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BEISPIELE FÜR DIE NENNUNG VON PARAGRAPHEN  Beispiel 1 (in Klammern am Ende): Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der g...

BEISPIELE FÜR DIE NENNUNG VON PARAGRAPHEN  Beispiel 1 (in Klammern am Ende): Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können (§ 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX).  Beispiel 2 (am Satzanfang): Nach § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn sie körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeein- trächtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesell- schaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 20 University of Applied Sciences BEISPIELE FÜR DIE NENNUNG VON PARAGRAPHEN  Beispiel 3 (mitten im Satz): Menschen sind gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX behindert, wenn sie körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Anmerkung: Bei den drei oben genannten Beispielen sind keine Anführungszeichen bzw. Zitate eingefügt, obwohl ganze Satzteile aus dem Gesetz übernommen stammen (das ist in Klausuren und Hausarbeiten erlaubt, sofern Sie den Paragraphen direkt mit nennen). Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 21 University of Applied Sciences ZITIEREN VON VORSCHRIFTEN Paragraph (ALTERNATIVEN) Absatz §1 Abs. 1 oder Absatz 1 §§ 1f. (= § 1 und § 2) I §§ 1ff. (= § 1, 2, 3 etc.) (1) Satz Nummer Satz 1 Nr. 1 S.1 Ziff. 1 1 Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, 22 University of Applied Sciences [email protected] ZITIEREN VON VORSCHRIFTEN Einheitlich arbeiten: Die Zitierweise, für die Sie sich entschieden haben, in der gesamten Klausur, Präsentation oder Hausarbeit vom Anfang bis zum Ende anwenden (also wenn Sie den Absatz ausschreiben, sollten Sie auch den Satz ausschreiben z. B. § 1 Absatz 1 Satz 1 SGB I ODER § 1 Abs. 1 S. 1 SGB I). Exakt arbeiten: Quellen- und Paragraphenangaben so detailliert wie möglich, z. B. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II. Bitte beachten: In der Gesetzessammlung von Nomos („Gesetze für die Soziale Arbeit“) steht die Zahl in Klammern – zum Beispiel (1) – für den Absatz des Paragraphen und die kleine hochgestellte Zahl – zum Beispiel ¹ - für den Satz im Absatz (siehe nächste Folie). Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 23 University of Applied Sciences BEISPIEL § 7 SGB II § 7 Leistungsberechtigte (1) ¹Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). ²Ausgenommen sind 1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch (…) 2. (…). Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 24 University of Applied Sciences WAS DARF ICH IN DEN GESETZESBAND SCHREIBEN? Erlaubt: Paragraphenverweise: Einen Paragraphen neben einen anderen schreiben. Textmarker: Hervorhebung wichtiger Paragraphen. Farbige Reiter (post-it etc.): zulässig, sofern diese nur mit dem Namen des Gesetzes, einem §, der an der Stelle zu finden ist, versehen sind (oder nicht beschriftet). Nicht erlaubt: Handschriftliche Einträge und Definitionen Farbige Reiter mit Schlagwörtern oder Überschriften Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 25 University of Applied Sciences Öffentliches Recht und Privatrecht Staat Bürger Bürger Bürger Öffentliches Recht: Privatrecht/Zivilrecht: Über- bzw. Unterordnung Gleichordnung Handlungsform grds. Verwaltungsakt Handlungsform grds. Vertrag Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich 06, [email protected] 8 University of Applied Sciences Was ist öffentliches Recht? Verwaltungsrecht, Steuerrecht, Strafrecht, Sozialgesetzbuch (SGB I-XII), BaFöG, WohngeldG etc. Was ist Zivilrecht? Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), Handelsgesetzbuch (HGB), Arbeitsrecht etc. Vgl. http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/oeffentliches-recht-sachgebietstext.html Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 9 University of Applied Sciences Was ist formelles Recht? Regelungen über Verfahren, Zuständigkeit, Form etc. (z. B. § 37 SGB X) Was ist materielles Recht? Regelungen über Inhalt und Voraussetzungen von Ansprüchen (z. B. § 44 SGB V) Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 15 University of Applied Sciences Was ist eine Anspruchsgrundlage? Eine Vorschrift, die ein individuelles (subjektives) Recht sowie dessen Voraussetzungen regelt (z. B. § 44 SGB V). Was ist eine Ermächtigungsgrundlage? Eine Vorschrift, die einen Träger staatlicher Gewalt (z. B. einen Polizisten oder Beamten) ermächtigt, zu handeln bzw. in die Rechte von Bürger*innen einzugreifen (z. B. § 8 PolG NRW oder § 44 SGB X). Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 16 University of Applied Sciences BITTE MERKEN Anspruchsgrundlagen sind wichtig, weil aus Ihnen ein Anspruch der Bürger*innen hergeleitet, der vor Behörden und Gerichten durchgesetzt werden kann. Jurist*innen suchen und prüfen regelmäßig Anspruchsgrundlagen. Ermächtigungsgrundlagen sind wichtig, weil der Staat (und seine Behörden) nicht ohne Ermächtigungsgrundlage handeln bzw. in die Rechte der Bürger*innen eingreifen dürfen. Dies ergibt sich auch aus dem Rechtsstaatsprinzip (siehe dort Vorbehalt des Gesetztes). Die meisten Vorschriften in den vielen Gesetzen sind weder Anspruchs-, noch Ermächtigungsgrundlagen, sondern lediglich Vorschriften zur Definition, zum Verfahren und zur Form. Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 18 University of Applied Sciences Bitte Merken Beratungsfälle sind wie das Leben, nämlich sehr vielfältig: – Derselbe Sachverhalt kann zivilrechtliche und öffentlich-rechtliche Auswirkungen haben: Wird der zivilrechtliche Unterhaltsanspruch nicht erfüllt, kann der Anspruch vor den Zivilgerichten durchgesetzt werden. Gleichzeitig besteht möglicherweise ein öffentlich-rechtlicher Anspruch auf Unterhaltsvorschuss oder Grundsicherung, der ebenfalls gerichtlich durchgesetzt werden kann (sofern die Behörden den Anspruch ablehnen). – Mit einem Sachverhalt können unterschiedliche Gericht gleichzeitig (parallel) beschäftigt sein, weil unterschiedliche zivilrechtliche oder öffentlich-rechtliche Ansprüche zu klären sind. – Teilweise wird auch auf den Ausgang eines Verfahrens (z. B. eines Strafprozesses) gewartet, um anschließend noch zivilrechtlich Schadenersatz einzuklagen. Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 8 University of Applied Sciences Anspruchs- und Ermächtigungsgrundlagen Es kommt auf den Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Vorschrift an: – In der Vorschrift wird direkt das Wort „Anspruch“ oder „Leistung“ gebraucht und es werden die Voraussetzungen konkret aufgezählt (§ 7 Abs. 1 SGB II). – Ebenso werden Eingriffe bzw. Befugnisse der Verwaltung konkret im Gesetz geregelt: „Kommen Leistungsberechtigte trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis einer Aufforderung des zuständigen Trägers, sich bei ihm zu melden oder bei einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen, nicht nach, mindert sich das Arbeitslosengeld II oder das Sozialgeld jeweils um 10 Prozent des für sie nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs.“ (vgl. § 32 SGB II) Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 11 University of Applied Sciences Aufbau von Rechtsnormen Beispiel: Andre möchte Grundsicherung („Hartz 4“) vom Jobcenter. Wenn 1., 2., 3… dann Anspruch (Tatbestand) (Rechtsfolge) Nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II haben Anspruch auf Grundsicherung Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze…, 2…, 3. und 4… Die 4-Schritt-Methode zur Prüfung von Ansprüchen kommt später im Seminar! Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 12 University of Applied Sciences Bitte Merken Beratungshilfe gewährleistet Hilfe für die Wahrnehmung von Rechten außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens (vgl. § 1 Abs. 1 BerHG). Es erfolgt eine individuelle Einkommens-/Vermögensprüfung, ob die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 BerHG erfüllt sind. Andere Möglichkeiten der Hilfe führen zur Ablehnung der Beratungshilfe nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG. Andere Möglichkeiten sind z. B. Angebote der Schuldnerberatungsstellen, Verbraucherzentralen, Mietervereine, Sozialbehörden, Jugendämter etc. Ist bereits eine Klage anhängig (weil eine Person verklagt wurde), kann direkt Prozesskostenhilfe beantragt werden (über den Anwalt bzw. die Anwältin, der/die direkt kontaktiert werden kann). In diesen Fällen wird grds. kein Beratungshilfeschein bewilligt. Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 23 University of Applied Sciences Bitte Merken Beratungshilfe dient der rechtlichen Beratung außerhalb eines gerichtlichen Prozesses (z. B. zivilrechtliche Streitigkeiten bevor es zum Prozess kommt oder bei Ablehnungen von Behörden). Prozesskostenhilfe kommt in Betracht, wenn schon ein Prozess (eine Klage) läuft. Der/die Ratsuchende kann mit der Klageschrift direkt zu einem Anwalt gehen (der dann Prozesskostenhilfe beantragen kann). Die Beratungshilfe (§ 2 Abs. 2 BerHG) bzw. Prozesskostenhilfe wird grds. in allen rechtlichen Angelegenheiten gewährt. Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 24 University of Applied Sciences Rechtsweggarantie, vgl. Art. 19 Abs. 4 GG „Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben (…).“ Was bedeutet das? Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 6 University of Applied Sciences Rechtsweggarantie, vgl. Art. 19 Abs. 4 GG …bezeichnet den Weg, auf dem bei einer Gerichtsbarkeit um Rechtsschutz nachgesucht werden kann. Der Rechtsweg steht jedem offen, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, sowie jedem, der ein Recht gegenüber einer anderen Privatperson vor den Zivilgerichten ausüben und durchsetzen will. Institutionell unterscheidet man zwischen fünf Rechtswegen: − Ordentlicher Rechtsweg (Zivil- und Strafgerichte) − Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten sowie den Rechtsweg zur − Allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit, − Sozialgerichtsbarkeit und − Finanzgerichtsbarkeit. Quelle: Duden Recht A-Z. Fachlexikon für Studium, Ausbildung und Beruf. 3. Aufl. Berlin: Bibliographisches Institut 2015. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 7 University of Applied Sciences BITTE MERKEN Es gibt 5 Gerichtsbarkeiten (Gerichtszweige) in Deutschland. Zivilrechtliche Streitigkeiten (aus Verträgen) entscheidet das Amts- oder Landgericht in erster Instanz (Abgrenzung ist der Streitwert, um den es geht. Die Grenze liegt bei 5.000.- Euro). Arbeitsgerichtliche Streitigkeiten (Arbeitsverhältnisse, Kündigungen, Entgeltzahlungen) entschiedet das Arbeitsgericht. Es gibt drei Verwaltungsgerichtszweige. Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 11 University of Applied Sciences Bestandteile eines Urteils Ein Urteil besteht grundsätzlich aus: 1. Rubrum (= Urteilseinleitung, „Im Namen des Volkes“, Aktenzeichen, Parteien etc.). 2. Tenor (= Urteilsformel, Entscheidungsformel, Kern des Urteils). 3. Tatbestand. 4. Entscheidungsgründe 5. Rechtsmittelbelehrung (soweit erforderlich) 6. Unterschriften des Richters/der Richter Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 24 University of Applied Sciences Unbedingt Anschauen Beispiel für einen Bescheid des Jobcenters: https://www.arbeitsagentur.de/datei/musterbescheid-algii_ba013635.pdf Beispiel für ein Urteil des Sozialgerichts: https://www.justiz.nrw.de/BS/lebenslagen/sozialrecht/Einzelverfahren/urteil_6/index.p hp Beschreibung des Sozialgerichtsverfahrens (siehe nächste Folie): https://www.justiz.nrw.de/Gerichte_Behoerden/fachgerichte/Sozialgericht/index.php Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 25 University of Applied Sciences Vorbehalt des Gesetzes Die Exekutive (öffentliche Verwaltung, Polizei etc.) benötigt für bestimmte Handlungen, namentlich solche, die in die Freiheitsrechte des Bürgers eingreifen, eine gesetzlichen Ermächtigung. Das bedeutet: Kein Handeln ohne Gesetz bzw. ohne gesetzliche Grundlage! Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 12 University of Applied Sciences Grundsatz vom Vorbehalt Des Gesetzes Der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetztes besagt, dass staatliches Handeln nur aufgrund eines Gesetzes erfolgen und nicht gegen geltendes Recht verstoßen darf. Beispiel § 31 SGB I: Vorbehalt des Gesetzes: Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen dieses Gesetzbuchs dürfen nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt. Beispiel § 1 StGB: Keine Strafe ohne Gesetz: Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Beispiel: Der 50-jährige, arbeitslose Karl weigert sich, eine zumutbare Fortbildungsmaßnahme des Jobcenters anzutreten. Dem Sachbearbeiter „platzt der Kragen“ und er stellt die Hartz IV-Leistung komplett ein. Nach § 30 Abs. 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 31a Abs. 1 SGB II darf das Arbeitslosengeld II in einer ersten Stufe aber nur um 30% gemindert werden. Für die Einstellung der Leistung gibt es keine gesetzliche Grundlage und sie hat aus diesem Grund keinen Bestand. Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 13 University of Applied Sciences Gewaltenteilung, vgl. Art. 20 Abs. 2 u. 3 GG Grundprinzip politisch-demokratischer Herrschaft und der Organisation staatlicher Gewalt mit dem Ziel, die Konzentration und den Missbrauch politischer Macht zu verhindern, die Ausübung politischer Herrschaft zu begrenzen und zu mäßigen und damit die bürgerlichen Freiheiten zu sichern. Funktional wird zwischen der gesetzgebenden Gewalt (Legislative), der ausführenden Gewalt (Exekutive) und der rechtsprechenden Gewalt (Judikative) unterschieden. Diese Funktionen werden unabhängigen Staatsorganen (Parlamenten, Regierung, Gerichten) zugewiesen. Quelle: Schubert, Klaus/Martina Klein: Das Politiklexikon. 5., aktual. Aufl. Bonn: Dietz 2011. Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 14 University of Applied Sciences Grundsatz der Verhältnismäßigkeit  Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zwar im Grundgesetz nicht ausdrücklich genannt, aber dennoch zentraler Grundsatz in der Grundrechtslehre.  Gedanke: Grundrechtseingriffe sind nicht per se unzulässig, aber sie dürfen nicht übermäßig sein.  Hintergrund: Grundrechte auf der einen Seite können nicht absolut gelten. Beschränkungen müssen zum Schutz anderer Rechtsgüter zugänglich sein, diese Beschränkungen dürfen aber auf der anderen Seite den grundrechtlichen Schutz nicht konterkarieren. Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 17 University of Applied Sciences Synonyme von verhältnismäßig richtig bemessen angebracht entsprechend gebührend passend verhältnismäßig geeignet angemessen gehörig adäquat Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 18 University of Applied Sciences Grundsatz der Verhältnismäßigkeit  Anwendungsbereich ist sehr weit: Jedes staatliche Handeln.  Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) abgeleitet.  Er ergibt sich bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst, die als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegenüber dem Staat und der öffentlichen Gewalt jeweils insoweit beschränkt werden dürfen, als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist. Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 19 University of Applied Sciences Grundsatz der Verhältnismäßigkeit  Eine Maßnahme muss zur Erreichung des angestrebten Zweckes geeignet und erforderlich sein. Sie ist geeignet, wenn der gewünschte Erfolg mit ihrer Hilfe gefördert werden kann, und erforderlich, wenn der Gesetzgeber kein anderes, das betreffende Grundrecht nicht oder doch weniger fühlbar einschränkendes Mittel hätte wählen können.  Bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe muss die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt sein.  Ferner darf der mit der Maßnahme verbundene Eingriff nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache stehen. Jede Rechtsordnung muss übermäßige, nicht durch wichtigere Gemeinwohlbelange gerechtfertigte Eingriffe in Rechtspositionen des Bürgers verhindern.  Vgl. Verhältnismäßigkeit von Sanktionen im SGB II Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 20 University of Applied Sciences Prüfungsstruktur (1)  Der Eingriffszweck müsste ein zulässiger Zweck sein (Anmerkung: der Gesetzgeber ist bei der Wahl seiner Ziele und Zwecke grds. frei. Normalerweise besteht an diesem Punkt kein Problem).  Der Eingriff müsste geeignet sein, den zulässigen Rechtszweck zu erreichen (Anmerkung: Es reicht aus, dass der Zweck überhaupt in irgendeiner Weise gefördert wird. Auch an diesem Punkt ist normalerweise kein Problem).  Der Eingriff müsste zudem erforderlich sein. Das bedeutet, dass es sich um das mildeste Mittel handeln muss, um den Regelungszweck zu erreichen (kein milderes Mittel!) ► Anmerkung: Hohe Praxisrelevanz bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit. Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 22 University of Applied Sciences Prüfungsstruktur (2)  Der Eingriff müsste letztendlich auch angemessen sein. Dies ist der Fall, wenn die Freiheitsbeeinträchtigung nach ihrer Art und Intensität nicht außer Verhältnis zu dem Rechtsgut, dessen Schutz der Zweck des Grundrechtseingriffs ist, steht. (Anmerkung: Hohe Praxisrelevanz bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit). Beispiele:  Verhältnismäßigkeit einer Sanktion im Recht der Grundsicherung (SGB II)  Unverhältnismäßigkeit einer Sanktion (versäumter Meldetermin) weil der Meldetermin gar nicht erforderlich war, denn es gab ein einfacheres Mittel (Sozialgericht Chemnitz, Urteil vom 6.10.2011 – S 21 AS 2853/11(siehe nächste Folie)). Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 23 University of Applied Sciences Aufbau von Rechtsnormen Beispiel: Leon möchte einen Gründungszuschuss vom Jobcenter. Wenn 1., 2., 3… dann Anspruch (Tatbestand) (Rechtsfolge) Nach § 16c Abs. 1 u. 3 SGB II können erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die eine selbständige, hauptberufliche Tätigkeit aufnehmen oder ausüben, Darlehen und Zuschüsse für die Beschaffung von Sachgütern erhalten… Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 6 University of Applied Sciences Unbestimmter Rechtsbegriff Ein Begriff (z. B. »Angemessen«, »tragfähig«, »notwendig«), der nicht durch einen fest umrissenen Sachverhalt ausgefüllt wird, sondern bei der Rechtsanwendung im Einzelfall präzisiert werden muss. Ein unbestimmter Rechtsbegriff (u. R.) erscheint, anders als das Ermessen, im gesetzlichen Tatbestand, nicht auf der Rechtsfolgenseite. Da es in rechtlicher Sicht nur eine richtige Entscheidung geben kann, erfordert die Anwendung von u. R. im Einzelfall eine Wertung und Abwägung der unterschiedlichen Gesichtspunkte. Ihre Handhabung unterliegt der vollen richterlichen Überprüfung, soweit nicht der Behörde ein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist. Vgl: Duden Recht A-Z. Fachlexikon für Studium, Ausbildung und Beruf. 3. Aufl. Berlin: Bibliographisches Institut 2015. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 9 University of Applied Sciences Unbestimmter Rechtsbegriff In einfachen Worten: Ein unbestimmter Rechtsbegriff ist ein Begriff, der im Gesetz nicht definiert ist und der bei der Rechtsanwendung von der Behörde ausgefüllt bzw. präzisiert werden muss. Die richtige Auslegung ist gerichtlich überprüfbar! Es gibt auch im Gesetz ausdrücklich bestimmte Rechtsbegriffe, zum Beispiel die Begriffe „Potenzialanalyse“ und „Eingliederungsvereinbarung“ in § 15 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 SGB II. Der Begriff in Klammern wird durch den Satz davor definiert ( das heißt „Legaldefinition“). Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 10 University of Applied Sciences Was sind unbestimmte Rechtsbegriffe? Was bedeutet Ermessen? Unbestimmte Rechtsbegriffe tauchen auf der Tatbestandsseite einer Norm (= auf der Seite der Voraussetzungen) auf. Ermessen findet sich grundsätzlich auf der Rechtsfolgenseite. In der Praxis sind beide Kombinationen sind möglich: Vorschriften mit unbestimmten und/oder bestimmten Rechtsbegriffen können als gebundene Entscheidung oder als Ermessensentscheidung ausgestaltet sein. Tatbestand einer Norm Rechtsfolge einer Norm Bestimmte Rechtsbegriffe Gebundene Entscheidung Unbestimmte Rechtsbegriffe Ermessensentscheidung Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 11 University of Applied Sciences Unbestimmte Rechtsbegriffe Die Bedeutung unbestimmter Rechtsbegriffe ergibt sich in vielen Fällen nicht aus dem Gesetz: Aber die unbestimmten Rechtsbegriffe sind anhand der Ziele und Vorschriften des jeweiligen Gesetzes auszulegen. Hinweise ergeben sich teilweise aus den Gesetzesmaterialien (Bundestagsdrucksachen), welche in den Kommentaren zum Gesetz zitiert werden. Hinweise ergeben sich auch aus Urteilen oder Lehrbüchern zum jeweiligen Rechtsgebiet. Unbestimmte Rechtsbegriffe sind voll gerichtlich überprüfbar! Online-Datenbanken zur Recherche zum jeweiligen Paragrafen sind zum Beispiel: Beck-Online oder Juris: https://beck-online-beck-de.ezp.hs-duesseldorf.de/Home Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 12 University of Applied Sciences Was bedeutet Ermessen? Unbestimmte Rechtsbegriffe tauchen auf der Tatbestandsseite einer Norm (= auf der Seite der Voraussetzungen) auf. Ermessen findet sich grundsätzlich auf der Rechtsfolgenseite. In der Praxis sind beide Kombinationen sind möglich: Vorschriften mit unbestimmten und/oder bestimmten Rechtsbegriffen können als gebundene Entscheidung oder als Ermessensentscheidung ausgestaltet sein. Tatbestand einer Norm Rechtsfolge einer Norm Bestimmte Rechtsbegriffe Gebundene Entscheidung Unbestimmte Rechtsbegriffe Ermessensentscheidung Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 14 University of Applied Sciences Das Ermessen der Verwaltung Ermessen beschreibt die Gestaltungsfreiheit der Verwaltung, unterschiedliche Entscheidungen treffen zu dürfen (Spielraum). Ob die Verwaltung Ermessen hat, richtet sich nach dem Wortlaut des Gesetzes: Anspruchsnorm Ermessensnorm Wortlaut des Gesetzes: Wortlaut des Gesetzes: „ist zu gewähren“, „wird geleistet“ etc. „kann“, „darf“, „ist berechtigt“ etc. Beispiel: Den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist während einer Beispiel: Arbeitgeber können auf Antrag für Arbeitsgelegenheit zuzüglich zum die Beschäftigung von zugewiesenen Arbeitslosengeld II von der Agentur für Arbeit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten durch eine angemessene Entschädigung für Zuschüsse zum Arbeitsentgelt gefördert Mehraufwendungen zu zahlen (§ 16d Abs. 7 werden (§ 16e Abs. 1 SGB II). S. 1 SGB II). Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 15 University of Applied Sciences Anspruchsnorm Das ist wie Mathematik: Wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, dann besteht ein Anspruch und die Behörde hat keine Wahl. Beispiel zu § 16d Abs. 7 S. 1 SGB II (vorherige Folie): Wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigten eine Arbeitsgelegenheit ausüben, dann ist ihnen zuzüglich zum Arbeitslosengeld II von der Agentur für Arbeit eine angemessene Entschädigung für Mehraufwendungen zu zahlen. Das bedeutet: Allen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die eine Arbeitsgelegenheit ausüben, wird zuzüglich zum Arbeitslosengeld II von der Agentur für Arbeit eine angemessene Entschädigung für Mehraufwendungen gezahlt. Anspruchsvorschriften sind voll gerichtlich überprüfbar. Sofern die Voraussetzungen nach der Auffassung des Gerichts erfüllt sind, darf das Gericht die Behörde zur Zahlung der Leistung verurteilen. Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich 06, [email protected] 16 University of Applied Sciences Das Ermessen der Verwaltung Die Gestaltungsfreiheit der Verwaltung bedeutet in der Praxis, dass bei Erfüllung der Voraussetzungen der Vorschrift nicht automatisch ein Anspruch auf die Rechtsfolge (Leistung etc.) besteht. Vielmehr hat die Behörde einen Entscheidungsspielraum, weil die Behörde die Arbeitsmarktlage, die Eignung des Arbeitslosen, die Kosten usw. zur berücksichtigten hat. Die Behörde darf aus verschiedenen Möglichkeiten auswählen. Nur im Ausnahmefall (sogenannte Ermessensreduzierung auf Null) besteht ein Anspruch gegenüber der Behörde. Ermessensentscheidungen sind grds. nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar. Das Gericht prüft hier nur, ob Ermessensfehler vorliegen (s.u.). Sonderfall: Verwendet der Gesetzgeber in einer Vorschrift das Wort „soll“, so handelt es sich um ein sogenanntes gebundenes Ermessen (das ist eine Mischform): Der Verwaltung ist eine Entscheidung vorgegeben, von der sie nur im Ausnahmefall abweichen darf. Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich 06, [email protected] 17 University of Applied Sciences Spielräume der Verwaltung und Überprüfbarkeit der Spielräume Seite der Voraussetzungen: Rechtsfolge: Ermessen Unbestimmter Rechtsbegriff Es besteht ein Spielraum der Verwaltung, Die Verwaltung muss entscheiden, ob die unterschiedliche Entscheidungen zu treffen Voraussetzungen für den unbestimmten bzw. aus mehreren Entscheidungs- Rechtsbegriff erfüllt sind. möglichkeiten auszuwählen. Gerichtlich grds. voll überprüfbar! Gericht prüft nur Ermessensfehler! Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 18 University of Applied Sciences Gesetzliche Vorgaben für das Ermessen § 39 SGB I bestimmt für das gesamte SGB: − Jedes Ermessen der Behörde ist entsprechend dem Zweck der Ermächtigung (=Gesetzesvorschrift) auszuüben. − Die gesetzlichen Grenzen des Ermessens sind einzuhalten. − Auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens besteht ein Anspruch. Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 19 University of Applied Sciences Bitte beachten Ermessensvorschriften vermitteln keinen Anspruch, selbst wenn alle Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt sind. − Es besteht lediglich ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (zu den Fallgruppen der relevanten Ermessensfehler siehe unten). − Im Wege des Widerspruchs oder der Klage können Ermessensfehler zur Aufhebung der Entscheidung führen. Die Behörde muss dann erneut (ermessensfehlerfrei) entscheiden. − Ein Anspruch besteht im Ausnahmefall, zum Beispiel bei der sogenannten Ermessensreduzierung auf Null (siehe unten). Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 20 University of Applied Sciences Ermessensfehler (1) − Ermessensüberschreitung beschreibt den Fehler der Verwaltung, dass die gesetzte Rechtsfolge außerhalb der Vorschrift liegt, z. B.: „Ausbildung beantragt, Arbeitsgelegenheit bewilligt“. − Ermessensunterschreitung beschreibt den Fehler der Verwaltung, dass kein Ermessen ausgeübt wird (Ermessensnichtgebrauch) , z.B.: „Der Antrag wird abgelehnt“ (ohne Begründung). In diesen Fällen hebt das Gericht die ermessensfehlerhafte Entscheidung der Behörde auf, so dass die Behörde erneut (ermessensfehlerfrei) entscheiden muss. Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 21 University of Applied Sciences Ermessensfehler (2) Ermessensfehlgebrauch beschreibt den Fehler der Verwaltung, dass Grundrechte der Klient*innen nicht beachtet, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht beachtet bzw. das Willkürverbot verletzt wurde: Familiäre (Art. 6 GG), persönliche (Art. 1 GG) oder gesundheitliche Belange (Art. 2 Abs. 2 GG) unberücksichtigt; Ungleichbehandlung (Art. 3 GG) im Vergleich zu anderen Personen. In diesem Fall hebt das Gericht die ermessensfehlerhafte Entscheidung der Behörde ebenfalls auf, so dass die Behörde erneut (ermessensfehlerfrei) entscheiden muss. Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 22 University of Applied Sciences Anspruch nur in ganz bestimmten Fällen Ermessensreduzierung auf Null: Nur eine einzige Möglichkeit (Bewilligung) ist ermessensfehlerfrei z.B.: Karl beantragt Einstiegsgeld nach § 16b SGB II um eine Tätigkeit in einem Betrieb am Wohnort aufzunehmen. Er wohnt in einem Eifeldorf und hat kein Auto. Er kümmert sich um seine pflegebedürftigen Eltern und kann daher nicht umziehen. In der weiteren Umgebung gibt es nur einen einzigen Betrieb. In der Landwirtschaft kann er aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten. Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich 06, [email protected] 23 University of Applied Sciences Anspruch nur in ganz bestimmten Fällen (1) Anspruch auf Gleichbehandlung aufgrund einer Selbstbindung der Verwaltung: z.B.: Der schnell wachsende Schreinerbetrieb hat in den letzten 6 Monaten bereits drei Bekannte von Karl eingestellt – alle ohne Schulabschluss und 1 Jahr arbeitslos. Alle Zuschüsse wurden auf Grundlage einer Verwaltungsrichtlinie gewährt. Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich 06, [email protected] 24 University of Applied Sciences Anspruch nur in ganz bestimmten Fällen (2) Aber: Wenn die finanziellen Mittel der Behörde erschöpft sind, hilft auch das nichts. Empfehlung: Es sollten immer alternative Formen der Streitbeilegung berücksichtigt werden (Verhandlungen, Vergleiche, Mediation). Diese sind teilweise erfolgreicher und schneller als der formelle Weg (Widerspruch und Klage). Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich 06, [email protected] 25 University of Applied Sciences Praxistipp − Sozialarbeiter*innen haben detaillierte Kenntnisse über ihre Klienten und sind daher in der Lage, im konkreten Einzelfall mit der Behörde zu argumentierten. Sie können insbesondere einen Ermessensfehlgebrauch aufdecken, wenn Grundrechte ihrer Klienten oder der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht beachtet bzw. das Willkürverbot verletzt wurde. Wichtige Fälle: Familiäre (Art. 6 GG), persönliche (Art. 1 GG) oder gesundheitliche Belange (Art. 2 Abs. 2 GG), Ungleichbehandlung (Art. 3 GG) zu anderen Personen. − Es sollten auch alternative Formen der Streitbeilegung versucht werden (Verhandlungen, Vergleiche, Mediation). Manchmal helfen aber nur Widerspruch und Klage. Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 26 University of Applied Sciences Thema: Wie denken Jurist*innen? Gutachtenstil oder 4-Schritt-Methode: Hierbei handelt es sich um eine Methode bzw. ein Werkzeug zur strukturierten Prüfung von rechtlichen Ansprüchen (zum Beispiel in Klausuren). Nach einem Einleitungssatz (Obersatz) werden die Voraussetzungen einer Vorschrift aufgezeigt und Schritt für Schritt durchgeprüft. Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 2 University of Applied Sciences Gutachtenstil oder 4-Schritt-Methode: 1) Einleitungssatz = Obersatz (Hypothese) 2) Voraussetzungen der Vorschrift und Definition (sofern erforderlich auch Auslegung) 3) Subsumtion (passt konkreter Sachverhalt unter die Definition?) 4) Ergebnis (Konklusion). Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 3 University of Applied Sciences Auslegung von Gesetzen Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 4 University of Applied Sciences Auslegung von Gesetzen − Der Gesetzgeber kann bei der Erstellung des Gesetzes nicht alle zukünftigen Ereignisse vorhersehen. Passt der alte Wortlaut des Gesetzes auch für neue Fälle bzw. Fallgruppen? − Teilweise gibt es Unklarheiten oder Lücken im Gesetz. Wie legen Richter*innen oder Rechtswissenschaftler*innen das Gesetz aus, wenn ein Begriff unklar oder mehrdeutig ist? Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 5 University of Applied Sciences Wiederholung: Juristisches Denken Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 13 University of Applied Sciences Anspruchsgrundlage „Wenn folgende Voraussetzungen: a, b, c usw. vorliegen, dann gibt es einen Anspruch auf x, y, oder c. Den bedingenden Satz nennt man juristisch die Tatbestandsvoraussetzungen, den Hauptsatz die Rechtsfolge.“ Rechtsanwendung: WENN DANN Quelle: vgl. Hinrichs, K., & Öndül, D. (2017). Soziale Arbeit - das Recht. Verlag Barbara Budrich. S. 24f. Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 14 University of Applied Sciences Rechtsanwendung „Wenn die Voraussetzungen a, b, c usw. vorliegen, dann gibt es einen Anspruch auf x, y oder z. Den bedingenden Satz nennt man juristisch die Tatbestandsvoraussetzungen, den Hauptsatz die Rechtsfolge.“ Beispiel § 823 Abs. 1 Satz 1 BGB Voraussetzungen: Wenn jemand Leben, Gesundheit oder ein sonstiges Rechtsgut eines anderen verletzt hat, und zwar widerrechtlich und schuldhaft, und sich daraus ein Schaden ergeben hat, dann (Rechtsfolge) hat er/sie dem anderen den Schaden zu ersetzen. Quelle: vgl. Hinrichs, K., & Öndül, D. (2017). Soziale Arbeit - das Recht. Verlag Barbara Budrich. S. 24f. Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 15 University of Applied Sciences Juristisches Denken Die „4-W-Frage“ für einen Obersatz lautet: ► Wer will von wem was woraus? Quelle: Hinrichs, K., & Öndül, D. (2017). Soziale Arbeit - das Recht. Verlag Barbara Budrich. Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 16 University of Applied Sciences Die ‚4-W-Frage‘ WER von WEM WAS WORAUS Staat → Was möchte → §… Gesetz X von Y? Bürger - Öffentliches Recht - Zivilrecht Bürger Bürger Quelle: vgl. Hinrichs, K., & Öndül, D. (2017). Soziale Arbeit - das Recht. Verlag Barbara Budrich. Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 17 University of Applied Sciences Öffentliches Recht und Privatrecht Staat Bürger Bürger Bürger Öffentliches Recht: Zivilrecht: Über- bzw. Unterordnung Gleichordnung Handlungsform grds. Verwaltungsakt Handlungsform grds. Vertrag Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 18 University of Applied Sciences Wiederholung: Öffentliches Recht und Privatrecht Was ist öffentliches Recht? Verwaltungsrecht, Steuerrecht, Strafrecht, Sozialgesetzbuch (SGB I-XII), BaFöG, WohngeldG etc. Was ist Zivilrecht? Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), Handelsgesetzbuch (HGB), Arbeitsrecht etc. Vgl. http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/oeffentliches-recht-sachgebietstext.html Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 19 University of Applied Sciences Beispiel – ‚4-W-Frage‘ (1/4) „Ein Siebenjähriger schafft es, an allen Kontrollen vorbei im Flughafen Köln/ Bonn die Maschine der Lufthansa nach New York zu besteigen, und wird vom Personal an Bord erst weit über dem Atlantik entdeckt. Die Lufthansa befördert ihn postwendend nach Köln zurück und will jetzt von dem Kleinen und/ oder dessen Eltern Aufwendungsersatz. Jetzt hat es überhaupt keinen Sinn, allgemein über Vorwürfe an den Kleinen, dessen Eltern oder die Lufthansa zu räsonieren, sondern die Fragen lauten:“ Quelle: Hinrichs, K., & Öndül, D. (2017). Soziale Arbeit - das Recht. Verlag Barbara Budrich. S. 26f. (Urteil: BGH v. 07.01.1971 – VII ZR 9/70 – BGHZ 55, S. 128-137 (‚Flugreisefall‘) Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 20 University of Applied Sciences Beispiel – ‚4-W-Frage‘ (2/4) WER? Die Lufthansa Von WEM? A) dem Jungen B) den Eltern WAS? Aufwendungsersatz, allgemeiner: Geld WORAUS? Aus welcher Vorschrift? Quelle: Hinrichs, K., & Öndül, D. (2017). Soziale Arbeit - das Recht. Verlag Barbara Budrich. S. 26f. (Urteil: BGH v. 07.01.1971 – VII ZR 9/70 – BGHZ 55, S. 128-137 (‚Flugreisefall‘) Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 21 University of Applied Sciences Beispiel – ‚4-W-Frage‘ (3/4) Woraus? … „Es geht um Vermögensinteressen zwischen Büger*Innen, also schauen wir im BGB. Dort ist das Schuldrecht (2. Buch) einschlägig, in dem es um die Begründung und Begleichung von Schulden geht. Da ein Vertrag nicht geschlossen wurde, sind einschlägig nur die gesetzlichen Schuldverhältnisse, 8. Abschnitt, Titel 26 (Ungerechtfertigte Bereicherung) und Titel 27 (Unerlaubte Handlung). Von Aufwendungsersatz ist auf der Rechtsfolgenseite aller dort stehenden Regeln keine Rede, außerdem stellt sich die Frage: Hatte die Lufthansa überhaupt Aufwendungen? … Quelle: Hinrichs, K., & Öndül, D. (2017). Soziale Arbeit - das Recht. Verlag Barbara Budrich. S. 26f. (Urteil: BGH v. 07.01.1971 – VII ZR 9/70 – BGHZ 55, S. 128-137 (‚Flugreisefall‘) Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 22 University of Applied Sciences Beispiel – ‚4-W-Frage‘ (4/4) Woraus? … … Hatte die Lufthansa überhaupt Aufwendungen? Geflogen ist sie doch so oder so, und Kerosinmehrkosten wegen 38 kg Mehrgewicht des Kleinen werden auch keine Rolle gespielt haben. Der BGH hat damals entschieden, dass es keinen Aufwendungs- ersatzanspruch gibt. Eventuell kann die Lufthansa dennoch Geld verlangen, weil der Junge eine kostenlose Reise nach New York erlangt hat (vgl. §§ 812 ff. BGB ungerechtfertigte Bereicherung). Quelle: Hinrichs, K., & Öndül, D. (2017). Soziale Arbeit - das Recht. Verlag Barbara Budrich. S. 26f. (Urteil: BGH v. 07.01.1971 – VII ZR 9/70 – BGHZ 55, S. 128-137 (‚Flugreisefall‘) Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 23 University of Applied Sciences Besipiele Für Rechtsquellen von Schweigepflicht und Datenschutz Datenschutz- § 203 Strafgesetzbuch Grundverordnung DS-GVO (Geheimnisverrat) Daten- schutz Bundesdatenschutz- Gesetz BDSG Sozialdatenschutz der Sozialbehörden nach § 35 SGB I i.V.m. §§ 67ff. SGB X Datenschutzgesetz NRW DSG NRW Arbeitsverträge Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 3 University of Applied Sciences 17.10.2017 Überblick Eine der wichtigsten Datenschutzregelungen für die Soziale Arbeit bzw. psychosoziale Beratung ist das Verbot des Geheimnisverrats nach § 203 StGB. Hiervon sind einzelne Personen (z. B. Berufsgeheimnisträger umfasst). Aus der Datenschutz-Grundverordnung ergeben sich weitere wichtige Vorgaben für öffentliche und private Institutionen, die Daten erheben und verarbeiten möchten. Die öffentlichen Leistungsträger (Krankenkassen, Rentenversicherung, Sozialhilfeträger etc.) als Institutionen unterliegen zudem dem Sozialdatenschutz nach § 35 SGB I und §§ 67-78 SGB X (in Verbindung mit der Datenschutz-Grundverordnung). In den einzelnen Sozialgesetzbüchern sind zudem besondere Regelungen für den Datenschutz enthalten. Diese haben Vorrang vor den allgemeinen Regelungen. Die freien Träger unterliegen dem Datenschutz nach der Datenschutz-Grundverordnung in Verbindung mit dem Bundesdatenschutzgesetz und den Landesdatenschutzgesetzen. Auch aus Arbeitsverträgen können sich Vorschriften für den Datenschutz ergeben. Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 4 University of Applied Sciences 11.10.2018 Hintergrund Schweigepflicht „Die grundsätzliche Wahrung des Geheimhaltungsinteresses der Klienten ist Vorbedingung des Vertrauens [...] und damit zugleich Grundlage für die funktionsgerechte Tätigkeit der Beratungsstelle [...]“ (BVerfG NJW 1977, 1489) Der Schutz der persönlichen Angelegenheiten sowie des Sozial- und Datengeheimnisses wird durch verschiedene Bestimmungen geregelt: Schutz von Privatgeheimnissen (§ 203 Abs. 1 StGB) Sozialgeheimnis (§ 35 Abs. 1 u. 2 SGB I) Schutz der Sozialdaten (§§ 67 bis 78 SGB X) Arbeitsrechtliche oder vertragliche Regelungen (im jeweiligen Vertrag) Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 5 University of Applied Sciences 11.10.2018 Hintergrund: Datenschutz Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Grundsatzentscheidung festgestellt, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zum Grundbestand der verfassungsrechtlich geschützten Handlungsfreiheit des Menschen gehört. „Freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus.“ (BVerfG v. 15.12.1983 – 1 BvR 209/83). Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitet. Insbesondere psychosoziale Daten gehören zum unantastbaren Bereich privater Lebensführung und sind deshalb durch die Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG und das Gebot des Schutzes der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG besonders geschützt. Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 6 University of Applied Sciences 11.10.2018 Zusammenfassung – Take Home Schutzwürdige Daten und Informationen dürfen nicht unbefugt offenbart werden: − Die Begriffsbestimmung „fremdes Geheimnis“ ist weit gefasst, da sie grundsätzlich jede Information erfasst, die nur einem Einzelnen oder einem beschränkten Personenkreis bekannt ist und die aus Sicht des Betroffenen nicht bekannt werden soll. − Die Schweigepflicht besteht daher unabhängig davon, ob ein fremdes Geheimnis dem*der Berater*in anvertraut oder sonst im Rahmen der beruflichen Inanspruchnahme bekannt geworden ist. − Bekannt geworden im Sinne der Vorschrift ist alles, was der*die Berater*in in Ausübung des Berufes, ob mit oder ohne Willen des*der Klient*in gezielt oder zufällig erfährt (z. B. auch die reine Beobachtung oder mitangehörte Gespräche). Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 25 University of Applied Sciences 11.10.2018 Zusammenfassung – Forts. Schutzwürdige Daten und Informationen dürfen nicht unbefugt offenbart werden: − Achtung: Kolleg*innen, die nicht unmittelbar in die Fallbearbeitung eingebunden sind, gelten als „fremde“ Dritte, so dass der Straftatbestand des § 203 StGB erfüllt ist! − Bei Teambesprechungen, Supervisionssitzungen, Gesprächen mit Kolleg*innen oder der Geschäftsleitung einer Behörde oder Einrichtung sollten daher anonymisierte Fallbeschreibungen verwenden werden. − Die Befugnis zur Datenübermittlung besteht nur dann, wenn der Betroffene (ausdrücklich oder konkludent) eingewilligt hat (Einwilligung bzw. Schweigepflichtentbindungserklärung) oder wenn eine gesetzliche Norm dies zulässt oder vorschreibt, zum Beispiel § 34 StGB, § 138 StGB. − Weitere Befugnisse (Ausblick auf nächste Woche): § 4 KKG, § 8a SGB VIII. Hochschule Düsseldorf Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] 26 University of Applied Sciences 11.10.2018 Thema Rechtsdienstleistungsgesetz Hintergrund und Praxisrelevanz Entgeltliche Rechtsberatung wird hauptsächlich durch die freien Berufe der Rechtsanwälte und Steuerberater geleistet. Anderen Personen sind (gerichtliche und außergerichtliche) Rechtsdienstleistungen nur im Rahmen des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) erlaubt. Vor einigen Gerichten besteht zudem Anwaltszwang, so dass eine Prozessführung ohne Rechtsanwalt gar nicht möglich ist (zum Beispiel vor dem Landgericht, Oberlandesgericht und Bundesgerichtshof oder vor dem Landesarbeitsgericht und Bundesarbeitsgericht). Welche gesetzlichen Vorgaben gelten dagegen für die selbständige Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen, für die Rechtsberatung durch freie Träger oder für die unentgeltliche Rechtsberatung durch Privatpersonen? Hochschule Düsseldorf 5 Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] University of Applied Sciences § 2 RDG – Rechtsdienstleistung Definition in § 2 Abs. 1 RDG: „Rechtsdienstleistung ist jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert.“ Welche Tätigkeiten fallen hierunter? Rechtsberatung (= konkrete Auskunft im Einzelfall), Antrag, Widerspruch. Voraussetzung dafür ist eine besondere individuelle Prüfung der Rechtslage, die juristische Sachkunde erfordert Nicht erfasst: Allgemeine Rechtsauskünfte und Geschäftsbesorgungen ohne eine besondere juristische Prüfung sind nicht vom Begriff der Rechtsdienstleistung Hochschule Düsseldorf erfasst (allgemeine Beratung, Information, Auskunft). 8 Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] University of Applied Sciences § 3 RDG – Befugnis zur Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen Im RDG gilt der Grundsatz: Die selbständige Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen ist nur in dem Umfang zulässig, in dem sie durch dieses Gesetz (das RDG) oder durch oder aufgrund anderer Gesetze erlaubt wird. Hochschule Düsseldorf 9 Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] University of Applied Sciences § 5 RDG – Rechtsdienstleistungen im Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit (1) Erlaubt sind Rechtsdienstleistungen im Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit, wenn sie als Nebenleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsbild gehören. Ob eine Nebenleistung vorliegt, ist nach ihrem Inhalt, Umfang und sachlichen Zusammenhang mit der Haupttätigkeit unter Berücksichtigung der Rechtskenntnisse zu beurteilen, die für die Haupttätigkeit erforderlich sind. Hochschule Düsseldorf 10 Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] University of Applied Sciences § 5 RDG – Rechtsdienstleistungen im Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit (Forts.) (2) Als erlaubte Nebenleistungen gelten Rechtsdienstleistungen, die im Zusammenhang mit einer der folgenden Tätigkeiten erbracht werden: 1. Testamentsvollstreckung, 2. Haus- und Wohnungsverwaltung, 3. Fördermittelberatung. Hochschule Düsseldorf 11 Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] University of Applied Sciences § 6 RDG – Unentgeltliche Rechtsdienstleistungen Weitere Ausnahme: Erlaubt sind nach § 6 Abs. 1 RDG auch Rechtsdienstleistungen, die nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit stehen (unentgeltliche Rechtsdienstleistungen). Was ist darunter zu verstehen? Hochschule Düsseldorf 12 Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] University of Applied Sciences § 6 RDG – Unentgeltliche Rechtsdienstleistungen (Forts.) (2) Wer unentgeltliche Rechtsdienstleistungen außerhalb familiärer, nachbarschaftlicher oder ähnlich enger persönlicher Beziehungen erbringt, muss sicherstellen, dass die Rechtsdienstleistung durch eine Person, der die entgeltliche Erbringung dieser Rechtsdienstleistung erlaubt ist, durch eine Person mit Befähigung zum Richteramt oder unter Anleitung einer solchen Person erfolgt. Anleitung erfordert eine an Umfang und Inhalt der zu erbringenden Rechtsdienstleistungen ausgerichtete Einweisung und Fortbildung sowie eine Mitwirkung bei der Erbringung der Rechtsdienstleistung, soweit dies im Einzelfall erforderlich ist. Hochschule Düsseldorf 13 Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] University of Applied Sciences Zusammenfassung Entgeltliche Rechtsberatung wird hauptsächlich durch die freien Berufe der Rechtsanwälte und Steuerberater geleistet. Vor einigen Gerichten besteht zudem Anwaltszwang. Außergerichtliche Rechtsdienstleistungen sind im Rechtsdienstleistungsgesetz geregelt. Rechtsdienstleistung ist jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert (z. B. Widerspruchsverfahren). Erlaubt sind u. a. Rechtsdienstleistungen, die nicht im Zshg. mit einer entgeltlichen Tätigkeit stehen (unentgeltliche Rechtsdienstleistungen): Familie und Freunde etc. Wer unentgeltliche Rechtsdienstleistungen außerhalb familiärer, nachbarschaftlicher oder ähnlich enger persönlicher Beziehungen erbringt, muss sicherstellen, dass die Rechtsdienstleistung durch eine Person, der die entgeltliche Erbringung dieser Rechtsdienstleistung erlaubt ist, durch eine Person mit Befähigung zum Richteramt oder unter Anleitung einer solchen Person (=Volljurist) erfolgt. Praxisanwendung: In Beratungsstellen der freien Träger*innen arbeiten Ehrenamtler*innen, pychosoziale Berater*innen und/oder Sozialarbeiter*innen als Rechtsberater*innen unter Anleitung von Jurist*innen (und dürfen damit alle Rechtsdienstleistungen erbringen). Hochschule Düsseldorf 14 Prof. Dr. Matthias Meißner, Fachbereich SK, [email protected] University of Applied Sciences

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