Handout Kindheitsforschung Zusammenfassung PDF

Summary

This handout provides a summary of lectures on childhood studies, focusing on the historical background of childhood research and the construction of childhood concepts. It includes key scholars and their contributions to the field.

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Handout Text - VO Grundlagen, Zugänge und Methoden der Kindheitsforschung Warum Kindheitsforschung? Die Definition des Begriffes Kindheit erfolgt im wissenschaftlichen Kontext in der Regel aus der Perspektive der Erwachsenen, nicht aus dem Blick...

Handout Text - VO Grundlagen, Zugänge und Methoden der Kindheitsforschung Warum Kindheitsforschung? Die Definition des Begriffes Kindheit erfolgt im wissenschaftlichen Kontext in der Regel aus der Perspektive der Erwachsenen, nicht aus dem Blickwinkel der Kinder selbst. 💡 ➔ Kritik: diese Idealbilder oder normative Vorstellungen möglicherweise verzerrt – Auswirkungen auf Kinder, deren Alltag und politische Entscheidungen 💡 ➔ Daher ist es zentral, Kinder in den sie betreffenden Angelegenheiten selbst zu Wort kommen zu lassen und ihre Sichtweisen in Forschungsprozesse adäquat einzubeziehen Konstruktionen von Kind und Kindheit: Was ist ein Kind? „Kindsein“ und „Kindheit“ sind soziale Konstrukte -> die Sicht auf Mädchen und Jungen ist in historische, gesellschaftliche und kulturelle Kontexte und Leitbilder eingebunden Jede Epoche entwickelte eigene Kindheitskonstrukte Einstellungen, Haltungen, Verhalten, Erziehungs- und Bildungsvorstellungen sind davon bestimmt Kindheitsbilder = Konstruktionen, die Theorien und Leitbilder von Erwachsenen widerspiegeln Handout Text - VO Grundlagen, Zugänge und Methoden der Kindheitsforschung 1 Historischer Rückblick über die Erforschung der Kinder Sozialwissenschaftliche Forschung mit Kindern hat sich über viele Jahrzehnte, wenn nicht sogar über Jhd. Entwickelt Ursprünge und Ansätze der Kindheitsforschung bereits im 18. Jhd. Jean Jaques Rousseau: Erziehungsroman „Emil oder Über die Erziehung“ (1762) Möglicher Ansatzpunkt früher biographisch-orientierter Kindheitsforschung Kindheit und Jugend wird als eigenständiger Lebensabschnitt gesehen Zentrale Aussage des Romans: pädagogische Konzepte sollen ihren Ausgangspunkt bei den Kindern und ihren Eigenwelten haben, um wirksam sein zu können Weiterer Entwicklungsschritt: Arbeit des französischen Arztes Jean Itard (1772) Ende des 18. Jhd. „Zivilisierung des wilden Kindes“ Ca. 11-12 jährigen Jungen gefunden, der keinerlei soziale Verhaltensformen zeigte („wildes Kind“) Entwickelte für ihn unterschiedliche Methoden und Arbeitsmaterialien Langjährige schriftliche Dokumentation Beginn der Kleinkindforschung: Beobachtungen des Philosophen Dietrich Tiedemann (1787) Systematische Tagebuchaufzeichnungen der Entwicklung des eigenen Sohnes Vorreiter und Begründer der Kinderpsychologie (Keller 2003) Jean Piaget: Beobachtung der Entwicklung seiner Kinder Konzeption seiner kognitiven Theorie anhand dieser Ergebnisse Beobachtung von Spiel- und Lehrsituationen Kind als Ko-Konstrukteur -> Konstruktionsleistung erfolgt immer in Interaktion mit der sozialen und materiellen Umwelt Handout Text - VO Grundlagen, Zugänge und Methoden der Kindheitsforschung 2 Denken als „innerliches Handeln und Umgehen mit innerlich repräsentierten Gegenständen, Personen und Situationen“ 💡 Psychologe William Thierry Preyer in seinem Buch „Die Seele der Kinder“ Beobachtungen der Entwicklung seines eigenen Kindes in Tagebuchform dokumentiert Studie gilt vielen als ein wesentlicher Ausgangspunkt für die Psychologie der frühen Kindheit William und Clara Stern (1907), Siegfried Bernfeld(1931), Charlotte Bühler (1929): anhand biografischer Dokumente werden die psychische Entwicklung eines Menschen am Übergang zwischen Kindheit und Jugend untersucht Themen: Geschlechtsidentitätsaspekte, elterliches Verhalten, Freundschaft und Feindschaft, Verhalten der Mädchen, Interesse an Politik, Kulturleben, Religion, Selbstreflexion, Selbstbeurteilung Charlotte Bühler (1893 – 1974) Deutsche Psychologin Auswertung von 76 Tagebüchern von Mädchen und Jungen (10 – 22 Jahre), die sich in der Pubertät befanden, mit dem Ziel, deren „Seelenleben“ darzustellen Versuch, die menschliche Entwicklung von der Geburt bis zum 19. Lj. In einem Phasenmodell darzustellen -> 1. Lebensjahr 2. – 4. Lebensjahr 5. – 8. Lebensjahr 9. – 13. Lebensjahr 14. – 19. Lebensjahr Zusammenfassung: Handout Text - VO Grundlagen, Zugänge und Methoden der Kindheitsforschung 3 Beobachtungsstudien in dieser Zeit stark verbreitet „Vatertagebücher“ Tenor vieler Studien der damaligen Zeit: Entwicklung ein naturgemäßer Prozess, Verlauf nach bestimmten Regeln zu einem je individuellen Endpunkt Zunehmende Forderung: stärkere Einbeziehung von Kontexten, welche die Lebensbedingungen von Mädchen und Jungen beeinflussen Keine Trennung von Kindheits- und Jugendforschung Entstehung eigenständiger Institute der Kindheits-, aber auch Jugendforschung (Wien, Hamburg) Zu Beginn der Etablierung dieses Forschungsfeldes: Diskussionen adäquater methodischer Zugänge Datenquellen: Beobachtungen, Tagebücher, Aufsätze, Briefe, usw. Methode: Interviews, Beobachtungen, quantitative Methoden noch nicht Theoretischer Bezugspunkt: Entwicklungspsychologie des Kindes- und Jugendalters Unterbrechung kindheitsbezogener Forschungsaktivitäten während NS-Zeit Danach langsame Trennung der Forschungsfelder Kindheits- und Jugenforschung Forschungstätigkeit der 1950er und 1960er: Anknüpfung an Vorstellungen über Kindheit der 1920er Jahre Qualitative Forschungsansätze wie in den 1920er Jahren kommen kaum zum Einsatz und qualitative Kindheitsforschung bleibt bis Ende der 1970er Jahre randständiges Forschungsgebiet (Grund u.a. die Orientierung an der US-amerikanischen Psychologie – quantitativ ausgerichtet) 1980er Jahre: Entwicklung und Etablierung sozialwissenschaftlich orientierter Kindheitsforschung Veränderter Blick auf das Kind und Kindheit als Lebensphase: bisheriges (entwicklungspsychologisches) vorherrschendes Bild von Kindheit: Vorbereitungsphase auf das Erwachsensein Kindheit als eigenständige Lebensphase Kinder werden selbst als ExpertInnen ihrer eigenen Lebenswirklichkeit gesehen Handout Text - VO Grundlagen, Zugänge und Methoden der Kindheitsforschung 4 Kindheitsforschung orientiert sich wieder vermehrt an den Kindern selbst, die Sichtweisen der Kinder werden zum Gegenstand der Forschung Rückbesinnung auf qualitative methodische Ansichten Was ist Kindheitsforschung? Aufgabe: Herausfinden, wie Kinder ihre Welt erleben und gestalten Ziel (seit Beginn der 1980er Jahre): nicht nur über sondern MIT Kindern zu forschen Keine einheitliche Begriffsbestimmung, da je nach Disziplin und Erkenntnisinteresse unterschiedliche definitorische Schwerpunktsetzungen existieren ➔ Kinder werden im Rahmen der Forschungsprozesse als aktive Subjekte wahrgenommen -> Sie sind eigenständige Akteure in ihrer eigenen Lebenswelt und können demzufolge selbst am besten Auskunft über sich und ihre Lebensbereiche geben Perspektive der Kinder Bedeutet die Anerkennung, dass zwischen Kindern und Erwachsenen eine Perspektivendifferenz besteht, die aus den Handlungen rekonstruierbar ist Perspektive des Kindes bezieht sich auf die von Kindern erlebte und entworfene Wirklichkeit und auf die Positionierung des Kindes in der Gesellschaft ➔ Herausforderung: Wie können Kinder in Forschungssituationen gebührend zu Wort kommen und ihre Sichtweisen von den erwachsenen ForscherInnen angemessen verstanden werden? Konzepte der Kindheitsforschung Zwei grundlegende Konzepte in der sozialwissenschaftlichen Kindheitsforschung: 1. Das Kind als sozialer Akteur = Gegenkonzept zum „Kind als Entwicklungswesen“ Handout Text - VO Grundlagen, Zugänge und Methoden der Kindheitsforschung 5 Grundannahme: Kinder wirken an ihrer Entwicklung durch eigene Aktivitäten mit D.h. Kinder werden als Gesellschaftsmitglieder gesehen und nicht länger als „Menschen in Vorbereitung“ Umweltfaktoren werden zwar als gesellschaftlich durchdrungen interpretiert und in ihren Auswirkungen auf kindliche Wahrnehmungsmuster analysiert, aber Kinder werden als gestaltende Subjekte ihrer Lerntätigkeit und Realitätsverarbeitung betrachtet Peers werden als Sozialinstanz neben Familie und Schule betont 2. Das Konzept der generationalen Ordnung Bezieht sich auf die machtbezogene Relation von Älteren und Jüngeren, aber auch auf Praktiken der Unterscheidung zwischen Kindern und Erwachsenen sowie die soziale Organisation von Wissen Generation wird als sozialstrukturelle Kategorie verstanden, die auf das Verhältnis von Erwachsenen und Kindern in der Gesellschaft hinweist und zudem zur Differenzierung zwischen Kindern und Erwachsenen beiträgt Die Einteilung der Gesellschaftsmitglieder nach Alter ist eine gesellschaftliche Konstruktion und keine „natürliche Ordnung“ Beide Konzepte skizzieren die Dualität von Handeln und Struktur 💡 ➔ Wie wird mit dieser Dualität in der Forschung umgegangen? Mikrosoziologische Ansätze: versuchen das Alltagshandeln von Kindern zu erfassen, z.B. durch teilnehmende Beobachtungen, Videobeobachtungen, offene Interviews, Gruppendiskussionen Sozialstrukturelle Soziologie: die Position der Kinder in der Gesellschaft, die Verteilung der Ressourcen zwischen den Generationen und das Wohlbefinden von Kindern, z.B. standardisierte Befragungen, demografische und sozialstatistische Daten, qualitative Interviews Handout Text - VO Grundlagen, Zugänge und Methoden der Kindheitsforschung 6 Dekonstruktive Ansätze: untersucht Kindheit als „Bündel von Diskursen“, der Blick wird auf Kindheitsrhetorik und Kindheitsbilder gelegt, um zu analysieren, wie die Herstellung von Kindheit funktioniert, z.B. Textanalyse, Dokumentenanalyse Wissenschaftstheorie und Methodologie Was ist Methodologie? ➔ Methode: Orientierung an und Berücksichtigung von Regeln 💡 ➔ Methodologie: theoretische Begründung von verschiedenen Zugangsweisen oder Wege, um Wissen über einen Objektbereich zu gewinnen – Fragt nach den Möglichkeiten von verstehen, erklären, beobachten, analysieren, vergleichen, usw. und den Gültigkeiten, der durch Forschung gewonnener Aussagen Was ist Wissenschaftstheorie? Sammelbegriff für alle metawissenschaftlichen Erörterungen über Wissenschaft Insbesondere die logische Analyse der Begriffe der Wissenschaft, der wissenschaftlichen Methode und der Wissenschaftsvorraussetzungen 3 Ebenen der theoretischen Reflexion über Wissenschaft: Entstehungszusammenhang Begründungszusammenhang Verwertungszusammenhang Empirisch-analytischer Ansatz 💡 Empirismus = nicht in der Vernunft, sondern in der Erfahrung ist die Quelle allen Wissens Handout Text - VO Grundlagen, Zugänge und Methoden der Kindheitsforschung 7 Durch induktive Schlüsse findet man allgemeine Gesetzmäßigkeiten (=vom Besonderen auf das Allgemeine). Heute eher Bestätigungsinstanz für Aussagen. Naive Empirismus Logische Empirismus Kritische Empirismus Hermeneutischer Ansatz 💡 „verstehende Wissenschaft“. Ihr Gegenstandsbereich bezieht sich auf die Unterscheidung von Naturgegebenheiten und sozialen Prozessen, diese können nur „interpretiert“ und „verstanden“, nicht bloß „erkannt“ werden. ➔ Kritische Theorie, Psychoanalyse, qualitative Forschung ab den 80er Jahren, Geisteswissenschaftliche Pädagogik, Symbolischer Interaktionismus, Ethnomethodologie, Poststrukturalismus, Frauenforschung und Genderstudies, Konstruktivismus Empirisch-analytischer Ansatz vs hermeneutisch- geisteswissenschaftlicher Ansatz ➔ Unterschiede im Erkenntnisanspruch (Ziel und Interesse) ➔ In den Erkenntnismitteln (Methodologie) ➔ In den zugrunde liegenden Positionen (Werte, Annahmen) Wozu braucht man Forschung? = Wissen schaffen, Wissen überprüfen Im sozialwissenschaftlichen Kontext bezieht sich der Nutzen von Forschung darauf In theoretischer Hinsicht: allgemeine Theorien zu entwickeln und zu überprüfen Und Handout Text - VO Grundlagen, Zugänge und Methoden der Kindheitsforschung 8 In anwendungsbezogener Hinsicht: über bewährte Theorien einen Beitrag zur Lösung bestimmter Probleme zu erreichen Sinn der empirischen Sozialforschung: Systematisches Erfassen und Deuten sozialer Tatbestände ➔ Systematisch = Anwendung methodischer Verfahren zur Datenerhebung und -auswertung ➔ Soziale Tatbestände = menschliches Verhalten, Einstellungen, Sichtweisen, etc. Zur Beantwortung von Forschungsfragen werden erhobene Daten ausgewertet und interpretiert. Kindheitsforschung verläuft auf zwei Ebenen: 1. Grundlagenforschung: richtet den Blick u.a. auf die Heterogenität von Lebenslagen und Lebensbedingungen, unter denen Kinder aufwachsen, sich entwickeln, lernen und bilden. Soziale Räume in denen Kinder leben, ihre Interaktions- und Kommunikationsprozesse, der Austausch mit Bezugspersonen, die für das Aufwachsen von Kindern wesentlich verantwortlich sind, bilden für die Entwicklung von Forschungsfragen, Hypothesen, Forschungsdesigns, usw. wesentliche Anknüpfungspunkte. 2. Angewandte Forschung: beschäftigt sich z.B. mit Konzepten für Kindertageseinrichtungen, mit curricularen Entwicklungen der Ausbildungen, entwickelt Unterstützungsmöglichkeiten für Eltern, Fort- und Weiterbildungen für pädagogische Fachkräfte. Quantitative Methoden in der Kindheitsforschung Finden bereits seit Beginn des 20.Jhd. Verwendung Standardisierte Befragungen Testverfahren Standardisierte Beobachtung Nicht-reaktive quantitative Verfahren Qualitative Kindheitsforschung: Interviewmethoden: Handout Text - VO Grundlagen, Zugänge und Methoden der Kindheitsforschung 9 Situationsnahe Interviewformen Sequenz-Interviews Lebensweltliche Interviews Biografische Interviews Symbolische Interviewformen Wie wird eine Forschungsfrage entwickelt? Interesse an einem bestimmten Thema oder Themenfeld -> Fragestellung -> diese bestimmt die Richtung des Untersuchungsdesigns, den Ablauf des Forschungsprozesses und die Methoden Wie verläuft der Forschungsprozess? 💡 1. Wahl des Forschungsgegenstandes 2. Festlegung des theoretischen Zugangs und Begriffsrahmen bzw. Theoriebildung 3. Entwicklung einer präzisen Forschungsfragestellung, ggf. Hypothesenbildung, Operationalisierung 4. Theoretische und empirische Übersicht über den Forschungsgegenstand 5. Forschungsdesign: Auswahl und Festlegung von Untersuchungsgruppe(n), Untersuchungsmethode(n), Erhebungszeiträume(n), Auswertungsmethode(n) 6. Datenerhebung 7. Datenaufbereitung 8. Datenauswertung und -analyse 9. Forschungsbericht Theoriebildung – Forschungsprozess – Design Handout Text - VO Grundlagen, Zugänge und Methoden der Kindheitsforschung 10 Lineare Modell: Theorie -> Hypothesenbildung -> Operationalisierung -> Stichprobe -> Erhebung -> Auswertung -> Überprüfung Zirkuläres Modell: Vorannahme ​-> Fall 1 Erhebung – Auswertung -> Fall 2 Erhebung – Auswertung -> Fall 3 Erhebung – Auswertung alle Auswertungen werden miteinander verglichen und führen zur Theoriebildung Komponenten des Forschungsdesigns: Zielsetzung: wissenschaftliches, persönliches Ziel Fragestellung Auswahl/ Sampling Theoretischer Rahmen Methoden Ressourcen: Zeit, Personal, Technische Hilfsmittel, Erfahrungen Darstellungs-/ Generalisierungsziel: Welche Form der Generalisierung wird angestrebt? Detaillierte Analyse eines Falles? Möglichst viele Facetten? Vergleich vieler Fälle? Etc. Eingrenzungsmöglichkeiten des Forschungsthemas bzw. -problems Worin liegt das Forschungsinteresse? Definition des Forschungsziels und der Forschungsfragen Warum soll dieses Thema erforscht werden? Begründung des Forschungsinteresses und Klärung theoretischer und empirischer Grundlagen Was soll erfasst werden? Wo und Wann? Darstellung des Untersuchungsgegenstands Womit bzw. wie soll etwas erfasst werden? Entwicklung des Forschungsdesigns (Untersuchungsumfang, Erhebungs- und Auswertungsmethoden) Handout Text - VO Grundlagen, Zugänge und Methoden der Kindheitsforschung 11 Die Entwicklung der Fragestellung und des Forschungsdesigns erfolgt in der Regel im Kontext der Theoriebildung bzw. des jeweiligen theoretischen Zugangs zum Thema und zum Feld. Theoriebildung meint in diesem Fall das eingehende und umfangreiche kritische Studium von Literatur und die Analyse vorliegender Untersuchungen zum Thema. Entweder existieren bereits theoretische Ansätze und Zugänge, auf die man zurückgreifen kann oder eine neue Theorie muss entwickelt werden. Existieren zum Gegenstandsbereich keine Theorien, können auch Theorien verwandter Gegenstandsbereiche bzw. weiterer sozialwissenschaftlicher Disziplinen genutzt und/oder auf den jeweiligen Forschungsgegenstand übertragen werden. Theorie – Hypothese – These Eine Theorie ist ein System logisch widerspruchsfreier Aussagen über einen Untersuchungsgegenstand, d.h. sie ist ein Aussagesystem (zeitlich begrenzt) Liefert die grundlegende Orientierung und definiert den Objektbereich Stellt das begriffliche Bezugssystem zur Verfügung Dient der Vorhersage künftiger Ereignisse (=Prämissen) > Eine Theorie enthält Aussagen, aus denen mit Hilfe von Regeln weitere Aussagen (Gesetze) abgeleitet werden. Hypothesen Besitzen forschungsleitende Funktionen Konkretisieren die Fragestellungen einer Untersuchung ➔ = Vermutung über den Zusammenhang zwischen mindestens 2 Sachverhalten, die mit Hilfe von Konstrukten begrifflich gefasst werden ➔ = Aussage, die aufgrund einer Theorie für wahrscheinlich, aber nicht belegt ist ➔ = vorläufige, vermutete Antworten auf wissenschaftliche Fragen These = ist eine Behauptung und wird aufgestellt, um eine Argumentation einzuleiten. Sie ist Ausgangspunkt der Argumentation und somit Grundlage einer Handout Text - VO Grundlagen, Zugänge und Methoden der Kindheitsforschung 12 wissenschaftlichen Arbeit, in der sie mit gültigen Mitteln bewiesen wird. ➔ Unterschied zwischen These und Hypothese: Im Unterschied zur These ist die Hypothese spezifischer und stellt bereits einen Zusammenhang zwischen mindestens zwei Variablen her. Meistens sind daher Hypothesen als Konditionalsatz (wenn-dann, je-desto,..) formuliert. Die Begriffe einer Hypothese müssen operationalisierbar sein. Das Ziel von Operationalisierung ist, die Fragestellungen und Hypothesen aufgeführten bzw. beschriebenen Aspekten in messbare Einheiten zu fassen, die beobachtbar und somit erfassbar sind. Dies erfordert, dass die in den Fragestellungen und Hypothesen aufgeführten zentralen, aber unspezifischen Begriffe als erfassbare Indikatoren definiert und präzisiert werden müssen. Operationalisierung Begriffe der theoretischen Ebene müssen in Forschungsoperationen übersetzt = operationalisiert werden. Resultat der Operationalisierung: 1. Variablen (=Merkmals- bzw. Eigenschaftsdimension): Variablen sind begrifflich definierte Merkmale (=Eigenschaften) von Objekten, die mehrere Ausprägungen (unterschiedliche Zustände) annehmen können – z.B. Alter. Variablen sind Angaben, über die festgestellt werden kann, ob und in welchem Ausmaß der mit einem Konstrukt bezeichnete Sachverhalt in der Realität vorliegt. 2. Indikatoren = Anzeiger für untersuchte Sachverhalte. Man benötigt Indikatoren, die auf das Vorhandensein der mit den Begriffen gemeinten Sachverhalte schließen lassen, z.B. Hilfsbereitschaft einer Gruppe: Welche Indikatoren zeigen Hilfsbereitschaft an? Beispiel für Operationalisierung: Eine Untersuchung versucht zu erfassen, wie sich kindliche Sexualität äußert. ➔ Kindliche Sexualität: Operationalisierung im Kontext der Theoriebildung -> Indikatoren: körperliche, sinnliche und genitale Selbsterkundungen, „Doktorspiele“, sexuelle Neugier und Fragen, Erregungszustände (schnelle Atmung, gerötete Haut), etc. -> Variablen Untersuchungsdesign = genaue Beschreibung und Begründung des Untersuchungsplans Wieso welcher methodische Zugang zum Feld gewählt wurde (z.B. qualitativ oder quantitativ) Handout Text - VO Grundlagen, Zugänge und Methoden der Kindheitsforschung 13 Wieso welche Erhebungs- und Auswertungsinstrumente eingesetzt werden Ob und wie ein Pretest stattfindet und zu welchen Ergebnissen dieser führte Wie die Stichprobe definiert ist (Umfang, Merkmale, etc.) und rekrutiert wird Basisdesigns: Fallanalyse Vergleichsstudie Retrospektive Studie Querschnittstudie Längsschnittstudie Auswahlverfahren: Grundgesamtheit – Stichprobe Typen von Auswahlverfahren: Nicht-zufallgesteuerte Auswahlverfahren: Willkürliche Auswahl, Bewusste Auswahl, Quoten Auswahl Zufallgesteuerte Auswahlverfahren: Einfache Zufallsauswahl, geschichtete Zufallsauswahl, Klumpenauswahl Theoretische Sensibilität = persönliche Fähigkeit der Forscherin bzw. des Forschers Für Feinheiten und Differenzierung in der Bedeutung von Theorien, Ansätzen und Daten offen und sich dessen bewusst zu sein Über die Fähigkeit zu verfügen, empirischen und theoretischen Daten Bedeutung geben zu können Inwieweit jemand theoretisch sensibilisiert ist, hängt auch vom vorausgehenden Literaturstudium und von den erworbenen Erfahrungen im Phänomenbereich ab. Theoretische Sensibilität entwickelt sich im gesamten Forschungsverlauf. Handout Text - VO Grundlagen, Zugänge und Methoden der Kindheitsforschung 14 Das wissenschaftliche Verstehen von Kindern Durch den veränderten Blick auf die Lebensphase Kindheit gewinnt die Binnensicht der Kinder besonders Gewicht -> Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf das orientierende und handlungsleitende Denken und Fühlen von Kindern, auf ihre Welttheorien und ihr konkretes Handeln. Es gibt jedoch auch zahlreiche Einwände gegen diese Wandlung in der Kindheitsforschung. -> Beispiele für Kritik: Das Problem, die Äußerungen und das Ausdrucksverhalten der Kinder zu verstehen. Das Verstehen als sozialwissenschaftliche Methode im Rahmen kindheitssoziologischer Fragestellungen muss hinsichtlich zwei sorgfältig zu unterscheidenden Erkenntnisgegenständen betrachtet werden: 1. Verstehen, was Kinder mit ihren Äußerungen meinen = Sinn-Verstehen 2. Verstehen, was es bedeutet, was Kinder mit ihren Äußerungen meinen = verstehende Interpretation Hülst (2012, S.54): Der Erfolg von Kindheitsforschung hängt insbesondere davon ab, dass (erwachsene) Forscher*innen die (manifesten) Äußerungen von Kindern verstehen und die darin enthaltenen (nicht selten latenten) Aspekte ihres Lebenshintergrunds in einer angemessenen Deutung entsprechend der Forschungsfragestellung interpretierend herausarbeiten. Probleme der Kommunikation zwischen ungleichen Partner*innen Kompetenzunterschiede zwischen Erwachsenen und Kindern: Kinder können Wahrheit und Fiktion nicht unterscheiden Kinder geben Gefälligkeitsantworten Kinder haben zu wenig Erfahrung und Wissen, um ihre aktuellen Erlebnisse angemessen kommentieren zu können (mangelndes Kontextwissen) Kindliche Deutungen und Welterklärungen sind nicht authentisch, sondern von den Erwachsenen auf sie zugeschnitten (sozial konstruiert) und kritiklos bzw. alternativlos übernommen Handout Text - VO Grundlagen, Zugänge und Methoden der Kindheitsforschung 15 Kinder geben nur das wieder, was ihnen die erwachsenen Bezugspersonen vorgeredet haben Kinder besetzen Dinge und Beziehungen mit unangemessenen Wertbezügen Kindern fehlt moralisches Bewusstsein Kindliche Logik folgt eigenen, schwer bis überhaupt nicht nachvollziehbare Wege Handout Text - VO Grundlagen, Zugänge und Methoden der Kindheitsforschung 16

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