Wissenschaftstheorie und Forschungsprozess PDF
Document Details
![BetterTerbium](https://quizgecko.com/images/avatars/avatar-17.webp)
Uploaded by BetterTerbium
Brühl, R.
Tags
Summary
Dieser Text behandelt das Thema der Wissenschaftstheorie und des Forschungsprozesses. Der Fokus liegt auf der Abgrenzung der Wissenschaftstheorie von anderen Disziplinen, wie zum Beispiel der Wissenschaftsphilosophie, Wissenschaftsgeschichte und Soziologie. Im Detail werden die kognitiven Ziele der Wissenschaft wie Verstehen, Beschreibung, Erklärung, Prognose und Gestaltung erläutert.
Full Transcript
## 2. Wissenschaftstheorie und Forschungsprozess ### 2.1 Was ist Wissenschaftstheorie? Wissenschaftsphilosophen und Wissenschaftstheoretiker beschäftigen sich mit Fragen, die sich auf wissenschaftliche Prozesse und ihre Ergebnisse beziehen. Sie sind gegeneinander und von weiteren Disziplinen abzug...
## 2. Wissenschaftstheorie und Forschungsprozess ### 2.1 Was ist Wissenschaftstheorie? Wissenschaftsphilosophen und Wissenschaftstheoretiker beschäftigen sich mit Fragen, die sich auf wissenschaftliche Prozesse und ihre Ergebnisse beziehen. Sie sind gegeneinander und von weiteren Disziplinen abzugrenzen, die sich mit dem Objekt Wissenschaft beschäftigen (Poser, 2001/2012, 15ff): - Wissenschaftsphilosophie - Wissenschaftsgeschichte - Wissenschaftssoziologie - Wissenschaftstheorie Eine Abgrenzung von Wissenschaftstheorie wird von einigen Autoren dahingehend vorgenommen, dass die Wissenschaftstheorie als spezielle Variante der Erkenntnistheorie eingeordnet wird, Wissenschaftsphilosophie hingegen weitere Teilgebiete der Philosophie umfasst, wie z. B. die Handlungstheorie oder die Ethik (Dellantonio, 2010, 3038). Auch wenn der Begriff Wissenschaftsphiloso-phie für die heute praktizierte Teildisziplin angemessener ist - im englischsprachigen Raum wird daher folgerichtig von „Philosophy of Science" und „Philosophy of Social Science" gesprochen, ist in Deutschland der Begriff Wissenschaftstheorie häufiger anzutreffen. Wissenschaftsgeschichte ist eine Teildisziplin der Geschichtswissenschaft, die sich mit der Entwicklung von Wissenschaften in der Menschheitsgeschichte beschäftigt. Sie ist Teil des Selbstverständnisses einer jeden Disziplin, was auch für die Sozialwissenschaften gilt. Wichtig aus Sicht einer Disziplin ist es, zu erfahren, wie sich die fachlichen Grenzen der Disziplin, die eingesetzten Methoden sowie Theorien über ihre wissenschaftlichen Gegenstände entwickelt haben (Porter/Ross, 2003, für die Sozialwissenschaften). An-zumerken ist, dass Wissenschaftler, dadurch wie sie Vorarbeiten in ihrer Forschung berücksichtigen, Geschichte aus ihrer Perspektive erzählen (Krohn, 2010, 3031). In der Wissenschaftssoziologie als Teil der umfassenderen Wissenssoziologie wird das System Wissenschaft aus verschiedenen Perspektiven analysiert. Nachfolger einer institutionalistischen Sicht auf die Wissenschaft untersuchen soziale Einflüsse auf das wissenschaftliche Wissen. Aus diesen wissenssoziologischen Studien entstanden sozial-konstruktivistische Positionen, die häufig mit relativistischen Positionen verbunden sind (Schützeichel, 2007, 306ff): Wissenschaftliches Wissen gilt ihnen als relativ zu einem sozialen Kontext. Da Sozial-konstruktivistische Positionen Erkenntnisse der Wissenschaftstheorie herausfordern, werden sie in diesem Buch diskutiert. Die Bezeichnung Wissenschaftstheorie geht auf EUGEN DÜHRING zurück, der sie 1878 einführte (Pulte, 2004, 976). Nach heutigem Verständnis ist die Wissenschaftstheorie die Teildisziplin der Philosophie, welche sich mit allen grundlegenden Fragen der Wissenschaften beschäftigt. Dies sind insbesondere: - logische, methodologische oder - allgemeiner - erkenntnistheoretische Fragen, - handlungstheoretische und normative/ethische Fragen sowie - ontologische (metaphysische) Fragen der Wissenschaft (Dellantonio, 2010, 3038). Seit der Antike wird in der Philosophie über die Erkenntnis von Wissenschaftlern reflektiert, typischerweise erfolgt dies in der Erkenntnistheorie (Epistemologie). In der Erkenntnistheorie werden Fragen behandelt wie beispielsweise, was menschliches Wissen ist, wie wir zu Wissen kommen und wie es begründet werden kann (Ernst, 2007). Solche Fragen beschäftigt auch die Wissenschaftstheorie, die sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse konzentriert und hierbei insbesondere, wie diese Erkenntnisse erzeugt und wie sie gerechtfertigt werden können. ### 2.2 Kognitive Ziele der Wissenschaft Da Wissenschaft eine soziale Veranstaltung ist, fließen viele verschiedene Motive in den Wissenschaftsprozess, die von persönlichen Machtmotiven, Streben nach hohem Ansehen oder Einkommen einzelner Wissenschaftler bis zu dem Wunsch von Wissenschaftsorganisationen nach Differenzierung und Clusterbildung reichen. Im Folgenden werden jedoch die mit den Sozialwissenschaften direkt verbundenen kognitiven Ziele kurz skizziert, denn sie sollen dazu anleiten, wissenschaftliches Wissen in Form von Theorien zu erzeugen und für die Gesellschaft nutzbringend einzusetzen: - Verstehen - Beschreibung - Erklärung - Prognose - Gestaltung Als erstes ist das Verstehen zu nennen, weil es die Voraussetzung für die weiteren Ziele der Wissenschaft ist. Verstehen ist eng mit der Sprache und mit Symbolen verknüpft. Wenn wir einen Text lesen, sind verschiedene Tätigkeiten des Verstehens notwendig, um ein Verständnis des Textes zu erzeugen. So müssen wir beispielsweise der Sprache mächtig sein, in der der Text verfasst wurde. Mithilfe von syntaktischen Regeln wird eine Bedeutung von einzelnen Sätzen erzeugt, die sich nur Lesern mitteilt, die über solches Regelwissen verfügen. Ähnlich ist auch bei der Betrachtung eines Kunstwerks eine Betrachterin notwendig, welche die einzelnen Symbole mittels einer Symbolsprache interpretieren kann. Diese erste Art des Sprach- und Symbolverstehens ist jedoch zu ergänzen um das Verstehen von Handlungen von Akteuren. Verstehen richtet sich beim Handlungsverstehen auf den Sinn, den die Akteure mit ihrem Handeln verbinden. Beide Arten des Verstehens stehen nicht unverbunden nebeneinander, sondern Sprach- und Symbolverstehen und Handlungsverstehen bedingen sich gegenseitig. Um diese verschiedenen Arten des Verstehens für die sozialwissenschaftliche Forschung nutzbar zu machen, ist eine Analyse des Verstehens notwendig. Im Zuge dieser Analyse werden verschiedene Stufen des Verstehens unterscheidbar, die wiederum enge Verbindung zu den Zielen der Beschreibung und Erklärung aufweisen. Eine Beschreibung der sozialen Realität von Akteuren ist nur möglich, wenn ein bestimmtes Untersuchungsziel gegeben ist, denn die Realität in Unternehmen ist zu komplex, um alles beschreiben zu können. In der Sprache der Systemtheorie sind Gesellschaften und das Wirken ihrer Akteure äußerst komplexe Systeme, die sich einer vollständigen Beschreibung entziehen. Wissenschaftliche Begriffe dienen dazu, die Realität einzufangen, denn mit ihnen bezeichnen (beschreiben) wir Gegenstände in der sozialen Welt. Da-her bedienen sich wissenschaftliche Disziplinen einer fachlichen Terminologie, die mittels Definitionen für die Mitglieder der wissenschaftlichen Gemeinschaft festgelegt werden. Wenn die soziale Realität sehr vielgestaltig ist, dann bietet es sich an, sie einzuteilen. Mithilfe von Typen können komplexe Phänomene unterschieden werden. So werden im internationalen Management Unternehmen in internationale, multinationale, globale oder transnationale Unternehmen aufgeteilt. Zur Typenbildung werden meist verschiedene Kriterien mit verschiedenen Ausprägungen herangezogen, so dass eine eindeutige Abgrenzung nicht immer möglich ist. In der Klassenbildung wird hingegen eine solche ausschließliche Zuordnung gefordert. Ein weiteres Ziel von Beschreibungen ist es, Zusammenhänge in der sozialen Realität zu erfassen und darzustellen. Als drittes Ziel einer wissenschaftlichen Untersuchung ist die Erklärung von Sachverhalten zu nennen. Erklärungen geben Antworten auf Warum-Fragen. Viele Wissenschaftler sehen in Erklärungen den Kern ihrer Tätigkeit, weil sie nicht bei der Beschreibung von sozialen Sachverhalten stehen bleiben wollen, sondern nach den Ursachen forschen, die zu den erklärenden Phänomenen geführt haben. Das Aufdecken von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen (Kausalbeziehungen) gilt ihnen daher als die wichtigste Aufgabe von Wissenschaften. Wenn es möglich ist, diese Zusammenhänge als regelmäßige Zusammenhänge zu fassen, dann liegen gesetzesartige Aussagen vor. In den Sozialwissenschaften gibt es eine Diskussion, ob gesetzesartige Aussagen überhaupt möglich sind, ober ob nicht nur einzelfallbezogene Aussagen sinnvoll sind. Wenn ein regelmäßiger Zusammenhang aufgestellt werden kann, dann sollte es möglich sein, diesen Zusammenhang für die Vergangenheit und für die Zukunft zu postulieren. Erklärungen dienen somit der Information über die Vergangenheit und der Prognose zukünftiger Ereignisse. Eine wichtige gesellschaftliche Funktion von Wissenschaft ist es, Verbesserungen für die Menschen in dieser Gesellschaft zu erreichen. Neben Beschreibung und Erklärung von sozialen Sachverhalten muss die Gestaltung treten, die Empfehlungen enthält, welche Handlungen ergriffen werden müssen, wenn bestimmte Ziele erreicht werden sollen. Was wird benötigt, wenn Handlungsempfehlungen ausgesprochen werden sollen? Für die Empfehlung ist insbesondere die Kenntnis der Ziele notwendig, weil nur so klar ist, wozu die Gestaltung eigentlich führen soll. Forscher müssen wissen, welche Ziele von sozialen Akteuren verfolgt werden. Eine weitere wichtige Frage, die von der Methodologie behandelt werden muss, ist es, ob Gestaltungsempfehlungen ausschließlich auf Basis von gesetzesartigen Aussagen erfolgen oder ob sie einer anderen wissenschaftlichen Logik folgen können, die sich nur nach dem praktischen Gestaltungsproblem richtet. Eine Sonderstellung nehmen normative Diskussionen in den Wissenschaften ein. Eine Reihe von Wissenschaftlern folgt dem Werturteilsverbot, das MAX WEBER vehement vertreten hat, und sie halten Werturteile für unwissenschaftlich, da insbesondere nicht wahrheitsfähig. Werturteile sind als normative Aussagen von Tatsachenaussagen zu trennen, da sie nicht durch die Beobachtung von Tatsachen gerechtfertigt werden können (Hume, 1739/1978, 211ff). Gegen diese Argumentation gibt es allerdings auch Widerspruch. Wissenschaft ist danach von Normen durchsetzt und eine norm-freie, d.h. nicht-normative, Wissenschaft nicht möglich. WEBER war der Ansicht, dass Normen in der Wissenschaft eine Rolle spielen (Weber, 1904/1951, 149ff), allerdings sollten Sozialwissenschaftler in ihrer Eigenschaft als Wissenschaftler keine Wertungen bezüglich ihrer untersuchten Phänomene vornehmen. Lange Zeit galt die Werturteilsfreiheit als unabdingbarer Garant von Wissenschaftlichkeit. In den Sozialwissenschaften gibt es jedoch auch gute Gründe, einer solchen Wertfreiheit gegenüber skeptisch zu sein. So hat beispielsweise die Diskussion in der Betriebswirtschaftslehre um die Unternehmensethik gezeigt, dass es sozialwissenschaftliche Forscher gibt, die ausdrücklich ethische Wertungen als Wissenschaftsziel anerkennen und in ihrer Forschung verfolgen. ### 2.3 Dimensionen von Forschungsprogrammen Wird Wissenschaft als Prozess betrachtet, dann richtet sich der Blick auf die wissenschaftliche Tätigkeit mit ihren Methoden. Als wissenschaftliche Methoden werden mehr oder weniger - systematische Verfahren bezeichnet, die aus einer Folge von Hand-lungen ausgesproch