergreift im Streit zwischen Vernunft und Begehrlichkeit Partei für die Vernunft Vernünftigkeit logistikón → steuert die Weisheit bei, ihr gebührt die Herrschaft Gerechtigkeit des einzelnen Menschen besteht darin, dass in seiner Seele analog zum gerechten Staat jeder Teil nur die ihm von Natur aus zukommenden Aufgaben erfüllt. Buch 5 Wächter und die aus ihrer Mitte hervorgegangenen Herrscher sollen alles gemeinsam haben, Ausbildung für Männer und Frauen soll gleich sein (inkl. Kriegsdienst). Spe- zifisch männliche oder weibliche Tätigkeiten gibt es nicht. Familie soll aufgehoben werden, die Kinder der Wächter und Herrscher dürfen nicht wissen, wer ihre Eltern sind. Kinder sollen gemeinsam erzogen werden. Der Philosophenstaat soll sich letztlich zum Idealstaat entwickeln. Philosoph sein heißt Einsicht in die Ideen haben! Streben die episteme an = Er- kenntnis (Ideen des Guten und der Gerechtigkeit). Die übrigen haben Meinungen (doxa). Werklexikon Platon im Kröner Verlag. Scheinphilosophen = Sophisten. Buch 6 Sonnengleichnis + Liniengleichnis. Weshalb der Philosoph am Geeignetsten für die Regierung ist: Weil ein Philosoph durch seine Studien besonnen, tapfer, gerecht und weise/milde wird. Ziel des philo- sophischen Denkens ist das Wissen um das Gute. Siehe Liniengleichnis. 13 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 Buch 7 Höhlengleichnis. Platon verwendet neben Dialogen gerne Gleichnisse bzw. Geschich- ten. Bildungsweg des Philosophen: Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Harmonik, Dialektik (gemeint ist bei Platon Begriffszergliederung, Definitionslehre). Mit 50 Jahren erst ist ein Mann geeignet, das Licht (=das Gute) zu sehen, und erst dann ist er fähig zu regieren. Aber er muss aus dem Licht zurückkommen in die Höhle und den Leidensgenossen die Erkenntnis bringen. Buch 8+9 Die gerechteste Staatsform ist die Aristokratie, die Herrschaft der Besten, der fä- higsten Bürger. Ungerechte Staatsformen: Timokratie = Herrschaft der Reichen Oligarchie = Herrschaft der Wenigen Demokratie = Herrschaft des Volkes Tyrannis = Gewaltherrschaft, die aus der Demokratie hervorgeht Im Buch 9 wird der Tyrann untersucht, und die sog. eudaimonia (Glückseligkeit): Was ist das gute/glückliche Leben? Warum gibt es schlechte Menschen, die ein gutes Leben führen? Sokrates: In Wirklichkeit sind Tyrannen unglücklich, da sich das Unglück, das sie über andere bringen, in ihrer Seele widerspiegelt und sie ohne wahre Freunde sind. Nur der Liebhaber der Weisheit kann wahres Glück erfahren. Sinnliche Lust ist negativ, da durch Mängel bestimmt. Der Philosoph ist 729x glücklicher als der Tyrann. (587e) Buch 10 Mimesis-Theorie der Dichtung: Dichtung und Malerei stellen die Wirklichkeit vor, d.h. sie ahmen sie nach. Die Dinge der Wirklichkeit sind bereits ein Abklatsch der Ideen, daher sind Dichtung und Malerei die Nachahmung einer Nachahmung. Gerechtigkeit im Diesseits und Jenseits: Geschichte eines Soldaten namens Er, des Sohns des Armenios, der aus dem Jenseits zurückkehrt und über die dortigen Ver- hältnisse berichtet, d.h. von der Belohnung der Guten im Himmel und der Bestrafung der Ungerechten in der Unterwelt. (614a ff.) Ein vernunftgemäßes Leben im Diesseits ist die beste Grundlage für ein gutes Leben im Jenseits. 14 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 Rezeption der Politeia Platons politische Auffassungen finden häufig Ablehnung, z.B. bei Karl Popper „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ Bd. 1. Popper sieht Platons Staatsentwurf als den einer versteinerten, totalitären Gesellschaft. Offene Gesellschaft = offen für Kri- tik und Veränderung. 2.3.2. Timaios - Über die Natur Später Dialog. Siehe opera-platonis.de. Am Anfang Rekapitulation der Politeia - Idealstaat = Atlantis. Ursprung des Universums, Entstehung des Menschen, wird vom Astronomen Timaios vorgetragen. Bericht des Timaios = Mythos und nicht Logos: Es geht um die Welt, nicht um die Ideen. Der Kosmos ist geworden, und fällt daher in den Bereich der bloßen Meinung, der doxa, nicht der episteme. Der Kosmos muss als Gewordener eine Ursache haben (denn „Aus Nichts wird Nichts“): diese ist Gott bzw. der Demiurg (der Weltenbau- meister). Der Demiurg nahm sich das Vollkommene bei der Schöpfung zum Vorbild, erzeugt aus dem Chaos (der Urmaterie) Ordnung. Dem Weltall wurde Geist und Seele vom Demiurgen verliehen, es ist also ein Lebewe- sen mit kugelförmiger Gestalt und kreisförmiger Bewegung. (Kugel = vollkommenste Gestalt). Die Weltseele ist selbstbewegt und das Prinzip aller Bewegung in der Natur; sie ist jenes Prinzip, das die im Kosmos waltende Vernunft mit der Weltmaterie verbin- det. Zeit = das bewegte Abbild der unbewegten Ewigkeit. Die Gestirne haben vom Demiurgen den Auftrag, an der Erzeugung der Zeit mitzuwirken. (38e) Die menschlichen Seelen sind Abkömmlinge aus Resten der Schöpfung der Weltseele. Der Demiurg hat die Absicht, die beste aller Welten zu schaffen. Jedoch gibt es Grenzen für ihn, er ist nicht allmächtig. Der Raum ist ein Mittleres zw. Seiendem und dem Werden. Die vier Elemente bestehen aus Dreiecken, den fünf platonischen Körpern usf. Was wir sinnlich wahrnehmen, hängt von den Elementen ab. Der Mensch besteht analog zur Welt aus einem zerstörbaren Teil und einem uns- terblichen Teil. Der Geist sitzt im Kopf, die Begierde im Bauch. Das Böse erklärt sich aus der mangelhaften Bildung des Geistes. Ziel muss die Herstellung ausgewogener und har- monischer Verhältnisse sein. 15 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 Lehre von der Seelenwanderung (Metempsychose): Fall der Seele aus dem Himmel in die Welt. Siehe auch Phaidros. Der Seelenwagen gerät in Spannung, verliert seine Flügel und stürzt ab. Die nun unbefiederte Seele irrt umher, bis sie etwas Festes findet und einen Körper annimmt. Siehe Montaigne „Der Philosoph muss sterben lernen“ Tod: Trennung von unsterblicher Seele und Leib. Je nach Verdienst wird die Seele in die Unterwelt oder zur überirdischen Insel der Seeligen gesandt. Dann Reinkarnation: je nach Verdiensten verschieden. Ganz Böse bleiben im Tartaros. Die schlimmsten sind die Tyrannen, die besten die Philosophen (Wahrheitssuche + Tugendhaftigkeit). Wiedergeburt auch im Tierkörper möglich. Die Seelenwanderung erfolgt in Zyklen von 10000 Jahren mit 10 Inkarnationen. Danach ist ein Verlassen der Zyklen möglich. Ausnahme: Vorzeitiger Ausstieg nach 3000 Jahren und 3 Philosophenleben hintereinander. → Leibniz: Monadologie §72: Es gibt eine Metamorphose, jedoch keine Metempsy- chose. 2.3.3. Symposion - Über das Schöne Behandelt wie auch Phaidros den „Eros“. Reden sog. Erotikoi logoi. 7 Stück im Symposion. Pausanias: himmlische Liebe (Geistiges) vs. gemeine Liebe (Sex). My- thos von der ursprünglichen Kugelgestalt der Menschen: Eros wird zur Sehnsucht nach der ursprünglichen Vollkommenheit des Menschen. Eros als Gott fördere die antiken Kardinaltugenden, die da sind: Weisheit, Tapferkeit, Besonnenheit, Gerech- tigkeit, siehe 2.3.1. Sokrates (199b) – Liebeslehre der Diotima: Eros sei ein Dämon, kein Gott. Zwischen- wesen zw. Menschen und Götter. Liebe ist ein Streben nach Ewigkeit/Unsterblich- keit: Leibliche oder geistige Kinder (Werke) perpetuieren den Menschen. Hierarchie der Liebe lt. Diotima: Liebe zu einem Menschen Zu vielen Menschen Zu den Seelen Zur Idee der Schönheit 16 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 2.3.4. Alkibiades Lobrede auf Sokrates 2.3.5. Phaidros - Über die Liebe 3 Reden: Rede 1 (Lysias): Freundschaft ist besser als Liebe, sie ist beständig, wäh- rend die Leidenschaften irgendwann erlöschen. Verliebtheit ist, recht betrachtet, eine Krankheit. Rede 2 (Sokrates): Zu behaupten, Freundschaft sei besser als Liebe, ist falsch, weil jene bei klarem Verstand entstehe, diese aber im Rausch. Wahn und Rausch sind nämlich etwas Schönes, Gutes, ein Geschenk der Götter und damit edler als die allzu menschliche Besonnenheit. 2.4. Nachwirkung Nachfolger Platons war sein Neffe Speusipp (nicht Aristoteles). Im Weiteren skepti- sche Phase (mittlerer Platonismus, 1.Jh. Vor Chr.-3.Jh nach Chr.), Neu-Platonismus (Plotin) im 3-4. Jh. nach Chr. Dann erst wieder Renaissance-Platonismus (Marsilio Ficino, Florenz) sowie im 17. Jh. der Cambridge-Platonismus. 17 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 3. Aristoteles (384 - 322 v. Chr.) 3.1. Literatur Einführende Monographien Otfried Höffe in der Reihe „Denker“ bei Beck Christof Rapp in der Reihe „Zur Einführung“ bei Junius (4. Aufl. 2012) Wolfgang Detel bei Reclam Thomas Buchheim bei Alber, 2. Aufl. 2015 Oliver Primavesi u. Christof Rapp in der Reihe „Wissen“ bei Beck 2016. - Umfangreichere Darstellungen Ingemar Düring, 1966, 2005 bei Winter in Heidelberg neu aufgelegt; Hellmut Flashar, München: Beck 2013. Von Flashar herausgegeben ist auch der Band: Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike, Bd. 3: Ältere Akademie. Aristoteles - Peripatos, Basel u. Stuttgart: Schwabe 1983, mit einem Aristoteles-Kapitel von Flashar selbst, s. 175-457. Lesebuch, hg. v. Höffe: Aristoteles. Die Hauptwerke, Tübingen: Franke 2009 Lesebuch zur praktischen Philosophie, hg. v. Christof Rapp: Aristoteles. Glück, Staat und Charakter, München: dtv 2018. Aristoteles-Lexikon, hg. v. Höffe, Stuttgart: Kröner 2009 Aristoteles-Handbuch, hg. v. Christof Rapp u. Klaus Corcilius, Stuttgart u. Weimar: Metzler 2011 Übersetzungen „Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung“, Berlin: Akademie Verlag, in Li- zenz auch bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt. 18 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 „Philosophische Bibliothek“, Meiner, Hamburg. „Universal-Bibliothek“, Reclam, Stuttgart. „rowohlts enzyklopädie“, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg (z. B. Nikomachische Ethik von Ursula Wolf, 2006, 3.Aufl. 2011; Metaphysik von Hermann Bonitz, hg. v. U. Wolf, 6. Aufl. 2010). „Klassiker Auslegen“, Akademie Verlag, Berlin „Studienbibliothek“, Suhrkamp Verlag, Berlin Des weiteren Immanuel Bekker: kritische Ausgabe der Werke Aristoteles’ auf Grie- chisch in Berlin ab 1831 Bekker-Paginierung ist für Aristoteles das, was die Stephanus-Paginierung bei Pla- ton ist. Beispiel: 980a21 = Seite 980, 1. Spalte (a), Zeile 21: 1. Metaphysischer Satz: Alle Menschen streben von Natur aus nach Wissen. 3.2. Leben Aristoteles kam in Stageira/Makedonien zur Welt. A. = der Stageirete. Ausbildung an der Akademie Platons, gehörte zum innersten Kreis (ca. 20). Veröffentlichte Dia- loge, hielt Vorlesungen. Stand kritisch zur platonischen Ideenlehre, die er als „Grillen- gezirpe“ bezeichnete. Verließ nach dem Tod Platons Athen wg. der dort herrschenden antimakedonischen Stimmung. Speusipp wurde Platons Nachfolger. Aristoteles ging nach Assos und Lesbos. 343/342 wurde er von Philipp von Makedonien eingeladen, die Erziehung seines Sohnes Alexanders (des Großen) zu übernehmen. Dies tat er drei Jahre lang. Anschließend war eine Rückkehr nach Athen möglich, er eröffnete dort eine eigene Akademie (das Lykeion). U.a. empirische Forschungen. Nach Ari- stoteles’ Tod wurde die Akademie Peripatos genannt, ihre Mitglieder Peripatetiker. Nach dem Tod Alexanders des Großen (323) erneut antimakedonische Stimmung. Aristoteles zog auf die Insel Euboia, wo er später starb. 3.3. Werk Exoterische Schriften = außerhalb der Schule, also für die Öffentlichkeit bestimmt: praktisch nichts davon erhalten. Esoterische Schriften ≈ Corpus Aristotelicum = für den inneren Schulgebrauch 19 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 bestimmt. Ca. ein Viertel des ursprünglich vorhandenen Schrifttums ist erhalten. Für die Athener war Aristoteles ein Fremder (Metöke) und ein Wissenschaftler von vielen. Erst im 1. Jh. v. Chr. wurden die Schriften von Andronikos von Rhodos in Rom editiert. Am besten ausgearbeitet sind die beiden Analytiken und insbesondere die Nikomachische Ethik. Die übrigen Werke haben hauptsächlich den skizzenhaften Charakter von Vorlesungsnotizen. Wesentliche – neue, von ihm geschaffene – Bereiche seines Schaffens: Syllogistik Topik Zoologie Wissenschaftseinteilung lt. Aristoteles: Theoretische Wissenschaften: Wahrheit und Wissen um ihrer selbst willen: Dreiteilig: Metaphysik + Mathematik + Naturphilosophie Praktische Wissenschaften: Handeln in der veränderlichen Welt: Ethik + Politik + Ökonomik Herstellende Wissenschaften (Poietik=Technik): Dichtung + Medizin + Hand- werke (Tischler, Schuster...) 20 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 Wissenschaften nach Aristoteles; Quelle: Wikipedia Heutige Einteilung der Wissenschaften des Aristoteles: Logik (Organon) Physik Metaphysik Moralphilosophie Kategorien (Cat.) Physik (Phys.) Metaphysik (Met.) 14 Bücher Nikomachische Ethik (EN) De interpretatione (Int.) De caelo (De cael.) Eudemische Ethik (EE) Analytica priora (An. pr.) De anima (An.) Politik (Pol.) Analytica posteriora (An. post.) Topik (Top.) Sophistische Widerlegungen (Soph. el.) Wichtige Schriften: Organon Theoretische Wissenschaft Praktische Wissenschaft Poietische W. Kategorien (Cat.) Metaphysik (Met.) Nikomachische Ethik (EN) Rhetorik (Rhet.) De interpretatione (Int.) Physik (Phys.) Eudemische Ethik (EE) Poetik (Poet.) Analytica priora (An. pr.) De anima (An.) Politik (Pol.) Analytica posteriora (An. post.) Historia animalium (HA) Topik (Top.) De generatione et corruptione (Gen. corr.) Sophistische Widerlegungen (Soph. el.) De generatione animalium (GA) De partibus animalium (PA) Quelle: Wikipedia 21 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 3.3.1. Zur Logik (Organon) Logik ist ein Instrument der Philosophie, bei den Stoikern sogar eine Hauptdisziplin. Sechs Bücher + eine Einführung von Porphyrios, die sog. Isagoge. Categoriae (1. Buch d. Organon) Klassifizierung der Wahrheit Kategorie = Aussageschema in Bezug auf etwas Seiendes. Es geht um die Wahrheit von Sätzen und die Gültigkeit von Schlüssen; Zusammen- setzung (vom Einfachen zum Komplexen): Termini ⊂ Sätze ⊂ Schlüsse. Termini bilden zusammen Sätze, welche wiederum zu Schlüssen zusammengesetzt werden können. Termini sind dabei kleinste semantische (bedeutungstragende) Einheiten, die für den Wahrheitswert eines Satzes relevant sind. Termini bestehen aus noch kleineren Einheiten, z.B. Silben bzw. Buchstaben → interessieren nicht den Logiker, sondern lediglich die Linguisten. Die Kategorienschrift befasst sich mit einfachen, unverbundenen Ausdrücken, wie z.B. Mensch, Pferd usf., wie sie in Lexika zu finden sind. Es ist seit der Antike umstritten, ob die Kategorienschrift eine Klassifikation von sprachlichen Ausdrücken (Prädikaten) ist, oder ob es eine Klassifikation der außer- sprachlichen Wirklichkeit ist. Am plausibelsten ist eine Interpretation des Sowohl – Als-Auch. Die griechische Sprache stellt für die Griechen ein Abbild der Wirklichkeit dar, im Ggs. zu den Sprachen der Fremden = Barbaren = Stammler. Daher ist die Annahme der Categoriae als Klassifikation der Wirklichkeit plausibel. Unterscheidungen, die Aristoteles einführte: Abhängige vs. unabhängige Gegenstände Einzeln vs. Allgemein Erste Grundrelation: In- bzw. An-Etwas-Sein oder Nicht-An-Etwas-Sein Ding = Entität = Seiendes. Der Begriff Ding ist sehr weit gefasst: Zahlen, Steine, Mengen... 22 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 Akzidentien = Dinge, die in bzw. an anderen Dingen bestehen, also von diesen abhängen – abhängige Beifügung. Beispiel: Die Weiße der Wand ist von der Wand abhängig. Die Weiße würde es nicht geben, wenn es die Wand nicht gäbe. Substanzen = unabhängig bestehende Dinge; die Paradigmata von Substan- zen sind Einzeldinge: dieses Pferd, jenes Rind... Es gibt jedoch zwei Substanzen - siehe 3.3.4. Zweite Grundrelation: Das Ausgesagt-Werden Ausgesagt werden kann nur etwas Allgemeines. Beispiel: Harald Berger ist ein Mensch. Das Prädikat Mensch ist hier etwas Allge- meines, ein Prädikat ist immer etwas Allgemeines – ein genereller Term –, im Ggs. zum Subjekt eines Satzes, das etwas Einzelnes – ein singulärer Term – sein kann. Generelle Terme sind bei A. Art- und Gattungsterme. Beispiele für Artterme: Mensch, Pferd, Rind; Beispiele für Gattungsterme: Säugetier, Lebewesen. Das Universalienproblem: Existiert das Allgemeine unabhängig von Sprache und Denken oder nicht? Bei Aristoteles sind die konkreten, individuellen Dinge das Primäre (die ersten Sub- stanzen), die grundlegenden Elemente der Wirklichkeit, ganz im Ggs. zu Platon, für den die abstrakt-allgemeinen Ideen die Grundlage der Wirklichkeit sind. Das Allgemeine gibt es lt. Aristoteles nur, wenn es das Einzelne gibt. Zitat: „Wenn somit die ersten Substanzen nicht sind, so ist es unmöglich, dass sonst etwas ist.“ (Cat. Kap. 5). Unter sonst etwas sind das Unselbständige (die Akzidentien) sowie das Allgemeine (die Arten und Gattungen = die zweiten Substanzen) zu verstehen. Definitionen von Substanz: 1. Substanz ist das, was per se (d.h. unabhängig) existieren kann. 2. Substanz ist letztes Subjekt der Prädikation. D.h., Substanz ist das, wovon alles andere ausgesagt wird. 3. Substanz als beharrendes, identisches Subjekt ist für Konträres empfänglich, d.h. sie ist Subjekt von Veränderungen (Wechsel von Akzidentien). Mit anderen Worten: Bei einer Veränderung bleibt die Substanz gleich, die Eigenschaften der Substanz – ihre Akzidentien – hingegen ändern sich. Ein und derselbe Stein wird z.B. warm oder kalt. 23 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 Die zehn Kategorien Siehe Anfang Kap. 4 der Kategorienschrift bzw. Wikipedia; Zitat: „Jedes ohne Ver- bindung gesprochene Wort bezeichnet entweder eine Substanz oder eine Quantität oder eine Qualität oder eine Relation oder ein Wo oder ein Wann oder eine Lage oder ein Haben oder ein Wirken oder ein Leiden.“ Kant äußert sich abfällig darüber, die Liste sei zusammengewürfelt (rhapsodisch). Nr. Kategorie Frage Beispiel 1. Ding, Substanz Was ist etwas? der Mensch, das Pferd 2. Quantität, Größe Wie viel/groß ist etwas? das Zweiellige, das Dreiellige 3. Qualität, Beschaffenheit Wie beschaffen ist etwas? weiß, sprachgelehrt 4. Relativum, Bezogenes Worauf bezieht sich etwas? doppelt, halb, größer 5. Wo, Ort Wo ist etwas? auf dem Marktplatz, im Lykeion 6. Wann, Zeit Wann ist etwas? gestern, voriges Jahr 7. Lage, Zustand In welcher Position ist etwas? liegt, sitzt 8. Haben Was hat etwas? Schuhe anhaben, bewaffnet sein 9. Tun, Wirken Was tut etwas? schneidet, brennt 10. Erleiden Was erleidet etwas? wird geschnitten, wird gebrannt Die ersten vier Kategorien werden in den Kapiteln 5-8 der Cat. näher erläutert, die restlichen – offenbar weniger wichtigen – werden in Kap. 9 kurz erwähnt. Eine Substanz + neun Akzidens-Kategorien! Begriffe werden von Porphyrios (4.Jh.) in der Isagoge behandelt: ↑porphyrischer Baum. Siehe Petrus Hispanus „Summulae logicales“. Die zehn Kategorien sind un- tereinander ausschließend (Mathematik: orthogonal). Das bedingt lt. A., dass es darüber keine noch allgemeinere (Über-)Kategorie (z.B. des Seins) gibt. Das Seien- de ist keine eigene Kategorie, es wird auf vielfache Weise ausgesagt. → Dissertation von Franz Brentano „Von der mannigfachen Bedeutung des Seienden“, Ontos Verlag. Die Kategorien klassifizieren die unverbundenen Ausdrücke (Mensch, Pferd, Rind), die nun zu komplexeren Ausdrücken verbunden werden können. Wichtig sind in der Logik die Behauptungssätze, die ein Prädikat von einem Subjekt bejahen oder verneinen und somit wahr oder falsch sind. Aristoteles’ Wahrheitsbegriff Aristoteles vertritt die Korrespondenztheorie der Wahrheit. Siehe Met. Buch 4 Kap. 7 1011b26ff: „Zu sagen nämlich, das Seiende sei nicht und das Nichtseiende sei, ist falsch, dagegen zu sagen, das Seiende sei und das Nichtseiende sei nicht, ist wahr.“ Wahr ist ein Satz dann, wenn er mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Der Satz „Schnee ist weiß“ ist wahr genau dann, wenn Schnee weiß ist. (Tarski). 24 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 Zur Satzlehre des A. siehe „De interpretatione“, insbesondere Kap. 9: Tertium non datur = Bivalenzprinzip: Ein Satz ist wahr oder falsch, es gibt daneben nichts sonst. Dies gilt in der Gegenwart und der Vergangenheit. Wie ist es aber in der Zukunft? Es kann nicht heute schon heißen: Morgen gibt es eine Seeschlacht. - dann wäre die Zukunft determiniert. futura contingentia. (kontingent = nicht notwendig). Schlusslehre: letzter Teil des Organon. Analytica priora Die ersten Analytiken - 3. Buch des Organon - enthalten die Syllogistik. Syllogismus: 2 Prämissen, 1 Konklusion Barbara (besonderer Syllogismus): Urteil, das aus zwei affirmativen Allsätzen einen affirmativen Allsatz folgert. Beispiel: Alle Menschen sind sterblich. Alle Griechen sind Menschen. Alle Griechen sind sterblich. Analytica posteriora Zweite Analytiken - 4. Buch des Organon: Beweis und Wissenschaftstheorie; Beweise müssen aus Prinzipien erfolgen, die ihrer- seits nicht immer begründet werden können, widrigenfalls → regressus ad infinitum. Die Sophisten sagten: Nichts kann bewiesen werden und nichts kann definiert wer- den, beides führt in den infiniten Regress. Aristoteles meint hingegen, man könne a) aus der Erfahrung mittels Induktion zu allgemeinen Prinzipien gelangen, oder aber man könne b) mittels Verstand bzw. Vernunft (gr. nous, lat. intellectus) Einsichten gewinnen. Letztere sind sog. evidente Prinzipien: diese sind keines Beweises bedürftig noch fähig, will heißen, sie können nicht bewiesen werden. Beispiele für evidente Prinzipien: 1. Prinzip vom ausgeschlossenen Widerspruch. 2. Das Ganze ist größer als jeder der Teile. (Scholastik) Aristoteles sagt, Begründungen können letztlich auf evidente Prinzipien zurückge- führt werden, es endet die Beweisführung hier. 25 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 Wissenschaft im strengen Sinne ist lt. A. eine spezielle Art von Syllogismus, näm- lich ein solcher, bei dem aus notwendigen Prämissen eine notwendige Konklusion abgeleitet wird und die Ableitung aus Ursachen erfolgt. (Ursache = 2. Prämisse). Wissenschaft muss nicht nur angeben können, dass etwas der Fall ist, sondern auch, warum etwas der Fall ist. Beispiel: Mondfinsternis. Wissenschaft lt. A. ist ein ideales Modell, das am ehesten von der Mathematik erfüllt wird. → Elemente des Euklid ca. 325 v. Chr., kann A. nicht gekannt haben, hatte aber ähnliche Vorbildung. Topica Topik - 5. Buch des Organon: materiale Folgerungen (im Ggs. zu den formalen Folgerungen der zwei Analytiken). Materiale Folgerungen hängen nicht nur von der Form, sondern auch der Materie ab. In der Topik geht es um Plausibilitätsargumente - nicht notwendige Argumente, sondern wahrscheinliche Argumente. Zitat aus Kapitel 1: „Wahrscheinliche Sätze sind diejenigen, die allen oder den meis- ten oder den Weisen wahr scheinen, und auch von den Weisen wieder entweder allen oder den meisten oder den Bekanntesten und Angesehensten.“ Beispiel für eine materiale Folgerung: Ein Mensch läuft, also läuft auch ein Lebewe- sen. (Die Umkehrung gilt nicht, da ja nicht jedes Lebewesen laufen kann.) De sophisticis elenchis Sophistische Widerlegungen - 6. Buch des Organon. 13 Arten von Fehlschlüssen in zwei Hauptgruppen (sprachabhängige und sprachunabhängige) werden aufgezeigt. Beispiel: Alles, was Beine hat, kann laufen. Ein Tisch hat Beine. Also kann ein Tisch laufen. → ungültiges Argument (Fehlschluss der Äquivokation). Auch der Begriff der petitio principii geht auf A. zurück. Das zu Beweisende wird in den Prämissen vorausgesetzt = Erschleichung des Beweisgrunds. Beispiel: Die Offenbarung stammt von Gott. In der Offenbarung steht, dass Gott existiert. Also existiert Gott. 26 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 3.3.2. Naturphilosophie/Physik Naturphilosophie/Physik → siehe Wikipedia. In acht Bücher eingeteilt, inhaltlich hauptsächlich Grundbegriffe und Grundprinzipien der Naturerklärung. Grundbegriffe: Bewegung (kinesis): Zenon von Elea und Parmenides leugnen die Bewegung bzw. Veränderung → Wett- lauf des Achilles mit der Schildkröte. Bewegung ist für A. der evidente Ausgangspunkt der Naturforschung. Die Evidenz ergibt sich durch die Sinne. Die adäquate Erklärung der Bewegung/Veränderung ist Aristoteles’ Ziel. Die Natur (gr. physis) ist nicht Gesamtheit der natürlichen Dinge, sondern ein immanentes Prinzip, das den natürlichen Dingen innewohnt und deren Bewegung oder Ruhe erklärt. Zitat: „Natur ist ein Prinzip und ein Grund für Bewegung und Ruhe.“ bzw. „Natura est principium et causa motus et quietis in quo est primo per se et non per accidens.“ (192b20-23) Kriterium zur Unterscheidung Naturding – Artefakt: Nur die Naturdinge haben ein solches immanentes Prinzip, nicht jedoch Artefakte. Beispiel: Ein Stein fällt nach unten. Dass eine steinerne Statue nach unten fällt, liegt nicht an der Statue selbst, sondern daran, dass sie aus Stein ist. Es ist nicht ein immanentes Bewegungsprinzip der Statue, sondern des Steins. Begriff der Ursache: Wissenschaftliche Erklärung ist immer eine Erklärung auf der Basis von Ursachen. Ursache ist alles, was eine akzeptable Antwort auf eine Warum-Frage ergibt. Vier-Ursachen-Schema: 1. causa materialis (woraus etwas ist: die Statue ist aus Marmor) 2. causa formalis (was etwas dem Wesen nach ist = Form/Modell eines Dings, z.B. äußere Gestalt einer Statue) 3. causa efficiens (am ehesten das moderne Kausalitätsprinzip, bei einer Statue der Bildhauer, der Schütze bei einem Pfeilschuss usf.) 27 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 4. causa finalis (Zweckursache: Ziel, weswegen etwas ist. Warum geht er spazieren? Damit er gesund bleibe! Buch 2, Kap. 3 - 194b32) Von der Bewegung/Veränderung gibt es ebenfalls vier Arten: eine substantielle Veränderung = Beginn und Ende, Geburt und Tod; drei akzidentielle Veränderungen: Quantität (Wachsen, Schrumpfen) Qualität (Farbwechsel) Ortsveränderung Begriffliche Analyse der Veränderung: Drei Prinzipien: hypokeimenon (Zugrundeliegendes, lat. substratum) Haben einer Form (Wand: Weiß-Sein = Akzidens) Nicht-Haben einer Form (gr. steresis, lat. privatio, Beraubung) Beispiel: Ich streiche morgen eine weiße Wand grün. Für heute gilt: Wand = Sub- stratum, weiß = haben der Form, grün = Nicht-Haben der Form (privatio) Anmerkungen: 1. Eine Erklärung muss lt. Phys. Kap. 2.3 notwendigerweise alle vier Ursachen einer Sache nennen. 2. Die Nennung aller vier Ursachen ist hinreichend für die Erklärung einer Sache. Weitere Begriffe aus der Physik, die hier nicht behandelt werden können: Zufall Unendlichkeit - Endlichkeit Raum/Leeres Zeit Kontinuum/Kontinuität Buch 8: Der erste unbewegte Beweger = Ursache aller Bewegung im Kosmos. 28 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 3.3.3. Seelenlehre (de anima) Die Seelenlehre gehört für A. zur Naturlehre/Physik. Siehe Wikipedia. Die Seele ist Ursache und Prinzip des lebendigen Körpers. Die Seele ist unser Lebens- bzw. Seinsprinzip, sie ist die Grundlage für unser Leben, Wahrnehmen, Denken etc. Es gibt drei Vermögen der Seele: 1. Ernährungsvermögen - anima vegetativa - haben auch Pflanzen 2. Wahrnehmung - anima sensitiva - haben auch Tiere 3. Denkvermögen - anima intellectiva - hat nur der Mensch Wahrnehmung = Aufnahme der Form ohne Materie, d.i. ein kausaler Vorgang. Ver- anschaulichung: Einprägung der Form wie Wachs die Form des Siegels aufnimmt. Die Dinge der Außenwelt (Tische, Steine, Häuser) wirken kausal auf die Wahrneh- mungssubjekte über die Medien (Luft, Auge,...) ein. Die Seele ist ursprünglich die unbeschriebene Wachstafel (tabula rasa). Vgl. John Locke: white sheet of paper. Die Seele ist lt. A. ursprünglich leer, es gibt für sie zwei Quellen der Wahrnehmung, aus denen sie befüllt wird: innere (Introspektion) und äußere (Hören, Sehen). Platon nahm noch angeborene Ideen an (Innatismus). Begriffspaar von allgemeiner Bedeutung: gr. dynamis vs. energeia lat. potentia vs. actus dt. Vermögen/Anlage vs. Vollzug/Wirklichkeit In psychologischer Hinsicht meint das, dass die Seele der Anlage nach (potentia) die Erkenntnisgegenstände in sich haben muss, damit sie sie erkennen kann. Mit anderen Worten: Die Anlage zur Farbwahrnehmung muss vorhanden sein, damit Farbwahrnehmung wirklich werden kann. Die Seele ist kein eigenständiges Wesen, das unabhängig vom Körper existiert, son- dern dessen Form. Erst die Einheit von Materie (potentia) und Form (actus) ergibt einen lebenden Menschen. Daher ist die Seele vom Körper nicht trennbar. Bei der Trennung gehen der Körper und die Seele zugrunde. Nur der höchste Seelenteil ist abtrennbar, und damit unsterblich. Allerdings geht bei der Abtrennung die Erinne- rung verloren. 29 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 Auslegung des Averroe: Monopsychismus = es gibt nur eine Seele für alle Menschen. (Averroismus). Die christlichen Aristoteliker (Albertus Magnus et. al.) lehnten diese Interpretation ab. 3.3.4. Metaphysik Nach A. ist die Metaphysik die erste Philosophie; sie ist erst nach dem Erlangen von physischem Wissen erreichbar. Es geht um das Seiende als Seiendes (ens qua ens). Eigenschaften des Seienden (Selbstidentität, Widerspruchsfreiheit usf.). Moderne Sicht: Ontologie bzw. Theo- logie. Literaturhinweise: Wilhelm Weischedel: „Die philosophische Hintertreppe + „Der Gott der Philosophen“ Das Seiende ist keine Gattung (Kategorie). Und auch keine Überkategorie, die über den 10 Kategorien Aristoteles’ steht. Mensch = vernunftbegabtes Lebewesen. Lebe- wesen = allgemein, vernunftbegabt = artbildender Unterschied. → Disseration von Franz Brentano: „Von der mannigfachen Bedeutung des Seins bei Aristoteles.“ Alle Bedeutungen des „Seins“ sind auf eine gemeinsame Kernbedeutung bezogen. pros hen nach A. (= auf eines ausgerichtet). Der Apfel ist gesund. Er hat eine gesunde Gesichtsfarbe. Die Medizin ist gesund. Bewegung ist gesund. → ist alles auf Gesundheit in der Kernbedeutung der „Ausgewogenheit der Körpersäfte“ bezogen. Alle Verwendungsweisen von Sein sind auf eines hinbezogen, nämlich die Substanz (ousía). Es gibt zwei Substanzen: 1. Substanzen (Individuen) 2. Substanzen (Arten und Gattungen der Individuen) Substanz: 1. Materie 2. Form Hyle/morphe → Metaphysik des Aristoteles bzw. ↑Hylemorphismus 3. das Zusammengesetzte aus Materie + Form Form hat den höchsten Anspruch auf den Titel der ousía (Substanz): Ergebnis der Untersuchungen A.s, was die Substanz betrifft. Begriff der Entelechie: Eigenschaft von etwas, sein Ziel (telos) in sich selbst zu haben. Ein „ jedes Lebewesen trägt Ziel und Zweck in sich selber und entfaltet sich dieser 30 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 seiner inneren Zielstrebigkeit gemäß.“ → Dadurch erreicht es Eudämonie. In der Metaphysik ist das Wesen/die Wesensform des Sokrates das, was ihn zu Sokrates macht, nicht Materie u/o Form. Form verleiht der Materie das Sein. Die Caesarstatue ist in potentia in der ungeformten Bronze vorhanden, erst nachdem der Künstler jener Form verliehen hat, wird daraus die Statue. Materie ist die Potenz, die Form verleiht der Materie Sein. 3.3.5. Ethik Wichtigstes Buch: Nikomachische Ethik Tätiges Leben in der Polis ist Gegenstand der Ethik. Ziel aller menschlichen Tätig- keit: das Gute. = Bewegung auf ein Ziel hin. Das oberste Gute (das Beste) = das, was um seiner selbst willen angestrebt wird (und nicht bloß als Mittel). Glückseligkeit nimmt drei Formen an: 1. Genussleben 2. das praktische Leben 3. das theoretische Leben Das Gute ist eine Tätigkeit, die ihren Zweck in sich enthält. Tugend = Vorzüglich- keit/Vortrefflichkeit (arete) Tugend = zentraler Begriff bei A., er vertritt eine Tugendethik. Unterscheide: Charaktertugenden (z.B. Tapferkeit) vs. Verstandestugenden (z.B. Weisheit). Tugenden sind feste Haltungen, diese müssen wir erwerben (durch Übung, Vorbilder, Lehrer...), sie sind nicht angeboren. Fest heißt: nicht mehr leicht verlier- bar. Verstandestugend: theoretische (Weisheit) vs. praktische Tugend (Umsicht). Willensschwäche: im Buch 7 der nikomachischen Ethik Bücher 8+9: Freundschaft Lust 10,1-5 Glückliches Leben = Leben gemäß den praktischen Tugenden. Theoretische Tugen- den stehen zwar höher, sind dem Menschen aber dauerhaft nicht möglich. Wenn die 31 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 Menschen den höchsten Seelenteil betätigen, sind wir (kleine) Götter. Die theoreti- sche Tätigkeit bringt die höchste Lust. Theorie + Praxis spielen im menschlichen Leben zusammen. 3.4. Wirkungsgeschichte Ab der Scholastik und der zweiten Scholastik (Jesuiten) rückte A. wieder ins Zen- trum der Aufmerksamkeit. 32 Teil II. Mittelalter Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 4. Vorbereitung und Vorgeschichte des Hoch- und Spätmittelalters (13. und 14. Jh.) Übersetzungswelle v. Aristoteles im frühen Mittelalter; Zentren: Neapel + Toledo. Entwicklungsschub für die Wissenschaft im Mittelalter. Entstehung der Universitäten um 1200, Teilweise aus Domschulen entstanden. Frühe Universitäten: Bologna (1088) Oxford (1096) Paris (1150) Prag (1348) = älteste Universität deutscher Sprache Wien (1365) Heidelberg (1386) Literatur u.v.a.: Literatur zum Mittelalter; Quelle: Prof. Berger 34 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 4.1. Augustinus (354-430) Heiliger und Kirchenlehrer. Wichtige Werke: Confessiones Reflexionen über die Zeit: Wenn mich je- mand fragt, was ist die Zeit, weiß ich’s nicht, wenn mich niemand fragt, weiß ich’s. Unde malum? Woher kommt das Böse? tolle lege - Nimm und lies! (Erwe- ckung in Mailand) De trinitate (399-419, 15 Bücher) Analogon im menschlichen Geist ist die Triade Gedächtnis - Einsicht - Wille De civitate dei (413-427, 22 Bücher) Apologie der Christen, nimmt sie vor Vom Gottesstaat dem Vorwurf, sie seien am Fall Roms schuld, in Schutz. Petrarca: 1335 Besteigung eines Bergs mit Exemplar der Confessiones in der Tasche; 1335 = Beginn der Neuzeit 4.2. Boethius (480-524(?)) Übersetzer griechischer Literatur ins Lateinische. Kreierung einer lateinischen Fachterminologie der Philosophie. Werk: Consolatio philosophiae (Trost der Philosophie) 5 Bücher Prosa + Lyrik. 4.3. Petrus Abaelardus (1079-1142) Latinisiert von Pierre Abaillard. Theologe und Philosoph, Vertreter der Frühscho- lastik. Vertrat den Vorrang der Vernunft nicht nur in der Philosophie, sondern auch in Glaubensfragen. Gegenspieler von Bernhard von Clairevaux. Lesenswert: Briefwechsel mit Heloisa. 35 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 5. Thomas von Aquin OP (1225-1274) OP = ordo praedicatorum, d.h. er gehörte zum Predigerorden der Dominikaner. 5.1. Leben Thomas stammt aus dem neapolitanischen Hochadel; als Kind kam er schon ins Be- nediktinerkloster Montecassino, gegründet 529, dem Jahr der Schließung der Aka- demie Platos in Athen. Wichtige Stationen seines Lebens: - Studium an der kaiserlichen Universität in Neapel, Schwerpunkt: Aristoteles - 1244 Eintritt in den Dominikanerorden (=Bettelorden) gegen den Widerstand der Familie - Studium in Paris und dann bei Albertus Magnus in Köln; mit Albertus Magnus Paradigmenwechsel vom Platonismus zum Aristotelismus. - Entsendung vom Orden als Lehrer nach Paris; dann wieder Lehrtätigkeit in Italien. - Zweite Entsendung durch die Dominikaner nach Paris, was eine hohe Ehre darstellte. - 1272 sollte T. die Ordensschule in Neapel übernehmen. - Tod 7.3.1274 auf der Reise zum Konzil von Lyon. - 1278 Erhebung zum offiziellen Lehrer des Dominikanerordens. - 1323 Heiligsprechung, Aufhebung aller Verurteilungen. - 1567 Erhebung zum Kirchenlehrer. Strömungen des Spätmittelalters: Thomismus (wichtig auch für die Jesuiten) 36 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 Nominalismus (William von Ockham) Scotismus (Duns Scotus, Franziskaner) 5.2. Literatur zu Thomas von Aquin - Schönberger, Rolf: „Thomas von Aquin zur Einführung“, Junius Verlag (2012) - Forschner, Maximilian: „Thomas von Aquin“, Beck’sche Reihe denker, C.H. Beck (2006) - Leppin, Volker: Zugänge zum Denken des Mittelalters Band 5 „Thomas von Aquin“, Aschendorff Verlag (2017) - Chenu, Marie-Dominique: „Thomas von Aquin“, Rowohlt Verlag (1960) 5.3. Werk Großes Œuvre trotz kurzen Lebens: Kommentare zu den Aristotelischen Schriften und zu den Sentenzen des Petrus Lombardus (gest. 1160) Quaestiones disputatae (deutsch bei Meiner in Hamburg unter der Leitung von Rolf Schönberger) Opuscula, am berühmtesten „De ente et essentia“ Summa contra gentiles (Summe gegen die Heiden, dazu eine Monographie von Rolf Schönberger, Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2001) Summa theologiae, unvollendet, dreiteilig, Teil II wiederum zweigeteilt. Da- zu z.B. eine Einführung von David Berger, Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2004. 5.3.1. De ente et essentia Schwer zu lesendes Werk in sechs Kapiteln, entstanden noch vor der Magister- Promotion. Hauptquellen von Th.: Aristoteles + Avicenna (Ibn Sina). Analyse der ontologischen Begriffe Seiendes (ens) und Wesen (essentia) in ihrem Verhältnis zu den ontologischen Begriffen Substanz und Akzidens. 37 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 1. Kapitel Substanz & Akzidens ⇐⇒ Seiendes & Wesen; Wesensdefinition durch die logischen Begriffe Gattung, Art + Differenz wie bei Ari- stoteles. Bsp.: Definition der Art: Mensch durch die Gattung: Lebewesen + artbildender Un- terschied/differentia specifica: vernunftbegabt. Der Begriff des Seienden ist zweifach zu verstehen: 1. Seiendes im Sinne der Kategorien (d.h. Substanz oder Akzidens) 2. Seiendes im Sinne des Wahren (≈ Sachverhalt bei Wittgenstein), d.h. alles, was als wahr oder falsch beurteilt werden kann. Seiendes im Sinne des Wahren ist sehr weit gefasst, enthält mehr oder weniger al- les, was bejaht werden kann, also auch Aussagen wie: „Die Blindheit ist im Auge“. (Blindheit = Abwesenheit der Sehkraft = Abwesenheit des Akzidens Sehkraft = Privation); Privationen wie Blindheit haben kein Wesen im eigentlichen Sinne. Wei- tere Beispiele: „Schatten = Abwesenheit von Licht“, „Schlechtes = Abwesenheit des Guten“. 1 Im weiteren Seiendes im Sinne der Kategorien, das schon bei Aristoteles das grund- legende Seiende ist. Blindheit fällt damit nicht in eine der zehn Kategorien. 2. Kapitel Das Wesen zusammengesetzter Substanzen wird erörtert, es umfasst Stoff (Materie) und Form, z.B. Körper und Seele; Seele = Form des Körpers. Siehe ↑Hylemorphismus = endliche Substanzen bestehen aus zwei Prinzipien, nämlich Materie (griech. hyle) und Form (griech. morphe) materia signata = Individuationsprinzip: all das, was Sokrates zu Sokrates macht; d.i. der dreidimensionale, räumlich lokalisierte Körper; diese konkrete Materie, die materia signata, gehört nicht zum Wesen des Menschen. Jedoch gehört die materia nonsignata (die nicht genau bezeichnete Materie, die Materie überhaupt) zum Wesen des Menschen. 3. Kapitel Das Wesen im Verhältnis zu den log. Begriffen Gattung, Art und Differenz wird behandelt. Das sind drei der fünf ↑Prädikabilien aus der Isagoge des Porphyr. 1 vgl. Franz Brentanos Dissertation „Über die mannigfache Bedeutung des Seienden“ 38 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 4. Kapitel Es gibt einfache und zusammengesetzte Substanzen. Das Wesen der abgetrennten Substanzen wird behandelt, das sind solche, die keine Materie haben: 1. menschliche Seele (anima) 2. Geistwesen (intelligentia) z.B. Engel 3. Gott (causa prima). Hier gibt es keine Arten, jedes Wesen – z.B. jeder Engel – ist (s)eine eigene Art. Nachdem diese Wesen keine Materie haben, können sie nicht individuiert werden. Um die Kontingenz bzw. kausale Abhängigkeit dieser einfachen Substanzen erklären zu können, werden sie als zusammengesetzt gedeutet, und zwar aus Wesen und Sein (nicht Materie und Form!). Wenn sie nicht zusammengesetzt wären, wären sie einfach und damit notwendig und damit wie Gott. Alles was von Gott verschieden ist, muss zusammengesetzt und kontingent sein. Die Aristotelische Verbindung Materie – Form mit den Begriffen Möglichkeit (po- tentia) – Wirklichkeit (actus) – siehe 3.3.3 – wird bei Th. auf anderer Ebene iteriert, und zwar durch islamischen Einfluss über Avicenna. Allein Gott ist die reine Wirk- lichkeit (actus purus) - und keine Möglichkeit. 5. Kapitel Zusammenfassung: Wesen findet sich auf drei Weisen in Substanzen: [Prüfungsstoff] 1. nur bei Gott sind Wesen und Sein identisch → Existenz gehört zum Wesen, damit wird die Existenz notwendig. 2. bei den Geistsubstanzen (Engeln) sind Wesen und Sein nicht identisch; Materie gehört nicht zum Wesen eines Engels, seine Existenz ist kontingent. 3. Materielle Substanzen (z.B. Menschen) - Materie muss angenommen werden, gehört zum Wesen. Nur Gott ist notwendig, alle restlichen Wesen sind kontingent. 6. Kapitel Akzidentien: Sowohl Sein als auch Wesen von Akzidentien sind von einer Substanz abhängig. Akzidentien sind ohne Bezug auf eine Substanz gar nicht definierbar. 39 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 Beziehung zw. Akzidens und Substanz ist naturgesetzlich (aber nicht begrifflich) notwendig. Gott kann daher eingreifen und durch ein Wunder ein Akzidens im Sein erhalten, ohne dass es eine entsprechende Substanz gibt. 5.3.2. Summa contra gentiles (Summa = Handbuch): Beginn 1257 in Paris, 1265 abgeschlossen; im Wesen eine Apologie des Christentums gegen pagane Philosophie. 1. Buch: Gotteslehre - Seinsweise Gottes (Gott existiert notwendig), Eigenschaf- ten: die Vollkommenheiten (Güte, Macht, Weisheit) 2. Buch: Gottes Wirken nach außen: Schöpfungslehre 3. Buch: Eschatologie – Lehre von den letzten Dingen, die da sind: a) Gott als Ziel aller Dinge (auch des Menschen) b) der Weg zum Ziel (Lehre von der Vorsehung Gottes) c) Wirkung der Vorsehung bei jenen Wesen, die über freien Willen verfügen. 4. Buch: Lehren, die nicht aus Vernunft ableitbar sind, sondern nur aus der (gött- lichen) Offenbarung bekannt werden: u.a. Dreifaltigkeit Gottes. 5.3.3. Summa theologiae Beginn ca. 1265, nicht abgeschlossen; während einer Messe 1273 kam er zu der Einsicht: „Ich kann nicht mehr, denn alles, was ich geschrieben habe, scheint mir wie Stroh zu sein im Vergleich mit dem, was ich gesehen habe und was mir offenbart worden ist.“ Einteilung der summa theologiae: [Prüfungsfrage] Quaestiones Artikel Quaestiones (Aufbau: Eingangselemente (i.d.R. drei) + ein Gegenargument, dann Antwort des Ver- fassers) Gerichtet an Anfänger des Theologiestudiums; Gliederung in drei Teile, der zweite Teil ist zweigeteilt (prima secundae, secunda secundae). Für uns Menschen ist die Notwendigkeit der Existenz Gottes nicht evident, also 40 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 muss sie bewiesen werden, bzw. muss für seine Existenz argumentiert werden. Den apriorischen Gottesbeweis des Anselm v. Canterbury lehnt Th. ab. Er spricht von fünf Wegen des Nachweises von Gott auf Grund von Erfahrung (em- pirisch): 1. Es gibt Bewegung. Also muss es einen ersten, unbewegten Beweger geben: Gott 2. Es gibt Wirkursachen. Also muss es eine erste Wirkursache geben. Sonst infi- niter Regress der Ursachen. 3. Es gibt Kontingentes. Also muss es etwas Notwendiges geben, sonst gäbe es kein Kontingentes. (1-3 inspiriert von Aristoteles) 4. Es gibt Grade von Vollkommenheit. Es muss daher ein im höchsten Grade Vollkommenes geben, das den Maßstab für alles darunter gibt. (inspiriert von Platon) 5. Es gibt unvernünftige Dinge (z.B. Steine), die aber doch so sich verhalten, als ob sie eine gewisse Vernunft hätten. Diese leiht ihnen Gott. (inspiriert von d. Stoa) Kritik: Wenn diese fünf Wege stimmen, ist es wirklich der christliche Gott, der da bewiesen wird? Aufbau der Summa theologiae: 1. Teil behandelt Gott 2. Teil 1. Teil des 2. Teils: behandelt den Menschen 2. Teil des 2. Teils: Tugendlehre/Ethik 3. Teil behandelt die Christologie, insbes. die Heilsvermittlung durch die Sakramente (Sakrament = durch Gott eingesetztes sichtbares Zeichen, das unsichtbare Gnade bewirkt) 5.3.4. Philosophie des Thomas von Aquin Th. versteht sich als Theologe, hat aber jedenfalls einen Platz unter den Klassikern der Philosophie. Glaube vs. Wissen: Jede Wissenschaft bezieht ihr Wissen aus 1. der übernatürlichen Offenbarung 41 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 2. der natürlichen Vernunft 3. oder aus beiden Wissenschaften folglich dreifach: religiöser Glaube, weltliche Wissenschaft, Wissen- schaft vom Glauben (=Theologie). 1. Religiöser Glaube ist der Vernunft nicht zugänglich, Glaubenswahrheiten dürfen nicht wider vernünftig sein, sind aber oft über vernünftig, wie beispielsweise die Lehre von der Dreifaltigkeit, der Menschwerdung Christi, die Sakramentenlehre, Lehre v. der Auferstehung; Lehre von der Belohnung/Bestrafung im Jenseits. Beim Glauben führt der Wille den Menschen zum Glauben (ohne zwingende Gründe), Zustimmung ist beim Glauben frei (nur beim Wissen notwendig). Derselbe Mensch kann eine Wahrheit nicht zugleich wissen und glauben. 2. Natürliche (weltliche) Wissenschaft (aristotelisch geprägt) nimmt ihre Beweise aus der menschlichen Vernunft (↑lumen naturale vs. lumen divinum). Gegen- stand ist nicht das Einzelne, sondern das Allgemeine. Das Allgemeine hat das Fundament in den einzelnen Dingen (humanitas vs. homo). Aufgabe der welt- lichen Wissenschaft ist es, die Ordnung der Welt zu erfassen: Seinsordnung, Erkenntnisordnung, sittliche Ordnung. a) Seinsordnung: Die Ordnung der bestehenden Dinge findet der Verstand vor, der Mensch erforscht sie (Scholastiker sind Realisten). Dreifache Wissenschaft: i. Physik : Gegenstand ist das bewegliche bzw. veränderliche Ding über- haupt (ens mobile) ii. Mathematik : abstrahiert von der Materie, betrachtet nur die Quantität (ens quantum - das ausgedehnte Seiende, insofern es eine Größe hat) iii. Metaphysik : abstrahiert von der Materie überhaupt, betrachtet nur mehr das Seiende als Seiendes. Metaphysik ist die erste Philosophie, sie behandelt die grundsätzlichsten Fragen, die Frage nach den letzten Gründen und den ersten Ursachen. (Für Thomas: Gott) Ontologie (untersucht das Seiende im Allgemeinen) Theologie (untersucht das höchste Seiende) b) Erkenntnisordnung - bringt der Verstand hervor, und zwar in Abhängig- keit von der Seinsordnung: Wahrheit liegt in der Übereinstimmung der Seinsordnung und Erkenntnisordnung. (Korrespondenztheorie der Wahr- 42 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 heit: veritas est adaequatio rei et intellectus. → Summa theologiae, I. Teil, 16. Frage). c) Sittliche Ordnung: prägt das Sittengesetz unseren Willensakten auf. 3. Theologie: Schöpft aus der Erfahrung und der Offenbarung. Existenz Gottes etc. kann die natürliche Vernunft erfassen, das sind keine eigentlichen Glaubensarti- kel, aber Voraussetzungen des Glaubens. Gott ist der Urheber der Offenbarung und der natürlichen Vernunft, daher kann kein Ggs. zw. natürlicher Vernunft und Glauben sein (das wurde 1277 von der Kirche verurteilt). Die Philosophie ist lt. Th. der Theologie untergeordnet. Die Theologie ist aber auf die Philosophie angewiesen, welche die Voraussetzungen eines vernünfti- gen Glaubens begründet. Die Philosophie bringt Analogien bei, sodass man die offenbarten Wahrheiten besser verstehen kann. Die Philosophie versucht au- ßerdem, jene Probleme zu lösen, die dem Glauben entgegenstehen. Philosophie ermöglicht uns, von offenbarten Wahrheiten auf neue Wahrheiten fortzuschrei- ten. Somit wäre Theologie ohne Philosophie unmöglich. Theologie ist Synthese aus Glauben und Wissen. 5.3.5. Metaphysik Hauptlehren: Analogielehre - Analogie des Seins/Seienden univok – analog – äquivok. Bsp.: Prädikat „weise“ gehört nicht zum Wesen des Menschen (wenn es so wäre, müssten alle Menschen weise sein). Sehr wohl aber zum Wesen von Gott. Man kann also nicht in univokem Sinn von weise sprechen hinsichtlich Gott und Menschen, und auch nicht in äquivokem Sinn, sondern irgendwie dazwischen - also analog! Ähnlich: Sein Gottes - Sein des Menschen. Gott ist das Sein, der Mensch besitzt bzw. hat das (von Gott verliehene) Sein. Gott existiert notwendig, die Menschen kontingent. Gott kann nicht nicht existieren. Analogie besteht insofern, als Gott sich zu seinem Sein so verhält wie der Mensch zu seinem Sein. Es finden sich bei Th. die wesentlichen Grundbegriffe der Aristotelischen Metaphysik: Materie - Form Möglichkeit - Wirklichkeit Substanz - Akzidens Unterschied: Sein eines Dings wegen der Form bei Aristoteles, bei Thomas Sein gemäß der Form. 43 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 Schöpfung: Als Philosoph müsse man deren Ewigkeit annehmen, als Christ Schöp- fungsgeschichte (creatio ex nihilo). Das kann nur Gott. Die Seele wird von Th. (wie von Aristoteles) als tabula rasa betrachtet, die die Außenwelt braucht, um mit Inhalt gefüllt zu werden. Die Bilder der Einzeldinge sind Bedingung für abstraktes Denken. Die Sinne richten sich auf Einzelnes, der Verstand auf Allgemeines. Monopsychismus = es gibt einen allen Menschen übergeordneten, überindividuellen Verstand (→ Averroes (1126-1198), bedeutender Kommentator des Aristoteles). Th. v. Aquin wendet sich dagegen, das wäre eine Leugnung der Menschennatur, des freien Willens, der Unsterblichkeit. 5.3.6. Ethik Seine Ethik gilt vielen als größte Leistung des Th. v. A. Der menschliche Wille ist von Natur aus zum Guten hingewandt. Das höchste Gut (summum bonum) ist für die Christen Gott. Glückseligkeit (eudaimonia) ist lt. Th. die Schau Gottes im Jenseits. Th. = Intel- lektualist, nicht Voluntarist (wie Augustinus). Im Erdenleben ist überhaupt kein vollkommenes Glück möglich (im Ggs. zu Ari- stoteles), erst im Jenseits. Vollkommen handelt ein Mensch, wenn er Gutes um des Guten willen tut und Schlechtes um des Schlechten willen meidet. Streben nach Lob oder Furcht vor Strafe ist keine Grundlage für gutes Handeln. Damit eine sittliche Handlung gut ist, ist es nicht hinreichend, dass die Handlung für sich gut ist, es müssen auch der Zweck und die Umstände gut sein. Somit gibt es drei Elemente der Moralität: Entsprechung der Menschennatur [14:00 ff] Zweck Umstände (quis, quid, ubi, cur, quomodo, quando) Tugend ist eine gute Gewohnheit (habitus bonus), sie darf sich nicht in einer einzel- nen Tat erschöpfen, sondern muss sich häufig wiederholt bewähren. Th. unterscheidet wie Aristoteles Verstandestugenden und praktische Tugenden. Th.s Kommentar zu Aristoteles ist besonders bedeutend. Das Gesetz (lex ) besteht in der Hinordnung der Vernunft zum Gemeinwohl, befohlen vom Lenker der Ge- meinschaft und ausreichend begründet. Jedes Gesetz hat seine Grundlage in der lex aeterna, dem göttlichen Gesetz. Dieses ist die göttliche Weisheit und Vernunft 44 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 selbst. Gott hat dem Menschen das natürliche Gesetz eingepflanzt, aus dem sich die Sittengrundsätze für jeden ergeben. Sie sind unmittelbar einsichtig. 5.4. Nachwirkung Jesuitenscholastik im 16. Jh. Neuthomismus im 19. Jh. 45 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 6. Wilhelm von Ockham OFM (1285-1347) OFM = ordo fratrum minorum = Franziskaner 6.1. Leben Drei Phasen der Biographie: 1. bis 1324 in England 2. 1324 - 1328 an der päpstlichen Kurie in Avignon; Armutsstreit mit Papst Jo- hannes XXII. 3. 1328 - 1347 Exil in Italien, dann bei Ludwig dem Bayern in München 6.2. Literatur zu Wilhelm von Ockham Literatur zu Wilhelm von Ockham; Quelle: Prof. Berger 6.3. Werk Akademische vs. politisch/polemische Schriften Hauptprinzipien der Philosophie Ockhams (vornehmlich nach Philotheus Boehner) 1. Omnipotenz-Prinzip: Die Allmacht Gottes ist nur durch das Widerspruchsprin- zip (und damit gar nicht) begrenzt. Vgl. z.B. Hubert Schröcker Das Verhältnis 46 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 der Allmacht Gottes zum Kontradiktionsprinzip nach W. v. O. Berlin, Aka- demieverlag 2003. Gott hält sich freiwillig an die Naturgesetze, kann sie aber nach Belieben verletzen (→ Wunder!) potentia absoluta vs. potentia ordinata. 2. Prinzip der Unmittelbarkeit: Gott ist die erste Ursache, er kann Zweitursachen jederzeit ersetzen. 3. Prinzip der Selbständigkeit: Es gibt singuläre Substanzen (vgl. Nominalismus) mit singulären Qualitäten (res absolutae – die Dinge stehen für sich alleine). 4. Ökonomie-Prinzip: „Ockhams Rasiermesser“ (frustra fit per plura quod fieri po- test per pauciora.) 5. Prinzip der Kontingenz: Gott ist notwendig, die Schöpfung ist nicht notwendig, also kontingent. Spätmittelalterlicher Nominalismus Aufkommend in England und Paris (Johannes Buridan, vgl. „Buridans Esel“, Albert von Sachsen = Gründungsrektor der Universität Wien) Buridans Esel - Willensfreiheit: Esel steht mitten zwischen zwei Heuhaufen und kann sich nicht entscheiden, von welchem er fressen soll. Er verhungert. Bestimmungsmerkmale des spätmittelalterlichen Nominalismus 1. Ablehnung von abstrakten Entitäten (Arten und Gattungen der Aristotelischen Kategorien) 2. Reduktion der Kategorien auf 2 oder 3 (Buridan), nämlich Substanz und Qua- lität. 3. Ablehnung einer realen Prädikation zw. außersprachlichen Entitäten. Diese ist nur in der Sprache möglich. abstrakt = was weder räumlich noch zeitlich lokalisiert ist, nicht kausal wirkt. konkret = räumlich u/o zeitlich lokalisiert, kausal wirkend, (psychische Zustände sind konkret, da zwar nicht räumlich, aber doch zeitlich lokalisiert) Beispiel: „Tapferkeit ist eine Tugend.“ Halten wir für wahr. Was müssen wir annehmen, damit wir den Satz für wahr halten? Zwei Abstrakta kommen vor, Satz ist wahr, wenn diese existieren. Aber reformuliert: „Alle tapferen Menschen sind tugendhafte Menschen.“ → Keine Abstrakta mehr! 47 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 Drei Sprachebenen: geschrieben, gesprochen, gedacht/mental (=oratio mentalis). Gedachte Sprache ist eine Neuerung Ockhams. Elemente der mentalen Sprache sind Begriffe (soz. Vokabeln der mentalen Sprache). Mentale Sätze bestehen aus Begrif- fen, die Zeichencharakter haben. Mentale Sprache ist nicht konventional, gesprochene + geschriebene Sprache schon. Was z.B. der gesprochene oder geschriebene Ausdruck Mensch bedeutet, ist durch Konvention festgelegt. Der Begriff Mensch ist sprachunabhängig gleich - egal ob La- tein, Englisch oder Deutsch gesprochen wird. (vgl. Aristoteles „De interpretatione“ - die Eindrücke in der Seele sind bei allen gleich.) Intension = Inhalt, Extension = Umfang eines Begriffs (z.B. die Menge der einzelnen Menschen ergibt die Bedeutung des Wortes Mensch). Zentrale Grundbegriffe der Logik Ockhams: Significatio (Bedeutung) - haben auch Terme, die nicht im Satzkontext stehen, also auch ein isoliertes Wort. Die Bedeutung des Terms „Mensch“ ist sein Um- fang (Extensionale Semantik), nicht sein Inhalt (seine Intension). Der Umfang (die Extension) eines Wortes ist die Menge der Individuen. (bei „Mensch“ also alle Menschen). X ist ein Mensch ist wahr, wenn X zur Menge der Menschen gehört. Suppositio: Die Art und Weise, wie ein Term für etwas stehen bzw. etwas be- zeichnen kann. Suppositio kann ein Ausdruck/Wort nur haben, wenn er Signi- ficatio hat. D.h. nur dann, wenn er Bestandteil von Sätzen ist. Ein Term kann in verschiedenen Satzkontexten Verschiedenes bedeuten. Supposition in Satzkontexten: suppositio personalis: „Ein Mensch läuft“ suppositio materialis: „Mensch ist ein Wort“ (das Wort steht für sich selbst, also das gedruckte oder gesprochene Wort) suppositio simplex : „Mensch ist eine Art“ (das Wort steht für den allgemeinen Begriff, der aus den einzelnen Wahrnehmungen abstrahiert ist) Vgl. dazu die moderne Sprechweise Gebrauch (engl. use) vs. Erwähnung (engl. men- tion). 48 Teil III. Neuzeit Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 Mittelalter = 500 n.Chr. - 1500 n.Chr. Epochenwechsel sind jedoch eher Prozesse als fixe Daten. Signaldaten: 1453 Fall von Konstantinopel 1492 Entdeckung Amerikas 1517 Reformation Frühe Neuzeit = 16. Jh. - 17 Jh. 50 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 7. René Descartes (1696-1650) Mit Descartes beginnt die philosophische Moderne: das Subjekt tritt in den Mittel- punkt, die Erkenntnistheorie ist die primäre Disziplin. Descartes wurde von Jesuiten erzogen (Jesuiten = 2. Scholastiker); er schimpft gerne gegen die Schulmänner (=Jesuiten). Dennoch findet sich bei ihm einiges an scholas- tischem Gedankengut. 7.1. Literatur zu René Descartes Literatur zu René Descartes; Quelle: Prof. Berger 7.2. Werke Beiträge Descartes zu vielen Wissenschaften, insbes. der Mathematik (kartesisches Koordinatensystem). Veröffentlicht auf Französisch für die breitere Öffentlichkeit und auf Latein für das Fachpublikum. Gehört mit Leibniz zum Rationalismus (vs. Locke + Hume = Empirismus). Räumt dem Denken eindeutig den Vorrang in der Erkenntnis ein. Wichtige Werke: Discours de la Méthode (1637) Meditationes de prima philosophia (1641) Principia philosophiae (1644) Les passions del l’âme (1649) 51 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 7.2.1. Discours de la Methode Besteht aus sechs Teilen. Vier Hauptregeln der Methode (im 2. Teil) für einen systematischen Neuanfang der Wissenschaften: 1. Regel: Nichts ist als wahr anzunehmen, was nicht evident ist. (Descartes = Evidenzphilosoph). Was nicht evident ist, kann wahr aber auch falsch sein. Was evident ist, ist gesichert. Kein Zweifel möglich. clare et distincte = klar und deutlich. Was der Geist klar und deutlich erfasst, ist evident. 2. Regel: Jedes Problem ist in soviele Teile (bzw. Teilprobleme) zu zerlegen wie nötig. 3. Regel: Beginne mit dem einfachsten (Teil) und schreite zu komplexeren Pro- blemen fort. 4. Regel: Prüfe die Elemente daraufhin, ob sie eine vollständige Ordnung bilden, z.B. durch Aufstellungen + Listen. Vier Regeln der provisorischen Moral1 für das praktische Handeln (im 3. Teil): 1. Man soll sich an Gesetze und Sitten seiner Umgebung anpassen. (Orientierung an den Besonnensten → erinnert an die antiken Skeptiker, oder auch an Mon- taigne) 2. Man soll an einmal gefassten Beschlüssen (auch ohne Evidenz) festhalten. (Ein Verirrter im Walde soll nicht sinnlos hin und herlaufen, sondern eine Richtung wählen und an dieser festhalten. → Otto Neurath: Die Verirrten des Cartesius 3. Sei stets bemüht, dich selbst zu besiegen als das Schicksal. Nichts steht (mehr) in unserer Macht als unsere Gedanken. Nur dort sollen wir unsere Kräfte ver- wenden, wo wir etwas bewirken können. 4. Jeder soll eine Musterung der verschiedenen menschlichen Tätigkeiten vorneh- men und das für ihn Passende wählen. 7.2.2. Meditationes de prima philosophia Hauptwerk von Descartes. Knappe sechs Meditationen, die aber zusammen mit den Einwänden (von Zeitgenossen) und Erwiderungen (von Descartes) ein stattliches 1 provisorisch, weil wir i.a. solange ohne vollständige Einsicht in die Folgen unseres Tuns handeln müssen, bis wir diese Einsicht erlangt haben. 52 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 Werk ergeben. Eine gute Zusammenfassung findet sich unter DAJOLENS und auf Wikipedia. Einmal im Leben (semel in vita) muss man seine Grundüberzeugungen kritisch überprüfen. Zweck der Meditionen: Neuaufbau des Überzeugungssystems auf sicherer Grundlage. 1. Meditation: Zweifel - woran man zweifeln kann. Das ist beizubehalten, was evi- dent ist, alles andere ist auszuscheiden. Die Quellen unserer Glaubenshaltungen, nämlich a.) Sinnlichkeit und b.) Verstand, sind zu prüfen, da wir ja nicht jede einzelne Überzeugung prüfen können. Die Sinne sind nicht vertrauenswürdig (Sinnestäuschungen wie z.B. das scheinbar geknickte Ruder im Wasser, Wahn, Traum). Die Sinne können täuschen, vielleicht entspricht den Sinneswahrneh- mungen nie etwas. Der Verstand ist in der Regel verlässlicher. Bsp: Mathematik. Aber wir können uns auch dort täuschen bzw. uns täuschen lassen von einem genius malignus. Insofern ist auch der Verstand keine verlässliche Quelle. Somit gibt es keine Sicherheit, weder aus dem Verstand noch aus den Sinnen. 2. Meditation: Es gibt etwas, was unmöglich falsch sein kann, was also evident ist: Nicht einmal der genius malignus kann mich darin täuschen, dass ich existiere. Cogito ergo sum. Um etwas zu glauben, muss man existieren. Je pense donc je suis = archimedischer Punkt im Denken von Descartes. Ich = res cogitans (cogitans = notwendiges Attribut der Substanz, Attribut nicht abtrennbar). Die fluktuierenden Zustände des Denkens nennt Descartes modi. Ein Geist exis- tiert, solange er etwas denkt. Es gibt keine Unterbrechung des Denkens, selbst im Schlaf oder bei Bewusstlosigkeit nicht. Zunächst dürfen wir noch nicht davon ausgehen, dass alles, was evident (klar + deutlich) ist, auch wahr ist. 3. Meditation: Etwas was vollkommen ist - ein gütiger Gott - würde die Hypo- these des genius malignus ausräumen. Mit dem Nachweis des Gottes wäre ein zweites gesichert: Gott. Descartes bietet zwei a posteriorische Gottesbeweise an: In meinem Ich findet sich die (empirische) Gottesidee. Ich als Träger der Gottesidee bin ein empiri- sches Faktum. Descartes zeigt, dass diese Gottesidee nur von Gott herrühren kann. Ich als endliches Wesen kann nicht selbst auf die Idee eines unendlichen Gottes kom- men. Sie kann nur von Gott selbst kommen. Aus dem Vorhandensein der Idee soll die Existenz ihres Gegenstandes folgen. Gott ist nunmehr der Garant da- für, dass das, was evident ist, auch wahr ist. Das Argument hat ein Problem: Cartesischer Zirkel. → siehe oben. 53 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 4. Meditation: Wenn Gott notwendig gut ist und unmöglich ein Betrüger sein kann, und alles, was von ihm kommt eo ipso gut ist, wie kommt es dann zu einem Irrtum? „Epistemische“ Theodizee (Begriff von Leibniz). Wie kann man Fehler/Irrtümer angesichts der Güte Gottes rechtfertigen? Lösung von Descar- tes: Nur Urteile sind wahr oder falsch. Deshalb ist Irrtum nur bei Urteilen möglich. Bei Urteilen wirken Verstand und Wille zusammen, der Verstand ist dabei endlich, der Wille unendlich. Insofern der Wille über den engen Bereich des Evidenten hinausgeht, kann er irren. Dies liegt im Verantwortungsbereich des Menschen (in der Willensfreiheit). Der Wille ist unendlich, weil er sich sogar auf Unmögliches beziehen kann – ich kann mir z.B. zum Geburtstag ein rundes Viereck wünschen... 5. Meditation: Ontologischer Gottesbeweis = begrifflicher Gottesbeweis: Aus der Idee eines vollkommenen Gottes folgt unmittelbar seine Existenz (Existenz not- wendig für vollkommenes Wesen). 6. Meditation: Cartesischer Dualismus: Körper und Geist sind unabhängig von- einander. Ich kann vom Ich das Denken nicht trennen (res cogitans). Es kann gedacht werden, dass ich den Körper (res extensa) getrennt vom Geist sehe. Also ist es logisch möglich, dass der Geist ohne Körper existiert. Was denkt, ist nicht ausgedehnt, und was ausgedehnt ist, denkt nicht. Es besteht eine enge funktionale bzw. kausale Verbindung zw. Geist und Körper. Mein Geist verhält sich zu meinem Körper nicht, wie ein Kapitän zu seinem Schiff. (Die Verbin- dung ist enger: Bsp: Ich empfinde Schmerz → Kapitän fühlt keinen Schmerz, wenn es dem Schiff schlecht geht.) Ein natürlicher Glaube wird von allen gleich wahrgenommen (z.B. alle sehen einen blauen Gegenstand). Dieser stammt von Gott – und Gott betrügt uns nicht! Der Glaube an eine Außenwelt ist wahr, allerdings nicht im Sinne eines naiven Realismus. Descartes vertritt einen kritischen Realismus: dieser bejaht die Kausalität Au- ßenwelt - Wahrnehmung, lehnt jedoch eine Ähnlichkeitsbeziehung zw. Wahr- nehmung und Welt ab. Primäre vs. sekundäre Qualitäten: Letztere kommen in uns vor (Farben, Ge- schmäcker etc.). Sichere Unterscheidung Wachzustand - Traum: Kohärenzkri- terium! Was sich gemäß Regeln in den Bewusstseinsstrom einfügt, gehört zum Wachzustand. Was Sprunghaft ist und/oder sich wie eine Insel in den Strom einfügt, gehört zum Traum (Halluzination, Wahn). 54 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 7.2.3. Les passions de l’âme Wie Seele und Körper aufeinander einwirken → Artikel 34 der letzten Publikation „Les passions de l’âme“. Dort kommt auch die Zirbeldrüse als Sitz der Seele vor, ebenso die Wechselwirkung Körper - Geist. Gott hat Kausalkräfte (als einziges We- sen). Gott bewirkt auf meinen Willensbeschluss hin das Heben meines Armes. Der Willensentschluss ist für Gott die Gelegenheit (frz. occasion), das Heben des Armes zu verursachen. (Okkasionalismus; Vertreter: Nicolas Malebranche, siehe Wikipe- dia). Alternative Lösung des influxus-physicus-Problems: Prästabilierte Harmonie von Leibniz. Descartes: Tiere sind Maschinen, weil sie keine Seele haben. 55 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 8. John Locke (1632-1704) 8.1. Werke Hauptwerk: „Essay concerning human understanding“ (1690) Besteht aus vier Büchern: 1. Buch: Innatismus = es gibt angeborene Ideen: gibt es nicht lt. Locke; sensua- listische Aussage: Nihil est in intellectu quod non (prius) fuerit in sensibus. 2. Buch: Positive Ideen Lockes. Idee = Objekt/Gegenstand des Denkens; Locke ist Vertreter der tabula-rasa-Theorie des Geistes. Der Geist beginnt als unbe- schriebenes Blatt. Quelle der Ideen = Erfahrung. Erfahrung besteht aus sensation = äußere Erfahrung durch die Sinne + refle- xion = innere Erfahrung. Es gibt einfache und komplexe Ideen. Einfache Idee: Lässt sich nicht weiter zerlegen (z.B. Weichheit eines Stückes Wachs). Komplexe Ideen sind aus einfachen Ideen zusammengesetzt und in diese zer- legbar bzw. daraus definierbar. Außending mit Eigenschaften (Schneeball = rund, kalt + weiß) vs. Innending (Bewusstseinsinhalt = Idee vom Schneeball). Der Schneeball hat die Disposi- tion, die Kaltidee und Weißidee hervorzurufen (sekundäre Qualitäten). Er ist rund (=primäre Qualität = Festigkeit, Ausdehnung, Gestalt, Bewegung od. Ruhe, Anzahl). Sekundäre Qualitäten sind nur Kräfte, solche und solche Ideen in Wesen her- vorzurufen (Töne, Farben, Geschmäcker, etc.). Von der Substanz kann man nicht mehr sagen, als dass sie Träger von Eigenschaften sind. Substanz sei un- bekannt und unbestimmt und gar nicht wahrnehmbar, weder durch die äußere noch innere Wahrnehmung. (Locke’sche Substanzskepsis). Siehe Kap. 23 von 56 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 Buch 2. 3. Buch: Von der Sprache 4. Buch: Vom Wissen Übersicht über die Darstellung der Ideen; Quelle: Wikipedia 57 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 9. George Berkeley (1685-1753) 9.1. Leben Geboren 1685 in Kilkenny 1700 Studium am Trinity College in Dublin 1707-1713 Lehrtätigkeit am Trinity College in Dublin 1710 Bischofsweihe 1713 - 1720 Div. Reisen durch Europa 1720 Lehrtätigkeit am Trinity College 1734 Ernennung zum Bischof von Cloyne 9.2. Werk Wichtige Werke sind: Notiz- und Tagebücher, entstanden 1707/1708, veröffentlicht 1871 An Essay towards a New Theory of Vision (1709, 1733 erweitert) A Treatise concerning the Principles of Human Knowledge (1710) 9.2.1. An Essay towards a New Theory of Vision Theorie des Sehens: Unmittelbare Daten des Gesichtssinns sind zweidimensionale Gebilde, die durch Licht, Farbe, Schatten bestimmt sind. Die Entfernung sieht man nicht, das ist eher eine komplizierte Kooperationsleistung aus Erfahrung, insbes. des Tast- und Bewegungssinns mit dem Gesichtssinn. Verläuft automatisiert, sodass es uns nicht mehr bewusst ist. Eine Uhr an der Wand erscheint als farbige, ovale Fläche. Theorie Berkeleys, dass die Sinnesdaten gewissermaßen eine natürliche Sprache sind, mit der Gott zu uns spricht. 58 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 9.2.2. A Treatise concerning the Principles of Human Knowledge Einführung in die Prinzipien Die Einführung in die Prinzipien ist in 25 §§ gegliedert. Die Wirklichkeit ist rein geistig, es gibt keine Materie. Sog. Immaterialismus (wür- den wir heute eher als Idealismus bezeichnen) - dessen Gegner vertreten den Mate- rialismus (heute würde man sagen: Realismus = Annahme einer geistunabhängigen, körperlichen Außenwelt). Annahme einer festen, ausgedehnten, beweglichen, nicht denkenden, außerhalb und unabhängig vom Geist existierenden Materie ist eine verfehlte, irregeleitete Abstrak- tion. Man soll nicht trennen, was nicht getrennt existieren kann (Bsp.: Man kann sich keine Gestalt ohne Farbe vorstellen, eine Gestalt ist notwendigerweise farbig). Oder wenn man aus Einzeldingen Allgemeines abstrahiert. Bsp.: (§13) Ein abstrakt-allgemeines Dreieck, das weder gleichschenklig noch un- gleichschenklig ist, ist inakzeptabel, da widersprüchlich. Ein realer Gegenstand muss eine Eigenschaft haben oder nicht haben, er muss vollständig bestimmt und wider- spruchsfrei sein. Es gibt keine abstrakt-allgemeinen Gegenstände, sondern nur partikuläre Gegen- stände und es gibt keine abstrakt-allgemeinen Ideen, sondern nur partikuläre Ideen. Diese können als Stellvertreter für beliebig viele andere Gegenstände dienen. D.h. Berkeley ist ein Nominalist. Einwand: Eine solch allgemeine Verwendung setzt aber schon den Besitz eines allgemeinen Begriffs voraus, das hat Berkeley übersehen = generelles Problem des Nominalismus. Die Bedeutung allgemeiner Wörter sind nicht abstrakt-allgemeine Ideen, sondern wiederum partikuläre Ideen zusammen mit einer Vorstellungs- bzw. Assoziierungs- tendenz. Nicht immer besteht die Funktion von Sprache darin, Gegenstände zu benennen. Die Bedeutung von Sprache besteht in ihrem Gebrauch. (vgl. Wittgenstein, Philo- sophische Untersuchungen). Prinzipien Die eigentlichen Prinzipien sind in 156 §§ gegliedert. 59 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 §1 - §33 Darstellung der Lehre des Immaterialismus §34 - §84 Einwände + Beantwortung (13 - 16 Einwände) §85 - §134 Konsequenzen der Lehre des Immaterialismus in Bezug auf die Ideen §135 - §156: Konsequenzen der Lehre des Immaterialismus in Bezug auf die Geister Definition der Idee als Gegenstand des Denkens (angelehnt an Locke). Arten der Ideen: (wie Locke) Sensationsideen (Daten der äußeren Sinne, wie z.B. rund, hart, süß) Reflexionsideen (z.B. die Idee des Denkens) = innerer Sinn, Schauen in sich selbst (Introspektion) Ideen des Gedächtnisses (ich kann Erinnerungen hervorrufen und gewinne da- durch ebenfalls Ideen) Ideen der Einbildung (Phantasien) §1: Sinnendinge (sensible objects) wie Berge, Äpfel, Bücher sind Ansammlungen von Ideen in mir. Z.B. Buch = Ideen von rechteckig, rot, dünn, leicht, hart = sensible objects = Ansammlung bzw. Bündel von Ideen im Geist. §2: Einführung der Gegenstandsarten: Ideen sind abhängige Entitäten. Idee als Be- wusstseinsinhalt kann ohne Bewusstsein nicht existieren. esse est percipi. Selbständige Entitäten: Geist, Seele, Selbst. Sind alles Synonyme. Ideen sind passiv, Geister sind aktiv und haben Willen. Sein der Geister: esse est percipere et agere. Geister sind tätige Substanzen (wahrnehmen + wollen). Ich kann keine eigentliche Idee von meinem eigenen Geist haben, und auch keine Idee von Gott, sondern nur Begriffe (notions). §4: Begründung der Ideenbündel: P1: Häuser, Bücher, Steine sind von uns wahrgenommene Dinge. P2: Wir nehmen nur Ideen oder Empfindungen wahr. ————————————————————————————— C: Also sind Häuser, Bücher, Steine Ideen bzw. Bündel von Ideen. Es wäre ein Widerspruch, anzunehmen, dass derlei Ideen unwahrgenommen existier- ten. Ideen können nur existieren, wenn sie wahrgenommen werden. Argument nicht gültig: Fehler der Äquivokation! Wahrnehmen in P1 und P2 in verschiedener Bedeutung verwendet. Es gibt lt. B. keine unbewussten Bewusstseins- inhalte! 60 Mitschrift Klassiker der Philosophie WS 2022/23 Ideen können nur mit Ideen verglichen werden, aber nicht mit Nicht-Ideen. Z.B. kann man die Idee des Schneeballs nicht mit dem Schneeball selbst vergleichen. Primäre und sekundäre Qualitäten sind relativ, also abhängig. Primäre können wir uns nicht ohne sekundäre Qualitäten vorstellen (z.B. Farbe und Form). Die sekun- dären Qualitäten sind geistabhängig, also müssen auch die primären Qualitäten geistabhängig sein. (da sie ja nicht getrennt existieren können). Daher sind primäre Qualitäten allein Undinge. Ob (geistunabhängige) Außendinge existiere